LAG Nürnberg: Kostenfestsetzungsverfahren – Verfahrensgebühr bei Erstellung eines Schriftsatzentwurfs
LAG Nürnberg, Beschluss vom 29.12.2023 – 4 Ta 101/23
Volltext: BB-Online BBL2024-756-6
Leitsatz
Eine Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3207 VV RVG entsteht bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information der Partei. Eine die Gebühr auslösende Einzeltätigkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn der zweitinstanzliche Prozess-bevollmächtigte im Auftrag des Rechts-mittelgegners die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde prüft und sich sachlich damit auseinandersetzt. Eine nach außen erkennbare Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts ist nicht erforderlich.
Sachverhalt
I.
Mit Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 10.08.2023 hat dieser im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Bundesarbeitsgericht die Festsetzung der Kosten gegen den Verfahrensgegner gemäß §§ 103 ff. ZPO beantragt und eine 1,1-Gebühr nach § 13 RVG Nr. 3207 VV RVG zuzüglich der Telekommunikationspauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG einschließlich Umsatzsteuer geltend gemacht. Er hat vorgetragen, dass er sich mit der Nichtzulassungsbeschwerde der Klagepartei auseinandersetzen habe müssen. Unter dem Datum 31.07.2023 sei ein Entwurf einer Erwiderung gefertigt worden. Der Schriftsatzentwurf sei nicht mehr ausgelaufen, weil sich dies mit der Zustellung des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 01.08.2023 am 07.08.2023 überschnitten habe. Eine Einreichung sei danach nicht mehr notwendig gewesen.
Nachdem die Klagepartei mit Schriftsatz vom 01.09.2023 eine Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren bestritten und geltend gemacht hat, dass es keine Notwendigkeit für eine Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren gegeben habe, hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 19.09.2023 im Verfahren den benannten Entwurf einer Erwiderung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vorgelegt.
Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 28.09.2023 hat das Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, den Antrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten zurückgewiesen. Das Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Aschaffenburg, hat ausgeführt, dass zwar eine nach außen erkennbare Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts für die Entstehung einer Gebühr nicht erforderlich sei. Eine Erstattungsfähigkeit läge aber nur vor, wenn die Erwiderung beim Bundesarbeitsgericht noch vor Zugang des Beschlusses des Bundesarbeitsgerichts vom 01.08.2023 beim Beklagtenvertreter eingereicht worden wäre, da der Beklagtenvertreter dann in der Sache selbst nach außen hervorgetreten wäre. Die Erwiderung habe jedoch den Status eines Entwurfs nicht überschritten, da sie vom Beklagtenvertreter nicht übermittelt worden sei. Ein Einreichen habe also nicht vorgelegen.
Gegen den ihm am 10.10.2023 zugestellten Beschluss hat der Beklagtenvertreter mit Schriftsatz vom 18.10.2023, eingegangen beim Arbeitsgericht am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. Er hat geltend gemacht, dass die Tätigkeit weit über eine bloße Entgegennahme hinausgegangen sei. Vielmehr habe die Beklagte die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten als sachdienlich ansehen dürfen. Eine zweckentsprechende Rechtsverteidigung der Beklagten sei erfolgt. Hierfür habe es einer Übersendung des gefertigten Schriftsatzentwurfes nicht bedurft.
Die Klagepartei hat mit Schriftsatz vom 06.11.2023 geltend gemacht, dass eine Tätigkeit des Beklagtenvertreters im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens nicht erkennbar sei. Eine Vollmachtsanzeige sowie die Einreichung eines Schriftsatzes beim Bundesarbeitsgericht seien gerade nicht erfolgt. Zudem sei nicht ersichtlich, dass der Beklagtenvertreter überhaupt im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens tätig werden sollte und eine Tätigkeit zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung als objektiv notwendig anzusehen sei.
Das Erstgericht hat mit Beschluss vom 10.11.2023 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Bezüglich näherer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
Aus den Gründen
II.
1. Die von der Beschwerdeführerin eingelegte sofortige Beschwerde ist statthaft, §§ 11 Abs. 1 und 2 RVG, 21 Ziffer 2, 11 Abs. 1 RPflG, 567 Abs. 1 und 2 ZPO, und auch frist- und formgerecht eingelegt worden, §§ 78 Satz 1 ArbGG, 569 ZPO. Sie ist daher insgesamt zulässig.
2. Die Beschwerde ist auch begründet.
2.1. Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3207 VV RVG ist entstanden und nach § 91 Abs. 1 ZPO auch erstattungsfähig.
Die Verfahrensgebühr nach Nr. 3207 VV RVG entsteht bereits für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information der Partei. Wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, ist eine nach außen erkennbare Tätigkeit des beauftragten Rechtsanwalts nicht erforderlich (vgl. OLG Koblenz v. 04.04.2012 – 14 W 171/12; LAG Berlin-Brandenburg v. 08.09.2021 – 26 Ta (Kost) 6166/21). Eine eine Gebühr auslösende sonstige Einzeltätigkeit liegt jedenfalls dann vor, wenn der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte im Auftrag des Rechtsmittelgegners die Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde prüft und sich sachlich damit auseinandersetzt (vgl. BGH v. 29.04.2019 – X ZB 4/17) oder einen Zurückweisungsantrag bei Gericht einreicht.
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass ausweislich der Fertigung eines Schriftsatzes zur Erwiderung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eine Prüfung der Erfolgsaussichten der Nichtzulassungsbeschwerde und eine sachliche Auseinandersetzung durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten erfolgt ist. Die diesbezüglichen Behauptungen wurden durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten durch Einreichung des Schriftsatzentwurfes vom 31.07.2023 nach Maßgabe von § 104 Abs. 2 ZPO hinreichend glaubhaft gemacht. Für die Festsetzung reicht es in diesem Zusammenhang aus, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des Kostentatbestandes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben sind; eines Vollbeweises bedarf es nicht (BGH v. 13.04.2007 – II ZB 10/06).
Auch bedurfte es keiner gesonderten Darlegung der Erteilung eines Prozessauftrages. Dieser erschließt sich aus den Umständen, insbesondere nachdem der Prozessbevollmächtigte der Beklagten bereits erst- und zweitinstanzlich mit der Prozessvertretung der Beklagten beauftragt war und auch das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren eine erneute anwaltliche Vertretung gebot (vgl. BGH v. 06.04.2005 – V ZB 25/04.)
2.2. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO setzt voraus, dass die angefallenen Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig sind. Zweckentsprechend ist eine Maßnahme, die eine verständige Prozesspartei bei der Führung des Rechtsstreits in dieser Lage als sachdienlich ansehen musste. Notwendig sind dann alle Kosten, die durch die zweckentsprechenden Maßnahmen entstanden sind (vgl. BGH v. 29.04.2019 – X ZB 4/17).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zunächst festzustellen, dass die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts stets als Zweck entsprechend verursachte Kosten anzusehen sind. Eine Partei soll sich im Prozess grundsätzlich anwaltlicher Hilfe bedienen können, ohne Kostennachteile befürchten zu müssen (LAG Berlin-Brandenburg v. 08.09.2021 – 26 Ta (Kost) 6166/21 m. w. Nw.). Dies hat u.a. auch zur Folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren nach §§ 103 ff. ZPO in der Regel nicht zu prüfen ist, ob die Partei für das Verfahren einen Rechtsanwalt beauftragten durfte und dies objektiv notwendig war.
Auch soweit man darauf abstellt, dass die Rechtsausübung im Zivilverfahren und damit auch die Durchsetzung des Anspruchs aus § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO dem aus dem Grundsatz von Treu und Glauben abgeleiteten Missbrauchsverbot unterliegt, kann dies vorliegend dem Kostenfestsetzungsantrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht entgegengehalten werden.
Zwar trifft nach diesem Grundsatz jede Prozesspartei die Verpflichtung, die Kosten ihrer Prozessführung, die sie im Falle ihres Sieges vom Gegner erstattet verlangen will, so niedrig zu halten, wie sich dies mit der Wahrung ihrer berechtigten Belange vereinbaren lässt (vgl. BAG v. 18.11.2015 – 10 AZB 43/15). Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann dazu führen, dass das Festsetzungsverlangen als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist und die unter Verstoß gegen Treu und Glauben zur Festsetzung angemeldeten Mehrkosten vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abzusetzen sind (vgl. BGH, NJW 2014, 2285). § 91 Abs. 2 Satz 1 Hs. 1 ZPO hindert nicht die Überprüfungsmöglichkeit, ob die einzelne Maßnahme des Prozessbevollmächtigten zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig war. Ferner kann die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ausnahmsweise dann nicht als zweckentsprechend angesehen werden, wenn sie offensichtlich nutzlos ist (vgl. BAG v. 18.11.2015 – 10 AZB 43/15).
Vorliegend bestehen keinerlei Anhaltspunkte, aus welchen Gesichtspunkten dem Kostenerstattungsantrag des Prozessbevollmächtigten der Beklagten der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegengehalten werden könnte. Nachdem die Klagepartei ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren angestrengt hatte und sich in diesem Verfahren mit Anwaltszwang zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde durch einen Rechtsanwalt hat vertreten lassen, durfte und musste sich die Beklagtenpartei als Rechtsmittelgegnerin zur Ermöglichung einer Stellungnahme ebenfalls durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Auch wenn eine Erwiderung auf die Nichtzulassungsbeschwerdebegründung gesetzlich nicht vorgeschrieben ist, entsprach eine solche ohne Weiteres einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteigung im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren.
III.
1. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts kann ohne Hinzuziehen der ehrenamtlichen Richter erfolgen, § 78 Satz 3 ArbGG.
2. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens ergibt sich aus der Höhe der begehrten Kosten.