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Arbeitsrecht
19.07.2012
Arbeitsrecht
LAG Schleswig-Holstein: Keine wirksame Kündigung bei Drohung mit Eigenkündigung

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 20.3.2012 - 2 Sa 331/11


LEITSATZ


Auch Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des EGMR (Urt. v. 21.7.2011 - 28274/08) ist eine gedeihliche Zusammenarbeit im Arbeitsverhältnis nicht mehr möglich, wenn die Arbeitgeberin befürchten muss, dass jede Meinungsverschiedenheit zur Einschaltung von Behörden und damit zu einer starken Belastung des betrieblichen Friedens führt. Das Arbeitsverhältnis ist dann auf Antrag der Arbeitgeberin gegen Zahlung des sog. Regelsatzes aufzulösen.


Sachverhalt


Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (Druckkündigung) sowie einen Auflösungsantrag der Beklagten.


Der Kläger ist am ....1965 geboren. Er ist nicht verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Bei der Beklagten wurde er mit Wirkung vom 1.1.2009 als Vertriebsingenieur mit einem Bruttomonatsgehalt von 3.800,00 EUR eingestellt. Die Beklagte stellt in einem spezialisierten Bereich Regelungs- und Messtechnik her. In diesem Markt gibt es ca. fünf Konkurrenten. Es bestehen jeweils enge Verflechtungen. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG. Ein Betriebsrat ist gebildet. Mitte Februar 2009 erlitt der Kläger einen Freizeitunfall, der mit Unterbrechungen Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 22.2.2009 bis Herbst 2009 zur Folge hatte. Verschiedentlich wurde der Kläger in dieser Zeit im Rahmen eines Hamburger Modells (allerdings tatsächlich mit voller Arbeitszeit) bei der Beklagten eingesetzt. Ab dem 23.11.2009 befand sich der Kläger in Kurzarbeit Null.


In der Zeit seiner tatsächlichen Tätigkeit für die Beklagte war der Kläger bei verschiedenen Gelegenheiten gemeinsam mit den Zeugen M. und W. tätig. Herr W. ist in der Zentrale der Vertriebsansprechpartner und auch für die Durchführung von Messen verantwortlich. Herr M. ist Außendienstmitarbeiter der Beklagten.


Mit Schreiben vom 10.2.2011 (Bl. 4 d.A.), dem Kläger am 18.2.2011 mit Abholung des Einschreibens von der Post zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2011 ordentlich fristgemäß. Nach Ablauf der Kündigungsfrist kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis erneut, mit Schreiben vom 18.5.2011 ordentlich zum 30.6.2011 und mit weiterem Schreiben vom 18.5.2011 fristlos. Zu diesen Kündigungen ist zwischen den Parteien ein weiterer Rechtsstreit zum Aktenzeichen 6 Ca 1447/11 anhängig.


Die Kündigung vom 10.2.2011 hat der Kläger mit seiner am 01.03.2001 erhobenen Klage angegriffen. Er hat Sozialwidrigkeit der Kündigung gerügt und vorgetragen, die Betriebsratsanhörung sei nicht hinreichend, sondern nur stichwortartig und unvollständig erfolgt.


Die Beklagte hat sich zur Begründung der Kündigung auf eine Drucksituation berufen. Sie hat vorgetragen, die beiden Kollegen des Klägers aus dem Vertrieb hätten gedroht, bei einer Rückkehr des Klägers selbst zu kündigen. Dies hätten beide Zeugen im November 2010 anlässlich einer Messe dem Komplementärgeschäftsführer der Beklagten glaubhaft mitgeteilt. Er habe sich dann schützend vor den Kläger gestellt. Beide Vertriebsmitarbeiter seien für einen hohen Anteil des Umsatzes zuständig. Die Konkurrenzsituation ermögliche es ihnen auch, entsprechend sofort oder kurzfristig zu wechseln. Dies stelle auch wegen der Konkurrenzsituation eine besondere Belastung für die Beklagte dar. Zur Betriebsratsanhörung verweise sie auf den Anhörungsbogen und die Zustimmung des Betriebsrates (Bl. 29 der Akte).


Der Kläger hat die Drucksituation bestritten. Die beiden Kollegen des Klägers seien für die Beklagte nicht derartig von Bedeutung, dass eine Druckkündigung gerechtfertigt sei. Auch habe sich der Komplementärgeschäftsführer der Beklagten nicht hinreichend für den Kläger eingesetzt. Soweit der Zeuge W. sich darüber beklagt habe, dass der Kläger Berichte über ihn angefertigt habe, seien diese von der Beklagten angefordert worden.


Das Arbeitsgericht hat nach Vernehmung der Zeugen M. und W. in der mündlichen Verhandlung vom 19.07.2011 (Bl. 60 ff. d.A.) mit Urteil vom selben Tag festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten beendet worden ist. Gegen dieses am 9.8.2011 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1.9.2011 Berufung eingelegt und diese nach Fristverlängerung bis zum 24.10.2011 an diesem Tag begründet.


Die Beklagte trägt vor, die Würdigung der Aussage des Zeugen M. sei unzutreffend erfolgt. Dieser Zeuge habe in seiner Anhörung deutlich seine tiefe Abneigung gegen den Kläger zum Ausdruck gebracht. Das Arbeitsgericht habe die Aussage aber nicht umfassend gewürdigt, sondern sich nur die Bausteine herausgesucht, die nach seiner Auffassung gegen eine Kündigungsabsicht sprachen. Die Beweiswürdigung sei ergebnisorientiert erfolgt. Der Zeuge habe eindringlich eine Vielzahl von Vorfällen geschildert, in deren Folge es zu einem nachvollziehbaren Bruch zwischen dem Kläger und dem Zeugen M. gekommen sei. Insbesondere sei die Aussage zum Verhalten des Klägers bei einem gemeinsamen Abendessen, in dessen Verlauf der Kläger den Geschäftsführer angegriffen habe und schließlich seine Auffassung geäußert habe, mit Herrn M. habe man den falschen Mann am falschen Ort, falsch bewertet. Die Auffassung, die Ehefrau des Zeugen nehme eine abwartende Position ein, sei falsch, da der Zeuge zur Haltung seiner Ehefrau bekundet habe, diese habe ihm gesagt, er müsse sich seinen Schritt genau überlegen. Auf der anderen Seite habe sie ihm aber auch den Rücken mit den Gründen gestärkt, man müsse sich in der Arbeit mit seinen Kollegen verstehen, Geld sei nicht alles, das Umfeld müsse stimmen.


Hieraus werde deutlich, dass die Ehefrau des Zeugen ihre Unterstützung zugesichert habe. Auch die Würdigung der familiären Situation des Zeugen M. sei nicht nachvollziehbar. Zu seiner Familie sei der Zeuge nicht befragt worden. Er habe lediglich mitgeteilt, dass er verheiratet sei und drei Kinder habe, von denen eins bereits erwachsen sei. Soweit das Gericht die fehlende Emotionalität des Zeugen angesprochen habe, sei zu berücksichtigen, dass er als Ingenieur sachlich sei. Andererseits habe er zu Beginn seiner Beweisaufnahme angegeben, er ertrage die Gegenwart des Klägers schlecht. Er habe den Kläger auch mit keinem Blick gewürdigt.


Das Gericht habe auch die Abhängigkeit der Beklagten von der Tätigkeit des Zeugen W. nicht berücksichtigt. Wenn dieser Zeuge ausscheide, werde ein eingespieltes Team, bestehend aus den Zeugen W. und M., auseinandergerissen.


In jedem Fall sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Ein gedeihliches Miteinander sei angesichts des Verhaltens des Klägers ausgeschlossen. Aus dem vom Kläger selbst vorgelegten Gutachten (Bl. 23) ergebe sich, dass der Kläger nicht in der Lage sei, sich in ein Team zu integrieren oder Hierarchien zu akzeptieren. Auch die Mitarbeiter und Vorgesetzten seien nicht bereit, mit ihm zusammenzuarbeiten. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger in der Verhandlung vom 19.7.2011 angegeben habe, er sei vom Geschäftsführer Sch. aufgefordert worden, das Memo RMS Gebietsreform (Bl. 110) zu erstellen, was aber nicht zutreffe. Daher komme auch für den Geschäftsführer eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht in Betracht. Auch der Betriebsrat teile die Einschätzung.


Mit Schriftsatz vom 5.1.2012 trägt die Beklagte ergänzend vor, sie habe dem Kläger im Interesse einer endgültigen Befriedung angeboten, neben der vom Landesarbeitsgericht vorgeschlagenen Abfindung einen Betrag zu zahlen, der seinen kompletten Nettolohnverlust in der Zeit der Kurzarbeit ausgleiche. Hierauf habe der Kläger nicht reagiert. Seinerseits habe er allerdings Strafanzeige wegen Betrugs gegen den Geschäftsführer der Beklagten erstattet. Mit Schriftsatz vom 16.2.2012 reicht die Beklagte Ablichtungen der Ermittlungsakte ein (Bl. 160 ff.) und trägt weiter vor, der Kläger habe per E-Mail vom 23.2.2011 die Beklagte bei der Arbeitsagentur R. angezeigt. Er behaupte, die Kurzarbeit sei nur angeordnet worden, um unliebsame Mitarbeiter aus dem Betrieb zu entfernen. Der Kläger sei die Triebfeder des Ermittlungsverfahrens. Beweise für seine Darstellung fänden sich in der gesamten Ermittlungsakte nicht. Es sei nicht vorstellbar, dass das Arbeitsverhältnis noch in irgendeiner Form sinnvoll fortgesetzt werden könne.


Die Beklagte beantragt,


unter Abänderung des Urteils erster Instanz des Arbeitsgerichts Lübeck vom 19.7.2011 - 6 Ca 516/11 - abzuändern und die Klage abzuweisen,


hilfsweise,


für den Fall des Unterliegens, das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2011 gemäß §§ 9, 10 KSchG aufzulösen gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung, die einen Betrag von 5.000,00 Euro nicht überschreitet.


Der Kläger beantragt,


Die Berufung sowie den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag zurückzuweisen.


Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Weiter trägt er vor, es könne dahingestellt bleiben, ob der Zeuge W. wirklich zu einer Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bereit sei. Letztlich habe der Zeuge ausdrücklich erklärt, dass ein Wechsel des Arbeitgebers wegen der Spezialisierung der Produkte und des sehr erklärungsintensiven Produktes interessant sei. Es sei also nicht auszuschließen, dass der Zeuge unabhängig vom Verbleib des Klägers das Beschäftigungsverhältnis kündigen würde.


Das Arbeitsgericht habe nicht auf die Frage eingehen müssen, ob die Beklagte sich hinreichend schützend vor den Kläger gestellt habe. Diese Anforderungen habe sie offensichtlich nicht erfüllt, wie sich aus der Aussage des Zeugen W. ergebe. Er habe lediglich erklärt, die Geschäftsführung habe mit ihm gesprochen. Auch der Zeuge M. habe lediglich mitgeteilt, es habe Anfang 2011 ein Telefongespräch mit dem Geschäftsführer Sch. gegeben. Weitergehende Gespräche oder sonstige Versuche seien von der Beklagten nicht vorgetragen. Er rüge weiterhin die ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats. Hierzu habe er bereits erstinstanzlich vorgetragen.


Der Auflösungsantrag sei unbegründet. Er habe Vorschläge von Frau H. nicht ungebührlicher Weise abgelehnt. Die behaupteten Äußerungen dieser Zeugin bestreite er. Auch bestreite er die vorgetragene Bewertung durch Herrn R.. Schließlich habe er sich niemals über den Zeugen W. bei der Geschäftsleitung beschwert. Das Memo RMS Gebietsreform sei in der Verhandlung vor dem Arbeitsgericht nicht Gegenstand der Zeugenaussage des Zeugen W. gewesen. Er, der Kläger, habe während seiner verlängerten Probezeit im Auftrag des Geschäftsführers etwa fünf Aktennotizen, d.h. Verbesserungsvorschläge, erarbeitet, wozu auch diese Aktennotiz gehöre. Bei dem von der Beklagten vorgelegten Papier handele es sich nach seiner, des Klägers, Erinnerung lediglich um einen Entwurf, nicht die endgültige Fassung. Er habe diesen Entwurf nicht firmenintern oder sonst verbreitet. Es könne sein, dass er diesen Entwurf Herrn J. übermittelt habe. Hintergrund sei, dass er bei allen von ihm erstellten Aktennotizen zunächst Herrn J. als Mitglied der Geschäftsleitung um seine Meinung gebeten habe, bevor er eine endgültige Version gefertigt habe.


Auch der Hinweis auf ein Ermittlungsverfahren könne den Auflösungsantrag nicht begründen. Er habe, nachdem er längere Zeit in Kurzarbeit gewesen sei, Sorge um das Arbeitslosengeld gehabt und daher von der Bundesagentur für Arbeit erfahren wollen, wie er sich verhalten müsse. Er habe nicht gewusst, dass daraufhin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werde. Die Anzeige habe nicht er, sondern die Agentur für Arbeit erstattet. Davon habe er erst im Sommer 2010 durch die Ladung zur polizeilichen Zeugenvernehmung erfahren. Er habe versucht, seine Vernehmung zu vermeiden, sei aber über seine Zeugenpflicht unter Androhung einer Geldstrafe belehrt worden. Daher habe er seine Aussage gemacht. Die Initiative zur Anzeige sei jedenfalls nicht von ihm ausgegangen. Ein „vertrauensvolles" Gespräch habe die Beklagte nach ihrer verhaltensbedingten Kündigung nicht erwarten können.


Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze mit Anlagen und Erklärungen zu Protokoll, Bezug genommen.


Aus den Gründen


Die Berufung ist statthaft. Sie ist form und fristgerecht eingelegt und rechtzeitig begründet worden. In der Sache hat sie jedoch nur teilweise Erfolg.


1. Wie das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt hat, ist die Kündigung der Beklagten vom 10.2.2011 zum 31.3.2011 sozialwidrig, § 1 KSchG.


Die Beklagte hat sich zur Begründung ihrer Kündigung auf eine Drucksituation berufen. Hierbei handelt es sich um eine Kündigung aus betrieblichen Gründen, nicht wegen des Verhaltens des Klägers. Die Zulässigkeit einer sogenannten Druckkündigung ist sehr umstritten (vgl. KR-Griebeling, Rn. 586 zu § 1 KSchG). Eine Drucksituation ist in der sozialen Auswirkung vergleichbar einer sogenannten Mobbingsituation: Arbeitnehmer weigern sich, mit einem anderen Arbeitnehmer zusammen zu arbeiten. Folge ist die Ausgrenzung dieses Mitarbeiters. Von einer Mobbingsituation unterscheidet sich die Drucksituation lediglich insoweit, als die Mitarbeiter, die die Entlassung des anderen verlangen, damit drohen, ihrerseits den Betrieb zu verlassen. In jedem Fall ist in einer solchen Situation zu verlangen, dass der Arbeitgeber sich zunächst schützend vor den betroffenen Arbeitnehmer stellt und alle zumutbaren Mittel einsetzt, um die Belegschaft oder die Personen, von denen der Druck ausgeht, von ihrem Verhalten oder ihrer Drohung - Verlassen des Betriebs - abzubringen.


Es kann dahingestellt bleiben, ob die beiden Zeugen W. und M. wirklich ernsthaft damit gedroht haben, den Betrieb der Beklagten zu verlassen, wenn der Kläger bleibe. Eine Wiederholung oder Ergänzung der Beweisaufnahme zu dieser Frage war daher nicht erforderlich. Denn die Beklagte hat bereits nicht dargelegt, dass sie sich ausreichend bemüht hat, beide von ihrem Vorhaben abzubringen und zwischen ihnen und dem Kläger einen Ausgleich herbeizuführen. Die Beklagte hat erstinstanzlich nicht ausdrücklich vorgetragen, dass sie sich bemüht hat, die beiden Mitarbeiter, nämlich die Zeugen M. und W., von ihrer Absicht abzubringen. Die Beklagte hat zwar mit ihrem Schriftsatz vom 21.6.2011 vorgetragen, der Geschäftsführer der Beklagten habe versucht, die beiden davon zu überzeugen, dem Kläger eine zweite Chance zu geben. Hieraus ist jedoch nicht ersichtlich, welche Versuche unternommen worden sind, den Konflikt zwischen den beiden Zeugen und dem Kläger durch gemeinsame Gespräche oder zum Beispiel eine Mediation oder Coaching beizulegen. Die Beklagte ist hierauf mit Verfügung vom 21.11.2011 hingewiesen worden. Ihr Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 5.1.2012 hierzu, reicht jedoch nicht aus, ernsthafte Versuche der Beklagten, die Drucksituation zu bereinigen, zu erkennen.


Hinzu kommt, dass das Vorbringen der Beklagten zur Drucksituation nicht ausreichend ist. Das Verhalten der Beklagten war nicht stimmig. Nicht nachvollziehbar ist insbesondere, wieso die Beklagte mehr als ein Jahr zuwartete, bis sie sich aufgrund der behaupteten Drucksituation zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses entschloss.


Sie hatte, dies muss ihr zugestanden werden, Ende des Jahres 2009 und Anfang des Jahres 2010 mit dem Kläger über eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses verhandelt. Sodann hat sie aber ihr Vorhaben, sich von dem Kläger zu trennen, nicht weiter verfolgt. Dies spricht dagegen, dass die Drucksituation so gravierend war, dass sie eine Kündigung erforderte.


Die Beklagte trägt zwar vor, die Zeuginnen W. und M. seien nach wie vor zutiefst gekränkt gewesen, was sich durch das erneute Aufflammen der Diskussion im November 2010 gezeigt habe, der Geschäftsführer Herr Sch. habe daraufhin versucht, auf die beiden beschwichtigend einzuwirken, beide hätten jedoch kategorisch abgelehnt, sich mit dem Kläger an einen Tisch zu setzen, weshalb ein gemeinsames Gespräch nicht möglich gewesen sei. Diesem Vortrag kann nicht entnommen werden, was die Beklagte konkret versucht hat, und die Lage zu klären. Zur Klärung gehört auch, dass die Arbeitgeberin das Vorbringen ihrer Mitarbeiter nicht einfach als gegeben hinnimmt, sondern auch mit ihnen diskutiert. Hierzu ist festzustellen, dass einige der Vorwürfe, die die Beklagte dem Kläger macht, aus Sicht des Gerichts nicht nachvollziehbar sind. Dies gilt zum Beispiel dafür, dass dem Kläger vorgeworfen wird, er habe während eines Spaziergangs zum Hotel nicht auf Herrn M., der einen privaten Telefonanruf erhielt, gewartet, sondern sei einfach weiter gegangen. Das Entfernen, um dem anderen ein ungestörtes Telefonat zu ermöglichen, dürfte aber gerade ein Gebot der Höflichkeit sein. Die weiteren von der Beklagten erstinstanzlich in dem Schriftsatz vom 19.4.2011 vorgetragenen Verhaltensweisen sind, soweit sie ausreichend geschildert worden sind, Kleinigkeiten, die sicherlich in der Summe dazu führen können, dass ein gedeihliches Zusammenarbeiten nicht möglich ist. Über alle diese Angelegenheiten hätte aber zwischen den Betroffenen, ggf. mit Hilfe der Beklagten, ein Gespräch gesucht werden müssen. Es hätte zur Einarbeitung des Klägers nicht nur gehört, ihm die technischen Details und die Anforderungen der jeweiligen Kunden zu vermitteln, sondern ihm auch ggf. deutlich zu machen, welche Verhaltensweisen in dem Betrieb der Beklagten als angemessen angesehen werden, damit er die Gelegenheit hatte, sich einzugliedern. Die geschilderten Verhaltensweisen des Klägers zeigen, dass er offenbar nicht über dieselben Verhaltensstandards verfügt, wie seine Kollegen.


Da nicht festgestellt werden kann, dass die Beklagte tatsächlich intensiv versucht hat, die Drucksituation beizulegen, sondern ein Jahr abgewartet hat, um dann aus derselben Situation fortzusetzen, ist die Kündigung wegen der behaupteten Drucksituation nicht zulässig. Die Sozialwidrigkeit der Kündigung ist daher zutreffend durch das Arbeitsgericht festgestellt worden.


2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist die Kündigung aber nicht unwirksam, weil der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden wäre, § 102 BetrVG. Die Beklagte hat erstinstanzlich das Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat vorgelegt (Bl. 29 d. A.). Aus diesem ergibt sich, dass die Kündigung fristgerecht zum 31.3.2011 erfolgen solle. Als Begründung ist angegeben:


„Die Vertriebsmitarbeiter W. und M. lehnen eine Zusammenarbeit mit H. K. ab und drohen mit Kündigung, wenn H. K. hier i. Hs. eine Tätigkeit wieder aufnimmt. Da wir dadurch das gesamt SW-Programm im Vertrieb und damit auch in seiner Existenz gefährdet sehen, müssen wir das Arbeitsverhältnis zum 31.3.2011 kündigen."


Ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte vorgetragen hat, dem Betriebsrat seien weitere mündliche Erläuterungen gegeben worden, was der Kläger bestreitet, ist bereits diese Darstellung eindeutig genug, um dem Betriebsrat die Möglichkeit zu geben, sich mit der Angelegenheit auseinander zu setzen. Die Beklagte hat hier ausgeführt, die Mitarbeiter lehnten eine Zusammenarbeit mit dem Kläger ab und drohten mit Kündigung. Das genau ist auch Inhalt der Ausführungen der Beklagten zur Begründung ihrer Kündigung.


3. Auf Hilfsantrag der Beklagten ist das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 KSchG zum 31.3.2011 aufzulösen gegen Zahlung einer Abfindung.


Die Beklagte hat den Auflösungsantrag rechtzeitig gestellt. § 9 KSchG sieht die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitnehmers vor, wenn das Arbeitsgericht festgestellt hat, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst worden ist, jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten ist. Die gleiche Entscheidung hat das Gericht auf Antrag des Arbeitgebers zu treffen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dieser Antrag kann bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz gestellt werden.


An den Auflösungsantrag des Arbeitgebers sind strenge Anforderungen zu stellen, was jedoch nicht besagt, dass für den Arbeitgeber nur solche Umstände als Auflösungsgründe in Betracht kommen, die dazu geeignet sind, eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zu rechtfertigen (KRSpilger, Rn. 52 zu § 9 KSchG). Sinn der Möglichkeit ist nicht, dem Arbeitgeber eine weitere Kündigung zu ersparen. Vielmehr soll dem Arbeitgeber die Möglichkeit eingeräumt werden, sich trotz Vorliegens einer sozialwidrigen Kündigung vom Arbeitnehmer zu trennen. Diese Lösung darf nach den Vorstellungen des Gesetzgebers nicht leichtfertig erfolgen. Dies wird daraus deutlich, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers nur durch rechtsgestaltenden Richterspruch herbeigeführt werden kann. Die für den Auflösungsantrag hinzugezogenen Gründe müssen im Zeitpunkt der Entscheidung über den Auflösungsantrag vorliegen. Dieser Zeitpunkt ist maßgeblich für die Beurteilung der Frage, ob eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu erwarten ist. Nur dann kann das Gericht eine sachgerechte Vorausschau anstellen, ob das Arbeitsverhältnis zukünftig sinnvoll gestaltet werden kann.


Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lassen, können nur solche sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitgeber, die Wertung der Persönlichkeit des Arbeitnehmers, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen (KR-Spilger, Rn. 55 zu § 9 KSchG). Derartige Gründe liegen hier vor.


Die Beklagte beruft sich zur Begründung ihres Auflösungsantrags auf eine Anzeige des Klägers wegen unberechtigter Inanspruchnahme von Kurzarbeitergeld für den Betrieb der Beklagten. Die Einsicht in die Akte der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck (780 Js 12358/11), die in der Berufungsverhandlung vom 20.3.2012 vorlag, hat ergeben, dass der Kläger entgegen seiner Darstellung in der Berufungsverhandlung vom 10.1.2012, tatsächlich eine Anzeige erstattet hat. Der Kläger hat sich zwar nicht direkt an die Polizei oder Staatsanwaltschaft gewendet, sondern er hat eine Anzeige gegenüber der Bundesagentur für Arbeit erstattet. Die Mail (Bl. 3 und 4 der Ermittlungsakten) enthält ausdrücklich das Wort „Anzeige".


Richtig ist, dass der Kläger bereits im Dezember 2009 an die Agentur für Arbeit in R. die Frage gerichtet hat, wie er sich zu verhalten habe, die Beklagte habe ihm einen Auflösungsvertrag vorgelegt, den er nicht unterzeichnen wolle, weshalb er in Kurzarbeit geschickt worden sei, er verstehe diese Handlung als Abstrafung ganz bestimmter Personen und als Versuch, ein Zusatzgeschäft zu nutzen. Insofern mag es zutreffen, dass der Kläger ursprünglich tatsächlich von der Sorge getragen war, dass die Kurzarbeit Einfluss auf seine Arbeitslosengeldbezüge haben könnte. Aber in der Mail vom 23.2.2011 (Bl. 3 der Ermittlungsakten), die Auslöser des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft geworden ist, führt er aus


„Ich wurde zum 1.4.2011 seitens des Arbeitgebers gekündigt, weil die Kurzarbeit in ein paar Monaten ausläuft. Bei mir (Start November 2009), wie bei allen anderen wurde die Kurzarbeit von Anfang an und ausschließlich als Druckmittel für Aufhebungsverträge sowie zur Kostenreduzierung eingesetzt und niemals zur Jobrettung - sondern ganz im Gegenteil ... Ich möchte daher eine Kurzarbeitsmissbrauchsanzeige machen und kann meine Behauptung ganz oder teilweise mit Fakten und Dokumenten belegen ... Ich brauche durch die Kündigung keine Anonymität und möchte sie um Zusendung der entsprechenden Unterlagen und Informationen bitten."


Auf diese Mail hin, hat die Agentur für Arbeit Strafanzeige gegen die Beklagte erstattet, was zu dem Ermittlungsverfahren gegen die Beklagte bzw. die handelnden Personen geführt hat. Aus der Mail vom 23.2.2011 wird deutlich, dass es dem Kläger nicht, jedenfalls nicht allein, darum ging, Klarheit wegen möglicher Arbeitslosengeldbezüge zu erlangen. Vielmehr ging es ihm darum, sich zu revanchieren. Dies wird auch aus seinem weiteren Verhalten im Rahmen des Ermittlungsverfahrens deutlich. Nachdem er von der Polizei zur Vernehmung geladen worden ist, teilt er per Mail mit, er wolle eine Zeugenaussage nicht machen oder sogar seine Anzeige zurückziehen und sie nachträglich anonymisieren (Bl. 143 der Ermittlungsakte, Ablichtung Bl. 165 der Gerichtsakte). Weiter teilt er mit Mail vom 12.1.2012 (Bl. 169 d. A.) mit, es sei ihm sehr wichtig, seine Involvierung so klein und unbedeutend wie möglich zu halten, weil er im Begriff sei, seinen Kündigungsrechtsstreit zu gewinnen. Hieraus wird deutlich, dass der Kläger zunächst bemüht war, sich an der Beklagten zu rächen, sodann jedoch die Konsequenzen scheute und versucht, diese rückgängig zu machen.


Auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es Situationen geben kann, in denen ein Arbeitnehmer berechtigt ist, trotz seiner Verpflichtung zur Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber und Vertraulichkeit nach außen zu gehen (EGMR Urteil vom 21.7.211 - 28274/08 - NZA 2011, 1269), muss hier festgestellt werden, dass das Verhalten des Klägers eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Parteien nicht erwarten lässt. Die Beklagte kann nicht sicher sein, dass der Kläger künftig bei auftretenden Missständen oder Meinungsverschiedenheiten zunächst das Gespräch im Betrieb der Beklagten suchen wird. Das hat er auch jetzt, als er in Kurzarbeit geschickt wurde, nicht getan. Erst nach Zugang der Kündigung hat er die Anzeige bei der Agentur für Arbeit erstattet. Eine vorherige Klärung mit der Beklagten hat er nicht versucht.


Aufgrund des gezeigten Verhaltens des Klägers muss die Beklagte erwarten, dass jede Meinungsverschiedenheit mit dem Kläger zur Einschaltung von Behörden, ggf. zu Strafanzeigen und zu starken Belastungen des betrieblichen Friedens führen wird. Unabhängig von dem möglichen Ausgang des Ermittlungsverfahrens kann daher der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht zugemutet werden.


Das Arbeitsverhältnis ist gemäß § 9 Abs. 2 KSchG zu dem Zeitpunkt aufzulösen, an dem es bei sozial gerechtfertigter Kündigung geendet hätte. Das ist der 31.3.2011.


Die Höhe der Abfindung ist mit 4.300,00 Euro zu bemessen. Die Vergütung des Klägers betrug 3.800,00 Euro brutto monatlich. Unter Berücksichtigung der Dauer der Betriebszugehörigkeit des Klägers ist, ausgehend von einem Monatsentgelt bei zwei Jahren Betriebszugehörigkeit im Fall einer sozialwidrigen Kündigung (sogenannter Regelsatz) ein Betrag von 4.300,00 Euro angemessen. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein allgemeiner Höchstbetrag der Abfindung in Höhe von 12 Monatsverdiensten festgelegt ist, § 10 Abs. 1 KSchG. Diese Höchstgrenze wird bei älteren Arbeitnehmern mit langer Beschäftigungsdauer durchbrochen. Der Kläger ist aber weder langjährig beschäftigt gewesen noch ist er ein sogenannter älterer Arbeitnehmer. Seine soziale Schutzbedürftigkeit ist nicht so hoch, dass ein höherer Betrag angemessen wäre.


Das angefochtene Urteil ist daher abzuändern und auf den Hilfsantrag der Beklagten das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Die weitergehende Berufung ist zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO.


Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

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