LAG Nürnberg: Keine Antragsbefugnis eines Betriebsrats bzgl. einer Gesamtbetriebsvereinbarung
LAG Nürnberg, Beschluss vom 3.6.2019 – 1 TaBV 2/19
Volltext:BB-ONLINE BBL2019-2612-5
Amtliche Leitsätze
1. Ein Antrag des Betriebsrats, „zu unterlassen, höchstens eine Zeitgutschrift … gutzuschreiben“, stellt keinen Unterlassungsanspruch, sondern der Sache nach einen Handlungsanspruch dar, nämlich zu verlangen, eine bestimmte Menge an Zeitgutschrift gutzuschreiben. Der Antrag kann entsprechend ausgelegt werden.
2. Dem Betriebsrat steht kein Anspruch auf Durchführung einer Gesamtbetriebsvereinbarung mit einem bestimmten Inhalt nach § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG zu; dieser Durchführungsanspruch ist demjenigen Organ vorbehalten, das die Vereinbarung abgeschlossen hat.
3. Der Anspruch besteht mangels Antragsbefugnis auch nicht nach § 23 Abs. 3 BetrVG. Eine mögliche falsche Handhabung der Bestimmung einer Gesamtbetriebsvereinbarung, die der Gesamtbetriebsrat in originärer Kompetenz nach § 50 Abs. 1 BetrVG abgeschlossen hat, stellt keinen Verstoß im Sinne des § 23 Abs. 3 BetrVG gegen eine Pflicht des Arbeitgebers nach dem BetrVG dar, da die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung nicht berührt ist
§§ 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG; § 23 Abs. 3 BetrVG
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten über die Pflicht der am Gemeinschaftsbetrieb beteiligten Arbeitgeber, es entsprechend einer Gesamtbetriebsvereinbarung zu unterlassen, höchstens eine bestimmte Arbeitszeit gutzuschreiben.
Die Beteiligten zu 2.) und 3.) führen in N… einen Gemeinschaftsbetrieb, in dem der Beteiligte zu 1.) als aus 21 Mitgliedern bestehender Betriebsrat fungiert. Die Beteiligten zu 2.) und 3.) sind mit ihrem Betrieb der Automobilzulieferindustrie an den Manteltarifvertrag für die bayerische Metall- und Elektroindustrie kraft Mitgliedschaft gebunden.
Unter dem 12.10.2011 haben die damals den Betrieb noch alleine führende Beteiligte zu 2.) und der Gesamtbetrieb eine „Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration Schwerbehinderter und Gleichgestellter“ abgeschlossen. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung, deren genauen Wortlautes wegen auf die mit dem Antrag vorgelegte Ablichtung Bezug genommen wird (Anlage ASt 1, Bl. 6 ff. d.A.), hat, soweit vorliegend von Bedeutung, folgenden Wortlaut:
Nr. 7.3
Schwerbehinderte, die aufgrund ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung innerhalb der Arbeitszeit einen Facharzt/Amtsarzt oder eine zuständige Behörde aufsuchen müssen, bekommen die dadurch ausfallende Arbeitszeit bezahlt. Die Erforderlichkeit des Aufsuchens einer Behörde während der Arbeitszeit ist zu belegen.
Hinsichtlich der Lage der Arbeitszeit existiert eine Standortbetriebsvereinbarung (Anlage ASt 2, Bl. 10 ff. d.A.), die – soweit vorliegend von Interesse – folgendes besagt:
1.2.1 An der elektronischen Zeiterfassung nehmen alle Tarif-Beschäftigten teil.
…
1.3.1 Jeder Mitarbeiter, der an der Zeiterfassung teilnimmt, verfügt über jeweils ein Konto für die Gleitzeit und Mehrarbeit im Zeiterfassungssystem.
…
1.3.2 Das Gleitzeitkonto (Zeitsaldokonto) verbucht die Differenz der täglichen Arbeitszeit zur täglichen Sollarbeitszeit.
…
2. Beginn und Ende der Arbeitszeit
2.1 Alle Beschäftigten in Gleitzeit können innerhalb der Rahmenarbeitszeit und ggf. Funktionsarbeitszeit Beginn und Ende der Arbeitszeit arbeitstäglich selbst bestimmen.
…
2.3 Rahmenarbeitszeit
Die Rahmenarbeitszeit je Arbeitstag ist die Zeit vom frühestmöglichen Arbeitsbeginn bis zum letztmöglichen Arbeitsende. Innerhalb dieser Zeit wird grundsätzlich die regelmäßige tägliche Arbeitszeit, zuzüglich Pausen, abgeleistet.
2.3.1 Allgemein
Die Rahmenarbeitszeit von 06:00 – 20:00 von Montag bis Freitag gilt für alle Beschäftigten, mit Ausnahme der Beschäftigten, die unter Punkt 3 (Beschäftigte im Schichtbetrieb) geregelt sind.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) hat geltend gemacht, die Arbeitgeber hätten gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung verstoßen. Ein schwerbehinderter Mitarbeiter habe aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen einen Facharzt aufsuchen müssen. Er habejedoch 5 Stunden 34 Minuten gearbeitet, durch den Arztbesuch seien 3 Stunden 8 Minuten ausgefallen. Im Arbeitsvertrag des Mitarbeiters sei eine wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden sowie Gleitzeit vereinbart worden. Der Mitarbeiter H… habe am 23.02.2017 um 06.50 Uhr seine Arbeit aufgenommen; er habe seinen Arbeitsplatz um 10.01 Uhr verlassen, um pünktlich beim notwendigen fachärztlichen Besuch, der für 10.25 Uhr vereinbart gewesen sei, zu sein. Nach Abschluss der Untersuchungen um 12.55 Uhr sei er in den Betrieb zurückgekehrt und habe von 13.09 Uhr bis 15.32 Uhr weitergearbeitet. Nach dem Facharztbesuch seien diesem Mitarbeiter lediglich sieben Zeitstunden auf seinem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben worden, nicht aber – nach Abzug der Pausen – 7 Stunden 54 Minuten. Diese Handhabung verstoße gegen die Gesamtbetriebsvereinbarung. Dem Mitarbeiter seien die ausfallenden Stunden nicht zur Gänze vergütet worden. Eine Kappung der ins Arbeitszeitkonto einzustellenden Stunden sähen weder die Gesamtbetriebsvereinbarung noch die maßgebliche Arbeitszeitbetriebsvereinbarung vor. Ihm, dem Beteiligten zu 1.), stehe nach § 77 Abs. 1 BetrVG ein Anspruch auf Durchführung der abgeschlossenen Vereinbarungen zu. Dieser Durchführungsanspruch beinhalte auch einen Unterlassungsanspruch. Künftige Verstöße seien zu erwarten.
Der Antragsteller und Beteiligte zu 1.) hat erstinstanzlich beantragt:
1. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen, während der Geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration Schwerbehinderter und Gleichgestellter vom 12.10.2011 im Falle eines Facharztbesuches eines schwerbehinderten Mitarbeiters oder eines Gleichgestellten dessen Arbeitszeitkonto höchstens die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche tägliche Arbeitszeit gutschreiben, obwohl diese Zeit infolge tatsächlich geleisteter Arbeitszeit und der anzurechnenden Arbeitszeit infolge des Facharztbesuches überschritten wurde.
2. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 1 wird ein Ordnungsgeld bis zu € 10.000,00 angedroht.
Die Beteiligte zu 2.) hat dagegen beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Die Beteiligte zu 2.) hat die Auffassung vertreten, ein Verstoß liege nicht vor. Tarifvertraglich und auch nach der Rechtsprechung könnten Mitarbeiter, die an einer Gleitzeitregelung teilnähmen, für Zeiten der Arztbesuche keine Zeitgutschriften verlangen. Im Hinblick auf die Gesamtbetriebsvereinbarung erfolge eine Gutschrift bis zur Grenze der individuellen regelmäßigen täglichen Arbeitszeit. Es sei nicht Zweck der Gesamtbetriebsvereinbarung, durch Arztbesuche ein Arbeitszeitguthaben aufzubauen. Gutzuschreiben seien die Zeiten für Arztbesuche nur, wenn die individuelle tägliche Arbeitszeit durch den Facharztbesuch nicht erreicht werde.
Der Beteiligte zu 1.) hat eingewandt, die Beteiligten wendeten die normativen Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung unzutreffend an. In Nr. 7.3 der GBV heiße es explizit, dass die ausfallende Arbeitszeit zu vergüten sei. Von einer Begrenzung der Zeitgutschrift sei dort nicht die Rede. Schon der Wortlaut der Regelung sei eindeutig. Eine andere Auslegung finde im Wortlaut keinen Anhaltspunkt. Die GBV unterscheide auch nicht zwischen Zeiten innerhalb und außerhalb der Kernarbeitszeit. Im Übrigen lägen die Zeiten des Facharztbesuches innerhalb der Funktionsarbeitszeit. Auch würden die Mitarbeiter mit Gleitzeit benachteiligt, wenn ihnen im Gegensatz zu Mitarbeitern mit festen Arbeitszeiten solche Zeiten nicht gutgeschrieben würden. Der Mitarbeiter hätte zwar nach sieben Stunden unter Einschluss der für den Facharztbesuch benötigten Zeiten seine Arbeit beenden können. Es sei aber gerade Sinn der Gleitzeitvereinbarung, dass ein Mitarbeiter selbst festlegen könne, wieviele Arbeitsstunden er täglich einbringe.
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Beschluss vom 12.09.2018 wie folgt entschieden: Die Anträge werden abgewiesen.
Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, die ausreichend bestimmten und daher zulässigen Anträge seien nicht begründet. Zwar stehe dem Beteiligten zu 1.), der an der Gesamtbetriebsvereinbarung nicht beteiligt gewesen sei, ein Anspruch aus dem Zusammenspiel der durch die Betriebsvereinbarung über Gleitzeit getroffenen Regelungen und der Gesamtbetriebsvereinbarung zu. Die Begrenzung der Stundenzahl verstoße jedoch nicht gegen diese Regelungen. Eine Regelung, wie die ausfallende Arbeitszeit eines den Facharzt aufsuchenden Mitarbeiters zu ermitteln sei, sei durch die Gesamtbetriebsvereinbarung nicht erfolgt. Nach den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung über die Gleitzeit seien Unterbrechungen nicht als Arbeitszeit zu werten. Da sich aus Sinn und Zweck der Gesamtbetriebsvereinbarung deutlich ergebe, dass schwerbehinderte Mitarbeiter nicht benachteiligt werden sollten, ergebe sich, dass die Arbeitszeit bis zur individuellen täglichen Arbeitszeit gutzuschreiben sei, wenn diese Arbeitszeit aufgrund des Facharztbesuches nicht mehr erreicht werden könnte. Es solle vermieden werden, dass der Mitarbeiter Arbeitszeit wegen eines notwendigen Facharztbesuches nachholen müsse. Den Regelungen könne nicht entnommen werden, dass der Mitarbeiter unter Einschluss des Facharztbesuches Arbeitszeitguthaben aufbauen könnte. Insoweit seien die Mitarbeiter, für die gleitende Arbeitszeit festgelegt sei, mit Mitarbeitern mit festen Arbeitszeiten gleichgestellt.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 12.09.2018 ist den anwaltlichen Prozessbevollmächtigten des Beteiligten zu 1.) ausweislich deren Empfangsbekenntnisses am 14.12.2018 zugestellt worden. Diese haben namens des Beteiligten zu 1.) mit Schriftsatz vom 14.01.2019, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am selben Tag, Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Sie haben die Beschwerde – nach Verlängerung der Begründungsfrist aufgrund am 13.02.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Antrags bis 14.03.2019 – mit am 12.03.2019 eingegangenem Schriftsatz begründet.
Zur Begründung der Beschwerde trägt der Beteiligte zu 1.) vor, das Arbeitsgericht habe sich über den Wortlaut der Bestimmungen der Gesamtbetriebsvereinbarung hinweggesetzt. Dort sei nur geregelt, dass die durch den notwendigen Facharztbesuch ausfallende Arbeitszeit zu vergüten sei, nicht aber, dass eine Kappung auf die regelmäßige tägliche Arbeitszeit stattzufinden habe. Für eine solche Kappung ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte. Das Arbeitsgericht habe zudem nicht berücksichtigt, dass die Mitarbeiter nach der Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeit ihre tägliche Arbeitszeit selbst festlegen könnten. Es sei Sache der der Gleitzeit unterfallenden Mitarbeiter, zu entscheiden, ob sie ihre Arbeitszeit nach Abschluss des Arztbesuchs fortsetzen wollten oder nicht. Nr. 7.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung gehe den Regelungen der Betriebsvereinbarung über Gleitzeit vor, sehe für Schwerbehinderte und Gleichgestellte besondere Regelungen vor. Falsch sei auch die Annahme des Arbeitsgerichts, vorliegend sei die Arbeitszeit nicht ausgefallen. Hätte der Mitarbeiter den Facharzt nicht besuchen müssen, hätte er die volle Zeit gearbeitet und die Zeit gutgeschrieben bekommen.
Der Beteiligte zu 1.) und Beschwerdeführer stellt im Beschwerdeverfahren daher folgenden Antrag:
1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 12.09.2018, AZ. 5 BV 2/18, wird aufgehoben.
2. Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, es zu unterlassen während der Geltung der Gesamtbetriebsvereinbarung zur Integration Schwerbehinderter und Gleichgestellter vom 12.10.2011 im Falle eines Facharztbesuches eines schwerbehinderten Mitarbeiters oder eines Gleichgestellten dessen Arbeitszeitkonto höchstens die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche tägliche Arbeitszeit gutschreiben, obwohl diese Zeit infolge tatsächlich geleisteter Arbeitszeit und der anzurechnenden Arbeitszeit infolge des Facharztbesuches überschritten wurde.
3. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus Ziffer 2 wird ein Ordnungsgeld bis zu € 10.000,00 angedroht.
Die Beteiligten zu 2.) und 3.) – Beschwerdegegnerinnen – beantragen
Zurückweisung der Beschwerde.
Sie schließen sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Sie führen aus, nach § 10 Abschn. B des Manteltarifvertrags könnten Mitarbeiter, die an Gleitzeit teilnähmen, für Arztbesuche keinen Ausgleich verlangen. Nach Nr. 7.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung könne der Mitarbeiter nur für Arztbesuche Zeitausgleich verlangen, die innerhalb der Arbeitszeit erforderlich seien. Soweit Arztbesuche erforderlich seien, dennoch aber die individuelle Arbeitszeit erreicht sei, könne demgemäß kein Ausgleich verlangt werden. Zweck der Regelung sei eine Gleichstellung mit Beschäftigten mit festen Arbeitszeiten, die einen Ausgleich auch nur dann verlangen könnten, wenn der Arztbesuch innerhalb der festen Arbeitszeit erfolgt sei.
Der Beteiligte zu 1.) meint, die von Arbeitsgericht und den Beteiligten zu 2.) und 3.) vorgenommene Interpretation verstoße schon gegen den maßgeblichen Wortlaut der Gesamtbetriebsvereinbarung. Dieser sei unmissverständlich. Eine Kappung würde dem Sinn der Gesamtbetriebsvereinbarung, Schwerbehinderte und Gleichgestellte besser integrieren zu können, zuwiderlaufen. Mitarbeiter, die zunächst ihre Arbeitszeit erbrächten und danach den Facharzt besuchten, würden benachteiligt gegenüber Mitarbeitern, die unter Einschluss der für den Facharztbesuch nötigen Zeiten nur sieben Stunden erreichten. Eine vertraglich vereinbarte tägliche Arbeitszeit gebe es bei in Gleitzeit Beschäftigten nicht.
Diese könnten außerhalb der Funktionszeiten selbst entscheiden, ob sie mehr oder weniger als sieben Stunden arbeitstäglich einbringen wollten. Die Erreichung der durchschnittlichen Arbeitszeit von sieben Stunden wäre bei einem Gleitzeitrahmen von 07.00 Uhr bis 20.00 Uhr so gut wie immer möglich, so dass die Bestimmungen der Gesamtbetriebsvereinbarung bei anderweitiger Auslegung praktisch leerlaufen würden. Hätte sich der Mitarbeiter keiner fachärztlichen Untersuchung zu unterziehen gehabt, hätte er auch seine Arbeitszeit in dieser Zeit erbracht und ohne den Facharztbesuch berechtigterweise Stunden aufgebaut.
In der Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht hat der Beteiligte zu 1.) auf Hinweis des Gerichts die Auffassung vertreten, er könne einen eigenständigen Anspruch auf Regelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung stützen, weil ihm ein solcher zumindest nach § 23 Abs. 3 BetrVG bei Verstößen gegen die betriebliche Ordnung, auch wenn sich diese aus Gesamtbetriebsvereinbarungen ergäben, eingeräumt sei. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellung des Sachverhalts in den Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, die Niederschrift über die Anhörung vor dem Landesarbeitsgericht sowie die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Aus den Gründen
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingereichte und auch begründete Beschwerde des Beteiligten zu 1.) ist in der Sache nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Beteiligten zu 1.) der begehrte Unterlassungsanspruch nicht zusteht. Die Beschwerdekammer folgt den sorgfältigen Gründen der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG entsprechend). Folgendes ist hinzuzufügen:
1. Der Antrag bedarf der Auslegung. Der Beteiligte zu 1.) begehrt die Unterlassung, „höchstens die arbeitsvertraglich vereinbarte durchschnittliche tägliche Arbeitszeit gutzuschreiben“. Die Beteiligten zu 2.) und 3.) sollen veranlasst werden, weitere Stunden – nämlich auch solche Zeiten für den Facharztbesuch, mit denen unter Einschluss derjenigen Zeiten, in denen der Mitarbeiter an diesem Tag Arbeitsleistungen erbringt, die tägliche Durchschnittsarbeitszeit überschritten wird – gutzuschreiben. Er begehrt also eine Handlungsverpflichtung der Arbeitgeber, nicht aber eine Unterlassung. Dies lässt sich aus dem Antrag unschwer entnehmen. Mit diesem Inhalt ist der Antrag bestimmt und zulässig.
2. Dem Beteiligten zu 1.) fehlt jedoch die Antragsbefugnis für diesen Antrag.
a. Die Antragsbefugnis folgt nicht aus § 77 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat verlangen, dass der Arbeitgeber eine mit ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarung durchführt. Die Vorschrift soll die Vertragspartner einer Betriebsvereinbarung ermächtigen, die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen durchzusetzen. Vorliegend ergibt sich der Anspruch, wovon auch der Beteiligte zu 1.) ausgeht, allenfalls aus Nr. 7.3 der Gesamtbetriebsvereinbarung. Diese Gesamtbetriebsvereinbarung ist vom Gesamtbetriebsrat in eigener Kompetenz abgeschlossen (§ 50 Abs. 1 BetrVG). Auf Befragen durch die Beschwerdekammer hat der Vertreter des Beteiligten zu 1.) ausdrücklich bestätigt, dass es sich nicht um eine in Auftragszuständigkeit nach § 50 Abs. 2 BetrVG abgeschlossene Gesamtbetriebsvereinbarung handelt. Die Durchführung einer solchen, nicht von ihm und auch nicht in seinem Auftrag abgeschlossenen Betriebsvereinbarung kann der Beteiligte zu 1.) nicht nach § 77 Abs. 1 BetrVG verlangen (so ausdrücklich auch BAG vom 18.05.2010, 1 ABR 6/09, zitiert nach juris; Fitting, BetrVG, 29. Aufl. 2018, § 77 Rn. 7 m.w.N.).
b. Entgegen der wohl vom Arbeitsgericht vertretenen Ansicht ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nicht aus der Standortbetriebsvereinbarung zur Arbeitszeit. Diese Betriebsvereinbarung sieht keine Regelung des vorliegenden Sachverhalts vor. Sie geht vielmehr entsprechend den tariflichen Bestimmungen davon aus, dass auch bei Gleitzeit lediglich die geleistete Arbeit zu vergüten bzw. im Arbeitszeitkonto gutzuschreiben ist. Aus Nr. 2.5.3 ergibt sich, dass die ausgestempelte Zeit der Unterbrechung der Arbeitszeit auf die in Gesetz und Betriebsvereinbarung vorgesehenen Pausenzeiten angerechnet wird. Die Regelung setzt voraus, dass Zeiten, in denen ausgestempelt ist, gerade nicht zu vergüten sind. Aus dieser Betriebsvereinbarung lässt sich eine Vergütungspflicht für Zeiten notwendiger Facharztbesuche Schwerbehinderter in keiner Weise entnehmen. Ein solcher Anspruch kann sich allein aus der Gesamtbetriebsvereinbarung ergeben. Eine Verletzung dieser Betriebsvereinbarung als solche – ohne Rücksicht auf die Sonderregelungen der Gesamtbetriebsvereinbarung – ist nicht gegeben. Damit kann die Betriebsvereinbarung über die Arbeitszeit auch keinen Anspruch aus § 77 Abs. 1 BetrVG rechtfertigen.
c. Zwar kann sich eine solche Antragsbefugnis für den Betriebsrat, wie der Beteiligte zu 1.) zutreffend vorträgt, aus § 23 Abs. 3 BetrVG ergeben. Hierfür müsste jedoch ein Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung geltend gemacht werden. Schon nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 BetrVG erfasst diese Bestimmung Verstöße „nach diesem Gesetz“, nicht aber jeden Verstoß gegen anderweitige – nicht im Gesetz verankerte – Regelungen. Nur dann, wenn Verstöße vorliegen, die nicht nur irgendeine Regelung, sondern zugleich die durch das Gesetz normierte betriebsverfassungsrechtliche Ordnung betreffen, ist die Antragsbefugnis des Betriebsrats gegeben (so ausdrücklich auch BAG vom 18.05.2010, a.a.O., Rn. 20). Die Rechtsprechung, dass es der Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung als solches bedarf, dass nicht jeder Verstoß in einer an sich zulässigen Regelung gegen andere Abmachungen die Antragsbefugnis nach § 23 Abs. 3 BetrVG rechtfertigt (vgl. BAG vom 20.08.1991, 1 ABR 85/90; BAG vom 22.06.1993, 1 ABR 62/92, jeweils zitiert nach juris, allerdings für Rechte der Gewerkschaft aus § 23 Abs. 3 BetrVG), hat das Bundesarbeitsgericht nicht aufgegeben, vielmehr offengelassen (BAG vom 13.03.2001, 1 AZB 19/00; BAG vom 07.06.2017, 1 ABR 32/15, jeweils zitiert nach juris). Diese betriebsverfassungsrechtliche Ordnung wäre etwa dann betroffen, wenn der Arbeitgeber Regelungen einer mit dem Gesamtbetriebsrat getroffenen Vereinbarung durchführen würde, obwohl die Zuständigkeit des antragstellenden Einzelbetriebsrats hierfür gegeben wäre. Dann wäre die Kompetenzzuordnung aus dem Betriebsverfassungsgesetz verletzt. Diese Ordnung ist aber dann nicht betroffen, wenn es um die Auslegung einzelner Regelungen aus einer Gesamtbetriebsvereinbarung geht im Rahmen einer Regelungsmaterie, für die auch der Gesamtbetriebsrat zuständig ist. In einem solchen Fall sind eigene Rechte des Einzelbetriebsrats in keiner Weise verletzt und auch die sich aus den gesetzlichen Bestimmungen ergebende Ordnung nicht betroffen. Wäre dies anders zu verstehen, wäre die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.05.2010 (a.a.O.) auch nicht verständlich. Dann wäre im dortigen Fall, in dem der Betriebsrat Ansprüche aus einer Konzernbetriebsvereinbarung abgeleitet hatte, im Hinblick auf § 23 Abs. 3 BetrVG zu prüfen gewesen, ob die Ansprüche bestehen. Das BAG hat dies nicht getan, hat im Übrigen auch nicht geprüft, ob ein grober Verstoß gegeben war. Dies zeigt deutlich, dass das Bundesarbeitsgericht nach wie vor davon ausgeht, dass über den möglichen Verstoß einzelner Regelungen der Konzernbetriebsvereinbarung hinaus auch die Verletzung eigener Rechte des Betriebsrats, die sich auch bei einem Verstoß gegen die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung ergeben können, erforderlich ist. Hieran fehlt es wie dargestellt.
d. Nach alldem fehlt dem Beteiligten zu 1.) die Antragsbefugnis für das geltend gemachte Begehren. Der Antrag ist schon aus diesem Grund abzuweisen.
3. Unabhängig hiervon wäre ein auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützter Antrag des Beteiligten zu 1.) nicht begründet. Voraussetzung hierfür wäre, dass es sich bei der Handhabung der Beteiligten zu 2.) und 3.) um einen „groben Verstoß“ handeln würde. Ein solcher Verstoß wäre nur gegeben, wenn der Arbeitgeber mehrfach und offenkundig gegen seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten verstoßen würde, wenn die Pflichtverletzungen objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend wären. Kein grober Verstoß ist gegeben, wenn der Arbeitgeber in einer schwierigen und ungeklärten Rechtslage eine vertretbare Rechtsansicht vertritt (allgemeine Meinung, vgl. etwa Fitting, a.a.O., § 23 Rn. 59 ff. mit weiteren Nachweisen). Vorliegend hat das Arbeitsgericht die von den Beteiligten zu 2.) und 3.) vertretene Rechtsauffassung als zutreffend angesehen. Diese Rechtsansicht ist zumindest vertretbar. Es fehlt daher an einem solchen groben Verstoß.
4. Unabhängig hiervon hält die Beschwerdekammer die vom Arbeitsgericht geteilte Rechtsauffassung der Beteiligten zu 2.) und 3.) für zutreffend. Folgende Überlegungen machen dies deutlich. Besucht ein Mitarbeiter nach Ableistung seiner siebenstündigen täglichen Arbeitszeit den Facharzt, kann vom Ausfall „innerhalb der Arbeitszeit“ in keinem Fall gesprochen werden. Ob der Mitarbeiter vorhatte, ausgerechnet an diesem Tag eigentlich länger zu bleiben, ist hierbei unerheblich. Auch dann, wenn der Mitarbeiter wegen des Arztbesuchs an diesem Tag überhaupt keine Arbeitsleistung erbringen kann, werden ihm nur sieben Stunden gutgeschrieben. Dasselbe gilt, wenn er den Facharzt nach einer kürzeren, nicht sieben Stunden betragenden Arbeitsleistung besucht und nur unter Einschluss dieser Zeiten seine regelmäßige tägliche Arbeitszeit überschreitet. Auch dann kann nicht von einem Besuch „innerhalb der Arbeitszeit“ gesprochen werden, weil die nicht dokumentierte innere Absicht, nach dem Facharztbesuch weiterzuarbeiten, ebenfalls nicht relevant ist. Nicht anders verhält es sich, wenn der Mitarbeiter seine Arbeit unterbricht, um den notwendigen Facharztbesuch vorzunehmen, anschließend aber weiterarbeitet. Wäre die Ansicht des Betriebsrats zutreffend, würde eine einzige Minute der Weiterarbeit genügen, um den Facharztbesuch in vollem Umfang vergütungspflichtig zu machen, auch wenn damit die regelmäßige tägliche Arbeitszeit überschritten würde. Für einen solchen Willen der Partner der Gesamtbetriebsvereinbarung gibt es keine Anhaltspunkte. Es ist vielmehr die eigene Entscheidung des Arbeitnehmers, ob er nach der Unterbrechung seiner Arbeit durch den Facharztbesuch weitere Arbeitsleistungen erbringen will oder nicht. Erbringt er weitere Arbeitsleistung über die – auch in den obigen Beispielsfällen – garantierten sieben Stunden hinaus, dann ist davon auszugehen, dass der Besuch des Facharztes nicht oder nicht vollständig „innerhalb der Arbeitszeit“ geschieht. Anders könnte es nur bei denjenigen Zeiten sein, an denen für den Arbeitnehmer im Hinblick auf Kern- oder Funktionszeit Arbeitspflicht bestanden hätte und wenn ein Facharztbesuch in diesem Zeitraum erforderlich wäre. Das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalles hat jedoch auch der Beteiligte zu 1.) nicht behauptet, seine Anträge diesbezüglich auch nicht eingeschränkt.
5. Nach alldem bestehen die geltend gemachten Ansprüche des Betriebsrats nicht. Die Anträge sind abzuweisen, die Beschwerde zurückzuweisen.
6. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.