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Arbeitsrecht
16.08.2018
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Kein Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung ohne entsprechende Geltendmachung

LAG Nürnberg, Urteil vom Datum 18.4.2018 – 2 Sa 408/17

Volltext des Urteils://BB-ONLINE BBL2018-1977-1

unter www.betriebs-berater.de

Orientierungssätze

Der Anspruch auf behinderungsgerechte bzw. leidensgerechte Beschäftigung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer eine solche Beschäftigung unter Angabe der behinderungsbedingten bzw. krankheitsbedingten Beeinträchtigungen geltend macht. Dies ist nicht der Fall, solange der Arbeitnehmer solche Beeinträchtigungen bestreitet und (vermeintliche) behinderungs- bzw. leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten lediglich deshalb nennt, um die soziale Rechtfertigung einer (Änderungs-)Kündigung zu entkräften. Der Arbeitgeber macht sich daher nicht schadensersatzpflichtig, wenn er in einem solchen Fall dem Arbeitnehmer keinen der von ihm genannten Arbeitsplätze zuweist oder eine entsprechende Vertragsänderung anbietet.

BGB §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 297, 611, 615; GewO, § 106; SGB IX §§ 2, 68, 69, 81, 84

Sachverhalt

Die Parteien streiten im bestehenden Arbeitsverhältnis um Annahmeverzugslohn für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2016 in Höhe von insgesamt 213.482,12 € in ursprünglich fünf Verfahren.

Das Landesarbeitsgericht hat die Verfahren 2 Sa 409/17 – 412/17 nach Anhörung der Parteien zum vorliegenden Verfahren mit Beschluss vom 08.02.2018 hinzuverbunden. Bereits erstinstanzlich war das Verfahren über die Änderungskündigung vom 30.03.2006 beigezogen worden (Arbeitsgericht Weiden – Kammer Schwandorf – Az. 5 Ca 468/06 bzw. LAG Nürnberg - 7 (2) Sa 229/07 bzw. BAG 2 AZR 68/16 [BB 2017, 692 Ls]; künftig „beigezogene Akte“).

Der 1961 geborene und ledige Kläger ist seit 03.03.1997 bei der Beklagten als Elektrotechniker beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag vom gleichen Tag umschließt das Aufgabengebiet u.a. die Softwareerstellung, Projektbetreuung und -abwicklung, Inbetriebsetzung und Kundenschulung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Arbeitsvertrags wird auf Blatt 22 ff der Akten verwiesen.

Der Kläger schloss 1980 bzw. 1982 Ausbildungen zum Elektrogerätemechaniker und zum Energiegeräteelektroniker ab. Anschließend diente er mehrere Jahre als Soldat und wurde dort zum Flugsicherungsradarmechanikermeister ausgebildet. 1992 schloss er die Ausbildung zum staatlich geprüften Elektrotechniker ab.

Die Beklagte richtet im Geschäftsbereich Automation Robotik für ihre industriellen Kunden unter anderem die Sicherheitstechnik ein. Dort war der Kläger seit Beginn des Arbeitsverhältnisses als sog. SPS-Programmierer beschäftigt. Die Programmierung sorgt dafür, dass Personen- und Sachschäden vermieden werden, etwa durch Notabschaltungen der Roboter in bestimmten Situationen.

Am 23.11.2001 erlitt der Kläger bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall (Wegeunfall) ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Am 15.04.2002 nahm der Kläger im Rahmen einer Wiedereingliederung seine Tätigkeit wieder auf, ab 17.06.2002 vollschichtig. In der Folge stellte sich jedoch heraus, dass der Kläger in quantitativer Hinsicht erheblich leistungsgemindert war und in qualitativer Hinsicht untypische und in der Vergangenheit vor dem Unfall nicht aufgetretene Programmierfehler machte. So löschte der Kläger im Herbst/Winter 2003/2004 bei der Sicherheitssoftware für eine Lackieranlage eines großen süddeutschen Automobilproduzenten die Funktionalität des „Not-Aus“ aus der Software.

Die Beklagte stellte den Kläger daher ab Mai 2004 unter Fortzahlung der Vergütung von der Arbeitsleistung frei.

Mit Schreiben vom 02.09.2004 teilte der Betriebsarzt der Beklagten mit, dass mehrere Gutachter einmütig eine Wesensveränderung wie auch eine Leistungseinschränkung bejahen. Im Nachgang dazu teilte der Betriebsarzt mit weiterem Schreiben vom 09.09.2004 mit, dass im Rahmen einer Testaufgabe der Kläger für die gestellte Aufgabe knapp 140 Stunden für eine Station benötigte, ein unerfahrener Kollege dagegen nur 68 Stunden für 5 Stationen.

Nach dem Bescheid der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik (BGFE) vom 07.03.2006   wurde als Unfallfolge unter anderem eine leichte bis mittelgradige Hirnleistungsstörung nach frontaler Hirnschädigung als Folge des Unfalls anerkannt. Für die Zeit vom 17.06.2002 bis 31.10.2004 wurde eine MdE von 40 % und ab dem 01.11.2004 eine MdE von 30 % anerkannt.

Ferner war ab 01.11.2004 ein GdB von 30 nach § 69 Abs. 2 SGB IX (seit 01.01.2018 § 152 SGB IX) gegeben. Die am 10.04.2006 beantragte Gleichstellung nach § 68 Abs. 2 SGB IX (seit 01.01.2018 § 151 SGB IX) wurde abschlägig beschieden. Über die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht Regensburg bisher nicht entschieden.

Am 23.09.2004 sprach die Beklagte eine Beendigungskündigung zum 31.12.2004 aus. In dem darum geführten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Weiden - Außenkammer Schwandorf - machte der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22.03.2005 geltend:

„Aufgrund seiner Ausbildung wäre der Kläger daher jederzeit in der Lage, auch im Anlagenbau bzw. in der Anlagenfertigung bei der Beklagten beschäftigt zu werden. Diese Umstände müssten der Personalabteilung der Beklagten durchweg bekannt sein, da dieser auch diese Ausbildungszeugnisse bzw. -bescheinigungen vorliegen.“

Im Berufungsverfahren vor dem LAG Nürnberg machte der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 08.09.2005 geltend:

„Die Beklagte übersieht hier völlig, dass der Kläger eine Ausbildung zum Elektrogerätemechaniker sowie Energiegeräteelektroniker besitzt. In einer Weiterbildung wurde er zum Elektrotechniker ausgebildet. (…) Zumindest hätte eine Versetzungsmöglichkeit in diese Arbeitsbereiche, die die Beklagte auch unterhält, geprüft werden müssen. Dies ist jedoch nicht geschehen.“

Der Kündigungsschutzklage wurde mit Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 11.04.2005 stattgegeben. Ein Weiterbeschäftigungstitel ist im Teilurteil nicht enthalten. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde mit Urteil des LAG Nürnberg vom 08.02.2006 rechtskräftig zurückgewiesen.

Am 19.07.2005 sprach die Beklagte eine Änderungskündigung zum 31.12.2005 aus. In dem darum geführten Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht Weiden - Außenkammer Schwandorf - machte der Kläger mit Klageschrift seines Prozessbevollmächtigten vom 01.08.2005 geltend:

„Der Kläger ist jedenfalls in der Lage, die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen“ … „Keinesfalls können dem Kläger in Anbetracht seiner Ausbildung und seiner Leistungsfähigkeit Lagerarbeiten zugewiesen werden. Sofern überhaupt eine Umsetzung des Klägers gerechtfertigt sein sollte, sind die unterschiedlichen Versetzungsmöglichkeiten unter Beachtung der Vorschrift des § 84 SGB IX zu prüfen. Der Kläger könnte beispielsweise ggf. in der Dokumentation weiterarbeiten. Es wird bestritten, dass die Beklagte weitere Umsetzungsmöglichkeiten geprüft hat. Die Beklagte missachtet den Grundsatz, dass der Arbeitgeber alle Anstrengungen zu unternehmen hat, um den Arbeitnehmer möglichst dauerhaft weiter zu beschäftigen.“

Auch dieser Änderungsschutzklage wurde mit Teilurteil des Arbeitsgerichts vom 27.03.2006 stattgegeben. Es wurde nach Rücknahme der Berufung der Beklagten rechtskräftig.

Ab 08.08.2005 wurde der Kläger im Rahmen eines Prozessbeschäftigungsverhältnisses vorübergehend mit Übersetzungs- und Dokumentationsaufgaben betraut. Im Dezember 2005 führte die Beklagte mit dem Kläger einen Arbeitsversuch durch mit der von ihm arbeitsvertraglich geschuldeten Programmiertätigkeit. Auch hier machte er mehrere sicherheitsrelevante Fehler.

Ab dem 01.01.2006 wurde der Kläger im Geschäftsbereich Automation Robotik als Lagerhelfer beschäftigt. Ab August 2006 wurde der Kläger weiter im Geschäftsbereich Automation Robotik als Helfer bei der Kalt-Brünier-Anlage in der Lackiererei beschäftigt. Ab Juli 2010 wurde der Kläger schließlich weiterhin im Bereich Automation Robotik in der CNC-Fräserei beschäftigt zum Umspannen von Serienteilen. Für diese Tätigkeiten ab 01.01.2006 erhielt der Kläger nicht mehr das arbeitsvertraglich vereinbarte Entgelt, sondern ein wegen der Helfertätigkeit deutlich niedrigeres Entgelt.

Unter dem 16.03.2006 erklärte die Beklagte eine weitere Änderungskündigung zum 30.06.2006. Auch insoweit war eine hiergegen gerichtete Kündigungsschutzklage erfolgreich.

Unter dem 30.03.2006 erklärte die Beklagte die bisher letzte Änderungskündigung zum 30.06.2006. Diese Änderungskündigung sollte zu einer Neubestimmung der vertraglichen Aufgaben des Klägers führen entsprechend der tatsächlichen Beschäftigung als Helfer und damit einhergehend zu einer erheblichen Reduzierung seiner Vergütung auf 8,50 € brutto in der Stunde. Der Kläger nahm das Änderungsangebot unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und erhob Kündigungsschutzklage. Die Akten dieses Verfahrens sind die beigezogenen Akten.

In der Klageschrift vom 03.04.2006 hielt der Kläger daran fest, dass er die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung als SPS-Programmierer weiterhin ausüben könne und wiederholte sein Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 01.08.2005 im Vorverfahren. In dem weiteren Schriftsatz vom 14.07.2006 machte er geltend, er könne im Anlagenbau bzw. in der Anlagenfertigung beschäftigt werden. Nach Zeugeneinvernahme wies das Arbeitsgericht die Änderungsschutzklage mit Urteil vom 18.12.2006 ab.

Hiergegen legte der Kläger Berufung ein. In der Berufungsbegründung vom 05.06.2007 wies der Kläger darauf hin, dass er ab dem 08.08.2005 einer Prozessbeschäftigung nachgegangen sei mit Übersetzungs- und Dokumentationsarbeiten und im Anlagenbau bzw. der Anlagenfertigung arbeiten könne. Die Beklagte machte dazu geltend, dass es sich bei den Dokumentations- und Übersetzungsarbeiten nur um eine Prozessbeschäftigung gehandelt habe und ein Arbeitsplatz nicht dauerhaft zur Verfügung stünde. Die Dokumentationsarbeiten führten die Mitarbeiter in der Regel selbst durch. Dazu machte der Kläger mit Schriftsatz im Berufungsverfahren vom 23.08.2007 geltend, dass eine externe Vergabe dieser Aufgaben erfolgt sei, es der Beklagten aber zuzumuten sei, diese Arbeiten nicht mehr fremd zu vergeben, sondern im eigenen Haus zu erledigen und hierfür den Kläger einzusetzen. Im Übrigen verwies der Kläger im beigezogenen Verfahren wiederholt auf verschiedene Arbeitsbereiche bei der Beklagten und vielfältige Stellenanzeigen der Beklagten. Er machte unter Berufung auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz geltend, er könne in diesen Arbeitsbereichen und auf diesen ausgeschriebenen Stellen arbeiten.

Im Berufungsverfahren wurden mehrere ärztliche Gutachten eingeholt zur Frage der Befähigung des Klägers, nach dem Unfall noch als SPS-Programmierer bei der Beklagten tätig sein zu können. Die ersten drei Gutachter sahen sich nicht in der Lage, dies abschließend zu beurteilen. Wegen der Einzelheiten dieser Gutachten wird auf Blatt 296 ff, 326 ff und 340 ff der beigezogenen Akte verwiesen.

Auf Grund der Ausführungen des zuletzt eingeschalteten Sachverständigen, Prof. Dr. med. Dr. Dipl.-Ing. W… in seinem Gutachten vom 08.08.2013 und seiner Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vom 02.04.2015 kam das Landesarbeitsgericht zu dem Ergebnis, dass beim Kläger auf Grund des Unfalls eine irreversible hirnorganische Verletzung verblieben sei, die dazu führe, dass er die an sich geschuldeten Programmierarbeiten nicht (mehr) durchführen könne. Es seien zwei kognitive Funktionen des Gehirns beeinträchtigt, nämlich temporal das Gedächtnis und die exekutiven Funktionen, wozu beispielsweise Planung, Kontaktfähigkeit und Problemlösung gehörten. In den Bereichen Gedächtnisleistung und Lernfähigkeit weise der Kläger deutliche Defizite auf. Die vom Sachverständigen festgestellte Leistungsminderung führe dazu, dass die erbrachten Leistungen nicht übernommen werden könnten, sondern von Dritten kontrolliert und revidiert werden müssten. Auf Grund der bleibenden Verletzungen könne er auch im Anlagenbau bzw. der Anlagenfertigung nicht als Anlagenelektroniker eingesetzt werden, da auch dort selbständige Programmierarbeiten gefordert seien. Auch selbstständiges Installieren und Verdrahten von Komponenten und Geräten sei eine für den Kläger wegen der benötigten Gedächtnisleistung zu komplexe Tätigkeit. Mit Dokumentationsarbeiten habe der Kläger nicht betraut werden müssen, da insoweit ein Arbeitsplatz nicht von der Beklagten vorgehalten werde.

Das Landesarbeitsgericht wies daher die Berufung des Klägers mit Urteil vom 16.06.2015 zurück. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 646 ff der beigezogenen Akte verwiesen.

Dagegen wandte sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde vom 26.10.2015 und begründete diese mit Schriftsatz vom 25.11.2015 im Wesentlichen damit, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements nach § 84 Abs. 2 SGB IX verkannt hätte.

Mit Beschluss vom 19.01.2016 ließ das Bundesarbeitsgericht die Revision zu.

Mit Urteil vom 26.01.2017 (Az. 2 AZR 68/16 [BB 2017, 692 Ls]) hob das Bundesarbeitsgericht das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und gab der Änderungskündigungsschutzklage statt, da die dem Kläger angebotene Änderung des Arbeitsvertrags mehrere Auslegungsmöglichkeiten zuließen und das Angebot daher zu unbestimmt sei. Eine Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht erfolgte nicht.

Der Kläger hat im Verlauf des langjährigen Kündigungsschutzverfahrens in verschiedenen beim Arbeitsgericht Weiden - Außenkammer Schwandorf - anhängigen Verfahren zur Wahrung der in Ziffer 8 des Arbeitsvertrages vereinbarten Ausschlussfristen den Differenzlohn zwischen der nach dem ursprünglich geschlossenen Vertrag geschuldeten Vergütung und der tatsächlich infolge der Änderungskündigung gezahlten Vergütung geltend gemacht.

In dem Verfahren 3 Ca 169/17 (= 2 Sa 412/17) macht der Kläger für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.05.2007 Differenzlohn geltend in Höhe von brutto 21.891,16 €. Die Klage wurde am 07.08.2008 zugestellt.

In dem Verfahren 3 Ca 166/17 (= 2 Sa 409/17) macht der Kläger für die Zeit vom 01.06.2007 bis 31.12.2008 Differenzlohn geltend in Höhe von brutto 28.004,14 €. Die Klage wurde am 22.11.2010 zugestellt.

In dem Verfahren 1 Ca 167/17 (= 2 Sa 410/17) macht der Kläger für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2010 Differenzlohn geltend in Höhe von 45.360,77 € brutto. Die Klage wurde am 20.12.2012 zugestellt.

In dem Verfahren 1 Ca 168/17 (= 2 Sa 411/17) macht der Kläger für die Zeit vom 01.01.2011 bis 31.12.2012 Differenzlohn geltend in Höhe von 37.078,89 € brutto. Die Klage wurde am 01.12.2014 zugestellt.

In dem Verfahren 3 Ca 1437/16 (= 2 Sa 408/17 [BB 2018, 1779 Ls]) macht der Kläger für die Zeit vom 01.01.2013 bis 31.12.2016 Differenzlohn geltend in Höhe von 81.147,16 € brutto. Die Klage wurde am 15.12.2016 zugestellt.

Diese Verfahren waren z.T. jahrelang nicht betrieben worden, um den Ausgang der verschiedenen Kündigungsschutzverfahren abzuwarten, und wurden erst nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Januar 2017 wieder fortgeführt.

Die klägerischen Schriftsätze vom 23.06.2017 enthalten u.a. folgende Ausführungen:

„Im Übrigen ist ausdrücklich zu bestreiten und zurückzuweisen, dass der Kläger tatsächlich nicht mehr in der Lage wäre, die Tätigkeit als Elektrotechniker im Umgang wie vor dem Wegeunfall aus dem Jahre 2001 zu erbringen. … Vorsorglich ist jedoch weiterhin aufrecht zu erhalten, dass der Kläger durchweg in der Lage ist, die im Arbeitsvertrag festgelegte Arbeitstätigkeit zu erbringen.“

Der Kläger erhält wegen der Unfallfolgen von der Berufsgenossenschaft mit Wirkung vom 17.06.2002 Verletztenrente wegen unfallbedingter Minderung der Erwerbsfähigkeit. Die Rente betrug ab 01.11.2004 593,78 € und erhöhte sich sukzessive auf 699,16 € ab 01.07.2016 bzw. 712,44 ab 01.07.2017. Wegen der Einzelheiten wird auf Blatt 209 der Akte verwiesen.

Die Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers erkennt die Haftung dem Grunde nach an, bestreitet aber derzeit einen Erwerbsausfallschaden.

Wegen des erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien sowie der Antragstellung wird auf die Tatbestände in den Urteilen des Arbeitsgerichts verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klagen mit Urteilen vom 15.09.2017 abgewiesen. Die Beklagte habe sich nicht in Annahmeverzug befunden, da der Kläger leistungsunfähig im Sinne von § 297 BGB bezogen auf die ihm zugewiesene Tätigkeit als SPS-Programmierer sei. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung der Pflicht zur Zuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes sei zu verneinen, da der Kläger anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten lediglich im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in den Kündigungsschutzverfahren geltend gemacht habe. Dies sei keine ausreichend konkrete Geltendmachung einer leidensgerechten Beschäftigung. Die Initiativlast habe jedoch beim Kläger gelegen, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, ein Präventionsverfahren nach § 85 Abs. 1 SGB IX oder ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 85 Abs. 2 SGB IX durchzuführen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die jeweiligen Gründe in den Urteilen des Arbeitsgerichts verwiesen.

Gegen die dem Klägervertreter am 18.10.2017 (2 Sa 408/17 [BB 2018, 1779 Ls], 2 Sa 409/17 und 2 Sa 412/17), am 02.11.2017 (2 Sa 410/17) und am 30.10.2017 (2 Sa 411/17) zugestellten Urteile legte dieser mit Schriftsätzen vom 20.11.2017, eingegangen beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tage, Berufung ein und begründete sie mit Schriftsätzen vom 29.12.2017, eingegangen am selben Tage, innerhalb der bis 02.01.2018 verlängerten Berufungsbegründungsfristen.

Der Kläger hält an seiner Ansicht fest, dass die Beklagte die eingeklagten Beträge aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges schulde, hilfsweise jedoch als Schadensersatz. Aus dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Vorprozess ergebe sich, dass allenfalls davon ausgegangen werden könne, dass der Kläger die geschuldeten Programmierarbeiten nicht mehr erledigen könne. Da dies aber nur einen Teilaspekt der arbeitsvertraglichen Leistungspflichten darstelle, sei für die Annahme einer generellen Leistungsunfähigkeit kein Raum. Ein Elektrotechniker könne in vielerlei Bereichen eingesetzt werden, auch wenn er nicht programmieren könne. Die konkret zuletzt zugewiesene Tätigkeit wäre nur dann der alleinige Bezugspunkt für die Frage der Arbeitsunfähigkeit, wenn hierdurch eine vertragsändernde Konkretisierung auf diese Position stattgefunden hätte. Dies sei durch die langjährige Zuweisung der Programmiertätigkeit mangels anderweitiger Umstände nicht geschehen. Wenn dem Kläger – wovon die Beklagte ausgehe – nur ein Teilbereich der geschuldeten Tätigkeit nicht mehr möglich sei, müsse sie, um Annahmeverzug zu vermeiden – dem Kläger eine andere Arbeit innerhalb des vertraglich vereinbarten Spektrums zuweisen.

Wäre Bezugspunkt für die Leistungsfähigkeit nur die zuletzt konkret zugewiesene Tätigkeit und würde damit die Unfähigkeit zu Programmiertätigkeiten zur Leistungsunfähigkeit führen, bestünde ein Schadensersatzanspruch wegen Nichtzuweisung eines adäquaten (leidensgerechten) Arbeitsplatzes. Durch die Klageerhebungen gegen die Kündigungen habe der Kläger deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er die Versetzung ins Lager nicht akzeptiere. Er habe daher davon ausgehen müssen, dass die Beklagte sich ernsthaft und endgültig weigerte, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen habe der Kläger immer wieder in den Kündigungsschutzverfahren seinen Anspruch auf Zuweisung einer vertragsgemäßen und ggf. leidensgerechten Tätigkeit geltend gemacht, insbesondere mit Dokumentationsaufgaben bzw. im Anlagenbau.

Der Kläger stellt daher im Berufungsverfahren folgende Anträge:

1. Die Urteile des Arbeitsgerichts Weiden – Kammer Schwandorf – vom 15.09.2017, Az. 3 Ca 1437/16, 3 Ca 166/17, 1 Ca 167/17, 1 Ca 168/17 und 3 Ca 169/17 werden abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 21.891,16 brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 28.004,14 brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 45.360,77 brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 37.078,89 brutto nebst Zinsen aus dem sich ergebenden Nettobetrag in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 81.147,16 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 1.392,32 € seit 16.2.2013, aus 1.641,08 € seit 16.3.2013, aus 1.558,09 € seit 16.4.2013, aus 1475,21 € seit 16.5.2013, aus 1.392,32 € seit 16.6.2013, aus 1.558,19 € seit 16.7.2013, aus 1.440,09 € seit 16.8.2013, aus 1.525,87 € seit 16.9.2013, aus 1.611,44 € seit 16.10.2013, aus 1.440,08 € seit 16.11.2013, aus 1.611,44 € seit 16.12.2013, aus 1.525,76 € seit 16.1.2014, aus 1.440,07 € seit 16.2.2014, aus 1.697,22 € seit 16.3.2014, aus 1.611,43 € seit 16.4.2014, aus 1.525,75 € seit 16.5.2014, aus 1.549,76€ seit 16.6.2014, aus 1.637,76 € seit 16.7.2014, aus 1.461,76 € seit 16.8.2014, aus 1.637,76 € seit 16.9.2014, aus 1.549,76 € seit 16.10.2014, aus 1.461,76 € seit 16.11.2014, aus 1.725,76 € seit 16.12.2014, aus 1.461,76 € seit 16.1.2015, aus 1.549,76 € seit 16.2.2015, aus 1.725,76 € seit 16.3.2015,

aus 1.749,76 € seit 16.4.2015, aus 1.719,30 € seit 16.5.2015, aus 1.694,10 € seit 16.6.2015, aus 1.603,15 € seit 16.7.2015, aus 1.512,19 € seit 16.8.2015, aus 1.694,11 € seit 16.9.2015, aus 1.603,16 € seit 16.10.2015, aus 1.603,15 € seit 16.11.2015, aus 1.694,11 € seit 16.12.2015, aus 1.512,07 € seit 16.1.2016, aus 1.694,11€ seit 16.2.2016, aus 1.694,10 € seit 16.3.2016, aus 1.512,19 € seit 16.4.2016, aus 1.694,11 € seit 16.5.2016, aus 1.603,16 € seit 16.6.2016, aus 1.603,15 € seit 16.7.2016, aus 1.741,38 € seit 16.8.2016, aus 1.554,23 € seit 16.9.2016, aus 1.647,75 € seit 16.10.2016, aus 1.705,19 € seit 16.11.2016, aus 1.705,19 € seit 16.12.2016 aus 1.705,19 € seit 16.1.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufungen zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Ersturteile. Insbesondere habe das Arbeitsgericht unter Berufung auf das Gutachten von Prof. Dr. Dr. W… ebenso wie das Landesarbeitsgericht im Vorprozess zu Recht festgestellt, dass der Kläger die ursprünglich geschuldete Programmiertätigkeit nicht mehr durchführen könne. Wegen der im Gutachten festgestellten Defizite könne der Kläger auch nicht im Bereich der Verdrahtung der Schaltschränke eingesetzt werden. Im vorliegenden Fall gehe es um erhebliche Einschränkungen des Klägers im Kernbereich seiner schriftlich im Arbeitsvertrag fixierten und tatsächlich ausgeübten Tätigkeit. Entscheidend sei die konkret zugewiesene Tätigkeit als SPS-Programmierer. Damit entfalle die Leistungsfähigkeit iSv § 297 BGB.

Auf Grund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers könne er auch nicht im Anlagenbau bzw. der Anlagenfertigung beschäftigt werden. Nach dem Anforderungsprofil für Anlagenelektroniker seien auch dort selbstständige Programmierarbeiten von Automatisierungssystemen zu erbringen. Dazu komme, dass auch selbstständiges Installieren und Verdrahten von Komponenten und Geräten zu verrichten sei. Hierbei seien – wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2018 ausführte - jeweils hunderte von Verdrahtungen vorzunehmen. Keine Verdrahtung sei wie die andere, da die kompletten Schaltelemente jeweils Einzelstücke für die jeweiligen Bedürfnisse des Kunden seien. Diese Arbeiten – auch die Programmierarbeiten - würden regelmäßig unter Zeitdruck stattfinden, häufig in kurzen Produktionspausen beim Kunden. Nach dem Gutachten von Prof. W… würden sich die Leistungsdefizite des Klägers unter Zeitdruck aber noch verstärken.

Ein konkretes Umsetzungsverlangen des Klägers liege nicht vor. Er sei nach wie vor der Auffassung, seine bisherige Tätigkeit als SPS-Programmierer durchführen zu können und akzeptiere die Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit nicht. Der Vortrag des Klägers in den Kündigungsschutzverfahren habe erkennbar kein konkretes Angebot auf Annahme eines leidensgerechten Arbeitsplatzes enthalten. Im streitgegenständlichen Zeitraum habe es keine freien Arbeitsplätze gegeben, die sich ausschließlich mit dokumentarischen Tätigkeiten hätten abdecken lassen.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 18.04.2018 erklärten sich die Parteien mit der Verwertung der im beigezogenen Verfahren erstellten Gutachten und den darin enthaltenen Zeugenaussagen einverstanden stellten unstreitig, dass der Kläger aufgrund der Folgen des Unfalls nicht in der Lage war und ist, die Tätigkeiten eines SPS-Programmierers bei der Beklagten durchzuführen.

Weiterhin erklärte der Kläger, dass er sich hinsichtlich alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten ausschließlich auf die Tätigkeiten im Anlagenbau/Anlagenfertigung, insbesondere Schaltschränke bauen, sowie auf Tätigkeiten in der Dokumentation berufe.

Weiterhin erklärten die Parteien übereinstimmend, dass die Zuweisung von Dokumentationsaufgaben und von Tätigkeiten im Anlagenbau/Anlagenfertigung vom Arbeitsvertrag umfasst sei. Die ausschließliche Zuweisung von Dokumentationsaufgaben sei aller Voraussicht nach höher als Helfertätigkeiten, jedoch niedriger als die bisherige Tätigkeit des Klägers als Programmierer zu bewerten. Tätigkeiten im Anlagenbau/Anlagenfertigung ohne Programmierarbeiten seien ebenfalls niedriger zu bewerten.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die im wesentlichen gleichlautenden Schriftsätze des Klägers vom 29.12.2017 (Blatt 275 ff der Akten, 310 ff der Akte 2 Sa 409/17, 360 ff der Akte 2 Sa 410/17, 340 ff der Akte 2 Sa 411/17 und 368 ff der Akte 412/17), auf den Schriftsatz der Beklagten vom 16.02.2018 sowie auf das Protokoll vom 18.04.2018 Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die zulässigen Berufungen waren zurückzuweisen. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche in den streitgegenständlichen Zeiträumen zwischen 01.01.2006 und 31.12.2016 zurückgewiesen.

I. Die Berufungen sind zulässig. Sie sind jeweils form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufungen sind jedoch unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Klagen zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen. Die Beklagte hat sich im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Annahmeverzug (§§ 293 ff BGB) befunden. Der Kläger war objektiv nicht in der Lage, die geschuldete Leistung zu erbringen, § 297 BGB. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Kläger anderweitig behinderungsgerecht oder leidensgerecht zu beschäftigen, insbesondere nicht im Anlagenbau/Anlagenfertigung oder mit Dokumentationsarbeiten. Daher schuldet die Beklagte auch keinen Schadensersatz wegen Verletzung der Beschäftigungspflicht Schwerbehinderter (§ 280 Abs. 1 BGB iVm § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, ab 01.01.2018 § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX) bzw. Verletzung der Fürsorgepflicht (§ 280 Abs. 1 iVm § 241 Abs. 2 BGB).

Die Arbeitgeberin befindet sich nicht in Annahmeverzug, denn der Arbeitnehmer war nicht in der Lage, die vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, weshalb ihm kein Annahmeverzugslohn zusteht

1. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2016 Annahmeverzugslohn gem. §§ 611 (ab 1.4.2017 § 611a Abs. 2 BGB), 615 BGB in Höhe der Differenz zwischen dem ihm bezahlten und dem arbeitsvertraglich vereinbarten Entgelt zu bezahlen. Nach § 615 BGB kann der Arbeitnehmer für die in Folge des Annahmeverzugs des Arbeitgebers nicht geleistete Arbeit die vereinbarte Vergütung verlangen, ohne zur Nachleistung verpflichtet zu sein. Zwar steht rechtskräftig fest, dass das Arbeitsverhältnis durch keine der vorangegangenen Kündigungen beendet oder geändert wurde. Der Kläger war und ist jedoch nicht mehr in der Lage, die ihm kraft Direktionsrecht unstreitig zugewiesene Tätigkeit als SPS-Programmierer zu erbringen. Dies schließt nach § 297 BGB Annahmeverzug und damit einen entsprechenden Entgeltanspruch aus § 615 BGB aus.

a. Allerdings kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass der Kläger die Vergütungsdifferenz falsch berechnet hätte.

Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, welche Zahlungen er in den jeweiligen Jahren erhalten hat. Dem hat er die arbeitsvertragliche Vergütung als SPS-Programmierer unter Einbeziehung der jeweiligen Tariferhöhungen für die bayerische Metallindustrie gegenübergestellt. Zwar ist die Beklagte nicht tarifgebunden. Unstreitig lehnt sie sich jedoch an die Tarifverträge der bayerischen Metallindustrie an. Auch die dem Kläger gezahlte Helfervergütung wurde regelmäßig angehoben. Vor diesem Hintergrund hätte die Beklagte nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen darlegen müssen, dass und wie sich das Entgelt des Klägers anders als tariflich vorgesehen entwickelt hätte. Einfaches Bestreiten – wie erstinstanzlich noch geschehen – genügt insoweit nicht.

Zu Recht hat der Kläger auch die Differenzen zwischen den jeweiligen Bruttobeträgen seinen Berechnungen zu Grunde gelegt. Der anzurechnende anderweitige Verdienst für die Helfertätigkeiten (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 KSchG als lex specialis zu § 615 Satz 2 BGB) ist das erzielte Bruttoentgelt (ErfK-Preis, 18. Aufl., § 615 BGB, Rn 92).

Die Verletztenrente hat der Kläger zu Recht unberücksichtigt gelassen. Sie ist jedenfalls im Anwendungsbereich des § 11 KSchG nicht anzurechnen (BAG 24.09.2003 – 5 AZR 125/05 [BB 2006, 722] für die Berufsunfähigkeitsrente; ErfK-Preis a.a.O. Rn 94; Küttner, Personalbuch 2018, „Erwerbsminderung“ Rn 2). Die Verletztenrente gleicht den abstrakten Schaden des Arbeitsunfalls wegen Verlust an Erwerbsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aus und wird auch dann nicht gekürzt, wenn der Kläger seinen bisherigen Beruf bei gleichem Entgelt weiter ausübt (Küttner a.a.O., „Unfallversicherung“ Rn 55). Das Verletztengeld ist daher keine Lohnersatzleistung.

b. Die Beklagte hat sich im streitgegenständlichen Zeitraum nicht in Annahmeverzug befunden. Dies gilt unabhängig davon, dass die Unwirksamkeit sämtlicher vorausgegangener Kündigungen rechtskräftig feststeht, insbesondere auch der letzten Änderungskündigung vom 30.03.2006. Denn damit ist lediglich der Streit um die vertraglichen Leistungspflichten entschieden, nicht jedoch, ob der Kläger in der Lage ist, die geschuldete Leistung zu erbringen.

Nach § 297 BGB kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die (Arbeits-)Leistung zu bewirken, wenn er also nicht leistungsfähig ist. Die Leistungsfähigkeit ist eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Grundsätzlich hat bei Streit über die Leistungsfähigkeit der Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer zur Leistung außerstande war (BAG 27.05.2015 – 5 AZR 16/14 Rn 15; BAG 24.09.2014 - 5 AZR 611/12 Rn. 17). Das objektiv fehlende Leistungsvermögen kann dabei nicht durch die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers, leistungsfähig zu sein, ersetzt werden (BAG 29.10.1998 – 2 AZR 666/97 Rn 26).

Auch eine nur teilweise vorhandene Leistungsunfähigkeit hindert den Annahmeverzug

c. Die vom Kläger während des streitgegenständlichen Zeitraums bekundete Bereitschaft, weiterhin als SPS-Programmierer beschäftigt zu werden, konnte die Beklagte nicht in Annahmeverzug versetzen. Die Parteien haben in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2018 vor dem Landesarbeitsgericht unstreitig gestellt, dass der Kläger aufgrund der Folgen des Unfalls aus dem Jahre 2001 nicht in der Lage war und ist, die Tätigkeiten eines SPS-Programmierers bei der Beklagten durchzuführen (Blatt 323 der Akten).

Im Übrigen ist auch das erkennende Gericht ebenso wie die Vorinstanz der Auffassung, dass sich dies eindeutig aus dem Gutachten und der Einvernahme von Prof. Dr. Dr. W… im beigezogenen Verfahren ergibt, dessen Verwertung die Parteien zugestimmt haben (Blatt 322 der Akten). Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, komplexe Programmierarbeiten wie die SPS-Programmierung selbstständig durchzuführen. Die von Prof. Dr. Dr. W… festgestellte Leistungsminderung in seinem Tätigkeitsfeld um 30 – 40 % bedingt, dass die erbrachten Leistungen nicht von der Beklagten übernommen werden können, sondern vorher von Dritten kontrolliert und revidiert werden müssen. Das erkennende Gericht nimmt ausdrücklich Bezug auf die Ausführungen im Urteil des Arbeitsgerichts, Az. 1 Ca 167/17 (= 2 Sa 410/17) S. 18 f. und macht sich die dortigen Ausführungen zu eigen. Das Gutachten betrifft auch den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum bis Ende 2016. Denn nach der Erläuterung zum Gutachten von Prof. Dr. Dr. W… im Termin vor dem Landesarbeitsgericht am 02.04.2015 (Blatt 608 der beigezogenen Akte) war das Endstadium einer möglichen Besserung der Unfallfolgen bereits 2004 erreicht. Das Gutachten ist auch nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt.

Die Rechtsprechung des BAG für die Fälle, in denen keine verminderte Leistungsfähigkeit vorliegt, sondern der Arbeitnehmer eine volle Arbeitsleistung erbringen kann und lediglich gehindert ist, der gesamten Bandbreite der arbeitsvertraglich an sich möglichen Leistungsbestimmungen gerecht zu werden (vgl. BAG 09.04.2014 – 10 AZR 637/13 „Nachtdienst“), ist hier ohnehin nicht einschlägig. Denn im vorliegenden Fall ist der Kläger im Kernbereich seiner schriftlich im Arbeitsvertrag fixierten und tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten erheblich eingeschränkt. Auch eine teilweise Leistungsunfähigkeit hindert aber den Annahmeverzug (Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, 4. Aufl., 2018, § 76 Rn 31).

Die geschuldete Arbeitsleistung bestimmt sich gemäß § 106 S. 1 GewO durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts der Arbeitgeberin und nicht durch das Angebot einer anderen Arbeitsleistung durch den Arbeitnehmer

d. Die vom Kläger im Rahmen der Kündigungsschutzklage benannten anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeiten konnten die Beklagte ebenfalls nicht in Annahmeverzug versetzen, weil sie nicht die zu bewirkende Arbeitsleistung betrafen, § 294 BGB. Hierbei beruft sich der Kläger – wie er in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2018 klargestellt hat – nur auf die Tätigkeiten im Anlagenbau/Anlagenfertigung, insbesondere Schaltschränke bauen, sowie Tätigkeiten in der Dokumentation (Blatt 323 der Akten).

aa. Ist die vom Arbeitnehmer zu erbringende Tätigkeit im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben, obliegt es nach § 106 Satz 1 GewO dem Arbeitgeber, den Inhalt der zu leistenden Arbeit näher zu bestimmen. Die durch die wirksame Ausübung des Direktionsrechts näher bestimmte Tätigkeit ist die zu bewirkende Arbeitsleistung. Auf sie muss sich der Leistungswille des Arbeitnehmers richten. Kann der Arbeitnehmer die vom Arbeitgeber aufgrund seines Direktionsrechts wirksam näher bestimmte Tätigkeit aus in seiner Person liegenden Gründen nicht mehr ausüben, aber eine andere im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende Tätigkeit verrichten, ist das Angebot einer anderen Tätigkeit ohne Belang, solange der Arbeitgeber nicht durch eine Neuausübung seines Direktionsrechts diese zu der iSv § 294 BGB zu bewirkenden Arbeitsleistung bestimmt hat. Andernfalls könnte der Arbeitnehmer den Inhalt der arbeitsvertraglich nur rahmenmäßig umschriebenen Arbeitsleistung selbst konkretisieren. Das widerspräche § 106 Satz 1 GewO. Die Konkretisierung der Arbeitspflicht ist Sache des Arbeitgebers (BAG 27.05.2015 – 5 AZR 16/14 Rn 19 mwN). Bietet der Arbeitnehmer also eine Tätigkeit an, die zwar vom Arbeitsvertrag umfasst ist, diesem aber nicht zugewiesen ist, missachtet er das Direktionsrecht des Arbeitgebers. Annahmeverzug kann das nicht auslösen (vgl. Kaiser, RdA 2015, 76).

bb. Der Kläger war (und ist) nach dem Arbeitsvertrag als Elektrotechniker bei der Beklagten eingestellt. Ihm war unstreitig und wirksam im Rahmen des Direktionsrechts die Tätigkeit eines SPS-Programmierers zugewiesen, bevor die Beklagte ihn wegen der Leistungseinschränkungen im Mai 2004 von der Arbeit freistellte.

cc. Dass der Kläger von August 2005 bis zum erneuten fehlgeschlagenen Arbeitsversuch als Programmierer im Dezember 2005 im Rahmen eines Prozessarbeitsverhältnisses Dokumentationsaufgaben erledigte, ändert hieran nichts. Denn insoweit wurde das Direktionsrecht bezogen auf das vorliegende Arbeitsverhältnis nicht wirksam ausgeübt.

Andere, zwischenzeitlich vom des Arbeitnehmers im Rahmen eines Prozessverhältnisses durchgeführte Aufgaben, sind daher nicht Ausfluss des Direktionsrechts aus dem ursprünglichen Arbeitsverhältnis

(1) Das Direktionsrecht des Arbeitgebers findet seine Grundlage und Rechtfertigung im bestehenden Arbeitsvertrag, seine Ausübung setzt einen solchen voraus. Kündigt der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis ordentlich, steht ihm mit Ablauf der Kündigungsfrist ein Weisungsrecht nach § 106 GewO nicht mehr zu. Kommt zwischen den Parteien eine Vereinbarung über ein Prozessarbeitsverhältnis zustande, so handelt es sich grundsätzlich um ein anderes Rechtsverhältnis als der ursprüngliche Arbeitsvertrag. Aus diesem erwächst somit nur ein auf die Prozessbeschäftigung bezogenes Direktionsrecht (BAG 22.02.2012 – 5 AZR 249/11 [BB 2013, 576 m. BB-Komm. Roth] Rn 29; ErfK-Kiel, a.a.O., § 4 KSchG, Rn 48). Hiervon mag der Fall zu unterscheiden sein, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Weiterbeschäftigungstitel beschäftigt, weil hier kein neues Rechtsgeschäft abgeschlossen wird (vgl. BAG 14.06.2016 – 9 AZR 8/15 Rn 18). Dieser Fall liegt hier jedenfalls nicht vor.

Die Beklagte wurde vor der Beschäftigung des Klägers mit Dokumentations- und Übersetzungsaufgaben im August 2005 nicht zur Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit dem Abschluss des Prozessarbeitsverhältnisses begründeten die Parteien daher in jedem Falle ein neues Rechtsverhältnis mit grundsätzlich eigenen Rechten und Pflichten. Mit der Zuweisung der Dokumentations- und Übersetzungstätigkeiten übte die Beklagte somit nicht ihr Weisungsrecht im Rahmen des zu diesem Zeitpunkt streitigen Bestands und Inhalts des Arbeitsvertrags aus, sondern allenfalls im Rahmen eines daneben vereinbarten Prozessarbeitsverhältnisses.

(2) Unabhängig davon hätte die Beklagte ihr arbeitsvertragliches Weisungsrecht mit der ausschließlichen Zuweisung von Dokumentations- und Übersetzungsaufgaben überschritten. Zwar gehört die Dokumentation unstreitig auch zu den arbeitsvertraglichen Aufgaben eines Elektrotechnikers oder Programmierers (Blatt 322 der Akten). Für Übersetzungsaufgaben kann das allerdings nicht angenommen werden. Im Arbeitsvertrag finden sich hierfür keine Anhaltspunkte. Der Kläger hat sich in der mündlichen Verhandlung auch nicht mehr auf Übersetzungsaufgaben berufen. Hinzukommt, dass reine Dokumentationsarbeiten niedriger zu bewerten sind als die Tätigkeit als Elektrotechniker oder Programmierer. Dies hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung bestätigt (Blatt 322 der Akten) und deckt sich auch mit der vom Kläger nicht bestrittenen Behauptung der Beklagten, dass Dokumentationsaufgaben nicht zu den Kernaufgaben eines Elektrotechnikers oder eines Programmierers gehören (Blatt 322 der Akten). Das Direktionsrecht umfasst aber nicht die Befugnis zur Versetzung des Arbeitnehmers auf einen Arbeitsplatz mit einer geringerwertigen Tätigkeit, und zwar auch dann nicht, wenn die bisher bezahlte Vergütung fortgezahlt wird (ErfK-Preis, a.a.O. § 106 GewO, Rn 22 mwN).

Für die vertraglich vorgesehene Aufgabe ist der Arbeitnehmer nicht mehr leistungsfähig

dd. Beschäftigungsmöglichkeiten im Anlagenbau/Anlagenfertigung konnten schon deshalb den Annahmeverzug nicht auslösen, da die Beklagte dem Kläger diese Tätigkeiten niemals im Rahmen ihres Direktionsrechts zugewiesen hatte, sondern eben die Tätigkeit als SPS-Programmierer. Dass die Beschäftigung im Anlagenbau/Anlagenfertigung vom Arbeitsvertrag grundsätzlich gedeckt ist („Inbetriebnahme“) ist nach den obigen Ausführungen für die Frage der Leistungsfähigkeit im Rahmen des § 297 BGB irrelevant.

Davon abgesehen fehlt dem Kläger das Leistungsvermögen, als Elektrotechniker im Anlagenbau/Anlagefertigung beschäftigt zu werden. Denn zu den Aufgaben eines Elektrotechnikers im Anlagenbau/Anlagenfertigung gehören nach dem Vortrag der Beklagten auch selbstständige Programmierarbeiten von Automatisierungssystemen und das selbstständige Installieren und Verdrahten unter Zeitdruck. Dieser Aufgabenbeschreibung ist der Kläger nicht entgegengetreten. Zu selbstständigen Programmierarbeiten, die eben grundsätzlich keiner weiteren Kontrolle durch Dritte bedürfen, ist der Kläger jedoch nicht in der Lage (s.o.). Soweit sich der Kläger auf Tätigkeiten im Anlagenbau ohne Programmierungsarbeiten beruft (insbesondere das Bauen von Schaltschränken), so wären diese Tätigkeiten nach übereinstimmender Aussage beider Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2018 (Blatt 323 der Akten) niedriger bewertet. Sie dürften dem Kläger daher im Rahmen des Direktionsrechts auf Dauer nicht zugewiesen werden, da es sich nicht um einen gleichwertigen Arbeitsplatz handelt.

Ohnehin ist das erkennende Gericht auch überzeugt, dass der Kläger die von ihm genannte Tätigkeit des Bauens von Schaltschränken ebenfalls nicht mehr selbstständig durchführen kann. Nach den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. W… in der Sitzung des Landesarbeitsgerichts vom 02.04.2015 könnte der Kläger zwar Verdrahtungen als Elektriker machen, wenn sie nicht zu komplex seien, so dass er nicht aus dem Gleichgewicht komme. Der Kläger habe aber Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten und vergesse Dinge, was sich unter Zeitdruck noch verstärke (Blatt 608 der beigezogenen Akte). Die Beklagte hat in der Sitzung vom 18.04.2018 ausführlich erläutert, dass hierbei jeweils hunderte von Verdrahtungen vorzunehmen seien. Keine Verdrahtung sei wie die andere, da die kompletten Schaltelemente jeweils Einzelstücke für die jeweiligen Bedürfnisse des Kunden seien. Diese Arbeiten – auch die Programmierarbeiten - würden regelmäßig unter Zeitdruck, häufig in kurzen Produktionspausen beim Kunden, stattfinden. Dieser Aufgabenbeschreibung ist der Kläger nicht entgegengetreten. Sie gilt daher als zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Bei mehreren hundert Verdrahtungen, die für jeden Schaltschrank anders zu konfigurieren sind, handelt es sich nicht um bloße Routineaufgaben, die durch ständiges Wiederholen erlernt und dann selbstständig abgerufen werden können. Vielmehr ist jedesmal eine neue erhebliche Gedächtnisleistung erforderlich, bei der insbesondere Überblick gefordert ist. Gerade diese Fähigkeiten sind beim Kläger jedoch stark eingeschränkt, verstärkt unter Zeitdruck. Auch insoweit müsste die Beklagte die vom Kläger vorgenommenen Verdrahtungen von einem Dritten kontrollieren und revidieren lassen.

Der Arbeitnehmer hat mangels Pflichverletzung der Arbeitgeberin weder einen Anspruch aus § 280 Abs. 1 BGB noch aus § 823 Abs. 2 BGB i.Vm. § 81 Abs. 4 SGB IX

2. Der Kläger kann Ersatz des Entgeltausfallschadens nicht nach § 280 Abs. 1 BGB bzw. 823 Abs. 2 BGB iVm § 81 Abs. 4 SGB IX (seit 1.1.2018 § 164 Abs. 4 SGB IX) verlangen. Das Gericht konnte eine entsprechende Pflichtverletzung nicht feststellen. Außerdem hätte die Beklagte nicht schuldhaft gegen ihre Pflichten verstoßen.

a. § 81 Abs. 4 SGB IX (seit 1.1.2018 § 164 Abs. 4 SGB IX) gewährt jedem schwerbehinderten (§ 2 Abs. 2 SGB IX) oder diesem gleichgestellten (§ 2 Abs. 3 iVm § 68 Abs. 1 SGB IX, seit 1.1.2018 § 151 SGB IX) Arbeitnehmer, der wegen seiner Schwerbehinderung die geschuldete Arbeit nicht leisten kann, einen Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung, gegebenenfalls mit Hilfe einer Vertragsänderung (BAG 15.10.2013 –1 ABR 25/12 Rn 24; 14.03.2006 - 9 AZR 411/05 Rn 18). Weist der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer schuldhaft keine behinderungsgerechte Arbeit zu, schuldet er Ersatz des Entgeltausfallschadens (BAG 27.07.2011 – 7 AZR 402/10 Rn 76 mwN; Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Aufl. 2014 § 81 SGB IX Rn 191).

b. Ob der Kläger unter den nach § 68 SGB IX (seit 01.01.2018 § 151 SGB IX) geschützten Personenkreis zumindest seit 10.04.2006 fällt, ist offen. Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum zwar nicht schwerbehindert. Bei ihm lag und liegt nicht wenigstens ein GdB von 50 vor, sondern seit 01.11.2004 ein GdB von 30 (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Unstreitig hat der Kläger jedoch am 10.04.2006 einen Antrag auf Gleichstellung bei der Bundesagentur für Arbeit gestellt (§ 68 Abs. 2 SGB IX, seit 01.01.2018 § 151 Abs. 2 SGB IX). Nach § 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX (ab 01.01.2018 § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX) wird die Gleichstellung mit dem Tag des Eingangs des Antrags wirksam. Im Gegensatz zur bloß deklaratorischen Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach § 69 SGB IX (seit 01.01.2018 § 151 SGB IX) hat der Gleichstellungsbescheid konstitutive Wirkung, ist also materielle Voraussetzung für die Anwendung des Teils 2 (seit 01.01.2018 Teil 3) des SGB IX (BAG 10.04.2014 - 2 AZR 647/13 Rn 39; 31.07.2014 - 2 AZR 434/13 Rn 48). Der Antrag wurde jedoch abschlägig beschieden; das Verfahren vor dem Sozialgericht Regensburg ist noch nicht entschieden. Ein konstitutiver, für den Kläger positiver Anerkennungsbescheid liegt daher nicht vor, kann aber noch mit Rückwirkung erteilt werden.

Selbst bei einer möglichen positiven Bescheidung des Antrags auf Gleichstellung beim Integrationsamt hätte der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf leidensgerechte Beschäftigung gehabt, …

c. Eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Gleichstellungsantrag war nicht veranlasst. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist nicht vorgreiflich. Denn selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass der Gleichstellungsantrag positiv verbeschieden wird, hatte der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch nach § 81 Abs. 4 SGB IX (ab 01.01.2018 § 164 Abs. 4 SGB IX) auf behinderungsgerechte Beschäftigung.

aa. Voraussetzung des Anspruchs ist, dass der Arbeitnehmer sein durch die Art und Schwere der festgestellten Behinderungen eingeschränktes Leistungsvermögen darlegt, seine Weiterbeschäftigung verlangt und die sich aus seiner Sicht ergebenden Beschäftigungsmöglichkeiten aufzeigt, die seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechen sollen. Der Arbeitgeber muss dann substantiiert darlegen, aus welchen Gründen die vom Arbeitnehmer vorgeschlagenen Beschäftigungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen, insbesondere, weil solche Arbeitsplätze nicht vorhanden seien, das Anforderungsprofil nicht erfüllt werde, ein entsprechender Arbeitsplatz nicht frei sei und auch nicht freigemacht werden könnte oder aus anderen Gründen unzumutbar seien (BAG 10.05.2005 – 9 AZR 230/04 [BB 2006, 1008 Ls] Rn 38 ff; Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 4. Aufl. 2014 § 81 SGB IX Rn 187). Die Darlegungslast des Arbeitgebers verschärft sich, wenn er entgegen § 84 Abs. 1 oder 2 SGB IX (seit 01.01.2018 § 167 Abs. 1 und 2 SGB IX) ein Präventionsverfahren bzw. ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt hat. In diesem Fall kann sich der Arbeitgeber nicht darauf berufen, nicht zu wissen, wie ein behinderungsgerechter Arbeitsplatz in seinem Betrieb einzurichten und auszustatten ist (Dau/Düwell/Joussen a.a.O. Rn 188). In jedem Falle aber setzt die verschuldensabhängige Haftung des Arbeitgebers die vorherige ordnungsgemäße Geltendmachung des Anspruchs auf behinderungsgerechte Beschäftigung voraus (Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Aufl. 2017, § 178, Rn 46).

… denn der Arbeitnehmer hat eine leidensgerechte Beschäftigung niemals geltend gemacht, sondern beharrte auf einer Beschäftigung aus dem Arbeitsvertrag

bb. Der Kläger hat eine behinderungsgerechte Beschäftigung nicht verlangt, bzw. nicht ordnungsgemäß geltend gemacht.

Als behinderungsgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten kommen nach den Klarstellungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung nur die Tätigkeiten in der Dokumentation und im Anlagenbau/Anlagenfertigung, insbesondere dem Bauen von Schaltschränken, in Betracht. Nur auf diese beruft sich der Kläger noch.

(1) Jedenfalls für den streitgegenständlichen Zeitraum und sogar noch in erster Instanz der vorliegenden Verfahren hat der Kläger daran festgehalten, die bisherige Tätigkeit als SPS-Programmierer weiterhin ausüben zu können. Erst in der mündlichen Verhandlung vom 18.04.2018 hat er unstreitig gestellt, die Tätigkeit eines SPS-Programmierers nach dem Unfall 2001 nicht mehr ausüben zu können. Im streitgegenständlichen Zeitraum bis Ende 2016 hat der Kläger damit gerade nicht verlangt, anderweitig behinderungsgerecht beschäftigt zu werden. Daran ändert nichts, dass der Kläger in den Kündigungsschutzverfahren die Tätigkeit in der Dokumentation und im Anlagenbau/Anlagenfertigung genannt hat. Dies ist keine ordnungsgemäße Geltendmachung des behinderungsgerechten Beschäftigungsanspruchs, sondern geschah nur, um die fehlende soziale Rechtfertigung durch die Nennung milderer Mittel darzulegen. Aus Sicht des Klägers waren diese Beschäftigungsmöglichkeiten gerade nicht behinderungsgerecht, da er hierbei seine Fähigkeiten und Kenntnisse eben nicht voll verwerten konnte (vgl. § 81 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, seit 01.01.2018 § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX).

Die Durchführung eines Präventionsverfahrens nach § 84 Abs. 1 SGB IX führt nur zu einer Verschärfung der Darlegungslast im Prozess seitens der Arbeitgeberin und nicht zu einer Pflichtverletzung

(2) Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, dass die Beklagte ein Präventionsverfahren nach § 84 Abs. 1 SGB IX (seit 01.01.2018 § 167 Abs. 1 SGB IX) hätte durchführen müssen.

Zunächst steht derzeit nicht fest, ob der Kläger überhaupt einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt ist, da eine entsprechende Entscheidung noch nicht ergangen ist. § 84 Abs. 1 SGB IX (seit 01.01.2018 § 167 Abs. 1 SGB IX) gilt aber nur für schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen. Die Beklagte kann auch frühestens ab 10.04.2006, dem Zeitpunkt der Antragsstellung, zur Durchführung verpflichtet gewesen sein, nicht schon seit 01.01.2006. Sollte der Kläger rückwirkend ab 10.04.2006 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden (§ 68 Abs. 2 Satz 2 SGB IX, ab 01.01.2018 § 151 Abs. 2 Satz 2 SGB IX), hätte die Beklagte allerdings ein Präventionsverfahren durchführen müssen. Das Risiko, die Pflichten der §§ 81 ff SGB IX (seit 01.01.2018 §§ 164 ff SGB IX) zu verletzen, obwohl über die Gleichstellung noch nicht entschieden ist, ist wegen der gesetzlich angeordneten Rückwirkung grundsätzlich dem Arbeitgeber zugewiesen.

Führt der Arbeitgeber das Präventionsverfahren nicht durch, führt das nur zu einer Verschärfung der Darlegungslast im Prozess. Der Arbeitgeber kann sich dann nicht darauf berufen, nicht zu wissen, wie ein behinderungsgerechter Arbeitsplatz im Betrieb einzurichten und auszustatten ist. Es enthebt den Arbeitnehmer aber nicht davon ordnungsgemäß geltend zu machen, leidensgerecht beschäftigt zu werden. Dazu gehört in jedem Fall, sein eingeschränktes Leistungsvermögen darzulegen und ggf. zu beweisen (LAG Hessen 05.11.2012 – 21 Sa 593/10). Den Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung muss der Arbeitnehmer unter Angabe seines Leistungsvermögens geltend machen (Schaub, 17. Aufl., 2017, § 178 Rn 46).

Der Arbeitgeber verletzt seine Pflicht zur behinderungsgerechten Beschäftigung daher nicht, wenn der Arbeitnehmer behinderungsbedingte Einschränkungen seines Leistungsvermögens negiert. Dies gilt erst recht, wenn mit der Zuweisung eine Änderung des Arbeitsvertrags verbunden sein müsste, die ja übereinstimmende Willenserklärungen erfordert.

Auch die Durchführung eines BEM hätte nur zu einer Verschärfung der Darlegungslast geführt

(3) Nichts anderes würde gelten, wenn die Beklagte ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX (seit 01.01.2018 § 167 Abs. 2 SGB IX) nicht durchgeführt hätte. Dies hätte lediglich dieselben Auswirkungen auf die Darlegungslast wie die Nichtdurchführung eines Präventionsverfahrens (Dau/Düwell/Joussen a.a.O. Rn 188). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass ein betriebliches Eingliederungsmanagement überhaupt hätte werden müssen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum jemals mehr als 6 Wochen im Jahr arbeitsunfähig gewesen wäre. Bezugspunkt der Arbeitsunfähigkeit ist dabei nicht die Unfähigkeit des Klägers als SPS-Programmierer beschäftigt zu werden, sondern die von ihm unter Vorbehalt angenommene Helfertätigkeit. Denn zu dieser hat er sich jedenfalls bis zum Ende des Änderungsschutzprozesses im Jahre 2017 verpflichtet.

cc. Darüber hinaus stellt die vom Kläger benannte Beschäftigungsmöglichkeit im Anlagenbau/Anlagenfertigung keine behinderungsgerechte Beschäftigung dar. Der Kläger ist nicht in der Lage, in diesem Bereich als Elektrotechniker mit Programmierarbeiten oder ohne Programmierarbeiten selbstständig tätig zu sein, insbesondere Schaltschränke zu bauen, d.h. die komplexen Verdrahtungen selbstständig vorzunehmen. Auf die Ausführungen unter II.1.c.dd. wird verwiesen. Ob und wann genau entsprechende freie Arbeitsplätze vorhanden waren – wovon auszugehen ist – ist daher nicht entscheidend.

dd. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, den Kläger mit Dokumentationsaufgaben zu beschäftigen.

(1) Für diese Tätigkeit liegt offensichtlich keine ordnungsgemäße Geltendmachung vor, da sie eine Vertragsänderung vorausgesetzt hätte. Die Parteien haben übereinstimmend bekundet, dass die reine Dokumentationstätigkeit niedriger zu bewerten ist als die Tätigkeit als SPS-Programmierer (Blatt 322 der Akten). Mit einer Vertragsänderung war der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch nicht einverstanden. Er hat ja gerade die Beschäftigung als SPS-Programmierer als behinderungsgerecht angesehen.

(2) Ein freier Arbeitsplatz mit reinen Dokumentationstätigkeiten stand im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zur Verfügung. Zwar beschäftigte die Beklagte den Kläger vom August bis Dezember 2005 im Rahmen des Prozessarbeitsverhältnisses mit solchen Tätigkeiten. Nach dem Vorbringen des Klägers hat sie die Arbeiten dann fremdvergeben, nach dem Vorbringen der Beklagten erledigen die Programmierer die Dokumentationsarbeiten selbst. Die Beklagte musste den Arbeitsplatz auch nicht über den 31.12.2005 zur Verfügung stellen, sondern durfte die Aufgaben anderweitig erledigen lassen, auch wenn es sich um einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz gehandelt haben sollte. Sie war Ende 2015 gegenüber dem Kläger nicht nach § 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX (seit 01.01.2018 § 164 Abs. 4 Nr. 5 SGB IX) zu einer behinderungsgerechten Arbeitsorganisation verpflichtet. Denn die Pflicht zur behinderungsgerechten Beschäftigung und Arbeitsorganisation konnte frühestens mit dem Antrag auf Gleichstellung entstehen, also über 3 Monate später am 10.04.2006. Einen Anspruch darauf, dass ein neuer behinderungsgerechter Arbeitsplatz eingerichtet wird, hat der Schwerbehinderte jedoch nicht (BAG 04.10.2005 – 9 AZR 632/04 [BB 2006, 1456 Ls] Rn 23 mwN; Schaub a.a.O. Rn 47).

Ebenso wenig kann der Arbeinehmer Ersatz von Entgeltausfallschaden aus § 280 Abs. 1 BGB i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB verlangen, denn er hat der Arbeitgeberin keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit angeboten

3. Der Kläger kann Ersatz des Entgeltausfallschadens auch nicht nach § 280 Abs. 1 iVm § 241 Abs. 2 BGB wegen Nichtzuweisung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes verlangen.

Zwar ist nach § 241 Abs. 2 BGB jede Partei – auch der Arbeitgeber – verpflichtet, auf die Rechte und Interessen des Vertragspartners Rücksicht zu nehmen. Dazu kann auch gehören, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer bei gesundheitlichen Problemen eine anderweitige geeignete Arbeit zuweist, damit dieser seine Leistung wieder erbringen kann. Diese Verpflichtung setzt aber ebenso wie der Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer die Umsetzung auf einen seinem Leistungsvermögen entsprechenden Arbeitsplatz verlangt und dem Arbeitgeber auch mitgeteilt hat, wie er sich seine weitere, die aufgetretenen Leistungshindernisse ausräumende Beschäftigung vorstellt (BAG 27.05.2015 – 5 AZR 88/14; für die unmissverständliche Geltendmachung des Umfangs des Teilzeitanspruchs eines Schwerbehinderten vgl. BAG 17.03.2016 – 6 AZR 221/15 [BB 2016, 1396] Rn 43). Das hat der Kläger nicht getan. Auf die Ausführungen unter II.2.c.bb. wird verwiesen.

Hinzukommt, dass der Arbeitgeber im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB allenfalls die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes über die Neuausübung des Direktionsrechts nach § 106 GewO schuldet, nicht jedoch eine Änderung des Arbeitsvertrags (BAG 19.05.2010 - 5 AZR 162/09 Rn 26). Die Zuweisung einer reinen Dokumentationstätigkeit oder einer Tätigkeit im Anlagenbau/Anlagenfertigung ohne Programmierarbeiten wäre jedoch nur nach Vertragsänderung möglich. Auf die Ausführungen unter II.1.c.cc. und dd. wird verwiesen. Eine selbständige Tätigkeit mit Programmierarbeiten kann der Kläger nicht mehr erbringen. Auch die Schaffung eines neuen leidensgerechten Arbeitsplatzes kann der Arbeitnehmer nicht verlangen (BAG 28.06.2017 - 5 AZR 263/16 [BB 2017, 2739] Rn 35 mwN).

4. Es kommt somit nicht darauf an, inwieweit die geltend gemachten Zinsansprüche zu korrigieren wären. Die Fälligkeit des Annahmeverzugslohns bzw. des Schadensersatzes bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, in dem der Lohn bei ordnungsgemäßer Abwicklung fällig geworden wäre (ErfK, 18. Aufl., § 615 BGB, Rn 80 mwN). Das ist nach Nr. 3 Abs. 3 des Arbeitsvertrags der 15. des Folgemonats. Dem Kläger stehen nach § 187 Abs. 1 BGB Verzugszinsen ab dem Tag nach dem Eintritt der Fälligkeit zu. Soweit dieser Tag auf einen Samstag, Sonntag oder Feiertag fällt, verschiebt sich der Zeitpunkt der Fälligkeit nach § 193 BGB auf den nächsten Werktag (BAG 13.01.2016 - 10 AZR 42/15 Rn 27). Dasselbe gilt auch für die geltend gemachten Prozesszinsen (Anträge zu 2. – 5.).

 

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