ArbG Stuttgart: Interessenausgleich mit Namensliste in der Insolvenz - Sozialauswahl - Auskunftspflicht
ArbG Stuttgart, Urteil vom 24.7.2012 - 16 Ca 2422/12
Leitsatz
1. Die Auskunftspflicht über die Sozialauswahl gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG gilt - bei einem entsprechenden Verlangen des Arbeitnehmers - auch in den Fällen eines Interessenausgleichs mit Namensliste in der Insolvenz iSd. § 125 InsO uneingeschränkt.
2. Erfüllt der Insolvenzverwalter die Auskunftspflicht nicht bzw. nicht hinreichend ist die Kündigung ohne weiteres als sozialwidrig anzusehen.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters, die dieser auf betriebsbedingte Gründe stützt.
Die am 00.00.1965 geborene, ledige Klägerin ohne Unterhaltsverpflichtungen ist seit dem 1. August 1984 bei der Insolvenzschuldnerin, einem ehemals bundesweit tätigen Drogeriemarktunternehmen, als Verkaufsstellenverwalterin (VVW) beschäftigt. Zuletzt war sie in der Verkaufsstelle W. eingesetzt. Das durchschnittliche Bruttomonatsgehalt beträgt 2.475,00 EUR.
Die Struktur der Arbeitnehmervertretungen für die Insolvenzschuldnerin ist durch einen Tarifvertrag gemäß § 3 Abs.1 Ziff.3 BetrVG geregelt (vgl. Anlage B 1). Danach werden die Betriebsräte bezirksbezogen errichtet. Die einzelnen Betriebsratsgremien entsenden Vertreter in sog. Regionalkonferenzen, die wiederum Vertreter in den Gesamtbetriebsrat entsenden. Die Wahl der Betriebsräte erfolgte unternehmensübergreifend für die Insolvenzschuldnerin und die weitere Insolvenzschuldnerin, die Firma A. S. XL GmbH. Für den Betriebsratsbezirk, in dem die Filiale liegt, in der die Klägerin beschäftigt war, ist kein Betriebsrat gebildet.
Bereits vor Insolvenzeröffnung kündigte die Insolvenzschuldnerin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 12. Januar 2012 ordentlich zum 31. August 2012. Diesbezüglich ist beim Arbeitsgericht Stuttgart ein weiteres Kündigungsschutzverfahren anhängig (- 16 Ca 566/12 -), das derzeit unterbrochen ist.
Mit Beschluss des Amtsgerichts U. vom 23. Januar 2012 wurde der Beklagte zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin berufen. Mit weiterem Beschluss vom 28. März 2012 wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Am 28. März 2012 unterzeichneten der Insolvenzverwalter und der Gesamtbetriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste. Auf den Inhalt des Interessenausgleichs mit Namensliste wird Bezug genommen (vgl. Anlagen B 2, B 3). Die Klägerin befindet sich auf der Namensliste.
Ebenfalls am 28. März 2012 wurde bei der Agentur für Arbeit U. eine Massenentlassungsanzeige durch den Beklagten eingereicht (vgl. Anlagenkonvolut B 5).
Mit Schreiben vom 28. März 2012, der Klägerin zugegangen am 29. März 2012, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 2012. Mit Schreiben vom 29. März 2012 wurde die Klägerin zum 31. März 2012 von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung freigestellt. Da die Klägerin in einem betriebsratslosen Bezirk beschäftigt war, hörte der Beklagte im Vorfeld der Kündigung mit Schreiben vom 21. März 2012 die Regionalkonferenz an (vgl. Anlage B 4).
Die Klägerin ist der Auffassung, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Der Interessenausgleich mit Namensliste sei nicht wirksam zustande gekommen. Bestritten werde, dass der Gesamtbetriebsrat für den Abschluss des Interessenausgleichs originär zuständig gewesen sei. Für den Betriebsratsbezirk der Klägerin sei nämlich kein Betriebsrat gebildet gewesen. Bestritten werde, dass die Regionalkonferenzen Mitglieder an den Gesamtbetriebsrat entsandt hätten und dieser sich aus 55 Mitgliedern zusammensetze. Der Beklagte möge vortragen, wie sich der Gesamtbetriebsrat zusammensetze und die Willensbildung dort erfolge. Auch sei nicht nachvollziehbar, dass die Insolvenzschuldnerin und die A. S. XL GmbH einen Betrieb iSd. BetrVG bildeten. Bestritten werde auch, dass einzelne Betriebsräte ihre Zuständigkeit an den Gesamtbetriebsrat delegiert hätten. Selbst unterstellt, die Vermutungswirkung des § 125 InsO greife ein und könne nicht widerlegt werden, sei die Kündigung nicht sozial gerechtfertigt, weil der Beklagte seiner Pflicht, über die Sozialauswahl Auskunft zu erteilen, nicht hinreichend nachgekommen sei. Auf die Frage, ob diese grob fehlerhaft sei, komme es gar nicht an. Der allgemeine Verweis auf die vorgelegten Listen genüge insoweit nicht. Der Beklagte habe die subjektiven Auswahlerwägungen, die er tatsächlich angestellt habe, nicht offen gelegt. Der pauschale Vortrag, wonach der Beklagte eine ausgewogene Personalstruktur habe schaffen wollen, sei nicht nachvollziehbar und nicht substantiiert. Die Interessen, die zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der Sozialauswahl geführt hätten, seien nicht mitgeteilt worden. Auch zu einer Altersgruppenbildung sei keine Auskunft erteilt worden. Soweit ein Punkteschema verwendet worden sei, seien im Einzelnen die konkret mit der Klägerin vergleichbaren Mitarbeiter zu benennen, was aber unterblieben sei. Unklar bleibe auch, weshalb die Klägerin sozial weniger schutzwürdig sei als andere, nicht gekündigte Arbeitnehmer. Dies führe bereits ohne Weiteres zur Sozialwidrigkeit der Kündigung, da es ohne hinreichende Auskunft der Klägerin nicht möglich sei, etwaige grobe Fehler der Sozialauswahl zu erkennen. Rein vorsorglich seien als weniger schutzwürdige Mitarbeiterinnen Frau S., Frau C. und Frau Sc. zu nennen. Schließlich werde auch bestritten, dass die Arbeitnehmervertretung ordnungsgemäß angehört worden sei. Die pauschale Bezugnahme auf die entsprechende Anlage genüge den Anforderungen an eine individuelle Anhörung nicht.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die mit Schreiben vom 28.03.2012 erklärte Kündigung, zugegangen am 29.03.2012, mit Ablauf des 30.06.2012 aufgelöst wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, die streitgegenständliche Kündigung sei wirksam, insbesondere sei sie sozial gerechtfertigt. Nachdem die Insolvenzschuldnerin bereits im Jahr 2006 Verluste zu verzeichnen gehabt habe, sei es zu einem drastischen Einbruch gekommen, so dass im September 2010 bundesweit bereits 3.093 Filialen im Rahmen einer Restrukturierung hätten geschlossen werden müssen. Der diesbezüglich abgeschlossene Tarifsozialplan habe nicht mehr bedient werden können, Mitarbeiter für die aufgrund der Schließungen keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr bestanden habe, seien größtenteils als Springer weiterbeschäftigt worden, was zu einer teilweisen Überbesetzung der Filialen und einer drastischen Erhöhung der Personalkosten im Vergleich zu den Umsätzen geführt habe. Die angespannte finanzielle Situation habe dazu geführt, dass Warenlieferungen nicht mehr realisiert worden seien und die Filialen nur noch über eine Warenverfügbarkeit von ca. 60% verfügt hätten. Unmittelbar nach Antragstellung habe der Beklagte als vorläufiger Insolvenzverwalter bei einer Unternehmensberatung ein Sanierungskonzept in Auftrag gegeben, das ergeben habe, dass weitere 2.400 Filialen unrentabel seien und kurzfristig geschlossen werden müssten. Durch eine Nachprüfung mit dem Gesamtbetriebsrat bzw. den Betriebsräten habe erreicht werden können, dass insgesamt 200 Filialen weniger geschlossen würden, als nach dem Konzept vorgesehen. Nachdem die Verfügungsbefugnis auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen sei, habe dieser demgemäß ua. die unternehmerische Entscheidung getroffen, die zwischen den Betriebsparteien abgestimmten 2.200 Filialen zum 23. März 2012 stillzulegen und bis dahin nur noch einen Abverkauf vorzunehmen. Dadurch seien bei der Insolvenzschuldnerin im Filialbereich 7.784 Arbeitsplätze entfallen. Die Bestimmung der Anzahl der wegfallenden Arbeitsplätze sei anhand der im Unternehmen seit mehreren Jahren angewandten Sollzahlenkalkulation erfolgt. Der daraufhin am 28. März 2012 unterzeichnete Interessenausgleich mit Namensliste sei ordnungsgemäß zustande gekommen. Bei den Filialschließungen und dem damit verbundenen Personalabbau handle es sich um eine Betriebsänderung. Der Gesamtbetriebsrat sei für den Abschluss des Interessenausgleichs originär zuständig gewesen, da die Schließungen der einzelnen Filialen und die (übergreifenden) Versetzungen im Wege einer bundesweiten Änderung und Neustrukturierung des Filialnetzes nicht durch die einzelnen Betriebsräte hätten geregelt werden können. Ferner hätten die einzelnen Betriebsratsgremien ihre Zuständigkeit an den Gesamtbetriebsrat delegiert. Der Gesamtbetriebsrat sei im Rahmen der Verhandlungen des Interessenausgleichs ordnungsgemäß informiert worden, am 25. März 2012 habe er die Namenslisten freigegeben und die getroffene Sozialauswahl für richtig befunden. Diese seien am 28. März 2012 fest mit dem Interessenausgleich durch Tackern und Leimen zu einer Einheit verbunden worden. Um 12.00 Uhr habe der Gesamtbetriebsrat den Beschluss gefasst, den Interessenausgleich abzuschließen. Danach sei die Unterzeichnung durch die Gesamtbetriebsratsvorsitzende, deren Stellvertreterin und die vom Beklagten bevollmächtigte Frau Rechtsanwältin F. erfolgt, wobei die Namenslisten auf jeder Seite paraphiert worden seien. Aufgrund des ordnungsgemäßen Zustandekommen des Interessenausgleichs mit Namensliste sei das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse zu vermuten. Die Sozialauswahl sei nach Maßgabe des § 125 InsO ordnungsgemäß erfolgt. Sie sei über den jeweiligen Betriebsratsbezirk erstreckt worden und habe, da die Insolvenzschuldnerin und die weitere Insolvenzschuldnerin, die Firma A. S. XL GmbH, einen gemeinsamen Betrieb bildeten (näher dazu vgl. S. 6 ff. der Klageerwiderung), unternehmensübergreifend stattgefunden. Es seien Vergleichsgruppen gebildet worden, nämlich Verkaufsstellenverwalterinnen, stellvertretende Verkaufsstellenverwalterinnen, Verkäuferinnen/Kassiererinnen, Stundenkräfte und - nochmals in vier Untergruppen unterteilt - geringfügig Beschäftigte, insbesondere auch aufgrund deren unterschiedlicher Eingruppierung im Rahmen der tariflichen Vergütung. Die Springerinnen seien mit den Mitarbeiterinnen der Vergleichsgruppe verglichen worden, deren Tätigkeit sie ausgeübt hätten. Weiter habe gemäß § 125 InsO eine ausgewogene Personal- bzw. Altersstruktur geschaffen werden sollen, auch dies habe jeweils innerhalb der einzelnen Betriebsratsbezirke Berücksichtigung finden sollen. Die Sozialdaten seien mit Punkten wie folgt gewichtet worden: 1 Punkt pro Jahr Betriebszugehörigkeit, 1 Punkt pro Jahr Lebensalter und 4 Punkte pro Unterhaltspflicht. Die Klägerin sei danach weniger schutzwürdig als die vergleichbaren nicht Gekündigten gewesen, wie sich aus der vorgelegten Anhörung der Arbeitnehmervertretung (Anlage B 4) ergebe. Auch eine abschließende umfassende Interessenabwägung habe zu keinem anderen Ergebnis geführt, als dass die Klägerin zu kündigen sei. Da sie in einem betriebsratslosen Bezirk tätig gewesen sei, habe man in ihrem Falle die Regionalkonferenz ordnungsgemäß angehört. Schließlich sei auch die Massenentlassungsanzeige ordnungsgemäß erstattet worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Aus den Gründen
I. Die Klage ist zulässig und auch in der Sache begründet. Antragsgemäß war festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die streitgegenständliche Kündigung des Beklagten vom 28. März 2012 nicht beendet wurde. Die Kündigung ist nicht sozial gerechtfertigt iSd. § 1 KSchG und damit rechtsunwirksam. Ob die Kündigung darüber hinaus noch aus anderen Gründen einer rechtlichen Überprüfung nicht stand hält, bedarf keiner Erörterung.
1. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. März 2012 erweist sich mangels sozialer Rechtfertigung als unwirksam. Offen bleiben kann zunächst, ob gemäß § 125 Abs.1 Satz 1 Ziff.1 InsO aufgrund des Interessenausgleichs mit Namensliste zu vermuten ist, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 KSchG, die einer Weiterbeschäftigung der Klägerin entgegenstehen, bedingt ist. Die Kündigung ist jedenfalls deswegen sozialwidrig, weil der Beklagte seiner in § 1 Abs.3 Satz 1 Halbsatz 2 KSchG geregelten Pflicht, Auskunft über die erfolgte Sozialauswahl zu erteilen, nicht hinreichend nachgekommen ist. Auf die Frage, ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft iSd. § 125 Abs.1 Satz 1 Ziff.2 InsO ist, kommt es demzufolge nicht mehr an.
a) Da § 113 InsO keinen selbständigen Kündigungsgrund der Insolvenz oder Sanierung enthält, verbleibt es dabei, dass das Kündigungsschutzgesetz auch bei einer Kündigung nach § 113 InsO zu beachten ist, wenn es - was hier unzweifelhaft der Fall ist - nach seinem persönlichen und betrieblichen Geltungsbereich Anwendung findet (st. Rspr., vgl. etwa BAG 29. September 2005 - 8 AZR 647/04 - NZA 2006, 720).
b) Bei dem wirksamen Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste zwischen dem Insolvenzverwalter und der zuständigen Arbeitnehmervertretung wird gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 InsO allerdings vermutet, dass die Kündigung der bezeichneten Arbeitnehmer auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG durch dringende betriebliche Erfordernisse iSd. § 1 KSchG, die im Falle einer Beendigungskündigung einer Weiterbeschäftigung in diesem Betrieb bzw. einem anderen Betrieb desselben Unternehmens entgegenstehen, bedingt ist. Grundsätzlich setzt eine betriebsbedingte Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG das Vorliegen dringender betrieblicher Erfordernisse voraus, die vom Arbeitgeber darzulegen und zu beweisen sind. Die Regelung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 1 InsO modifiziert diesen Grundsatz für die im Interessenausgleich namentlich verzeichneten Arbeitnehmer dahingehend, dass für diesen Personenkreis vom Vorliegen betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, auszugehen ist. Dabei handelt es sich um eine gesetz-liche Vermutung, die im Kündigungsschutzprozess zur Beweislastumkehr führt, aber gemäß §§ 46 Abs.2 ArbGG, 292 ZPO widerlegbar ist (st. Rspr., vgl etwa BAG 29. September 2005 - 8 AZR 647/04 - NZA 2006, 720).
b) Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 InsO kann die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 3 KSchG im Falle eines wirksamen Interessenausgleichs mit Namensliste nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden; sie ist nicht als grob fehlerhaft anzusehen, wenn eine ausgewogene Personalstruktur erhalten oder geschaffen wird. Die gesetzliche Regelung reduziert den Umfang der gerichtlichen Überprüfung einer vom Insolvenzverwalter erklärten betriebsbedingten Kündigung. Mit der Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf „grobe Fehler" wird zugleich der Prüfungsmaßstab gesenkt. Der Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers bei der sozialen Auswahl wird zugunsten einer vom Insolvenzverwalter und der zuständigen Arbeitnehmervertretung vereinbarten betrieblichen Gesamtlösung erweitert. Dabei bezieht sich der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit nicht nur auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung selbst. Vielmehr wird die gesamte Sozialauswahl von den Gerichten für Arbeitssachen nur auf ihre groben Fehler überprüft. Grob fehlerhaft iSd. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO ist eine soziale Auswahl nur, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich, insbesondere bei der Gewichtung der Auswahlkriterien, jede Ausgewogenheit vermissen lässt (st. Rspr., vgl. etwa BAG 20. September 2006 - 6 AZR 249/05 - NZA 2007, 387).
c) Auch wenn ein Arbeitnehmer in eine Namensliste eines Interessenausgleichs iSd. § 125 InsO aufgenommen worden ist, bleibt der Insolvenzverwalter aber verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen hin Auskunft über die Entscheidung zur sozialen Auswahl zu erteilen (Auskunftspflicht). Zwar trifft den Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs.3 Satz 3 KSchG die Darlegungs- und Beweislast für eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Der Insolvenzverwalter ist allerdings nach § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 KSchG verpflichtet, dem Arbeitnehmer auf dessen Verlangen die Gründe mitzuteilen, die zu der getroffenen sozialen Auswahl geführt haben. Insoweit besteht ein abgestufte Darlegungslast. Als Konsequenz aus der materiellen Auskunftspflicht des Arbeitgebers folgt, dass er auf das Verlangen des Arbeitnehmers im Prozess substantiiert Gründe vortragen muss, die ihn zu seiner Auswahl veranlasst haben. Erst nach Erfüllung der Auskunftspflicht trägt der Arbeitnehmer die volle Darlegungslast für die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Kommt der Insolvenzverwalter dem Verlangen des Arbeitnehmers nicht bzw. nicht hinreichend nach, ist die streitige Kündigung ohne Weiteres als sozialwidrig anzusehen; auf den Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit kommt es dann nicht an. Dieser ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts (vgl. BAG 17. November 2005 - 6 AZR 107/05 - BAGE 116, 213; 22. Januar 2004 - 2 AZR 111/02 - EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr.11; 12. April 2002 - 2 AZR 706/00 - NZA 2003, 42; 21. Februar 2002 - 2 AZR 581/00 - EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr.10; 10. Februar 1999 - 2 AZR 716/98 - NZA 1999, 702).
d) Die Erfüllung der Auskunftspflicht verlangt zunächst, dass der Insolvenzverwalter dem Arbeitnehmer mitteilt, auf welchen Organisationsbereich er die Sozialauswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt hat und welche Arbeitnehmer er mit dem klagenden Arbeitnehmer weshalb als vergleichbar ansieht. Ferner hat er die Sozialdaten aller aus seiner Sicht vergleichbaren Arbeitnehmer darzutun. Zu den im Rahmen der Auskunftspflicht mitzuteilenden Umständen gehören ferner gegebenenfalls auch betriebliche Interessen, die den Insolvenzverwalter zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG veranlasst haben, etwa die Herausnahme sog. Leistungsträger oder die Herausnahme von Arbeitnehmern zum Zweck der Erhaltung oder Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur, zB. durch die Bildung von Altersgruppen (vgl. BAG 12. April 2002 - 2 AZR 706/00 - NZA 2003, 42; 10. Februar 1999 - 2 AZR 716/98 - NZA 1999, 702).
e) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die streitgegenständliche Kündigung schon deswegen als sozialwidrig und damit als unwirksam anzusehen, weil der Beklagte seiner Pflicht, über die erfolgte Sozialauswahl Auskunft zu erteilen, nicht hinreichend nachgekommen ist. Keiner Klärung bedarf es demgemäß, ob die Vermutungswirkung des § 125 Abs.1 Satz 1 Ziff.1 InsO eingreift und ob die Sozialauswahl grob fehlerhaft iSd. § 125 Abs.1 Satz 1 Ziff.2 InsO ist.
aa) Die Klägerin hat vom Beklagten Auskunft über die erfolgte Sozialauswahl verlangt. Dadurch wurde die Auskunftspflicht des Beklagten gemäß § 1 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 KSchG ausgelöst.
bb) Ordnungsgemäß mitgeteilt hat der Beklagte zunächst auf welchen Organisationsbereich er die Sozialauswahl in betrieblicher Hinsicht erstreckt hat. So hat er vorgetragen, die Sozialauswahl sei betriebsratsbezirksbezogen erfolgt und sie habe sich übergreifend auf die Insolvenzschuldnerin und die weitere Insolvenzschuldnerin, die Firma A. S. XL GmbH erstreckt, weil insoweit ein Gemeinschaftsbetrieb dieser Unternehmen vorliege. Durch die als Anlage vorgelegten Listen wurden auch die Sozialdaten der Arbeitnehmer mitgeteilt. Auch dies ist nicht zu beanstanden.
cc) Bereits der Vortrag, welche Vergleichsgruppen gebildet wurden, ist indes nicht hinreichend, um der Auskunftspflicht Genüge zu tun. Dieser erweist sich als unklar und widersprüchlich. Während in der Klageerwiderung fünf Vergleichsgruppen (Verkaufsstellenverwalterinnen, stellvertretende Verkaufsstellenverwalterinnen, Verkäuferinnen/Kassiererinnen, Stundenkräfte und geringfügig Beschäftigte) genannt werden, wobei bei den geringfügig Beschäftigten noch vier Untergruppen angegeben werden, so dass möglicherweise auch acht Vergleichsgruppen gebildet worden sein könnten, heißt es in der Anlage B 4 (Anhörung der Regionalkonferenz): „Wir möchten mitteilen, dass die Sozialauswahl seitens der Geschäftsführung in Vergleichsgruppen durchgeführt wurde. Es wurden VVWs und VKs untereinander verglichen. Es wurde dabei kein Unterschied gemacht, inwieweit Mitarbeiter in Teilzeit oder Vollzeit sind und auch nicht hinsichtlich der aktuellen Stundenzahl." Danach, nur so lässt sich dies verstehen, wären nur zwei Vergleichsgruppen gebildet worden. Dies ist widersprüchlich und nicht nachvollziehbar. Eine nähere Erklärung diesbezüglich fehlt, einer solchen hätte es aber bedurft, um der Auskunftspflicht ordnungsgemäß nachzukommen.
dd) Insbesondere aber fehlt jegliche Auskunft darüber, welche betrieblichen Interessen den Insolvenzverwalter zur Ausklammerung an sich vergleichbarer Arbeitnehmer aus der sozialen Auswahl gemäß § 1 Abs.3 Satz 2 KSchG veranlasst haben. Aus den als Anlage vorgelegten Listen wird deutlich, dass im Betriebsratsbezirk der Klägerin (G.) andere Arbeitnehmerinnen, die wie die Klägerin auch als Verkaufsstellenverwalterin (VVW) tätig waren, nicht gekündigt wurden, obgleich diese nach dem angewandten Punkteschema über weniger, teils erheblich weniger Sozialpunkte verfügen. Während die Klägerin auf 78 Punkte kommt, finden sich die Verkaufsstellenverwalterinnen Frau K. (69 Punkte), Frau S. (59 Punkte) und Frau W. (49 Punkte) auf der Liste der nicht zu kündigenden Mitarbeiter wieder. Das bedeutet, dass diese aus der Sozialauswahl ausgeklammert worden sein müssen. Im Rahmen der Auskunftspflicht hätte es dem Insolvenzverwalter oblegen mitzuteilen, weshalb diese mit der Klägerin vergleichbaren Mitarbeiterinnen desselben Betriebsratsbezirkes aus der Auswahl ausgeklammert wurden. Daran fehlt es. In der Klageerwiderung wird lediglich pauschal darauf hingewiesen, dass gemäß § 125 InsO eine ausgewogene Personal- bzw. Altersstruktur habe geschaffen werden sollen und auch dies jeweils innerhalb der einzelnen Betriebsratsbezirke habe Berücksichtigung finden sollen. Wie dies erfolgt sein soll, wird hingegen nicht erläutert (Sind Altersgruppen gebildet worden, innerhalb derer ausgewählt wurde? Welche Altersgruppen sind gegebenenfalls gebildet worden?). Dies ist unzureichend und erfüllt die Anforderungen an die Auskunftspflicht unter Zugrundelegung der Maßgaben, die die höchstrichterliche Rechtsprechung stellt, nicht.
2. Da die Kündigung bereits mangels ordnungsgemäßer Erfüllung der Auskunftspflicht zur Sozialauswahl als sozialwidrig und damit als unwirksam anzusehen ist, erübrigt sich eine Erörterung der weiteren von der Klägerin vorgebrachten Unwirksamkeitsgründe der Kündigung.
II. Der Beklagte hat als unterlegene Partei gemäß §§ 46 Abs.2 ArbGG, 91 Abs.1 Satz 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
III. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes ergibt sich aus §§ 61 Abs.1 ArbGG, 3 ZPO, 42 Abs.3 Satz 1 GKG. Demgemäß war ein Bruttovierteljahresverdienst der Klägerin als Streitwert in Ansatz zu bringen.
IV. Die Entscheidung über die Zulassung der Berufung folgt aus § 64 Abs.3a Satz 1 ArbGG. Sofern die Berufung nicht bereits Gesetzes zulässig ist - hier für den Beklagten gemäß § 64 Abs.2 c) ArbGG -, war keine gesonderte Zulassung der Berufung gemäß § 64 Abs.2 a), Abs.3 ArbGG veranlasst.