LAG Köln: Interessenausgleich mit Namensliste – Auskunft über Sozialauswahl
LAG Köln, Urteil vom 20.7.2015 – 2 Sa 185/15
Amtliche Leitsätze
Auch beim Interessenausgleich mit Namensliste hat der Arbeitgeber das Auskunftsverlangen zur Sozialauswahl in gleicher Weise zu erfüllen, wie bei einer Kündigung nach § 1 Abs. 1 KSchG. Werden Leiharbeitnehmer nicht nur für Auftragsspitzen eingesetzt, sondern gelingt es dem Arbeitnehmer darzulegen, dass ein Dauerarbeitsplatz durch Leiharbeitnehmer besetzt ist, ist die Vermutung des § 1 Abs. 5 KschG widerlegt, wenn der Interessenausgleich keine Regelung zum Abbau der durch Leiharbeitnehmer besetzten Arbeitsplätze enthält.
§ 1 Abs. 5 KSchG
Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung aufgrund Interessenausgleichs mit Namensliste.
Der am geborene, geschiedene Kläger, Vater von vier Kindern, von denen er noch zweien gegenüber zum Unterhalt verpflichtet ist, ist seit dem 09.06.1980 bei der Beklagten als Betriebsschlosser zu einer monatlichen Bruttovergütung von ca. 3.500 EUR beschäftigt. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.06.2014 zum 31.03.2015. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage aus zwei Gründen für begründet erachtet. Es hat ausgeführt, dass die Vermutungswirkung des § 1 Abs. 5 S. 1 KSchG deshalb widerlegt sei, weil der Kläger substantiiert dargestellt habe, dass Arbeitsplätze für die Tätigkeit als Betriebsschlosser dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt seien. Die Beklagte habe diesen Vortrag des Klägers nicht hinreichend substantiiert bestritten.
Zudem sei die Beklagte verpflichtet gewesen, dem Kläger Auskunft über die Auswahlüberlegungen zur sozialen Auswahl zu geben. Da eine solche nicht erteilt wurde, sei auch die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl gegeben.
Mit der Berufung vertritt die Beklagte erneut ihre Rechtsansicht, sie müsse zu dem Vortrag des Klägers hinsichtlich des namentlich benannten Leiharbeitnehmers und dessen Einsatz auf einem dauerhaft zu besetzenden Arbeitsplatz nicht substantiiert Stellung nehmen. Der Einsatz von Leiharbeitnehmern zur Abdeckung von Auftragsspitzen sei erlaubt. Weiterhin vertritt die Beklagte die Ansicht, sie müsse im Falle der Kündigung aufgrund Interessenausgleich mit Namensliste keine Auskünfte zur Sozialauswahl geben, insbesondere dem Kläger gegenüber nicht darstellen, welche Arbeitnehmer sie für vergleichbar gehalten habe und welche Kriterien mit welchem Gewicht sie zu Grunde gelegt habe, die zur Auswahl gerade des Klägers geführt haben. Die Beklagte legt ihrer Berufungsbegründung unkommentiert eine Liste sämtlicher Arbeitnehmer, die bei Kündigungsausspruch im Arbeitsverhältnis zur Beklagten standen, bei. Diese Liste enthält u.a. das Geburtsdatum, den Familienstand, die auf der Steuerkarte eingetragene Kinderfreibeträge sowie den Beginn des Arbeitsverhältnisses und gegebenenfalls einen vorhandenen Grad der Behinderung in Prozent.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 16.12.2014 -Az. 4 Ca 2384/14- abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Mit der Berufungserwiderung trägt der Kläger vor, dass die Beklagte in der Zwischenzeit entschieden hat, den Produktionsstandort zum 31.03.2016 vollständig einzustellen und sie deshalb dem Kläger unter dem 06.05.2015 den Abschluss eines Abwicklungsvertrages zum 28.02.2016 angeboten hat. Eine weitere Kündigung wurde bisher nicht ausgesprochen.
Weiter trägt der Kläger vor, dass die Beklagte den Betriebsschlosser B , der als Leiharbeitnehmer dauerhaft eingesetzt wurde, auch über den 31.03.2015 hinaus weiterbeschäftigt. Der Kläger rügt weiterhin, dass die überreichte Liste mit den Sozialdaten und Namen sämtlicher Mitarbeiter nicht den Auskunftsanspruch des Klägers erfülle. Die Betriebsschlosser P und U seien jedenfalls erheblich weniger schutzwürdig als er. Weiterhin bleibe es dabei, dass die unstreitig gegebene Besetzung der Pförtnerposition mit Leiharbeitnehmern die Kündigung des Klägers unwirksam mache, da die Beklagte eine Änderungskündigung hätte aussprechen müssen.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte eingeräumt, dass vom Ausspruch der Kündigung bis zum 31.03.2015 unstreitig ein Leiharbeitnehmer dauerhaft als Betriebsschlosser eingesetzt war. Dies sei wegen der zunächst beabsichtigten teilweisen Verlagerung von Maschinen erforderlich gewesen. Es sei ursprünglich beabsichtigt gewesen, die Tätigkeit dieses Leiharbeitnehmers mit Verlagerung der Maschinen zum 31.03.2015 zu beenden. Richtig sei, dass der Leiharbeitnehmer weiterbeschäftigt worden sei, da aufgrund der neuen unternehmerischen Entscheidung, den Betrieb vollständig stillzulegen, nunmehr weiterer Schlosserbedarf für diese Tätigkeiten bis zur endgültigen Stilllegung gegeben sei. Alle Arbeitnehmer der Beklagten erhielten ein Versetzungsangebot, da die Produktion lediglich in andere Betriebsstätten verlagert werde.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gemäß § 313 ZPO auf den Akteninhalt Bezug genommen.
Aus den Gründen
Die zulässige und fristgerechte Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
Die Kündigung vom 25.06.2014 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund § 1 Abs. 5 KSchG wegen einer Betriebsänderung mit Interessenausgleich und Namensliste beendet.
Die Kündigung ist aus den beiden bereits erstinstanzlich dargelegten Gründen unwirksam. Zwar wird vermutet, dass dringende betriebliche Erfordernisse zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses vorliegen, wenn aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG ein Interessenausgleich mit Namensliste zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat zu Stande kommt. Dies enthebt einen Arbeitgeber aber nicht von seinen substantiierten Darlegungspflichten im Kündigungsschutzprozess.
Vorliegend hat der Kläger mit der substantiierten Darstellung, dass sowohl auf der Pförtnerposition als auch im Bereich der Betriebsschlosser jeweils mindestens ein Arbeitnehmer dauerhaft zum Einsatz kommt, der aufgrund eines Leiharbeitsvertrages eingesetzt wird, die Vermutung widerlegt, dass zwingende betriebliche Gründe den Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers bedingen. Der Kläger hat diesen Sachverhalt, der einen freien und unbesetzten, bei der Kündigungsentscheidung übersehenen Arbeitsplatz darlegt, ausreichend substantiiert dargestellt. Damit hat der Kläger Tatsachenvortrag in den Prozess eingeführt, der die Vermutungswirkung des §§ 1 Abs. 5 KSchG entfallen lässt. Damit ist die Kündigung an § 1 Abs. 1 KSchG zu messen.
Ein dauerhaft eingesetzter Leiharbeitnehmer bedeutet aus Sicht des Kündigungsschutzrechts, dass ein freier und zur Besetzung durch eigene Arbeitnehmer offener Arbeitsplatz gegeben ist. Da dieser Arbeitsplatz im Interessenausgleich nicht behandelt wird und die Beklagte auch nicht substantiiert da zu Stellung genommen hat, welche Planungen zu diesem freien Arbeitsplatz vorgenommen wurden, ob und wann dieser endgültig entfällt, ist die Vermutungswirkung des §§ 1 Abs. 5 KSchG widerlegt.
Der Umfang der Darlegungslast im Prozess ändert sich durch die Vermutungswirkung des §§ 1 Abs. 5 KSchG nicht. Nach substantiiertem Klägervortrag wäre es Sache der Beklagten gewesen, durch Darstellung der konkreten Einsatzzeiten der Leiharbeitnehmer entweder darzulegen, dass diese nur bei Auftragsspitzen eingesetzt wurden und es damit gar keinen dauerhaft freien und zur Besetzung durch eigene Arbeitnehmer geeigneten Arbeitsplatz gibt, oder darzustellen, welche Planungen hinsichtlich der Leiharbeitnehmer bestehen, insbesondere, dass die Tätigkeit der Leiharbeitnehmer spätestens mit dem Ende der Kündigungsfrist des Klägers ebenfalls beendet wird. Insbesondere hinsichtlich der Einsatzzeiten in der Vergangenheit hat allein die Beklagte Zugriff auf die Daten, die eine konkrete Einsatzdarstellung ermöglichen. Die erstmals in der mündlichen Verhandlung aufgestellte Behauptung, der als Leiharbeitnehmer dauerhaft eingesetzte Betriebsschlosser habe seine Tätigkeit ebenfalls mit der ursprünglich beabsichtigten teilweisen Verlagerung der Produktionsmittel einstellen sollen, ist grob nachlässig verspätet und deshalb zurück zu weisen. Er widerspricht auch dem bisherigen, unsubstantiierten Vortrag, Leiharbeitnehmer dürften zur Abdeckung von Auftragsspitzen eingesetzt werden. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Aachen deshalb den Arbeitsplatz des Mitarbeiters B als freien Arbeitsplatz angesehen, der dauerhaft eingerichtet ist und vom Kläger ausgefüllt werden könnte.
Das arbeitsgerichtliche Urteil ist auch insoweit zutreffend, als zu unterstellen ist, dass die soziale Auswahl grob fehlerhaft ist, weil die Beklagte den Auskunftsanspruch des Klägers nicht erfüllt hat. Der Interessenausgleich mit Namensliste führt nicht dazu, dass sich der Umfang der Auskunftspflichten des Arbeitgebers über die durchgeführte Sozialauswahl, die zu Grunde gelegten Kriterien und deren Gewichtung in irgendeiner Weise verändern würden. Sie sind gleich hoch wie die Auskunftspflichten aus § 1 Abs. 3 KSchG (vergleiche Henssler Willemsen Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 5. Auflage § 1 KSchG Rn. 442 bis 445). Die unkommentierte Vorlage der Liste aller Arbeitnehmer erfüllt den Auskunftsanspruch des Klägers immer noch nicht.
Danach musste die Beklagte substantiiert Ausführungen dazu machen, welche Arbeitnehmer sie konkret als mit dem Kläger vergleichbar angesehen hat, welche Gewichtung sie den unterschiedlichen Sozialdaten zugemessen hat und ob Überlegungen im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG (besondere Kenntnisse, Fähigkeiten oder Leistungen) bei der sozialen Auswahl eine Rolle gespielt haben. Die Beklagte irrt, wenn sie meint, im Rahmen des Interessenausgleichs mit Namensliste bräuchte sie keine Auskunft erteilen, der Arbeitnehmer müsse sich seine Informationen selber zusammensuchen.
Unabhängig davon, dass mangels nachvollziehbarer Darlegungen zur Sozialauswahl die grobe Fehlerhaftigkeit der Auswahl bereits unterstellt werden kann, ergibt sich eine grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl aber auch im Vergleich mit dem Mitarbeiter F D , der acht Jahre jünger, acht Jahre kürzer bei der Beklagten beschäftigt, verheiratet ist und ebenfalls keine Kinderfreibeträge auf der Steuerkarte eingetragen hat. Weiterhin grob fehlerhaft ist die Sozialauswahl im Bezug zu dem Mitarbeiter B P , der bei ansonsten gleichen Sozialdaten 13 Jahre kürzer als der Kläger beschäftigt ist und im Bezug zu dem Mitarbeiter R G , der fünf Jahre jünger, elf Jahre kürzer beschäftigt ist als der Kläger, verheiratet ist und nur ein Kind auf der Steuerkarte eingetragen hat. Die Unterschiede in den Sozialdaten lassen jede Ausgewogenheit vermissen.
Die Kündigung ist darüber hinaus auch unwirksam, da der unstreitig mit einem Leiharbeitnehmer dauerhaft besetzte Pförtnerarbeitsplatz ein freier Arbeitsplatz ist, der dem Kläger durch Änderungskündigung hätte angeboten werden müssen. Die Beschäftigung auf einem geringer vergüteten, freien Arbeitsplatz ist das mildere Mittel zur Beendigungskündigung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Revision wurde mangels allgemeiner Bedeutung des Rechtsstreits nicht zugelassen. Auf die Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72 a ArbGG wird hingewiesen.