SG Gießen: Insolvenzgeld im Folgeinsolvenzverfahren
SG Gießen, Urteil vom 15.5.2023 – S 14 AL 4/23
ECLI:DE:SGGIESS:2023:0515.S14AL4.23.00
Volltext: BB-Online BBL2023-1593-1
Amtliche Leitsätze
Allein die (formal) andauernde Überwachung der Planerfüllung durch einen Treuhänder rechtfertigt nicht die Annahme, die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers bestehe fort mit der Folge, dass ein neues Insolvenzereignis mit Anspruch auf Insolvenzgeld nicht eintreten kann. Der fortbestehenden Planüberwachung kommt im Regelfall lediglich eine Indizwirkung für fortbestehende Zahlungsunfähigkeit zu, die im Einzelfall anhand der tatsächlichen Umstände zu einer anderweitigen Betrachtungsweise führen kann.
Sieht der (laufende) Insolvenzplan die Ausschüttung eines festgelegten Betrages an die Insolvenzgläubiger vor und ist diese Ausschüttung mittels einer Treuhandabrede durch Zahlung des Gesamtbetrages an den Treuhänder sichergestellt, so ist für die Frage des Bestehens eines erneuten Anspruchs auf Insolvenzgeld lediglich darauf abzustellen, ob der Arbeitgeber in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen.
§ 165 SGB III, § 130 Abs. 1 S. 1 SGG
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um das Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenzgeld.
Der Kläger ist 1989 geboren und war zunächst von Mai 2010 bis März 2020 und danach erneut ab dem 01.07.2022 bei der C. GmbH in C-Stadt - zuletzt als Teamleiter im Bereich der Elektrowerkstatt zu einem Bruttoentgelt i.H.v. 5.416,16 € - beschäftigt. Gegenstand des zwischenzeitlich aufgelösten Unternehmens war der Betrieb einer Eisengießerei und Maschinenfabrik sowie der Ein- und Verkauf von Maschinen und Maschinenteilen sowie die damit zusammenhängenden und den Gesellschaftszweck fördernden Geschäfte.
Im Herbst 2019 wurde absehbar, dass das Unternehmen das Geschäftsjahr 2019 mit einem Verlust von ca. 1,588 Millionen € beenden werde. Zu diesem Zeitpunkt waren insgesamt ca. 130 Mitarbeiter bei der C. GmbH beschäftigt. Schließlich eröffnete das Amtsgericht Wetzlar mit Beschluss vom 27.11.2019 (3 IN 150/19) das Insolvenzverfahren (in der Folge: „Erstinsolvenzverfahren“) über das Vermögen der GmbH, bestellte Herrn Rechtsanwalt Dr. M. als Sachwalter und ordnete Eigenverwaltung an. Der Kläger erhielt im Zuge dieses Erstinsolvenzverfahrens Insolvenzgeld von der Beklagten.
Zur Sanierung des Unternehmens wurde sodann ein Insolvenzplan aufgestellt, der am 13.07.2020 vom Amtsgericht Wetzlar bestätigt wurde. Dieser sah zur Befriedigung der Gläubiger u.a. zwei Ausschüttungszahlungen vor, eine erste quotale Zahlung i.H.v. 700.000,00 € und eine zweite quotale Zahlung i.H.v. 50.000,00 €. Die erste Ausschüttungszahlung sollte laut Insolvenzplan 13 Monate nach Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses und die zweite unverzüglich nach Vorlage eines versicherungsmathematischen Gutachtens durch den Pensionssicherungsverein aG (PSVaG), frühestens jedoch 13 Monate nach Rechtskraft des Planbestätigungsbeschlusses erfolgen. Zum Treuhänder, der die Ausschüttung an die Gläubiger vornehmen sollte, wurde Rechtsanwalt G. S., ansässig in D-Stadt, bestellt. Die Mittel für die Ausschüttungszahlungen wurden - so der Zeuge und Geschäftsführer H. im Termin am 17.04.2023 - dem Unternehmen selbst entnommen. Überdies nahm die C. GmbH zur Fortsetzung des Unternehmens in Eigenverwaltung bei der Sparkasse E-Stadt im Juli 2020 ein Darlehen in Höhe von 2.050.000,00 € auf.
Aufgrund des bestätigten Insolvenzplans und - so wörtlich – „nachdem der Sachwalter angezeigt hat, dass er die unstreitigen Masseansprüche berichtigt bzw. für die streitigen Masseansprüche Sicherheit geleistet hat“, hob das Amtsgericht Wetzlar mit Beschluss vom 28.09.2020 das Insolvenzverfahren auf. Gleichzeitig ordnete es an, dass der bisherige Sachwalter, Herr Rechtsanwalt Dr. M., die Erfüllung des Insolvenzplans zu überwachen habe. Im Insolvenzplan war diesbezüglich vorgesehen, dass sich die Überwachung der Planerfüllung durch den Sachwalter ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens nur noch auf die Ausschüttung der Insolvenzquote durch den Treuhänder gemäß der Treuhandabrede beschränkt. Wegen des genauen Wortlauts der Vereinbarung wird auf Bl. 34 des Insolvenzplans (Bd. IV des Duplos der Insolvenzakte des Amtsgerichts Wetzlar zum Az. 3 IN 150/19) Bezug genommen.
Im Zeitraum nach Aufhebung des Insolvenzplans erzielte die GmbH zunächst (sehr) gute wirtschaftliche Ergebnisse. So saldierte z.B. das von der Sparkasse E-Stadt im Juli 2020 der GmbH gewährte Darlehen zum Stichtag des 30.09.2022 noch auf eine Restforderung i.H.v. 634.400,00 €. Den Restbetrag, insgesamt 1.415.600,00 €, hatte die GmbH - u.a. durch erhebliche Sondertilgung zum Jahresende 2021 - zurückgezahlt.
Nichtsdestotrotz geriet die C. GmbH, so die Aussage des Zeugen und Geschäftsführers H., aufgrund der Folgen des Ukraine-Kriegs zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten. Das Unternehmen habe die im Zuge dessen explodierenden Energiepreise nicht (mehr) abdecken können, ebenso sei es zu Versorgungschwierigkeiten mit Rohmaterialien gekommen, so dass die gesamte Unternehmung ins Stocken geraten sei. Es sei auch nicht möglich gewesen, die normalerweise vorzunehmenden Preiserhöhungen innerhalb der kurzen Zeit am Markt zu etablieren.
Nachdem die Versuche einer Sanierung des Unternehmens scheiterten, wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 16.11.2022 (3 IN 92/22) erneut ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der C. GmbH, die zu diesem Zeitpunkt 67 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigte, wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet und Rechtsanwalt Dr. M. zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der GmbH bestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die GmbH bereits sowohl den ersten Ausschüttungsbetrag i.H.v. 700.000,00 €, als auch den zweiten Ausschüttungsbetrag i.H.v. 50.000,00 € gemäß Insolvenzplan auf das Konto des Treuhänders überwiesen. Die erste Ausschüttung i.H.v. 700.000,00 € war zu diesem Zeitpunkt auch bereits vollständig erfolgt. Die Ausschüttung des zweiten Betrages i.H.v. 50.000,00 € vom Treuhänder an die Schuldner stand zu diesem Zeitpunkt noch teilweise offen, was daran lag, dass die Ausschüttung ausweislich der Regelungen im Insolvenzplan erst nach Vorlage des versicherungsmathematischen Gutachtens des PSVaG erfolgen sollte, dieses Gutachten jedoch bis dato nicht vorlag.
Am 18.11.2022/01.12.2022 hob das Amtsgericht Wetzlar die Überwachung des Insolvenzplans auf.
Den vom Kläger unter dem Datum des 06.12.2022 gestellten Antrag auf Insolvenzgeld für von der C. GmbH nicht gezahlten Arbeitslohn vom 01.10.2022 bis 15.11.2022 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 07.12.2022 unter der Begründung ab, dass über das Vermögen der C. GmbH mit Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 27.11.2019 bereits ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Zwar sei durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 16.11.2022 erneut ein Insolvenzverfahren über das freigegebene Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden, ein erneutes arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis damit jedoch nicht eingetreten.
Gegen die Ablehnung erhob der Kläger am 29.11.2022 Widerspruch. Die Planüberwachung sei bei Beantragung des Insolvenzgeldes bereits aufgehoben gewesen, nämlich durch Beschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 18.11.2022. Ohnehin habe sich die Planüberwachung nur an den Treuhänder des Erstinsolvenzverfahrens und nicht an die Schuldnerin, also die C. GmbH, gerichtet. Die Erfüllung des Insolvenzplans des Erstverfahrens sei damit sichergestellt gewesen. Grundsätzlich sei eine laufende Planüberwachung für sich genommen kein Ausschlussgrund für einen neuen Anspruch auf Insolvenzgeld. Eine Planüberwachung sei für die tatsächlich maßgebliche Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der Schuldnerin nur ein negatives Indiz bzw. eine Regelvermutung. Es komme aber darauf an, ob der Arbeitgeber nach einem Erstinsolvenzverfahren seine Zahlungsfähigkeit wiedererlangt habe. Die vorliegende Planüberwachung des Erstverfahrens habe sich auf die Ausschüttung der Insolvenzquote durch den Treuhänder gemäß Treuhandabrede beschränkt. Wegen der Überweisung der laut Insolvenzplan geschuldeten Zahlungen auf ein Treuhandkonto habe bereits sicher festgestanden, dass die Gläubiger des Erstverfahrens ihre Quote erhalten und der Insolvenzplan in Gänze erfüllt werden wird. Auf dem Treuhandkonto seien ursprünglich von den ehemals vorhandenen 750.000,00 € nur noch ca. 10.000,00 € vorhanden gewesen, also weniger als 2 %. Dass der PSVaG noch nicht das von ihm zu erstellende versicherungsmathematische Gutachten geliefert habe, liege nicht in der Sphäre der C. GmbH, die zwischenzeitlich, also nach dem Erstinsolvenzverfahren und vor dem erneuten Insolvenzverfahren in 2022, wieder Zahlungsfähigkeit erlangt habe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.12.2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Das BSG (Urteil vom 09.06.2017 - B 11 AR 14/16 R) habe festgestellt, dass ein früheres Insolvenzereignis gegenüber dem Eintritt eines weiteren Insolvenzereignisses eine Sperrwirkung entfalte. Ein neues Insolvenzereignis im Sinne des Arbeitsförderungsrechts trete nicht ein, solange die auf einem früheren Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit desselben Arbeitgebers fortdauere. Die Freigabe des Vermögens aus einer selbständigen Tätigkeit rechtfertige keinen Verzicht auf das Erfordernis der Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers nach einem ersten Insolvenzereignis. Eine Ausnahme sei nur möglich, wenn die Weiterarbeit oder Aufnahme einer Arbeit in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses erfolgt sei. Die Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers dauere jedoch seit dem ersten Insolvenzereignisses 2019 an, so dass kein Anspruch auf Insolvenzgeld bestehe.
Der Kläger hat am 05.01.2023 - wie eine Vielzahl seiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen darauffolgend - Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Er ist der Auffassung, dass die Schließung der C. GmbH maßgeblich auf der Ablehnung der Vorfinanzierung des Insolvenzgeldes seitens der Beklagten beruht. Diese Zustimmungsverweigerung habe eine Kettenreaktion ausgelöst, an deren Ende der Verlust von 67 Industriearbeitsplätzen stehe. Soweit die Beklagte darauf abstelle, dass das erste Insolvenzereignis aus dem Jahr 2019 eine Sperrwirkung entfalte, stelle die Beklagte unzutreffender Weise darauf ab, dass die Planüberwachung noch nicht abgeschlossen gewesen sei, da diese tatsächlich nur noch auf die Überwachung des Treuhänders gerichtet gewesen sei. Mittels der Treuhandkonstruktion habe keine Gefahr bestanden, dass die Gläubiger aus dem ersten Insolvenzverfahren leer ausgehen. Die GmbH sei zwischenzeitlich auch wieder zahlungsfähig gewesen. Insoweit verweise der Kläger auf die zwischenzeitlich erfolgte erhebliche Tilgung des Darlehens bei der Sparkasse E-Stadt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 07.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis 15.11. 2022 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
und verweist begründend auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid, welche sie im Klageverfahren noch einmal vertieft. Es sei zu beachten, dass die Gesamtforderung aus einem Insolvenzplan wiederaufleben könne, wenn die Vereinbarungen des Insolvenzplans nicht erfüllt würden. Der Gesetzgeber verfolge nicht die Ziele der Insolvenzordnung (InsO), sondern begründe eine Sicherung bestimmter Lohnforderungen im Falle einer Insolvenz des Arbeitgebers. Bei andauernder Planüberwachung könne kein neues arbeitsförderungsrechtliches Insolvenzereignis eintreten. Für die Dauer der Planüberwachung werde der Zusammenhang mit dem vorangegangenen Insolvenzverfahren dokumentiert. Die Einlassung des Klägers, dass die Planüberwachung nach der Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens seitens des Gerichts aufgehoben worden ist, habe keine Auswirkungen auf die Entscheidung, da die Aufhebung durch das Gericht bei Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens zwingend vorgeschrieben sei.
Das Gericht hat im Erörterungstermin vom 17.04.2023 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H. und M. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 17.04.2023 (Bl. 117 ff. der führenden, nicht elektronischen Gerichtsakte; Bl. 187ff. der elektronischen Gerichtsakte) verwiesen. Mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung haben sich die Beteiligten im Termin einverstanden erklärt.
Im Übrigen hat das Gericht die Akten beider Insolvenzverfahren der C. GmbH vor dem Amtsgericht Wetzlar (3 IN 150/19 und 3 IN 92/22) sowie einen Auszug der elektronischen Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und denjenigen der Verwaltungsakte Bezug genommen, welche allesamt Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Aus den Gründen
Das Gericht konnte in der Sache ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten sich im Erörterungstermin hiermit einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Der Kläger verfolgt sein Ziel dabei statthafter Weise mit der auf den Erlass eines Grundurteils nach § 130 Abs. 1 S. 1 SGG gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, § 54 Abs. 1 S. 1 und Abs. 4 SGG. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 07.12.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2022 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Insolvenzgeld für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis 15.11.2022.
Gemäß § 165 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Anspruch auf Insolvenzgeld, wenn sie im Inland beschäftigt waren und bei einem Insolvenzereignis für die vorausgegangenen drei Monate des Arbeitsverhältnisses noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt haben. Als Insolvenzereignis gilt gemäß § 165 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III u.a. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Ein solches (arbeitsförderungsrechtlich relevante) Insolvenzereignis ist nach Ansicht der Kammer mit der Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 16.11.2022 eingetreten. Denn entgegen der Auffassung der Beklagten hat das erste Insolvenzereignis aus 2019 keine sogenannte „Sperrwirkung“ entfaltet.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Frage nach dem Bestehen eines Anspruchs auf Insolvenzgeld im Falle des Aufeinanderfolgens mehrerer Insolvenzereignisse im Grundsatz das zeitlich erste für den Insolvenzgeldanspruch maßgeblich (st. Rspr. des BSG, grundlegend: Urteile vom 17.12.1975 – 7 RAr 17/75 und vom 17.05.1989 - 10 RAr 10/88). Ein neues arbeitsförderungsrechtlich relevantes Insolvenzereignis tritt nach der st. Rspr. des BSG nicht ein, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (exemplarisch: Urteile vom 06.12.2012 - B 11 AL10/11 R und vom 17.03.2015 - B 11 AL 9/14 R). Für eine Wiedererlangung der Zahlungsunfähigkeit ist nach Auffassung des BSG nicht ausreichend, dass die Betriebstätigkeit für mehrere Monate wiederaufgenommen wird und der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht wieder nachkommt. Von andauernder Zahlungsunfähigkeit sei vielmehr im Einzelfall solange auszugehen, wie der Schuldner wegen eines nicht nur vorübergehenden mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen (BSG, Urteil vom 06.12.2012 - B 11 AL 10/11 R). Nicht ausreichend sei beispielsweise, dass die Betriebstätigkeit für mehrere Monate wiederaufgenommen wird und der Arbeitgeber seiner Lohnzahlungspflicht wieder nachkommt (BSG, Urteil vom 11.01.1989 - 10 RAr 7/7 80). Das BSG fordert für die Annahme eines (erneuten) Anspruchs auf Insolvenzgeld die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit dabei unabhängig davon, ob im Rahmen des Insolvenzverfahrens ein Insolvenzplan zur Sanierung des Unternehmens vereinbart worden ist, dessen Überwachung durch den Insolvenzverwalter vom Gericht angeordnet worden ist. Nachdem das BSG in einem Urteil vom 29.05.2008 (B 11a AL 57/06) noch offenließ, ob auf die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit auch dann abzustellen ist, wenn die Überwachung der Planerfüllung bereits aufgehoben worden oder von Anfang an keine Planüberwachung angeordnet worden ist, hat es nach anfänglich abweichender zweitinstanzlicher Entscheidung (Sächsisches LSG, Urteil vom 09.03.2011 - L 1 AL 241/06) festgestellt, dass dies jedenfalls auch dann gelte, wenn vor der Eröffnung eines zweiten Insolvenzverfahrens ein Insolvenzplanverfahren ohne Überwachung der Planerfüllung (vollständig) durchgeführt worden ist (BSG, Urteil vom 06.12.2012 - B 11 AL 10/11 R).
Im Falle der C. GmbH wurde eine Planüberwachung durch den Insolvenzverwalter gerichtlich angeordnet. Diese Planüberwachung war im Zeitpunkt des Eintritts des zweiten Insolvenzereignisses auch noch nicht aufgehoben. Insoweit ist es zunächst unzutreffend, wenn der Kläger angibt und darauf abstellt, dass bei Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens am 16.11.2022 die Überwachung des Insolvenzplans bereits aufgehoben gewesen sei. Denn die Aufhebung der Überwachung des Insolvenzplans erfolgte erst am 18.11.2022 und mit der zutreffenden Begründung, dass die Überwachung des Insolvenzplans aus dem ersten Insolvenzereignis aufgrund der nun erfolgten Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens sinnentleert geworden ist.
Nichtsdestotrotz war nach Auffassung des Gerichts auf die Frage der zwischenzeitlichen Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit einzugehen. Insoweit stellt die laufende Überwachung eines Insolvenzplans nach Auffassung des Gerichts, welche sich dieses unter wertender Betrachtungsweise der in diesem Punkt nicht ganz eindeutigen Ausführungen des BSG gebildet hat, lediglich ein Indiz für fortbestehende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners dar. Denn würde man, wie dies im Ergebnis die Beklagte getan hat, allein eine formale Betrachtungsweise zugrunde legen und bei fortbestehender Planüberwachung unabhängig von der tatsächlichen Ausgestaltung dieses Plans unweigerlich fortbestehende Zahlungsunfähigkeit annehmen, widerspräche dies insbesondere der Entscheidung des BSG vom 06.12.2012 (B 11 AL 10/11 R). Denn dort hat das Gericht trotz zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigter Planüberwachung das Fortbestehen von Zahlungsunfähigkeit des insolventen Unternehmens geprüft. Wäre, in Übereinstimmung mit der Beklagten, allein formal auf die Tatsache einer fortbestehenden oder zwischenzeitlich beendeten bzw. aufgehobenen Planüberwachung abzustellen, hierin also nicht lediglich ein Indiz zu sehen, so wäre die Prüfung der Zahlungs(un)fähigkeit durch das BSG nicht erforderlich gewesen. Die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit bzw. die Wiedererlangung der Fähigkeit, fällige Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen (BSG, a.a.O.) ist dabei das nach Auffassung des erkennenden Gerichts das einzige tatbestandliche Abgrenzungsmerkmal zwischen einem noch fortwährenden Insolvenzereignis, also einer dauerhaften bzw. andauernden Zahlungsunfähigkeit (=Insolvenz) und einem nach zwischenzeitlicher Zäsur eingetretenen neuen Insolvenzereignis. Das Fortbestehen einer Planüberwachung allein hingegen sagt nach Auffassung des Gerichts nicht in jedem Fall etwas darüber aus, ob Zahlungsfähigkeit wiedererlangt worden ist, was sich im vorliegenden Falle eindrücklich zeigt:
Im Falle der C. GmbH erstreckte sich die Planüberwachung ausweislich der im Insolvenzplan getroffenen Regelung lediglich auf die Ausschüttung des bereits zuvor an den Treuhänder überwiesenen Betrages. Die Planüberwachung zielte daher von Anfang an nicht auf die Sicherung der Ansprüche aus dem Insolvenzplan, sondern nur auf die Sicherung der ordnungsgemäßen tatsächlichen Ausschüttung des Gesamtbetrages unter Beachtung des noch zu erstellenden Stichtagsgutachten des PSVaG ab, dem der quotale Verteilungsmaßstab entnommen werden sollte. Die Insolvenzplanüberwachung im Falle der C. GmbH erfolgte demgemäß auch nicht zur Sicherstellung der Ansprüche der Insolvenzgläubiger, sondern allein dahingehend, dass die korrekte Ausschüttung des bereits vorhandenen abschließenden Ausschüttungsbetrages sichergestellt ist.
Die Aussichten der Erfüllung des Insolvenzplans, welcher bei laufender Planüberwachung Berichtsverpflichtungen gegenüber dem Gläubigerausschuss bzw. dem Gericht vorsieht, vgl. § 261 Abs. 2 S. 1 InsO, wurden im Falle der GmbH gerade nicht überwacht, weil dies nicht erforderlich war. Die Erfüllung des Insolvenzplans war zu jederzeit sichergestellt. Ist dahingegen eine (reguläre) Planüberwachung angeordnet, sieht § 268 InsO vor, dass das Insolvenzgericht die Aufhebung der (Plan-) Überwachung beschließt, wenn 1., die Ansprüche, deren Erfüllung überwacht wird, erfüllt sind oder 2., die Erfüllung dieser Ansprüche gewährleistet ist, was beispielsweise im Falle der Hinterlegung, mittels Bürgschaft oder durch sonstige Sicherung der Fall sein kann (Braun in: Braun/Frank, InsO, 9. Aufl. 2022, § 268 Rn. 4; Spliedt in: K. Schmidt, InsO, 20. Aufl. 2023, § 268 Rn. 2). Auch hieran zeigt sich, dass im Falle der C. GmbH die Tatsache der Überwachung nichts über die absehbare Erfüllbarkeit bzw. Gewährleistung der Erfüllung der Ansprüche der Gläubiger aussagen konnte. Im Falle der C. GmbH konnte die Tatsache des Bestehens eines Insolvenzplans und seiner Überwachung von vornherein kein geeignetes Abgrenzungsmerkmal im vorgenannten Sinne darstellen. Denn es war bereits nach Überweisung der beiden Ausschüttungsbeträge in Höhe von insgesamt 750.000,00 € unmittelbar nach Aufstellung des Insolvenzplans aufgrund der im Insolvenzplan geregelten Treuhandabrede ausgeschlossen, dass die Gläubiger nicht entsprechend des Insolvenzplans befriedigt werden. Die 750.000,00 € der beiden Ausschüttungszahlungen wurden seitens des Unternehmens an den Treuhänder, Rechtsanwalt G. S., überwiesen. Damit waren diese Beträge dem Einwirkungsbereich der GmbH und Insolvenzschuldnerin entzogen. Die Gefahr des Wiederauflebens von Zahlungsverpflichtungen, auf welche die Insolvenzgläubiger im Rahmen der Aufstellung des Insolvenzplans verzichtet haben, falls die Vereinbarungen des Insolvenzplans nicht erfüllt werden (vgl. § 255 InsO) und welche das BSG unter anderem in seiner Entscheidung vom 17.03.2015 (B 11 AL 9/14 R) argumentativ herangezogen hat, bestand im Falle des hiesigen Insolvenzplans nicht. Insoweit unterscheidet sich der Fall der C. GmbH von anderen Insolvenzplanverfahren, in welchen regelmäßig noch nicht feststehende und im Einzelnen zu ermittelnde, quotale Ausschüttungsbeträge beispielsweise anhand und aufgrund von Gewinnen oder Erträgen des Unternehmens vorgesehen sind. Der Ausschüttungsbetrag im Rahmen des Insolvenzplans der C. GmbH stand jedoch nicht nur von Anfang an fest und unterlag damit keinen Spielräumen mehr - unabhängig vom Ergebnis des Gutachtens des PSVaG - sondern wurde durch die Treuhandabrede bereits von Anfang an erfüllt. Die rein formal noch nicht vorgenommene Aufhebung der Anordnung der Planüberwachung aufgrund eines sich erheblich in die Länge ziehenden Wartens auf das Gutachten des PSVaG, wie mit den restlichen unter 2 % des Ausschüttungsbetrages zu verfahren ist, hatte demgemäß auf die Frage der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens keinerlei Auswirkungen. Die Treuhandabrede war vielmehr geeignet, die zwischenzeitlich wieder eingetretene Zahlungsfähigkeit der C. GmbH auch nach außen gegenüber Neuverbindlichkeitsgläubigern kundzutun.
Zur Überzeugung des Gerichts steht darüber hinaus in Anbetracht der dem Gericht vorliegenden Stichtagsbetrachtungen (Schriftsatz der GmbH vom 21.04.2023, nur Bl. 196 ff. der elektronischen Gerichtsakte) und des Ausmaßes der Ende 2021 erfolgten Sondertilgungen fest, dass die GmbH zwischenzeitlich durchaus wieder in der Lage war, ihre fälligen Geldschulden in Allgemeinen zu erfüllen. Allein die (Sonder-) Tilgung von über 1.200.000,00 € am Ende des Jahres 2021 belegt dies eindrücklich. Das Bestehen von Zahlungsverbindlichkeiten in Form von Darlehen im Allgemeinen rechtfertigt hierbei keine andere Betrachtungsweise. Insoweit besteht kein Zweifel, dass die regelmäßigen Darlehensverpflichtungen in Form der regelhaften Rate (Zins und Tilgung) von der C. GmbH jedenfalls bis Anfang/Mitte 2022 bedient werden konnten. Die Tatsache, dass die GmbH aufgrund des Ukrainekrieges und der damit einhergehenden Energiekrise erneut in die Zahlungsunfähigkeit gerutscht ist, vermag wegen dieser zwischenzeitlich wiedererlangten Zahlungsfähigkeit die Annahme eines erneuten, arbeitsförderungsrechtlich insolventen Insolvenzereignisses begründen.
An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Notwendigkeit der Bewilligung von Insolvenzgeld in Fällen, in denen es nach rechtskräftiger Bestätigung eines Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzerfahrens erneut zu einem Insolvenzereignis kommt, bereits im Jahre 2011 erkannt und im Zuge eines Gesetzgebungsverfahrens jedenfalls versucht worden ist, dies normativ zu verankern. So wurde bereits in einer Stellungnahme des Bundesrates vom 08.07.2011 (BR-Drs. 313/11) zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt die Einfügung eines entsprechenden Passus in § 183 SGB III a.F. (§ 165 SGB III) angeregt. Dieses Vorhaben war indes weitergehender als die vorliegend getroffene Entscheidung, weil es auf die Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens in diesem Sinne nicht ankommen würde. Zur Begründung, der sich die erkennende Kammer auch im hiesigen Falle unabhängig von der Wertung der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit in voller Überzeugung anschließt, wird unter anderem ausgeführt, dass die bisherige Rechtsprechung des BSG vor allem in den Fällen problematisch ist, in denen Beschäftigte ihre Beschäftigung in einem Unternehmen, das im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens saniert werden soll, fortsetzen. Denn in diesen Fällen sind Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach der bisherigen Rechtsprechung des BSG stets mit dem Risiko belastet, bei einem erneuten Insolvenzereignis, dass bei Anordnung eines Insolvenzplanverfahrens regelmäßig nicht ganz unwahrscheinlich ist, trotz Vorleistungspflicht in Bezug auf ihre Arbeitsleistung (vgl. § 614 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)) mit Arbeitsentgeltansprüchen auszufallen, bzw. auf eine entsprechende, meist sehr geringe Insolvenzquote verwiesen zu werden. In Erweiterung der Argumentation des Bundesrates, der in dieser Rechtsfolge einen Widerspruch zur vom Gesetzgeber verfolgten Stärkung des Insolvenzplanverfahrens zur erfolgreichen Sanierung von Unternehmen gesehen hat, kann das Gericht an der sich bei rein formalistisch auf das Bestehen eines laufenden Insolvenzplans abstellenden Rechtsprechung ergebenden Folge kein arbeitsförderungsrechtliches Interesse erkennen. Denn gerade aus arbeitsförderungsrechtlicher Sicht muss es oberstes Ziel sein, den Fortbestand der Arbeitsverhältnisse Einzelner zur Vermeidung von Massenarbeitslosigkeit zu fördern. Demgemäß muss der Abwanderungsgefahr von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei laufendem Insolvenzplan, deren tatsächlicher Verlust den Bestand des gesamten Unternehmens und damit auch die Sanierung gefährdet, mit allen, auch arbeitsförderungsrechtlichen, Mitteln vorgebeugt werden.
Letztlich sei angemerkt, dass der Nichtaufnahme der vom Bundesrat empfohlenen Ergänzung der bestehenden gesetzlichen Regelung dergestalt, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch bei laufendem Insolvenzplan und erneutem Insolvenzereignis neuerlich Anspruch auf Insolvenzgeld haben, keine eigenständige Bedeutung zukommen kann. Denn tatsächlich wurde im Zuge des vorgenannten Gesetzgebungsverfahrens § 165 SGB III nur redaktionell und nicht inhaltlich angepasst. Eine Auseinandersetzung des Gesetzgebers mit der sich nach der Entscheidung des BSG aufdrängenden Rechtsfrage hat daher bislang erkennbar nicht stattgefunden.
Da dem Kläger unstreitig für den Zeitraum vom 01.10.2022 bis 15.11.2022 kein Arbeitsentgelt gezahlt worden ist, ist somit ein Anspruch auf Insolvenzgeld gegeben.
Die Höhe des Insolvenzgeldes ergibt sich aus § 167 SGB III, wobei antragsgemäß nur ein Leistungsanspruch dem Grunde nach auszusprechen war.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.