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Arbeitsrecht
14.06.2012
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Insolvenz - Kündigungsfrist bei Elternzeit

LAG Nürnberg, Urteil vom 11.1.2012 - 4 Sa 627/11

Sachverhalt


Die Parteien streiten über die Beendigung des Vertragsverhältnisses zum 31.05.2010 aufgrund der Arbeitgeberkündigung vom 09.02.2010.


Die am 12.04.1971 geborene Klägerin ist seit dem 01.12.1991 bei der Firma Q... S... AG & Co. als Einkäuferin beschäftigt, zuletzt auf der Basis des schriftlichen Anstellungsvertrages vom 02.12.1998.


Mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 01.09.2009 wurde über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet und Dr. K... H... G... zum Insolvenzverwalter bestellt.


Der Insolvenzverwalter kündigte mit Schreiben vom 09.02.2010 (Kopie Bl. 4 d.A.) das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Wirkung zum 31.05.2010.


Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung befand sich die Klägerin in Elternzeit, die ihr mit Schreiben vom 01.02.2010 bis 06.04.2011 verlängert worden war.


Das Gewerbeaufsichtsamt hatte am 01.02.2010 seine Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung der Klägerin erteilt.


Die Klägerin hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 17.02.2010, beim Arbeitsgericht Nürnberg eingegangen am 19.02.2010, gegen die ausgesprochene Kündigung Kündigungsschutzklage erhoben.


Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.


Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 22.09.2011 die Klage abgewiesen. Gegen das den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 19.10.2011 zugestellte Urteil haben diese mit dem am 09.11.2011 beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingereichten Schriftsatz vom 07.11.2011 Berufung eingelegt und sie mit dem am Montag, den 21.11.2011 eingegangenen Schriftsatz vom 17.11.2011 begründet.


Die Klägerin behauptet, infolge der Kündigung zum 31.05.2011 verliere sie ihren während der Elternzeit greifenden Vorteil einer beitragsfreien Krankenversicherung. Ihr Ehemann sei erst mit Wirkung ab dem 01.09.2011 wieder in die gesetzliche Krankenversicherung zurückgekehrt und erst ab diesem Zeitpunkt habe wieder die Möglichkeit bestanden, unter den Schutz der Familienversicherung aufgenommen zu werden. Diese Umstände seien dem Insolvenzverwalter bereits im Rahmen des Zustimmungsverfahrens beim Gewerbeaufsichtsamt zur Kenntnis gebracht worden. Insoweit sei es ermessensfehlerhaft, im Rahmen des § 113 InsO von der Möglichkeit der Abkürzung der Kündigungsfrist Gebrauch zu machen und das Arbeitsverhältnis bereits zum 31.05.2010 und nicht erst zum 31.08.2010 zu kündigen. Zumindest hätte die vertraglich vereinbarte Kündigungsfrist gewahrt und das Arbeitsverhältnis erst zum 30.06.2010 gekündigt werden dürfen. Die Klägerin und Berufungsklägerin beantragt:


1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg zum Aktenzeichen 11 Ca 1160/10 vom 22.09.2011, Gründe zugestellt am 19.10.2011, wird abgeändert.


2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung des Beklagten vom 09.02.2010 mit Wirkung zum 31.05.2010 sein Ende finden wird, sondern erst zum 31.08.2010, hilfsweise zum 30.06.2010.


3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.


Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 22.09.2011 - Az.: 11 Ca 1160/10 - wird zurückgewiesen.


2. Die Klägerin trägt die Kosten beider Rechtszüge. Zur Begründung trägt er vor, der Betrieb, in dem die Klägerin beschäftigt gewesen war, sei im Rahmen der Insolvenz zum 28.02.2010 vollständig stillgelegt worden. Entsprechend des mit dem Gesamtbetriebsrat der Insolvenzschuldnerin abgeschlossenen Interessenausgleichs vom 23.11.2009 sei ausnahmslos allen Mitarbeitern gekündigt worden.


Bereits am 29.10.2009 habe beim Amtsgericht Essen die Masseunzulänglichkeit angezeigt werden müssen. Insoweit sei es im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Gleichbehandlung aller Insolvenzgläubiger geboten gewesen, auch im Falle der Klägerin von der Kündigungsmöglichkeit gemäß § 113 InsO Gebrauch zu machen. In diesem Zusammenhang sei kündigungsrechtlich ohne Belang, dass infolge der Kündigung der in Elternzeit befindlichen Klägerin deren Vorteil einer beitragsfreien Krankenversicherung verloren gehe. Das infolge der tatsächlichen Betriebsstilllegung sinnentleerte Arbeitsverhältnis habe nicht wegen der sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen der Klägerin aufrechterhalten werden müssen. Der Erhaltung sozialversicherungsrechtlicher Vorteile diene der besondere Kündigungsschutz des § 18 BEEG nicht. Hierauf habe bereits das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 30.09.2009 hingewiesen. Es sei folglich von ihm nicht geboten, von der insolvenzrechtlich eröffneten Möglichkeit einer zeitnahen Beendigung des Vertragsverhältnisses gemäß § 113 InsO abzusehen. Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.


Mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom 30.11.2011 ist Rechtsanwalt H... J... zum neuen Insolvenzverwalter bestellt worden.


Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.


Aus den Gründen


I. Die Berufung ist zulässig.


Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2c ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.


II. Die Berufung ist sachlich nicht begründet.


Das Erstgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Kündigung des Insolvenzverwalters vom 09.02.2010 das Arbeitsverhältnis der Klägerin rechtswirksam zum 31.05.2010 beendet hat.


Es kann insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Ersturteils verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind noch folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:


1. Das Bundesarbeitsgericht (Urteil vom 20.01.2005 - 2 AZR 500/03 - NZA 2005, 687, 688) und das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 30.09.2009 - 5 C 32/08 - NJW 2010, 2074) haben die dauerhafte Stilllegung eines Betriebes als einen besonderen Fall i.S.d. § 18 Abs. 1 Satz 2 BEEG angesehen, der regelmäßig nur die behördliche Ermessensentscheidung zulasse, die beabsichtigte Kündigung des in der Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers für zulässig zu erklären. Die Stilllegung eines Betriebes kennzeichnet nämlich in aller Regel eine Lage, in der dem Interesse des Arbeitgebers an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses - sogar während der Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes, erst Recht während der Elternzeit - Vorrang vor dem Interesse der Arbeitnehmerin an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes gebührt.


In der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird zudem darauf hingewiesen, dass die Vorschrift des § 18 Abs. 1 BEEG dem Schutz vor einer Kündigung und dem damit verbundenen Verlust des Arbeitsplatzes dient, nicht aber dem Schutz vor etwaigen nachteiligen sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Kündigung. Bei einer dauerhaft entfallenen Beschäftigungsmöglichkeit diene sie nicht dem Interesse des in Elternzeit befindlichen Arbeitnehmers, über den Stilllegungszeitpunkt hinaus weiterhin in den Genuss einer beitragsfreien Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen. Diesbezüglich werde die Kündigungsbefugnis des Arbeitgebers im Falle eines durch die völlige Betriebsstilllegung sinnentleerten Arbeitsverhältnisses kündigungsrechtlich nicht eingeschränkt.


Vielmehr sei es allenfalls eine Aufgabe des Gesetzgebers, das Fortbestehen der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht nur für die Dauer des Bezugs von Elterngeld und die Inanspruchnahme von Elternzeit anzuordnen, sondern auch dann auf die gesamte Elternzeit erstrecken, wenn das Beschäftigungsverhältnis vor Ablauf der Inanspruchnahmefrist des § 15 BEEG vom Arbeitgeber zulässig aufgelöst wird.


2. In Bezug auf die Prüfung der sozialen Rechtfertigung gemäß § 1 Abs. 2 KSchG hat das Bundesarbeitsgericht (a.a.O.) darauf abgestellt, dass die im Kündigungszeitpunkt durchgeführte Betriebsstilllegung grundsätzlich ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Vertragsbeendigung darstellt. Da es sich bei dem Arbeitsverhältnis um ein Rechtsverhältnis handelt, das auf den Austausch von Leistung gerichtet ist, hat ein solches Arbeitsverhältnis dann keinen erkennbaren Sinn mehr, wenn die Arbeitgeberin verpflichtet würde, es lange nach völliger Betriebsstilllegung fortzusetzen, ohne dass für den Arbeitnehmer noch eine Beschäftigungsmöglichkeit besteht. Sozialrechtliche Nachteile stellen die gesetzlichen Folgen einer nach § 1 Abs. 2 KSchG aus dringenden betrieblichen Erfordernissen notwenig gewordenen Kündigung dar und sind nicht geeignet, die Sozialwidrigkeit dieser Kündigung zu begründen.


3. Der Beklagte ist unter Berücksichtigung obiger Grundsätze und der Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht verpflichtet, von der ihm eingeräumten Kündigungsmöglichkeit nach § 113 InsO abzusehen und der Klägerin aus sozialversicherungsrechtlichen Überlegungen eine längere soziale Auslauffrist zu gewähren. Die insolvenzrechtliche Sonderregelung des § 113 Satz 2 InsO dient dem Interesse aller Insolvenzgläubiger an der Erhaltung der Masse und soll verhindern, dass zu Lasten anderer Gläubiger weitere Ansprüche ohne eine Gegenleistung des Arbeitnehmers begründet werden (vgl. FK-InsO, 6. Aufl., § 113 Rdz 28).


Unabhängig von einzel- oder kollektivrechtlichen Kündigungsbeschränkungen und Fristenregelungen führt diese Vorschrift zu einer Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer in der Insolvenz, zu einer Verfahrensbeschleunigung und -vereinfachung. Mit der dreimonatigen Höchstfrist verknüpft der Gesetzgeber die Absicht, einen Ausgleich zwischen den sozialen Belangen der Arbeitnehmer des insolventen Unternehmens einerseits und dem Interesse der Insolvenzgläubiger an der Erhaltung der Masse als Grundlage ihrer Befriedigung andererseits zu ermöglichen. Diese insolvenzrechtliche Sonderregelung verdrängt nicht nur längere einzelvertragliche bzw. kollektivrechtliche und sogar gesetzliche Regelungen längerer Kündigungsfristen bzw. Unkündbarkeitsregelungen (vgl. KR-Weigand, 9. Aufl., §§ 113, 120-124 InsO, Rz. 32 ff.).


Mit dem rechtlichen Rang dieser insolvenzrechtlichen Sonderregelung und seiner wirtschaftlichen Zweckrichtung unvereinbar wäre es, wenn ihrer Anwendung im Einzelfall sozialversicherungsrechtlichen Nachteile aufgrund des vorgezogenen Entlassungstermins entgegengehalten werden könnten. Insoweit ist der Insolvenzverwalter nicht verpflichtet, von seiner kündigungsrechtlichen Befugnis abzusehen und aus sozialversicherungsrechtlichen Erwägungen Ausnahmefälle zu begründen, um einem Arbeitnehmer einen weiteren beitragsfreien Krankenversicherungsschutz zu gewähren.


Dies selbst dann nicht, wenn die Insolvenzmasse im Einzelfall durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erst zu einem späteren Entlassungstermin nicht zusätzlich belastet würde. Das wäre im vorliegenden Fall bei weiterer Inanspruchnahme der Elternzeit durch die Klägerin und auch aufgrund der angezeigten Masseunzulänglichkeit und ihrer fehlenden Weiterarbeit gegeben.


Der Beklagte ist deshalb nicht gehalten, das Arbeitsverhältnis der Klägerin im Rahmen einer vorzunehmenden Interessenabwägung erst zum 31.08.2011 bzw. zum 30.06.2011 zu kündigen. Vielmehr kann er aufgrund der im Zeitpunkt der beabsichtigten Entlassung bereits seit mehreren Monaten vollzogenen Stilllegung des Betriebes uneingeschränkt von der insolvenzrechtlichen Sonderregelung des § 113 Satz 2 InsO Gebrauch machen.


III. 1. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.


2. Die Revision ist zuzulassen, denn der Rechtssache wird im Hinblick auf die fehlende zusätzliche Belastung der Insolvenzmasse und der im Rahmen einer Interessenabwägung begehrten Verlängerung der Kündigungsfrist des § 113 Satz 2 InsO grundsätzliche Bedeutung beigemessen, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG. Gegen dieses Urteil kann die Klägerin Revision einlegen.


Für den Beklagten ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

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