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Arbeitsrecht
31.03.2008
Arbeitsrecht
: Herausforderungen der Tarifpolitik gegenüber der deutschen Wirtschaft

Dr.-Ing. Guido Rettig

Herausforderungen der Tarifpolitik sind keine Einbahnstraßen. Daher fordert die Tarifpolitik die Wirtschaft und die Wirtschaft die Tarifpolitik heraus. Der Staat ist der sichtbare oder unsichtbare Dritte.

I.      Zusammenspiel der Kräfte

Es ist das Kräftespiel der gesellschaftlichen Interessensgruppen, das ein an sich reibungsloses Zusammenspiel erfordert, um die Deutschland AG im Weltmarkt immer wieder in einer Top-Position zu platzieren. Wegen der Vielfalt der Standpunkte und Meinungen oder Überzeugungen verläuft jedoch nicht alles, wie wir wissen, reibungslos. Die Ergebnisse des Spiels der Kräfte nennen wir Interessensausgleich oder Kompromiss. „Die Demokratie lebt vom Kompromiss. Wer keine Kompromisse machen kann, ist für die Demokratie nicht zu gebrauchen", sagte einmal unser Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt. Hat man die Ehre nicht nur in politischen Kategorien denken zu dürfen, sondern zusätzlich auch in betriebswirtschaftlichen, dann müssen solche Sätze nachdenklich stimmen, da es in der betrieblichen Wirklichkeit durchaus Situationen gibt, oder Situationen antizipiert werden können, für die eine Kompromisslosigkeit notwendigerweise überlebenserforderlich ist. Die beschäftigungspolitische Bedeutung der Lohnpolitik und Tarifpolitik  liegt ja nicht nur darin, dass sie über nachhaltige Lohnveränderungen das Kostenniveau des Unternehmens wesentlich bestimmt, stärker als jeder andere Faktor, sondern dass sie auch einen bedeutenden Einfluss auf die Flexibilisierung der Arbeitswelt nimmt. Unternehmen, die in diesem Bereich eine hohe Problemlösungskompetenz besitzen, verfügen über einen erstrangigen Standortfaktor.

In der Tat haben alle Beteiligten eine hohe Verantwortung. Verantwortung in dem Sinne, dass sie für die überschaubaren Folgen ihres Handelns auch aufzukommen haben. Es geht also nicht um die Zukunft einer Gesinnungsethik, sondern ganz im Sinne Max Webers, um Verantwortungsethik.

Die Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft stellen Sie zukünftig vor große Herausforderungen. Meines Erachtens werden es die bisher größten Herausforderungen werden, da wir in einigen technologischen Bereichen, wie z. B. dem Internet erst die Spitze des Eisbergs erleben, in der Beschaffung qualifizierter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter uns an der Quadratur von Kreisen versuchen - und dies nach meiner Einschätzung auch noch in fünf Jahren versuchen werden - und im Energie- und Rohmaterialsektor wegen des Ausbaus der chinesischen Wirtschaft und des sich abzeichnenden Eintritts Indiens in den Weltmarkt noch unser „blaues Wunder" erleben werden.

Was hat dies alles mit dem Tarifgeschehen in Deutschland zu tun? Lassen Sie mich nur einen einzigen Aspekt aufzeigen: „Tarifautonomie auf dem Prüfstand" war der Titel eines Gutachtens des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit aus dem Jahr 2004. Ich zitiere aus dem „Anlass" für dieses Gutachten, das der wissenschaftliche Beirat des Ministerium erstellt hatte: „....mit anhaltendem Wachstum schien die Tarifordnung eine Reihe von Jahren einen verlässlichen Rahmen zum Wohle von Arbeitnehmern und Unternehmen zu setzen. Doch schon seit geraumer Zeit zeigt die Beschäftigungsentwicklung in Deutschland, dass es den Tarifparteien unter den gegebenen Rahmenregelungen nicht mehr gelingt, ihrer Aufgabe gerecht zu werden."

Skizzieren wir also zunächst die großen Linien dieser Herausforderungen, um danach konkreter zu werden.

II.   Die verfassungsmäßige Herausforderung an die Tarifvertragspartner

Das Grundrecht der von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gebildeten Koalitionen zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen stellt die Tarifvertragsparteien vor eine gewaltige Aufgabe. Sie sollen nach dem Grundgesetz in einem vom Gesetzgeber gelassenen Freiraum die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht nur wahren, sondern auch fördern.

Zugleich verbietet Artikel 9 Grundgesetz „Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen". Solche Abreden sind nach den Wortlaut der Verfassung nichtig, herauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.

Diese Gebote und Verbote richten sich an alle Beteiligten, natürlich auch an den Staat.

Der Grundsatz der Tarifautonomie in Verbindung mit der sozialen Marktwirtschaft hat bisher in Deutschland weitgehend den sozialen Frieden gesichert. Jedoch steht die Tarifautonomie stets auf dem Prüfstand von Staat, Wirtschaft und Rechtsprechung.

Wie bereits erwähnt, wird immer wieder die Frage aufgeworfen, ob die Tarifvertragsparteien nach wie vor ihrer hohen Verantwortung in dem vom Grundgesetz gelassenen Freiraum gerecht werden, ob sie noch die Fähigkeit besitzen den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen gerecht zu werden. Werfen wir zunächst einen Blick auf die Anforderungen, die im Freiraum der Tarifautonomie an den Staat zu richten sind.

III.      Anforderungen an den Staat

Der Staat soll nach dem Prinzip der Liberalisierung so wenig wie möglich und nur so viel wie unbedingt notwendig regeln.

Im Spannungsverhältnis des Grundgesetzes zwischen der Freiheit des Einzelnen und dem Recht des Einzelnen auf Schutz dieser Freiheit - insbesondere gegenüber dem Staat - hat sich unsere Wirtschaftsordnung dafür entschieden, dass der Staat die Gewährleistung einer sozialen staatlichen Ordnung im Kern den Tarifvertragsparteien überlässt. Diese müssen anstelle des Staates den Ausgleich zwischen der - manchmal ohnmächtigen - individuellen Vertragsfreiheit einerseits und der bevormundenden kollektiven Vertragsfreiheit der Tarifvertragsparteien finden.

Der Staat hat sich im Rahmen dieses Grundrechtes aus der Gestaltung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen so weit wie möglich herauszuhalten. Dies fällt dem Staat nicht immer leicht, weil er nicht ungern - wie" der im Verfassungsrecht zitierte Riese „Leviathan" - alle Macht an sich reißen würde. Beispiele kennen wir. Dazu gehört z. B. die Idee einer vom Staat zentral gelenkten Marktwirtschaft.

IV.      Gestaltungsspielräume der Tarifvertragsparteien

Betrachten wir nunmehr innerhalb des vom Grundgesetz gelassenen Freiraums die Herausforderungen, die von der deutschen Wirtschaft an die Tarifvertragsparteien zu stellen sind.

Der notwendige Ausgleich zwischen der Koalitionsfreiheit der Tarifvertragsparteien einerseits und der Vertragsfreiheit des Einzelnen anderseits stellt die Tarifvertragsparteien vor die rechtsstaatliche Notwendigkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nach besten Kräften zu regeln sowie Umfang und Grenzen der Tarifmacht zu erkennen.

Die Tarifvertragsparteien tragen die Verantwortung für die Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen jedoch nur insoweit, wie sie ihre jeweils eigene Zuständigkeit tarifautonom in der jeweiligen Satzung festgelegt haben.

Die Tarifautonomie gewährt den Tarifvertragsparteien einen sehr weiten Spielraum zur autonomen Festlegung der eigenen Kompetenz durch die Satzung.

Jedoch haben die Tarifvertragsparteien keinen unbegrenzten Gestaltungsspielraum. Dies betrifft zum einem die Grenzen, die ihnen durch die Verfassung und Gesetze auferlegt sind. Zum anderen behält sich der Staat zwingende gesetzliche Regelungen vor, insbesondere die arbeitsrechtlichen Schutzgesetze. Eben weil die Tarifvertragsparteien nicht alle Branchen und Regionen erfassen oder erfassen können, manchmal sogar versagen, regelt der Staat im öffentlichen Interesse durch Schutzgesetze Mindest- und Arbeitsbedingungen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Arbeitszeit (Höchstarbeitszeit), der Teilzeit, der Befristung der Mindestdauer des Urlaubs, beim Kündigungsschutz und neuerdings auch bei den Mindestlöhnen.

Ob und inwieweit der Staat allerdings diesen von ihm gewollten Schutz gewährleistet und welche Auswirkungen mit dem Schutz verbunden sind, wird von den Beteiligten unterschiedlich bewertet. Oft genug endet eine gut gemeinte Tat im Fluch der Wirklichkeit. Manchmal jedoch ist der erkennbare Anlass nicht einmal die gut gemeinte Tat, sondern ein gewillkürtes politisches Profil.

V.      Tarifautonomie und Privatautonomie

Die Befugnis der Tarifvertragsparteien zur kartellmäßigen Festsetzung der Arbeitsbedingungen über die individuelle Freiheit des Einzelnen hinaus setzt voraus, dass sich die Tarifvertragsparteien ihrer treuhänderischen Verantwortung und den Grenzen ihrer Kompetenzen  bewusst sind.

Das Ausbalancieren der Kräfte, Mächte und Interessen ist das Geheimnis des Funktionierens  der Tarifautonomie in Deutschland - jedenfalls noch bis zum heutigen Zeitpunkt. Die Nachteile darf man jedoch nicht verschweigen.

1.      Schutzbedürftigkeit des mündigen Arbeitnehmers vor sich selbst?

Einerseits überwiegen die Vorteile des Schutzes aus der Tarifautonomie im Vergleich zur Privatautonomie, das heißt der individuellen Vertragsfreiheit.

Anderseits sind in diesem Jahrhundert, das weniger die historische Produktionsgesellschaft, als vielmehr eine Dienstleistungsgesellschaft widerspiegelt, die meisten Arbeitnehmer nicht mehr so schutzwürdig, wie dies unbestreitbar in den vorausgegangenen Jahrhunderten der Fall gewesen ist.

Eine besondere Herausforderung der Tarifvertragsparteien besteht daher darin, dass der einzelne tarifgebundene Arbeitnehmer, von den Tarifvertragsparteien nicht bevormundet wird, wenn er bestimmte Arbeitsbedingungen abweichend von Tarifnormen individuell mit dem Arbeitgeber vereinbaren will. Nehmen wir ein Beispiel:

Ein tarifgebundener Ingenieur kann und will sich nicht mit einer tariflichen gegebenen 35 Std.-Woche oder auch 40 Std.-Woche zufrieden geben. Er will für eine noch unbestimmte Zeit ein zeitraubendes Projekt im eigenen und im betrieblichen Interesse mit seinem Wissen begleiten. Er möchte daher mit dem Arbeitgeber eine längere regelmäßige Arbeitszeit über die Grenzen des Tarifvertrages hinaus vereinbaren.

Der Arbeitgeber ist einverstanden. Beide verlängern die Arbeitszeit auf 44 Stunden in der Woche. Nach der Rechtsprechung würde dieser Vertrag zu Ungunsten des Ingenieurs vom Tarifvertrag abweichen. Die Vereinbarung wäre rechtswidrig, es sei denn, dass die Tarifvertragsparteien für diesen Fall und anderen Fällen eine Öffnung zugelassen hätten.

Was also ist das Ergebnis dieses Beispiels:

Der Ingenieur fühlt sich durch die Tarifvertragsparteien entmündigt und tritt aus der Gewerkschaft aus, damit er die Tarifbindung verlässt und nicht gegen das Günstigkeitsprinzip verstößt. Er selbst hatte seine Freude am Erfolg der Arbeit für ihn persönlich als günstiger angesehen. Er ist über die Bevormundung der Tarifvertragsparteien und der Rechtsprechung irritiert.

Gewiss geistert noch immer der alte Satz durch die Soziallandschaft und Rechtsprechung, dass der Arbeitnehmer durch das Kollektiv vor sich selbst geschützt werden muss. Dies mag in der Tat der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer einer personellen Maßnahme oder vertraglichen Vereinbarung nur deshalb zustimmt, weil er seinen Arbeitsplatz nicht verlieren will. Dennoch gibt es genügend Problemlösungen auch für diese Fälle des wirklichen oder vermeintlichen Zwanges.

Die deutsche Wirtschaft erwartet daher von den Tarifvertragsparteien, dass sie nicht stets auf den Schutz des Arbeitnehmers und die daher notwendige Erhaltung des Tarifvertrages verweisen und den Arbeitnehmer bevormunden, sondern dass die Tarifvertragsparteien den mündigen Arbeitnehmern einen individuellen Freiraum im Tarifvertrag gewähren. Dies kann von den Tarifvertragsparteien durch ausdrückliche tarifliche Öffnung des Tarifvertrages für individuelle Vereinbarungen über Abweichungen vom Tarifvertrag ermöglicht werden, wobei die Tarifvertragsparteien durchaus auch einen Rahmen vorgeben können.

Betrachtet man die Fesselung durch manche Tarifverträge, kommt man zu dem Ergebnis, dass die in dem letzten Jahrzehnt beobachtende Flucht aus den Tarifverträgen nicht etwa deshalb erfolgt, weil die Mitgliedsbeiträge zu hoch sind. Eher kann man den Schluss ziehen, dass die Tarifverträge den Unternehmern zu wenig Luft zum Atmen lassen und den Arbeitnehmern ein zu geringes Maß an Mündigkeit einräumen.

Daher sind die Tarifvertragsparteien herausgefordert, mit tariflich zu regelnden Voraussetzungen den tarifgebundenen Arbeitnehmern ein größeres Maß an Privatautonomie einzuräumen. Das oft zu hörende Gegenargument, dass bei zu viel Mündigkeit die Tarifvertragsparteien ihre eigene Tarifmacht schwächen könnten, gehört eher in den Bereich der Egoismen, ebenso wie das Argument oder Scheinargument, dass der Arbeitnehmer vor sich selbst geschützt werden müsse.

2.      Kollektiver Schutz der Tarifverträge auch bei vertraglicher Bindung

Gewiss sucht nicht nur der organisierte Arbeitnehmer den Schutz der Tarifverträge. Gleichermaßen erklärt sich regelmäßig auch der nicht organisierte Arbeitnehmer mit der Anwendung der Tarifverträge auf sein Arbeitsverhältnis einverstanden. An dieser Gleichstellung liegt in der Regel dem Arbeitgeber und den Arbeitnehmern. Der Arbeitgeber benutzt üblicherweise hierzu einen Formulararbeitsvertrag. Er weiß ohnehin regelmäßig nicht, ob der Arbeitnehmer in der zuständigen Gewerkschaft organisiert ist. Er darf den Arbeitnehmer ja nicht einmal danach fragen.

3.   Kein Überziehen des kollektiven Schutzgedankens

Daher darf der Schutzgedanke von den Tarifmächten nicht zu hoch geschraubt werden. Immerhin gibt es auch noch den Betriebsrat, der nach § 75 BetrVG gemeinsam mit dem Arbeitgeber darüber zu wachen hat, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden.

Die Wirtschaft fordert von den Tarifvertragsparteien, dass sie sich nicht in einer überzogenen und die Privatinitiative hemmenden Weise allein als die Hüter von Recht und Billigkeit ansehen.

Wenn Herr Biolek in seinen Kochkursen Geschmacksproben nahm und diese mit „interessant" kommentierte, dann konnte man sich sicher sein, dass bei der Zusammenstellung etwas schief gegangen war. In diesem Sinne fand ich es im Rahmen der Vorbereitung für diesen Beitrag schon interessant, dass unter dem Dach der Tarifautonomie Vertragsparteien Verträge quasi zu Lasten Dritter schließen. Denn können z. B. die verhandelten Lohnanhebungen nicht an den Markt weitergereicht werden, dies in der Folge zum Abbau von Personal führt, dann werden  nicht die Vertragsparteien zur Rechenschaft gezogen, sondern das Problem wird beim Staat, also bei uns allen, „abgeladen".

VI. Vom Arbeitnehmer zum teilverantwortlichen Mitunternehmer

Zu einer weiteren wichtigen Herausforderung der Tarifvertragsparteien kann die rahmenmäßige Gestaltung von Tarifnormen für eine Mitarbeiterbeteiligung gehören.

1.      Überwindung des Gegensatzes von „Kapital und Arbeit"

Wenn sich die Tarifvertragsparteien auf das 21. Jahrhundert einstellen, dann sollten sie aus dem historischen Gegensatz von Kapital und Arbeit herausgewachsen sein. Sie sollten die Veränderungen der technischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der deutschen Wirtschaft im nationalen und internationalen Wettbewerb auf die Tarifverträge übertragen.

Das Bild des Unternehmens und des Mitarbeiters hat sich gewandelt. Es sind unbestreitbar natürliche Interessengegensätze vorhanden, die auf unterschiedlichen Positionen der Eigentümer eines Unternehmens, der Aktionäre und der Verantwortlichkeit der Führungskräfte beruhen. Jedoch wird diese Keule des Gegensatzes von Kapital und Arbeit viel zu oft - vor allem von der Politik - aus der historischen Schublade hervorgeholt, weil dies zum Teil noch die deutsche Gesellschaft zu beeindrucken und zu beeinflussen vermag.

Die Tarifvertragsparteien sollten - ebenso wie Unternehmen - versuchen, diesen Gegensatz, zu überwinden und durch tarifliche Regelungen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer als mitarbeitende und teilverantwortliche Mitunternehmer behandeln. Die Tarifverträge gehen - ebenso wenig wie die gesetzliche Mitbestimmung - nicht so weit, dass sie den Mitarbeitern die Haftung für die sachgerechte Finanzierung, die Investitionen und den Ausgleich für wirtschaftliche Schwankungen überbürden. Daher wirkt sich eine Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg im Ergebnis zu Gunsten der Mitarbeiter aus.

2.      Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmenserfolg

Eben weil mündige Mitarbeiter viel näher am Unternehmens-geschehen stehen, sollten sie, wenn auch sie den Erfolg des Unternehmens anstreben und aktiv daran beteiligt sind, auch stärker am materiellen Erfolg des Unternehmens beteiligt werden.

Hierfür stehen rechtlich tragfähige Grundlagen zur Verfügung, über die auf diesem Tarifforum zu diskutieren sein wird.

VII.      Was konkret erwartet die deutsche Wirtschaft von den Tarifvertragsparteien?

Die Wirtschaft erwartet von den Tarifvertragsparteien ein soziales, im internationalen, europäischen und globalen Wettbewerb funktionierendes Tarifvertragssystem. Hierzu gehören folgende Parameter:

1.      Entstaubung der Tarifverträge von nicht mehr zeitgemäßen Tarifnormen

Viele Tarifverträge enthalten noch Tarifregelungen aus dem vorigen und vorvorigen Jahrhundert.

Als verstaubt erscheinen beispielsweise starre tages- oder wochenbezogene Arbeitszeiten, Automatismen in der Vergütung und fehlende variable Vergütungsbestandteile sowie nicht differenziert gezahlte Zusatzkomponenten oder die bezahlte Freistellung von der Arbeit bei der Goldenen Hochzeit der Eltern oder Schwiegereltern.

Die Wirtschaft hat Jahrzehnte der Kreativität benötigt, um die Kostenbelastungen aus starren Tarifvertragssystemen und zum Teil verschlackten Tarifvertragssystemen zu überwinden. Jetzt verlangt die deutsche Wirtschaft umgekehrt die Kreativität von den Tarifvertragsparteien, ihre Tarifvertragssysteme zu modernisieren.

2.   Mehr Flexibilität in den Tarifnormen

Die deutsche Wirtschaft benötigt mehr Flexibilität in den Tarifnormen. Die Herausforderungen der deutschen Wirtschaft, wie sie sich in der Gegenwart und in absehbarer Zukunft stellen, erlauben keine starren Tarifregelungen, die den Unternehmen die Beweglichkeit auf dem deutschen und internationalen Markt nehmen. Die Tarifregelungen müssen vielmehr den Unternehmen die Flexibilität geben, auf dem Markt auf schwierige Situationen kurzfristig reagieren zu können und sich rechtzeitig an bevorstehende Veränderungen  anpassen zu können. Wir sind daher gespannt, welche Anregungen und Wegweisungen uns Herr Dr. Reinecke (BAG) auf diesem Tarifforum geben wird.

3.   Keine tariflichen Höchstnormen, sondern tarifliche Mindestnormen

Die Unternehmen der deutschen Wirtschaft, insbesondere der mittelständischen Wirtschaft, erwarten von den Tarifvertragsparteien zur tariflichen Vergütungsordnung, dass sich die linearen Erhöhungen der tariflichen Vergütung nicht - wie allzu oft in den vergangenen Jahrzehnten - nach den ertragsstarken großen Unternehmen orientieren, sondern stärker am Mittelstand ausrichten. Dies entspricht dem so genannten „Geleitzugsystem". Dieses System bedeutet bildlich, dass im Gleitzug die schnelleren wendigen Schiffe die langsameren Schiffe geleiten.

Dies ist das ursprüngliche Gesetzesziel des Tarifvertragsgesetzes. Die Tarifnormen sollen nach dem Gesetz nur Mindestnormen sein. Die schwächeren Unternehmen sollen die Mindestnormen mittragen und die stärkeren Unternehmen nach dem Günstigkeitsprinzip die übertariflichen Freiräume nutzen.

Diese Grundidee des Tarifvertrages ist in den letzten Jahrzehnten von den Tarifvertragsparteien gleichsam verschüttet worden. Die Tarifnormen wurden in der Tarifpraxis der letzten Jahrzehnte von Mindest- zu Höchstnormen. Dies liegt nicht zuletzt auch am Arbeitskampfsystem in Deutschland. Das Nachgeben der Arbeitgeber beruht auf der Sorge, dass andere europäische Unternehmen bei arbeitskampfbedingtem Verzug einspringen und auf Dauer die Aufträge des bestreikten Unternehmens übernehmen. Diese Situation verhalf Deutschland in der Welt zwar zu olympischen Höhen bei den tariflichen Löhnen und der Kürze der tariflichen Arbeitszeit sowie der Dauer des tariflichen Urlaubs. Dieser Zustand führte aber ebenso dazu, dass nicht wenigen Unternehmen der Atem ausging.

Diese Mutation der Tarifnormen von Mindest- und Höchstnormen hatte und hat noch immer die nachteilige Auswirkung, dass die Unternehmer weiter rationalisieren und somit weitere Arbeitsplätze verloren gehen. Dies hat aber auch zur Konsequenz, dass die Politik - egal welcher Couleur - Schutzzäune um Deutschland errichtet. Hierzu wird uns Herr Schliemann seine Position darstellen.

Wie auch immer die politischen Positionen sein mögen:

Die deutsche Wirtschaft erwartet von den Tarifvertragsparteien, dass sie sich auf den Zweck der Tarifnormen als Mindestnormen besinnen.

4.      Ausrichtung der tariflichen Vergütung an der Ertragskraft der tarifungebundenen Unternehmen

Es gibt aber noch andere Wege in die tarifliche Zukunft, über die es in der Tarifpolitik nachzudenken gibt.

Wenn die Tarifvertragsparteien sich dazu entschließen könnten, die linearen Erhöhungen der tariflichen Vergütung differenziert an der unterschiedlichen Ertragskraft der Unternehmen, Betriebe oder Sparten auszurichten, dann wäre ein großer Schritt in die Richtung der tarifpolitischen Zukunft und zur Stärkung der deutschen Wirtschaft getan.

Wahrscheinlich heben bei diesem Vorschlag die Gewerkschaften die Hände zur Abwehr solcher Gedanken hoch. Jedoch gibt es auch für diesen innovativen Weg Lösungen, bei denen die Tarifautonomie nicht ausgehöhlt wird. Ein Beispiel sind die Tarifmodule die jeweils auf einzelne Unternehmensgruppen, Unternehmen oder Sparten zugeschnitten sind.

Einen mutigen Schritt in diese Richtung haben erst im Dezember 2007 die Tarifvertragsparteien im Bereich der Technischen Überwachungs-Vereine gewagt. Sie haben Tarifmodule geschaffen, mit denen tarifliche Bausteine abweichend vom bundeseinheitlichen Vergütungstarifvertrag die zum Teil unterschiedlichen Verhältnisse der tarifgebundenen Unternehmen regeln.

VIII.      Unternehmensethik flankierend für die Marktwirtschaft und die Tarifpolitik

Die Abkehr vom Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und die Hinwendung zum verantwortungsbewusst mitarbeitenden Menschen stellt die Unternehmer vor die Herausforderung, sich flankierend ethische Regeln  aufzuerlegen. Dies gilt zumindest dann, wenn ethisches Handeln in einzelnen Unternehmen oder Konzernen noch nicht genügend durchdacht ist.

1.      Entwicklung einer mitarbeiterorientierten Unternehmensstruktur - Studie des Bundesarbeitsministeriums

Sie haben von der jüngsten Studie des Bundesarbeitsministeriums (November 2007) gehört?

Die Studie kommt zu folgendem Schluss:

Deutsche Unternehmen könnten erfolgreicher sein, wenn sie mehr auf ihre Mitarbeiter eingehen. Das grundsätzlich vorhandene Potenzial werde in den meisten Unternehmen und Organisationen in Deutschland jedoch nicht ausreichend genutzt.

Nötig sei die Entwicklung einer mitarbeiterorientierten Unternehmenskultur.  Solch eine Kultur fördere Engagement, Zufriedenheit und Unternehmenserfolg.

Den größten Einfluss auf das Engagement hätten die Schaffung von Teamgeist, das Erleben von Zugehörigkeit („Wir - Gefühl"), Wertschätzung und gezeigtes Interesse an der Person.

Laut der Studie ist der  Zusammenhang zwischen dem Engagement der Mitarbeiter und dem Unternehmenserfolg zumindest statistisch nachweisbar. Demnach sei die Unternehmenskultur bis zu 31 % für den finanziellen Erfolg des Unternehmens verantwortlich. Entsprechend bewerteten besonders erfolgreiche Unternehmen am häufigsten das Engagement der Mitarbeiter als den wichtigsten Wettbewerbsfaktor. Die weniger erfolgreichen Unternehmen würden lediglich auf den Preis setzen.

Im Einzelnen

Dies sollten wir uns noch etwas genauer ansehen:

Die Studie des Bundesarbeitsministeriums unterscheidet vier Mitarbeitertypen der befragten Arbeitnehmer. Sie werden als

„Passiv- zufriedene", (37 %) „Aktiv- Engagierte"(31 %), „Akut-Unzufriedene" (38 %) und „Desinteressierte"  (14 %) bezeichnet.

            1. Passiv-Zufriedene:

            Die Passiv Zufriedenen bilden mit 37 % der Befragten die größte Gruppe. Sie sind mit ihrer Arbeit insgesamt relativ zufrieden. Sie identifizieren sich überdurchschnittlich mit ihrem Arbeitgeber und zeigen eine relativ hohe Bindung.

Andererseits weisen sie eine nur durchschnittlich ausgeprägte Einsatzbereitschaft auf und achten auch weniger stark darauf, ihr Wissen und ihre Fähigkeit auf dem Laufendem zu halten.

            2. Aktiv - Engagierte:

31 % der Befragten zählen zu den Aktiv-Engagierten. Für sie machen die Forscher eine hohe Arbeitszufriedenheit und eine hohe Identifikation mit ihrem Arbeitgeber aus. Die Aktiv Engagierten möchten noch lange bei ihrem Arbeitgeber bleiben und zeigen dabei die höchste Arbeitsbereitschaft der vier Mitarbeitertypen. Sie identifizieren sich stark mit ihrer Tätigkeit. Für sie ist ihr Beruf mehr als nur ein Mittel, Geld zu verdienen.

            3. Akut - Unzufriedene:

Die drittgrößte Gruppe sind mit 18 % die Akut - Unzufriedenen. Bei ihnen stellt die Untersuchung eine sehr geringe Arbeitszufriedenheit und eine sehr schwache Identifikation mit ihrem Arbeitgeber fest.

Die Akut - Unzufriedenen haben eine extrem geringe Bindung an das Unternehmen und haben bereits eine innere Kündigung ausgesprochen.

Die Gruppe zeigt die geringste Einsatzbereitschaft unter den vier Mitarbeitertypen.

            4. Desinteressierte:

Die Desinteressierten bilden mit 14 % die kleinere Mitarbeiter-gruppe. Sie messen der Berufstätigkeit grundsätzlich geringe Bedeutung zu. Deutlich weniger als die anderen Mitarbeiter-typen sind sie bemüht, ihre Arbeit mit Freude zu erledigen und ihr berufbezogenes Wissen auf dem Laufenden zu halten.

Arbeitszufriedenheit und Engagement der Desinteressierten sind nur unterdurchschnittlich ausgeprägt.

Sie erleben das Unternehmen und die Arbeit aber weniger negativ als die „Akut - Unzufriedenen".

Die Antidiskriminierungsstelle im Bundesfamilienministerium, die auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes gebildet ist, will in naher Zukunft noch stärker herausarbeiten, dass sich ethisches Verhalten lohnt.

Zum einen könnten - so der Vorsitzende der Kommission (Wilms) - ethische Richtlinien zur Befriedung des Unternehmens beitragen, weil z. B. Diskriminierung im Unternehmen oft zu Streit im Unternehmen führt. Zum anderen gehe es um die Außenwirkung. Jedenfalls habe die deutsche Wirtschaft aus seiner Sicht die positive Ausstrahlung der Unternehmenskultur noch nicht recht erkannt.

Ich füge hinzu: Hiervon sollten sich auch die Tarifvertragsparteien angesprochen fühlen.

Wie auch immer die Erkenntnisse dieser nur auf einen Teilbereich der Unternehmensethik ausgerichteten Kommission eines Tages sein werden: Die Unternehmensethik erlangt für die Unternehmen jetzt und in Zukunft eine größere Bedeutung als je zuvor. Dies wird sich nicht zuletzt auch in der Tarifpolitik auswirken.

IX. Fazit

Die Herausforderungen der Tarifpolitik gegenüber der deutschen Wirtschaft verlangen den Tarifvertragsparteien ab, dass sie nicht nur um ihrer selbst willen und zur Bewahrung ihrer Macht die Tarifautonomie wahrnehmen, sondern sich in dem ihnen vom Grundgesetz gelassenen Freiraum der besonderen Verantwortung für den Erhalt und die Zukunftsfähigkeit der Unternehmen und seiner Mitarbeiter bewusst sind.

Dazu gehört in gemeinsamer Verantwortung der Tarifvertragsparteien die ständige Überprüfung der Frage, ob das derzeitige System der Tarifautonomie, das sich in der Vergangenheit bewährt hat, nicht doch neue, an die Mündigkeit der Mitarbeiter und die Realitäten des Marktes angepasste Instrumente zur zukünftigen Gestaltung der Tarifverträge benötigt.

Die Anpassungen an die Veränderungen der Rahmenbedingungen liegen in der gemeinsamen Verantwortung von Tarifvertragsparteien und Unternehmen.

Hierbei erwartet die deutsche Wirtschaft von den Tarifvertragsparteien, dass sie über die Gräben hinweg tragfähige Brücken bauen.

X.      Schlussbemerkung

Ich habe Ihnen meine persönliche Meinung - zugleich meiner Eigen-schaft als Unternehmer und als Vorsitzender eines Tarifträgerverbandes dargelegt.

Wir freuen uns auf eine Vielfalt von Meinungen auf dem Tarifforum 2008.

Denn das Tarifforum soll den Tarifvertragsparteien, Wissenschaftlern, Richtern, Politikern, Unternehmen und Arbeitnehmervertretungen eine Plattform zum Meinungsaustausch und zur Erkenntnis bieten.

Hierzu wünsche ich allen Beteiligten, dass sie neugierig auf die Meinung der anderen sind, sich austauschen und weitere - vielleicht neue - Erkenntnisse mitnehmen.


 

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