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Arbeitsrecht
08.04.2021
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Gegenstandswertfestsetzung in Zustimmungsersetzungsverfahren

LAG Nürnberg, Beschluss vom 18.1.2021 – 2 Ta 154/20

Volltext des Beschlusses: BB-ONLINE BBL2021-895-1

Leitsätze

1. Bei der Bewertung von Verfahren nach §§ 99 Abs. 4, 100 und 101 BetrVG geht das Beschwerdegericht in ständiger Rechtsprechung vom Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2, 2. Halbsatz RVG aus (II.14.2.1 Streitwertkatalog.). Dabei ist der Zustimmungsersetzungsantrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG grundsätzlich bei einer Einstellung von bis zu drei Monaten mit 1/3 des Hilfswertes, von über drei Monaten bis zu sechs Monaten mit 2/3 des Hilfswertes und von über sechs Monaten mit dem vollen Hilfswert zu bewerten.

2. Nur die Einstellung im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses rechtfertigt eine ggf. weitere Halbierung des Hilfswertes.

3. Liegt ein Massenverfahren vor, wird die erste Einstellung mit dem zuvor ermittelten vollen Wert bewertet; die 2. bis 20. Einstellung mit 25 %, die 21. bis 50. Einstellung mit 12,5 %, alle weiteren Einstellungen mit 10 % dieses Wertes (vgl. II.14.7 Streitwertkatalog).

4. Der Antrag nach § 100 BetrVG wird mit dem halben Wert des jeweiligen Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG bewertet (II.14.5 Streitwertkatalog).

BetrVG, 23, 33 RVG, Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit (NZA 2018, 489) §§ 99 ff.

Sachverhalt

A. Die Beteiligten stritten um Zustimmungsersetzung zu ca. viermonatigen Einstellungen als Verkaufskraft nach § 99 Abs. 4 BetrVG für insgesamt fünf Mitarbeiter und die Feststellung der Dringlichkeit der vorläufigen Einstellungen nach § 100 BetrVG. Ein Mitarbeiter sollte 25 Wochenstunden beschäftigt werden, zwei Mitarbeiter je 20 Wochenstunden und zwei Mitarbeiter als geringfügig Beschäftigte je acht Wochenstunden. Die Zustimmungsverweigerungsgründe waren identisch.

Nach Erledigterklärung der Beteiligten stellte das Arbeitsgericht das Verfahren ein.

Mit Beschluss vom 24.08.2020 setzte das Arbeitsgericht den Gegenstandswert auf 7.500,- € fest. Da es sich um befristete Teilzeitarbeitsverhältnisse handelte, legte das Arbeitsgericht für den ersten Mitarbeiter für den Zustimmungsersetzungsantrag den halben Ausgangswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG zugrunde, also 2.500,- € und für den Feststellungsantrag 1.250,- €, insgesamt also 3.750,- €. Für die weiteren Mitarbeiter setzte das Arbeitsgericht je ¼ dieses Wertes an.

Gegen diesen ihnen am 28.08.2020 zugestellten Beschluss legten die Vertreter des antragsgegnerischen Betriebsrats mit Schriftsatz vom 11.09.2020, eingegangen beim Arbeitsgericht am selben Tag, Beschwerde ein. Bei der Bemessung des Gegenstandswertes sei von 5.000,- € auszugehen. Die vom Arbeitsgericht begründete Absenkung aufgrund der Befristung und dem zeitlichen Umfang der Arbeitsverhältnisse stellten mangels Bezug zum Streitgegenstand keinen wertbildenden Faktor dar.

Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 10.12.2020 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor.

Das Landesarbeitsgericht räumte den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 15.01.2020 ein. Auf die Stellungnahmen wird verwiesen.

Aus den Gründen

B. I. Die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners ist zulässig.

Gegen einen Beschluss, durch den der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit gemäß § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt worden ist, findet gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG eine Beschwerde dann statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Auf Grund der Begründung im Festsetzungsantrag geht das Gericht davon aus, dass eine Erhöhung des Gegenstandswerts auf 31.250,- € begehrt wird (5.000,- € je Mitarbeiter für die Zustimmungsersetzungsanträge, je 1250,- € für die Feststellungsanträge). Bereits die einfache Gebührendifferenz nach Anlage 2 zum RVG in der bis zum 31.12.2020 geltenden Fassung beliefe sich dann auf 482,- €. Die Beschwerde ist auch innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung des angegriffenen Beschlusses beim Erstgericht eingegangen, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Den Verfahrensbevollmächtigten des Antragsgegners steht ein eigenes Beschwerderecht zu, § 33 Abs. 2 Satz 1 RVG. Zwar ist die Beschwerde nach ihrem Wortlaut namens und in Vollmacht des Antragsgegners erhoben und nicht in eigenem Namen. Der Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts ist aber in eigenem Namen erhoben („beantragen wir“). Und aus der Begründung der Beschwerde ergibt sich, dass eindeutig eine Erhöhung des Gegenstandswerts erstrebt wird. Mit diesem Ziel könnte der Antragsgegner selbst eine Beschwerde mangels Beschwer nicht zulässig erheben (LAG Köln 21.10.2013 – 7 Ta 231/13 juris; Schleusener in GK-ArbGG, § 12 ArbGG, Stand Nov. 2020, Rn 490). Das Beschwerdegericht legt die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten daher als im eigenen Namen erhoben aus.

II. Die Beschwerde ist teilweise begründet.

1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg berücksichtigt im Rahmen des ihr nach §§ 33 Abs. 3, 23 Abs. 3 Satz 2 RVG eingeräumten Ermessens die Vorschläge der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 09.02.2018, NZA 2018, 498). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.

a. Die Anträge auf Zustimmungsersetzung nach § 99 Abs. 4 BetrVG und Feststellung nach § 100 BetrVG sind nach ständiger Rechtsprechung des LAG Nürnberg und insbesondere der erkennenden Beschwerdekammer nichtvermögensrechtlicher Natur. Dabei sind entscheidend für die Bewertung die Aspekte des Einzelfalls, z.B. Dauer und Bedeutung der Maßnahme und die wirtschaftlichen Auswirkungen, die zur Erhöhung oder Verminderung des Wertes führen können. Ausgangspunkt für die Bewertung ist dabei der Hilfswert des § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG und nicht das zu zahlende Entgelt (z.B. LAG Nürnberg 20.12.2013 – 2 Ta 156/13; 21.09.2015 – 4 Ta 113/15; 15.01.2016 – 7 Ta 123/15; vgl. II.14.1. und 14.2.1 Streitwertkatalog).

b. Zutreffend hat das Arbeitsgericht den Wert des im gleichen Verfahren anhängigen Antrags nach § 100 BetrVG mit 50 % des Ausgangswertes angesetzt (s. Streitwertkatalog II.14.5). Dies ist auch sachgerecht, da der Antrag nach § 100 BetrVG weit weniger reicht als der Antrag nach § 99 Abs. 4 BetrVG.

c. . Da die Dauer der beabsichtigen Einstellung typischer Weise auch mit deren wirtschaftlicher Bedeutung korrespondiert, vertritt die Beschwerdekammer in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass bei einer Einstellung bis zu drei Monaten 1/3 des Hilfswertes, von über drei Monaten bis zu sechs Monaten 2/3 des Hilfswertes und von über sechs Monaten der volle Hilfswert angesetzt werden kann (z.B. LAG Nürnberg 20.12.2013 – 2 Ta 156/13; vgl. auch LAG Nürnberg 21.09.2015 – 4 Ta 113/15 und 15.01.2016 – 7 Ta 123/15).

d. Eine (ggf. weitere) Herabsetzung des Gegenstandswerts wegen der Teilzeitbeschäftigung ist nur bei geringfügig Beschäftigten (sog. Minijobbern) angezeigt (vgl. auch LAG Düsseldorf 21.09.2020 – 4 Ta 284/20 Rn 18, juris). Hier ist einerseits die grundsätzliche Wertung des Betriebsverfassungsgesetzes zu beachten, das für die Größe des Betriebsrats sowie für verschiedene Schwellenwerte (etwa in §§ 99, 111 BetrVG) stets auf die Kopfzahl der Arbeitnehmer abstellt. Andererseits ist die wirtschaftliche Bedeutung der Beschäftigung eines Minijobbers regelmäßig deutlich geringer als eine reguläre sozialversicherungspflichtige Beschäftigung. Für die Einstellung von Minijobbern hält die Beschwerdekammer daher eine weitere Herabsetzung von 50 % des Ausgangswertes für angemessen.

e. Die Beschwerdekammer folgt auch der Empfehlung des Streitwertkatalogs zu einer gestaffelt reduzierten Bewertung von Massenanträgen bei objektiver Antragshäufung und wesentlich gleichem Sachverhalt, insbesondere bei einer einheitlichen unternehmerischen Maßnahme und parallelen Zustimmungsverweigerungsgründen (1. Fall: 100 %, 2. bis 20. Fall: 25 %; 21. bis 50. Fall: 12,5%; ab dem 51. Fall: 10 %, vgl.II.14.7 Streitwertkatalog und LAG Nürnberg a.a.O.).

2. In Anwendung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall ein Gegenstandswert von 8.750,- € festzusetzen.

a. Für die erste betroffene Arbeitnehmerin ist der Auffangwert von 5.000,- € für den Zustimmungsersetzungsantrag wegen der beabsichtigten Beschäftigung von 4 Monaten auf 2/3 zu kürzen, also auf 3.333,33 €. Die Bewertung des Antrags nach § 100 BetrVG mit der Hälfte dieses Wertes führt zu einem Gegenstandswert von 5.000,- €.

b. Die Maßnahmen sind gleichgelagert. Es ging um Einstellungen von Mitarbeitern im Verkauf für jeweils 4 Monate. Die Zustimmungsverweigerungsgründe sind identisch. Für die weiteren vier Einstellungen ist der Ausgangswert von 5.000,- € daher auf 25 % herabzusetzen. Dies ergibt für zwei weitere mit 25 bzw. 20 Wochenstunden beschäftigte Arbeitnehmer jeweils einen Gegenstandswert von 1.250,- €. Die zwei übrigen Arbeitnehmer sollten für vier Monate als Minijobber eingestellt werden. Für diese beiden ist eine weitere Kürzung um 50 % angezeigt, so dass der Gegenstandswert jeweils 625,- € beträgt.

c. Insgesamt ergibt sich somit ein Gegenstandswert von 8.750,- € (5.000,- € + 1250,- € + 1250,- € + 625,- € + 625,- €).

III. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.

IV. Eine Kostenentscheidung ist im Hinblick auf § 33 Abs. 9 RVG nicht erforderlich. Da die Beschwerde nur teilweise und in geringem Umfang erfolgreich war, war eine Gebührenermäßigung nach GKG-KV Nr. 8614 nicht veranlasst.

 

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