LAG Köln : Gegenstandswert bei Aufsichtsratswahlanfechtung
LAG Köln, Beschluss vom 5.6.2019 – 2 Ta 92/19
ECLI:DE:LAGK:2019:0605.2TA92.19.00
Volltext: BB-ONLINE BBL2019-1651-5
Amtlicher Leitsatz
Die Ermessensentscheidung zum Gegenstandswert der Anfechtung der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat lässt sich analog der Staffeln aus § 9 BetrVG nach der dort wiedergegebenen Zahl der Beschäftigten begründen. Da der Aufsichtsrat nur drei Größen kennt, erscheint die Zahl der von einer Neuwahl betroffenen Wahlberechtigten der am ehesten geeignete Anknüpfungspunkt.
§ 23 RVG
Sachverhalt
1. Die Beteiligten streiten im betriebsverfassungsrechtlichen Beschlussverfahren darum, ob die Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat der Beteiligten zu 4) wirksam angefochten werden kann.
In ihrem Geschäftsbericht 2018 hat die Beteiligte zu 4) ausgeführt, dass sie im Jahr 2018 3.344 Mitarbeiter beschäftigte. Insgesamt waren sechs Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat zu wählen.
Während die Prozessbevollmächtigten der Beteiligten zu 1) bis 3) zunächst einen Gegenstandswert von 500.000,00 EUR aus § 247 AktG herleiten wollten, vertrat die Beteiligte zu 4) die Ansicht, der Gegenstandswert der Anfechtung einer Wahl zum Aufsichtsrat müsse sich analog der Anfechtung einer Betriebsratswahl berechnen.
Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert wegen der Bedeutung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat auf die Hälfte des Höchstwertes festgesetzt.
Aus den Gründen
II. Die zulässige und fristgerechte Beschwerde der Beteiligten zu 4) ist begründet.
Da im vorliegenden Verfahren nach § 23 RVG zu entscheiden ist und Gerichtsgebühren nicht erhoben werden, ist nach § 23 Abs. 3 RVG eine Ermessensentscheidung zu treffen. Der Ermessensrahmen liegt bei nichtvermögensrechtlichen Streitgegenständen mangels genügender tatsächlicher Anhaltspunkte für einen konkreten Gegenstandswert bei dem Hilfswert von 5.000,00 EUR, der nach Lage des Falles niedriger oder höher anzusetzen ist und darf insgesamt 500.000,00 EUR nicht überschreiten.
Eine Orientierung an § 247 AktG scheidet dabei zunächst aus, da diese Streitwertregelung die Anfechtung von Hauptversammlungsbeschlüssen betrifft. Das Aktiengesetz stellt damit auf die Auswirkung der Beschlüsse ab. Deren Bedeutung orientiert sich in der Regel am Kapital der Gesellschaft. Vorliegend geht es um die richtige Zusammensetzung der Arbeitnehmerseite des Aufsichtsrates, insbesondere um die Einhaltung eines ordnungsgemäßen Wahlverfahrens.
Da auch im Rahmen von Ermessensentscheidungen alle Beteiligten über den Einzelfall hinaus ein Interesse daran haben, eine verlässliche, angemessene aber auch strukturierte Gegenstandsregelung zu erhalten, um zukünftig die Kostenrisiken eines Verfahrens besser vorhersehen zu können, ist es nach Ansicht der Beschwerdekammer des LAG Köln unerlässlich, die Bedeutung der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat an der Anzahl der Wahlberechtigten festzumachen. Je mehr Arbeitnehmer berechtigt sind, einen Aufsichtsrat mit zu wählen, desto größer sind die Auswirkungen, wenn Wahlfehler unterlaufen, die eine Neuwahl erforderlich machen. Auch sind die Kosten und organisatorischen Erfordernisse einer Neuwahl abhängig von der Anzahl der wahlberechtigten Mitarbeiter. Damit sind die Ermessenskriterien denjenigen ähnlich, die bei der Wertfestsetzung einer Betriebsratswahlanfechtung zum Tragen kommen. Allerdings kann nicht auf die Anzahl der zu wählenden Arbeitnehmer abgestellt werden, da es bei der Wahl zum Aufsichtsrat nur drei verschiedene Aufsichtsratsgrößen gibt.
Jedoch können die Staffeln aus § 9 BetrVG im Hinblick auf die beschäftigten Mitarbeiter sehr wohl für die Bedeutung der Aufsichtsratswahl herangezogen werden. Da in § 9 BetrVG auch keine Obergrenze hinsichtlich der wahlberechtigten Mitarbeiter gegeben ist, sondern sich die Staffeln bei mehr als 9.000 Mitarbeitern für je weitere 3.000 Arbeitnehmer fortschreiben, ergibt das Abstellen auf die Zahl der Mitarbeiter eine realistische Spiegelung der Bedeutung der Aufsichtsratswahl.
Dies steht nicht im Widerspruch zu der Entscheidung des BAG vom 17.05.2017 - Az. 7 ABR 22/15. Zunächst kann dieser Entscheidung überhaupt kein Gegenstandswert entnommen werden. Zudem ergibt sich aus den dort wiedergegebenen Gründen, dass es sich um ein Unternehmen handelte, welches 65.000 Mitarbeiter beschäftigt.
Geht man damit von der zur Betriebsratswahlanfechtung entwickelten Streitwertberechnung aus, so ergibt sich vorliegend grundsätzlich ein Gegenstandswert von 37.500,00 EUR. Für die erste Staffel wird der doppelte Hilfswert zu Grunde gelegt. Danach ergibt sich bei 3344 Wahlberechtigten eine Steigerung um 11 Staffeln, die mit dem halben Hilfswert berücksichtigt werden, also 11 × 2.500,00 EUR.
Selbst wenn man versuchen würde, für die Bedeutung der Wahl auf den Einfluss des zu wählenden Gremiums abzustellen und dieses in einem Gegenstandswert abzubilden, so kann nicht gesagt werden, dass ein von bis zu 3.500 Arbeitnehmern gewählter 23 Mitglieder umfassender Betriebsrat weniger bedeutsam wäre als sechs von bis zu 3.500 Arbeitnehmern gewählte Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Auch dies spricht also für eine gleiche Bewertung der Wahlanfechtungsverfahren.
Da die Beteiligte zu 4 selber keine Absenkung unter den Wert von 45.000,00 EUR gefordert hat, wurde dieser Antrag bei der Neufestsetzung nicht unterschritten.
Gegen diese Entscheidung ein Rechtsmittel nicht gegeben.