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Arbeitsrecht
10.08.2017
Arbeitsrecht
LAG Hessen: Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegenüber Arbeitgeber setzt dessen Inanspruchnahme als Gläubiger voraus

LAG Hessen, Beschluss vom 24.4.2017 – 16 TaBV 238/16

Amtliche Leitsätze

Ein Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber setzt voraus, dass dieser (der Betriebsrat) von seinem Gläubiger in Anspruch genommen worden ist. Dies erfordert eine Rechnungsstellung an den Betriebsrat. Eine Übersendung der Rechnung an den Arbeitgeber reicht nicht aus.

Volltext: BB-ONLINE BBL2017-1908-5

unter www.betriebs-berater.de

Sachverhalt

Der Antragsteller, eine Rechtsanwaltskanzlei, macht aus abgetretenem Recht gegenüber dem Arbeitgeber (Beteiligter zu 2) einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren geltend.

Im Betrieb des Arbeitgebers fand im April 2013 eine Betriebsratswahl statt, die vom Arbeitgeber erfolgreich angefochten wurde (ArbG Kassel 9 BV 5/13; Hess. LAG 9 TaBV 163/13, der Vertreterin des Betriebsrats zugestellt am 11. April 2014, Bl. 232 der beigezogenen Akte 9 TaBV 163/13). Eine Neuwahl des Betriebsrats fand in der Folgezeit nicht statt.

Ferner begehrte der Betriebsrat mit einem am 2. Dezember 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Errichtung einer Einigungsstelle. Das Arbeitsgericht Kassel gab dem Antrag des Betriebsrats am 11. Dezember 2013 statt (1 BV 2/13). Das Hessische Landesarbeitsgericht (4 TaBV 2/14) änderte auf die Beschwerde des Arbeitgebers den Beschluss des Arbeitsgerichts am 18. Februar 2014 ab und wies den Antrag zurück.

Mit Beschluss vom 15. Februar 2015 trat der Betriebsrat seinen Freistellungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber im Hinblick auf die Rechtsanwaltskosten des Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht Kassel 1 BV 2/13 sowie der Beschlussverfahren vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht 9 TaBV 163/13 und 4 TaBV 2/14 bis zu einem Gesamtbetrag in Höhe einer Hauptforderung von insgesamt 4699,36 € zuzüglich Nebenforderungen an den Antragsteller ab; insoweit wird auf Bl. 77 der Akten Bezug genommen.

Unter dem 23. Juni 2014 (Bl. 233, 234 d.A.) bzw. 25. August 2014 (Bl. 235 der Akten) übersandte die Rechtsanwaltskanzlei dem Betriebsrat mit der Bitte um Weiterleitung an den Arbeitgeber Gebührenrechnungen hinsichtlich der genannten Beschlussverfahren (Bl. 65, 69, 73 der Akten). Das Adressfeld der Rechnungen lautet jeweils:

An die

AGmbH

xxxx

xxxx

Eine Zahlung erfolgte trotz an den Arbeitgeber gerichteter Mahnungen nicht.

Im vorliegenden Beschlussverfahren macht der Antragsteller die Gebührenforderungen aus den Verfahren 1 BV 2/13 (ArbG Kassel), 4 TaBV 2/14 und 9 TaBV 163/13 (jeweils Hess. LAG) gegenüber dem Arbeitgeber geltend.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. der Gründe (Bl. 179-187 d.A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag im Wesentlichen stattgegeben; diesbezüglich wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 187-195 der Akten) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Vertreter des Arbeitgebers am 26. August 2016 zugestellt. Er hat dagegen am 26. September 2016 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 26. November 2016 am 28. November 2016 (Montag) begründet.

Der Arbeitgeber rügt, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die genannten Verfahren vom Betriebsrat mutwillig und ohne jede Erfolgsaussicht geführt worden seien.

Der Arbeitgeber beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Kassel vom 28. Juli 2016 - 9 BV 3/16 - abzuändern und die Anträge zurückzuweisen.

Der Antragsteller beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Nachdem das Landesarbeitsgericht mit Verfügung vom 5. Dezember 2016 unter Verweis auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 4. Juni 2003 - 7 ABR 42/02 - darauf hingewiesen hatte, dass deshalb Bedenken hinsichtlich einer Forderung gegen den Betriebsrat bestehen, weil die Honorarrechnungen unmittelbar dem Arbeitgeber zugeleitet wurden, ist der Antragsteller der Auffassung, es reiche aus dass die an den Arbeitgeber adressierten Rechnungen dem Betriebsrat mit der Bitte um Weiterleitung an den Arbeitgeber übersandt wurden. Die erfolgte Abtretung des Freistellungsanspruchs an den Antragsteller sei wirksam. Die Rechtsanwaltsvergütung sei nach § 8 Abs. 1 S. 1 RVG auch fällig, da die Verfahren erledigt seien. Eine offensichtlich aussichtslose oder mutwillige Rechtsverfolgung des Betriebsrats habe in keinem der genannten Fälle vorgelegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

1. Die Beschwerde ist statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde ist begründet. Dem Antragsteller steht kein Anspruch auf Erstattung der von ihm gegenüber dem Arbeitgeber gestellten Rechnungen aus § 40 Abs. 1 BetrVG i.V.m. § 398 BGB zu.

Zwar bleibt der Betriebsrat in entsprechender Anwendung von § 22 BetrVG, § 49 Abs. 2 BGB auch nach dem Ende seiner Amtszeit befugt, noch nicht erfüllte Kostenerstattungsansprüche gegen den Arbeitgeber weiterzuverfolgen und an den Gläubiger abzutreten (Bundesarbeitsgericht 24. Oktober 2001 - 7 ABR 20/00).

Ein Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber setzt jedoch voraus, dass dieser (der Betriebsrat) von seinem Gläubiger insoweit in Anspruch genommen worden ist. Dies setzt eine Rechnungsstellung voraus. Eine Übersendung der Rechnung an den Arbeitgeber reicht insoweit nicht aus. Vielmehr muss der Betriebsrat selbst wegen der Rechnung in Anspruch genommen worden sein (Bundesarbeitsgericht 4. Juni 2003 - 7 ABR 42/02 - Rn. 12 hinsichtlich der Kostenerstattung für eine Schulungsteilnahme). Dies gilt auch für die Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren, die im Wege der Abtretung des Freistellungsanspruchs des Betriebsrats von dessen Rechtsanwalt geltend gemacht werden.

Ihre volle Wirkung kann eine Abtretung erst entfalten, wenn und sobald alle Voraussetzungen für die Entstehung der Forderung in der Person des Veräußerers erfüllt sind (Bundesgerichtshof 5. Dezember 2007 - XII ZR 183/05 - Rn. 33; 19. September 1983 - II ZR 12/83 - Rn. 10). Gemäß §10 Abs. 1 S. 1 RVG kann der Rechtsanwalt die Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Hieraus folgt, dass erst dann wenn in der Person des Betriebsrats als Auftraggeber die Voraussetzung einer unterzeichneten Vergütungsrechnung des Rechtsanwalts nach § 10 RVG vorliegt, die erfolgte Abtretung des Freistellungsanspruchs ihre Wirkung entfalten kann. Ohne Erstellung einer Gebührenrechnung gegenüber dem Auftraggeber braucht dieser nicht zu zahlen (Hartmann, Kostengesetze, 47. Aufl., § 10 RVG, Rn. 5 und 21). Dies gilt unabhängig von der Fälligkeit nach § 8 RVG. Dementsprechend verlangen Rechtsprechung und Literatur auch im Falle einer durch Abtretung des Freistellungsanspruchs geltend gemachten Gebührenforderung des Rechtsanwalts gegenüber dem Arbeitgeber eine vorherige Rechnungsstellung an den Betriebsrat (Hess. LAG 31. Januar 2008 - 9 TaBV 113/07; LAG Hamm 7. August 2015 - 13 TaBV 18/15 - Rn. 31; LAG Hamm 16. Mai 2007 - 10 TaBV 101/06 - Rn. 90; Bram, Freistellungsanspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs. 1 BetrVG und Anwaltsvergütung - aktuelle Probleme, in: Festschrift für Gerhard Etzel, 2011, Seite 78).

Diesen Anforderungen genügt die Rechnungsstellung des Antragstellers nicht. Adressat der Rechnung ist, wer in der Rechnung als Schuldner der Forderung benannt wird. Dies ergibt sich aus dem Inhalt der Rechnung selbst, regelmäßig aus deren Adressfeld. Danach sind die streitgegenständlichen Rechnungen ausdrücklich an den Arbeitgeber ("An die A GmbH") gerichtet. Dass die Rechnungen dem Arbeitgeber über den Betriebsrat zugeleitet wurden ("mit der Bitte um Weiterleitung zwecks Erstattung") ist unerheblich. Insoweit wurde der Betriebsrat lediglich als Bote des Antragstellers tätig. Eine Zahlungsverpflichtung des Betriebsrats sollte hierdurch nicht begründet werden.

Eines weiteren gerichtlichen Hinweises bedurfte es nicht. Der Vorsitzende hat im Zusammenhang mit der Terminierung die Beteiligten ausdrücklich auf seine Rechtsauffassung hingewiesen (Bl. 244R der Akten). Der Antragsteller hat sich damit auch auseinandergesetzt, ohne jedoch die erforderlichen Vergütungsrechnungen gegenüber dem Betriebsrat nachzureichen. Die Kammer musste nicht darauf hinweisen, dass sie an der vom Vorsitzenden bereits angekündigten Rechtsauffassung festhält.

III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, § 92 Abs. 1, § 72 ArbGG.

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