R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
13.02.2025
Arbeitsrecht
BAG: Freigestelltes Betriebsratsmitglied – Vergütungsanpassung – Beteiligung des Betriebsrats

BAG, Beschluss vom 26.11.2024 – 1 ABR 12/23

ECLI:DE:BAG:2024:261124.B.1ABR12.23.0

Volltext: BB-Online BBL2025-435-1

 

Leitsatz

Bei einer Anpassung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG steht dem Betriebsrat kein Mitbeurteilungsrecht nach § 99 BetrVG zu.

Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten über eine Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Einleitung eines Zustimmungsverfahrens.

Die Arbeitgeberin, die regelmäßig mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt, unterhält in L zwei Autohäuser. Für diese ist der antragstellende Betriebsrat gebildet.

Die Arbeitgeberin vergütete den von seiner beruflichen Tätigkeit freigestellten Vorsitzenden des Betriebsrats bis Ende Mai 2020 entsprechend der Vergütungsgruppe VI des Vergütungstarifvertrags für die Beschäftigten der Mitgliedsbetriebe der Tarifgemeinschaft Mitteldeutsches Kraftfahrzeuggewerbe in Sachsen (TV). Nachdem er im März 2021 ein – für die Übernahme der Position des Werkstattleiters erforderliches – „A Führungskräftepotenzial Assessment Center“ absolviert hatte, zahlte die Arbeitgeberin ihm rückwirkend ab dem 1. Juni 2020 ein Entgelt entsprechend der für diese Tätigkeit einschlägigen Vergütungsgruppe VIII TV.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, er hätte bei der Anpassung des Arbeitsentgelts seines Vorsitzenden nach § 99 Abs. 1 BetrVG beteiligt werden müssen.

Er hat beantragt,

die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihn bei der Eingruppierung des Betriebsratsvorsitzenden J in die Vergütungsgruppe VIII gemäß § 99 BetrVG zu beteiligen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat gemeint, die Anpassung der Vergütung freigestellter Betriebsratsmitglieder sei keine Ein- oder Umgruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

Das Arbeitsgericht hat der Arbeitgeberin aufgegeben, die Zustimmung des Betriebsrats nach § 99 BetrVG einzuholen und im Fall einer beachtlichen Zustimmungsverweigerung das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen. Das Landesarbeitsgericht hat – auf die Beschwerde der Arbeitgeberin – den Antrag auf Durchführung eines Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG bei beachtlicher Zustimmungsverweigerung als unzulässig abgewiesen. Im Übrigen hat es die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer – nur für sie zugelassenen – Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die vollständige Antragsabweisung.

Aus den Gründen

8          B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Beschwerde zu Unrecht teilweise zurückgewiesen. Der Antrag des Betriebsrats ist insgesamt unbegründet.

 

9          I. Gegenstand des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist nur noch das Begehren des Betriebsrats auf Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG. Zwar war sein auf eine „Beteiligung“ nach § 99 BetrVG gerichteter Antrag in den Vorinstanzen zusätzlich darauf gerichtet, dass der Arbeitgeberin aufgegeben wird, bei einer beachtlichen Zustimmungsverweigerung das Zustimmungsersetzungsverfahren durchzuführen (vgl. zu diesem rechtsschutzgewährenden Antragsverständnis nur BAG 14. Februar 2023 – 1 ABR 9/22 – Rn. 12). Das Landesarbeitsgericht hat den nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch insoweit zulässigen Antrag jedoch – unzutreffend – abgewiesen, ohne dass der Betriebsrat hiergegen Anschlussrechtsbeschwerde (§ 92 Abs. 2 Satz 1, § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 554 ZPO) eingelegt hätte.

 

10        II. Der Betriebsrat kann die Einleitung eines Verfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht verlangen.

 

11        1. Nach § 101 Satz 1 BetrVG kann der Betriebsrat für den Fall, dass der Arbeitgeber eine personelle Maßnahme iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ohne seine Zustimmung durchführt, beim Arbeitsgericht beantragen, diesem aufzugeben, die personelle Maßnahme aufzuheben. Die Norm soll die Einhaltung des Beteiligungsrechts nach § 99 Abs. 1 BetrVG sichern. Daher hat der Betriebsrat bei Ein- und Umgruppierungen – als bloße Akte der Rechtsanwendung, deren „Aufhebung“ im wörtlichen Sinn nicht möglich ist – entsprechend § 101 Satz 1 BetrVG einen Anspruch, dem Arbeitgeber die Einleitung eines Zustimmungsverfahrens nach § 99 Abs. 1 BetrVG oder – nach dessen Abschluss – die Durchführung eines Verfahrens nach § 99 Abs. 4 BetrVG aufzugeben (st. Rspr., vgl. BAG 14. Februar 2023 – 1 ABR 9/22 – Rn. 16 mwN; 14. April 2015 – 1 ABR 66/13 – Rn. 20 mwN, BAGE 151, 212).

 

12        2. Bei einer Anpassung des Entgelts eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG handelt es sich jedoch nicht um eine – nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG der Mitbeurteilung des Betriebsrats unterliegende – Ein- oder Umgruppierung.

 

13        a) Eine Eingruppierung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist die – erstmalige oder erneute – Einreihung eines Arbeitnehmers in eine betriebliche Vergütungsordnung. Eine Umgruppierung ist jede Änderung dieser Einreihung (vgl. nur BAG 23. Februar 2021 – 1 ABR 4/20 – Rn. 27 mwN, BAGE 174, 87). Beide personellen Einzelmaßnahmen bestehen in der Zuordnung der zu verrichtenden Tätigkeit eines Arbeitnehmers zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung nach Maßgabe der dafür vorgesehenen Kriterien (st. Rspr., vgl. BAG 29. Januar 2020 – 4 ABR 8/18 – Rn. 14; 23. Januar 2019 – 4 ABR 56/17 – Rn. 19).

 

14        b) An einer solchen Zuordnung fehlt es, wenn das Arbeitsentgelt eines freigestellten Betriebsratsmitglieds nach § 37 Abs. 4 oder § 78 Satz 2 BetrVG erhöht wird. Der Arbeitgeber nimmt keine Einreihung der auszuübenden Tätigkeit in eine Vergütungsordnung vor. Vielmehr erfolgt die Entgeltanpassung in diesen Fällen entweder entsprechend der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer oder zur Vermeidung einer Benachteiligung, weil das Betriebsratsmitglied nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine höher vergütete Position aufsteigen konnte.

 

15        aa) Nach § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG darf das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Die Norm gewährt einem Betriebsratsmitglied einen Anspruch auf Erhöhung seines Entgelts in dem Umfang, in dem das Entgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung steigt (BAG 14. Oktober 2020 – 7 AZR 286/18 – Rn. 21 mwN). Dabei wird der betreffende Arbeitnehmer nicht in eine Vergütungsordnung eingereiht. Es findet nur eine Anpassung seines Arbeitsentgelts mit Blick auf dasjenige vergleichbarer Arbeitnehmer statt, ohne dass § 37 Abs. 4 BetrVG dem Betriebsratsmitglied allerdings eine der Höhe nach absolut gleiche Vergütung garantiert (vgl. BAG 18. Januar 2017 – 7 AZR 205/15 – Rn. 15). Damit wird sichergestellt, dass die Entgeltentwicklung des Betriebsratsmitglieds während der Dauer seiner Amtszeit nicht hinter derjenigen zurückbleibt, die vergleichbare Arbeitnehmer nach den betriebsüblichen Umständen durchlaufen (vgl. BAG 23. November 2022 – 7 AZR 122/22 – Rn. 27; 22. Januar 2020 – 7 AZR 222/19 – Rn. 20 mwN).

 

16        bb) Auch bei einer Entgeltanpassung nach § 78 Satz 2 BetrVG erfolgt keine Einreihung des freigestellten Betriebsratsmitglieds in eine Vergütungsordnung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Nach dem allgemeinen Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber den Mitgliedern der in § 78 Satz 1 BetrVG genannten Arbeitnehmervertretungen eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die sie ohne ihre Amtstätigkeit durchlaufen hätten. Dies betrifft nicht nur die berufliche Tätigkeit, sondern auch das sich aus ihr ergebende Entgelt. Stellt sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit dar, kann ein Betriebsratsmitglied, das nur infolge der Amtsübernahme nicht in eine Position mit höherer Vergütung aufgestiegen ist, den Arbeitgeber nach § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 611a Abs. 2 BGB unmittelbar auf Zahlung des höheren Entgelts in Anspruch nehmen (st. Rspr., vgl. BAG 20. Januar 2021 – 7 AZR 52/20 – Rn. 23; 22. Januar 2020 – 7 AZR 222/19 – Rn. 29 mwN). Auch in diesem Fall findet keine Zuordnung einer vom Arbeitnehmer auszuübenden Tätigkeit zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung statt. Dies gilt selbst dann, wenn sich das Arbeitsentgelt für die höher vergütete Position – wie hier – nach einer betrieblichen Vergütungsordnung richtet. Auch in diesem Fall werden nicht – wie für eine Ein- oder Umgruppierung erforderlich – die zu verrichtenden Arbeitsaufgaben des Betriebsratsmitglieds, sondern lediglich ein möglicher Arbeitsplatz bewertet. Die personenunabhängige – abstrakte – Bewertung von Arbeitsplätzen oder Tätigkeiten fällt nicht unter § 99 BetrVG (vgl. BAG 1. Juni 2011 – 7 ABR 138/09 – Rn. 32; 12. Januar 2011 – 7 ABR 15/09 – Rn. 24 mwN).

 

17        c) Entgegen der Ansicht des Betriebsrats gebieten Sinn und Zweck von § 99 BetrVG kein abweichendes Normverständnis. Die im Gesetz vorausgesetzte Pflicht des Arbeitgebers zur Ein- und Umgruppierung und die in § 99 BetrVG vorgesehene Beteiligung des Betriebsrats dienen der einheitlichen und zutreffenden Anwendung der betrieblichen Vergütungsordnung und sorgen auf diese Weise für Transparenz und innerbetriebliche Lohngerechtigkeit. Der Arbeitgeber soll prüfen, welcher Gruppe und ggf. Stufe der im Betrieb geltenden Vergütungsordnung die Tätigkeit des Arbeitnehmers zuzuordnen ist, und diese Beurteilung gemeinsam mit dem Betriebsrat vornehmen (vgl. BAG 14. Februar 2023 – 1 ABR 9/22 – Rn. 28). Dieser Zweck kommt nicht zum Tragen, wenn das Arbeitsentgelt nicht durch die Zuordnung der zu verrichtenden Tätigkeit zu einer bestimmten Gruppe einer Vergütungsordnung, sondern nach – davon unabhängigen – gesetzlichen Vorgaben festgelegt wird.

 

stats