R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
27.06.2024
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Entgeltfortzahlungsanspruch – Eigenkündigung – Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Erschütterung des Beweiswertes

LAG Nürnberg, Urteil vom 5.3.2024 – 7 Sa 223/23

Volltext: BB-Online BBL2024-1587-2

Leitsatz

Kündigt der Arbeitnehmer selbst und legt Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, die den Kündigungszeitraum im Wesentlichen abdecken, erst vor, nachdem es der Arbeitgeber abgelehnt hat, den Arbeitnehmer in der Kündigungsfrist zum Ausgleich von Überstunden von der Pflicht zur Arbeitsleistung freizustellen, ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen dazulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, aus denen sich eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ergibt.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Berufung noch um Ansprüche auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 28.09. bis 15.10.2022.

Der Kläger war bei dem Beklagten seit 01.05.2022 als Disponent beschäftigt mit einer monatlichen Arbeitszeit von 174 Stunden und einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 3.150,00 € brutto. Er kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.09.2022 (Bl. 2 der Akte) zum 15.10.2022. Er reichte die Kündigung am Montag, den 26.09.2022 ein. Am Dienstag, den 27.09. fragte er beim Beklagten nach, ob er seine Überstunden abfeiern könne. Der Beklagte lehnte dies ab. Am Mittwoch, den 28.09.2022 meldete er sich arbeitsunfähig krank.

Mit E-Mail vom Freitag, den 30.09.2022 (Bl. 59 der Akte) teilte der Kläger dem Beklagten u.a. mit:

„(…) Ich möchte gerne alle meine Überstunden bis zum 15.10.2022 abfeiern. Ich möchte sie nicht alle Auszahlung lassen. (…)“.

Mit E-Mail vom Dienstag, den 04.10.2022; 11:43 Uhr (Bl. 27 der Akte) forderte der Beklagte den Kläger auf,

.“sich unverzüglich an Ihrem Arbeitsplatz einzufinden und die fehlende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schnellstmöglich bei uns einzureichen.“

Daraufhin antwortete der Kläger mit E-Mail vom 04.10.2022, 12:26 Uhr (Bl. 60 der Akte): „Da ich so etwas geahnt habe. Und mir noch nie passiert ist sowas wie bei euch. Im Anhang die Kopie. Das original von letzter Woche bekommt ihr nochmal auf dem Postweg. Von dieser Woche ist, auch auf dem Postweg zu euch.“

Im Anhang übersandte der Kläger Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 28.09.2022 bis 30.09.2022 und vom 04.10.2022 bis 08.10.2022.

Es handelte sich um eine Kopie der Erstbescheinigung der Fr. Dr. E. vom 28.09.2022 (Bl. 38 der Akte) für die Tage vom 28.09. bis 30.09.2022 mit der Diagnose nach ICDSchlüssel AO 9. 0G (Sonstige und nicht näher bezeichnete Gastroenteritis und Kolitis infektiösen Ursprungs). Es handelte sich ferner um eine Kopie der weiteren Erstbescheinigung der Fr. Dr. E. vom 04.10.2022 (Bl. 38 RS der Akte) für die Tage vom 04.10. bis 14.10.2022 mit der Diagnose nach ICD-Schlüssel J32. OG und J06. 9G (Chronische Sinusitis maxillaris und akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet).

Der Kläger nahm die Arbeit nicht mehr auf. Für die Zeit von Montag, den 10.10. bis Freitag, den 14.10.2022 legte er eine weitere Erstbescheinigung des Dr. F. vom 10.10.2022 (Bl. 39 der Akte) vor.

Die Beklagte zahlte kein Gehalt für die Zeit vom 01.09. bis 15.10.2022.

Der Kläger erhob Zahlungsklage.

Er machte erstinstanzlich geltend, er sei vom 22.08. bis 09.09.2022 wegen einer offenen Wunde an der linken Hand arbeitsunfähig gewesen. Vom 10.09 bis 27.09.2022 sei er gar nicht erkrankt, sondern arbeitsfähig gewesen. In der Zeit vom 28.09.2022 bis 14.10.2022 habe er an verschiedenen Erkrankungen gelitten.

Das Erstgericht gab der Klage mit Urteil vom 19.07.2023 statt. Es führte zur Begründung im Kern aus, eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht ersichtlich. Der Entscheidungsfindung seien daher die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach Maßgabe der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen zugrunde zu legen.

Das Ersturteil wurde dem Beklagten am 04.08.2023 zugestellt. Er legte dagegen am 24.08.2023 Berufung ein und begründete diese am 28.09.2023.

Der Beklagte trägt in der Berufung vor:

Er wende sich nur gegen die Verurteilung in die Entgeltfortzahlung vom 28.09. bis 14.10.2022. Der zeitliche Ablauf wecke Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Am 26.09.2022 habe der Kläger sein Arbeitsverhältnis gekündigt. Seine Frage, ob er etwaige Überstunden in der Kündigungsfrist nehmen könne, sei abschlägig verbeschieden worden. Er habe dann noch einmal wegen der Überstunden schriftlich am 30.09.2022 nachgefragt. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe er nicht vorgelegt. Erst nach der Aufforderung zur Arbeit mit Schreiben vom 04.10.2022 habe er sich wieder gemeldet und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt.

Es sei mit Nichtwissen zu bestreiten, dass der Kläger am 28.09.2022 an Problemen mit den Nasennebenhöhlen nach einer bakteriellen Infektion gelitten habe und die Ärztin am 04.10.2022 eine chronische Sinusitis maxillaris festgestellt habe. Mit Nichtwissen sei auch zu bestreiten, dass der Zahnarzt am 10.10.2022 eine Arbeitsunfähigkeit auf Grund der Eiterbildung festgestellt habe. Der Kläger habe betont, nicht mehr arbeiten zu wollen und habe beschlossen, sich vor der Arbeit zu drücken, nachdem der Beklagte ein Abfeiern von Überstunden während der Kündigungsfrist nicht zuließ.

Der Beklagte und Berufungskläger stellt folgende Anträge:

I. Das Urteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 19.07.2023, AZ.: 12 Ca 4232/22, ist teilweise abzuändern, soweit der Beklagte verurteilt wurde, an den Kläger mehr als 2.715,60 € brutto sowie Jahreszinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.10.2022 zu bezahlen.

II. Die Klage wird insoweit abgewiesen.

III. Die Revision wird zugelassen.

IV. Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger und Beklagte je zur Hälfte. Die Kosten der Berufung trägt der Kläger.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt in der Berufung vor:

Es bestünden keine ernsthaften Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 28.09.2022 wegen erheblicher Probleme mit den Nasennebenhöhlen, ab dem 04.10.2022 wegen der chronischen Sinusitis Maxilaris und der Ausweitung der Entzündung der Nasennebenhöhlen auf den Kiefer mit Bildung von Eiter in der Kieferhöhle ab 10.10.2022. Vorsorglich würden die behandelnden Ärzte zum Beweis der sich aus den Erkrankungen ergebenden Arbeitsunfähigkeit als Zeugen benannt. Auch nach Ablauf der Kündigungsfrist habe er noch erhebliche Probleme und Schmerzen nach der Kieferoperation gehabt.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen. Ferner wird Bezug genommen auf die Berufungsbegründung des Beklagten vom 28.09.2023 und die weiteren Schriftsätze vom 18.12.2023 und vom 22.01.2024 sowie auf die Berufungserwiderung vom 27.10.2023.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin Dr. E.. Auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 23.01.2024 und vom 05.03.2024 wird Bezug genommen.

Aus den Gründen

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 c ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.

II.

Die Berufung des Beklagten ist nicht begründet. Nach der Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass der Kläger vom 28.09. bis 14.10.2022 arbeitsunfähig erkrankt war und Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 EFZG in der vom Erstgericht ausgeurteilten Höhe hat.

1. Das Erstgericht stellt zutreffend fest, dass einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zukommt. Mit der Ausstellung einer solchen besteht eine tatsächliche Vermutung, dass der Arbeitnehmer in Folge Krankheit arbeitsunfähig war. Der Arbeitgeber kann wie bei jeder tatsächlichen Vermutung Tatsachen vortragen, aus denen der Richter den Schluss ziehen kann, dass der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttert ist, weil ernsthafte Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bestehen. Nach der jüngeren Rechtsprechung des BAG liegen solche Tatsachen vor, wenn der Arbeitnehmer im Falle der Eigenkündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben wird und die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit in ihrer Dauer der Dauer der Kündigungsfrist entspricht, BAG, Urteil vom 08.09.2021 – 5 AZR 149/21 –, Rn. 20. Dies gilt auch im Falle einer Arbeitgeberkündigung oder einer Abdeckung der Kündigungsfrist mit mehreren Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, BAG, Urteil vom 13.12.2023 – 5 AZR 137/23 –, Rn. 18 und 24. Schließlich können sich Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit auch aus dem eigenen Sachvortrag der Klagepartei ergeben, BAG, Urteil vom 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 –, Rn. 18.

2. Nach diesen Maßstäben der Rechtsprechung bestanden Zweifel an den vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen.

So ist schon der eigene Vortrag des Klägers vor dem Erstgericht, die Eigenkündigung sei insbesondere vor dem Hintergrund seiner gravierenden Erkrankungen erfolgt, für das Gericht nicht nachvollziehbar. Im August und Anfang September litt der Kläger an einer Handverletzung, die Anfang September ausgeheilt war. Bei dieser Handverletzung kann es sich kaum um eine gravierende Erkrankung gehandelt haben, nachdem er in der mündlichen Verhandlung auf Fragen des Gerichtes zu seinen Überstunden darauf hingewiesen hatte, dass es sich um die Arbeitsstunden zu Hause während dieser Krankschreibung handele. Die weiteren Erkrankungen, die der Kläger für gravierend hält, traten auch nicht am 26.09.2022 bei der Eigenkündigung auf. Sie ereilten ihn erst am 28.09.2022. In diesem Zusammenhang ist auch nicht nachvollziehbar, dass der Kläger bereits am 28.09.2022 bei der behandelnden Ärztin in der Praxis war und im Besitz einer am 28.09.2022 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis zum 30.09.2022, trotzdem an diesem Tag aber per E-Mail bei dem Beklagten nachfragte, ob er Überstunden in der Kündigungsfrist abfeiern könne. Ferner legte der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erst nach der Aufforderung zur Arbeit mit E-Mail des Beklagten vom 04.10.2022 vor und damit auch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 28.09.2022 nach § 5 EFZG verspätet. Schließlich endete die Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit Ablauf seines letzten Arbeitstages innerhalb der Kündigungsfrist am Freitag, den 14.10.2022.

3. Soweit der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert ist, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der Bescheinigungen bestand. Der Arbeitnehmer ist damit in der Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines Entgeltfortzahlungsanspruches. Der Arbeitnehmer muss deshalb seine Krankheiten zumindest in der ihm möglichen laienhaften Art schildern und den erforderlichen Beweis antreten.

Dem ist der Kläger nachgekommen mit der Darstellung der verschiedenen Erkrankungen in der Zeit vom 28.09. bis 14.10.2022. Er hat auch Beweis angeboten durch Einvernahme der behandelnden Ärzte. In der Benennung der Ärzte als Zeugen liegt auch deren Befreiung von der Schweigepflicht. Nicht zuletzt war der Kläger in der mündlichen Verhandlung mit der Beweisaufnahme anwesend und hat nach Verkündung des Beweisbeschlusses der Einvernahme nicht widersprochen.

4. Aufgrund der Aussage der behandelnden Ärztin steht zur Überzeugung des Gerichtes fest, dass der Kläger ab dem 28.09. bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig erkrankt war.

Die Zeugin war glaubwürdig. Sie legte eingangs ihrer Einvernahme von sich aus offen, dass sie an die Vorgänge keine Erinnerung mehr hatte und sich für die Aussage nur auf ihre Pateientendatei stützen konnte.

Die Aussage war auch glaubhaft. Danach war der Kläger bereits seit 2016 Patient bei ihr und seit dieser Zeit wiederholt erkrankt wegen Bauchschmerzen und Nebenhöhlenentzündung mit entsprechenden Krankschreibungen. Letzteres trat auch wieder auf vom 16.11. bis 25.11.2022 und vom 19.12. bis 23.12.2022.

Im Einzelnen schilderte die Klägerin zu der Erkrankung vom 28.09. bis 30.09.2022, dass der Kläger ohne Termin am 28.09.2022 in der Praxis erschien mit von ihm geschilderten Bauchschmerzen, Brechen und Durchfall. Sie wies darauf hin, dass sie das Übliche bei ihm zur Diagnosestellung machte, also Bauchabtasten mit etwaigen Schmerzreaktionen im Gesicht und Abhören auf entsprechende Darmgeräusche. Sie verordnete eine entsprechende Medikation mit Iberogast, Imodium akut und Buscopan.

Zu dem weiteren Krankheitszeitraum ab dem 04.10.2022 schilderte sie, dass er mit Fieber, Schüttelfrost, Kopfschmerzen, Stirnkopfschmerzen, Nasenlaufen und trockenem Husten mit gelegentlichem schleimigen Auswurf in die Praxis kam. Sie stellte ferner eine Eiterstraße im Rachen fest, also laufendes Sekret im Rachen mit Eiteranteilen. Sie verschrieb ihm nur Sinupret, Nasonex und Gripp-Heel (ein homöopathisches Mittel) und verzichtete auf die Anordnung von Antibiotika.

Schließlich wies die Zeugin noch darauf hin, dass der Kläger neben der chronischen Sinusitis auch noch ein generelles Problem mit dem Kiefer hat.

Vor diesem Hintergrund verzichtete das Gericht auf einen weiteren Termin zur Beweisaufnahme wegen des Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit vom 10.10. bis 14.10.2022 wegen des vom Kläger geschilderten eitrigen Kiefers mit der Notwendigkeit der operativen Öffnung der Eiterhöhle.

Die Berufung war daher unbegründet.

III.

1. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG.

stats