ArbG Iserlohn: Entgeltfortzahlung bei Corona-Erkrankung – Unterlassen einer Schutzimpfung - Eigenverschulden
ArbG Iserlohn, Urteil vom 3.5.2022 – 2 Ca 1848/21
ECLI:DE:ARBGIS:2022:0503.2CA1848.21.00
Volltext: BB-Online BBL2023-954-1
Leitsätze
1. Ist § 616 BGB arbeitsvertraglich nicht abbedungen und kommt § 616 BGB als Anspruchsgrundlage in Betracht, hat das Arbeitsgericht den Rechtsstreit als das im Hinblick auf § 616 BGB zuständige Gericht gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, d.h. auch im Hinblick auf § 56 IfSG.
2. 56 Abs. 1 S. 1 IfSG ist im Verhältnis zu § 616 BGB eine subsidiäre materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, da ein Anspruch aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG nur dann aufgrund der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzung bestehen kann, wenn der Arbeitnehmer keinen Verdienstausfall erlitten haben sollte.
3. In einer pandemischen Lage kann bei einer behördlich angeordneten Quarantäne von einem objektiven Leistungshindernis auszugehen sein. Es ist zu berücksichtigen, dass die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aufgrund einer Quarantäneanordnung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage darstellt.
…
4. Die Unterlassung der Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 im Kalenderjahr 2021 stellte in Anbetracht der enormen gesundheitlichen Gefahren, die im Falle einer Erkrankung mit COVID-19 drohen, in Relation zu den Nebenwirkungen, die durch die Schutzimpfung auftreten können, einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten dar.
5. Ein etwaiger Entschädigungsanspruch ist gemäß § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG ausgeschlossen, da der Kläger die Absonderung aufgrund der staatlichen Quarantäneanordnung durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Klägers öffentlich empfohlen wurde, hätte vermeiden können. Aus dem Wortlaut der Norm folgt, dass auch der Gesetzgeber gerade keine hundertprozentige Wahrscheinlichkeit gefordert hat im Falle der hypothetischen Kausalität. Dies folgt bereits aus der entsprechenden Formulierung „hätte vermeiden können“.
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a); GVG § 17 Abs. 2; EFZG § 3 Abs. 1 S. 1; BGB § 616; IfSG § 56; IfSG § 68
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Zahlungsanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten vor dem Hintergrund einer Absonderung in Form einer behördlich angeordneten Quarantäne des Klägers wegen einer Infektion mit SARS-CoV-2.
Der am 16.03.1986 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.11.2019 beschäftigt und erhielt zuletzt ein Gehalt i.H.v. 2950 € brutto monatlich.
Der Kläger war in der Zeit vom 04.11.2021 bis zum 09.11.2021 von dem ihm behandelnden Arzt arbeitsunfähig krankgeschrieben worden.
Mit Datum vom 07.11.2021 erhielt der Kläger vom Märkischen Kreis ein Schreiben, in dem u.a. folgendes ausgeführt wird:
„Genesenennachweis im Sinne von § 2 Nr. 5 SchAusnahmV
Certificote of convolescence according to § 2 No. 5 SchAusnahmV
(nur in Verbindung mit einem amtlichen Lichtbildauswels gültig)
(valid only in combination with an official photo ID)
A *16.03.1986
Es wird bescheinigt, dass bei der o.g..Person am 05.11.2021 eine Infektion mit SARS-CoV-2. durch ein PCR-Laborergebnis festgestellt wurde.
This ist to certify that the above mentioned person has been infected with SARS-CoV-2 (see above) was proven based upon a PCR laboratory result.
Die o.g. Person gilt als Genesen ab dem 03.12.2021 (28 Tage nach o.g. Testdatum)
(…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zur Gerichtsakte gereichte Kopie des Schreibens vom 07.11.2021 Bezug genommen (Bl. 5 der Akte).
Der Kläger war zum Zeitpunkt des PCR Laborergebnisses mit keinem Impfstoff gegen
SARS-CoV-2 geimpft.
Des Weiteren erhielt der Kläger ein weiteres Schreiben vom Märkischen Kreis mit Datum vom 07.11.2021, in welchem u. a. folgendes mitgeteilt wurde:
„Information für Erkrankte
hier: COVID-19
Sehr geehrter Herr A.,
Sie sind heute von mir mündlich vom 05.11.2021 bis einschließlich zum 19.11.2021 als Covid-19 infizierte Person gem. §§ 28 ff Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in häusliche Quarantäne gesetzt worden. Mit diesem Schreiben bestätige ich diese Anordnung und möchte Ihnen weitere Informationen zukommen lassen.
Meine Anordnung erfolgt aufgrund der Verordnung zur Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 und zur Regelung von Absonderungen nach § 30 des Infektionsschutzgesetzes (Corona-Test-und-Quarantäneverordnung- CoronaTestQuarantäneVO NRW). Diese finden Sie auf der Internetseite des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW - MAGS NRW unter folgendem Link: https://www.mags.nrw/coronavirus-rechtlicheregelungen-nrw.
Die Quarantäne endet 14 Tage nach der Testung mit positivem Ergebnis auf Covid-19 und vorliegendem negativen Testergebnis zum Ende der Quarantäne. Eine Verlängerung der Quarantäne ist je nach Krankheitsverlauf und Testergebnis möglich.
Die Anordnung der Quarantäne für 14 Tage, gerechnet ab dem Tag der Testung mit positivem Ergebnis auf Covid-19 beruht auf § 15 der CoronaTestQuarantäneVO NRW. Danach sind Sie verpflichtet, sich nach Erhalt des positiven Testergebnisses unverzüglich auf direktem Weg in Quarantäne zu begeben (Absatz 1). Die Quarantäne endet grundsätzlich frühestens nach 14 Tagen ab Vornahme des Tests (Absatz 4). Zusätzlich muss zur Beendigung der Quarantäne ein negatives Testergebnis vorliegen. Die Testung muss am Ende der Quarantäne vorgenommen werden (letzter Tag, hilfsweise vorletzter Tag).
(…)
Informationen für immunisierte Personen
Bei positiv auf das Coronavirus getesteten Personen, die über eine nachgewiesene Immunisierung verfügen, kann die Quarantäne frühzeitig beendet werden. Voraussetzungen dafür sind folgende:
- Es liegen während der gesamten Quarantäne keinerlei Krankheitssvmptome vor und
- Es muss erneut eine PCR-Testung (Labortest) erfolgen. Diese darf frühestens 5 Tage nach der Testung mit positivem Ergebnis vorgenommen werden.
(…)“
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zu Gerichtsakte gereichte Kopie dieses Schreibens vom 07.11.2021 Bezug genommen (Bl. 7-8 der Akte).
Die Beklagte teilte dem Kläger zunächst mit, er bekomme keine Entgeltfortzahlung und keine Zahlungen für die Zeit der Quarantäne, da er ungeimpft ist. Zwischenzeitlich zahlte die Beklagte den Lohn für den Zeitraum der ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit vom 04.11.2021 bis zum 09.11.2021. Für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 erhielt der Kläger von der Beklagten keinerlei Zahlungen. Ausweislich der in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Verdienstabrechnung für den Monat November 2021 erhielt der Kläger für diesen Monat ein Gehalt i.H.v. 1877,27 €. Er beziffert den Zahlungsanspruch für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 auf 1072,73 € brutto (2950 € brutto als reguläres Bruttomonatsgehalt abzüglich abgerechneter 1877,27 € brutto).
Der Märkische Kreis teilte dem Kläger mit einer E-Mail vom 26.11.2021 folgendes mit:
„Am 26.11.21, 09:13 schrieb Coronabescheinigung
<coronabescheinigung@maerkischer-kreis.de>:
Sehr geehrter Herr A.,
eine Bestätigung für die Quarantäne ging ihnen am 07.11.21 zu, dies fungiert als Bescheinigung für Ihren Arbeitgeber.
Mit freundlichen Grüßen“
Mit seiner am 28.12.2021 beim Arbeitsgericht Iserlohn eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.072,73 € brutto. Die Klage ist der Beklagten am 04.01.2022 zugestellt worden.
Der Kläger ist der Auffassung, dass das Schreiben des Märkischen Kreises vom 07.11.2021 hinsichtlich der Quarantäneanordnung als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelte, wie -nach der Behauptung des Klägers- der Märkischen Kreis durch seinen zuständigen Mitarbeiter an den Kläger per Mail am 01.12.2021 um 6:44 Uhr „übermittelt“ habe.
Zudem folge dies auch aus E-Mail des Märkischen Kreises vom 26.11.2021, die nach der Darlegung des Klägers eine Antwort auf seine E-Mail vom 30.11.2021 darstelle, dass das Schreiben des Märkischen Kreises vom 07.11.2021 als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu gelten habe.
Des Weiteren habe er, der Kläger, in jener Zeit auch seinen Hausarzt befragt, ob er ihm angesichts des Arbeitsausfalls durch die Quarantäne eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen könne. Der Hausarzt habe in jener Zeit geantwortet, „dass das Gesundheitsamt die Einzelheiten kläre und er dem Kläger keine AUB ausstellen könne".
Der Kläger meint zudem, dass eine Ausnahme in dem Sinne, dass eine Entschädigung gemäß § 56 Abs. 1S. 4 IfSG nicht gewährt werden könne, weil eine ungeimpfte Person angesichts einer öffentlich empfohlene Impfung die Quarantäne „hätte verhindern können“ nicht vorliege. Für die Darlegung und den Beweis des „nicht Verhinderns“ sei die
Beklagte verpflichtet.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.072,73 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2021.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass dem Kläger kein Zahlungsanspruch für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 zustünde. Ein solcher folge in Ermangelung der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weder aus dem EFZG, noch aus § 56 IfSG oder irgendeiner anderen Anspruchsgrundlage. Die Quarantäneanordnung des Märkischen Kreises könne nicht als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angesehen werden. Zudem komme ein Entschädigungsanspruch aufgrund der Ausnahmeregelung gemäß § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG nicht in Betracht vor dem Hintergrund des Status des Klägers als ungeimpfte Person zum Zeitpunkt der Virusinfektion. Es bestünde im Hinblick auf die Regelung gemäß § 56 Abs. 1 IfSG auch nicht die Verpflichtung von ihr, der Beklagten, zu beweisen, dass eine Impfung die Infektion verhindert hätte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen geäußerten Rechtsauffassungen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.
Aus den Gründen
A.
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) ArbGG i.V.m. § 17 Abs. 2 GVG eröffnet im Hinblick auf den vom Kläger geltend gemachten Anspruch.
Soweit der Kläger seine Zahlungsklage mit einem Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalls gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG begründen möchte, handelt es sich unzweifelhaft um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) ArbGG.
Zudem stützt der Kläger seine Zahlungsklage auf den Umstand, dass er seine Arbeitsleistung wegen einer behördlich angeordneten Quarantäne nicht habe erbringen können, die Beklagte aber gleichwohl zur Zahlung des Lohnes verpflichtet sei. Insoweit kommt für einen Zahlungsanspruch im Hinblick auf diesen Lebenssachverhalt (Zahlungsanspruch im Falle der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung wegen einer behördlich angeordneten Quarantäne gegenüber einer mit SARS-CoV-2 infizierten und gegen SARS-CoV-2 ungeimpften Person) als mögliche Anspruchsgrundlage, wie mit den Parteien im Kammertermin am 03.05.2022 auch erörtert worden ist, § 616 BGB in Betracht. Bei § 616 BGB, der eine anspruchserhaltende Norm im Hinblick auf den Lohnanspruch des Arbeitnehmers im Falle der vorübergehenden Verhinderung darstellt, handelt es sich ebenfalls unzweifelhaft um einen Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a) ArbGG.
Das Arbeitsgericht ist vor diesem Hintergrund auch zuständig zur Prüfung eines Entschädigungsanspruchs aus § 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 IfSG. Dies folgt aus dem Umstand, dass es sich vorliegend um denselben Streitgegenstand handelt wie bei § 616 BGB und das Arbeitsgericht den Rechtsstreit als das im Hinblick auf § 616 BGB zuständige Gericht gemäß § 17 Abs. 2 S. 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden hat. Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, ob aus § 68 Abs. 1 IfSG ggf. eine umfassende aufdrängende Sonderzuweisung an die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Hinblick auf § 56 Abs. 1 IfSG folgt (vgl. hierzu Kümper: Neue Zuständigkeiten der Verwaltungsgerichtsbarkeit im Infektionsschutz-Entschädigungsrecht, NVwZ 2021, 1254, 1256 beck-online).
Nur im Falle des Nichtbestehens eines Anspruchs aus § 616 BGB kommt ein Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 IfSG als mögliche Anspruchsgrundlage in Betracht. § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG ist jedoch im Verhältnis zu § 616 BGB eine subsidiäre materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, da ein Anspruch aus § 56 Abs. 1 S. 1 IfSG nur dann aufgrund der entsprechenden Tatbestandsvoraussetzung bestehen kann, wenn der Arbeitnehmer keinen Verdienstausfall erlitten haben sollte. Dies wäre aber nicht der Fall, wenn ein Anspruch aus § 616 BGB gegeben wäre. Vorrangig zu prüfen ist daher stets ein Anspruch aus § 616 BGB. Der Vorrang der Entgeltfortzahlungspflichten gegenüber dem Entschädigungsanspruch folgt aus dem subsidiären Charakter der Entschädigung. Als auf dem Billigkeitsgedanken beruhendem Institut soll § 56 vor materieller Not schützen, wo die allgemeinen Fortzahlungspflichten nicht greifen (BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse, 11. Ed. 1.4.2022, IfSG § 56 Rn. 37 m.w.N.).
Der Streitgegenstand bei einem Anspruch aus § 616 BGB und § 56 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 IfSG ist identisch (Zahlungsanspruch im Falle der Unmöglichkeit der Erbringung der Arbeitsleistung wegen einer behördlich angeordneten Quarantäne gegenüber einer mit SARS-CoV-2 infizierten und gegen SARS-CoV-2 ungeimpften Person). Streitgegenstandseinheit liegt nämlich auch dann vor, wenn der aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt hergeleitete Antrag auf sich gegenseitig ausschließende materiell-rechtliche Anspruchsgrundlagen gestützt wird (Vollkommer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, Einleitung, Rn. 71).
II.
Die Klage ist unbegründet.
1.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten offensichtlich keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG in Höhe von 1.072,73 € brutto für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021. Ein solcher Anspruch besteht nur im Falle der Verhinderung zur Erbringung der Arbeitsleistung durch krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er in dem Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 arbeitsunfähig erkrankt war, insbesondere hat er eine spezifische Krankheitssymptomatik für diesen Zeitraum nicht dargelegt, sondern lediglich ausgeführt, dass er sich in dieser Zeit wegen einer behördlichen Anordnung abzusondern hatte. Es liegt auch keine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit vor. Eine solche müsste der Kläger allerdings im Hinblick auf den Zeitraum bis zum 19.11.2021 nach Maßgabe von § 5 Abs. 1 S. 2 EFZG der Beklagten vorlegen. Ob der Hausarzt sich weigerte, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszustellen, oder nicht, ist insoweit ohne Belang.
Die vom Kläger vorgebrachten Mitteilungen des Märkischen Kreises im Zuge seiner Quarantäneanordnung sind in Bezug auf einen Anspruch aus § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG ebenfalls vollkommen ohne Belang, weil sie offensichtlich nicht als Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gelten. Der Märkische Kreis ist ersichtlich keine ärztliche Einrichtung und der Kläger hat auch nicht dargelegt, dass die Mitarbeiter, die ihm Auskünfte gegeben haben sollen, Ärzte seien. Die E-Mail des Märkischen Kreises vom 26.11.2021, die der Kläger dargelegt hat, gibt auch keine Veranlassung dazu, hierbei von einer Gleichsetzung mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auszugehen. In der E-Mail erfolgt lediglich eine Bezugnahme auf die Bestätigung der Quarantäne mit Schreiben vom 07.11.2021, die zugleich als Bescheinigung für den Arbeitgeber fungiere. Damit ist ganz offensichtlich gemeint, dass das Schreiben vom 07.11.2021 als Bescheinigung für den Arbeitgeber im Hinblick auf die Quarantäne fungiere, nicht mehr und nicht weniger. Es kann darüber hinaus offen bleiben, welche weiteren Mitteilungen der Märkische Kreis gemacht haben soll. Keine einzige vom Kläger substantiiert vorgetragene Mitteilung des Märkischen Kreis lässt auch nur im Ansatz den Schluss zu, dass der Märkische Kreis eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe ausstellen wollen. Im Übrigen lege hierin auch eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung, die auf keinen Fall zur Begründung eines Anspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten führen könnte.
2.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten auch keinen Zahlungsanspruch gemäß § 616 S. 1 BGB in Höhe von 1.072,73 € brutto für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021.
a)
Nach § 616 S. 1 BGB wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.
Grundsätzlich sind als Voraussetzung des § 616 subjektive, persönliche Leistungshindernisse erforderlich. Darunter fallen zunächst und vor allem persönliche Eigenschaften des Dienstverpflichteten. Hinzu kommen anerkanntermaßen zudem solche Hindernisse, die zumindest in den persönlichen Verhältnissen des Arbeitnehmers begründet sind (BAG 8.12.1982, AP § 616 Nr. 58; 19.4.1978, AP § 616 Nr. 48). Dies ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer bzw. Dienstverpflichtete aus einem in seinen Lebensumständen liegenden Grund zur Dienstleistung außerstande ist (BAG 8.9.1992, AP § 616 Nr. 59). Nicht zu einer Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers können hingegen rein objektive Leistungshindernisse führen. Unter objektiven Leistungshindernissen sind solche zu verstehen, die nicht in der persönlichen Sphäre eines einzelnen Arbeitnehmers ihre Ursache haben, sondern zur selben Zeit für mehrere Arbeitnehmer gleichzeitig vorliegen (BeckOK ArbR/Joussen, 63. Ed. 1.3.2022, BGB § 616 Rn. 18, 19).
Den zur Dienstleistung Verpflichteten darf an der Verhinderung der Dienstleistung kein Verschulden treffen, d.h. den Dienstleistungsberechtigten trifft nur dann eine Pflicht zur Fortzahlung der Vergütung, wenn ein Verschulden des Dienstleistungsverpflichteten hinsichtlich der zur Verhinderung führenden Umstände fehlt. Hat er den zur Verhinderung führenden, in der Person liegenden Grund verursacht (BAG 11.8.1988, AP § 611 Gefährdungshaftung des Arbeitgebers Nr. 7; MHdB ArbR/Tillmanns § 77 Rn. 29), hat er infolge dieses negativ formulierten Tatbestandsmerkmales des § 616 aus dieser Norm keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung (BeckOK ArbR/Joussen, 63. Ed. 1.3.2022, BGB § 616 Rn. 41)
b)
In Anwendung dieser Maßstäbe liegen nach Auffassung des erkennenden Gerichts die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 616 S. 1 BGB nicht vor.
aa)
Es liegt nach Auffassung des Gerichts bereits keine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit der Verhinderung vor. Insoweit ist auf der einen Seite zwar zu berücksichtigen, dass der Kläger bei der Beklagten zum streitgegenständlichen Zeitpunkt bereits zwei Jahre beschäftigt gewesen ist. Auf der anderen Seite ist zu berücksichtigen, dass die Ursache, die letztlich in der Kausalkette zur Verhinderung geführt hat, nämlich die Infektion des insoweit ungeimpften Klägers mit SARS-CoV-2 bereits mit der Erkrankung ab dem 04.11.2021 und dem positiven PCR-Test am 05.11.2021 ihren Anfang nahm. Insoweit erfolgte sodann aufgrund der Infektion des ungeimpften Klägers eine Absonderungsverfügung seitens des zuständigen Märkischen Kreises für den Zeitraum vom 05.11.2021 bis einschließlich dem 19.11.2021 in Form der häuslichen Quarantäne (vgl. das Schreiben des Märkischen Kreises vom 07.11.2021). Insbesondere auch unter Berücksichtigung dieser Umstände und bei einer gebotenen Einzelfallbetrachtung, die Aufgabe des erkennenden Gerichts ist, ist von einer verhältnismäßig erheblichen Zeit der Verhinderung im Hinblick auf die Verhinderungszeit vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 auszugehen.
Im Übrigen ist anzumerken, dass in der Branche, in der die Beklagte tätig ist, nach dem Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie NRW in der aktuell gültigen Fassung im Hinblick auf die dort unter § 26 abschließend geregelten Fälle der vorübergehenden Verhinderung in der Regel bloß Zeiten der Verhinderung von maximal drei Tagen anerkannt werden, obgleich sich in dem im Kammertermin zur Einsicht vorgelegten Arbeitsvertrag keine Bezugnahmeklausel auf den Tarifvertrag fand und im Übrigen auch keine beiderseitige Tarifbindung besteht.
bb)
Darüber hinaus liegt auch kein in der Person des Klägers liegender Grund vor. Vielmehr ist von einem objektiven Leistungshindernis auszugehen, weil bei der durch SARS-CoV-2 verursachten Infektionskrankheit COVID-19 eine weltweite Pandemie vorliegt.
(1)
§ 616 ist nicht auf objektive Leistungshindernisse anwendbar. Entscheidend ist insoweit, dass es sich um ein Ereignis handelt, das mit der Person des Dienstverpflichteten nichts zu tun hat, sondern jeden anderen ebenso treffen kann. Ob tatsächlich mehrere Arbeitnehmer verhindert sind, spielt dagegen keine Rolle (Krause in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, § 616 Vorübergehende Verhinderung, Rn. 35)
(2)
Dies trifft nach Auffassung der Kammer, die insoweit der von Kraayvanger und Schrader in ihrem Aufsatz „Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 56 V 2 IfSG bei COVID-19?“ (NZA-RR 2020, 623 ff.) dargelegten Ansicht folgt, auch auf die durch SARS-CoV-2 verursachte Infektionskrankheit COVID-19 zu.
Bei COVID-19 handelt es sich um eine weltweite Pandemie, aufgrund deren weiter Ausbreitung jederzeit eine Vielzahl von Beschäftigten betroffen sein kann. Dadurch, dass anzunehmen ist, dass sich das Virus nicht nur durch unmittelbaren Kontakt verbreitet, sondern auch durch Aerosole übertragen wird, genügt der bloß kurze Aufenthalt einer Person am selben Ort mit einer erkrankten, krankheitsverdächtigen Person oder einer, die das Virus ausscheidet, dass diese ebenfalls als ansteckungsverdächtig gilt. Dies – der Aufenthalt an Orten mit anderen Personen und damit einhergehend das Aufeinandertreffen mit Krankheits- oder Ansteckungsverdächtigen – ist jedoch ein Umstand, der aus dem gewöhnlichen Arbeitsalltag nicht wegzudenken ist und auch für den Einzelnen nicht beherrschbar ist. Da es zur Eindämmung des Infektionsrisikos gerechtfertigt ist, eine Quarantäne oder ein berufliches Tätigkeitsverbot anzuordnen, wenn der Verdacht besteht, dass eine Person Krankheitserreger aufgenommen hat, genügt es, wenn in einem Betrieb ein Corona-Verdachtsfall bekannt wird, um unter Umständen die gesamte Belegschaft in Quarantäne schicken zu müssen. Dadurch, dass als tatbestandliche Voraussetzung einer behördlichen Maßnahme ein Verdacht ausreichend ist, ist angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens auch von einer Vielzahl von möglichen Betroffenen auszugehen, mit der Folge, dass die Betroffenheit ein globales Phänomen ist und nicht mehr ein persönlicher Lebensumstand (Kraayvanger/Schrader: Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 56 V 2 IfSG bei COVID-19?, NZA-RR 2020, 623, 626 mit weiteren Argumenten).
Hinzu kommt der Umstand, dass es für den Arbeitgeber zu einer nicht mehr zumutbaren Härte führen könnte, wenn ihm über § 616 BGB die gesamte Kosten der Quarantänezeiten seiner Arbeitnehmer auferlegt werden würden, zumal auch Reinfektionen jedenfalls nach einem Zeitraum von mehr als sechs bis neun Monaten seit der Infektion nicht extrem unwahrscheinlich sind.
Es ist zu berücksichtigen, dass die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung aufgrund einer Quarantäneanordnung Folge eines hoheitlichen Eingriffs zur Bekämpfung einer die Gesellschaft insgesamt treffenden Gefahrenlage darstellt.
cc)
Schließlich ist der Anspruch nach Auffassung des Gerichts auch wegen eines Verschuldens des Klägers ausgeschlossen.
(1)
Wegen der einschneidenden Rechtsfolge des vollständigen Anspruchsausschlusses muss das „Verschulden gegen sich selbst“ eine gewisse Schwere erreichen. Dies ist nach der Rechtsprechung des BAG dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer gröblich gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten verstoßen hat (BAG, Urteil vom 11. August 1988 – 8 AZR 721/85). Zu berücksichtigen ist, dass sich das Verschulden, wie angesprochen, auf den zur Verhinderung führenden Grund beziehen muss, nicht auf die Verhinderung selbst. Grundlage für das negative Verschuldenserfordernis, das weitgehend demjenigen im Entgeltfortzahlungsrecht in § 3 EFZG entspricht und in allen Entgeltfortzahlungsregelungen in gleicher Weise auszulegen ist (BAG NJW 1984, 1704), ist der Rechtsgedanke des § 254 und damit verbunden der Gedanke des venire contra factum proprium (BeckOK ArbR/Joussen, 63. Ed. 1.3.2022, BGB § 616 Rn. 41)
(2)
Die Quarantäneanordnung gegenüber dem Kläger hätte durch eine dem Kläger zumutbare und öffentlich empfohlene Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 verhindert werden können. Zum streitgegenständlichen Zeitraum war ausweislich des wöchentlichen Lageberichts des RKI zur Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) vom 11.11.2021 (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-11-11.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 23.05.2022) die sogenannte Delta-Variante vorherrschend. Die vom RKI in seinem Lagebericht geschätzte Impfeffektivität nach der dort aufgeführten Methode liege für den Gesamtbeobachtungszeitraum 5. bis 44. KW im Jahr 2021 für die Altersgruppe 18-59 Jahre bei ca. 82 %. Damit war zum streitgegenständlichen Zeitpunkt von einer hohen Impfstoffeffektivität auszugehen und durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung hätte der Kläger mit einer hohen Wahrscheinlichkeit eine Quarantäne vermeiden können. Die Vakzination gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 wurde zudem bereits Ende 2020 von der Ständigen Impfkommission beim RKI offiziell empfohlen (vgl. zu dieser ersten Empfehlung und den Aktualisierungen der Empfehlungen die unter folgender Seite des RKI abrufbaren Dokumente: https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Impfen/ImpfungenAZ/COVID-19/Impfempfehlung-Zusfassung.html, zuletzt abgerufen am 23.05.2022). Auch die Bundesregierung empfahl die Impfung, insbesondere über das Bundesgesundheitsministerium. Vom Kläger sind keine einzigen Gründe dargelegt worden, warum er sich nicht hat impfen lassen. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt war bereits seit Monaten ausreichend Impfstoff für die gesamte Bevölkerung vorhanden. Die Unterlassung der Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2, insbesondere zu der damaligen Zeit mit der im Vergleich zur jetzigen Omikron-Variante deutlich gefährlicheren Delta-Variante stellt in Anbetracht der enormen gesundheitlichen Gefahren, die im Falle einer Erkrankung mit COVID-19 drohen, in Relation zu den Nebenwirkungen, die durch die Schutzimpfung auftreten können, nach Auffassung der Kammer einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhalten dar. Entsprechendes folgt auch aus einer systematischen Betrachtung unter Einbeziehung der Wertungen des § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG.
3.
Schließlich hat der Kläger auch keinen Entschädigungsanspruch gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die Zahlung eines Betrages in Höhe von 1.072,73 € brutto für den Zeitraum vom 10.11.2021 bis zum 19.11.2021 aus § 56 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 und Abs. 5 S. 1 IfSG.
a)
Die Beklagte ist zwar der richtige Anspruchsgegner im Hinblick auf einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 i.V.m. S. 2 IfSG, denn gemäß § 56 Abs. 5 S. 1 IfSG hat bei Arbeitnehmern der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen.
b)
Ein etwaiger Entschädigungsanspruch des Klägers ist jedoch gemäß § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG ausgeschlossen, da der Kläger die Absonderung aufgrund der Quarantäneanordnung des Märkischen Kreises durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Klägers öffentlich empfohlen wurde, hätte vermeiden können.
aa)
Eine Schutzimpfung wurde unstreitig zum streitgegenständlichen Zeitpunkt gegen SARS-CoV-2 öffentlich empfohlen (vgl. auch die obigen Ausführungen unter A. II. 2. b) cc) (2).
bb)
Der Kläger war zudem ungeimpft im Hinblick auf SARS-CoV-2.
cc)
Der Kläger hätte durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung die Absonderung in Form der Quarantäneanordnung vermeiden können. Die erforderliche Kausalität zwischen der Nichtinanspruchnahme einer Schutzimpfung und der Vermeidbarkeit einer Absonderung ist gegeben.
Welche konkreten Anforderungen an das Kausalitätserfordernis zu stellen sind, regelt § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG nicht. Insoweit geht das erkennende Gericht davon aus, dass jedenfalls die Impfstoffeffektivität im November 2021 gegen SARS-CoV-2 ausweislich der Ausführungen des RKI in seinem wöchentlichen Lagebericht vom 11.11.2021 mit 82% (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-11-11.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 23.05.2022) ausreichend gewesen ist. Insoweit ist eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, dass es bei dem Kläger, der ohnehin die Infektion bereits ohne Impfung glücklicherweise im Vergleich zu vielen anderen Menschen schnell überstanden hatte, nicht zu einem Ausbruch von COVID-19 gekommen wäre.
Der von dem Kläger geforderte Beweis durch die Beklagte, dass er zu 100 % nicht erkrankt wäre, wenn er sich hätte impfen lassen, muss die Beklagte nicht führen. Es handelt sich vorliegend um eine hypothetische Kausalität (vgl. Sievers/Kruppa, jM 2022, 22, 27), bei der schon denklogisch eine hundertprozentige Sicherheit ausgeschlossen ist.
(1)
Aus dem Wortlaut der Norm folgt zunächst, dass auch der Gesetzgeber gerade keine hundertprozentige Wahrscheinlichkeit gefordert hat im Falle der hypothetischen Kausalität. Dies folgt bereits aus der entsprechenden Formulierung „hätte vermeiden können“. Ansonsten hätte der Gesetzgeber die Formulierung „vermieden hätte“ verwenden müssen. Durch die Ergänzung des Modalverbs „können“ werden die Anforderungen an die Kausalität eingeschränkt.
(2)
Eine historische Auslegung der Norm zeigt, dass der Gesetzgeber offensichtlich nicht von hundertprozentig wirksamen Impfstoffen ausgegangen sein kann. Eingeführt wurde der Ausschlussgrund im Rahmen des Masernschutzgesetzes (Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148). Bei der Masernimpfung lag die Impfeffektivität Anfang 2020 ausweislich des epidemiologischen Bulletin 2/2020 des RKI bei mindestens 92 % (S. 9, 10, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2020/Ausgaben/02_20.html, zuletzt abgerufen am 23.05.2022).
Im September 2021 hätten dem RKI zufolge die COVID-19-mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech/Pfizer) und Spikevax (Moderna) nach dem damaligen Kenntnisstand eine Wirksamkeit von etwa 95 Prozent. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, an COVID-19 zu erkranken, sei bei den vollständig gegen COVID-19 geimpften Personen um etwa 95 Prozent geringer als bei den nicht geimpften Personen (vgl. insoweit S. 10 der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 20. September 2021 in der aktualisierte Fassung vom 23. November 2021, Az.: WD 3 - 3000 - 164/21 und WD 9 - 3000 - 081/21 m.w.N.). Insofern ist in Bezug auf die mRNA-Impfstoffe gegen SARS-CoV-2 von einer ähnlich guten Wirksamkeit wie bei den Masernschutzimpfungen auszugehen. Zugleich zeigt sich, dass der Gesetzgeber im Hinblick auf die damalige Wirksamkeit der Masernschutzimpfung zwar von einer hohen Wirksamkeit ausgegangen sein dürfte, aber durch die bewusste Nichtregelung der Rechtsprechung die Grenzziehungen im Einzelfall vorbehalten wollte.
(3)
Auch bei einer teleologischen Auslegung der Norm kommt man zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf die Kausalität nicht von einer hundertprozentigen Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden kann, da es aus wissenschaftlicher Sicht nicht möglich ist, einen Impfstoff herzustellen, der eine Erkrankung für alle Menschen stets zu 100 % ausschließt. Würde man derartige Anforderungen an die Kausalität stellen, würde die Ausschlussvorschrift in ihrem Anwendungsbereich insoweit vollkommen leer laufen. Es ist aber grundsätzlich davon auszugehen, dass der Gesetzgeber nicht Gesetze schafft, die keinen Anwendungsbereich haben, also sinnlos wären. Da Impfungen also nie zu 100 Prozent wirksam sind, kann dies nicht der Maßstab des § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG sein (vgl. insoweit auch die Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages vom 20. September 2021 in der aktualisierte Fassung vom 23. November 2021, Az.: WD 3 - 3000 - 164/21 und WD 9 - 3000 - 081/21). Vielmehr ist vom Sinn und Zweck her nach Auffassung des Gerichts aus den vorgenannten Erwägungen von einer hohen Wahrscheinlichkeit auszugehen (vgl. insoweit Bachmann/Rung, in: Kluckert (Hrsg.), Das neue Infektionsschutzrecht, 2. Aufl. 2021, § 15, Rn. 33.).
Dieses Ergebnis folgt auch aus einer teleologisch-folgenorientierten Argumentation. Es ist für die Kausalität die vom Gesetzgeber im IfSG ausgedrückte grundlegende Wertentscheidung zu berücksichtigen. Der Betroffene soll weder vom Staat Entschädigung noch vom Arbeitgeber Vergütung erhalten, wenn er in vorwerfbarer Weise zum Schadenseintritt beigetragen hat (so auch Sievers/Kruppa, jM 2022, 22, 28). Es ist nicht die Aufgabe des Arbeitgebers und des Staates, sämtliche durch die Pandemie entstandenen Auswirkungen, die der einzelne Arbeitnehmer und Bürger der Gesellschaft durch ein gewissenhaftes Verhalten hätte vermeiden können, auch auszugleichen.
Das Kausalitätserfordernis ist damit auch weiterhin gegeben, nur nicht in der Form, dass eine 100-prozentige oder eine mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erforderliche Gewissheit gegeben sein muss. Im Rahmen des Rechtsgesprächs während der mündlichen Verhandlung hat insoweit auch der Prozessbevollmächtigte des Klägers argumentiert, dass nicht jede beliebige Impfung i.S.v. § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG gemeint sein kann. Dies ist zugleich ein gutes Argument dafür, dass die vom Gesetzgeber im Wortlaut Anklang findende Kausalität vor allem auf den Umstand zu beziehen sein muss, dass zwischen der konkreten Impfung selbst und der zu verhindernden viralen oder bakteriellen Infektion, die zu einer Erkrankung und einer daraus folgenden Absonderung führen kann, eine Kausalität dergestalt bestehen muss, dass die Impfung selbst auch grundsätzlich und nicht bloß zufällig geeignet sein muss, die Erkrankung und damit eine Absonderung grundsätzlich verhindern zu können. Dies ist bei der vom RKI in seinem Lagebericht geschätzte Impfeffektivität nach der dort aufgeführten Methode für den Gesamtbeobachtungszeitraum 5. bis 44. KW im Jahr 2021 für die Altersgruppe 18-59 Jahre, in der sich der Kläger befindet, mit ca. 82 % der Fall (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/Wochenbericht/Wochenbericht_2021-11-11.pdf?__blob=publicationFile, zuletzt abgerufen am 23.05.2022). Hierbei ist zudem zu berücksichtigen, dass es sich um eine durchschnittliche Wahrscheinlichkeit aller zu diesem Zeitpunkt im November sich im Einsatz befindlichen Impfstoffe handelt. Die mRNA-Impfstoffe weisen insoweit, wie sich aus diesem und den vorangegangenen Lageberichten ergibt, sogar noch eine höhere Effektivtät auf.
(4)
Aufgrund der oben genannten Erwägungen ist von einer hohen Wahrscheinlichkeit im Hinblick auf die Vermeidung der Quarantäne im Rahmen der Kausalität auszugehen, die zum streitgegenständlichen Zeitpunkt auch gegeben war.
(5)
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Kläger, der am 10.11.2021 anscheinend nicht mehr arbeitsunfähig erkrankt gewesen war in Ermangelung eines Vortrags zu etwaigen Krankheitssymptomen, sich hätte „frei“ testen können. Gemäß § 15 Abs. 4a der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt gültigen Fassung der Verordnung zur Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 und zur Regelung von Absonderungen nach § 30 des Infektionsschutzgesetzes (Corona-Test-und-Quarantäneverordnung - CoronaTestQuarantäneVO) vom 8. April 2021 (in der Fassung vom 27.10.2021) bestand für asymptomatische Personen mit einem Impfschutz die Möglichkeit, die Quarantäne bereits nach Ablauf von fünf Tagen und Durchführung einer abschließenden PCR-Testung zu beenden. Da der Kläger ab dem 10.11.2021 anscheinend schon nicht mehr arbeitsunfähig war, obwohl er nicht geimpft war, besteht im Einzelfall sogar nach Auffassung des erkennenden Gerichts eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Kläger von dieser Möglichkeit der „Freitestung“ im Falle einer Impfung hätte Gebrauch machen können. Auch insoweit war das Unterlassen einer Impfung kausal.
B.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO. Die klagende Partei hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Streitwert wurde gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteilstenor in Höhe des Zahlungs-antrags festgesetzt.