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Arbeitsrecht
23.01.2025
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Einigungsstelleneinsetzungsverfahren über Beschwerde nach § 85 BetrVG

LAG Nürnberg, Beschluss vom 27.9.2024 – 3 TaBV 19/24

Volltext: BB-Online BBL2025-244-3

Leitsatz

Sofern die Beschwerde nach § 85 BetrVG ausschließlich einen Beschwerdegegenstand enthält, der die Amtsstellung des Beschwerdeführers als Betriebsratsmitglied betrifft, ist der Anwendungsbereich des § 85 BetrVG nicht eröffnet, da sich die Beschwerde nicht auf die Beeinträchtigung eines „Arbeitnehmers" bezieht; die Einigungsstelle nach § 85 Abs. 2 BetrVG ist in diesem Falle offensichtlich unzuständig. Die offensichtliche Unzuständigkeit folgt hier daneben auch daraus, dass lediglich Rechtsansprüche nach § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geltend gemacht worden sind.

 

Aus den Gründen

I.

Die Beteiligten streiten um die Einsetzung einer Einigungsstelle betreffend die Beschwerde des Mitarbeiters und Betriebsratsmitglieds E. vom 20.11.2023.

Die Beteiligte zu 2 entwickelt und produziert medizinische Geräte und Produkte für die Dialyse, das Krankenhaus und die medizinische Versorgung von Patienten. Der Beteiligte zu 1 ist der für den Betrieb A-Stadt der Beteiligten zu 2 ordnungsgemäß gewählte Betriebsrat.

Der Betriebsrat besteht aus 17 Mitgliedern. Betriebsratsvorsitzende ist Frau F.

Mit Schreiben vom 20.11.2023 erhob der Mitarbeiter und Mitglied des Betriebsrats E. gegenüber dem Betriebsratsgremium eine Beschwerde, die vier Ziffern enthielt und sich inhaltlich auf vier verschiedene Punkte bezog.

Die Beschwerde hatte im Wesentlichen folgenden Wortlaut:

„Beschwerde an den Betriebsrat

Sehr geehrtes Betriebsratsgremium,

ich, E., wende mich mit dieser Beschwerde an den Betriebsrat und ersuche um die Einleitung entsprechender Maßnahmen gemäß § 85 BetrVG. Die Beschwerde bezieht sich auf folgende Punkte:

1. Am 15.11.2023 führte ich ein Personalgespräch mit Herrn G und Frau H., bei dem Herr I. als mein gewählter Vertreter des Betriebsrats anwesend war. In diesem Gespräch wurden mir drei verhaltensbedingte Abmahnungen (siehe Anlage 1) schriftlich überreicht, die auf angeblichen Verstößen im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit als Betriebsrat basieren. Ich bitte das Betriebsratsgremium, dies rechtlich zu überprüfen, da ich davon überzeugt bin, dass eine Abmahnung aufgrund meiner Betriebsratstätigkeit gemäß § 314 Abs. 2 BGB nicht zulässig ist, da hierbei keine Verstöße gegen meine arbeitsvertraglichen Pflichten vorliegen.

2. Die erhaltenen Abmahnungen empfinde ich als Behinderung meiner Betriebsratsarbeit nach § 78 BetrVG und als Benachteiligung, die meinem beruflichen Werdegang schaden könnte. Ich ersuche den Betriebsrat, auch diesen Aspekt rechtlich zu prüfen, um eine Entfernung der Abmahnung beim Arbeitgeber zu erwirken und Maßnahmen gegen den Arbeitgeber wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit zu ergreifen.

3. Gemäß Anlage 2 und 3 ist ersichtlich, dass Herr J. wissentlich Betriebsratsunterlagen von meinem Arbeitsplatz entfernt hat. Ich bitte den Betriebsrat, dies rechtlich zu überprüfen und entsprechende Schritte einzuleiten, um solche Vorfälle künftig zu verhindern.

4. Die von Herrn J. entwendeten Unterlagen wurden digitalisiert und von Herrn G. vervielfältigt (vgl. Anlage 2 und 3). Trotz meiner schriftlichen Aufforderung hat Herr G. bis heute versäumt, die Unterlagen zu löschen, da er sie als „Beweismittel“ für die erteilten Abmahnungen betrachtet (vgl. Anlage 3). Ich ersuche den Betriebsrat, auch diesen Sachverhalt rechtlich zu prüfen, um mögliche Datenschutzverstöße festzustellen und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. (…)“

Entsprechende Anlagen, auf die inhaltlich Bezug genommen wird, waren der Beschwerde beigefügt.

Der Betriebsrat beschloss in seiner Sitzung vom 11.12.2023, die Beschwerde des Herrn E. als berechtigt anzusehen. Mit E-Mail vom 12.02.2024 (Anlage 5 zur Antragsschrift) forderte der Betriebsrat von der Beteiligten zu 2 Abhilfe. Mit E-Mail vom 26.02.2024 (Anlage 6 zur Antragsschrift) gab die Beteiligte zu 2 an, dass arbeitgeberseitig die Beschwerde des Herrn E. nicht berechtigt sei. In seiner Sitzung vom 21.03.2024 beschloss der Antragsteller einstimmig, die Einigungsstelle anzurufen und die Prozessvertreter des Beteiligten zu 1 mit der Durchsetzung der Einsetzung der Einigungsstelle, auch soweit erforderlich im Hinblick auf das gerichtliche Bestellungsverfahren, zu beauftragen.

Mit E-Mail vom 24.03.2024, Anl. 7, wurde die Beteiligte zu 2 aufgefordert, unter Fristsetzung bis zum 28.03.2024, sich mit der Einsetzung der Einigungsstelle hinsichtlich der Klärung der Berechtigung der Beschwerde des Herrn E. einverstanden zu erklären. Als Einigungsstellenvorsitzender wurde Herr ... vorgeschlagen. Die Anzahl der Beisitzer sollte mit je drei pro Seite vereinbart werden. Die Beteiligte zu 2 lehnte die Einsetzung einer Einigungsstelle mit E-Mail vom 28.03.2024 ab.

Mit beim Arbeitsgericht Würzburg, Kammer Schweinfurt, eingelegtem Antrag auf Entscheidung im Beschlussverfahren vom 27.05.2024 begehrte der Antragsteller die Einsetzung einer Einigungsstelle zu den vier in der Beschwerde genannten Punkten.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich vorgetragen, dass mit den in der Beschwerde enthaltenen Abmahnungen eine Behinderung der Betriebsratsarbeit verbunden sei. Selbiges gelte für das wissentliche Entfernen von Betriebsratsunterlagen vom Arbeitsplatz sowie die Digitalisierung und Vervielfältigung dieser Unterlagen durch den Arbeitgeber. Der Mitarbeiter der Beteiligten zu 2, Herr J., habe am 26.09.2023 Betriebsratsunterlagen (in der Eigenschaft als Betriebsratsmitglied erstellte Notizen zur Zeitaufnahme im Bereich OPT 4) vom Arbeitsplatz des Herrn E. an sich genommen. Diese würden für eine Tätigkeit des Betriebsrats benötigt. Darüber hinaus habe die Führungskraft, Herr G., diese Unterlagen digitalisiert und vervielfältigt. Der Antragsteller meint, die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich für die Beschwerde unzuständig. Es handele sich bei den Beschwerdegegenständen auch nicht um Rechtsansprüche gemäß § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG. Es würden gerade keine individualrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers geltend gemacht, sondern es seien vielmehr ausschließlich betriebsverfassungsrechtliche Belange berührt. Hinsichtlich des Entwendens, der Digitalisierung und der Vervielfältigung von Daten sei die Beschwerde darauf gerichtet, dass auf die geschilderten tatsächlichen Beeinträchtigungen durch den beschriebenen Umgang mit vertraulichen Betriebsratsunterlagen hingewiesen werde. Es gehe um eine Verfahrensweise zur Verhinderung solcher Vorfälle in der Zukunft. Das Entfernen von Betriebsratsunterlagen beeinträchtige das Betriebsratsmitglied und die Betriebsratstätigkeit unmittelbar. Durch die Digitalisierung und Vervielfältigung der Unterlagen könne das Betriebsratsmitglied seine Tätigkeit nicht mehr ungestört ausüben.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich beantragt,

1. Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle, welche über die Berechtigung der Beschwerde des Herrn E. an den Betriebsrat vom 20.11.2023 entscheiden soll, wird Herr ... bestellt.

2. Die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf drei festgesetzt.

Die Beteiligte zu 2 stellte erstinstanzlich keinen Antrag und nahm schriftsätzlich keine Stellung.

Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 07.06.2024 dem Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle – unter Zurückweisung im Übrigen – teilweise im Hinblick auf die Ziffern 3 und 4 der Beschwerde stattgegeben. Im Hinblick auf die Ziffern 1 und 2 der Beschwerde (Abmahnungen) sei die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig, da hier Rechtsansprüche im Sinne des § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG betroffen seien. Im Hinblick auf Ziffern 3 und 4 der Beschwerde (Entfernung, Digitalisierung und Vervielfältigung von Betriebsratsunterlagen) sei der Antrag begründet. Beim betrieblichen Umgang mit Daten, die auch betriebsratsbezogene Tätigkeiten betreffen, sei die nicht mehr gewährleistete vertrauliche Kommunikation im Falle einer unzulässigen Wegnahme und Verbreitung betroffen. Für diese liege auch durch die im Abhilfeverlangen ausgedrückte Zukunftsbezogenheit keine offensichtliche Unzuständigkeit vor.

Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 07.06.2024 ist der Beteiligten zu 2 am 13.06.2024 zugestellt worden. Die Beschwerdeschrift der Beteiligten zu 2 vom 24.06.2024 mit gleichzeitiger Begründung ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am 24.06.2024 eingegangen.

Die Beteiligte zu 2 ist der Ansicht, dass der Beschluss des Arbeitsgerichts rechtsfehlerhaft sei, soweit dem Antrag im Hinblick auf die Ziffern 3 und 4 der Beschwerde des Herrn E. stattgegeben worden sei. Die Beteiligte zu 2 sei im September 2023 an Unterlagen des Arbeitnehmers E. gelangt, welche sich unerlaubter Weise auf dessen Arbeitsplatz befunden hätten, nachdem diese zudem unerlaubterweise Ende des Jahres 2021 durch jenen Arbeitnehmer erstellt worden seien. Der Arbeitnehmer habe die Unterlagen unter dem Deckmantel einer angeblichen Betriebsratstätigkeit erstellt. Die aufgezeichneten Informationen seien jedoch von Anfang an nicht Teil der vereinbarten Betriebsratstätigkeit gewesen. Herr E. habe unmittelbar personenbezogene Leistungsdaten der Mitarbeiter, die er kontrolliert habe, mit Angabe von Namen, geschätzten persönlichen Leistungsgrad, sowie einzelner Arbeitsschrittbewegungen einer Anweisung des Arbeitgebers zuwider erfasst. Die Unterlagen hätten über die gesamte Dauer der Aufbewahrung keinen Bezug mehr zu einer Betriebsratstätigkeit gehabt. Die Unterlagen seien insbesondere auch nicht in irgendeiner Weise vor dem Zugriff der Beteiligten zu 2 geschützt gewesen, insbesondere auch nicht durch Aufbewahrung in einem eigens dafür vorgesehenen Schließfach. Die Einsetzung einer Einigungsstelle sei vorliegend auch im Hinblick auf die Ziffern 3 und 4 der Beschwerde abzulehnen, da die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig sei. Herr E. mache hiermit Rechtsansprüche geltend. Die Beschwerde des Herrn E. betreffe auch keinen Beschwerdegegenstand im Sinne des § 85 BetrVG. Es sei nicht individuelles Verhalten des Herrn E. als Arbeitnehmer betroffen. Sofern es sich bei den streitgegenständlichen Unterlagen um Betriebsratsunterlagen gehandelt habe, sei die Beschwerde nach §§ 85, 84 BetrVG unstatthaft, da sich diese nach dem Wortlaut ausdrücklich an Arbeitnehmer richte.

Die Beteiligte zu 2. und Beschwerdeführerin stellt folgende Anträge:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Schweinfurt, vom 07.06.2024, Az.: 3 BV 5/24, wird aufgehoben.

2. Der Antrag des Beteiligten zu 1, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle, welche über die Berechtigung der Beschwerde des Herrn E. an den Betriebsrat vom 20.11.2023 entscheiden soll, wird Herr ... bestellt, wird zurückgewiesen.

3. Der Antrag des Beteiligten zu 1, die Anzahl der von jeder Seite zu benennenden Beisitzer wird auf drei festgesetzt, wird zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1. und Beschwerdegegner beantragt,

1. Die Beschwerde wird ohne mündliche Verhandlung als unzulässig verworfen.

2. Hilfsweise wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Beteiligte zu 1 meint, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts zutreffend und rechtsfehlerfrei sei. Es seien insbesondere in den Ziffern 3 und 4 der Beschwerde keine Rechtsansprüche des Arbeitnehmers betroffen. Der Anwendungsbereich der §§ 84 und 85 BetrVG sei eröffnet. Der Beteiligte zu 1 trägt vor, dass die gegenständlichen Unterlagen sehr wohl die Betriebsratstätigkeit des Herrn E. betroffen hätten. Es habe sich um Zeitaufnahmen aus dem Jahre 2021 gehandelt. Diese hätten das Memo zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber sowie persönliche Aufzeichnungen und Mitschriften des Herrn E. im Rahmen von dessen Rolle als Beobachter während der Zeitaufnahmen im Jahr 2021, mithin in seiner Rolle als Betriebsrat, betroffen. Es sei nicht zutreffend, dass diese Unterlagen unerlaubterweise durch Herrn E. erstellt worden seien. Es sei nicht zutreffend, dass die aufgezeichneten Informationen von Anfang an nicht Teil der vereinbarten Betriebsratstätigkeiten gewesen seien. Es treffe nicht zu, dass die Unterlagen keinen Bezug zur Betriebsratstätigkeit hatten. Es werde durch das Verhalten der Arbeitgeberin unmittelbar die Betriebsratstätigkeit des Herrn E. beeinträchtigt.

Die Einigungsstelle sei nicht offensichtlich unzuständig. Das Arbeitsgericht habe insbesondere zutreffend auf eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 12.09.2022, Az. 2 TaBV 8/22 verwiesen. Es sei nämlich die nicht mehr gewährleistete vertrauliche Kommunikation im Falle einer unzulässigen Wegnahme und Verbreitung von Daten, die betriebsratsbezogene Tätigkeit betreffen, tangiert.

Die Beschwerdebegründung der Beteiligten zu 2 werde schließlich den Anforderungen des § 89 ArbGG nicht gerecht, weshalb die Beschwerde der Beteiligten zu 2 bereits unzulässig sei. Sie zeige nicht ausreichend Rechtsfehler auf. Gegenstand und Richtung des Angriffs sei nicht erkennbar. Es finde keine hinreichende Auseinandersetzung mit den tragenden Gründen der angefochtenen Entscheidung statt. So beschäftige sich die Beschwerde gegen den Ausgangsbeschluss nicht mit den Ausführungen des Arbeitsgerichts zum betrieblichen Umgang mit Daten.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten in beiden Instanzen nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

 

II.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig und begründet. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 07.06.2024 ist abzuändern und der Antrag des Antragstellers insgesamt als unbegründet zurückzuweisen, da die Einigungsstelle vorliegend offensichtlich unzuständig ist.

 

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht im Sinne von §§ 100 Abs. 2 S. 2, S. 3 ArbGG i.V.m. 89 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG bei dem Landesarbeitsgericht eingelegt und begründet worden.

 

Soweit der Antragsteller rügt, die Beschwerdeschrift setze sich nicht ausreichend mit dem Ausgangsbeschluss auseinander und die Beschwerde sei daher unzulässig, folgt dem die Kammer nicht. Gemäß § 89 Abs. 2 S. 2 ArbGG muss die Beschwerdebegründung angeben, auf welche im Einzelnen aufzuführenden Beschwerdegründe sowie auf welche neuen Tatsachen die Beschwerde gestützt wird. Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung gerecht. In der Beschwerdeschrift der Vertreter der Beteiligten zu 2 wird hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass die Erstentscheidung rechtsfehlerhaft im Hinblick auf die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Frage der Berechtigung der betroffenen Ziffern 3 und 4 der Beschwerde des Herrn E. ergangen sei, da hier Rechtsansprüche im Sinne des § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG betroffen seien, was das Arbeitsgericht verkannt habe. Auch wird zum Ausdruck gebracht, dass insbesondere die vertrauliche Kommunikation des Betriebsratsgremiums vorliegend nicht betroffen sei. Schließlich wird die Anwendbarkeit der §§ 85 und 84 BetrVG für die vorliegende Beschwerde infrage gestellt, was das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt habe.

 

2. Die Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist begründet, da die Einigungsstelle auch im Hinblick auf die – allein im hiesigen Beschwerdeverfahren gegenständlichen – in Ziffern 3 und 4 der Beschwerde des Herrn E. vom 20.11.2023 betroffenen Gegenstände offensichtlich unzuständig ist, § 100 Abs. 1 S. 2 BetrVG. Da es sich vorliegend insoweit ausschließlich um Beschwerdegegenstände handelt, die die Amtsstellung und -führung des Herrn E. als Betriebsratsmitglied betreffen und nicht seine individualrechtliche Arbeitnehmerstellung, ist bereits der Anwendungsbereich nach §§ 84, 85 BetrVG nicht eröffnet. Darüber hinaus werden jedenfalls in den in der Beschwerdeinstanz maßgeblichen Ziffern 3 und 4 des Beschwerdeschreibens des Herrn E. Rechtsansprüche im Sinne des § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG geltend gemacht, über deren Berechtigung die Einigungsstelle nicht erzwingbar zu befinden hat.

 

a) Für die streitgegenständliche Beschwerde des Herrn E., Ziffern 3 und 4, ist der Anwendungsbereich des § 85 BetrVG nicht eröffnet, weshalb die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist.

 

aa) Gemäß § 85 Abs. 1 BetrVG hat der Betriebsrat Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken. Gemäß § 84 Abs. 1 S. 1 BetrVG hat jeder Arbeitnehmer das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Der mögliche Beschwerdegegenstand ist in beiden Vorschriften identisch (etwa BAG 22.11.2005 – Az. 1 ABR 50/04). Betroffen sind mithin Beschwerden von Arbeitnehmern. Beschwerdegegenstand ist die individuelle Benachteiligung, ungerechte Behandlung oder sonstige Beeinträchtigung des einzelnen Arbeitnehmers (Fitting, BetrVG, 31. Aufl, § 84 Rn. 4). Entscheidend ist allein der subjektive Standpunkt des jeweiligen Arbeitnehmers. Die Beeinträchtigung muss sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sodass außerdienstliche Umstände das Beschwerderecht nur begründen, soweit sie das Arbeitsverhältnis berühren (LAG Düsseldorf, 21.12.1993, NZA 1994, 767; GK-BetrVG/Franzen, § 84 BetrVG Rn. 12). Demnach ergibt sich aus dem Wortlaut („Beschwerden von Arbeitnehmern“) und dem Sinn und Zweck der Vorschriften sowie der Systematik des Gesetzes, dass mit § 85 BetrVG ein Verfahren geschaffen worden ist, das individuelle und mithin individualrechtliche Beschwerden von Arbeitnehmern, die das Arbeitsverhältnis berühren, betrifft. Dies sind Regelungsstreitigkeiten, die subjektiv vom Arbeitnehmer empfundene Benachteiligungen betreffen, mit Ausnahme von Rechtsansprüchen (§ 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG). Zwar können auch Betriebsratsmitglieder ohne weiteres Beschwerden nach § 85 BetrVG an den Betriebsrat richten, wenn sich der Beschwerdegegenstand auf die individuelle Arbeitnehmerstellung des Betriebsratsmitglieds bezieht. Sofern der Gegenstand der Beschwerde jedoch allein und ausschließlich die Amtsführung als Betriebsrat betrifft, ist der Anwendungsbereich des § 85 BetrVG nicht eröffnet, da sich die Beschwerde nicht auf die Beeinträchtigung eines „Arbeitnehmers“, mithin auf – insoweit weit zu verstehende – individualrechtliche Sachverhalte, bezieht. Insbesondere erweitern die §§ 84 und 85 BetrVG nicht die kollektiven Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats (etwa Fitting, BetrVG, 31. Auflage § 85 Rn. 12). Zweck des in § 85 Abs. 2 BetrVG vorgesehenen Einigungsstellenverfahrens ist nicht, dass die Beteiligungsrechte des Betriebsrats erweitert werden und damit das abgestufte System der Mitbestimmung durchbrochen wird (LAG Hamm, 16.04.1986, BB 1986, 1359; LAG Schleswig-Holstein, 21.12.1989, NZA 1990, 703; Richardi/Thüsing, BetrVG, § 85 Rn. 6). Dem würde es widersprechen, wenn Beschwerden, die rein betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen einem Mitglied des Betriebsrats und dem Arbeitgeber betreffen, entgegen dem sonstigen im BetrVG enthaltenen Reglement zur Konfliktlösung und zur erzwingbaren Möglichkeit der Einsetzung einer Einigungsstelle von Streitigkeiten zwischen Betriebsräten und dem Arbeitgeber, die allein die Rechtsstellung als Amtsträger betreffen, im Rahmen des § 85 BetrVG der Einigungsstelle zugeführt werden könnten.

 

bb) Vorliegend macht das Betriebsratsmitglied E. ausweislich des Wortlautes mit seiner Beschwerde in Ziffer 3 geltend, dass Herr J. wissentlich Betriebsratsunterlagen vom Arbeitsplatz des Herrn E. entfernt habe. In Ziffer 4 der Beschwerde wendet sich der Beschwerdeführer dagegen, dass die von Herrn J. entwendeten (Betriebsrats-) Unterlagen digitalisiert und von Herrn G. vervielfältigt und nicht gelöscht worden seien. Mithin wird bereits aus dem Beschwerdeschreiben ersichtlich, dass Herr E. davon ausgeht, dass Betriebsratsunterlagen vom Arbeitsplatz entfernt worden seien. Auch aus den dem eigentlichen Beschwerdeschreiben beigefügten Anlagen wird deutlich, dass sich die Beschwerde auf Unterlagen bezieht, die Herr E. nach seiner Meinung in seiner Amtsstellung als Betriebsrat erstellt und aufbewahrt hatte. Sowohl in der erstinstanzlichen Antragsschrift, als auch in der Beschwerdeerwiderung trägt der Antragsteller dementsprechend vor, dass die betroffenen Unterlagen solche des Betriebsrats gewesen seien und damit die Betriebsratstätigkeit des Herrn E. unmittelbar betroffen sei (vgl. etwa Seite 9 oben der Beschwerdeerwiderung vom 09.08.2024). Es werde durch das Verhalten der Arbeitgeberin unmittelbar die Betriebsratstätigkeit des Beschwerdeführers beeinträchtigt. Mithin wendet sich die Beschwerde des Herrn E. nicht gegen Beeinträchtigungen, die das individuelle Arbeitsvertragsverhältnis des Herrn E. – mithin seine Stellung als „Arbeitnehmer“ im Sinne des § 85 BetrVG – betreffen, sondern gegen Beeinträchtigungen betreffend der Betriebsratstätigkeit des Herrn E.. Dass die Beteiligte zu 2 in ihrer Beschwerdeschrift in Abrede stellt, dass die vom Arbeitsplatz entfernten Unterlagen solche des Betriebsrats waren, ist insoweit irrelevant. Denn der Gegenstand der Beschwerde richtet sich ausschließlich danach, was der Arbeitnehmer zum Gegenstand gemacht hat und nicht danach, wie die Beteiligten diese im Bestellungsverfahren auslegen (vgl. LAG Hessen, Beschluss vom 06.06.2024- 5 TaBV 54/24). Zusammenfassend bleibt damit festzuhalten, dass Gegenstand der von Herrn E. in Ziffern 3 und 4 geltend gemachten Beschwerde ausschließlich der Umgang mit Betriebsratsunterlagen, bzw. die digitale Vervielfältigung und Löschung von Betriebsratsunterlagen ist. Mithin betrifft die Beschwerde ausschließlich das Betriebsratsamt und nicht das individuelle Arbeitsverhältnis. Hierfür ist nach Vorstehendem die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig, da der Anwendungsbereich des § 85 BetrVG nicht eröffnet ist.

 

b) Selbst wenn man vorstehende Rechtsfrage zum Anwendungsbereich des § 85 BetrVG anders sehen würde, wäre die Einigungsstelle gleichwohl offensichtlich unzuständig. Denn die Beschwerde des Herrn E. betrifft in Ziffern 3 und 4 Rechtsansprüche, weshalb die Einigungsstelle gemäß § 85 Abs. 2 S. 3 BetrVG offensichtlich nicht zuständig ist.

 

aa) Eine nach § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG angerufene Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig i.S.d. § 100 Abs. 1 Satz 2 BetrVG, wenn Gegenstand der Arbeitnehmerbeschwerde ein Rechtsanspruch ist. In einem solchen Fall ist eine Entscheidung der Einigungsstelle nicht erzwingbar (vgl. § 85 Abs. 2 Satz 2 und Satz 3 BetrVG), so dass diese nicht gegen den Willen des Arbeitgebers bestellt werden kann. Das Verfahren nach § 85 BetrVG hat nicht den Sinn, einem Arbeitnehmer die Einholung eines gerichtlichen Gutachtens zu ermöglichen. Für Rechtsansprüche steht ihm der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen offen. Sinn und Zweck des § 85 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bestehen in der Eröffnung eines Wegs zur Beilegung eines betrieblichen Regelungskonflikts (BAG 22. November 2005 – 1 ABR 50/04 -Rn. 38, 40, LAG Hessen, Beschluss vom 06.06.2024 – 5 TaBV 54/24).

 

Der Begriff des Rechtsanspruchs i.S.v. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG erfasst – abweichend von der Legaldefinition des „Anspruchs“ in § 194 Abs. 1 BGB – jede Rechtsstreitigkeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vgl. BT-Drs. VI/1786, 48), über die die Arbeitsgerichte mit einer Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen des Anspruchs befinden können. Folglich ist die Einigungsstelle gemäß § 85 Absatz 2 Satz 1 BetrVG nur zuständig, soweit es sich um Streitigkeiten handelt, die rein tatsächliche Beeinträchtigungen des Arbeitnehmers zum Inhalt haben, sog. Regelungsstreitigkeiten (Fitting BetrVG § 85 Rn. 6; Düwell BetrVG § 85 BetrVG Rn. 17; GKBetrVG/Franzen BetrVG § 85 Rn. 10). Ob mit der Beschwerde ein Rechtsanspruch oder eine Regelungsstreitigkeit geltend gemacht wird, ist aufgrund des Inhalts der Beschwerdebegründung zu beurteilen. Der Gegenstand der Beschwerde richtet sich ausschließlich danach, was der Arbeitnehmer zum Gegenstand gemacht hat und nicht danach, wie die Beteiligten diese im Bestellungsverfahren auslegen (LAG Hessen, Beschluss vom 06.06.2024 – 5 TaBV 54/24). Unerheblich ist, ob ein Rechtsanspruch tatsächlich besteht. Vielmehr ist entscheidend, ob ein (vermeintlicher) Rechtsanspruch geltend gemacht wird. Ob ein Rechtsanspruch besteht, hat nicht die Einigungsstelle zu entscheiden, sondern unterliegt als Rechtsfrage allein der gerichtlichen Überprüfung. Damit ist in dem Verfahren um die Bildung der Einigungsstelle gemäß § 100 ArbGG maßgeblich, ob offensichtlich ein Rechtsanspruch in Streit steht. Nur unter dieser Voraussetzung ist die Bildung der Einigungsstelle abzulehnen. Ist hingegen zweifelhaft, ob es um die Verfolgung eines Rechtsanspruchs oder um eine bloße Regelungsstreitigkeit geht, ist die Einigungsstelle zu bilden (vgl. Hess. LAG 06.06.2024 – 5 TaBV 54/24; 3. März 2009 – 4 TaBV 14/09 – Rn. 23, juris; LAG Baden-Württemberg 13. März 2000 – 15 TaBV 4/99 – Rn. 31, juris; Düwell BetrVG § 85 BetrVG Rn. 17; ErfK/Kania BetrVG § 85 Rn. 5).

 

bb) Nach diesen Grundsätzen steht für die Kammer außer Zweifel, dass – unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des § 85 BetrVG – jedenfalls Rechtsansprüche Gegenstand der Beschwerde in Ziffern 3 und 4 sind.

 

Ausweislich des Wortlautes des Beschwerdeschreibens vom 20.11.2023 macht Herr E. in Ziffer 3 geltend, dass Betriebsratsunterlagen vom Arbeitsplatz entfernt worden seien. Des Weiteren bittet der Beschwerdeführer den Betriebsrat, dies rechtlich zu überprüfen und entsprechende Schritte einzuleiten, um solche Vorfälle künftig zu verhindern. Inhalt und Ziel der Beschwerde ist somit nach dem klaren Wortlaut der Beschwerde die Geltendmachung von Unterlassungsansprüchen für die Zukunft, um ähnliche Vorfälle zukünftig zu verhindern. Es wäre sowohl Herrn E. als Betriebsratsmitglied, als auch dem Betriebsrat als Gremium ohne weiteres möglich, etwaige entsprechende Unterlassungsansprüche in einem Gerichtsverfahren durchzusetzen. Soweit das Arbeitsgericht in seiner Ausgangsentscheidung das Vorliegen eines Rechtsanspruchs mit der Begründung verneint hat, dass beim betrieblichen Umgang mit Daten, die betriebsratsbezogene Tätigkeiten betreffen, die nicht mehr gewährleistete vertrauliche Kommunikation im Falle einer unzulässigen Wegnahme und Verbreitung betroffen sei, ist nicht nachvollziehbar, woraus das Arbeitsgericht geschlossen hat, dass sich die Beschwerde lediglich auf die Modalitäten der Kommunikation zwischen Herrn E. und der Beteiligten zu 2 beziehe. Ausweislich des Wortlauts der Beschwerde in Ziffer 3 wird nicht lediglich pauschal begehrt, dass die vertrauliche Kommunikation zu verbessern wäre. Vielmehr bittet der Beschwerdeführer dem Betriebsrat ausdrücklich, entsprechende Schritte einzuleiten, um solche Vorfälle künftig zu verhindern. Mithin wird hier ein Rechtsanspruch auf Unterlassung geltend gemacht und nicht lediglich eine abstrakte Aufforderung zur Verbesserung der vertraulichen Kommunikation zwischen Betriebsratsmitglied und Arbeitgeber. Soweit sich das Arbeitsgericht in seiner Begründung auf eine Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz vom 12.09.2022, 2 TaBV 8/22 bezieht, ist anzumerken, dass dieser Entscheidung ein vollkommen anderer Sachverhalt zugrunde lag, weshalb diese Entscheidung nicht auf den hiesigen Fall übertragen werden kann. Denn dort ging es um die Beschwerde einer Personalleiterin (im Gegensatz zum vorliegenden Fall gerade nicht um ein Mitglied des Betriebsrats), die behauptet hatte, von Personalaufgaben isoliert worden zu sein. Eine vertrauliche Kommunikation mit Mitarbeitern und dem Betriebsrat sei nach den Maßnahmen des Arbeitgebers insbesondere im Hinblick auf den Umgang mit dem E-Mail Account nicht mehr möglich. Mit dem Beschwerdeschreiben begehrte sie ausweislich der Entscheidungsgründe genannter Entscheidung des LAG Rheinland – Pfalz in erster Linie Abhilfe hinsichtlich des beschriebenen belastenden Zustandes, ohne dass konkretisierte Rechtsansprüche geltend gemacht worden wären. Ausweislich des Wortlautes der streitgegenständlichen Beschwerde in Ziffer 3 geht es im hiesigen Verfahren gerade darum, solche Vorfälle künftig zu verhindern und nicht lediglich um die Beseitigung eines etwaig belastenden Zustandes oder abstrakte Verbesserung der Kommunikation.

 

Gleiches gilt für den in Ziffer 4 der Beschwerde enthaltenen Beschwerdegegenstand. Der Beschwerdeführer moniert hier, dass die zuvor entwendeten und digitalisierten (Betriebsrats-) Unterlagen nicht gelöscht worden seien, verbunden mit dem Ersuchen, den Sachverhalt rechtlich zu prüfen, um mögliche Datenschutzverstöße festzustellen und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Ziel der Beschwerde ist somit unzweifelhaft, dass datenschutzrechtliche und/oder betriebsverfassungsrechtliche Ansprüche etwa auf Löschung der genannten Daten (etwa aus §§ 78 S. 2 BetrVG, 23 Abs. 3 S. 1 BetrVG und/oder datenschutzrechtlichen Anspruchsgrundlagen) geltend gemacht werden. Solche Ansprüche könnten auch durch den Beschwerdeführer ohne weiteres in einem Gerichtsverfahren geltend gemacht werden. Die Einigungsstelle ist offensichtlich unzuständig.

 

III.

Die Entscheidung ergeht durch den Vorsitzenden alleine, § 100 Abs. 2 Satz 3 ArbGG.

IV.

Gegen diese Entscheidung findet kein Rechtsmittel statt, § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG.

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