LAG Köln: Einigungsstelle – Personalfragebogen – Kompetenzkonflikt zwischen Gesamt-und Konzernbetriebsrat
LAG Köln, Beschluss vom 28.1.2025 – 9 TaBV 89/24
ECLI:DE:LAGK:2025:0128.9TABV89.24.00
Volltext: BB-Online BBL2025-499-2
Leitsätze
Der Gesamtbetriebsrat kann wegen offenkundiger Unzuständigkeit nicht gemäß § 100 ArbGG die Einsetzung einer Einigungsstelle hinsichtlich des Inhalts und der Nutzung eines Personalfragebogens durchsetzen, wenn der Fragebogen nach Konzernvorgaben unternehmensüber- greifend eingeführt wird. In diesem Fall ist dem Arbeitgeber eine Regelung auf der Unternehmensebene subjektiv unmöglich.
Aus den Gründen
I.
Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Einigungsstelle bezüglich eines Fragebogens zu Interessenkonflikten im Rahmen von Compliance-Maßnahmen.
Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Konzerns D Group. In der Sparte D E wird weltweit eine „Conflict of interest global policy“ verfolgt. Allen Unternehmen des Teilkonzerns E, in Deutschland der Arbeitgeberin und ihren Schwesterunternehmen D A GmbH und D C GmbH, wurde in Umsetzung der konzernweiten Richtlinien von der Leitung des Teilkonzerns E vorgeschrieben, unter welchen Voraussetzungen Arbeitnehmer und Bewerber zur Ermittlung etwaiger Interessenkonflikte unter Beachtung welcher Verfahrensschritte wie zu befragen sind. Bestandteil der Anweisung (Blatt 68 bis 81 der arbeitsgerichtlichen Akte) waren ein in englischer Sprache verfasster Fragebogen (Blatt 71 der arbeitsgerichtlichen Akte) sowie Vorgaben zu dessen Verwendung. Dementsprechend führte die Arbeitgeberin nach Übersetzung des Fragebogens sowohl in Papierform als auch in elektronischer Form ein „Vereinfachtes Formular zur Erklärung von Interessenkonflikten“ (Blatt 8 der arbeitsgerichtlichen Akte) ein, ohne den Gesamtbetriebsrat beteiligt zu haben.
Der Gesamtbetriebsrat hat die Ansicht vertreten, dass ihm ein Mitbestimmungsrecht nach § 94 Abs. 1 BetrVG zustehe, und die Einigungsstelle angerufen. Der Personalfragebogen enthalte – so seine Ansicht – Fragen, die Aufschluss über die Person des jeweiligen Arbeitnehmers gäben. Es müsse zwingend eine einheitliche inhaltliche Regelung getroffen werden, ab wann von einem Interessenkonflikt ausgegangen werden könne, und welche Arbeitnehmergruppen überhaupt in die Gefahr von Interessenkonflikten gelangen könnten.
Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt,
1. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über den Inhalt und die Nutzung eines Fragebogens zur Erklärung von Interessenkonflikten“ den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht N Dr. T H zu bestellen;
2. die Zahl der von den Beteiligten jeweils zu benennenden Beisitzer auf vier festzusetzen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie hat die Ansicht vertreten, dass das Mitbestimmungsrecht nicht auf Ebene des Gesamt- sondern auf der des Konzernbetriebsrats liege. Die Feststellung von Interessenkonflikten und der entsprechende Datenabgleich könnten nur konzernweit einheitlich erfolgen.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Gesamtbetriebsrats mit einem am 10.12.2024 verkündeten Beschluss als unbegründet zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:
Die Frage, ob ein Interessenkonflikt vorliegen könne und welche Fragen diesbezüglich an Arbeitnehmer gestellt werden müssten, könne nur unternehmensübergreifend geregelt werden. Da sämtliche Konzernbereiche von der Problematik eines Interessenkonflikts betroffen seien und dieses Problem auch im Konzern der Beklagten weltweit möglichst übereinstimmend geregelt werden müsse, sei nicht die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, sondern vielmehr die des Konzernbetriebsrats gegeben.
Gegen diesen ihm am 16.12.2024 zugestellten Beschluss richtet sich die am 30.12.2024 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegte und zugleich begründete Beschwerde des Gesamtbetriebsrats.
Er meint, eine konzerneinheitliche Regelung des Fragebogens sei nicht zwingend erforderlich. Das Arbeitsgericht spreche selbst davon, dass „möglichst“ weltweit eine übereinstimmende Regelung gefunden werden sollte. Aus der Formulierung „möglichst“ sei schon ersichtlich, dass eine weltweite komplett einheitliche Regelung gar nicht denkbar sei. In den einzelnen Ländern des Konzerns gölten unterschiedliche rechtliche Bestimmungen, insbesondere zum Datenschutz, sodass Fragen in einem Land zulässig sein könnten und in dem anderen wiederum nicht.
Der Gesamtbetriebsrat beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Bonn vom 10.12.2024 abzuändern, zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit der Regelungsthematik „Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über den Inhalt und die Nutzung eines Fragebogens zur Erklärung von Interessenkonflikten“ den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht N Dr. T H zu bestellen und die Zahl der von den Beteiligten jeweils zu benennenden Beisitzer auf vier festzusetzen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und hält den Gesamtbetriebsrat für unzuständig. Da kein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung bestimmter Fragebögen bestehe, könne die Arbeitgeberseite frei darüber entscheiden, ob sie einen bestimmten Fragebogen auf Betriebs-, Unternehmens- oder Konzernebene einführen möchte. Damit bestimme sie zugleich den zuständigen betriebsverfassungsrechtlichen Verhandlungspartner.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
II.
Die gemäß § 100 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte, gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG form- und fristgerecht eingelegte sowie insgesamt zulässige Beschwerde des Gesamtbetriebsrats ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Einsetzung einer Einigungsstelle zum „Abschluss einer Gesamtbetriebsvereinbarung über den Inhalt und die Nutzung eines Fragebogens zur Erklärung von Interessenkonflikten“ abgelehnt.
1.) Insoweit besteht zunächst offenkundig kein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, da die vom Fragebogen erfassten Sachverhalte und erbetenen Erklärungen keine das Ordnungsverhalten von Arbeitnehmern betreffenden Weisungen darstellen.
2.) Soweit sich die Einführung und Nutzung des Fragebogens als Personalfragebogen iSd. § 94 Abs. 1 BetrVG darstellen sollte, fiele die Thematik offenkundig nicht in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, sondern wäre mit dem Konzernbetriebsrat zu regeln.
a) Der Konzernbetriebsrat ist gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können, wenn für die zu regelnden Angelegenheiten ein zwingendes Erfordernis für eine betriebsübergreifende Regelung besteht. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
aa) Der Inhalt und die Nutzung des Fragebogens betreffen mehrere konzernangehörige Unternehmen.
bb) Eine Regelung durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte ist nicht möglich, da der Fragebogen nach Konzernvorgaben unternehmensübergreifend eingeführt wird und der Gesamtbetriebsrat kein erzwingbares Mitbestimmungsrecht aus § 94 BetrVG zur Einführung eines Personalfragebogens hat. Er kann die Einführung von Personalbogen nach § 92 Abs. 2 BetrVG lediglich vorschlagen (Fitting, 32. Aufl. 2024, § 94 BetrVG, Rn. 11). Beschließt eine unternehmensübergeordnete Konzernstelle, wie hier HR Global, die unternehmensübergreifende Einführung und Nutzung eines Fragebogens, gibt sie damit zugleich die Ebene vor, auf der sie die Einführung und Nutzung des Fragebogens regeln will (vgl. BAG, Urteil vom 9. November 2021 – 1 AZR 206/20 –, Rn. 21, juris; BAG, Urteil vom 19. Juni 2007 – 1 AZR 454/06 –, Rn. 23, juris; BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 –, Rn. 18, juris). Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass der Arbeitgeberin eine Regelung auf der Unternehmensebene unmöglich ist. Denn mit dem Begriff des Nichtregelnkönnens iSd. § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ist nicht nur die objektive, sondern auch die subjektive Unmöglichkeit gemeint. Eine solche subjektive Unmöglichkeit ist dann anzunehmen, wenn eine auf die einzelnen Unternehmen beschränkte Regelung deshalb nicht möglich ist, weil nicht die Arbeitgeberin, sondern eine übergeordnete Konzernstelle den Regelungsgegenstand so vorgegeben hat, dass eine Regelung nur unternehmensübergreifend erfolgen kann (vgl. BAG, Urteil vom 9. November 2021 – 1 AZR 206/20 –, Rn. 21, juris; BAG, Urteil vom 19. Juni 2007 – 1 AZR 454/06 –, Rn. 23, juris; BAG, Beschluss vom 10. Oktober 2006 – 1 ABR 59/05 –, Rn. 18, juris). Demgemäß ist anerkannt, dass das Mitbestimmungsrecht bei einheitlichen Fragebogen für mehrere Konzernunternehmen dem Konzernbetriebsrat zusteht (Fitting, 32. Aufl. 2024, § 94 BetrVG, Rn. 3). Dass die Arbeitgeberin den in englischer Sprache abgefassten Fragebogen für ihre Arbeitnehmer erst noch übersetzt hat, spielt insoweit keine Rolle. Maßgeblich ist allein, dass sein Inhalt und seine Nutzung durch den Konzern vorgegeben waren.
III.
Gegen diesen Beschluss findet gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht statt.