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Arbeitsrecht
18.02.2021
Arbeitsrecht
EuGH: EU-Vorschriften zum Befristungsrecht – Anwendungsvorrang vor nationalem Verfassungsrecht

EuGH, Urteil vom 11.2.2021 – Rs. C-760/18, M. V. u. a. gegen Organismos Topikis Aftodioikisis (OTA) „Dimos Agiou Nikolaou“

ECLI:EU:C:2021:113

Volltext: BB-Online BBL2021-371-1

Tenor

1. Paragraf 1 und Paragraf 5 Nr. 2 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge sind dahin auszulegen, dass der darin enthaltene Ausdruck „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge“ auch die automatische Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften erfasst, die gemäß ausdrücklichen nationalen Bestimmungen und unter Nichteinhaltung der grundsätzlich für den Abschluss aufeinanderfolgender Verträge vorgesehenen Schriftform erfolgt ist.

2. Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge ist dahin auszulegen, dass im Fall des Missbrauchs aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge im Sinne dieser Bestimmung die Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, so weit wie möglich alle einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts so auszulegen und anzuwenden, dass eine angemessene Ahndung des Missbrauchs und die Beseitigung der Folgen des Unionsrechtsverstoßes möglich ist, die Beurteilung umfasst, ob die Bestimmungen einer bereits bestehenden nationalen Regelung, die noch immer in Kraft ist und anhand der die Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umgewandelt werden kann, gegebenenfalls zum Zweck der unionsrechtskonformen Auslegung Anwendung finden können, obwohl nationale Verfassungsbestimmungen eine solche Umwandlung im öffentlichen Sektor strikt verbieten.

Aus den Gründen

1          Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Paragraf 1 und Paragraf 5 Nr. 2 der am 18. März 1999 geschlossenen Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (im Folgenden: Rahmenvereinbarung) im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).

2          Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen M. V. und anderen Arbeitnehmern auf der einen Seite und ihrem Arbeitgeber, dem Organismos Topikis Aftodioikisis (OTA) „Dimos Agiou Nikolaou“ (Gebietskörperschaft „Stadtgemeinde Agios Nikolaos“, Griechenland, im Folgenden: Gemeinde Agios Nikolaos), auf der anderen Seite darüber, ob ihre Arbeitsverhältnisse als Beschäftigte des Reinigungsdiensts dieser Gemeinde als unbefristet zu qualifizieren sind.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3          Nach Paragraf 1 der Rahmenvereinbarung

„… soll [diese]:

a) durch Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung die Qualität befristeter Arbeitsverhältnisse verbessern;

b) einen Rahmen schaffen, der den Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse verhindert“.

4          In Paragraf 3 („Definitionen“) der Rahmenvereinbarung heißt es:

„Im Sinne dieser Vereinbarung ist:

1. ,befristet beschäftigter Arbeitnehmer‘ eine Person mit einem direkt zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer geschlossenen Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis, dessen Ende durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt wird.

… “

5          Paragraf 5 („Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch“) der Rahmenvereinbarung bestimmt:

„1. Um Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder -Verhältnisse zu vermeiden, ergreifen die Mitgliedstaaten nach der gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschriebenen oder in dem Mitgliedstaat üblichen Anhörung der Sozialpartner und/oder die Sozialpartner, wenn keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen zur Missbrauchsverhinderung bestehen, unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien eine oder mehrere der folgenden Maßnahmen:

a) sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge oder Verhältnisse rechtfertigen;

b) die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse;

c) die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.

2. Die Mitgliedstaaten, nach Anhörung der Sozialpartner, und/oder die Sozialpartner legen gegebenenfalls fest, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse:

a) als ,aufeinanderfolgend‘ zu betrachten sind;

b) als unbefristete Verträge oder Verhältnisse zu gelten haben.“

6          Paragraf 8 („Umsetzungsbestimmungen“) der Rahmenvereinbarung sieht vor:

„1. Die Mitgliedstaaten und/oder die Sozialpartner können günstigere Bestimmungen für Arbeitnehmer beibehalten oder einführen, als sie in dieser Vereinbarung vorgesehen sind.

…“

Griechisches Recht

Verfassungsbestimmungen

7          Im Jahr 2001 wurde Art. 103 der griechischen Verfassung durch die Abs. 7 und 8 ergänzt, die bestimmen:

„(7) Die Einstellung von Bediensteten im Staatsdienst und im öffentlichen Sektor im weiten Sinne … erfolgt entweder nach einem Prüfungsverfahren oder nach einer Auswahl anhand vorher festgelegter objektiver Kriterien und unterliegt der Kontrolle durch eine unabhängige Behörde, wie gesetzlich vorgesehen. …

(8) Das Gesetz legt die Bedingungen und die Dauer der privatrechtlichen Arbeitsverhältnisse mit dem Staat und dem öffentlichen Sektor im weiten Sinne fest, wie er im jeweiligen Einzelfall definiert ist, um entweder Planstellen zu besetzen, die nicht in Abs. 3 Unterabs. 1 vorgesehen sind, oder einen zeitweiligen oder unvorhergesehenen oder dringlichen Bedarf im Sinne von Abs. 2 Unterabs 2 zu decken. Das Gesetz regelt außerdem die Aufgaben, die Bedienstete im Sinne des vorstehenden Unterabsatzes wahrnehmen dürfen. Eine gesetzliche Verbeamtung von Bediensteten, die unter den ersten Unterabsatz fallen, oder die Entfristung ihrer Verträge ist nicht zulässig. Die Verbote dieses Absatzes gelten auch für im Werkvertragsverhältnis Beschäftigte.“

Einfaches Gesetzesrecht

8          Art. 8 Abs. 1 und 3 des Gesetzes 2112/1920 über die zwingend vorgeschriebene Kündigung des Arbeitsvertrags von Beschäftigten des Privatsektors (FEK A’ 67/18.3.1920), das Schutzvorschriften für den Arbeitnehmer hinsichtlich der Kündigung von unbefristeten privatrechtlichen Arbeitsverträgen festlegt, sieht vor:

„(1) Ein Vertrag, der gegen dieses Gesetz verstößt, ist nichtig, es sei denn, er ist für den Arbeitnehmer günstiger. …

(3) Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten auch für befristete Arbeitsverträge, wenn die Befristung nicht durch die Natur des Vertrags gerechtfertigt ist, sondern absichtlich zur Umgehung der Vorschriften dieses Gesetzes über die zwingend vorgeschriebene Kündigung des Arbeitsvertrags vorgenommen wurde.“

9          Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 in Verbindung mit insbesondere den Art. 281 und 671 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, sowie mit den allgemeinen Grundsätzen der griechischen Verfassung, insbesondere deren Art. 25 Abs. 1 und 3, im Laufe der Jahre von den griechischen Gerichten im Hinblick auf die zutreffende rechtliche Qualifizierung von Arbeitsverhältnissen angewandt wurde, wobei die Gerichte auf der Grundlage dieses Art. 8 Abs. 3 Verträge, die als befristet bezeichnet wurden, in Wirklichkeit aber durch ihre Verlängerung einem ständigen und dauernden Bedarf des Arbeitgebers Rechnung tragen sollten, rechtlich als „unbefristete Verträge“ einstuften.

10        Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass die griechischen Gerichte nach der Änderung der griechischen Verfassung nicht mehr auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 befristete Arbeitsverträge von Arbeitgebern des öffentlichen Sektors in unbefristete Verträge umgewandelt hätten. Die Gerichte waren der Ansicht, dass eine solche Umwandlung gegen das in Art. 103 der geänderten griechischen Verfassung vorgesehene Verbot, Bedienstete des öffentlichen Sektors zu verbeamten, verstoße, selbst wenn der befristete Vertrag einen ständigen und dauernden Bedarf des Arbeitgebers decken sollte.

Vorschriften über die Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften

11        Nach Art. 205 Abs. 1 des Kodikas Katastasis Dimotikon kai Koinotikon Ypallilon (im Folgenden: Statut der Gemeindebediensteten) dürfen die Gebietskörperschaften privatrechtliche befristete Arbeitsverträge schließen, um einen saisonalen oder anderweitig regelmäßig wiederkehrenden oder vorübergehenden Bedarf zu decken.

12        Art. 21 des Gesetzes 2190/1994 über die Errichtung einer unabhängigen Behörde für die Personalauswahl und die Regelung von Verwaltungsfragen (FEK A’ 28/3.3.1994) bestimmt:

„(1) Öffentliche Stellen und juristische Personen … können unter den nachfolgenden Bedingungen und gemäß dem nachstehenden Verfahren Personal mit einem befristeten privatrechtlichen Arbeitsvertrag einstellen, um einem saisonalen oder einem sonstigen regelmäßig wiederkehrenden oder zeitweiligen Bedarf Rechnung zu tragen.

(2) Die Dauer der Beschäftigung des in Absatz 1 genannten Personals darf in einem Zeitraum von zwölf Monaten acht Monate nicht überschreiten. Bei der vorübergehenden Einstellung von Personal, die dazu dient, unter Beachtung der geltenden Bestimmungen einem dringenden, durch Abwesenheit von Personal oder durch unbesetzte Stellen bedingten Bedarf Rechnung zu tragen, darf die Beschäftigungsdauer für ein und dieselbe Person vier Monate nicht überschreiten. Die Verlängerung eines Vertrags oder der Abschluss eines neuen Vertrags im selben Jahr sowie die Umwandlung in einen unbefristeten Vertrag sind nichtig.“

13        Art. 167 des Gesetzes 4099/2012 (FEK A’ 250/20.12.2012) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung bestimmt:

„In Abweichung von anderen Bestimmungen werden von Rechts wegen die geltenden Einzelverträge und jene Einzelverträge, die bis zu neunzig (90) Tage vor Inkrafttreten dieses Gesetzes ausgelaufen sind und die Reinigung der Räumlichkeiten der öffentlichen Dienste, der unabhängigen Behörden, der juristischen Personen des öffentlichen Rechts, der juristischen Personen des Privatrechts und der Gebietskörperschaften betreffen sowie von einem Dienst der Gebietskörperschaften geschlossen wurden, der für die Reinigung zuständig und mit der Aufgabe betraut ist, den Reinigungsbedarf anderer Dienste der Gebietskörperschaften zu decken, bis zum 31. Dezember 2017 verlängert. Die genannte Verlängerung gilt nicht für Einzelverträge, die geschlossen wurden, um dringenden, saisonalen oder vorübergehenden Bedarf im Reinigungsbereich zu decken, deren Laufzeit zwei Monate innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nicht überschreitet und die ab dem 1. Januar 2016 geschlossen wurden.“

14        Durch Art. 76 des Gesetzes 4386/2016 (FEK A’ 83/11.5.2016) wurde nach Art. 167 Abs. 1 Unterabs. 1 des Gesetzes 4099/2012 in seiner damals geltenden Fassung ein Unterabsatz eingefügt, der vorsah, dass die automatische Verlängerung der in Unterabs. 1 genannten Einzelarbeitsverträge bis zum 31. Dezember 2016 ab dem Inkrafttreten des Gesetzes 4325/2015 (d. h. ab dem 11. Mai 2015) auch für Verträge von Bediensteten galt, die zur Deckung eines dringenden, saisonalen oder vorübergehenden Bedarfs im Reinigungsbereich mittels befristeter Arbeitsverträge eingestellt worden waren, deren Laufzeit zwei Monate innerhalb eines Zeitraums von zwölf Monaten nicht überschreiten durfte.

Untergesetzliche Bestimmungen

15        Das Präsidialdekret 164/2004 mit Regelungen für Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen im öffentlichen Sektor (FEK A’ 134/19.7.2004), mit dem die Richtlinie 1999/70 in das für die Bediensteten des Staates und des öffentlichen Sektors im weiten Sinne geltende griechische Recht umgesetzt wurde, sieht in Art. 2 Abs. 1 vor:

„Die Vorschriften dieses Dekrets finden Anwendung auf das Personal des öffentlichen Sektors … sowie auf das Personal der kommunalen Unternehmen, das mit einem befristeten Arbeitsvertrag oder ‑verhältnis oder einem Werkvertrag oder einem anderen Vertrag oder Verhältnis arbeitet, der bzw. das ein Verhältnis abhängiger Beschäftigung verschleiert. …“

16        Art. 4 dieses Präsidialdekrets bestimmt:

„(1) Befristet beschäftigte Arbeitnehmer dürfen hinsichtlich der Modalitäten und Arbeitsbedingungen nicht allein deshalb, weil ihr Vertrag befristet ist, schlechter als Dauerbeschäftigte behandelt werden. In Ausnahmefällen ist eine unterschiedliche Behandlung zulässig, wenn sachliche Gründe dies rechtfertigen.

(2) In Bezug auf bestimmte Beschäftigungsbedingungen gelten für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Betriebszugehörigkeitszeiten wie für Dauerbeschäftigte, es sei denn, unterschiedliche Betriebszugehörigkeitszeiten sind aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“

17        Art. 5 („Aufeinanderfolgende Verträge“) des Präsidialdekrets sieht vor:

„(1) Verboten sind aufeinanderfolgende Verträge, die zwischen demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer mit derselben oder einer ähnlichen Fachrichtung und mit denselben oder ähnlichen Arbeitsbedingungen geschlossen und erfüllt werden, wenn zwischen diesen Verträgen ein Zeitraum von weniger als drei Monaten liegt.

(2) Der Abschluss dieser Verträge ist ausnahmsweise zulässig, wenn er durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist. Ein sachlicher Grund liegt vor, wenn die auf den ursprünglichen Vertrag folgenden Verträge geschlossen werden, um besonderen gleichartigen Bedürfnissen zu dienen, die direkt oder indirekt mit der Form, der Art oder der Tätigkeit des Unternehmens zusammenhängen.

(3) Der Abschluss aufeinanderfolgender Verträge erfolgt schriftlich, und die Gründe, die ihn rechtfertigen, werden ausdrücklich im Vertrag angeführt, sofern sie nicht unmittelbar aus diesem hervorgehen. Ausnahmsweise ist die Schriftform nicht erforderlich, wenn die Verlängerung des Vertrags wegen des gelegentlichen Charakters der Beschäftigung einen Monat nicht überschreitet, es sei denn, dass die Schriftform ausdrücklich in einer anderen Vorschrift vorgesehen ist. Eine Kopie des Vertrags wird dem Arbeitnehmer binnen fünf Arbeitstagen von Beginn seiner Beschäftigung an übergeben.

(4) Vorbehaltlich des Abs. 2 des nachstehenden Artikels darf die Anzahl der aufeinanderfolgenden Verträge in keinem Fall größer als drei sein.“

18        Art. 6 dieses Präsidialdekrets, der die Höchstdauer befristeter Verträge betrifft, bestimmt:

„(1) Verträge, die aufeinanderfolgend zwischen demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer mit derselben oder einer ähnlichen Fachrichtung und zu denselben oder ähnlichen Arbeitsbedingungen geschlossen und erfüllt werden, dürfen unabhängig davon, ob sie in Anwendung des vorstehenden Artikels oder in Anwendung anderer Vorschriften des geltenden Rechts geschlossen werden, in der Gesamtdauer der Beschäftigung über 24 Monate nicht hinausgehen.

(2) Eine Gesamtdauer der Beschäftigung von mehr als 24 Monaten ist nur bei im geltenden Recht vorgesehenen nach der Natur und der Art ihrer Arbeit besonderen Gruppen von Arbeitnehmern zulässig, so insbesondere bei Führungskräften, Arbeitnehmern, die im Rahmen eines konkreten Forschungsprogramms oder eines subventionierten oder finanzierten Programms eingestellt werden, und Arbeitnehmern, die zur Durchführung eines Vorhabens eingestellt werden, das mit der Erfüllung von Verpflichtungen aus Verträgen mit internationalen Einrichtungen zusammenhängt.“

19        Art. 7 („Sanktion von Zuwiderhandlungen“) des Präsidialdekrets 164/2004 sieht vor:

„(1) Ein unter Verstoß gegen die Art. 5 und 6 dieses Dekrets geschlossener Vertrag ist von Rechts wegen nichtig.

(2) Wurde der nichtige Vertrag ganz oder teilweise erfüllt, so werden dem Arbeitnehmer die auf der Grundlage des Vertrags geschuldeten Geldbeträge gezahlt; gegebenenfalls bereits gezahlte Beträge können nicht zurückgefordert werden. Der Arbeitnehmer hat für den Zeitraum, in dem der nichtige Arbeitsvertrag erfüllt worden ist, als Entschädigung Anspruch auf den Betrag, auf den der entsprechende Arbeitnehmer mit unbefristetem Vertrag bei Kündigung seines Vertrags Anspruch hat. Handelt es sich um mehrere nichtige Verträge, so wird als Zeitraum für die Berechnung der Entschädigung die Gesamtdauer der Beschäftigung aufgrund der nichtigen Verträge zugrunde gelegt. Die Geldbeträge, die dem Arbeitnehmer vom Arbeitgeber gezahlt werden, werden dem Verantwortlichen in Rechnung gestellt.

(3) Mit Freiheitsstrafe … wird bestraft, wer gegen die Art. 5 und 6 dieses Dekrets verstößt. Ist die Straftat aus Fahrlässigkeit begangen worden, so wird der Verantwortliche mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft. Die betreffende Zuwiderhandlung stellt gleichzeitig auch ein schweres Disziplinarvergehen dar.“

20        Nach Art. 10 dieses Präsidialdekrets stellt dieses Dekret Bestimmungen, die für die Arbeitnehmer insgesamt und für Arbeitnehmer mit Behinderung günstiger sind, nicht in Frage.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

21        Im Laufe des Jahres 2015 wurden M. V. u. a. von der Gemeinde Agios Nikolaos in ihren Reinigungsdiensten durch befristete privatrechtliche Arbeitsverträge gegen eine nach dem gesetzlichen Schema festgesetzte monatliche Vergütung in Vollzeit eingestellt.

22        Diese ursprünglich für eine Dauer von acht Monaten geschlossenen Verträge wurden rückwirkend und ohne Unterbrechung durch verschiedene gesetzgeberische Eingriffe, die das vorlegende Gericht in den Rn. 15 bis 22 seines Vorabentscheidungsersuchens aufgezählt hat, bis zum 31. Dezember 2017 verlängert, wobei sich die Gesamtdauer dieser Verträge zwischen 24 und 29 Monaten bewegte. Die Gemeinde Agios Nikolaos kündigte diese Verträge schließlich zum oben genannten Zeitpunkt. Außerdem geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass diesen Verlängerungen keine Prüfung der Frage vorausging, ob der saisonale, regelmäßig wiederkehrende oder vorübergehende Bedarf, der gegebenenfalls den ursprünglichen Abschluss dieser Verträge rechtfertigte, fortbesteht.

23        Da die Kläger der Ausgangsverfahren der Ansicht waren, dass ihre Situation einen Missbrauch durch den Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge darstelle und dieser daher dem Ziel und dem Zweck der Rahmenvereinbarung zuwiderlaufe, beantragten sie beim Monomeles Protodikeio Lasithiou (Regionalgericht Lasithi in Einzelrichterbesetzung, Griechenland) zum einen, festzustellen, dass sie auf der Grundlage eines unbefristeten Arbeitsvertrags weiter an die Gemeinde Agios Nikolaos gebunden seien und die Kündigung ihrer Arbeitsverträge mit Wirkung vom 31. Dezember 2017 nichtig sei, und zum anderen, dieser Gemeinde unter Androhung einer Geldbuße aufzutragen, sie auf der Grundlage von unbefristeten Arbeitsverträgen zu beschäftigen.

24        Das vorlegende Gericht weist zunächst darauf hin, dass die Richtlinie 1999/70 für Bedienstete des öffentlichen Sektors wie die Kläger des Ausgangsverfahrens durch das Präsidialdekret 164/2004, das Maßnahmen zur Vermeidung des missbräuchlichen Einsatzes aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse vorsehe, in griechisches Recht umgesetzt worden sei.

25        Zudem gelte noch immer das Gesetz 2112/1920, dessen Art. 8 Abs. 1 und 3 die Nichtigkeit eines befristeten Arbeitsvertrags vorsehe, wenn die Befristung nicht durch die Natur des Vertrags gerechtfertigt sei, sondern absichtlich zur Umgehung der Vorschriften dieses Gesetzes über die zwingend vorgeschriebene Kündigung des Arbeitsvertrags vorgenommen worden sei.

26        Das vorlegende Gericht hebt hervor, dass der Abschluss aufeinanderfolgender befristeter Verträge ausnahmsweise nach griechischem Recht unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sei. In diesem Zusammenhang weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass Art. 5 des Präsidialdekrets 164/2004 u. a. vorsehe, dass der Abschluss von Verträgen dieser Art möglich sei, wenn er aus einem sachlichen Grund gerechtfertigt sei und anderen Anforderungen wie etwa dem schriftlichen Abschluss eines neuen Arbeitsvertrags entspreche und sofern es sich um höchstens drei Verlängerungen handle. Ein sachlicher Grund liege vor, wenn die auf den ursprünglichen Vertrag folgenden Verträge geschlossen würden, um besonderen gleichartigen Bedürfnissen zu dienen, die direkt oder indirekt mit der Form, der Art oder der Tätigkeit des Unternehmens zusammenhingen.

27        Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass nach dem Inkrafttreten der Richtlinie 1999/70, aber vor Ablauf der für ihre Umsetzung in griechisches Recht gesetzten Frist die im Laufe des Jahres 2001 erfolgte Änderung von Art. 103 der griechischen Verfassung in Abs. 8 dieses Artikels ein Verbot der Entfristung befristeter Verträge der Bediensteten des öffentlichen Sektors eingeführt habe. Das vorlegende Gericht merkt insoweit an, dass zwar die nationalen Gerichte das Gesetz 2112/1920 als „gleichwertige gesetzliche Maßnahme“ im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung angewandt hätten, um befristete Arbeitsverträge in unbefristete Verträge umzuqualifizieren, dass aber die erfolgte Verfassungsänderung die Anwendung dieser Schutzbestimmungen nunmehr unmöglich gemacht habe.

28        Außerdem verweist das vorlegende Gericht auf einen Beschluss des Elegktiko Synedrio (Rechnungshof, Griechenland), in dem unlängst für Recht erachtet worden sei, dass eine solche Verlängerung privatrechtlicher Arbeitsverträge im Widerspruch stehe zur Richtlinie 1999/70, wie sie durch das Präsidialdekret 164/2004 in innerstaatliches Recht umgesetzt worden sei. Diese Verlängerung führe zu einer nicht hinnehmbaren Aufeinanderfolge von Verträgen, die von demselben Arbeitgeber und demselben Arbeitnehmer für die gleiche Art von Aufgaben und zu denselben Arbeitsbedingungen geschlossen und durchgeführt würden, ohne dass objektive und transparente Kriterien für die Prüfung aufgestellt worden wären, ob die Verlängerung solcher Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspreche sowie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sei, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, dass sie die konkrete Gefahr eines missbräuchlichen Einsatzes dieser Art von Verträgen mit sich bringe.

29        Unter diesen Umständen äußert das vorlegende Gericht insbesondere Zweifel, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung, mit der die Rahmenvereinbarung umgesetzt werde, mit dieser Rahmenvereinbarung in Einklang stehe, soweit diese Regelung dahin ausgelegt würde, dass die automatischen Verlängerungen der in Rede stehenden Arbeitsverträge nicht unter den Begriff „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge“ fielen, obwohl es sich nicht um den schriftlichen Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags handle, sondern um die Verlängerung eines bereits bestehenden befristeten Arbeitsvertrags.

30        Außerdem verstoßen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die mit den Klägern der Ausgangsverfahren geschlossenen befristeten Arbeitsverträge offensichtlich gegen sämtliche der Maßnahmen zur Vermeidung des missbräuchlichen Einsatzes aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse, die in den Art. 5 und 6 des Präsidialdekrets 164/2004, wie es Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung vorschreibe, vorgesehen seien. Insoweit führt es insbesondere aus, dass es zwischen den verschiedenen Vertragsverlängerungen zu keiner Unterbrechung gekommen sei und kein sachlicher Grund für diese Verlängerungen bestanden habe. Außerdem beanstandet es die zahlreichen Eingriffe des griechischen Gesetzgebers, die zu einer Überschreitung zum einen der auf drei festgesetzten Höchstzahl der Vertragsverlängerungen und zum anderen der durch das Präsidialdekret 164/2004 vorgeschriebenen Höchstdauer von 24 Monaten geführt hätten.

31        Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts hatte Art. 167 des Gesetzes 4099/2012 in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung zur Folge, dass die in Rede stehenden befristeten Arbeitsverträge durch einen bloßen Feststellungsbescheid der jeweiligen Arbeitgebereinrichtung automatisch verlängert werden könnten, ohne irgendein weiteres Verfahren oder eine Entscheidung eines kollektiven Organs einer solchen Einrichtung und ohne dass zuvor beurteilt worden wäre, ob der Bedarf, der diese Verträge ursprünglich erforderlich machte, weiter besteht.

32        Das vorlegende Gericht stellt klar, dass, selbst wenn die befristeten Arbeitsverträge bei den Reinigungsdiensten auf der Grundlage von Art. 205 des Gesetzes über das Statut der Gemeindebediensteten ursprünglich für eine Dauer von acht Monaten geschlossen worden wären, und unabhängig vom ständigen und dauernden Bedarf der Gebietskörperschaften, ihre Verlängerung bis zum 31. Dezember 2017 durch rückwirkende und ausschließlich auf diese Verträge anwendbare Gesetzgebungsakte zeige, dass der durch diese Verträge gedeckte Bedarf nicht als vorübergehend, saisonal oder regelmäßig wiederkehrend angesehen werden könne.

33        Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der griechische Gesetzgeber mehrere ergänzende Bestimmungen erlassen habe, die u. a. die Legalisierung in Bezug auf die öffentlichen Ausgaben für die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften während der gesamten Dauer der gemäß Art. 167 des Gesetzes 4099/2012 erfolgten Verlängerungen ihrer Arbeitsverträge beträfen, wodurch der Grund für diese Kosten, die normalerweise rechtswidrig seien, legitimiert werde. Mit diesem Eingriff habe der griechische Gesetzgeber die betroffenen Arbeitnehmer daran gehindert, die in Art. 7 des Präsidialdekrets 164/2004 vorgesehene Entschädigung zu erhalten, da diese Bestimmung als Bedingung voraussetze, dass der Arbeitsvertrag wegen Verstoßes gegen die Art. 5 und 6 dieses Dekrets nichtig sei. Gleichzeitig sei entschieden worden, dass die in Art. 7 des Präsidialdekrets 164/2004 vorgesehenen Sanktionen nicht auf Gebietskörperschaften anwendbar seien, die Bedienstete bei den Reinigungsdiensten auf der Grundlage der oben genannten befristeten Arbeitsverträge, wie sie bis Ende 2017 mehrfach verlängert worden seien, beschäftigten. Außerdem sei nach einer anderen gesetzlichen Bestimmung die Verlängerung der von den Gebietskörperschaften geschlossenen befristeten Arbeitsverträge bei der Berechnung der in den Art. 5 bis 7 des Präsidialdekrets 164/2004 vorgesehenen Höchstdauer von 24 Monaten nicht berücksichtigt worden.

34        Unter diesen Umständen hat das Monomeles Protodikeio Lasithiou (Regionalgericht Lasithi in Einzelrichterbesetzung) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Werden das Ziel und die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung durch eine Auslegung der zur Umsetzung der Rahmenvereinbarung in das nationale Recht erlassenen innerstaatlichen Bestimmungen beeinträchtigt, die die gemäß einer ausdrücklichen innerstaatlichen Rechtsvorschrift wie Art. 167 des Gesetzes 4099/2012 erfolgende automatische Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften vom Begriff der „aufeinanderfolgenden“ befristeten Arbeitsverträge im Sinne der Paragrafen 1 und 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung ausnimmt, und zwar mit der Begründung, dass es nicht um den schriftlichen Abschluss eines neuen befristeten Arbeitsvertrags, sondern um die Verlängerung der Laufzeit bereits bestehender Arbeitsverträge gehe?

2. Umfasst, falls die gesetzliche Festlegung und die Anwendung einer die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften betreffenden Praxis den in der Regelung zur Umsetzung von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung in das nationale Recht vorgesehenen Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge zuwiderläuft, die Pflicht des nationalen Gerichts, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen, auch die Anwendung einer nationalen Bestimmung wie Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 als einer bereits bestehenden und noch geltenden gleichwertigen gesetzlichen Maßnahme im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung, die eine korrekte rechtliche Einordnung der aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge, die geschlossen wurden, um einen ständigen und dauernden Bedarf der Gebietskörperschaften im Bereich der Reinigungsdienste zu decken, als unbefristete Arbeitsverträge ermöglichen würde?

3. Stellt, falls die vorstehende Frage zu bejahen ist, eine Bestimmung mit Verfassungsrang wie Art. 103 Abs. 7 und 8 der griechischen Verfassung nach der Änderung von 2001, die im öffentlichen Sektor eine Umwandlung befristeter Arbeitsverträge, die während der Geltung dieser Bestimmung geschlossen wurden, in unbefristete Arbeitsverträge kategorisch verbietet, eine unverhältnismäßige Beschränkung der Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts dar, weil sie es unmöglich macht, eine bereits bestehende und noch geltende gleichwertige gesetzliche Maßnahme des nationalen Rechts im Sinne von Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung wie Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 anzuwenden, und damit die Möglichkeit, die aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträge, die geschlossen wurden, um einen ständigen und dauernden Bedarf der Gebietskörperschaften im Bereich der Reinigungsdienste zu decken, im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens unter korrekter rechtlicher Einordnung des Rechtsverhältnisses als unbefristete Arbeitsverträge zu beurteilen, auch dann ausschließt, wenn sie einen ständigen und dauernden Bedarf decken?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

35        Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Paragraf 1 und Paragraf 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen sind, dass der darin enthaltene Ausdruck „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge“ auch die automatische Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften erfasst, die gemäß ausdrücklichen nationalen Bestimmungen und unter Nichteinhaltung der grundsätzlich für den Abschluss aufeinanderfolgender Verträge vorgesehenen Schriftform erfolgt ist.

36        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung zur Umsetzung eines ihrer Ziele dient, das darin besteht, den wiederholten Rückgriff auf befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse, in dem eine potenzielle Quelle des Missbrauchs zulasten der Arbeitnehmer gesehen wird, einzugrenzen, indem eine Reihe von Mindestschutzbestimmungen vorgesehen wird, die die Prekarisierung der Lage der Beschäftigten verhindern sollen (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37        Daher verpflichtet Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vermeidung des Missbrauchs aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse dazu, effektiv und mit verbindlicher Wirkung mindestens eine der dort aufgeführten Maßnahmen zu ergreifen, sofern ihr innerstaatliches Recht keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen enthält (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38        Aus dem Wortlaut dieses Paragrafen der Rahmenvereinbarung sowie aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich jedoch, dass dieser Paragraf nur bei aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverträgen oder ‑verhältnissen zur Anwendung kommt (Urteile vom 22. Januar 2020, Baldonedo Martín, C‑177/18, EU:C:2020:26, Rn. 70, sowie vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass der allererste befristete Arbeitsvertrag oder ein einziger befristeter Arbeitsvertrag nicht unter Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39        Im vorliegenden Fall handelt es sich streng genommen aber nicht um eine Aufeinanderfolge von zwei oder mehreren Arbeitsverträgen, die das Bestehen und den förmlichen Abschluss von zwei oder mehreren verschiedenen Verträgen voraussetzt, von denen der eine auf den anderen folgt. Genauer gesagt handelt es sich um eine automatische Verlängerung eines ursprünglichen befristeten Vertrags, die sich aus Gesetzgebungsakten ergibt. Daher ist zu prüfen, ob dies unter den Begriff „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse“ in Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung fällt.

40        Nach ständiger Rechtsprechung bleibt es dabei nach Paragraf 5 Nr. 2 Buchst. a der Rahmenvereinbarung grundsätzlich den Mitgliedstaaten und/oder den Sozialpartnern überlassen, festzulegen, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse als „aufeinanderfolgend“ zu betrachten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Januar 2020, Baldonedo Martín, C‑177/18, EU:C:2020:26, Rn. 71, sowie vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 57).

41        Zwar lässt sich dieser Verweis auf die nationalen Stellen für die Zwecke der Definition der konkreten Anwendungsmodalitäten des Begriffs „aufeinanderfolgend“ im Sinne der Rahmenvereinbarung durch das Bestreben erklären, die unterschiedlichen nationalen Regelungen in diesem Bereich zu erhalten, doch ist der den Mitgliedstaaten damit belassene Spielraum nicht unbegrenzt, da er auf keinen Fall so weit reichen kann, dass das Ziel oder die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung in Frage gestellt wird. Insbesondere dürfen die nationalen Stellen diesen Spielraum nicht so nutzen, dass eine Situation entsteht, die zu Missbräuchen Anlass geben und damit diesem Ziel zuwiderlaufen kann (Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 82, sowie vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 58).

42        Die Mitgliedstaaten müssen nämlich das unionsrechtlich vorgegebene Ergebnis erreichen, wie sich nicht nur aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, sondern auch aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 1999/70 im Lichte ihres 17. Erwägungsgrundes ergibt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 68, sowie vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 59).

43        Die in Rn. 41 des vorliegenden Urteils genannten Grenzen des den Mitgliedstaaten belassenen Spielraums sind insbesondere dann angebracht, wenn es sich um einen Schlüsselbegriff wie den des Aufeinanderfolgens von Arbeitsverhältnissen handelt, der schon für die Bestimmung des Anwendungsbereichs der nationalen Vorschriften zur Durchführung der Rahmenvereinbarung entscheidend ist (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 60).

44        Es bestünde aber die Gefahr, Ziel und Zweck sowie die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung zu beeinträchtigen, wenn man zu dem Ergebnis käme, dass nur deswegen keine aufeinanderfolgenden befristeten Arbeitsverhältnisse im Sinne von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung vorliegen, weil der erste befristete Arbeitsvertrag der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften, um den es im Ausgangsverfahren geht, automatisch durch Gesetzgebungsakte, ohne schriftlichen Abschluss eines oder mehrerer neuer befristeter Arbeitsverträge verlängert wurde.

45        Bei einer derart restriktiven Definition des Begriffs „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse“ könnten Arbeitnehmer nämlich über Jahre hinweg in unsicheren Verhältnissen beschäftigt werden (Urteile vom 4. Juli 2006, Adeneler u. a., C‑212/04, EU:C:2006:443, Rn. 85, sowie vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 62).

46        Darüber hinaus bestünde die Gefahr, dass diese restriktive Auslegung nicht nur dazu führt, dass de facto eine große Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse von dem mit der Richtlinie 1999/70 und der Rahmenvereinbarung angestrebten Arbeitnehmerschutz ausgeschlossen würde, so dass das mit ihnen verfolgte Ziel weitgehend ausgehöhlt würde, sondern auch dazu, dass es den Arbeitgebern ermöglicht würde, solche Arbeitsverhältnisse in missbräuchlicher Weise zur Deckung eines ständigen und dauerhaften Arbeitskräftebedarfs zu nutzen (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 63).

47        In diesem Zusammenhang ist auch festzustellen, dass der Begriff der „Dauer“ des Arbeitsverhältnisses ein wesentlicher Bestandteil jedes befristeten Vertrags ist. Nach Paragraf 3 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung „[wird das Ende des Vertrags] durch objektive Bedingungen wie das Erreichen eines bestimmten Datums, die Erfüllung einer bestimmten Aufgabe oder das Eintreten eines bestimmten Ereignisses bestimmt“. Die Änderung des Enddatums eines befristeten Arbeitsvertrags stellt somit eine wesentliche Änderung dieses Vertrags dar, die zu Recht dem Abschluss eines neuen, auf das frühere Arbeitsverhältnis folgenden befristeten Arbeitsverhältnisses gleichgestellt werden kann und somit in den Anwendungsbereich von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung fällt.

48        Wie nämlich aus dem zweiten Absatz der Präambel der Rahmenvereinbarung sowie aus ihren Allgemeinen Erwägungen 6 und 8 hervorgeht, stellen feste Beschäftigungsverhältnisse einen wichtigen Aspekt des Arbeitnehmerschutzes dar, während befristete Arbeitsverträge nur unter bestimmten Umständen den Bedürfnissen sowohl der Arbeitgeber als auch der Arbeitnehmer entsprechen können (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz, u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49        In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass sich die Verlängerung oder die Erneuerung von Arbeitsverträgen aus Gesetzgebungsakten des griechischen Parlaments ergibt. Es ist nämlich festzustellen, dass die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung durch eine Auslegung gefährdet würde, die es erlaubte, die Dauer eines befristeten Arbeitsvertrags durch ein Tätigwerden des Gesetzgebers einseitig zu verlängern.

50        Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass eine innerstaatliche Vorschrift, die sich darauf beschränken würde, den Rückgriff auf aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge allgemein und abstrakt durch Gesetz oder Verordnung zuzulassen, nicht den Erfordernissen des Paragrafs 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung entspräche. Einer solchen, rein formalen Vorschrift lassen sich nämlich keine objektiven und transparenten Kriterien für die Prüfung entnehmen, ob die Verlängerung derartiger Verträge tatsächlich einem echten Bedarf entspricht sowie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Eine solche Vorschrift birgt somit die konkrete Gefahr eines missbräuchlichen Rückgriffs auf derartige Verträge in sich und ist daher mit dem Ziel und der praktischen Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung unvereinbar (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 67 und 68 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

51        Da im vorliegenden Fall die automatische Verlängerung durch Gesetz einer Verlängerung und damit dem Abschluss eines gesonderten befristeten Vertrags gleichgestellt werden kann, können Verträge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden tatsächlich als „aufeinanderfolgend“ im Sinne von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung qualifiziert werden. Diese Erwägung wird dadurch bestätigt, dass im Ausgangsverfahren zum einen keine Unterbrechung zwischen dem ersten Arbeitsvertrag und den Arbeitsverträgen festgestellt wurde, die auf der Grundlage der in Gesetzgebungsakten vorgesehenen automatischen Verlängerungen folgten, und zum anderen jeder Kläger weiter ununterbrochen für seinen jeweiligen Arbeitgeber im Rahmen desselben Fachbereichs und zu den gleichen Arbeitsbedingungen, abgesehen von der Dauer des Arbeitsverhältnisses, arbeitete.

52        Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Paragraf 1 und Paragraf 5 Nr. 2 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen sind, dass der darin enthaltene Ausdruck „aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge“ auch die automatische Verlängerung der befristeten Arbeitsverträge der Arbeitnehmer bei den Reinigungsdiensten der Gebietskörperschaften erfasst, die gemäß ausdrücklichen nationalen Bestimmungen und unter Nichteinhaltung der grundsätzlich für den Abschluss aufeinanderfolgender Verträge vorgesehenen Schriftform erfolgt ist.

Zur zweiten und zur dritten Frage

53        Mit seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass die erste Frage bejaht wird, wissen, ob Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass im Fall des Missbrauchs aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge im Sinne dieser Bestimmung die Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, so weit wie möglich alle einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts so auszulegen und anzuwenden, dass eine angemessene Ahndung des Missbrauchs und die Beseitigung der Folgen des Unionsrechtsverstoßes möglich ist, die Anwendung einer nationalen Bestimmung umfasst, anhand der die Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umgewandelt werden kann, obwohl eine aufgrund ihres Verfassungsrangs übergeordnete andere nationale Bestimmung eine solche Umwandlung im öffentlichen Sektor strikt verbietet.

54        Dabei ist eingangs darauf hinzuweisen, dass Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Vermeidung des missbräuchlichen Einsatzes aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse dazu verpflichtet, effektiv und mit verbindlicher Wirkung mindestens eine der dort aufgeführten Maßnahmen zu ergreifen, wenn ihr innerstaatliches Recht keine gleichwertigen gesetzlichen Maßnahmen enthält. Die hierfür in diesem Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c aufgeführten drei Maßnahmen betreffen sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse rechtfertigen, die maximal zulässige Gesamtdauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse und die zulässige Zahl ihrer Verlängerungen (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55        Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen, da sie die Wahl haben, auf eine oder mehrere der in Paragraf 5 Nr. 1 Buchst. a bis c der Rahmenvereinbarung genannten Maßnahmen oder auf bestehende gleichwertige gesetzliche Maßnahmen zurückzugreifen, und zwar unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56        Damit gibt Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung den Mitgliedstaaten ein allgemeines Ziel – Verhinderung solcher Missbräuche – vor, lässt ihnen jedoch zugleich die Wahl der Mittel zu seiner Erreichung, solange sie nicht das Ziel oder die praktische Wirksamkeit der Rahmenvereinbarung in Frage stellen (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57        Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung nennt keine spezifischen Sanktionen für den Fall, dass Missbräuche festgestellt worden sind. In einem solchen Fall obliegt es den nationalen Stellen, geeignete Maßnahmen zu erlassen, die nicht nur verhältnismäßig, sondern auch hinreichend wirksam und abschreckend sein müssen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen sicherzustellen (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58        So stellt Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung keine allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten auf, die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in unbefristete Verträge vorzusehen. Das innerstaatliche Recht des betreffenden Mitgliedstaats muss gleichwohl eine andere wirksame Maßnahme enthalten, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 87 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59        Wenn es zu einem missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse gekommen ist, muss die Möglichkeit bestehen, eine Maßnahme anzuwenden, die effektive und äquivalente Garantien für den Schutz der Arbeitnehmer bietet, um diesen Missbrauch angemessen zu ahnden und die Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beseitigen. Denn nach Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 1999/70 haben die Mitgliedstaaten „alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um jederzeit gewährleisten zu können, dass die durch [diese] Richtlinie vorgeschriebenen Ergebnisse erzielt werden“ (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60        Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es nicht Sache des Gerichtshofs ist, sich zur Auslegung der Bestimmungen des nationalen Rechts zu äußern; diese Aufgabe kommt allein den zuständigen nationalen Gerichten zu, die festzustellen haben, ob die von Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung aufgestellten Anforderungen durch die Bestimmungen der anwendbaren nationalen Regelung gewahrt werden (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61        Somit obliegt es hier dem vorlegenden Gericht, zu beurteilen, inwieweit die einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unter Berücksichtigung ihrer Anwendungsvoraussetzungen und ihrer tatsächlichen Anwendung eine angemessene Maßnahme darstellen, um den missbräuchlichen Einsatz aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge oder ‑verhältnisse zu verhindern und gegebenenfalls zu ahnden (vgl. entsprechend Urteil vom 21. November 2018, de Diego Porras, C‑619/17, EU:C:2018:936, Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62        Der Gerichtshof kann jedoch, wenn er im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens entscheidet, Klarstellungen vornehmen, um dem vorlegenden Gericht eine Richtschnur für ihre Auslegung zu geben (Urteil vom 19. März 2020, Sánchez Ruiz u. a., C‑103/18 und C‑429/18, EU:C:2020:219, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63        Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass die Umqualifizierung befristeter Arbeitsverträge in unbefristete Arbeitsverträge nach Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 – soweit diese Bestimmung in der griechischen Rechtsordnung noch anwendbar ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist – eine Maßnahme darstellen könnte, die effektive und gleichwertige Garantien für den Schutz der Arbeitnehmer bietet, um etwaigen missbräuchlichen Einsatz befristeter Arbeitsverträge angemessen zu ahnden und die Folgen des Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beseitigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. April 2009, Koukou, C‑519/08, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:269, Rn. 79 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64        Der Gerichtshof hat zudem für Recht erkannt, dass sich Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung inhaltlich nicht als unbedingt und hinreichend genau darstellt, damit sich ein Einzelner vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann. Nach dieser Vorschrift steht es nämlich im Ermessen der Mitgliedstaaten, ob sie zur Vermeidung von Missbrauch durch befristete Arbeitsverträge auf eine oder mehrere der dort genannten Maßnahmen oder aber auf gleichwertige bestehende gesetzliche Maßnahmen zurückgreifen, und zwar unter Berücksichtigung der Anforderungen bestimmter Branchen und/oder Arbeitnehmerkategorien. Außerdem ist es nicht möglich, den Mindestschutz, der in jedem Fall nach Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung gewährt werden müsste, hinreichend zu bestimmen (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 196).

65        Aus der ständigen Rechtsprechung geht jedoch hervor, dass die nationalen Gerichte bei der Anwendung des innerstaatlichen Rechts dieses so weit wie möglich anhand des Wortlauts und des Zweckes der fraglichen Richtlinie auslegen müssen, um das in ihr festgelegte Ergebnis zu erreichen und so Art. 288 Abs. 3 AEUV nachzukommen. Diese Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung betrifft das gesamte nationale Recht, unabhängig davon, ob es vor oder nach der Richtlinie, um die es geht, erlassen wurde (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 197).

66        Das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts ist dem AEU-Vertrag immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu gewährleisten, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 198).

67        Zwar findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, insbesondere im Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot, ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 199).

68        Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung verlangt jedoch, dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung der danach anerkannten Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 200).

69        Im vorliegenden Fall kommt es somit dem vorlegenden Gericht zu, die einschlägigen Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts im Rahmen des Möglichen und, wenn ein Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverträge stattgefunden hat, so auszulegen und anzuwenden, dass eine angemessene Ahndung des Missbrauchs und die Beseitigung der Folgen des Unionsrechtsverstoßes möglich ist. In diesem Rahmen obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu beurteilen, ob Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 gegebenenfalls zum Zweck einer solchen unionsrechtskonformen Auslegung Anwendung finden kann (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 203).

70        Sollte das nationale Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in unbefristete Arbeitsverträge nach Art. 8 Abs. 3 des Gesetzes 2112/1920 nicht möglich ist, da sie zu einer Auslegung von Art. 103 Abs. 7 und 8 der griechischen Verfassung contra legem führen würde, müsste es prüfen, ob es insoweit im griechischen Recht andere effektive Maßnahmen gibt. In diesem Zusammenhang ist klarzustellen, dass solche Maßnahmen hinreichend wirksam und abschreckend sein müssen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmenvereinbarung erlassenen Normen, d. h. im vorliegenden Fall der Art. 5 und 6 des Präsidialdekrets 164/2004, mit denen Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung in griechisches Recht umgesetzt wurde, sicherzustellen.

71        Zur Bedeutung, die insoweit dem Umstand zukommt, dass Art. 103 Abs. 8 der griechischen Verfassung nach Inkrafttreten der Richtlinie 1999/70 und vor Ablauf der Frist für deren Umsetzung geändert wurde, um im öffentlichen Sektor die Umwandlung befristeter Arbeitsverträge in unbefristete Verträge absolut zu verbieten, genügt der Hinweis, dass eine Richtlinie entweder ab ihrer Veröffentlichung oder ab dem Zeitpunkt ihrer Bekanntgabe Rechtswirkungen gegenüber dem Mitgliedstaat, an den sie gerichtet ist, und damit gegenüber allen Trägern öffentlicher Gewalt entfaltet (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 204 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72        Hier ist in Art. 3 der Richtlinie 1999/70 bestimmt, dass diese am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft tritt, was am 10. Juli 1999 der Fall war.

73        Nach ständiger Rechtsprechung dürfen aber die Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, während der Frist für deren Umsetzung keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich zu gefährden (Urteil vom 13. November 2019, Lietuvos Respublikos Seimo narių grupė, C‑2/18, EU:C:2019:962, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung). In diesem Zusammenhang kommt es nicht darauf an, ob die fragliche Bestimmung des nationalen Rechts, die nach Inkrafttreten der betreffenden Richtlinie erlassen wurde, deren Umsetzung bezweckt oder nicht (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 206 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74        Demnach sind alle Träger öffentlicher Gewalt der Mitgliedstaaten verpflichtet, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu garantieren, selbst wenn sie ihre Verfassung ändern (Urteil vom 23. April 2009, Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 207 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75        Nach alledem ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Paragraf 5 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung dahin auszulegen ist, dass im Fall des Missbrauchs aufeinanderfolgender befristeter Arbeitsverträge im Sinne dieser Bestimmung die Verpflichtung des vorlegenden Gerichts, so weit wie möglich alle einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts so auszulegen und anzuwenden, dass eine angemessene Ahndung des Missbrauchs und die Beseitigung der Folgen des Unionsrechtsverstoßes möglich ist, die Beurteilung umfasst, ob die Bestimmungen einer bereits bestehenden nationalen Regelung, die noch immer in Kraft ist und anhand der die Aufeinanderfolge befristeter Arbeitsverträge in einen unbefristeten Arbeitsvertrag umgewandelt werden kann, gegebenenfalls zum Zweck der unionsrechtskonformen Auslegung Anwendung finden können, obwohl nationale Verfassungsbestimmungen eine solche Umwandlung im öffentlichen Sektor strikt verbieten.

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