: Das VG Berlin und der Post-Mindestlohn
VG Berlin, Urteil vom 7.3.2008 - 4 A 439.07
Sachverhalt:
In dem Verfahren wenden sich die Kläger gegen die am 1. Januar 2008 in Kraft getretene Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28. Dezember 2007 (BAnz. vom 29. Dezember 2007, Nr. 242 Seite 8410). Mit dieser bis zum 30. April 2010 befristeten Verordnung regelte die Beklagte, dass in ihrer Anlage näher bezeichnete Rechtsnormen des zwischen dem im August 2007 gegründeten Arbeitgeberverband Postdienste e.V. und der ver.di (Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft) abgeschlossenen Tarifvertrags vom 29. November 2007 über Mindestlöhne für die Branche Briefdienstleistungen auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden, die unter seinen Geltungsbereich fallen. Zu den damit in Bezug genommenen Normen des Tarifvertrags gehört § 3, wonach der Brutto-Mindestlohn mit Wirkung vom 1. Dezember 2007 je nach Bundesland 8,00 € bzw. 8,40 € und für Briefzusteller unabhängig vom zeitlichen und/oder mengenmäßigen Anteil an der Gesamttätigkeit je nach Bundesland 9,00 € bzw. 9,80 € beträgt.
Die PIN Group AG ist die Muttergesellschaft von Briefdienstleistungsunternehmen, darunter der zu 100% in ihrem Besitz befindlichen PIN Mail AG, die mit von ihr beschäftigten Zustellern Briefdienstleistungen erbringt (beide kurz: PIN). Im Tätigkeitsbericht der Bundesnetzagentur 2006/2007 (Deutscher Bundestag, Drucksache 16/7700, Seite 157 ff.) werden große Zeitungsverlage als die Eigentümer der PIN Group AG genannt. Sie hat ihren Sitz von Luxembourg nach Deutschland (Köln) verlegt. Über ihr Vermögen eröffnete das Amtsgericht Köln am 3. März 2008 das Insolvenzverfahren und bestellte einen Insolvenzverwalter, der vorsorglich erklärt hat, dass er das Verfahren aufnehme. Zur PIN Group AG gehören rund 90 regional tätige Tochtergesellschaften, von denen 39 Unternehmen Anträge auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt haben. 13 Tochterunternehmen mit ehemals 2.770 Arbeitsplätzen haben inzwischen ihren Betrieb eingestellt. Die PIN Mail AG beschäftigte nach ihren Angaben am 31. Januar 2008 1.101 Mitarbeiter, davon 117 Leih- Arbeitnehmer, und befördert pro Monat etwa 8,9 Mio. Sendungen. Von den 984 eigenen Mitarbeitern waren danach 948 vollzeitig beschäftigt. 2007 soll ihr Personalkostenanteil (ohne Fremdleistungen) 39,3% betragen haben. Der Anteil der Fremdleistungen (bezogene Zustellleistungen) soll sich in jenem Jahr auf ca. 28% belaufen haben. Aus einem längerfristigen Rahmenvertrag mit dem Land Berlin, den sie auf der Grundlage der bisherigen Wirtschaftsdaten kalkuliert habe, soll sie etwa 35% ihres Gesamtumsatzes erwirtschaftet haben.
Sie ist eines von mehr als 40 Mitgliedern in dem am 11. September 2007 gegründeten Arbeitgeberverband Neue Brief- und Zustelldienste e.V. (AGV NBZ); die Mitgliedsunternehmen haben etwa 30.000 Beschäftigte.
Der Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste e.V. (kurz: BdKEP) ist nach seiner Satzung eine Organisation der Unternehmen der Schnell-Lieferdienste, allgemein als Kurier-, Express- und Paket- und Briefdienste bezeichnet, dem etwa 200 Unternehmen, darunter die PIN Mail AG und eine Gesellschaft aus der TNT-Gruppe, angehören. Seit November 2007 ist er nach seiner Satzung Arbeitgeberverband zur Führung von Verhandlungen nach dem Tarifvertragsgesetz und Wahrnehmung der Mitgliederrechte aus Art. 9 Abs. 3 GG. Nach seinen Angaben resultieren etwa 70% seines Beitragsaufkommens aus der Briefdienstbranche. Die TNT Post Regioservice GmbH und die Ridas Sicherheits- und Handelsgesellschaft mbH (kurz: TNT) gehören zum niederländischen Express- und Briefdienstleister TNT N.V. Die beiden bieten auf der Basis einer sogenannten D-Lizenz in Deutschland Briefdienstleistungen an, die sich durch besondere qualitative Merkmale von den allgemeinen Universaldienstleistungen unterscheiden („Mehrwertdienste"). Die aus verschiedenen Unternehmen bestehende TNT-Gruppe hat nach ihren Angaben seit dem Jahr 2000 etwa 155 Mio. € in den Ausbau eines flächendeckenden Zustellnetzes für Mehrwertdienste für adressierte Briefsendungen investiert und erreicht danach mit ihren ausschließlich dem deutschen Arbeitsrecht unterliegenden Arbeitnehmern zirka 90% aller Haushalte in Deutschland. Die beiden sind Mitglied im AGV NBZ. Sie beschreiben Unterschiede zwischen ihrer Arbeitsorganisation und der der Deutsche Post AG, die sich auch darin ausdrückten, dass sie weitgehend auf Fachkräfte, insbesondere bei den Zustellern, verzichten könne. Die Produktivität zwischen beiden unterscheide sich in der Weise, dass ein Zusteller der TNT Post Regioservice GmbH im Durchschnitt stündlich 30 - 40 Briefe zustelle, ein Zusteller der Deutsche Post AG hingegen 137. Die Deutsche Post AG sei infolge ihrer Briefmengen weitergehend automatisiert als TNT und komme mit weniger Personal aus. Nach ihren Angaben erzielte TNT Post Regioservice 2007 einen Umsatz von 32,72 Mio. € bei Personalkosten einschließlich Sozialabgaben von 37,295 Mio. € und Kosten für Fremddienstleistungen von 21,844 Mio. €, womit sie eine Kostenunterdeckung von 26,149 Mio. € hatte. Die Ridas Sicherheits- und Handelsgesellschaft mbH erzielte nach ihrer Darstellung einen Umsatz von 2,202 Mio. € im Jahr 2007 bei Personalkosten von 1,502 Mio. € und Kosten für Fremddienstleistungen von 0,769 Mio. €, was zu einer Unterdeckung von 69 T € führte. TNT behauptet gestützt auf eine Sensitivitätsanalyse einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, bei dem mit der Verordnung festgesetzten Mindestlohn könnte sie erst bei einem Marktanteil von 11,8% in einen Bereich von Gewinn vor Steuern gelangen, was aber bei einem derzeitigen Marktanteil von 1,69 % unrealistisch sei. Für die Jahre 2008 bis 2012 müsste sie mit weiteren Verlusten von zusammen 191,7 Mio. € rechnen. Ohne die Verordnung rechne TNT ab 2010 mit einem ausgeglichenen Ergebnis bzw. Gewinnen. Sie gibt an, deswegen die Steigerung der Haushaltsabdeckung auf 100% in Zusammenarbeit mit einem Paketdienstleister und dessen Annahmestellen gestoppt zu haben und damit zu rechnen, dass insbesondere Zustellpartner im ländlichen Raum ihren Betrieb einstellen werden, wie dies inzwischen in Uetz, Saarbrücken und Magdeburg bereits geschehen sei. Der Verlust von Zustellpartnern würde auch ihre Haushaltsabdeckung und damit ihre Marktchancen bei Großkunden verringern.
Die Bundesnetzagentur zählt TNT und PIN zu den Hauptwettbewerbern der Deutsche Post AG im Briefmarkt. Die Anteile der Deutsche Post AG befinden sich nach Angaben der Bundesnetzagentur zu 69,5% in Streubesitz, davon sind 80% ausländische Anteilseigner. 30,5% hält die staatliche KfW-Bankengruppe. Bis Ende 2007 bestand für die Deutsche Post AG eine gesetzliche Exklusivlizenz für die gewerbsmäßige Beförderung von bestimmten Briefen bis 50 g.
Nach Angaben der Bundesnetzagentur machten die Briefsendungen mit einem Gewicht bis 50 g knapp drei Viertel der Briefsendungen insgesamt aus. Sie rechnete 2007 mit einem Gesamtumsatz im Briefmarkt von 10 Mrd. €, wovon 5 Mrd. € auf den Monopolbereich entfielen. Bezogen auf Umsätze im lizenzpflichtigen Bereich rechnete die Bundesnetzagentur mit 87,3% Marktanteilen der Deutsche Post AG und 12,7% der Lizenznehmer. Bezogen auf die gesamte Sendungsmenge von über 17,5 Mrd. Stück erwartete die Bundesnetzagentur für 2007 89,6% Markanteile der Deutsche Post AG und 10,4% der Lizenznehmer. 2006 verteilten sich die Umsätze der Wettbewerber der Deutsche Post AG nach Angaben der Bundesnetzagentur so, dass über 300 Unternehmen Umsätze bis zu 100 T € erzielten, weitere 108 Unternehmen Umsätze bis zu 500 T €, weitere 39 Unternehmen Umsätze bis zu 1 Mio. €, weitere 103 Unternehmen Umsätze bis zu 10 Mio. € und weitere 21 Unternehmen Umsätze über 10 Mio. €, wovon vier Lizenznehmer Umsätze von mehr als 50 Mio. € erzielten. Nach den Erwartungen für 2007 änderte sich daran im Wesentlichen nichts. Zu den Betriebsergebnissen teilte die Bundesnetzagentur mit, dass im Jahr 2005 51 % der Unternehmen Gewinn gemacht, 31 % ein neutrales Ergebnis erzielt und 18 % einen Verlust ausgewiesen hatten. Dies verschob sich für das Jahr 2006 dahin, dass nur noch 45 % einen Gewinn zu verbuchen, 27 % ein neutrales Ergebnis erreicht und 28 % einen Verlust ausgewiesen hatten.
Die Bundesnetzagentur erteilte Mitte 2007 1.509 Lizenznehmern Auskunftsanordnungen und erhielt darauf einen Rücklauf von 94%. Die Auswertung der Auskünfte ergab: Im Jahr 2007 waren 845 Lizenznehmer am Markt tätig. Davon beschäftigten 595 Lizenznehmer 48.411 Arbeitnehmer mit Arbeitsvertrag. 92% davon (= 44.394) waren als Sortierer (11,15%), Fahrer (8,28%) oder Zusteller (72,28%) tätig. Rund 40% der Arbeitnehmer - überwiegend geringfügig Beschäftigte - erhalten keine Monats- oder Stundenlöhne, sondern werden über Stücklohnmodelle vergütet. Jeder zweite dieser Beschäftigten erbringt die lizenzpflichtige Tätigkeit im Verbund mit nicht lizenzpflichtigen oder mit postfremden Tätigkeiten. Bei der Deutsche Post AG, die bundesweit den gleichen Lohn zahlt, betrugen die Durchschnittsstundenlöhne bei den Tarifkräften für Sortierer 11,21 €, für Fahrer 11,25 € und für Zusteller 11,36 €. Bei den Lizenznehmern sind die Löhne in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich hoch. Überwiegend verdienen Sortierer und Fahrer mehr als Zusteller, lediglich in Hamburg, im Saarland, in Sachsen-Anhalt und in Sachsen verdienen die Zusteller mehr als die anderen. Die Durchschnittsstundenlöhne (bezogen auf diejenigen, die Monats- oder Stundenlöhne erhalten) für Zusteller lagen zwischen 5,68 € in Brandenburg und 7,92 € in Bayern (unter Außerachtlassung von Hamburg [8,62 €] und dem Saarland [9,13 €]). In den neuen Bundesländern (ohne Berlin) lag der Lohn zwischen 5,68 € und 6,56 € (Sachsen). Die beigeladene Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste (GNBZ) teilte in einer Pressemitteilung vom 12. Oktober 2007 ihre Gründung am 8. Oktober 2007 in Berlin mit. In Presseberichten wurde die Gründung mit unterstützender Tätigkeit von Arbeitgeberseite in Zusammenhang gebracht. Das Amtsgericht Köln (Rechtspfleger) lehnte die Eintragung der GNBZ unter dem 19. Oktober 2007 als Verein ab, weil sie mit ihren 19 Mitgliedern nicht tariffähig sei. Sie gibt an, dass ihre Gründungsmitglieder mehrheitlich bei Unternehmen der PIN beschäftigt (gewesen) seien. Ihre derzeit rund 1.300 Mitglieder seien bei TNT, PIN und weiteren 26 Unternehmen bundesweit präsent. Zu ihren Mitgliedern gehörten solche in arbeitstechnischen Schlüsselstellen (etwa Depotleiter, Leiter Produktion).
Die GNBZ schloss am 11. Dezember 2007 mit dem AGV NBZ einen als Tarifvertrag bezeichneten Vertrag für das Gebiet der Beklagten. Sachlich betrifft er Unternehmen, die Mehrwertbriefdienstleistungen anbieten, die von der Universaldienstleistung trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind. Nach § 3 des Tarifvertrags beträgt der Brutto-Mindestlohn für Mehrwertbriefdienstleistungen mit Wirkung vom 1. Januar 2008 je nach Bundesland 6,50 € oder 7,50 €.
Weiter schloss sie am 12. Dezember 2007 mit dem BdKEP einen Tarifvertrag für alle tarifgebundenen Betriebe, die als wesentliche betriebliche Tätigkeit näher definierte Postdienstleistungen, insbesondere die gewerbsmäßige Beförderung von adressierten schriftlichen Mitteilungen bis 2 kg zwischen Absender und Empfänger, erbringen. Er gilt deutschlandweit. Der mit den beiden Verträgen ab dem 1. Januar 2008 vereinbarte Bruttomindestlohn liegt jeweils unter den in der streitigen Verordnung bestimmten Beträgen (6,50/7,50 € statt 8,00/8,40 € bzw. 9,00/9,80 € für Briefzusteller).
Mit Schreiben vom 12. Dezember 2007 teilte der BdKEP den Vertragsschluss seinen Mitgliedern, von denen 90% an den Vertrag gebunden sind, mit, bat um Vertraulichkeit und erklärte, es wäre positiv unterstützend, wenn möglichst viele Mitarbeiter der Mitgliederbetriebe Mitglied der neuen Gewerkschaft würden.
Mitte 2007 entschied sich die Bundesregierung dafür, unter Bedingungen weitere Branchen in das Arbeitnehmer-Entsendegesetz aufzunehmen. Dabei war auch an die Branche der Briefdienstleistungen gedacht. Am 11. September 2007 beantragten der Arbeitgeberverband Postdienste e.V., dem die Deutsche Post AG angehört, und ver.di beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales die Aufnahme der Branche Postdienstleistungen in das Gesetz und zugleich die Allgemeinverbindlicherklärung eines an diesem Tag geschlossenen Tarifvertrags zur Regelung der Mindestlöhne in der Branche Postdienste, der für alle Betriebe gelten sollte, die gewerbs- oder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördern, unabhängig vom Anteil dieser Tätigkeit an der Gesamttätigkeit des Betriebs. Wegen Aussichtslosigkeit wurde ein Verfahren nach § 5 TVG nicht betrieben, jedoch ein Verfahren zum Erlass einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a AEntG eingeleitet. Im Bundesanzeiger vom 8. November 2007 erschien eine Bekanntmachung über einen Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags für die Branche Postdienste und den Entwurf einer Verordnung über zwingende Arbeitsbedingungen für Briefdienstleistungen verbunden mit der Gewährung einer Frist zur schriftlichen Stellungnahme von drei Wochen. Im gleichzeitig durchgeführten Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes war insbesondere die Reichweite des einzubeziehenden Bereichs umstritten. Der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels etwa wies darauf hin, dass der Postmindestlohn im Regelfall oberhalb der Einzelhandelsmindestlöhne liegt und der Postmindestlohn für Zusteller stets darüber liegt. Nach einer Änderung des Tarifvertrags vom 11. September 2007 durch Protokollnotizen Anfang November 2007 hoben die Tarifvertragsparteien ihn am 29. November 2007 unter Ausschluss von Nachwirkungen auf und schlossen den von der Verordnung erfassten Tarifvertrag. Am gleichen Tag beantragten sie beim Bundesminister für Arbeit und Soziales die Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrags. Denjenigen, die sich auf die Bekanntmachung vom 8. November 2007 geäußert hatten, leitete das Bundesministerium den darauf angepassten Verordnungsentwurf mit Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 7. Dezember 2007 zu. Eine neue Bekanntmachung hielt es für unnötig.
Unter dem 14. Dezember 2007 beantragten der AG NBZ und die GNBZ beim Bundesministerium, den von ihnen geschlossenen Tarifvertrag zur Regelung von Mindestarbeitsbedingungen für Mehrwertbriefdienstleistungen vom 11. Dezember 2007 für allgemein verbind- lich zu erklären. In einem Schreiben an die anderen Bundesministerien erklärte das Arbeitsministerium, dass die GNBZ nicht tariffähig sei. Am 19. Dezember 2007 stimmte die Bundesregierung unter der Bedingung des Inkrafttretens des Änderungsgesetzes dem Erlass der Verordnung zu. Zur Begründung der Verordnung heißt es im Verwaltungsvorgang: „Der Erlass der Rechtsverordnung ist zur Sicherstellung eines fairen Wettbewerbs und angemessener Arbeitsbedingungen in einem sich öffnenden Briefmarkt geboten und liegt im öffentlichen Interesse. Das Ziel, für alle Arbeitnehmer in einem bestimmten Tätigkeitsbereich ein gleiches soziales Schutz- und Lohnniveau sicherzustellen, ist europarechtlich als zwingender Grund des Allgemeininteresses anerkannt. Mit diesem Ziel werden zugleich die Ziele verfolgt, finanzielle Stabilität des Systems der sozialen Sicherung zu schaffen, Arbeitslosigkeit infolge eines Verdrängungswettbewerbs durch ausländische Anbieter aus Niedriglohnländern oder Billiganbieter aus dem Inland zu bekämpfen und schließlich die Ordnungsfunktion des Tarifvertrags in der Branche Briefdienstleistung zu unterstützen. Die Rechtsverordnung erfüllt zugleich den Auftrag an den Gesetzgeber, eine flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistung im Bereich des Postwesens zu gewährleisten (Art. 87f Abs. 2 GG), und das Postwesen zu regulieren (§ 2 Abs. 1 PostG). Die Wahrung des grundrechtsgeschützten Briefgeheimnisses innerhalb der Wertschöpfungskette der Briefbeförderung obliegt letztlich den in diesem Bereich tätigen Arbeitnehmern. Daher sind besondere Anforderungen an deren Vertrauenswürdigkeit, Loyalität und Integrität zu stellen. Arbeitnehmer mit einem solchen Persönlichkeitsprofil sind am Arbeitsmarkt nur mit einer entsprechenden Vergütung zu gewinnen."
Am 28. Dezember 2007 unterzeichnete der Bundesminister für Arbeit und Soziales die Verordnung, die am Tag darauf im Bundesanzeiger bekanntgemacht wurde.
PIN hat am 14. Dezember 2007 Klage (VG 4 A 439.07) erhoben und macht zu ihrer Begründung letztlich mit Schriftsatz vom 4. März 2008 geltend:
Mit der Einführung des Mindestlohns sei die Wirtschaftlichkeit der PIN Group AG und die wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit, als Wettbewerber der Deutsche Post AG bundesweit Briefdienstleistungen zu erbringen, nicht mehr gegeben. Für die PIN Mail AG führe er bei einem Vollzeitmitarbeiter in der Zustellung zu einer Verteuerung um 21,23% von einem praktisch gezahlten Stundenlohn von 8,23 € auf 9,80 €.
PIN hält die Verordnung für formell rechtswidrig, weil die nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG gebotene Anhörung fehlerhaft verlaufen sei, da sie sich nicht auf den später verordneten Tarifvertrag bezogen habe. Die Verordnung verstoße gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sie nicht das Gesetz zitiere, das die Verordnungsermächtigung auf die hier betroffene Branche erstreckt.
PIN hält die Verordnung auch für materiell rechtswidrig, weil sie nicht von ihrer Ermächtigungsgrundlage gedeckt sei, die nur eine Erstreckung eines Tarifvertrags auf nicht anderweitig Tarifgebundene ermögliche. Der durch die Verordnung erstreckte Tarifvertrag sei als Phantomtarifvertrag dazu untauglich, auch weil dem AGV Postdienste e.V. aus Mängeln seiner Verfassung die Tarifzuständigkeit fehle. Der Verordnungsgeber missbrau- che seine Verordnungsmacht zu wettbewerblichen Zwecken. Diese habe der Kapitalmarkt verstanden, weshalb nach Bekanntwerden der Absicht, den Mindestlohn einzuführen, der Aktienkurs der Deutsche Post AG zum Vorteil auch des damaligen Vorstandsvorsitzenden (von etwa 20 € Anfang November 2007 auf 24 €) gestiegen sei. Weil sich der Verordnungsgeber wegen der Beteiligung des Bundes an der Deutsche Post AG in einem Interessenkonflikt befinde, rechtfertigten nur zwingende öffentliche Interessen die Geltungserstreckung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG. Die vom Verordnungsgeber angeführten seien aber nicht von dieser Art. Insbesondere gebe es keine Entsendeproblematik, die als ungeschriebene Voraussetzung für die Verordnung vorliegen müsse.
PIN sei in ihrer negativen Koalitionsfreiheit verletzt, weil eine ordnungswidrig zustandegekommene Verordnung einen fremden Tarifvertrag auf sie erstrecke. Sie sei auch in ihrer positiven Koalitionsfreiheit verletzt. Denn die Verordnung sei zur Erreichung der angegebenen Ziele nicht geeignet, sei wegen des zur Verfügung stehenden milderen Mittels des § 6 Abs. 3 Nr. 3 PostG nicht erforderlich und überdies unangemessen, da sich der Mindestlohn nicht aus dem Markt rechtfertigen lasse. Auch die Geltungsdauer von nur zwei Jahren reiche aus, um zahlreiche Wettbewerber in die Insolvenz zu treiben.
Die Verordnung verletze PIN auch in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Wer sein Briefzustellnetz erst aufbauen müsse, werde dieses Unterfangen wegen der bei den Mindestlöhnen zu geringen Umsatzrendite von vornherein faktisch aufgeben müssen. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt, weil er keinem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut diene.
Sie werde in ihren Rechten aus Art. 14 Abs. 1 GG, nämlich dem Recht auf Fortsetzung des Betriebs im bisherigen Umfang, verletzt.
Der BdKEP hat am 7. Januar 2008 beim Verwaltungsgericht Hamburg Klage erhoben, die jenes Gericht mit Beschluss vom 10. Januar 2008 an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht Berlin (hier dann VG 4 A 16.08) verwiesen hat.
Der BdKEP meint, die Verordnung verstoße gegen das Zitiergebot. Sie sei nach einer fehlerhaften Anhörung ergangen, da weder der nun erstreckte Tarifvertrag, der sich von dem aufgehobenen durch die Herausnahme der relevanten Unternehmensgruppe der Tageszeitungsverlage unterscheide, noch die Verordnung in ihrer jetzigen Form zuvor bekanntgemacht worden seien. Er sieht die Verordnung nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt, soweit sie auch anderweitig tarifgebundene Arbeitgeber wie seine Mitglieder bindet, und hält sie für ein Ergebnis eines Komplotts zwischen der Deutsche Post AG, ver.di und dem Bundesministerium, mit dem nach Wegfall der befristeten gesetzlichen Exklusivlizenz für die Deutsche Post AG die Konkurrenten der Deutsche Post AG auf diesem Feld ausgeschaltet werden sollen. Die Verordnung verletze seine Rechte aus Art. 9 Abs. 3 GG, weil sie beanspruche, den von ihm geschlossenen Tarifvertrag zu verdrängen, und sei deshalb nichtig. Eine von dem ausschließenden Merkmal der Tarifgebundenheit losgelöste Verordnungsermächtigung wäre verfassungswidrig unbestimmt. Der mit der Verordnung bestimmte Mindestlohn werde zu Insolvenzen seiner Mitgliedsunternehmen führen; diese hätten bei Geltung dieses Lohnes ihre betriebliche Tätigkeit einzustellen. Seien aber - wie zu erwarten - bis zirka Sommer 2008 60% seiner Mitglieder zusammengebrochen, so werde auch er in seinem Bestand bedroht. Der von ihm vereinbarte Mindestlohn werde allgemein von allen DGB-Gewerkschaften und der SPD für angemessen angesehen. Es sei diffamierend, seine Verbandstätigkeit in irgendeinen Zusammenhang mit „Schmutzkonkurrenz" oder „Lohndumping" zu stellen.
TNT hat am 21. Januar 2008 Klage (VG 4 A 26.08) erhoben und macht geltend: Die Verordnung sei formell rechtswidrig. Die eingeräumte Gelegenheit zur Stellungnahme habe sich nicht auf den verordneten Tarifvertrag bezogen. Dieser weiche entscheidend von dem aufgehobenen ab, weil er Verbundzusteller, mit denen die Deutsche Post AG neuerdings zusammenarbeite, nicht erfasse. Die zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Verordnung verstoße gegen das Zitiergebot, sei unklar, weil sie auf einen zum 1. Dezember 2007 in Kraft getretenen Tarifvertrag Bezug nehme, und genüge nicht dem verfassungsrechtlich gebotenen Begründungs- und Rechtfertigungszwang. Zudem fehle es an dem erforderlichen bedingungslosen und unbeschränkten Antrag einer Tarifvertragspartei.
Die Verordnung sei auch materiell rechtswidrig. Sie gehe über ihre Ermächtigungsgrundlage hinaus und setze sich über das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Gesetzes hinweg, dass es einer Entsendeproblematik bedürfe. Dieses Merkmal ergebe sich aus der Bezeichnung, der Entstehungsgeschichte des Gesetzes und dem Zweck der Umsetzung der Entsende- Richtlinie. Es sei in der Branche Briefdienstleistungen nicht erfüllt. Weiter fehle es an dem nötigen öffentlichen Interesse für die Verordnung, das voraussetze, dass der erstreckte Tarifvertrag hinreichend repräsentativ sei. Daran fehle es, weil hier nur wenige Arbeitgeber an den verordneten Tarifvertrag gebunden seien. Dieser Tarifvertrag sei nicht erstreckungsfähig gewesen, weil er nicht den üblichen Prozess des freien Aushandelns zwischen den einander gegenüberstehenden Parteien durchlaufen habe. Er sei ein Scheintarifvertrag eines nicht tariffähigen Arbeitgeberverbands. Der Verordnungsgeber habe fehlerhaft die Auswirkungen auf die betroffenen Unternehmen und die Arbeitnehmer nicht ausreichend ermittelt und abgewogen. Das Ergebnis habe von Beginn des Verordnungsverfahrens an festgestanden. Die Verordnung sei wegen Verstoßes gegen Art. 12 Abs. 1 GG nichtig, weil sie in ihrer Folge ihren Beruf aufgeben müsse. Die Verordnung diene nur dem Schutz der Deutsche Post AG vor Konkurrenten. Der Schutz ausländischer Arbeitnehmer rechtfertige den Eingriff nicht, weil es solche Arbeitnehmer in diesem Markt nicht gebe. Die Verordnung setze sich über die durch Art. 87f GG angeordnete Liberalisierung des Postmarkts hinweg. Zudem sei die absolute Höhe der vom 29. Dezember 2007 auf den 1. Januar 2008 verordneten Kostensteigerung um 20% bzw. 35% unverhältnismäßig, zumal da TNT diese Kosten wegen der Marktund Preisführerschaft der Deutsche Post AG nicht weitergeben könne.
Die Verordnung verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG, weil sie zu einer weitgehenden Vernichtung ihres Gewerbebetriebs führen werde.
Die Verordnung verstoße gegen Art. 9 Abs. 3 GG. Die Geltungserstreckung würde TNT zum Beitritt zum AGV Postdienste e.V. zwingen, um wenigstens über das Kollektiv Einfluss auf die für sie geltenden Arbeitsbedingungen nehmen zu können. Die Verordnung entwerte ihre Mitgliedschaft im AGV NBZ völlig. Dieser Eingriff sei nicht gerechtfertigt, weil die Verordnung nicht von der Ermächtigung gedeckt sei, zum Schutz vor unsozialen Löhnen nicht erforderlich und auch im engeren Sinne unverhältnismäßig sei.
Die Verordnung verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie TNT gegenüber anderen Anbietern von Postdienstleistungen, die keine oder nicht überwiegend Briefdienstleistungen erbringen, ungleich behandle. Zudem werde TNT gegenüber Unternehmen in Branchen benachteiligt, in denen Löhne wie bei ihr gezahlt würden. Für diese werde allenfalls an die Einführung eines Mindestlohns in Höhe von 7,50 € gedacht.
Die Verordnung verstoße auch gegen das Auffanggrundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG sowie das Wettbewerbsgebot des Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG. Mit den verordneten Mindestlöhnen könnten flächendeckende Briefdienstleistungen durch private Unternehmen, die nicht über aus Monopolzeiten stammende Marktanteile und die insoweit alles entscheidenden Zustellvolumina verfügen, nicht wirtschaftlich erbracht werden.
Die Verordnung sei Folge eines Ermessensfehlgebrauchs des Verordnungsgebers. Schließlich verstoße sie gegen europäisches Wettbewerbsrecht in Gestalt der Artt. 86 Abs. 1, 82 EGV.
Mit Beschluss vom 7. März 2008 hat das Gericht die Verfahren VG 4 A 439.07, VG 4 A 16.08 und VG 4 A 26.08 unter dem Aktenzeichen VG 4 A 439.07 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Nachdem die PIN Group AG in der mündlichen Verhandlung ihre Klage zurückgenommen hat, beantragen die übrigen Kläger,
festzustellen, dass die Rechtsverordnung des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 28. Dezember 2007 über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen sie in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat überdies die in der Anlage zum Protokoll enthaltenen Hilfsbeweisanträge (Einholung eines Sachverständigengutachtens über wirtschaftliche Folgen des verordneten Mindestlohns für Briefdienstleistungsunternehmen) sowie den Antrag auf Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof gestellt.
Die Beklagte macht geltend:
Die Feststellungsklagen seien unzulässig, weil es an Rechtsverhältnissen zwischen ihr und den Klägern fehle. Feststellungsfähig seien ausschließlich die aus dem Normvollzug durch die örtlichen Behörden resultierenden Anwendungs- und Gültigkeitsfragen. Die Kläger müssten sich auf Verfahren in anderen Gerichtsbarkeiten verweisen lassen, in denen die streitige Verordnung inzident überprüft werde.
Die Verordnung sei formell rechtmäßig.
Die Tarifvertragsparteien hätten den nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG nötigen Antrag gestellt.
Der Zweck des § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG, es dem Verordnungsgeber zu ermöglichen, die Interessen aller Betroffenen einzubeziehen, habe eine erneute Beteiligung nicht erfordert.
Eine weitere Stellungnahme zu dem eingeschränkten Geltungsbereich des Tarifvertrags hätte dem Verordnungsgeber keinen relevanten Erkenntnisgewinn bringen können. Zudem sei der geänderte Tarifvertrag jedenfalls dem AGV NBZ bekannt gewesen. Mit der entsprechend eingeschränkten Verordnung sei nach Presseberichten und dem Ergebnis der öffentlichen Anhörung im Gesetzgebungsverfahren zu rechnen gewesen. § 1 Abs. 3a AEntG sei in der Verordnung zutreffend in der gültigen Fassung zitiert worden. Die Verordnung bestimme klar die Wirkung des Tarifvertrags ab dem 1. Januar 2008. Sie habe nicht begründet werden müssen, jedoch sei das intern geschehen.
Die Verordnung sei materiell rechtmäßig.
Der Tarifvertrag sei ein wirksamer Tarifvertrag zweier tariffähiger Koalitionen.
Der Wortlaut der Ermächtigungsgrundlage lasse wie bei § 5 Abs. 4 TVG die auch allen anderen Verordnungen nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG zugrundegelegte Auslegung zu, dass von der Verordnung alle nicht an den geltungserstreckten Tarifvertrag gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfasst würden. Dieses Verständnis werde durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2000 - 1 BvR 948/00 -, NJW 2000, 3704, bestärkt, weil das Gericht in den in diesem Beschluss zitierten Entscheidungen im 44. und 55. Band (BVerfGE 44, 322 [352]; 55, 6 [24]) die Geltung des erstreckten Tarifvertrags für anderweitig Tarifgebundene voraussetze. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 1 Abs. 1 und 3 AEntG, die in gleicher Weise für § 1 Abs. 3a AEntG zu gelten habe, gehe der durch Verordnung übernommene Tarifvertrag einem speziellerem Tarifver- trag vor. Die Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung ergebe sich daraus, dass der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts in seinem Anfragebeschluss an den 10. Senat vom 9. September 2003 (9 AZR 478/02 [A] zitiert nach Juris) auch auf § 1 Abs. 3a AEntG zurückgegriffen habe (bei Rn. 22). Auch die nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG erstreckten Tarifverträge fänden nach § 1 Abs. 3a Satz 4 letzter Teilsatz AEntG zwingende Anwendung. Dieses Verständnis sei europarechtlich geboten, da das von den Klägern vertretene zu einer verbotenen Ausländerdiskriminierung führe. Würde man einem inländischen Arbeitgeber die Ausweichmöglichkeit über einen spezielleren (Firmen-)Tarifvertrag zugestehen, dürfte man sie einem Ausländer nicht verweigern. Diese Fortentwicklung der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben habe bei früheren Äußerungen, etwa dem Gutachten von Ossenbühl/Cornils aus dem Jahr 2000, noch nicht berücksichtigt werden können. Letztlich werde diese Auslegung dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber in Kenntnis des Entwurfs der streitigen Verordnung und der tariflichen Bedingungen auf dem Briefmarkt das Arbeitnehmer-Entsendegesetz novelliert habe.
Hilfsweise macht sie geltend: Sollte die Verordnung die Ermächtigungsgrundlage überschreiten, wirkte sich das auf die Kläger nicht aus, weil sie nicht an einen Tarifvertrag gebunden seien. Die Tarifverträge mit der GNBZ seien unwirksam, weil diese - was erforderlichenfalls nach Aussetzung des Verfahrens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG von den Arbeitsgerichten zu klären sei - nicht tariffähig sei und die Verträge überdies Gefälligkeitsverträge seien. Bei der GNBZ handle es sich um den in der Arbeitsgeschichte wohl offenkundigsten Fall einer arbeitgeberseitig initiierten Gewerkschaftsgründung, die von arbeitgeberorientierten Managern betrieben werde. Die Verordnung könnte bei überschrittener Ermächtigungsgrundlage allenfalls in Bezug auf an wirksame Tarifverträge Gebundene teilnichtig sein. Die Voraussetzungen für eine Gesamtnichtigkeit lägen nicht vor. Der Verordnungsgeber hätte von einer Geltungserstreckung des Tarifvertrags nicht vollständig abgesehen. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz kenne das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des Vorliegens einer Entsendeproblematik nicht. Ungeachtet dessen habe der Gesetzgeber nicht erst mit einer Regelung abwarten müssen, bis sich eine nach seiner Einschätzung drohende Gefahr (etwa der Entsendung ausländischer Zusteller) bereits realisiert habe. Die Postmarktöffnung zum 1. Januar 2008 sei ein ausreichender Anlass zum Handeln gewesen. Es sei davon auszugehen gewesen, dass von diesem Tag an ein nochmals verstärkter Wettbewerb in der Branche einsetzen werde, der über die Löhne ausländischer Arbeitnehmer geführt werde. Durchgreifende Einwände gegen diese arbeitsmarktpolitische Prognose machten die Kläger nicht geltend.
Bei den intern zur Begründung der Verordnung angeführten Erwägungen zum öffentlichen Interesse handle es sich um valide Erwägungen, die den Erlass der Verordnung rechtfertig- ten. Die mit der Verordnung verfolgten Ziele entsprächen der gesetzlichen Wertung. Mit der jüngsten Gesetzesänderung habe der Gesetzgeber verdeutlicht, dass er eine Geltungserstreckung eines Tarifvertrags in dieser Branche grundsätzlich billige, um für alle in Deutschland beschäftigten Arbeitnehmer angemessene Arbeitsbedingungen sicherzustellen.
Die getroffene Auswahl des Verordnungsgebers sei fehlerfrei mit der höheren Repräsentativität begründet; der Tarifvertrag über Mehrwertbriefdienstleistungen klammere einen wesentlichen Bereich aus.
Die Verordnung sei mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar. Ein Druck zum Beitritt in eine Koalition gehe von ihr nicht aus. Ein Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit wäre jedenfalls gerechtfertigt, wie ein Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zeige. Das mit der Verordnung verfolgte Ziel, Lohndumping zu bekämpfen, habe aus verschiedenen Gründen Verfassungsrang. Dieses Ziel verfolge sie in geeigneter, erforderlicher Weise. Der Verordnungsgeber sei davon ausgegangen, dass ohne die Festlegung eines Mindestlohnes niedrigere Tarifabschlüsse zustande oder zur Anwendung gekommen und deswegen Arbeitsplätze nur um den Preis eines Lohndumpings geschaffen worden wären. Diese Annahme halte sich im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative. Bei den in der Postbranche geltenden Rahmenbedingungen bestehe in besonderem Maße die Gefahr eines Wettbewerbs zu Lasten der Arbeitnehmer, wie eine Studie aus dem Dezember 2006 zeige, wonach in Ostdeutschland ein durchschnittlicher Stundenlohn von 5,90 € und in Westdeutschland von 7,00 € gezahlt werde und diese Löhne unter dem Mindestbedarf nach den sozialrechtlichen Bestimmungen lägen. Grund, eine weitere Verschärfung dieser Situation zu befürchten, hätten die im Vorfeld der Verordnung abgeschlossenen Tarifverträge geboten. Der Verordnungsgeber habe danach annehmen dürfen, dass in diesem Bereich Verhandlungen unter den Tarifvertragsparteien nicht ohne weiteres zu einem angemessenen Ausgleich führten. Die Auswirkungen der Verordnung auf die Koalitionsfreiheit seien den Klägern zumutbar.
Da die Arbeitnehmer bei den Konkurrenten der Deutsche Post AG nur in geringem Maß gewerkschaftlich organisiert seien, könnten die Arbeitgeber Lohnforderungen ohne existentielle Einbußen ausweichen. Eine Verhandlungsposition zur gleichwertigen Interessenwahrnehmung bestehe dort auf Arbeitnehmerseite nicht. Die (unterstellt wirksamen) Tarifverträge seien erst vor kurzem abgeschlossen worden. Es sei noch kein organisiertes Gefüge von Verhandlungspartnern in der Fläche ausgebaut. Demgegenüber wögen die rechtfertigenden Gründe schwer. Ohne die Verordnung könnten sich nicht organisierte Arbeitgeber gegenüber den Mitgliedern des tarifschließenden Arbeitgeberverbands Konkurrenzvorteile verschaffen und diese so in ihrer wirtschaftlichen Existenz gefährden. Zudem sei die Geltungsdauer der Verordnung befristet.
Die Verordnung sei mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar. Sie stelle nur eine Berufsausübungsregelung dar. Anders wäre es nur, wenn die betroffenen Berufsangehörigen in aller Regel und nicht nur in Ausnahmefällen wirtschaftlich nicht mehr in der Lage wären, den gewählten Beruf zur Grundlage ihrer Lebensführung zu machen. Dafür sei hier aber nichts vorgetragen. TNT etwa gehöre zu einem Konzern mit einem Gesamtumsatz von weltweit 10,1 Mrd. € und könne im Konzernverbund wirtschaftliche Verluste ausgleichen. Bei PIN seien wohl aus anderen Gründen eingetretene Verluste die Ursache für die Insolvenzen von nur 37 der zirka 90 Unternehmen, die überdies auch während der Insolvenz ihren Betrieb nicht eingestellt hätten. Zudem zahle PIN den Mindestlohn und rechne nach Angaben seines Vorstandsvorsitzenden mit der Chance eines längerfristigen Gewinns. Beim BdKEP sei die Spekulation eines baldigen Niedergangs seiner Mitgliedsunternehmen aus der Branche Briefdienstleistungen durch nichts belegt. Es überschreite die Einschätzungsprärogative nicht, wenn der Verordnungsgeber die im erstreckten Tarifvertrag vereinbarten Löhne nicht als überhöht beanstande. Einer Übergangsfrist habe es nicht bedurft, weil die Kläger von der Verordnung nicht überrascht worden seien. Spätestens seit dem 24. August 2007 (Meseberg-Entscheidung der Bundesregierung) sei bekannt gewesen, dass mit dem Ende des Briefmonopols eine Entscheidung habe getroffen werden sollen. Die ungefähre Höhe des Mindestlohns sei seit dem 11. September 2007 absehbar gewesen.
Art. 14 Abs. 1 GG sei mangels Eingriffs nicht verletzt; er gewähre keinen Schutz von Gewinnchancen, jedenfalls wäre der Eingriff aber gerechtfertigt.
Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht verletzt, weil es einen im Gesetz angelegten Grund für die Unterscheidung zu anderen Unternehmen aus diesem Bereich gebe. Die unterschiedliche Behandlung gegenüber anderen, nicht im Gesetz angeführten Branchen habe für die Kläger keine Bedeutung.
Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG schließe die Festlegung eines Mindestlohns nicht aus. Die Norm lege die Erbringung der Postdienstleistungen nicht uneingeschränkt auf das Wettbewerbsprinzip fest.
Der Vorwurf eines Verstoßes gegen europarechtliches Wettbewerbsrecht sei mehr als fernliegend.
Die Festlegung von Mindestlöhnen sei europarechtlich zulässig. Zudem sei die Deutsche Post AG kein Unternehmen im Sinne des Art. 86 EGV.
Sechs Bände Verwaltungsvorgang betreffend das Verfahren zum Erlass der Verordnung haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Aus den Gründen:
Die teilweise Einstellung des Verfahrens ist die durch § 92 Abs. 3 VwGO vorgesehene Folge der Rücknahme der Klage der PIN Group AG.
A. Zulässigkeit der Klagen
Die übrigen Feststellungsklagen sind zulässig. An dieser bereits in dem den Beteiligten bekannten Beschluss vom 11. Februar 2008 - VG 4 A 15.08 - in Bezug auf den BdKEP geäußerten Wertung hält das Gericht auch unter dem Eindruck der mündlichen Verhandlung und entsprechender Überprüfung fest.
1. Nach § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Beklagte meint, dass die Verordnung zwischen ihr und den Klägern kein Rechtsverhältnis begründe. Das überzeugt das Gericht nicht. Mit dem Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 23. August 2007 - BVerwG 7 C 13.06 -, NVwZ 2007, 1311 [1313]) versteht das Gericht unter einem Rechtsverhältnis im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO die sich aus einem konkreten Sachverhalt aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Norm ergebenden rechtlichen Beziehungen für das Verhältnis von (natürlichen oder juristischen) Personen untereinander oder zu einer Sache. Subsumiert man den vorliegenden Sachverhalt unter diese Merkmale, dann erscheint es dem Gericht zwingend, hier von einem Rechtsverhältnis auszugehen. Es liegt ein konkreter Sachverhalt vor. Der BdKEP ist Partei eines Vertrags, den er, seine Mitglieder, darunter die PIN Mail AG, und sein Vertragspartner, die GNBZ, als Tarifvertrag für die Branche Briefdienstleistungen ansehen. Die übrigen Kläger sind Mitglieder des AGV NBZ, der ebenfalls mit der GNBZ einen Vertrag schloss, den die Vertragsparteien und die übrigen Kläger als Tarifvertrag ansehen. Die Regelungen dieser Verträge sollen mittels der streitigen Verordnung durch Regelungen eines anderen Tarifvertrags überlagert werden, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht hat. Diese Verordnung ist öffentlich-rechtlich, weil sie hoheitlich auf eine privatrechtliche Vereinbarung einwirkt. In der Einwirkung des Hoheitsträgers, einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, liegt zugleich die Begründung einer rechtlichen Beziehung zwischen ihm, dem Verordnungsgeber, und den an die Verträge gebundenen Parteien, darunter die Kläger, die juristische Personen des Privatrechts sind. Der Verordnungsgeber verlangt von ihnen die Befolgung der Norm. Sie sind auch ihm (und nicht nur etwa ihren Arbeitnehmern) gegenüber zur Normbefolgung verpflichtet. Dass diese Pflicht nicht mittels einer Klage der Beklagten gegen einzelne Arbeitgeber durchgesetzt würde, steht der Annahme einer Pflicht nicht entgegen.
Dem Gericht ist bekannt, dass das Bundesverwaltungsgericht im genannten Urteil aussprach, dass im Regelfall kein Rechtsverhältnis zwischen Normadressat und Normgeber besteht, da letzterer an der Umsetzung der Norm gegenüber dem Adressaten nicht beteiligt ist. Das erscheint der Kammer weiterhin nicht überzeugend. Der Begriff des Rechtsverhältnisses, den auch das Bundesverwaltungsgericht zugrundelegt, verlangt eine Beteiligung an der Umsetzung der Norm nicht. Norm und Normgeber lassen sich nicht trennen. Die der Norm innewohnende Geltungsanordnung setzt den Anordnenden voraus. Geht er etwa ersatzlos unter, dann verliert die Norm ihre Wirkung. Die Norm bringt den Normgeber und den ihr Unterworfenen in eine Beziehung, eben weil der Normgeber mit ihr auf das Verhalten der Betroffenen einwirken will. Erforderliche Umsetzungsakte mögen dazu führen, dass Rechtsschutzsuchende in Anwendung eines Subsidiaritätsprinzips unter bestimmten Voraussetzungen auf eine andere Klageart verwiesen werden müssen; das wie dargelegt schon begründete Rechtsverhältnis zwischen dem Normgeber und dem der Norm Unterworfenen bringen sie nicht in Wegfall. Die mündliche Verhandlung hat nicht ergeben, was an diesen Erwägungen falsch sein soll. Das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Januar 1992 - BVerwG 3 C 50.89 - (BVerwGE 89, 327) ergibt dazu nichts. Es unterscheidet zwischen rechtlichen Beziehungen zwischen Beteiligten, einem (bestimmten konkretisierten) Rechtsverhältnis zwischen ihnen und einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis. Um die dort thematisierten Konkretisierungsstufen geht es hier nicht. Die von der Beklagten angesprochene Gefahr von Popularfeststellungsklagen gegen die Beklagte zieht mit dem hier vertretenen Verständnis nicht herauf, weil die Feststellungsklage von weiteren Voraussetzungen abhängt, die Klagen Fernstehender oder nur an abstrakten Fragen Interessierter ausschließt.
2. Der Verweis der Beklagten auf § 47 VwGO, dessen Voraussetzungen für eine Normkontrolle hier nicht erfüllt sind, greift nicht (mehr) durch. Dieses Verfahren sperrt die Feststellungsklage nicht (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Januar 2006 - 1 BvR 541/02 -, NVwZ 2006, 922 [924]).
3. Die Kläger haben das gemäß § 43 Abs. 1 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung. Es liegt auf der Hand, dass jemand, der monatlich Lohn zu zahlen hat, bald wissen will, wieviel er zu zahlen hat. Zudem haben alle Kläger Umstände dargetan, die eine baldige Existenzvernichtung von Unternehmen bzw. ihre Aufgabe aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft infolge der Anwendung der streitigen Verordnung nahelegen. Der insoweit ohne Tatsachenvortrag auskommende Standpunkt der Beklagten, die zur Beurteilung erhebliche Fakten erst durch ein Sachverständigengutachten hat ermitteln lassen wollen, gibt zu einer gelasseneren Sicht keinen Anlass. Der Hinweis der Beklagten auf § 121 VwGO führt zu keiner anderen Betrachtung dieses Zulässigkeitsmerkmals. Die zugelassene Berufung wird zu einer obergerichtlichen Klärung führen, von der im Bestätigungsfall anzunehmen ist, dass sie respektiert und befolgt werden wird (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 23. August 2007, aaO, Seite 1313 Rn. 24).
4. Die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO steht der Feststellungsklage nicht entgegen. Denn dazu müssten die Kläger ihre Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage (vor dem Verwaltungsgericht) verfolgen können. Das ist nicht der Fall. Die Kläger wenden sich mit ihren Feststellungsklagen gegen eine Verordnung, die keines Umsetzungsaktes bedarf, sondern aus sich selbst heraus (unmittelbar) vom 1. Januar 2008 an den Mindestlohn in der bezeichneten Branche festlegt. Die durch § 2 Abs. 1 AEntG vorgesehene Prüfung der Arbeitsbedingungen nach § 1 AEntG durch die Behörden der Zollverwaltung ist kein Ansatz für eine vorrangige andere Klageart. Denn derartige Prüfungen eröffneten nicht den Rechtsweg zum Verwaltungsgericht, sondern zum Finanzgericht (vgl. § 23 Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz).
Auf Ordnungswidrigkeitenverfahren und deren gerichtliche Überprüfung muss sich niemand verweisen lassen.
Die bloße Möglichkeit, die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Verordnung auch in einem anderen Gerichtszweig aufzuwerfen, hindert die Feststellungsklage wegen der Gleichwertigkeit der Gerichtszweige nicht. Einen auch in der mündlichen Verhandlung zur Sprache gebrachten ungeschriebenen Subsidiaritätsgrundsatz, wie er im Verhältnis zwischen Verfassungs- und Fachgerichtsbarkeit besteht (siehe Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. Januar 2006, aaO), gibt es zwischen der Verwaltungsgerichtsbarkeit und anderen Gerichtsbarkeiten nicht. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG, der eine Auffangzuständigkeit des ordentlichen Rechtswegs begründet, ist an dieser Stelle unergiebig.
Hingegen misst das Gericht Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Bedeutung bei der Beantwortung der zur Zulässigkeit aufgeworfenen Fragen zu. Danach steht jemandem der Rechtsweg offen, wenn er durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird. Dies garantiert nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offen steht, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Strittige Rechtsverhältnisse müssen in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. etwa Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 20. September 2007 - 1 BvR 775/05 -, NJW 2008, 503). Diese Norm rechtfertigt es nicht, sich über klare Prozessregeln hinwegzusetzen, gebietet es aber, bei der Auslegung von Normen des Prozessrechts dem (vertretbaren) Verständnis den Vorzug zu geben, das eine Klärung des streitigen Rechtsverhältnisses in angemessener Zeit besser ermöglicht. Nach Lage der Dinge ist dem Gericht die für eine Entscheidung zur Verfügung stehende „angemessene Zeit" zu knapp bemessen erschienen, um die Kläger auf die weitere Suche nach einem Rechtsschutzweg zu verweisen.
Dabei berücksichtigt es, dass für derartige Feststellungsklagen kein Bedarf bestand, solange selbst, gegenwärtig und unmittelbar Betroffene (wie es die Kläger in Bezug auf die streitige Verordnung sind) sogleich eine Verfassungsbeschwerde erheben konnten. Diesen Weg hat das Bundesverfassungsgericht mit dem Beschluss vom 17. Januar 2006 verengt.
Es verweist Personen, die von einem untergesetzlichen Rechtsakt betroffen sind, der keines Umsetzungsakts bedarf, auf eine Feststellungsklage, wenn eine inzidente Überprüfung des untergesetzlichen Rechtssatzes im Rahmen von Verfahren gegen deren Anwendung im Einzelfall nicht möglich ist oder eine inzidente Prüfung allein nicht zur Beseitigung der Grundrechtsverletzung führt. So liegt es aber nicht nur in dem Fall, in dem es um einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG geht, der vom Normgeber auf verschiedene Weisen behoben werden könnte, sondern auch in der vorliegenden Konstellation.
B. Begründetheit der Klagen
Die zulässigen Klagen sind begründet, weil die Verordnung den BdKEP in seinem Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG, TNT und PIN in ihren Rechten aus den Artt. 9 Abs. 3 und 12 Abs. 1 GG verletzt. Ob bei PIN und TNT noch weitere Grundrechte verletzt sind, bedarf danach keiner Entscheidung.
I. Die Verordnung ist rechtswidrig, weil sie nicht gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Ermächtigungsgrundlage des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG gedeckt ist, die in verfassungskonformer Auslegung nur eine Regelung ermöglicht, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrags ausschließlich auf alle nicht (anderweitig) tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Anwendung finden. Darüber hinausgehend erstreckt die Verordnung den Tarifvertrag aber auf alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
1. Mit den Worten „nicht tarifgebundenen" bestimmt § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG einen Teil des Ausmaßes der Ermächtigung. Diese Worte sind - wie auch die widerstreitenden Auffassungen der Beteiligten zeigen - auslegungsbedürftig. Sie entstammen nicht der Alltagsund Umgangssprache, sondern sind ursprünglich ein Fachbegriff aus dem Tarifvertragsrecht, der allerdings von seinem fachlichen Gehalt gelöst über die arbeitsrechtlichen Fachkreise hinaus Verwendung findet. Das Arbeitnehmer-Entsendegesetz knüpft auch begrifflich an das Tarifvertragsgesetz an, was die Maßgeblichkeit dessen Begriffsverständnisses begründen könnte. Das Tarifvertragsgesetz beurteilt die Frage der Tarifgebundenheit aus der Sicht des jeweiligen Tarifvertrags (vgl. Richardi, ZfA 2003, 655 [671]), wie sich aus der Verwendung des bestimmten Artikels in § 3 Abs. 1 und Abs. 3 TVG ergibt. Tarifgebunden sind nach § 3 Abs. 1 TVG die Mitglieder der (und nicht „von") Tarifvertragsparteien und der Arbeitgeber, der selbst Partei des (und nicht „eines") Tarifvertrags ist. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Tarifgebundenheit bestehen, bis der Tarifvertrag endet. Nach § 5 Abs. 4 TVG erfassen die Rechtsnormen des Tarifvertrags mit der Allgemeinverbindlicherklärung „auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer". Dort werden diese Worte auf alle Außenseiter (betrachtet vom für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag) bezo- gen, gleichgültig, ob sie nicht oder nur anders organisiert sind (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 -, BAGE 67, 330 ff.; Kempen/Zachert [Hrsg.], TVG, 4. Aufl. 2005, § 5 TVG Rn. 41). Die streitige Verordnung (und mit ihr andere auf § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG gestützte) drückt dieses Verständnis mit den Worten „nicht an ihn gebundenen" aus.
2. So verstanden wäre die Ermächtigungsgrundlage aber verfassungswidrig. Der im Rechtsstaatsprinzip und im Demokratieprinzip wurzelnde Parlamentsvorbehalt gebietet es, in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen dem Gesetzgeber zu überlassen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 6. Juli 1999 - 2 BvF 3/90 -, BVerfGE 101, 1 [34]). Im Beschluss vom 27. November 1990 - 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130 führte das Bundesverfassungsgericht dazu aus:
„Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen im wesentlichen selbst zu treffen und diese nicht dem Handeln und der Entscheidungsmacht der Exekutive zu überlassen ... Wie weit der Gesetzgeber die für den fraglichen Lebensbereich erforderlichen Leitlinien selbst bestimmen muß, richtet sich maßgeblich nach dessen Grundrechtsbezug. Eine Pflicht dazu besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte nach dem Wortlaut der Verfassung vorbehaltlos gewährleistet sind und eine Regelung, welche diesen Lebensbereich ordnen will, damit notwendigerweise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muß. Hier ist der Gesetzgeber verpflichtet, die Schranken der widerstreitenden Freiheitsgarantien jedenfalls so weit selbst zu bestimmen, wie sie für die Ausübung dieser Freiheitsrechte wesentlich sind."
Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die auf das vorbehaltlose Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG übertragbar sind, genügte § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG nicht, wenn er eine Erstreckung eines Tarifvertrags durch eine Verordnung auch auf anderweitig Tarifgebundene zuließe. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG schützt unterschiedlich stark. Besonders stark ist seine Schutzwirkung in Bezug auf Tarifverträge, die Kernbereiche der Arbeitsbedingungen wie den Arbeitslohn regeln. In diesem Bereich müssen die Gründe schwerwiegend sein, die den Eingriff in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG rechtfertigen sollen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 27. April 1999 - 1 BvR 2203/93 u.a. -, BVerfGE 100, 271 [283 f.]). Eine Verordnung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG wäre ein Eingriff, denn sie wirkte zwingend (§ 1 Abs. 3a Satz 3 AEntG) und verdrängte einen etwaigen anderen Tarifvertrag.
Die Voraussetzungen für diesen schwerwiegenden Eingriff in die positive Koalitionsfreiheit, die keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, durch den Verordnungsgeber hätte der Gesetzgeber zu bestimmen. § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG enthält aber keine inhaltlichen Vorgaben, von denen die Verordnungsbefugnis abhängt. Die verfahrensrechtlichen Anforderungen der Norm (Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung eines Tarifvertrags, Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme) genügen nicht, um die gebotene Abwägung zwischen den widerstreitenden Positionen zu sichern und inhaltlich vorzuprägen.
Das dagegen gerichtete Vorbringen der Beklagten bestärkt das Gericht in dieser Wertung.
Sie beruft sich für die Auswahl zwischen mehreren zu verordnenden Tarifverträgen auf die tarifvertragsgesetzlichen Regeln für den Fall, dass ein für allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag auf einen anderen Tarifvertrag trifft. Das übergeht aber, dass die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 Abs. 1 TVG Anforderungen (Quorum, Einvernehmen mit Tarifausschuss) unterliegt, die es für die Verordnung (bewusst) nicht gibt. Zudem ist in der mündlichen Verhandlung deutlich geworden, dass sich die Beklagte unter Berufung auf eine Richtigkeitsgewähr von Tarifverträgen und ein aus der Tarifautonomie folgendes Verbot der Inhaltskontrolle von Tarifverträgen nicht um die Folgen der Verordnung für die betroffene Branche kümmert. Von der Beklagten sind substantielle Einwände gegen die negativen Prognosen der Kläger zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung der Konkurrenten der Deutsche Post AG nicht zu erlangen gewesen; sie hat insoweit nur einen Hilfsbeweisantrag (Sachverhaltsermittlung durch einen Sachverständigen) gestellt. Hingegen hat sie sich auf eine Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers berufen, die sie von derartigen Erwägungen freistellen solle. Das wird aus Sicht des Gerichts der Bedeutung der durch die Verordnung betroffenen Grundrechte nicht gerecht.
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2000 (1 BvR 948/00, NJW 2000, 3704) steht dieser Betrachtung nicht entgegen. Zwar heißt es dort, dass die Verordnungsermächtigung des § 1 Abs. 3a AEntG nicht gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, da sie hinreichend genau bestimmt ist (aaO, Seite 3705 am Ende). Doch erörtert der Beschluss die von den Beschwerdeführern offenbar nicht aufgeworfene Frage der Erstreckung eines Tarifvertrags auf anderweitig Tarifgebundene nicht (wenngleich auch die dort angegriffene Verordnung die Erstreckung ermöglicht hätte, was der Beschluss aber durch abgewandelte Wortwahl nicht zum Ausdruck bringt).
3. Die verfassungskonforme, nämlich die Verfassungswidrigkeit des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG vermeidende Auslegung der Worte „nicht tarifgebundenen" ist möglich. Das setzt voraus, dass andere Auslegungsmethoden zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führen und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 -, NVwZ 2007, 1396 [1401]). So liegt es hier.
a. Außerhalb tarifvertragsrechtlicher Zusammenhänge können die Worte „nicht tarifgebundenen" als Verneinung jeglicher Tarifbindung verstanden werden und werden offenbar von allen, die die tarifvertragsrechtliche Prägung nicht mitbringen, so verstanden. So meinte das Oberverwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 10. März 2004 - OVG 1 B 2.02 -, Abdruck Seite 19), dass eine Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3 a Satz 1 AEntG nur Adressaten betreffe, die keiner Koalition angehören und für die daher kein Arbeitgeberverband und keine Gewerkschaft eine Verbandszugehörigkeit beanspruchen könne (so auch Däubler/Lakies, TVG, § 1 AEntG Rn. 104) - obwohl auch dort die Verordnung den Tarifvertrag für „alle nicht an ihn gebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer" in Anwendung brachte. Es stützte sich dabei auf das von Ossenbühl/Cornils für das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Januar 2000 erstattete Gutachten „Tarifautonomie und staatliche Gesetzgebung", das auf den Seiten 64 - 68 begründet, dass „§ 1 Abs. 3a AEntG ... wie § 1 Abs. 1 AEntG die Arbeitsverhältnisse anderweitig organisierter und tarifgebundener inländischer Arbeitgeber und Arbeitnehmer von dem Geltungsanspruch des erstreckten Mindesttarifs" verschont. In einem überwiegend von Beamten des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung verfassten Kommentar zum Arbeitnehmer-Entsendegesetz (Koberski/Asshoff/ Hold/ Roggendorff, AEntG, 2. Aufl. 2002, § 1 Rn. 103) wird unter Berufung auf den Wortlaut des § 1 Abs. 3a AEntG vertreten, dass das Gesetz „somit anderweitig tarifgebundene Arbeitgeber und Arbeitnehmer gerade nicht erfassen will". Im Grunde ist auch die eingehende, den Wortlaut („nicht tarifgebundenen") relativierende Argumentation der Beklagten ein Beleg dafür, dass dieser Wortlaut außerhalb tarifvertragsrechtlicher Fachkreise dahin verstanden wird, dass er jegliche Tarifbindung negiert und nicht nur die Bindung an einen bestimmten Tarifvertrag. b. Die Materialien zu § 1 Abs. 3a AEntG bekräftigen das hier vertretene Verständnis. In der Entwurfsbegründung (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 14/45, Seite 26) heißt es: „Eine Rechtsverordnung nach Absatz 3a findet mit Rücksicht auf die Tarifautonomie keine Anwendung auf Arbeitsverhältnisse, deren Parteien tarifgebunden sind. In Bezug auf die Verbindlichkeit der einzuhaltenden Arbeitsbedingungen ergibt sich hieraus jedoch kein Unterschied: Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Tarifvertragsgesetzes gelten die Rechtsnormen eines Tarifvertrags zwischen beiderseits tarifgebundenen unmittelbar und zwingend. Diese rechtliche Bindungswirkung wird für nicht beiderseits Tarifgebundene durch eine Rechtsverordnung nach dem neuen Absatz 3a hergestellt."
Die Tarifautonomie, deren Schutz der Gesetzgeber vor Augen hatte, drückt sich aber in jedem Tarifvertrag aus. Sollte eine nach einem Antrag einer Tarifvertragspartei ergangene Verordnung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG zur Erstreckung ihres Tarifvertrags überhaupt ein Eingriff in die Tarifautonomie dieser Tarifvertragspartei sein, dann wäre er von weit geringerem Gewicht als der Eingriff in die Tarifautonomie einer Tarifvertragspartei, deren Tarifvertrag von der Verordnung verdrängt würde. Es erscheint ausgeschlossen, dass der Gesetzgeber die allenfalls von einem schwachen Eingriff Betroffenen schützen wollte, die von einem stärkeren aber nicht.
So leuchtet es ein, dass Ossenbühl/Cornils in dem erwähnten Gutachten auf Seite 93 schreiben, dass es keinen Anhaltspunkt für die Annahme gebe, dass der Gesetzgeber bei dieser Gelegenheit (des Erlasses von § 1 Abs. 3a AEntG) auch die autonome Tariffindung im deutschen Baugewerbe habe abschaffen und durch eine einheitliche staatliche Tarifordnung habe ersetzen wollen. Nicht vorstellbar und von der Beklagten trotz diesbezüglicher Frage nicht einmal plausibilisiert worden ist, dass Koberski/Asshoff/Hold/Roggendorf trotz ihrer beruflichen Nähe zu der Materie solche Anhaltspunkte entgangen sein sollten.
c. Das hier vertretene Verständnis des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG steht im Einklang mit dem erkennbaren Zweck der Verordnungsermächtigung, die Erstreckung eines bestimmten Tarifvertrags auf nicht Tarifgebundene durch eine Rechtsverordnung zu ermöglichen. Mit diesem Verständnis hätte die Ermächtigung auch noch einen Sinn, wie die Beklagte mit dem Einwand belegt, dass der Bundesminister auch bei engerer Ermächtigungsgrundlage eine darauf angepasste Verordnung zur Erstreckung des Tarifvertrags erlassen hätte.
d. Das Zweite Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I Seite 3140) führt zu keiner anderen Beurteilung. Mit diesem Gesetz wurden in § 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG die Wörter „und für Tarifverträge für Briefdienstleistungen, wenn der Betrieb oder die selbständige Betriebsabteilung überwiegend gewerbsoder geschäftsmäßig Briefsendungen für Dritte befördert" eingefügt und damit erst die Voraussetzung geschaffen, die in der Anlage der hier streitigen Verordnung aufgeführten Rechtsnormen auf andere zu erstrecken. Allerdings zielte diese Änderung darauf, die Konkurrenten der im Arbeitgeberverband Postdienste e.V. maßgebenden Deutsche Post AG zu treffen. Diese waren zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens nicht tarifgebunden. Erst kurz vor Beschlussfassung über das Gesetz veränderte sich die Sachlage durch den Abschluss zweier Verträge, die die Vertragsparteien als Tarifverträge ansehen. Man mag annehmen, dass bedeutende Kräfte gleichwohl und erst recht die Konkurrenten der Deutsche Post AG mit höheren Personalkosten belasten wollten. Vor dem Hintergrund der Entstehung des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG mit der bewussten Begrenzung auf nicht anderweitig Tarifgebundene und eingedenk der Anforderung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist die Annahme ausgeschlossen, der Gesetzgeber habe ohne Änderung des Wortlauts des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG diesem jetzt einen anderen Zweck geben wollen, so dass nunmehr für alle in § 1 Abs. 1 AEntG genannten Branchen durch Rechtsverordnung ein Tarifvertrag auch auf anderweitig Tarifgebundene erstreckt werden sollte. Die Annahme, diese unausgesprochene Änderung habe nur für die im Zweiten Gesetz zur Änderung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes genannte Branche gelten sollen, verbietet sich wohl ohne weitere Worte.
e. Daran hat sich auch durch die neuere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nichts geändert. Die von der Beklagten angesprochenen Entscheidungen (etwa Urteil vom 25. Juni 2002, aaO, und vom gleichen Tag, - 9 AZR 439/01 -, AP Nr. 15 zu § 1 AEntG = BAGE 102, 1; Urteil vom 20. Juli 2004 - 9 AZR 343/03 -, AP Nr. 18 zu § 1 AEntG = BAGE 111, 247) betrafen § 1 Abs. 1 und Abs. 3 AEntG und deren von der bloßen Allgemeinverbindlicherklärung abweichende Rechtsfolge, die sich mit der des § 1 Abs. 3a Satz 3 AEntG deckt. Aus der Rechtsfolge lässt sich aber nicht auf ihre tatbestandlichen Voraussetzungen zurückschließen. Dass die Verordnung zwingend gilt, besagt nicht, dass sie gegenüber jedermann gilt. Auch eine nur einem beschränkten Personenkreis (hier: den nicht anderweitig Tarifgebundenen) gegenüber geltende Regelung kann zwingend sein.
f. Der Anwendungsvorrang europarechtlicher (gemeinschaftsrechtlicher) Normen vor innerstaatlichen Normen steht dem hier vertretenen Verständnis nicht entgegen. Zutreffend ist, dass es auf eine gemeinschaftsrechtlich verbotene Diskriminierung hinausliefe, wenn nur inländische Arbeitgeber einer Rechtsverordnung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG durch vorherigen Abschluss eines Tarifvertrags ausweichen könnten. Man wird wohl auch davon ausgehen können, dass diese Norm nur die durch einen dem Tarifvertragsgesetz unterfallenden Tarifvertrag Gebundenen ausnimmt, da das gesamte Tarifvertragsgesetz, auf das sich das Arbeitnehmer-Entsendegesetz bezieht, nur für Arbeitsverhältnisse gilt, die deutschem Arbeitsrecht unterliegen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Juni 2002 - 9 AZR 404/00 -, AP Nr. 12 zu § 1 AEntG), weshalb der von der Beklagten erörterte Fall eines portugiesischen Tarifvertrags nicht einschlägig ist. Zu einer Diskriminierung ausländischer Arbeitgeber führte das aber nur, wenn sie keine Tarifverträge nach dem Tarifvertragsgesetz abschließen oder keiner Koalition beitreten dürften, die einen solchen Vertrag geschlossen hat.
Das ist aber nicht der Fall. Insbesondere beschränkt § 2 Abs. 1 TVG die Tariffähigkeit nicht auf einzelne inländische Arbeitgeber. Der anderslautende Hinweis des Amtsgerichts Tauberbischofsheim (zitiert in Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 24. Januar 2002 - Rs C 164/99 - [Portugaia Construcoes], AP Nr. 4 zu Art. 49 EG bei Nr. 12) war unzutreffend. Die vagen Andeutungen der Beklagten zu einer faktischen Diskriminierung ausländischer Arbeitgeber geben zu anderer Betrachtung und insbesondere zu der beantragten Aussetzung und Einholung einer Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV durch das erstinstanzliche Gericht keinen Anlass. Dafür spielt auch eine Rolle, dass im Falle der Bejahung der beantragten Vorlagefrage nicht das von der Beklagten vertretene Verständnis der Ermächtigungsgrundlage die Folge sein müsste, sondern auch die Berücksichtigung ausländischer Tarifverträge in Betracht käme.
g. Dem eindringlichen Hinweis der Beklagten auf die Folgen der hier vertretenen Auffassung („Axt an die Mindestlohnverordnungen") vermag das Gericht keinen Raum zu geben. Das Gericht hält es für geboten, die Folgen einer möglichen Entscheidung zu bedenken, und dann, wenn die üblichen Auslegungsmethoden kein eindeutiges Ergebnis bringen, den Weg zu wählen, der die wenigsten Folgeprobleme schafft. Eine solche Lage ist hier aber nicht gegeben. Bis auf den Wortlaut, den man nur mit dem Wissen um das Tarifvertragsgesetz für zweideutig halten kann, führen alle anderen Auslegungskriterien auf das hier vertretene Ergebnis. Sich unter diesen Umständen von den durch das Bundesministerium, das spätestens durch das ihm im Jahr 2000 erstattete Gutachten um die Grenzen der Ermächtigungsgrundlage wusste, herbeigeführten Folgen zu einer anderen Betrachtung bewegen zu lassen, scheint dem Gericht unvertretbar.
II. Die Verordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales über zwingende Arbeitsbedingungen für die Branche Briefdienstleistungen vom 28. Dezember 2007 verletzt den Bd- KEP in seinem Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG und PIN sowie TNT in ihren Grundrechten aus Artt. 9 Abs. 3 und 12 Abs. 1 GG.
1. Die Kläger werden durch die Verordnung in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG unabhängig davon verletzt, ob die GNBZ eine Gewerkschaft bzw. eine tariffähige Gewerkschaft ist und ob die von ihr geschlossenen Tarifverträge wirksam sind. Denn zweifelsohne sind sie Träger des Grundrechts. Von seinem Schutzbereich erfasst sind sowohl die Bildung einer Koalition, wie sie der BdKEP darstellt, als auch deren Wirken zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen, die Mitglieder einer Koalition, wie TNT und PIN, als für sich verbindlich ansehen. Die Verträge mit der GNBZ, mit denen Mindestlöhne vereinbart wurden, sind ein solches in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallendes Wirken. Das hängt nicht davon ab, dass ihnen die normativen Wirkungen eines Tarifvertrags zukommen (vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 -, BAGE 117, 308 = AP Nr. 4 zu § 2 TVG bei Rn. 35). Auch in eine mangels Tariffähigkeit des Vertragspartners nur schwache Grundrechtsposition aus Art. 9 Abs. 3 GG dürfte aber nur durch eine Norm eingegriffen werden, die der verfassungsmäßigen Ordnung entspricht. Daran fehlt es hier, weil die streitige Verordnung nicht von ihrer Ermächtigungsgrundlage gedeckt ist.
Dieser Mangel führt zur Nichtigkeit der Verordnung. Die Auffassung der Beklagten, der (von ihr bestrittene) Mangel führe allenfalls zur Teilnichtigkeit der Verordnung in Bezug auf diejenigen, die - anders als die Kläger - durch einen wirksamen Tarifvertrag gebunden seien, teilt die Kammer nicht. Die Folgen von Fehlern beim Erlass von Verordnungen sind nicht geregelt. In der Literatur ist vom (bislang nicht in Frage gestellten) Nichtigkeitsdogma die Rede (vgl. Ossenbühl in Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 79; v. Mangoldt/ Klein/ Starck, GG, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 80 Abs. 1 Rn. 78; Dreier, GG, Band II, 1998, Art. 80 Rn. 43), wonach fehlerhafte Verordnungen grundsätzlich nichtig sind. Mit Bezug auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Oktober 1994 - 1 BvR 337/92 -, BVerfGE 91, 148 [175] wird vertreten, dass inhaltliche Unvereinbarkeit der Verordnung mit dem Grundgesetz, wozu etwa die Überschreitung von Kompetenzgrenzen gehört, regelmäßig zur Nichtigkeit führt; als Ausnahmen kommen Fälle in Betracht, bei denen die Nichtigkeit der Verordnung zu einer Lage führt, die noch weniger in Einklang mit dem Grundgesetz stünde als die vorübergehende Hinnahme des verfassungswidrigen Zustands (vgl. Umbach/Clemens, GG, Band II, 2002, Art. 80 Rn. 62). Das ist überzeugend.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juli 1999 (BVerfGE 101, 1 [37]) stellt das nicht in Frage, obgleich dort die Unwirksamkeit (nur) einzelner Vorschriften der Hennenhaltungsverordnung ausgesprochen ist. Denn letztlich erklärte das Gericht die gesamte Verordnung wegen der Missachtung des Zitiergebots für nichtig. Eine Ausnahme von der regelmäßigen Fehlerfolge ist hier nicht begründet, zumal da der Wettbewerb auf dem beschränkten Briefmarkt über Jahre hinweg ohne diese Verordnung geführt wurde und ein plausibler Grund für ihr Inkrafttreten schon zum 1. Januar 2008 statt nach einer Frist zur Anpassung trotz gerichtlicher Nachfragen in der mündlichen Verhandlung nicht hat ermittelt werden können.
Den von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeführten Gedanken einer gesetzeskonformen Auslegung der Verordnung vermag das Gericht nicht fruchtbar zu machen. Das setzte wie bei der verfassungskonformen Auslegung eines Gesetzes voraus, dass das Ziel des Verordnungsgebers nicht in einem wesentlichen Punkt verfälscht wird. Das aber wäre hier der Fall. Der Verordnungsgeber wollte die Erstreckung der Verordnung auch auf die Kläger.
Die hier erörterte Nichtigkeit der Verordnung führt zur Rechtsverletzung, beseitigt sie nicht. Denn ungeachtet dieses Urteils erscheint die Verordnung bis zu ihrer Aufhebung, zu der das Gericht nicht befugt ist, weiter als anwendbares Recht. Dies begründet trotz zur Nichtigkeit führender Fehlerhaftigkeit die Rechtsverletzung.
2. TNT und PIN sind in ihren Rechten aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt. Die Geschäftstätigkeit der beiden fällt in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG. Normative Vorgaben darüber, wie von den beiden in ihrer Tätigkeit beschäftigte Arbeitnehmer zu entlohnen sind, greifen in diesen geschützten Bereich ein. Das ist zwar möglich, weil dieses Grundrecht unter einem Gesetzesvorbehalt steht. Doch setzt dieser Eingriff eine verfassungsmäßige Eingriffsgrundlage voraus. Daran fehlt es, wenn - wie dargelegt - das Gesetz, auf Grund dessen die Berufsausübung mittels der Mindestlohnverordnung geregelt werden soll, zu dieser Verordnung nicht ermächtigt.
3. Ob PIN und TNT auch wegen Unverhältnismäßigkeit des Eingriffs in ihre Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG verletzt sind, wofür die Kammer bei dem bisherigen Sachstand Anhaltspunkte sieht, ob die Kläger auch mit dieser Überlegung in ihren Rechten aus Art. 9 Abs. 3 GG verletzt sind und ob noch andere Rechte verletzt sind, kann dahinstehen. Damit ist der beantragte Ausforschungsbeweis auch wegen Unerheblichkeit des Beweisthemas nicht zu erheben.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO. Die Erstattungsgfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen ist nicht anzuordnen (§ 162 Abs. 3 VwGO), die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 167 VwGO und § 709 ZPO auszugestalten gewesen. Berufung und Sprungrevision sind nach den §§ 124 Abs. 2 Nr. 4, 132 Abs. 2 Nr. 2 und 134 Abs. 2 Satz 1 VwGO zuzulassen gewesen, weil das Gericht vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. August 2007 - BVerwG 7 C 13.06 - abweicht und deshalb die Klagen für zulässig gehalten hat.