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Arbeitsrecht
14.07.2011
Arbeitsrecht
: Compliance - Internes Whistleblowing

Die Studien von PricewaterhouseCoopers bestätigen, dass bei Einführung von Wirtschaftsethik und Compliance-Programmen ein Rückgang der Wirtschaftskriminalität in Unternehmen zu verzeichnen ist[1]. 61 % der deutschen Unternehmen verfügen über ethische Richtlinien, 37 % über Compliance-Programme[2]. Nach Nestler/Salvenmoser/Bussmann sind Hinweisgebersysteme eine Win-Win Situation für Informant und Unternehmen[3]. Es müssen nur Hinweise eingehen, getreu nach dem Motto: Auf auf Mitarbeiter! Verpfeift Eure Kollegen! Bisher ist ungeklärt, inwieweit eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Anzeige von Fehlverhalten Dritter aufgrund arbeitsvertraglicher Nebenpflichten besteht bzw. durch eine Whistleblower-Klausel wirksam in das Arbeitsverhältnis eingeführt werden kann.

I.      Einführung

1.      Ethikrichtlinien und Whistleblowing als Baustein der Compliance

Zahlreiche Compliance-Systeme der „Neuzeit" bestehen nicht isoliert aus Ethikrichtlinien bzw. nicht isoliert aus technischen Einrichtungen, welche Whistleblowing ermöglichen, sondern kombinieren die Einführung einer Ethikrichtlinie mit der Verpflichtung zum Whistleblowing. Dadurch soll ethisch einwandfreies Verhalten sichergestellt werden bzw. die Wahrscheinlichkeit für die Aufdeckung illegaler Handlungen erhöht werden, also sowohl präventiv zur Vermeidung von wirtschaftsdelinquentem Verhalten[4], als auch repressiv zur Aufklärung und Aufdeckung bereits begangenen Unrechts. Gut organisierte Hinweisgebersysteme können einen nicht unerheblichen Beitrag im Kampf gegen Wirtschaftskriminalität leisten.

Der Sarbanes-Oxley Act zwingt auch deutsche Unternehmen - soweit sie oder ihre Muttergesellschaft an US-Börsen notiert sind[5] - dazu, dafür Sorge zu tragen, dass rechtswidriges Fehlverhalten innerhalb des Unternehmens schnellstmöglich intern aufgedeckt wird und zu diesem Zweck ein System zur Behandlung und Bearbeitung von Beschwerden eingeführt wird. Der nationale Bekanntheitsgrad von Hinweisgebersystemen erhöhte sich durch erste Entscheidungen deutscher Arbeitsgerichte[6] in Sachen Ethikrichtlinien, die sich zumindest am Rande auch mit so genannten Whistleblowing-Hotlines auseinandersetzen. Heute ist der Trend eher dahingehend, dass die Einführung von ethischen Standards gepaart mit einer Whistleblowing-Hotline freiwillig im Zuge des Compliance-Managements erfolgt - unabhängig davon, ob eine internationale gesetzliche Verpflichtung besteht.

2.      Untersuchungsgegenstand des Beitrags

Whistleblower-Klauseln in Ethikrichtlinien sehen vor, dass Verstöße Dritter gegen den Ethikkodex an eine genau bezeichnete Stelle zu melden sind. Die Ethikrichtlinie soll als „living paper" nicht nur auf dem Papier existieren. Ein Durchsetzungs- und Kontrollmechanismus dafür ist die Meldeverpflichtung. Sowohl im Wal-Mart-Verfahren[7] als auch im Honeywell-Verfahren[8] enthielten die streitgegenständlichen Ethikrichtlinien Whistleblower-Klauseln.

Problematisiert wird das Thema Whistleblowing bislang vor allem anhand der Fragestellung, ob ein Arbeitnehmer gegen den Willen des Arbeitgebers „die Pfeife blasen" darf. Ausgangssituation für diesen Beitrag ist jedoch nicht die bisweilen im Schrifttum häufig diskutierte Frage, ob das Melden von Verstößen eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten darstellt. Ausgangspunkt ist die entgegengesetzte Situation, nämlich der Wunsch des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer zu verpflichten, erkanntes Fehlverhalten Dritter an eine genau bezeichnete Stelle zu melden. In diesem Zusammenhang stellt sich nicht die Frage, ob durch eine Anzeige arbeitsvertragliche Pflichten verletzt werden. Der Arbeitgeber verpflichtet ja gerade die Mitarbeiter zur Anzeige. Der Wunsch des Arbeitgebers wirft andere Fragen auf: Sind Whistleblower-Klauseln zulässig? Oder bereits - unabhängig von der Zulässigkeit einer Whistleblower-Klausel - einen Schritt früher angesetzt: Inwieweit ergibt sich eine Verpflichtung zur Anzeige des Fehlverhaltens Dritter aus den vertragsimmanenten Nebenpflichten des Arbeitnehmers? Besteht eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zum internen Whistleblowing aufgrund vertraglicher Rücksichtnahmepflichten, vgl. §§ 242, 241 Abs. 2 BGB? Ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, ihm bekannt gewordenes straffälliges Verhalten eines Kollegen bzw. eines Dritten gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen?

Deinert stellt betreffend des Themas Whistleblowing fest: „Wie weit eine solche Denunziation verpflichtend vorgeschrieben werden kann, ist für das deutsche Recht jedenfalls noch nicht geklärt... Die Diskussion ist hiermit eröffnet![9]." Der folgende Beitrag untersucht nicht, inwieweit eine „Denunziation" verpflichtend vorgeschrieben werden kann. Der Beitrag nähert sich der Problematik, indem eine andere Frage im Zentrum steht - um in den Worten Deinerts zu bleiben: „Inwieweit sich eine Verpflichtung zur Anzeige des Fehlverhaltens Dritter aus den vertragsimmanenten Nebenpflichten des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ergibt, ist für das deutsche Recht jedenfalls noch nicht geklärt!" Ziel des Beitrags ist es, konkrete Ergebnisse zu formulieren und damit die Diskussion zu eröffnen.

Zunächst setzt sich der Beitrag mit dem Begriff des Whistleblowing auseinander (dazu II.) bevor im Anschluss untersucht wird, inwieweit sich eine Verpflichtung zur Meldung von Fehlverhalten Dritter aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers ergibt (dazu III.)[10].

II.   Was ist Whistleblowing?

Unter Whistleblowing versteht man im weitesten Sinne kritische Äußerungen, Beschwerden oder Anzeigen von abhängig Beschäftigten über Missstände oder Fehlverhalten in ihrem Unternehmen gegenüber staatlichen Stellen oder sonstigen Dritten[11].

Der Begriff stammt aus dem anglo-amerikanischen Rechtskreis des common law und wird dort denkbar weit umschrieben als „the disclosure by organization members (former or current) of illegal, immoral, or illegitimate practices under the control of their employers, to persons or organizations that may be able to effect action[12]." Beide Begriffsbestimmungen kennzeichnen den Terminus anhand der Merkmale des Organisationsinsiders[13] (dazu 1.), der illegalen Handlung[14] (dazu 2.) und der Informationsoffenlegung an geeigneter Stelle[15] (dazu 3.).

1.      Organisationsinsider

Kennzeichnend ist zunächst, dass es sich bei Whistleblowern um Personen einer Organisation - hier eines Unternehmens - handeln muss, die als Mitarbeiter unmittelbar selbst in das Organisationsgeschehen eingebunden sind oder als Kunden bzw. Lieferanten (sog. „Insider") mit der Organisation eng in Verbindung stehen[16].

2.   Illegale Handlung

Der Whistleblower muss Missstände oder Fehlverhalten im unternehmensinternen Bereich feststellen. Dabei kommen sowohl Handlungen von Arbeitnehmerseite durch Kollegen oder Vorgesetzte als auch illegale Verhaltensweisen des Arbeitgebers in Betracht.

3.      Informationsoffenlegung an geeigneter Stelle

Als drittes Kriterium ist von entscheidender Bedeutung, gegenüber wem die Informationsoffenlegung erfolgt. Bei der geeigneten Stelle muss es sich um Personen oder Organisationen handeln, die zunächst das Vertrauen des Whistleblowers genießen. Zum anderen müssen sie grundsätzlich dazu in der Lage sein, den Vorwurf illegaler Handlung zu untersuchen und festgestelltes deliktisches Verhalten zu unterbinden. Die Informationsoffenlegung kann sowohl intern als auch extern erfolgen. 

a)   Internes Whistleblowing

Internes Whistleblowing liegt vor, wenn sich der Hinweisgeber an Vorgesetzte, Kollegen, Geschäftsleitung oder anderweitige unternehmensinterne Stellen wendet[17]. Als Anlaufstellen kommen speziell dafür eingerichtete innerbetriebliche Beschwerdestellen oder extern vom Unternehmen mit der Entgegennahme beauftragte Stellen in Betracht. Entscheidend ist, dass sich der Adressat der Mitteilung im Unternehmen befindet oder zur Entgegennahme vom Unternehmen beauftragt ist[18]. So kommt grundsätzlich eine direkte Meldung an den Arbeitgeber, Betriebsrat, die Geschäftsleitung, den Aufsichtsrat etc. in Betracht.

b)   Externes Whistleblowing

Von externem Whistleblowing wird gesprochen, wenn sich der Whistleblower nicht an seine Vorgesetzten oder unternehmensinterne Stellen, sondern an Aufsichtsbehörden, Strafverfolgungsorgane, Medien, Interessengruppen oder irgendeine andere (Teil-) Öffentlichkeit wendet[19]. Hier wird externen - mit dem Unternehmen in keinem Zusammenhang stehenden - Adressaten der Zugang zu Informationen ermöglicht. Bezüglich der externen Anzeigeempfänger lässt sich eine weitere Differenzierung vornehmen. Es ist zu unterscheiden zwischen den zur Entgegennahme von Anzeigen berechtigten Stellen (Staatsanwaltschaft, Polizei etc.) und sonstigen Dritten (Presse, Verbände etc.).

Auf Basis der Begriffsbestimmung steht fest, dass es sich bei der Aufforderung, Fehlverhalten Dritter an eine unternehmensinterne Stelle zu melden, um internes Whistleblowing handelt. 

III.      Anzeigepflicht aus den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten des Arbeitnehmers bei Fehlverhalten Dritter?

Einführend sei nochmals die Ausgangssituation verdeutlicht: Die klassische Whistleblower-Klausel verpflichtet die Arbeitnehmer, Fehlverhalten von Kollegen/Dritten an speziell dafür eingerichtete Stellen zu melden. Beispielhaft sei auszugsweise die Whistleblower-Klausel erwähnt, welche in der Honeywell-Entscheidung des BAG vom 22.7.2008 dem streitgegenständlichen Ethikkodex unter der Überschrift „Alle Mitarbeiter" zugrunde lag[20]:

„Alle Honeywell-Mitarbeiter müssen den Verhaltenskodex sowie die Grundsätze und Verfahren des Unternehmens genau befolgen und mutmaßliche Verstöße umgehend melden... Mitarbeiter werden dazu angeregt, Verstöße durch ihre normalen Berichterstattungskanäle an den Kontrollbeauftragten ihrer Geschäftseinheit, ein Mitglied des Integrity and Compliance Council oder an die Rechtsabteilung zu melden... Außerdem haben alle Mitarbeiter Zugang zu einer oder mehreren Telefon-Helplines, die rund um die Uhr von einem professionellen, unabhängigen Auftragnehmer besetzt sind."

Dem Ethikkodex in der Wal-Mart-Entscheidung des LAG Düsseldorf lag im Bezug auf das Melden des Fehlverhaltens Dritter folgende Klausel zugrunde:

 „Nutzen Sie die Politik der Offenen Tür. Die Offene Tür ist der direkteste Weg, ein Anliegen dem Vorgesetzten zu melden. Wenn Sie denken, Ihr direkter Vorgesetzter ist bei diesem Fehlverhalten beteiligt, bringen Sie das Fehlverhalten der nächst höheren Stelle vor, von der Sie annehmen, dass diese nicht involviert ist oder nutzen Sie einen der unten genannten Kanäle... Außerdem richtete die Arbeitgeberin entsprechend der X.-N.-Ethikrichtlinie eine Telefonhotline ein, bei der die Mitarbeiter anonym Verstöße gegen den Verhaltenskodex melden können und sollen[21]."

Beide Whistleblower-Klauseln haben einen wesentlichen Punkt gemeinsam. Nach beiden Klauseln sind uneingeschränkt alle Verstöße von Kollegen umgehend zur Anzeige zu bringen.

Sind derartige Klauseln zulässig? Oder bereits - unabhängig von der Zulässigkeit der Klausel - einen Schritt früher angesetzt: Inwieweit ergibt sich eine Verpflichtung zur Anzeige des Fehlverhaltens Dritter aus den vertragsimmanenten Nebenpflichten des Arbeitnehmers? Besteht eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zum internen Whistleblowing aufgrund vertraglicher Rücksichtnahmepflichten, vgl. §§ 242, 241 Abs. 2 BGB? Ist ein Arbeitnehmer verpflichtet, ihm bekannt gewordenes straffälliges Verhalten eines Kollegen bzw. eines Dritten gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen?

1.   Status Quo und konkrete Aufgabenstellung

Ansatzpunkt für die Untersuchung ist die durch die Rechtsprechung judizierte und allgemein anerkannte Anzeigeverpflichtung des Arbeitnehmers: Die Treuepflicht des Arbeitnehmers beinhaltet, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen[22].

Zunächst ist es notwendig, sich den Status Quo vor Augen zu führen und zu untersuchen, welche (wissenschaftlichen) Erkenntnisse bereits durch die Rechtsprechung und Literatur im Hinblick auf eine Anzeigepflicht bezüglich des Fehlverhaltens von Kollegen herausgearbeitet worden sind.

a)   Die Rechtsprechung zur Anzeigepflicht im Bezug auf das Fehlverhalten Dritter

Die Rechtsprechung hat sich seit dem Jahr 1958 in vier Entscheidungen zumindest am Rande mit Anzeigepflichten der Arbeitnehmer im Bezug auf das Fehlverhalten Dritter auseinandergesetzt.

aa)   Die Entscheidung des BAG vom 12.5.1958

Aus der Rechtsprechung des BAG vom 12.5.1958[23] lässt sich eine nicht näher konkretisierte Handlungsverpflichtung eines leitenden Angestellten gegenüber dem Arbeitgeber aufgrund einer aktualisierten Überwachungs- und Kontrollpflicht ableiten. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin war eine GmbH, der Beklagte Prokurist der Klägerin und mit umfassenden Geschäftsführungsbefugnissen ausgestattet. Der Angestellte L der Klägerin hatte in den Jahren 1953 bis 1955 Gelder der Klägerin veruntreut. Die Klägerin nahm den Beklagten gesamtschuldnerisch mit L auf Schadenersatz mit der Begründung in Anspruch, die Veruntreuung durch L sei nur dadurch möglich gewesen, dass der Beklagte, der ihm obliegenden Kontroll- und Überwachungspflicht bezüglich der Tätigkeit des L nicht genügt habe. In den Entscheidungsgründen heißt es auszugsweise: Es gibt die Möglichkeit einer aktualisierten Überwachungspflicht „..., d.h. einer Überwachungspflicht in bestimmten Fällen aus gegebenem Anlass. Eine derartige aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht braucht nicht auf einer ausdrücklichen Vertragsabsprache zu beruhen; sie kann sich vielmehr bereits aus dem Grundsatz der Treuepflicht des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber ergeben und ein Handeln aus der konkreten Situation heraus in einem mehr oder weniger großen Umfang, der ebenfalls von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt, dem Arbeitnehmer zur Pflicht zu machen[24]." Das BAG ging in seiner Entscheidung von einer aktualisierten Überwachungspflicht des Beklagten aus, da dieser die ranghöchste Stellung im Betrieb hatte, ihm Einzelprokura mit umfassender Geschäftsführungsbefugnis erteilt worden war, der Betrieb überschaubar war und aufgrund der Tatsache, dass der Beklagte Kassenbelege, Konten- und Bankauszüge gegenzeichnete und die Hauptbewegungsvorgänge im Kassen- und Buchhaltungswesen in der Hauptsache aus seiner eigenen Ein- und Verkaufstätigkeit herrührten. Er hatte somit im wesentlichen einen Überblick über das gesamte Geschäftsgeschehen der Klägerin. „Denn wenn ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber gegenüber unter Umständen schon aus dem Grundsatz der Treuepflicht verpflichtet sein kann, ihm bekannt gewordenen Unredlichkeiten zu verhindern, muss als Pflicht eines Angestellten im Range und mit dem Aufgabenkreis des Beklagten in Betracht gezogen werden, dass er auch ohne ausdrücklichen Auftrag aus sachlich gebotenem Anlass im Interesse seines Arbeitgebers überwachend und kontrollierend in Bezug auf andere Arbeitnehmer tätig wird[25]."

Zusammenfassend lässt sich aus dieser Entscheidung festhalten: Das BAG normiert keine Anzeigeverpflichtung eines Arbeitnehmers, bringt jedoch zum Ausdruck, dass eine nicht näher konkretisierte Handlungspflicht eines Arbeitnehmers besteht, wenn diesen aufgrund seiner Stellung im Unternehmen eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht trifft. Ob die aus der Überwachungspflicht resultierende Handlungspflicht des Arbeitnehmers ein Unterbinden des Fehlverhaltens des Dritten oder eine Meldung des Fehlverhaltens an den Arbeitgeber fordert, führt das BAG nicht aus.

bb)   Die Entscheidung des BAG vom 18.6.1970

Mit der Entscheidung des BAG vom 18.6.1970[26] geht die Rechtsprechung einen Schritt weiter in Richtung Konkretisierung einer unselbständigen (leistungsbezogenen) Nebenpflicht und normiert erstmals eine Anzeigeverpflichtung eines Arbeitnehmers unter bestimmten Voraussetzungen. Der Entscheidung des BAG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beklagte war kaufmännischer Angestellter eines Versorgungsunternehmens und mit der Abrechnung der Hauskassierer betraut. Obwohl er Unterschlagungen einer der Hauskassierer vermutete, hat er nichts dagegen unternommen und die Arbeitgeberin - Klägerin - nicht darüber in Kenntnis gesetzt. In der Entscheidung heißt es auszugsweise[27]: „Diese Rechtswidrigkeit besteht darin, dass der Beklagte, obwohl sein Aufgabenbereich die Abrechnung mit den Einkassierern (Ablesekassierern) umfasste, seit Anfang 1967 Unterschlagungen seitens des Angestellten M. vermutete und dass er gleichwohl eine Meldung an die Klägerin nicht erstattete. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein Arbeitnehmer in jedem Fall verpflichtet ist, gegen den Arbeitgeber gerichtete schädigende Handlungen seiner Arbeitskollegen dem Arbeitgeber mitzuteilen. Jedenfalls besteht eine solche Verpflichtung, wenn sich die schädigende Handlung in dem Aufgabenbereich abspielt, mit dem der betreffende Arbeitnehmer betraut ist, und wenn eine Wiederholungsgefahr besteht, d.h. es nicht von der Hand zu weisen ist, dass durch ein Unterlassen der Meldung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber der dem Arbeitgeber entstehende Schaden nicht behoben oder sogar vergrößert wird. Es handelt sich um eine aktualisierte Überwachungs- und Kontrollpflicht, die sich aus der Stellung des Arbeitnehmers ergibt. Da sich die schädigende Handlung im Aufgabenbereich des Arbeitnehmers abspielt, gebieten es dessen auf Grund des Arbeitsvertrages gegebene Sachnähe und das Interesse des Arbeitgebers, eine Miteilung zu machen, wenn hierdurch der in Rede stehenden Wiederholungsgefahr irgendwie begegnet werden kann." Dem BAG war bewusst, dass diese Entscheidung von Kritikern schnell in die Ecke eines „praktizierenden Denunziantentums" gerückt werden könnte und formulierte deshalb weiter[28]: „In Fällen vorliegender Art von dem Arbeitnehmer eine Meldung an den Arbeitgeber zu fordern, bedeutet nicht, dass dem Arbeitnehmer ungerechtfertigterweise eine Anschwärzung eines Arbeitskollegen zugemutet würde. Vielmehr verlangt es die arbeitsvertragliche Treuepflicht, dass der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber Meldung erstattet, wenn in seinem Aufgabenbereich und durch eine Person, mit der er, der Arbeitnehmer, auf Grund des Arbeitsvertrages dienstlich zusammen zu arbeiten hat, Gefahren für den Arbeitgeber erkennbar werden... Wenn der Beklagte trotz Vermutung, nicht allein des Verdachts von Unterschlagungen seitens des Angestellten M eine Meldung an die Klägerin unterließ, so verstieß er dadurch nicht nur gegen seine ihm der Klägerin gegenüber obliegende Treuepflicht, sondern erwies auch dem Angestellten M einen schlechten Dienst, in dem er ihn - sei es auch ungewollt - zu immer weiteren und immer größeren Unterschlagungen ermunterte."

Zusammenfassend lässt sich aus dieser Entscheidung festhalten: Für einen Arbeitnehmer besteht eine Meldeverpflichtung gegenüber dem Arbeitgeber für vermutetes Fehlverhalten Dritter (hier: Unterschlagungen), wenn den Arbeitnehmer aufgrund seiner Stellung im Unternehmen eine Überwachungspflicht trifft, sich das Fehlverhalten des Dritten in dem eigenen - zu überwachenden - Arbeitsbereich des Arbeitnehmers abspielt und Wiederholungsgefahr droht[29]. Das BAG hat an den Umständen des Einzelfalls orientiert eine unselbständige leistungsbezogene arbeitsvertragliche Treuepflicht näher ausgestaltet. Ob ebenfalls eine Meldeverpflichtung in Betracht kommt, wenn keine Aufsichtspflicht des Arbeitnehmers besteht, hatte das BAG nicht zu entscheiden - eine derartige selbständige (nichtleistungsbezogene) Nebenpflicht aber auch nicht kategorisch ausgeschlossen.

cc)   Die Entscheidung des LAG Berlin vom 9.1.1989

Aufmerksamkeit erregt der Leitsatz der Entscheidung des LAG Berlin vom 9.1.1989, wonach sich die zweite Instanz mit der Frage auseinander zu setzen hatte, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber von unerlaubten Handlungen anderer Arbeitnehmer Mitteilung zu machen[30]. Hingegen ist die Auseinandersetzung mit dieser Problematik in den Entscheidungsgründen eher dürftig.

Zunächst jedoch zum Sachverhalt: Der Kläger war als Ausschneider bei der Beklagten, welche ein Fleischgroßhandels- und Zerlegeunternehmen betreibt, beschäftigt. Die Betriebsräume der Beklagten befinden sich auf dem Fleischgroßmarkt Berlin. Auf dem Gelände des Fleischgroßmarktes arbeiten etwa 40 bis 50 Fleischereibetriebe. Im Tatbestand des Urteils wurde keine besondere Stellung des Klägers im Unternehmen festgestellt. Ende August 1987 entdeckten Mitarbeiter einer anderen Firma auf dem Gelände des Fleischgroßmarktes ein Warenversteck. Die Mitarbeiter vermuteten, dass es sich bei den Waren im Versteck um Diebesgut handelt. Zur Aufklärung der Angelegenheit wurde eine Videokamera installiert. Eine Videoaufzeichnung zeigte den Kläger mit dem Betriebsobmann der Beklagten am fraglichen Versteck. Aus der Aufnahme geht hervor, dass der Kläger in das Versteck hineingelangt hat, ohne jedoch Ware zu entnehmen. In einem späteren Anhörungsverfahren äußerte sich der Kläger gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten, von einem Versteck nichts zu wissen. Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die gegenüber ihm ausgesprochene außerordentliche Verdachtskündigung zur Wehr gesetzt. Das LAG Berlin stellte fest, dass sich der Kläger aufgrund seiner Verhaltensweise am Versteck sowie anlässlich seiner Anhörung dem dringenden Verdacht ausgesetzt hat, eine strafbare Handlung begangen zu haben. Die Entscheidungsgründe setzen sich mit den Grundzügen der Verdachtskündigung auseinander und hätten eigentlich zur Begründung der Rechtswirksamkeit der Kündigung keiner Argumentation im Hinblick auf eine Anzeigeverpflichtung des Klägers bedurft. Dennoch schwenkt das LAG Berlin gegen Ende der Urteilsgründe auf diesen Themenkomplex um. Das LAG stellt zunächst in Anlehnung an die Rechtsprechung des BAG fest, dass es sich nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt, insbesondere nach der betrieblichen Stellung des betreffenden Arbeitnehmers, ob und in welchem Umfang dieser arbeitsvertraglich verpflichtet ist, dem Arbeitgeber vertragswidrige (auch unerlaubte) Handlungen anderer Arbeitnehmer mitzuteilen. Dann subsumiert das LAG unter den vorliegenden Sachverhalt und stellt auf die in dem Leitsatz hingewiesene Problematik in einem Satz fest: „Andererseits ist auch der damalige Betriebsobmann in den Vorfall verwickelt gewesen, so dass in diesem Fall die Treuepflicht des Klägers ihm geboten hätte, von schädigenden Handlungen durch andere Arbeitnehmer seines Betriebes Mitteilung zu machen, insbesondere wenn durch die rechtzeitige Anzeige der Schaden noch zu verhindern gewesen wäre oder doch weiterer Schaden hätte verhindert werden können[31]."

Die Argumentation des LAG Berlin ist in sich widersprüchlich. Auf der einen Seite ist bei der Anzeigeverpflichtung aus arbeitsvertraglichen Nebenpflichten auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, insbesondere auf die Stellung des Arbeitnehmers im Unternehmen und eine unter Umständen daraus resultierende Überwachungspflicht. Auf der anderen Seite erfolgt die Feststellung des LAG, dass die Treuepflicht dem Kläger geboten hätte, über das Verhalten des Betriebsobmanns Mitteilung zu machen. Dieser Feststellung liegen jedoch keine Umstände des Einzelfalls zu Grunde - konkret: über die betriebliche Stellung des Klägers wird in dem gesamten Urteil nicht ein Wort verloren. Das LAG gibt - orientiert an der Rechtsprechung des BAG - einen Obersatz vor, subsumiert aber im Anschluss nicht darunter. Entgegen der Ankündigung im Leitsatz erfolgt gerade keine Auseinandersetzung mit der spannenden Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber von unerlaubten Handlungen anderer Arbeitnehmer Mitteilung zu machen. Vielmehr erfolgt eine Feststellung - ohne rechtliche Auseinandersetzung. Doch genau in diesem Fall wäre eine rechtliche Auseinandersetzung interessant gewesen. Es lag nämlich eine Situation vor, in welcher der Arbeitnehmer keine besondere Stellung im Unternehmen innehatte. Die Rechtsprechung hätte sich damit zum ersten Mal mit der Frage der Anzeigeverpflichtung als selbständige (nichtleistungsbezogene) Nebenpflicht auseinandersetzen können.

Im Ergebnis ist aufgrund der oben dargestellten Ausführungen dem Urteil keine weiterführende Bedeutung beizumessen. Die gegen das Urteil eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen. Das ist nicht verwunderlich, denn in der Sache war die streitgegenständlich ausgesprochne Verdachtskündigung bereits aus anderen Gründen rechtswirksam. Auf die Frage einer Nebenpflichtverletzung ist es nicht angekommen.

dd)   Die Entscheidung des BGH vom 23.2.1989

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 23.2.1989 die Rechtsprechung des BAG zur Anzeigepflicht von Arbeitnehmern aus arbeitsvertraglicher Treuepflicht in Bezug genommen. Der BGH hat zunächst die Rechtsprechung des BAG vom 12.5.1958 und 18.6.1970 in kurzen Sätzen zusammengefasst. Im Anschluss bringt der BGH zum Ausdruck: „Ob ein Arbeitnehmer darüber hinaus in jedem Fall verpflichtet ist, eine den Arbeitgeber schädigende Handlung zu melden, hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich offengelassen[32]." Der BGH begnügt sich jedoch nicht mit dieser Feststellung, sondern geht einen Schritt weiter und macht folgende Ausführungen: „Im Schrifttum wird eine allgemeine Verpflichtung, andere Dienstverpflichtete dem Arbeitgeber anzuzeigen, überwiegend abgelehnt, eine Anzeigepflicht jedoch auch über die vorstehend dargestellten Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus für solche Fälle bejaht, in denen dem Arbeitgeber erkennbar durch einen anderen Dienstverpflichteten erheblicher Schaden droht. Ob dieser Auffassung grundsätzlich gefolgt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung[33]."

Wichtige Erkenntnis aus diesen Ausführungen ist, dass eine selbständige (nichtleistungsbezogene) Anzeigepflicht, über die Fälle der vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinausgehend, auch vom BGH nicht kategorisch ausgeschlossen wird.

Die Entscheidung des BGH birgt noch in anderer Hinsicht eine Erkenntnis: Eine Meldeverpflichtung aus den Nebenpflichten reicht nicht so weit, dass der Arbeitnehmer auch verpflichtet wäre, sich selbst zu bezichtigen. Es besteht keine Pflicht, sein eigenes vertragswidriges Verhalten offenbaren zu müssen. Eine Pflicht zur Selbstbezichtigung wäre unzumutbar und würde daher die der Treuepflicht als vertraglicher Nebenpflicht durch § 242 BGB gezogenen Grenzen überschreiten[34]. Bereits das Reichsarbeitsgericht hat im Jahr 1932 festgestellt[35], dass keine Pflicht zur Selbstbezichtigung besteht, denn das würde im Ergebnis dazu führen, dass sich der Arbeitnehmer selbst um seinen Arbeitsplatz bringen würde. Nach Ansicht des Reichsarbeitsgerichts bedarf die Aussage, dass die Zumutung einer Selbstbezichtigung aus der Treuepflicht nicht herzuleiten ist, keiner weiteren Ausführungen[36]. Dem Standpunkt der Rechtsprechung hat sich die Literatur angeschlossen[37].

ee)    Zusammenfassung

Das BAG hat eine Meldeverpflichtung eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf vermutetes Fehlverhalten Dritter ausgedehnt, wenn den Arbeitnehmer aufgrund seiner Stellung im Unternehmen eine Überwachungspflicht trifft, sich das Fehlverhalten des Dritten in dem eigenen - zu überwachenden - Arbeitsbereich des Arbeitnehmers abspielt und Wiederholungsgefahr droht. Das BAG hat an den Umständen des Einzelfalls orientiert eine unselbständige (leistungsbezogene) Nebenpflicht näher ausgestaltet. Durch die Rechtsprechung kommt immer wieder die besondere Sachnähe zum Arbeitsvertrag, welcher eine bestimmte Stellung im Unternehmen und damit verbunden entsprechende Aufsichtspflichten vorsieht, zum Ausdruck. Die Rechtsprechung konnte aufgrund der Stellung im Unternehmen die Nebenpflicht des Arbeitnehmers stets leistungsbezogen konkretisieren.

Im Ergebnis hatte sich die Rechtsprechung - sowohl das BAG[38], als auch der BGH[39] - bisher noch nicht damit auseinander zu setzen und jeweils ausdrücklich offen gelassen, ob über die Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus eine Meldeverpflichtung aus einer selbständigen (nichtleistungsbezogenen) Nebenpflicht des Arbeitnehmers bestehen kann.

b)   Die Literatur zur Anzeigepflicht im Bezug auf das Fehlverhalten Dritter

Die überwiegende Ansicht in der Literatur bejaht eine Anzeigeverpflichtung auch über die in der Rechtsprechung dargestellten Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus, wenn dem Arbeitgeber ein erheblicher Schaden droht[40]. Nach Müller-Glöge darf der Arbeitnehmer aus Gründen der Kollegialität vom „Anschwärzen" eines Arbeitskollegen absehen, wenn kein Personenschaden oder erheblicher Sachschaden droht[41]. Nach Blomeyer besteht für Arbeitnehmer, die nicht zur Aufsicht verpflichtet sind, eine Anzeigepflicht, bei Gefahr erheblicher Schäden, d.h. bei Personen oder Sachschäden. Die Schäden müssen für den Arbeitgeber Gewicht haben[42]. Bei Diebstählen mit Wiederholungsgefahr wird man von ausreichendem Gewicht für den Arbeitgeber ausgehen müssen[43]. Nach Kraft ist die Frage, ob ein Arbeitnehmer von Arbeitskollegen ausgehende Schäden anzuzeigen hat, von Fall zu Fall zu entscheiden[44].

Eine andere Ansicht vertritt Boemke, nach dessen Auffassung keine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers besteht, wenn Bereiche außerhalb seines Wirkungskreises betroffen sind[45]. Nach Meinung von Boemke ist der Arbeitnehmer zur Schadensabwendung und damit auch zur Anzeige ausschließlich dann verpflichtet, wenn dies zu seinen Leistungspflichten zählt. Ansonsten bestehe keine Rechtsgrundlage für eine Anzeigeverpflichtung, auch dann nicht, wenn erheblicher Schaden droht[46]. Boemke sieht die Verantwortlichkeit eines Arbeitnehmers nur auf den eigenen Aufgabenbereich und das eigene Verhalten des Arbeitnehmers begrenzt - nicht für den Aufgabenbereich und das Verhalten Dritter[47]. Boemke ist zu gute zu halten, dass er sich dem Problem argumentativ nähert, während die herrschende Meinung hingegen ohne argumentative Auseinandersetzung und ohne Begründungsansätze die Erheblichkeit des Schadens heranzieht.

c)      Arbeitsauftrag

Festzuhalten ist: Die Rechtsprechung liefert keine Ergebnisse und konnte bislang die Frage, ob über die Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus eine Meldeverpflichtung besteht, offen lassen. Die Literaturansätze lassen zumindest weitgehend eine Auseinandersetzung in der Sache vermissen und verwenden durch Begriffe wie erhebliche Schäden Kriterien, welche keine scharfen Konturen aufweisen. Aus dem dargestellten Status Quo ergibt sich ein Arbeitsauftrag, der den Fortgang der Untersuchung bestimmt. Ob eine Meldeverpflichtung für Arbeitnehmer über die Fälle einer vertraglichen Überwachungs- und Kontrollpflicht hinaus besteht, hängt in erster Linie davon ab, wie genau die vertragliche Rücksichtnahmepflicht, (drohende) Schäden anzuzeigen, zu konkretisieren ist. Die Nebenpflicht bedarf einer Ausformung mit Hilfe der von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Konkretisierung von vertraglichen Rücksichtnahmepflichten.

2.   Die Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht, (drohende) Schäden anzuzeigen

Ausgangspunkt ist die durch die Rechtsprechung judizierte und allgemein anerkannte Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen[48]. Zur Darstellung der Grundsätze, wie eine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht zu konkretisieren ist, ist auf die Rechtsprechung des BAG vom 3.7.2003 zurückzugreifen[49]. Ausgangspunkt der Rechtsprechung des BAG im vorbenannten Verfahren war eine Bezugnahme auf die Entscheidung des BVerfG vom 2.7.2001[50], wonach eine Konkretisierung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten nur in den Grenzen der Verfassung zulässig ist[51]. Um eine Nebenpflicht in den Grenzen der Verfassung zu konkretisieren, haben die Erfurter Richter in der Entscheidung vom 3.7.2003 zum Ausdruck gebracht, welcher Maßstab dabei zu Grunde zu legen ist[52]. Das BAG beginnt mit einer Herleitung der vertragsimmanenten Nebenpflichten und nimmt Bezug auf die vertragliche Rücksichtnahmepflicht, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, auf die geschäftlichen Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen und sie im zumutbaren Umfang zu wahren. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht wird durch die Grundrechte näher ausgestaltet. „Kollidiert das dem Arbeitgeber als Ausfluss seiner grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG zustehende Recht, vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewissen Maßes von Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen, mit grundrechtlich geschützten Positionen des Arbeitnehmers, so ist das Spannungsverhältnis im Rahmen der Konkretisierung und Anwendung der §§ 242, 241 Abs. 2 BGB grundrechtskonform auszugleichen und sind die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten entsprechend zu konkretisieren[53]." Die kollidierenden Grundrechte sind in ihrer Wechselwirkung so zu begrenzen, dass die bei der Ausformung[54] der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (praktische Konkordanz).

Daraus ergibt sich zusammenfassend folgende grobe Anleitung für die Konkretisierung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht, (drohende) Schäden anzuzeigen:

-          Darstellung der tangierten Grundrechte und geschützten Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

-          Aufzeigen der Kollision der tangierten Grundrechte.

-          Aufstellen von Kriterien, die es bei einer Meldeverpflichtung ermöglichen, dass die geschützten Rechtspositionen/Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer möglichst weitgehend wirksam werden.

a)   Tangierte Grundrechte

Eine Anzeigeverpflichtung tangiert auf Arbeitnehmerseite das Recht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG und je nach organisatorischer Ausgestaltung der Anzeigepflicht das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG. Für die Arbeitgeberseite ist die Unternehmerfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG als vordergründiges Interesse betroffen.

aa)    Grundrechte der Arbeitnehmer

(1)  Das Recht der freien Meinungsäußerung Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG schützt das Recht der freien Meinungsäußerung als Ausprägung der Menschenwürde und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts[55]. Die persönliche Meinung ist gekennzeichnet durch ihre Subjektivität, d.h. das Element der Stellungsnahme, des Dafürhaltens und Meinens im Rahmen einer geistigen Auseinandersetzung[56]. Anzeigen und Beschwerden der Arbeitnehmer fallen unter den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG[57].

Problematisch kann im Einzelfall sein, dass es sich bei Mitteilungen und Anzeigen von Arbeitnehmern um reine Tatsachenbehauptungen handeln könnte, ohne dass die Mitteilungen mit einem persönlichen Element der Stellungnahme verbunden sind. Die Mitteilung einer Tatsache ist nämlich im strengen Sinne keine Äußerung einer Meinung, weil ihr das subjektive Element fehlt[58]. Allerdings ist die Mitteilung einer Tatsache vom Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt, soweit sie Voraussetzung der Bildung von Meinungen ist, welche Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG in seiner Gesamtheit gewährleistet[59]. Nicht vom Schutzbereich erfasst sind hingegen Äußerungen, welche nicht zur verfassungsmäßig vorausgesetzten Meinungsbildung beitragen, nämlich erwiesen oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptung[60].

Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG schützt auch die negative Form des Verhaltens (negative Meinungsfreiheit), eine Meinung nicht zu äußern, insoweit zu schweigen[61]. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen, fällt in den Schutzbereich der negativen Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG. Der Arbeitnehmer wird durch eine Meldeverpflichtung buchstäblich gezwungen, eine Meinung kund zu tun. Die Mitteilung eines Arbeitnehmers, „ich bin der Meinung, dass ein anderer Arbeitnehmer gegen die Regelungen aus dem Kodex verstoßen hat", stellt als wertende Stellungnahme eine Meinung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG dar[62]. Die Wertung ergibt sich aus der Schlussfolgerung des Arbeitnehmers, dass aufgrund eines bestimmten Sachverhalts ein Verstoß gegen eine Regelung des Kodex vorliege.

Das Recht der freien Meinungsäußerung wird durch Art. 5 GG nicht schrankenlos gewährleistet. Nach Art. 5 Abs. 2 GG findet die negative Meinungsfreiheit ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG sind unter anderem auch das von Gerichten anhand von Rechtsnormen entwickelte Richterrecht[63]. Die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des § 5 Abs. 2 GG[64]. Zudem sind die verfassungsimmanenten Schranken im Wege der praktischen Konkordanz heranzuziehen[65].

(2)  Das allgemeine Persönlichkeitsrecht Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht findet nach der Rechtsprechung des BVerfG seine Grundlage in Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG[66]. Der Schutzbereich umfasst neben dem Schutz der Privatsphäre und dem Ehrenschutz im Rahmen des Schutzes der sozialen Identität die informationelle Selbstbestimmung[67]. Die informationelle Selbstbestimmung umfasst das Recht des Einzelnen, selbst zu entscheiden, wann und wem er zu welchem Zweck personenbezogene Daten offenbart[68].

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist bei einer Anzeigeverpflichtung in mehrfacher Hinsicht betroffen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht in Form der informationellen Selbstbestimmung ist betroffen, wenn die Anzeigepflicht vorsieht, bei Anzeigeerstattung die persönlichen Daten preiszugeben. Die Verpflichtung stellt einen Eingriff in das Recht dar, dass der Arbeitnehmer selbst entscheiden kann, gegenüber wem, wann und wozu personenbezogene Daten mitgeteilt werden. Ferner ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung dahingehend betroffen, da auch das Wissen über das Fehlverhalten eines Dritten in den Schutzbereich fällt und der Arbeitnehmer auch diesbezüglich grundsätzlich selbst entscheiden kann, gegenüber wem, wann und wozu er personenbezogene Daten über einen Dritten mitteilt[69]. Zuletzt ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Dritten betroffen, sofern bei der entsprechenden Meldestelle die personenbezogenen Daten erhoben werden - was regelmäßig der Fall ist.

Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG wird jedoch vorliegend nicht in den Abwägungsvorgang zur Konkretisierung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers miteinbezogen, da der hier angesprochene Persönlichkeitsrechtsschutz auf andere Weise und an anderer Stelle erfolgt und zwar durch Wahrung der datenschutzrechtlichen Anforderungen nach dem Bundesdatenschutzgesetz. Zweck des Bundesdatenschutzgesetzes ist es, den Einzelnen davor zu schützen, dass er durch den Umgang mit seinen personenbezogenen Daten in seinem Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt wird, vgl. § 1 Abs. 1 BDSG.

bb)   Die Unternehmerfreiheit des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG

Nach der Rechtsprechung des BVerfG schützt Art. 12 Abs. 1 GG die Unternehmerfreiheit, das heißt die freie Gründung und Führung von Unternehmen[70]. Ausfluss seiner grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist das Recht, vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewissen Maßes an Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen[71]. Die konkrete, der Untersuchung zu Grunde liegende vertragliche Rücksichtnahmepflicht besteht darin, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen[72].

Als Ausfluss der verfassungsrechtlich geschützten Unternehmerfreiheit hat der Arbeitgeber unter anderem ein rechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, welche die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren[73]. Die Förderung der Unternehmensziele und das Abwenden von Schäden kommt unter anderem dadurch zum Ausdruck, dass der Arbeitnehmer (drohende) Schäden anzeigt und dadurch entweder den Eintritt eines Schadens verhindert oder gewährleistet, dass es nicht erneut zu schädlichen Vorfällen kommt. Eine Anzeigepflicht des Arbeitnehmers entspringt dem grundrechtlich geschützten Interesse des Arbeitgebers, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, welche die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren. Zudem hat der Arbeitgeber ein geschütztes Interesse an unternehmensinterner Aufklärung von Fehlverhalten, welches gegen sein Vermögen gerichtet ist und von Mitarbeitern ausgeht[74].

Ein Bestandteil der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Unternehmerfreiheit ist zudem die Organisationsfreiheit[75]. Die Organisationsfreiheit hat insoweit besondere Bedeutung, als die Organisation eines Unternehmens für den wirtschaftlichen Erfolg mitentscheidend, wenn nicht ausschlaggebend ist[76]. Ein von Art. 12 Abs. 1 GG umfasstes Interesse ist das Interesse an ordnungsgemäßer Unternehmensorganisation, hier, Informationen über Fehlverhalten Dritter systematisch aufzunehmen, auszuwerten und, wenn nötig, dagegen vorzugehen[77]. Ohne „Insider-Informationen" lassen sich interne Risiken oftmals überhaupt nicht oder verspätet aufklären. Eine Meldeverpflichtung steht somit im Einklang mit der grundrechtlich geschützten Organisationsfreiheit des Arbeitgebers, das Unternehmen dahingehend zu organisieren, dass Haftung vermieden werden kann und nachteilige Auswirkungen auf das Unternehmensimage durch Fehlverhalten Dritter verhindert werden können.

b)   Die Kollision der grundrechtlich geschützten Interessen

Das grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers, vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewissen Maßes an Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen, hier: (drohende) Schäden anzuzeigen, kollidiert mit der grundrechtlich geschützten negativen Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG. Eine Anzeigeverpflichtung stellt einen Eingriff in die negative Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers dar. Der Arbeitnehmer wird verpflichtet, eine wertende Stellungnahme (Meinung) abzugeben, indem vorgeschrieben wird, dass ihm bekannt gewordene Verstöße gegen den Ethikkodex zu melden sind. Der Arbeitgeber hat ein Interesse daran, dass das Unternehmen vor Schäden bewahrt wird. Der Arbeitgeber hat ein grundrechtlich geschütztes Interesse, nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, welche die Ziele des Unternehmens fördern und das Unternehmen vor Schäden bewahren. Dieses Interesse kollidiert mit dem grundrechtlich geschützten Interesse des Arbeitnehmers, eine Meinung nicht zu äußern und insoweit zu schweigen.

Die Kollision der grundrechtlich geschützten Interessen ist grundrechtskonform auszugleichen und die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht entsprechend zu konkretisieren[78]. Aufgabe ist es, die kollidierenden Grundrechte in ihrer Wechselwirkung so zu begrenzen, dass die bei der Ausformung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht geschützten Interessen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden[79]. Dem Problem, den jeweiligen Interessen möglichst weitgehend zum Schutz zu verhelfen, nähert man sich zielgerichtet, indem man zunächst zwei Extrempositionen aufzeigt.

Auf der einen Seite steht eine generelle und umfassende Meldeverpflichtung, wie sie beispielsweise bei Schuster/Darsow zum Ausdruck kommt: „Mitarbeiter, die feststellen, dass es während der Arbeit zu unrechtmäßigem Verhalten gekommen ist oder einen entsprechenden Verdacht haben, müssen ihren Vorgesetzten unverzüglich darüber in Kenntnis setzen[80]." Die Meldeverpflichtung ist undifferenziert und bezieht sich auf jegliches Fehlverhalten. Erfasst werden danach alle unrechtmäßigen Verhaltensweisen Dritter, unabhängig davon, ob durch das Verhalten des Dritten dem Unternehmen ein Schaden droht oder nicht. Gegen eine generelle und umfassende Meldeverpflichtung aus arbeitsvertraglichen Nebenpflichten hat die Rechtsprechung zu Recht Bedenken geäußert[81]. Eine generelle Anzeigepflicht überdehnt das grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers und berücksichtigt nicht die negative Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer. Aus der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht eine umfassende Anzeigepflicht abzuleiten, wäre mit einer Instrumentalisierung des Arbeitnehmers zur „Anzeigemaschine" gleichzusetzen. Auf der anderen Seite kann die negative Meinungsfreiheit der Arbeitnehmer aber gleichzeitig nicht soweit reichen, dass generell von einem Übergewicht des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 GG auszugehen ist. Dieses Ergebnis würde die grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers nicht berücksichtigen.

Die zentral zu beantwortende Frage lautet: Wie ist ein angemessener Ausgleich zu gestalten, der beiden Interessen gerecht wird? Dazu bedarf es allen Interessen gerecht werdenden Differenzierungskriterien, anhand derer beurteilt werden kann, ob das Fehlverhalten Dritter zur Anzeige gebracht werden muss oder nicht. Die nachfolgend zu beantwortende Frage ist, welche Differenzierungskriterien dem Ansinnen, dass die geschützten Interessen der Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden, gerecht werden.

c)      Differenzierungskriterien zur Ausformung einer Anzeigeverpflichtung

aa)    Differenzierung nach der Art der Tätigkeit bzw. der Stellung im Unternehmen?

Es ist bereits herausgearbeitet worden, dass nach der Rechtsprechung[82] und Literatur[83] im Hinblick auf die Frage, ob eine Pflicht zur Anzeige des Fehlverhaltens Dritter aus arbeitsvertraglichen Nebenpflichten besteht, entscheidend auf die Art der Tätigkeit bzw. die Stellung im Unternehmen abzustellen ist. Dies mag auch richtig sein, wenn es darum geht, im Einzelfall zu untersuchen, ob den konkreten Arbeitnehmer eine unselbständige (leistungsbezogene) arbeitsvertragliche Nebenpflicht zur Meldung trifft. Die hier zu untersuchende Fragestellung hat aber gerade nicht zum Gegenstand, eine leistungsbezogene Nebenpflicht des Arbeitnehmers näher zu bestimmen. Vielmehr soll untersucht werden, inwieweit eine durch die objektive Werteordnung ausgeformte Anzeigeverpflichtung allen Arbeitsverhältnissen immanent ist. Dabei handelt es sich um eine andere Form von Nebenpflichten - nicht um eine mit der Leistung des Arbeitnehmers in Zusammenhang zu bringende. Den Nebenpflichten wohnt eine näher zu betrachtende Unterscheidung inne. Blomeyer unterteilt zwischen unselbständigen Nebenleistungspflichten und selbständigen Nebenpflichten.

Unselbständige Nebenleistungspflichten[84] sichern die Erfüllung und Abwicklung der vertraglichen Hauptleistungspflicht, stehen somit in direktem Zusammenhang mit der Hauptleistungspflicht, weswegen sie der Klarheit halber als Nebenleistungspflichten[85] bzw. als unselbständige (leistungsbezogene) Nebenpflichten bezeichnet werden. Der Inhalt der Nebenleistungspflichten ergibt sich aus dem jeweils zu Grunde liegenden Arbeitsvertrag. Der Arbeitnehmer hat alles zu unternehmen, damit der vertraglich vereinbarte Leistungszweck auch erreicht wird und alles zu unterlassen, was den Leistungszweck vereiteln würde[86].

Selbständige (nichtleistungsbezogene) Nebenpflichten[87] begründen Pflichten, welche von der ordnungsgemäßen Erfüllung der Hauptleistungspflicht unabhängig sind[88]. Darunter fallen beispielsweise Schutzpflichten wie die Anzeige drohender Schäden[89]. Infolge der Unabhängigkeit von der Hauptleistungspflicht ist es nur konsequent, dass die selbständigen Nebenpflichten nicht am Synallagma der Hauptpflichten teilnehmen[90]. Weitere Folge der Unabhängigkeit ist, dass der Arbeitgeber die Einhaltung der Schutzpflichten unabhängig von der Arbeitspflicht verlangen kann[91].

Die Nebenpflicht, (drohende) Schäden anzuzeigen, ist eine selbständige Nebenpflicht, welche in den Bereich der vertraglichen Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB) fällt[92]. Die Schutzpflicht ist gerade unabhängig von Bezügen zur Hauptleistungspflicht zu bestimmen. Ziel ist es auch nicht, eine unselbständige Nebenleistungspflicht näher zu bestimmen, sondern gerade eine durch die objektive Werteordnung ausgeformte Anzeigeverpflichtung, welche allen Arbeitsverhältnissen immanent ist, und damit eine selbständige (nichtleistungsbezogene) Nebenpflicht darstellt. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, warum die subjektiven Kriterien der Art der Tätigkeit bzw. der Stellung im Unternehmen zwar zur Bestimmung einer leistungsbezogenen Anzeigeverpflichtung herangezogen werden können, nicht aber zur Konkretisierung einer allen Vertragsverhältnissen immanenten, unabhängig von der Hauptleistungspflicht bestehenden, selbständigen Nebenpflicht (Schutzpflicht). Eine Differenzierung nach Art der Tätigkeit bzw. Stellung im Unternehmen ist zudem nicht interessengerecht. Eine Unternehmensförderungspflicht und Schadensabwendungspflicht trifft jeden Arbeitnehmer, unabhängig von seiner Stellung im Unternehmen, unabhängig von der Art der Tätigkeit und unabhängig davon, ob er Beobachtungen im eigenen oder fremden Arbeitsbereich macht. Mahnhold weist zudem zurecht darauf hin, dass die Aufdeckung des Fehlverhaltens Dritter häufig von Zufällen abhängig ist[93], an welchen Sekretärinnen oder Putzkräfte ebenso beteiligt sein können wie Vorgesetzte mit Überwachungs- und Aufsichtsfunktion[94].

Wenn man sich nochmals die Argumentation Boemkes in Erinnerung ruft[95], erweckt sich der Eindruck, dass er offensichtlich bei den Nebenpflichten nicht zwischen unselbständigen Nebenleistungspflichten und selbständigen Nebenpflichten differenziert und bei Nebenpflichten zwingend einen Leistungsbezug fordert. Das ist auch der Hauptangriffspunkt gegen Boemkes Ansicht, welcher nicht berücksichtigt, dass zwei verschiedene Formen von Nebenpflichten existieren.

Im Ergebnis können daher die subjektiven Kriterien der Art der Tätigkeit bzw. der Stellung im Unternehmen nicht herangezogen werden, um eine selbständige Nebenpflicht auszuformen.

bb)    Differenzierung nach der Art des Fehlverhaltens

Die Art des Fehlverhaltens stellt einen Ansatzpunkt dar, welcher geeignet ist, die beiderseitigen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Die Grundüberlegung resultiert aus dem Hauptangriffspunkt gegen eine generelle, umfassende Meldeverpflichtung. Der Ansatz, jegliches Fehlverhalten zu melden, steht wie bereits dargestellt, nicht im Einklang mit den grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten. Nicht jegliches Fehlverhalten begründet die Gefahr eines Schadens für den Arbeitgeber. Es darf nicht aus dem Blickfeld geraten, dass die Rücksichtnahmepflicht den Arbeitnehmer dazu anhält, (drohende) Schäden anzuzeigen. Richtige Ausgangsüberlegung ist es demnach, zunächst danach zu differenzieren, welches Fehlverhalten geeignet ist, Schäden zum Nachteil des Unternehmens zu verursachen. Beispielsweise ist das pauschale Kriterium, ob es sich bei dem Fehlverhalten des Dritten um eine Straftat handelt, dazu nicht geeignet. Die Formel wäre recht einfach auf den Punkt gebracht: Es besteht eine Anzeigepflicht eines Arbeitnehmers, wenn es sich bei dem beobachteten Fehlverhalten eines Kollegen um einen Straftatbestand handelt. Dieses Ergebnis wäre zu undifferenziert, da in diese Überlegung auch Straftatbestände eingeschlossen wären, welche keinen betrieblichen Anknüpfungspunkt aufweisen und Straftatbestände, die gerade keine Gefahr eines Schadens zum Nachteil für das Unternehmen begründen. Bei der Art des Fehlverhaltens sind weitere Differenzierungen vorzunehmen.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr hilfreich, dass Mahnhold als Erster einen neuen Ansatzpunkt in die Diskussion einführt, indem er auf § 130 OWiG verweist[96]. Die Norm des § 130 OWiG bietet einen interessanten Ansatzpunkt für eine interessengerechte Konkretisierung einer Anzeigeverpflichtung aufgrund der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht der Arbeitnehmer und soll daher im folgenden untersucht werden.

§ 130 Abs. 1 OWiG lautet wie folgt:

 „Wer als Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens vorsätzlich oder fahrlässig die Aufsichtsmaßnahmen unterlässt, die erforderlich sind, um in dem Betrieb oder Unternehmen Zuwiderhandlungen gegen Pflichten zu verhindern, die den Inhaber treffen und deren Verletzung mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist, handelt ordnungswidrig, wenn eine solche Zuwiderhandlung begangen wird, die durch gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert worden wäre. Zu den erforderlichen Aufsichtsmaßnahmen gehören auch die Bestellung, sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen."

Die bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit des Inhabers eines Betriebes oder Unternehmens kann für Zuwiderhandlungen gegen betriebsbezogne Pflichten, die in dem Betrieb oder Unternehmen begangen worden sind, eine Höhe von bis zu einer Million Euro erreichen, vgl. § 130 Abs. 3 Satz 1 OWiG. Die Vorschrift macht die Haftungsrisiken der Unternehmen für das Fehlverhalten Dritter deutlich. Die Regelung des § 130 OWiG zielt darauf ab, dass in Betrieben und Unternehmen Vorkehrungen gegen die Begehung von betriebsbezogenen Zuwiderhandlungen getroffen werden[97]. Der Vorschrift liegt der Gedanke zu Grunde, dass Betriebsinhaber verpflichtet sind, Pflichtverstößen entgegenzuwirken, welche ihrem betriebsbezogenen Risiko- und Organisationsbereich entstammen[98]. § 130 Abs. 1 Satz 1 OWiG normiert eine Haftung bei Zuwiderhandlungen gegen Pflichten, die den Inhaber als solchen Treffen. Diese Pflichten werden als betriebsbezogene Pflichten bezeichnet. Sie bilden den Ausgangspunkt für eine Haftung nach § 130 OWiG und gleichzeitig den Anknüpfungspunkt für eine interessengerechte Konkretisierung einer Meldeverpflichtung. Es sei betont, dass weder eine unmittelbare, noch eine entsprechende Anwendung des § 130 OWiG in Betracht kommt, sondern eines der Tatbestandsmerkmale des § 130 Abs. 1 OWiG ein Ansatzpunkt für ein Differenzierungskriterium ist, welches es unter Umständen ermöglicht, eine interessengerechte Anzeigeverpflichtung zu konkretisieren.

Was kennzeichnet betriebsbezogene Pflichten im Sinne des § 130 OWiG? Über diese Frage herrscht Streit[99]. Die herrschende Meinung in der Literatur folgt der Theorie des betrieblichen Zusammenhangs. Diese besagt, dass sich die Pflichten, welche den Inhaber des Betriebs oder Unternehmens als solchen treffen, nicht lediglich aus Sonderdelikten, sondern auch aus Allgemeindelikten ergeben können, wenn diese im Zusammenhang mit der Führung des Betriebes oder Unternehmens stehen[100]. Die Gegenauffassung[101] folgt der Theorie des Sonderdelikts. Danach fallen nur Sonderdelikte in den Anwendungsbereich der betrieblichen Zuwiderhandlungen[102]. Begründet wird diese Ansicht mit dem Wortlaut des § 130 Abs. 1 Satz 1 OWiG,  „...Pflichten, die den Inhaber als solchen treffen..." Unter Zugrundelegung des Wortlauts kommt lediglich Fehlverhalten in Betracht, welches dem Betriebsinhaber beispielsweise in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber, Hersteller oder Verteiler einer bestimmten Ware besondere Pflichten auferlegt, die als besondere persönliche Merkmale im Sinne von § 14 StGB, § 9 OWiG zu qualifizieren sind[103].

Je nachdem, welcher Auffassung gefolgt wird, ergibt sich ein deutlich unterschiedlicher Anwendungsbereich. Unter Anwendung der Theorie des Sonderdelikts ist nur in eng begrenzten Fällen von einer betriebsbezogenen Pflicht auszugehen, nämlich dann, wenn es der Tatbestand der Norm zulässt, so z.B. die Gebrauchsanmaßung nach § 290 StGB, wenn die Tat in dem Geschäftsbetrieb eines gewerblichen Pfandleihers begangen wird. Hingegen sind der Betrug nach § 263 StGB und die Unterschlagung nach § 246 Abs. 1 StGB nicht unter den Anwendungsbereich der Theorie des Sonderdelikts zu subsumieren - anzunehmen ist es jedoch für die veruntreuende Unterschlagung nach § 246 Abs. 2 StGB. Unter Anwendung der Theorie des betrieblichen Zusammenhangs stellen auch Fahrlässigkeitstaten aus dem allgemeinen Strafrecht, wie etwa Verstöße gegen §§ 222, 229 StGB, die von Mitarbeitern des Betriebs begangen werden, eine betriebsbezogene Pflicht dar, welche eine Aufsichtspflichtverletzung des Inhabers zur Folge haben können[104]. Nach Lemke muss zumindest bei diesen allgemeinen Pflichten ein sachlicher, räumlicher und personalbezogener Zurechnungszusammenhang zu dem Betrieb vorhanden sein[105].

Ein weiterer Streitpunkt im Rahmen der Anwendung des § 130 OWiG ist die Frage, ob die betriebsbezogene Pflichtverletzung von einem Betriebsangehörigen begangen werden muss. Dazu werden zwei Ansichten vertreten. Nach der herrschenden Meinung braucht der pflichtwidrig Handelnde im Sinne des § 130 OWiG kein Betriebsangehöriger zu sein. Er muss nur in Wahrnehmung der Angelegenheiten des Betriebs eine dem Inhaber obliegende Pflicht verletzen[106], sofern er der Verantwortungssphäre des Unternehmens zuzurechnen ist, also nicht im Rahmen eigenständiger unternehmerischer Verantwortung tätig wird[107]. Nach der herrschenden Meinung ist es ausreichend, wenn der Handelnde auch nur vorübergehend mit den Aufgaben des Unternehmens betraut ist, etwa als Sachverständiger[108]. Anders hingegen Rogall: Anknüpfend an den Begriff der Aufsichtspflicht zieht Rogall den Schluss, dass der unmittelbar Handelnde unter der Aufsicht des Betriebsinhabers stehen muss. Dies setzt seiner Ansicht nach ein Subordinationsverhältnis voraus, mit der Konsequenz, dass Personen, die dem Weisungsrecht nach § 106 GewO des Betriebsinhabers nicht unterliegen, als unmittelbar Handelnde ausscheiden[109].

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass es an dieser Stelle keiner Entscheidung im Hinblick auf einen der Streitstände bedarf, da es letztlich nicht um die Anwendung des § 130 OWiG geht. Die aufgezeigten Grundzüge des § 130 OWiG sind jedoch hilfreich und schaffen Problembewusstsein für die hier anstehende Aufgabe, interessengerechte Kriterien zur Konkretisierung einer aus der Treuepflicht resultierenden Meldeverpflichtung zu erarbeiten.

Orientiert an dem Begriff der betrieblichen Pflichtverletzung des § 130 OWiG lautet der Konkretisierungsvorschlag bezüglich der Art des Fehlverhaltens unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Interessen der Beteiligten wie folgt:

Betriebliches Fehlverhalten, welches zu einer Anzeigeverpflichtung führt, liegt vor, wenn

-          das Fehlverhalten im sachlichen, räumlichen und personalbezogenen Zurechnungszusammenhang zum Betrieb/Unternehmen steht und das Fehlverhalten dazu geeignet ist, den Betrieb/das Unternehmen zu schädigen (dazu sogleich Punkt 1:),

-          das Fehlverhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist (dazu sogleich Punkt 2:),

-          unabhängig davon, ob ein Betriebs- bzw. Unternehmensangehöriger oder ein „Fremder" das Fehlverhalten begeht (dazu sogleich Punkt 3:).

Punkt 1:             Grundvoraussetzung ist zunächst ein betrieblicher Anknüpfungspunkt des Fehlverhaltens, weshalb das Fehlverhalten im sachlichen, räumlichen und personalbezogenen Zurechnungszusammenhang zum Betrieb/Unternehmen stehen muss. Der betriebliche Anknüpfungspunkt ist zwingende Voraussetzung für die Einordnung einer Meldeverpflichtung in den dienstlichen Bereich, die Zuordnung zu dem Bereich der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflichten und gewährleistet, dass man sich im Rahmen des grundrechtlich geschützten Bereiches des Art. 12 Abs. 1 GG bewegt. Das zu meldende Fehlverhalten erfährt keine Einschränkung und Begrenzung dahingehend, dass nur Sonderdelikte, „...Pflichten, die den Inhaber als solchen treffen...", als Fehlverhalten in Betracht kommen. Andererseits bedeutet dies aber auch nicht gleichzeitig, dass sämtliches im Betrieb begangenes Fehlverhalten zu einer Anzeigepflicht des Arbeitnehmers führt. Maßgeblicher Ansatzpunkt ist das grundrechtlich geschützte Interesse des Arbeitgebers. Ausfluss seiner grundrechtlich geschützten Betätigungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG ist das Recht, vom Arbeitnehmer die Einhaltung eines gewissen Maßes an Rücksicht auf seine Interessen zu verlangen[110], hier konkret: die Rücksichtnahmepflicht, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen[111]. Daher ist eine Anzeigeverpflichtung auf Fehlverhalten zu begrenzen, welches geeignet ist, den Betrieb/das Unternehmen zu schädigen. Darunter fallen insbesondere die klassischen Wirtschaftsdelikte wie Unterschlagung, Betrug, Falschbilanzierung, Korruption, Geldwäsche, Industriespionage, Kreditgefährdung etc.

Punkt 2:             Die Forderung, dass das Fehlverhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht sein muss, bringt zum Ausdruck, das dem Fehlverhalten eine gewisse Erheblichkeit innewohnt. Schließlich ist nur erhebliches Fehlverhalten dazu geeignet, die negative Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers einzuschränken und eine Mitteilungspflicht zu statuieren. Punkt 2 ist somit als Ausfluss aus Art. 5 Abs. 1 GG zu sehen.

Punkt 3:             Bei einer Meldeverpflichtung kann es keinen Unterschied machen, ob das betriebliche Fehlverhalten von einem Betriebs- bzw. Unternehmensangehörigen oder einem Externen begangen wird. Die vertragliche Rücksichtnahmepflicht, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen, besteht unabhängig davon, ob ein Betriebsangehöriger der unmittelbar Handelnde ist oder nicht. Dadurch wird auch nicht das Risiko, welches sich der Arbeitgeber beispielsweise durch Beauftragung eines externen Wirtschaftsprüfer ins Haus holt, in unzulässiger Weise auf den Arbeitnehmer abgewälzt. Denn den Arbeitnehmer trifft gerade keine Aufsichtspflicht - und damit das Risiko - gegenüber Dritten. Den Arbeitnehmer trifft lediglich die Pflicht, ihm bekannt gewordenes Fehlverhalten des Dritten zu melden.

cc)   Das Kriterium: Verdachtsgrad

Eine weitere Frage stellt sich bei dem einer Anzeigepflicht zugrundezulegenden Verdachtsgrad. Ist ein mutmaßlicher Verdacht ausreichend oder sind an den Verdachtsgrad höhere Anforderungen zu stellen? In dem Verhaltenskodex, welcher durch die Honeywell-Entscheidung bekannt wurde, war ein geringer Verdachtsgrad normiert[112]:

 „Alle Honeywell-Mitarbeiter müssen den Verhaltenskodex sowie die Grundsätze und Verfahren des Unternehmens genau befolgen und mutmaßliche Verstöße umgehend melden."

Der Verdachtsgrad lässt sich bestimmen, in dem die grundrechtlich geschützten Interessen der drei Beteiligten (Arbeitgeber, Anzeigender und Dritter bzw. Verdächtiger) einem interessengerechten Ausgleich zugeführt werden. Die Interessen aller drei Beteiligten sprechen dafür, von einer Anzeigeverpflichtung bei Mutmaßlichkeit bzw. einem geringen Verdachtsstadium abzusehen.

Der Arbeitgeber hat ein gesteigertes Interesse daran, Kenntnis von den den Arbeitgeber schädigenden Handlungen zu erlangen. Andererseits kann davon ausgegangen werden, dass ein arbeitgeberseitiges Interesse dahingehend besteht, kein Arbeitsklima zu schaffen, welches durch Denunziation geprägt ist. Diese Gefahr würde aber bestehen, wäre der Arbeitnehmer bei jedem noch so kleinen mutmaßlichen Verdacht zur Mitteilung verpflichtet. Im Interesse des Arbeitgebers liegt daher ein gesteigerter Verdachtsgrad, zumindest ein Verdachtsgrad über der Mutmaßlichkeitsschwelle. Im Interesse des Anzeigenden, insbesondere vor dem Hintergrund der negativen Meinungsfreiheit, liegt es, nicht schon bei jedem mutmaßlichen Verdacht einer Anzeigeverpflichtung ausgesetzt zu sein. Bei einem geringen Verdachtsgrad besteht zudem die Gefahr, dass sich der mutmaßliche Verdacht später als falsch herausstellt. Das birgt für den Arbeitnehmer die Gefahr arbeitsrechtlicher Sanktionen. Auch wird es regelmäßig im Interesse des Anzeigenden stehen, kein Arbeitsklima vorzufinden, welches die Basis für mutmaßliches Denunzieren bildet. Im Interesse des Dritten bzw. Verdächtigen steht vorrangig, dass seine personenbezogenen Daten nicht mit Sachverhalten in Verbindung gebracht werden, welche in Wirklichkeit nicht zutreffend sind. Die Gefahr der falschen Anschuldigung ist wesentlich größer, wenn bereits der mutmaßliche Verdacht zur Begründung einer Anzeigeverpflichtung ausreichen soll. In der Arbeitswelt kann bereits nur der geäußerte mutmaßliche Verdacht - unabhängig von dem Wahrheitsgehalt - dazu geeignet sein, Karrieren zu zerstören. Im Interesse des Anzeigenden ist es daher unzweifelhaft, einen gesteigerten Verdachtsgrad zu fordern, - so dass nicht jeder mutmaßliche, noch so zufällige Verdacht ausreichend ist.

Andererseits sind die Anforderungen an den Verdachtsgrad auch nicht zu überspannen. Oftmals sind nach Mitteilung durch den Arbeitnehmer noch zusätzliche Untersuchungen beispielsweise durch eine Compliance-Stelle erforderlich. Das ist vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität der Fall, einem Deliktsbereich, in welchem sich die Sachverhaltsaufklärung oftmals schwierig gestaltet. Deshalb wäre es auch verfehlt, zu hohe Anforderungen an den Verdachtsgrad zu stellen, wie die Forderung, meldepflichtig sei ausschließlich das nachgewiesene betriebliche Fehlverhalten. 

Im Ergebnis ist ein Mittelweg zu gehen und ein konkreter Verdachtsgrad zu fordern. Ein konkreter Verdachtsgrad, welcher eine Meldeverpflichtung auslöst, liegt vor, wenn ein auf objektiven Tatsachen beruhender Verdachtsmoment vorhanden ist. Ein konkreter Verdachtsgrad wird sowohl der negativen Meinungsfreiheit des Anzeigenden als auch dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Dritten gerecht.

d)   Die Zumutbarkeit als Grenze der Anzeigeverpflichtung

Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 23.2.1989 der Anzeigepflicht des Arbeitnehmers eine Zumutbarkeitsgrenze gesetzt. Auch in unzumutbaren Situationen eine Anzeigepflicht zu bejahen, würde nach Ansicht des BGH dazu führen, dass dadurch die der arbeitsvertraglichen Nebenpflicht durch Treu und Glauben gezogene Grenze überschritten werden würde[113]. Diller und Schuster/Darsow haben sich dieser Argumentation angeschlossen, wonach sich die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Zumutbarkeit aus den Grenzen von Treu und Glauben ergibt[114]. Ferner ist daran zu denken, dass sich die Zumutbarkeitsschranke ebenfalls als Ausfluss des jeweiligen grundrechtlich geschützten Interesses des Arbeitnehmers - hier die negative Meinungsfreiheit - darstellt. Es ist von Verfassung wegen geboten, dass eine Anzeigeverpflichtung eines Arbeitnehmers und damit eine Einschränkung des Grundrechts der negativen Meinungsfreiheit nur dann bestehen kann, wenn die Verpflichtung dem Arbeitnehmer im Einzellfall zumutbar ist.

Im Ergebnis herrscht - unabhängig von der Herleitung - Einigkeit darüber, dass eine Anzeigeverpflichtung für das Fehlverhalten Dritter nur so weit gehen kann, wie es dem Arbeitnehmer im Einzelfall zumutbar ist. Die Zumutbarkeit ist ein Korrektiv, das sachgerechte Einzelfallentscheidungen ermöglicht und eine Wertungsebene darstellt. Im Rahmen der Zumutbarkeit sind nach Ansicht der Rechtsprechung und der Literatur insbesondere folgende Faktoren zu berücksichtigen:

-          Die Anzeige ist dem Arbeitnehmer unzumutbar, wenn Abhilfe berechtigterweise nicht zu erwarten ist[115]. Der Arbeitgeber hat durch entsprechende Organisation der Meldestelle dafür Sorge zu tragen, dass Abhilfe zu erwarten ist.

-          Hat der Arbeitnehmer bereits auf das gesetzeswidrige Fehlverhalten im Unternehmen hingewiesen und der Arbeitgeber nicht für Abhilfe gesorgt, besteht keine weitere vertragliche Rücksichtnahmepflicht[116]. Es wäre für den Arbeitnehmer unzumutbar, in diesem Fall von einer erneuten Anzeigeverpflichtung auszugehen.

-          Nach Blomeyer ist eine Anzeige unzumutbar, wenn die Anzeige den Kollegen nur schädigen würde, vom Betrieb aber keinen Schaden abwendet, weil beispielsweise keine Wiederholungsgefahr droht[117]. Darüber lässt sich streiten. Blomeyers Ansicht weckt Zweifel an der Praktikabilität. Denn wann ist davon auszugehen, dass keine Wiederholungsgefahr droht? Ist es sinnvoll und interessengerecht, die Zumutbarkeit von der subjektiven Einschätzung des Arbeitnehmers abhängig zu machen? Es kann mit Sicherheit prognostiziert werden, dass sich jeder Arbeitnehmer mit dem Argument verteidigen würde: Meiner Ansicht nach bestand keine Wiederholungsgefahr! Blomeyers Ansicht ist daher aufgrund des Missbrauchspotenzials, sowie aufgrund mangelnder Praktikabilität abzulehnen.

-          Unzumutbar ist eine Anzeigeverpflichtung, wenn es sich um Bagatellsachverhalte handelt. Das ist insbesondere bei der Geringwertigkeit des Schadens anzunehmen, sowie bei anderweitigen objektiven Umständen, aus welchen sich das Gesamtgeschehen (das Fehlverhalten) als Bagatelle darstellt.

-          Unzumutbar ist eine Anzeigeverpflichtung bei vom Arbeitgeber selbst begangenen Straftaten[118].

-          Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Meldung unzumutbar, wenn sich der Anzeigende dadurch selbst bezichtigen würde[119].

-          Unzumutbar ist eine Anzeige auch dann, wenn dem Anzeigenden aufgrund der Umstände des Einzelfalls in der konkreten Situation ein Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 52 Abs. 1 StPO zustehen würde. Daher ist eine Mitteilung für den Arbeitnehmer unzumutbar, wenn es sich bei dem Dritten, welcher das Fehlverhalten begangen hat, beispielsweise um den Verlobten, den Ehegatten, den Lebenspartner oder einen Verwandten bzw. Verschwägerten handelt.

Die Aufzählung ist keineswegs abschließend zu verstehen. Das ist auch nicht möglich und notwendig, da die Zumutbarkeit ein Korrektiv darstellt, um sachgerechte Einzelfallentscheidungen zu ermöglichen.

e)      Gesamtabwägung

Die herausgearbeiteten Ergebnisse bringen die einzelnen Grundrechte der Beteiligten zur Geltung und sind zudem insgesamt interessengerecht, da die Wertungen auch den gemeinsamen Interessen der Beteiligten gerecht werden. Das führt dazu, dass das gefundene Ergebnis nicht nur die einzelnen Grundrechte zu einem angemessen Ausgleich führt, sondern auch insgesamt eine interessengerechte Ausgestaltung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht vorliegt.

Alle Beteiligten haben ein gemeinsames Interesse daran, Schäden vom Unternehmen fernzuhalten und Beeinträchtigungen des Unternehmensimages durch Fehlverhalten wenn möglich auszuschließen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben ein gemeinsames Interesse daran, relevantes Fehlverhalten intern frühzeitig aufzuklären. Besonders im Bereich der Wirtschaftsdelinquenz droht die Gefahr der Verhängung großer Strafen und der Verschlechterung der Unternehmensreputation. Dies kann dazu führen, dass ernsthafte wirtschaftliche Schwierigkeiten auftreten, welche letztlich Rationalisierungsmaßnahmen zur Folge haben. Daher liegt es im wohlverstandenen individuellen Interesse von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, durch Fehlverhalten von Kollegen verursachte Schäden zur Anzeige zu bringen und dadurch einen Beitrag zum Erhalt des Unternehmens und zur Compliance zu leisten.

f)      Zusammenfassende Darstellung

Unter Berücksichtigung der oben herausgearbeiteten Ergebnisse ist die vertragliche Rücksichtnahmepflicht des Arbeitnehmers, dem Arbeitgeber (drohende) Schäden anzuzeigen im Bezug auf das Fehlverhalten Dritter wie folgt zu konkretisieren bzw. auszuformen:

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, ihm bekannt gewordenes Fehlverhalten von anderen Arbeitnehmern und Dritten gegenüber dem Arbeitgeber anzuzeigen, wenn ein konkreter Verdacht besteht, das Fehlverhalten im sachlichen, räumlichen und personalbezogenen Zurechnungszusammenhang zum Unternehmen steht, das Fehlverhalten dazu geeignet ist, das Unternehmen zu schädigen und das Fehlverhalten mit Strafe oder Geldbuße bedroht ist[120].




[1] Vgl. dazu Abb. 4: Wirkung von Wirtschaftsethik und Compliance-Programmen. Quelle: Bussmann/Salvenmoser, CCZ 2008, 192 (194).

[2] Vgl. dazu Abb. 2: Maßnahmen zur Prävention von Wirtschaftskriminalität. Quelle: Bussmann/Salvenmoser, CCZ 2008, 192 (193).

[3] Nestler/Salvenmoser/Bussmann, Wirtschaftskriminalität 2007, 35.

[4] Bussmann/Matschke, CCZ 2009, 132 (136).

[5] Vgl. dazu u.a. Reufels/Deviard, CCZ 2009, 201.

[6] BAG vom 22.7.2008 - 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 ff.; LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05, DB 2006, 162 ff.

[7] LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05, DB 2006, 162 ff.

[8] BAG vom 22.7.2008 - 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 ff.

[9] Deinert, AuR 2008, 90 (91).

[10] Die folgenden Ausführungen sind eine Zusammenfassung ausgewählter wesentlicher Eckpunkte aus einem Teilbereich der Dissertation von Schulz: Ethikrichtlinien und Whistleblowing - Arbeitsrechtliche Aspekte der Einführung eines Compliance-Systems.

[11] Graser, Whistleblowing, 4; Schmitt, Whistleblowing - "Verpfeifen" des Arbeitgebers, 1; Müller, NZA 2002, 424, 426.

[12] Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2624.

[13] Organization members (former or current): abhängig Beschäftigte.

[14] Illegal, immoral or illegitimate practices: Missstände oder Fehlverhalten.

[15] To persons or organizations that may be able to effect action: staatliche Stelle oder sonstigen Dritten.

[16] Berndt/Hoppler, BB 2005, 2623, 2624.

[17] Bürkle, DB 2004, 2158; Nach anderer Ansicht liegt internes Whistleblowing nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer Hierarchieebenen überspringt, also nicht, wenn er seine Sichtweise mit seinem direkten Vorgesetzten bespricht, vgl. Rohde-Liebenau, Whistleblowing, 11; Peter/Rohde-Liebenau, AiB 2004, 615.

[18] Zum Beispiel nicht in die Unternehmenshierarchie eingegliedert, aber der Unternehmensorganisation zuzurechnen sind externe Ombudsmänner.

[19] Graser, Whistleblowing, 4.

[20] BAG vom 22.7.2008 - 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 ff.

[21] LAG Düsseldorf vom 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05, DB 2006, 162 ff.

[22] BAG vom 1.6.1995 - 6 AZR 912/94, NZA 1996, 135 ff. Der BGH leitet die Nebenpflicht aus der Schadensabwendungspflicht ab vgl. BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[23] BAG vom 12.5.1958 - 2 AZR 539/56, NJW 1958, 1747 ff.

[24] BAG vom 12.5.1958 - 2 AZR 539/56, NJW 1958, 1747 ff.

[25] BAG vom 12.5.1958 - 2 AZR 539/56, NJW 1958, 1747 ff.

[26] BAG vom 18.6.1970 - 1 AZR 520/69, NJW 1970, 1861 f.

[27] BAG vom 18.6.1970 - 1 AZR 520/69, NJW 1970, 1861 f.

[28] BAG vom 18.6.1970 - 1 AZR 520/69, NJW 1970, 1861 f.

[29] Das ArbG Stuttgart hat bei der Entscheidung vom 9.12.1982 - 2 Ca 290/81, DB 1982, 1626 f. die vom BAG erarbeiteten Grundsätze aufgegriffen und angewendet - ohne jedoch neue Erkenntnisse zu formulieren. Ebenso das LAG Hamm in der Entscheidung vom 29.7.1994 - 18 (2) Sa 2016/93, BB 1994, 2352.

[30] LAG Berlin vom 9.1.1989 - 9 Sa 93/88, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 21.

[31] LAG Berlin vom 9.1.1989 - 9 Sa 93/88, LAGE § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 21.

[32] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[33] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[34] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[35] RAG vom 29.6.1932 - 162/32, BenshSlg. 15, 561, 566.

[36] RAG vom 29.6.1932 - 162/32, BenshSlg. 15, 561 ff.

[37] Kraft in Soergel, BGB, § 611 Rn. 145; Blomeyer in MünchArbR, § 54 Rn. 9.

[38] BAG vom 18.6.1970 - 1 AZR 520/69, BB 1970, 1048 f., NJW 1970, 1861 f.

[39] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff., NJW-RR 1989, 614 f.

[40] Müller-Glöge in MünchKomm, BGB, § 611 Rn. 1082; Linck in Schaub ArbR-Hdb, § 55 Rn. 44; Blomeyer in MünchArbR, § 54 Rn. 9; Edenfeld in Ermann, BGB, § 611 Rn. 490; Preis in ErfK, BGB, § 611 Rn. 742.

[41] Müller-Glöge in MünchKomm, BGB, § 611 Rn. 1082.

[42] Blomeyer in MünchArbR, § 54 Rn. 9.

[43] Blomeyer in MünchArbR, § 54 Rn. 9.

[44] Kraft in Soergel, BGB, § 611 Rn. 145.

[45] Boemke in AR-Blattei SD, 1228, Rn. 163.

[46] Boemke in AR-Blattei SD, 1228, Rn. 164.

[47] Boemke in AR-Blattei SD, 1228, Rn. 164.

[48] BAG vom 1.6.1995 - 6 AZR 912/94, NZA 1996, 135 ff. Der BGH leitet die Rücksichtnahmepflicht aus der Schadensabwendungspflicht ab vgl. BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[49] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[50] BVerfG vom 2.7.2001 - 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888 ff.

[51] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[52] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff. Das BAG hat in der Entscheidung vom 10.10.2002 die identischen Grundsätze formuliert, vgl. BAG vom 10.10.2002 - 2 AZR 472/01, BB 2003, 1283 ff.

[53] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[54] Das BAG spricht in der Entscheidung vom 10.10.2002 ebenfalls von der „Ausformung" der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht. 

[55] BAG vom 12.1.2006 - 2 AZR 21/05, NZA 2006, 917 ff.

[56] Dieterich in ErfK, GG, Art. 5 Rn. 5.

[57] Müller, NZA 2002, 424 (430), Graser, Whistleblowing, 109; BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff. mit weiteren Nachweisen.

[58] Dieterich in ErfK, GG, Art. 5 Rn. 6.

[59] Das BVerfG führt hierzu aus: „Von hier aus ist der Begriff der "Meinung" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG grundsätzlich weit zu verstehen: Sofern eine Äußerung durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist, fällt sie in den Schutzbereich des Grundrechts. Das muss auch dann gelten, wenn sich diese Elemente, wie häufig, mit Elementen einer Tatsachenmitteilung oder -behauptung verbinden oder vermischen, jedenfalls dann, wenn beide sich nicht trennen lassen und der tatsächliche Gehalt gegenüber der Wertung in den Hintergrund tritt. Würde in einem solchen Fall das tatsächliche Element als ausschlaggebend angesehen, so könnte der grundrechtliche Schutz der Meinungsfreiheit wesentlich verkürzt werden", vgl. BVerfG vom 22.6.1982 - 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 ff.

[60] BVerfG vom 9.10.1991 - 1 BvR 1555/88, NJW 1992, 1439 ff.; BVerfG vom 22.6.1982 - 1 BvR 1376/79, NJW 1983, 1415 ff.; Müller, NZA 2002, 424 (430); Graser, Whistleblowing, 109.

[61] Schulze-Fielitz in Dreier, Art. 5 I, II GG Rn. 74; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 559.

[62] Ebenso Triskatis, Ethikrichtlinien im Arbeitsrecht, 220.

[63] BVerfG vom 14.2.1973 - 1 BvR 112/65, NJW 1973, 1221 ff.; Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Art. 5 I, II Rn. 136; Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Art. 5 Rn. 55.

[64] BAG vom 24.6.2004 - 2 AZR 63/03, NJW 2005, 619 ff.; Linck in Schaub ArbR-Hdb, § 55 Rn. 31.

[65] Schulze-Fielitz in Dreier, GG, Art. 5 Rn. 152.

[66] Ständige Rechtsprechung des BVerfG siehe z.B. BVerfG vom 26.4.1994 - 1 BvR 1299/89, NJW 1994, 2475 ff.

[67] Zur Herleitung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Wissenschaft und Rechtsprechung siehe die Nachweise bei Dreier in Dreier, Art. 2 I GG, Rn. 78.

[68] Jarass in Jarass/Pieroth, GG, Art. 2 Rn. 44; Dreier in Dreier, Art. 2 I GG, Rn. 78; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 377b; Dieterich/Schmidt in ErfK, GG, § 2 Rn. 45.

[69] So Mahnhold, NZA 2008, 737 (738).

[70] Zur Herleitung der Unternehmerfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG siehe ausführlich BVerfG vom 1.3.1979 - 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290 ff.

[71] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[72] BAG vom 1.6.1995 - 6 AZR 912/94, NZA 1996, 135 ff. Der BGH leitet die Nebenpflicht aus der Schadensabwendungspflicht ab vgl. BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[73] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.; LAG Berlin vom 28.3.2006 - 7 Sa 1884/05, AuR 2007, 51 ff.

[74] Gänßle, FA 2005, 66 (67).

[75] Ossenbühl, AöR 1990, 1, 16; Wieland in Dreier, Art. 12 GG Rn. 67; Mestmäcker in FS Westermann, 411, 415 f.

[76] Ossenbühl, AöR 1990, 1, 16.

[77] Rohde-Liebenau, BB 2008, Heft 46, M 16.

[78] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[79] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[80] Schuster/Darsow, NZA 2005, 273, 276.

[81] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[82] Siehe dazu unter III. 1. a).

[83] Triskatis, Ethikrichtlinien im Arbeitsrecht, 222; Mengel/Ullrich, NZA 2006, 240, 243.

[84] Mahnhold spricht von erfüllungsschützenden Nebenpflichten, welche der Erfüllung synallagmatischer Pflichten dienen, vgl. Mahnhold, Compliance und Arbeitsrecht, 165.

[85] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 17; Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, § 6 Rn. 99.

[86] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 18.

[87] Mahnhold spricht von integritätswahrenden Nebenpflichten, welche unabhängig von der vertraglichen Leistung die Integrität der Rechtsgüter der Vertragspartner schützen, vgl. Mahnhold, Compliance und Arbeitsrecht, 165.

[88] Hromadka/Maschmann, Arbeitsrecht Band 1, § 6 Rn. 99; Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 19.

[89] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 22; Herbert/Oberrath, NZA 2005, 193, 195.

[90] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 19.

[91] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 19.

[92] Blomeyer in MünchArbR, § 51 Rn. 20, 22.

[93] Siehe dazu auch die Studie zur Wirtschaftskriminalität 2007 von PricewaterhouseCoopers: Nestler/Salven- moser/Bussmann, Wirtschaftskriminalität 2007, 36.

[94] Mahnhold, NZA 2008, 737, 739.

[95] Siehe dazu oben unter III. 1. b).

[96] Mahnhold, NZA 2008, 737, 739.

[97] Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 1.

[98] Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 1.

[99] Eine ausführliche Darstellung des Streitstandes ist bei Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 78 ff. nachzulesen. 

[100] Stellvertretend: König in Göhler, OWiG, § 130 Rn. 18; Senge in Erbs/Kohlhaas, OWiG, § 130 Rn. 21; Pelz, WM 2000, 1566, 1572; Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 79 mit zahlreichen weiteren Nachweisen.

[101] Daneben existieren noch zwei vermittelnde Ansichten, die Theorie der Garantenpflicht und die normtheoretische Betrachtungsweise, vgl. dazu Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 81 f., 83.

[102] Stellvertretend: Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 80 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; Rogall, ZStW 98, 574, 604 f.

[103] Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 78.

[104] König in Göhler, OWiG, § 130 Rn. 18; Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 79.

[105] Lemke, OWiG, § 30 Rn. 40.

[106] Senge in Erbs/Kohlhaas, OWiG, § 130 Rn. 23.

[107] Hecker, GewArch 1999, 329, 324; vertiefend dazu König in Göhler, OWiG, § 130 Rn. 19.

[108] Umfassend mit zahlreichen weiteren Nachweisen Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 92.

[109] Rogall in KK, OWiG, § 130 Rn. 92.

[110] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[111] BAG vom 1.6.1995 - 6 AZR 912/94, NZA 1996, 135 ff.

[112] BAG vom 22.7.2008 - 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248 ff.

[113] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[114] Diller, DB 2004, 313 (314); Schuster/Darsow, NZA 2005, 273, 276.

[115] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[116] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[117] Blomeyer in MünchArbR, § 54 Rn. 9.

[118] BAG vom 3.7.2003 - 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427 ff.

[119] BGH vom 23.2.1989 - IX ZR 236/86, BB 1989, 649 ff.

[120] Schulz, Ethikrichtlinien und Whistleblowing, S. 173.

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