LAG Köln: Bindung des Arbeitgebers an die Einsatzbeschränkung des Betriebsarztes
LAG Köln, Beschluss vom 14.8.2013 - 7 Ta 243/13
Leitsätze
1. Spricht der Betriebsarzt des eigenen medizinischen Dienstes des Arbeitgebers für eine Arbeitnehmerin eine zeitlich befristete Einsatzbeschränkung aus (hier: Einsatz einer Flugbegleiterin für 6 Monate nur auf Langstreckenflügen), so verhält sich der Arbeitgeber ermessensmissbräuchlich, wenn er sich hieran nicht hält, es sei denn, die Einschränkung seines Direktionsrechts ist ihm aus triftigen sachlichen Gründen unzumutbar oder er kann triftige sachliche Indizien anführen, die das Votum des Betriebsarztes ungerechtfertigt erscheinen lassen. Dass der schriftlichen Verfügung des Betriebsarztes keine medizinische Begründung beigefügt ist, ist dabei unerheblich.
2. Kündigt der Arbeitgeber an, die betriebsärztliche Verfügung nicht befolgen zu wollen, so kann die Arbeitnehmerin ihren Anspruch auf Beschäftigung nach Maßgabe der betriebsärztlich verfügten Einsatzbeschränkung auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen.
§ 106 GewO, § 935 ZPO
Aus den Gründen
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 18.06.2013 in der Fassung des Nichtabhilfe-Beschlusses vom 08.08.2013 ist zulässig und begründet. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts hat die Antragstellerin sowohl einen Verfügungsanspruch wie auch einen Verfügungsgrund für ihr Antragsbegehren schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat dem gegenüber in ihrer Beschwerdeerwiderung keine erheblichen Einwände erhoben, die dem Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung entgegenstehen.
1. Der Verfügungsanspruch der Antragstellerin, für eine Übergangszeit, deren Dauer im Tenor dieses Beschlusses beschrieben ist, nur im Langstreckenbereich als Flugbegleiterin eingesetzt zu werden, folgt aus dem Arbeitsvertrag der Parteien in Verbindung mit der daraus folgenden arbeitgeberseitigen Fürsorgepflicht.
a. Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien ist die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin seit geraumer Zeit als Flugbegleiterin beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag ist die Antragstellerin verpflichtet, nach den näheren Weisungen der Antragsgegnerin ihre Arbeitsleistung als Flugbegleiterin zu erbringen. Ihrer Arbeitspflicht korrespondiert aber auch ihr Anspruch, nach Maßgabe des Arbeitsvertrages beschäftigt zu werden.
b. Ihre vertraglich geschuldete Arbeit als Flugbegleiterin kann die Antragstellerin ebenso gut auf Langstreckenflügen wie andererseits im Kurzstreckenbereich erbringen. In welchem dieser Bereiche die Antragsgegnerin die Antragstellerin jeweils einsetzt, ist grundsätzlich ihrem arbeitgeberseitigen Direktionsrecht überlassen. Das arbeitgeberseitige Direktionsrecht ist jedoch, wie § 106 Satz 1 GewO gesetzlich vorschreibt, nach Maßgabe "billigen Ermessens" auszuüben. Dies bedeutet, dass die Arbeitgeberin bei Ausübung ihres Direktionsrechts nicht nur ihre eigenen Interessen, sondern auch die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerin angemessen zu berücksichtigen hat.
c. Die Antragstellerin hat durch Vorlage eines betriebsärztlichen Votums des medizinischen Dienstes der Antragsgegnerin selbst hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie derzeit, konkret im Zeitraum vom 16.05. bis 16.11.2013, aus gesundheitlichen Gründen ihre Tätigkeit als Flugbegleiterin nur im Langstreckenverkehr ausüben kann.
aa. Der Aussagekraft des betriebsärztlichen Votums vom 16.05.2013 steht entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts und der Personalabteilung der Antragsgegnerin in keiner Weise entgegen, dass dort keine medizinische Begründung aufgeführt ist.
aaa. Das Arbeitsgericht und die Antragsgegnerin verkennen, dass es dem eine solche Bescheinigung ausstellenden Arzt unter Strafandrohung verwehrt ist, Diagnosen und damit im Zusammenhang stehende medizinische Einzelheiten des Gesundheitszustandes einer untersuchten Person Dritten gegenüber offenzulegen, wenn nicht die untersuchte Person den Arzt von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet. Dritter in diesem Sinne ist auch die Arbeitgeberin.
bbb. Die Arbeitgeberin hat auch keinen arbeitsvertraglichen Anspruch darauf, dass die Antragstellerin einen Arzt, der ihren Gesundheitszustand untersucht hat, von der ärztlichen Schweigepflicht entbindet. Bekanntermaßen kann dementsprechend auch die klassische ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach § 5 Abs.1 EFZG vom Arbeitgeber nicht etwa mit der Begründung als unerheblich abgetan werden, dass sie keine Diagnose enthalte.
bb. Wenn die Antragsgegnerin vielmehr Zweifel am Inhalt der Aussage ihres eigenen medizinischen Dienstes hegte, so wäre es nunmehr an ihr gewesen, im vorliegenden Verfahren Tatsachen vorzutragen, welche geeignet sein könnten, entsprechende Zweifel zu untermauern. Nachvollziehbare Tatsachen, die geeignet sein könnten, den Aussagegehalt der betriebsärztlichen Bescheinigung vom 16.05.2013 zu erschüttern, hat die Antragsgegnerin aber gerade nicht vorgebracht.
cc. Insbesondere steht auch nicht der auf Tatsachen gegründete Verdacht im Raum, dass es sich bei der betriebsärztlichen Bescheinigung vom 16.05.2013 um ein reines Gefälligkeitsattest handeln könnte. In diesem Zusammenhang scheint es von erheblicher Bedeutung, dass das betriebsärztliche Votum gerade nicht etwa von einem Hausarzt/einer Hausärztin der Antragstellerin oder einem sonstigen Arzt/einer sonstigen Ärztin stammt, die ausschließlich mit der Antragstellerin in einer vertraglichen Vertrauensbeziehung steht. Urheber der ärztlichen Bescheinigung ist vielmehr der medizinische Dienst der Antragsgegnerin selbst. Bei einer solchen vom Arbeitgeber selbst vorgehaltenen medizinischen Institution kann unterstellt werden, dass sie den Belangen sowohl des Arbeitnehmers wie auch des Arbeitgebers neutral und sachlich gegenübersteht. Es kann ferner unterstellt werden, dass sie mit den Arbeitsplätzen des Betriebes und deren gesundheitlichen Anforderungen aus eigener Erfahrung und Anschauung vertraut ist, ohne auf - möglicherweise einseitige - Schilderungen der untersuchten Person angewiesen zu sein.
d. Ist somit davon auszugehen, dass die Antragstellerin zwar weiterhin in der Lage ist, ihre arbeitsvertragliche Tätigkeit als Flugbegleiterin vollschichtig auszuüben, wenn sie auf der Langstrecke eingesetzt wird, dass ihr jedoch für die vom medizinischen Dienst bescheinigte Zeit ein Einsatz auf der Kurzstrecke aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, so gebietet es die Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Arbeitnehmerin, dass die Arbeitgeberin von ihrem Direktionsrecht, die Antragstellerin auch auf Kurzstreckenflügen einzusetzen, für den entsprechenden Zeitraum keinen Gebrauch macht. Besondere Gründe, die es für die Antragsgegnerin unzumutbar erscheinen ließen, eine solche Einschränkung ihres Direktionsrechts auch nur für die im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes streitgegenständliche Zeit hinzunehmen, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich geworden.
e. Neben der Sache liegt schließlich der Einwand des Arbeitsgerichts, gegen einen Verfügungsanspruch der Antragstellerin spreche, dass diese sich nicht zu ihrer Einsetzbarkeit "auf der Mittelstrecke" geäußert habe. Dass es die Einsatzkategorie der "Mittelstrecke" in der Arbeitsorganisation der Flugbegleiter der Arbeitgeberin überhaupt gibt, lässt sich weder dem Vortrag der Antragstellerin, noch demjenigen der Antragsgegnerin entnehmen.
2. Auch der erforderliche Verfügungsgrund für den Erlass der begehrten einstweiligen Verfügung ist gegeben.
Die Antragsgegnerin hat außergerichtlich mit Schreiben vom 29.05.2013 ausdrücklich angekündigt, dass sie "die Empfehlung des medizinischen Dienstes nicht umsetzen" werde. Hiervon ist die Antragsgegnerin, soweit ersichtlich, bis heute nicht abgerückt. Die Antragstellerin muss also jederzeit befürchten, dass sie ungeachtet des betriebsärztlichen Votums vom 16.05.2013 für Kurzstreckeneinsätze eingeteilt wird. Macht die Antragsgegnerin ihre Drohung wahr, handelt sie, wie ausgeführt, zum gegenwärtigen Zeitraum ermessenswidrig im Sinne von § 106 Satz 1 GewO. Einen solchen Eingriff in ihren arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch braucht die Antragstellerin nicht hinzunehmen.
II. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO.
Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Sache war auch in der Beschwerdeinstanz ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.