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Arbeitsrecht
03.11.2022
Arbeitsrecht
LAG Niedersachsen: Beweisverwertungsverbot bei datenschutzrechtlicher Betriebsvereinbarung

LAG Niedersachsen, Urteil vom 6.7.2022 – 8 Sa 1148/20

ECLI:DE:LAGNI:2022:0706.8SA1148.20.00

Volltext: BB-Online BBL2022-2611-3

Leitsätze

1. Verpflichtet sich der Arbeitgeber in einer Betriebsvereinbarung, eine personenbezogene Auswertung von Daten, die er durch den Einsatz von Kartenlesegeräten gewonnen hat, nicht vorzunehmen, kann sich auch der einzelne Arbeitnehmer darauf berufen.

2. Erklärt der Arbeitgeber in einem Betriebskonzept oder auf einer Beschilderung einer Videoüberwachungsanlage, die hieraus gewonnenen Daten nur 96 Stunden lang aufzubewahren, kann ein Arbeitnehmer hierauf die berechtigte Privatheitserwartung stützen, dass der Arbeitgeber nur auf Videodateien Zugriff nehmen wird, die - bei erstmaliger Sichtung - nicht älter als 96 Stunden sind.

3. Zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten ist eine Videoüberwachungsanlage an den Eingangstoren eines Betriebsgeländes in der Regel weder geeignet noch erforderlich.

4. Der - erstmalige - Zugriff auf Videoaufzeichnungen, die mehr als ein Jahr zurückliegen, ist zum Zwecke der Aufdeckung eines behaupteten Arbeitszeitbetruges regelmäßig nicht angemessen. Solche Daten unterliegen im Kündigungsschutzprozess einem Beweisverwertungsverbot.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um die Rechtmäßigkeit einer außerordentlichen und einer weiteren – hilfsweisen – ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie über die Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Der am 00.00.1971 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 00.00.00 zuletzt als Mitarbeiter im Bereich Gießerei beschäftigt. Seine durchschnittliche monatliche Bruttovergütung hat das Arbeitsgericht auf der Grundlage des erstinstanzlichen Vortrages mit 8.900 Euro angenommen. Nach den Behauptungen der Beklagten in der zweitinstanzlichen Kammerverhandlung vom 06.07.2022 belief sich das Jahresgesamtbruttogehalt des Klägers ausweislich der der Beklagten vorliegenden Lohnabrechnung für Dezember 2018 auf 78.697,79 Euro, was durchschnittlich 6.558,15 Euro brutto monatlich entspricht.

Auf den Betrieb der Beklagten findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Im Betrieb H., dem der Kläger zuzuordnen ist, ist ein Betriebsrat gebildet.

Die Beklagte betreibt ein Hinweisgebersystem, mittels dessen Arbeitnehmer unter Wahrung ihrer Anonymität Hinweise zu Unregelmäßigkeiten, auch und insbesondere betreffend das Verhalten anderer Arbeitnehmer, geben können. Wie aus einem Bericht der „Konzern Sicherheit Forensik“ vom 07.06.2019 (Bl. 69 ff. d.A.) hervorgeht, habe es einen – dort datumsmäßig nicht näher spezifizierten – anonymen Hinweis gegeben, wonach mehrere Mitarbeiter aus dem Bereich der Gießerei H., darunter der Kläger, regelmäßig Arbeitszeitbetrug begingen.

Mit Schreiben vom 21.06.2019 (Bl. 62 d.A.) erteilte die Beklagte dem Kläger eine von ihr so bezeichnete „Verwarnung“ mit dem Vorwurf, der Kläger habe am 07.04.2019 seinen Arbeitsplatz unerlaubt vorzeitig verlassen. Dieses Schreiben ging dem Kläger am 04.09.2019 zu.

Am 00.00.0000 befragten die Mitarbeiter F. und B. der Abteilung Werksicherheit der Beklagten den Kläger zum Vorwurf eines Arbeitszeitbetruges und fertigten hierüber ein Protokoll, das der Kläger mit „gelesen und unterschrieben“ gegenzeichnete (Bl. 79 ff. d.A.).

Mit Schreiben vom 25.09.2019 (Bl. 83 ff. d.A.) lud die Beklagte den Kläger für den 01.10.2019 zu einem Personalgespräch ein. Hierin führte sie aus, der Kläger habe am 02.06.2018 erstens unbefugt den Werkausweis seines Kollegen K. vor das Lesegerät am Tor 5 gehalten, zweitens sodann – nach Vorhalten auch seines eigenen Ausweises – das Werksgelände zwar um 18:31 Uhr betreten, dasselbe jedoch um 20:58 Uhr wieder verlassen, obwohl der Kläger an diesem Tag zur Nachtschicht eingeteilt gewesen sei und von 21:30 Uhr bis um 05:30 Uhr habe arbeiten müssen. Zudem habe der Kläger am 17.11.2018 und am 02.12.2018 das Werksgelände jeweils einige Minuten vor Schichtende und am 08.12.2018 sogar 22 Minuten vor Schichtende verlassen. Der Kläger nahm diesen Termin ankündigungsgemäß nicht wahr und nahm auch sonst nicht weiter Stellung.

Mit Schreiben vom 05.10.2019 (Bl. 8 d.A.), das dem Kläger am 08.10.2019 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, mit weiterem Schreiben vom 09.10.2019 (Bl. 15 d.A.) vorsorglich ordentlich fristgemäß zum nächstmöglichen Termin, welches nach ihrer Berechnung der 31.12.2019 sei.

Mit Klage vom 08.10.2019, bei Gericht am gleichen Tage vorab per Telefax eingegangen, hat der Kläger die fristlose Kündigung und mit Klageerweiterung vom 14.10.2019, bei Gericht am 16.10.2019 eingegangen, die fristgerechte Kündigung angegriffen.

Der Kläger hat erstinstanzlich geltend gemacht, die fristlose Kündigung entbehre eines wichtigen Grundes, die hilfsweise ausgesprochene fristgerechte Kündigung sei sozial nicht gerechtfertigt. Er habe die ihm vorgeworfenen Pflichtwidrigkeiten nicht begangen. Die Videoaufzeichnungen und die Erkenntnisse aus der elektronischen Anwesenheitserfassung unterlägen einem Sachvortrags- und einem Beweisverwertungsverbot. Der Kläger hat weiter die nicht ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates gerügt. Hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung hat er die Einhaltung der zweiwöchigen Kündigungserklärungsfrist in Abrede gestellt.

Der Kläger hat vor dem Arbeitsgericht beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 05.10.2019 nicht aufgelöst wurde, sondern über diesen Zeitpunkt zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.10.2019 nicht aufgelöst wurde, sondern über den 31.12.2019 zu unveränderten Bedingungen fortbesteht,

3. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen,

4. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 3.) die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Endzeugnis zu erteilen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vor dem Arbeitsgericht vorgetragen, der Kläger habe mehrfach Arbeitszeitbetrug begangen, was eine außerordentliche, jedenfalls ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige. Die Taten seien erwiesen, jedenfalls bestehe ein dahingehender dringender Verdacht.

In der Klageerwiderung vom 20.12.2019 hat die Beklagte vorgetragen, der Kläger betrete das Werksgelände über ein sogenanntes Drehkreuz. Dabei müsse er seinen ihm persönlich zugeordneten Werksausweis vor ein Kartenlesegerät halten, damit dieses den Durchgang für den Kläger freischalte. In einem bei der Beklagten genutzten SAP-System werde dadurch die Anwesenheit mit Datum und Uhrzeit registriert. Durch die Verwendung der Werksausweise an den einzelnen Werkstoren würden aber lediglich sogenannte Infobuchungen im SAP-System ausgelöst. Diese Infobuchungen könnten von den Meistern für die Personaleinsatzplanung genutzt werden, seien jedoch für die Erfassung der Arbeitszeit und die Vergütung ohne Relevanz.

Abweichend von den Anwesenheitszeiten erfolge im Hinblick auf die vergütungspflichtigen Arbeitszeiten grundsätzlich keine „Erfassung“ durch den Kläger. Gemäß § 6 Abs. 3 der Arbeitsordnung beginne und ende die Arbeitszeit am Arbeitsplatz. Die vergütungspflichtige Arbeitszeit entspreche demnach grundsätzlich den Schichtzeiten. Anders sei dies bei den sogenannten Mehrarbeitsschichten, die zusätzlich zu den regulären Schichten angeordnet würden. Die in diesem Rahmen geleistete Arbeitszeit sei von der Beklagten nicht bereits vorab im SAP-System hinterlegt und müsse deshalb gesondert erfasst und in das SAP-System als vergütungspflichtige Arbeitszeit übernommen werden. Da in der Regel nur die Meister als direkte Vorgesetzte berechtigt seien, diese Arbeitszeiten in das SAP-System einzugeben, die Meister aber nicht immer bei den Mehrarbeitsschichten anwesend seien, würden bei angeordneten Mehrarbeitsschichten Excel-Listen geführt, die vor Ort für die Beschäftigten auslägen. In diese müssten sich die jeweils Beschäftigten - mithin auch der Kläger - eintragen, damit die nicht anwesenden Meister die Arbeitszeiten später in das SAP - System als Arbeitszeit eintragen könnten. Auf Basis dieser Eintragung erfolge die Vergütung des Klägers für die jeweilige Mehrarbeitszeit.

Für den 02.06.2018 (Samstag) sei ein sogenannter Mehrarbeitstag angeordnet worden. Der Kläger sei für die Schicht von 21:30 bis 5:30 Uhr eingeteilt gewesen. Die Untersuchung durch den Bereich Konzern Sicherheit Forensik habe anhand der Auswertung von Videobildern ergeben, dass der Kläger an diesem Tag um 18:31 Uhr am Eingang zum Werksgelände vor Tor 5 erschienen sei und einen Mitarbeiterausweis vor das Lesegerät am Drehkreuz gehalten habe. Anhand der Unterlagen zur Infobuchung habe die Beklagte festgestellt, dass es sich dabei nicht um den eigenen Ausweis des Klägers, sondern um den Ausweis seines Kollegen Herrn K. gehandelt habe. Der Kläger sei dann zum Parkplatz zurückgegangen, habe die Beifahrertür zu seinem Fahrzeug geöffnet, sich hineingebeugt und dann wieder abgeschlossen. Anschließend sei er erneut zum Eingang am Drehkreuz Tor 5 gegangen, habe seinen eigenen Mitarbeiterausweis vor das Lesegerät gehalten und das Werksgelände betreten. Der Kläger habe sodann um 20:58 Uhr und damit vor Schichtbeginn das Werksgelände wieder verlassen. Dennoch sei er während der vollen Schicht, d.h., von 21:30 bis 5:30 Uhr, im System als anwesend geführt worden mit der Folge, dass ihm der gesamte Mehrarbeitstag von der Beklagten voll vergütet worden sei. Das vorzeitige Verlassen sei mit dem Vorgesetzten nicht abgestimmt gewesen.

Am 17.11. und 02.12.2018 habe der Kläger das Werksgelände einige Minuten vor Schichtende verlassen. Gleichwohl seien ihm für diese Tage die vollen Schichten vergütet worden. Das vorzeitige Verlassen sei mit dem Vorgesetzten nicht abgestimmt gewesen. Am 08.12.2018 habe der Kläger bereits 22 Minuten vor Schichtende das Werksgelände in Zivilkleidung verlassen. Gleichwohl sei ihm die Vergütung für die volle Schicht gezahlt worden. Das vorzeitige Verlassen sei mit dem Vorgesetzten nicht abgestimmt gewesen.

Sie habe am 01.10.2019 den bei ihr zuständigen Personalausschuss des Betriebsrates zur beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung als Tat- und Verdachtskündigung angehört. Die Mitarbeiter des Personalwesens der Beklagten am Standort H., Herr D. und Herr Dr. M., hätten dem Personalausschuss in seiner Sitzung am 01.10.2019 das Anhörungsschreiben (Bl. 86 d.A.), dem neben weiteren Unterlagen insbesondere der Untersuchungsbericht vom 07.06.2019 beigefügt gewesen sei, überreicht. Es seien die Daten zur Person des Klägers sowie die Sozialdaten mitgeteilt worden. Zudem hätten Herr D. und Herr Dr. M. den Mitgliedern des Betriebsrates noch einmal ausführlich die einzelnen, oben aufgeführten und in dem Untersuchungsbericht dargestellten Vorgänge des Arbeitszeitbetruges erläutert. Fragen an die Vertreter des Personalwesens seien möglich gewesen.

Mit Schriftsatz vom 10.03.2020 hat die Beklagte teilweise abweichend hiervon vorgetragen, grundsätzlich werde an einem Dienstag vor einer für das darauffolgende Wochenende geplanten Mehrarbeitsschicht von den Teamsprechern eine Abfrage bei den Mitarbeitern durchgeführt, wer diese – durchgängig freiwillige - Mehrarbeit ableisten wolle. Die Teamsprecher trügen sodann die Mitarbeiter, die freiwillig die Mehrarbeit am darauffolgenden Wochenende durchführen wollten, in eine Liste ein. Wenn sich ein Mitarbeiter für die Durchführung der Mehrarbeit gemeldet habe, sei diese Meldung allerdings verbindlich. Die Namen der betreffenden Mitarbeiter würden daraufhin in eine Excel-Liste auf dem Laufwerk des betrieblichen Computersystems überführt. An dem Tag, an dem die Mehrarbeitsschicht durchgeführt werde, liege die Excel-Liste vor Ort aus. Mitarbeiter, die sich in die Liste hätten eintragen lassen, die aber tatsächlich nicht vor Ort seien und damit die Arbeit auch nicht anträten, würden von den Teamsprechern vor Ort wieder aus der Liste gelöscht.

Da die Meister am Tag der Mehrarbeitsschicht regelmäßig nicht anwesend seien, gäben sie die am nachfolgenden Tag von den Teamsprechern korrigierten Listen über die Anwesenheit der einzelnen Mitarbeiter in das SAP-System ein. Der Meister dürfe die konkreten Arbeitszeiten für die Mehrarbeitsschichten am Vortag zudem nur dann in das SAP-System eingeben, wenn dort bereits ein Haken für die Anwesenheit des Arbeitnehmers vermerkt sei. Dieser Haken könne nur vermerkt sein, wenn der Mitarbeiter mit seinem Werksausweis den Durchgang am Drehkreuz freischalte. In diesem Moment werde durch die damit verbundene Infobuchung ein Haken im SAP-System für den Zutritt des Mitarbeiters gesetzt. Um die Arbeitszeiten aus der Mehrarbeitsschicht tatsächlich gutgeschrieben bekommen zu können, müsse der Mitarbeiter an dem jeweiligen Tag deshalb nicht nur vor Ort von dem Teamsprecher in der ausliegenden Mitarbeiterliste bestätigt werden, sondern zudem auch mit seinem Werksausweis am Drehkreuz die Infobuchung ausgelöst haben. Wenn der Haken im SAP-System nicht gesetzt sei, müsse der Meister mit dem Teamsprecher, der am Vortag die ausliegenden Listen anhand der tatsächlich anwesenden Mitarbeiter korrigiert habe, Rücksprache halten, ob der betreffende Mitarbeiter gleichwohl tatsächlich anwesend gewesen sei.

Der Kläger sei am 02.06.2018 im Werk erschienen, um seine Anwesenheit zu dokumentieren, habe seine Anwesenheit in der Liste bestätigen lassen und dann das Werksgelände wieder verlassen, um vorsätzlich einen Arbeitszeitbetrug zu begehen. Herr D. und Herr Dr. M. hätten dem Personalausschuss in der Sitzung vom 01.10.2019 den Kündigungssachverhalt so erläutert, wie die Beklagte es vorstehend im Einzelnen dargelegt habe.

Es sei falsch, wenn der Kläger behaupte, die Eintragung der Anwesenheit sei allein dem Meister zuzurechnen. Die Teamleiter und die Mitarbeiter hätten am Tag der Mehrarbeitsschicht selbst dafür Sorge zu tragen, dass die Liste der tatsächlich anwesenden Mitarbeiter korrekt sei. Sollte ein Mitarbeiter an dem Tag der Mehrarbeit nicht erscheinen, obwohl er in der Liste verbindlich eingetragen sei, habe er jedenfalls im Nachgang die Verpflichtung, hierauf hinzuweisen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich ihre Auffassung vorgetragen, allein der Vorfall vom 02.06.2018 - der Kläger sei zur Mehrarbeitsschicht eingeteilt gewesen, habe die Schicht nicht angetreten und gleichwohl die volle Schicht vergütet erhalten – stelle einen derart massiven Arbeitszeitbetrug dar, dass auch ohne Abmahnung eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf die dort zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze, das Protokoll der Kammerverhandlung vom 11.09.2020 und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Mit Urteil vom 11.09.2020 (Bl. 258 ff. d.A.) hat das Arbeitsgericht der Klage mit Ausnahme der sog. „Schleppnetzanträge“ stattgegeben. Es hat zur Begründung der Unwirksamkeit beider Kündigungen im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte könne sich im Prozess nur auf die Tatsachen stützen, die sie dem Betriebsrat mitgeteilt habe. In Bezug auf den vorgeworfenen Arbeitszeitbetrug vom 02.06.2018 habe sie dem Betriebsrat gegenüber angegeben, es habe vor Ort eine Liste ausgelegen, in welche sich der Kläger eingetragen habe. Im Prozess habe sie abweichend hiervon vorgetragen, der Name des Klägers sei aufgrund seiner Meldung zu dieser Mehrarbeitsschicht bereits auf der Liste vorhanden gewesen; der Kläger sei am 02.06.2018 im Werk erschienen, um seine Anwesenheit vom Teamsprecher in der Liste bestätigen zu lassen; er habe sodann das Werksgelände wieder verlassen. Bei den neuen Informationen zu einer Täuschungshandlung des Klägers handele es sich nicht nur um eine nähere Erläuterung, sondern um eine andere behauptete Art der Täuschung – nämlich eine Täuschung durch Einwirken auf einen Dritten - und damit um neue, kündigungsrechtlich erhebliche Tatsachen. Die Angaben gegenüber dem Betriebsrat seien im Prozess nicht zugrunde zu legen, weil sie an deren Richtigkeit nicht festhalte; der nunmehrige Sachvortrag sei nicht verwertbar, weil er dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nicht mitgeteilt worden sei. Die Beklagte könne die behauptete Täuschungshandlung auch nicht auf den Vorwurf stützen, der Kläger habe die Korrektur der Liste unterlassen, da nicht der Kläger, sondern der Teamsprecher hierfür zuständig sei. Der Kläger habe auch nicht am Folgetag den Meister über seine Nichtanwesenheit in Kenntnis setzen müssen, da eine solche Aufklärungspflicht nur dann bestanden haben würde, wenn der Kläger positive Kenntnis davon gehabt hätte, dass er weiterhin auf der Liste geführt worden sei. Die Entgegennahme der Vergütung für die betreffende Mehrarbeitsschicht beinhalte als solche auch im Fall der Nichtanwesenheit keine Täuschung über die erbrachte Arbeitszeit. Zudem sei dem Betriebsrat auch nicht mitgeteilt worden, dass die Kündigung auf eine Täuschung durch Unterlassen gestützt werde. Im Hinblick auf die Vorwürfe, der Kläger habe die Schichten vom 17.11., 02.12. und 08.12.2018 vorzeitig verlassen, gölten die gleichen Erwägungen. Soweit das Vorbringen der Beklagten den Vorwurf beinhalte, der Kläger habe an den betreffenden Tagen ganz oder teilweise unentschuldigt gefehlt und den Werksausweis eines Kollegen bestimmungswidrig verwendet, sei eine Kündigung ohne vorgängige Abmahnung jedenfalls unverhältnismäßig. Stritten die Parteien gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, bestehe schließlich auch ein triftiger Grund für die Forderung des Arbeitnehmers nach Erteilung eines Zwischenzeugnisses.

Das Urteil des Arbeitsgerichts ist der Beklagten zu Händen ihres Prozessbevollmächtigten ausweislich des eEB Bl. 282 d.A. am 30.09.2020 zugestellt worden. Die Berufung der Beklagten ist ausweislich Bl. 284 d.A. am 30.10.2020 und damit fristgerecht bei dem erkennenden Gericht eingegangen. Ihre Berufungsbegründung ist nach der mit Beschluss vom 03.11.2020 (Bl. 338 d.A.) erfolgten Fristverlängerung am 30.12.2020 und damit ebenfalls fristgerecht bei dem erkennenden Gericht eingegangen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihrer Berufung geltend gemacht, der Betriebsrat sei entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts vollständig und ordnungsgemäß angehört worden. Mit der Formulierung in dem Schriftsatz vom 20.12.2019, vor Ort läge eine Liste aus und der Kläger müsse sich „in diese Liste“ eintragen, habe die Beklagte nicht behauptet, dass der Kläger sich vor Ort in die Liste habe eintragen müssen. Vielmehr habe die Beklagte damit ausgesagt bzw. aussagen wollen, dass der Kläger sich überhaupt – also auch gegebenenfalls vor dem Schichtwochenende – für die Schicht habe melden und eintragen lassen müssen. Der Kläger habe sich auch unstreitig in der Woche vor der Mehrarbeitsschicht am 02.06.2018 für deren Durchführung gemeldet und müsse dann auch vor Ort von einem Teamsprecher als anwesend bestätigt worden sein. Die Beklagte habe zudem unter Beweisantritt vorgetragen und klargestellt, dass der Personalausschuss des Betriebsrates „sowohl über den Sachverhalt aus dem Schriftsatz vom 20.12.2019 als auch aus dem Schriftsatz vom 10.03.2020 informiert wurde“. Zentraler Vorwurf sei, dass der Kläger sich vor dem Wochenende zur Durchführung der Mehrarbeitsschicht gemeldet und dann am Tag der Mehrarbeitsschicht vorgetäuscht habe, die Schicht tatsächlich durchgeführt zu haben, was aber nicht der Fall gewesen sei. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts sei bereits das Vorhalten des Werksausweises vor das Lesegerät am Werkseingang eine verwertbare Täuschungshandlung und ein Teil des vom Kläger begangenen Arbeitszeitbetruges. Hierdurch werde im SAP-System ein grüner Haken gesetzt, der den Meister dazu veranlasse, ohne weitere Rückfragen die angeblichen Arbeitszeiten für die Mehrarbeitsschicht ins SAP-System zu übertragen.

In Erfüllung des gerichtlichen Auflagenbeschlusses vom 22.11.2021 hat die Beklagte vorgetragen, das Tor 5, durch das der Kläger am 02.06.2018 das Werk betreten habe, sei bereits zum damaligen Zeitpunkt mit einem Piktogramm versehen gewesen, das eine hängende Kamera zeige. Ferner hat die Beklagte die Seiten 1, 15, 22, 24 und 25 (von insgesamt 37 Seiten) des „Betriebskonzepts für das Videosystem Werk H.“ zur Akte gereicht. Sie hat einen Datenträger mit der streitgegenständlichen Videoaufzeichnung vom 02./03.06.2018 zur Gerichtsakte gereicht und sich zum Beweis dafür, dass hierauf neben dem Zutritt des Klägers um 18:31 Uhr und dem Verlassen des Werksgeländes um 20:58 Uhr bis um 7:00 Uhr des 03.06.2018 kein weiterer Zutritt des Klägers erkennbar sei, auf das Zeugnis des Herrn Thorsten B. berufen. Zudem hat die Beklagte „als Zeugen für die Tatsache, dass der Kläger nicht in der Nachtschicht anwesend war“, Herrn U. und Herrn B. benannt. Sie hat bestritten, dass die vom Kläger benannten Zeugen dessen Anwesenheit am 02.06.2018 in der Nachtschicht bezeugen können.

In der Kammerverhandlung vom 06.07.2022 hat die Beklagte an Gericht und Gegner einen Schriftsatz in Papierform zur Gerichtsakte gereicht, der einen Auflösungsantrag enthält. Zur Begründung ist angeführt, der Kläger lüge im vorliegenden Prozess durchgängig. Er habe wahrheitswidrig behauptet, die Eingangsbereiche seien am 02.06.2018 nicht damit gekennzeichnet gewesen, dass Videoaufnahmen angefertigt würden.

Die Beklagte hat beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 11.09.2020 – 6 Ca 117/19 – abzuändern, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen,

hilfsweise,

das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 50.000 Euro brutto nicht überschreiten sollte, zum 31.12.2019 aufzulösen.

Der Kläger hat beantragt,

die Berufung der Beklagten sowie ihren Auflösungsantrag kostenpflichtig zurückzuweisen.

Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und stellt heraus, er habe zu keinem Zeitpunkt einen Arbeitszeitbetrug begangen, insbesondere nicht am 02.06.2018 oder am 09.12.2018. An beiden Tagen habe er ordnungsgemäß gearbeitet, wie mehrere vom Kläger als Zeugen benannte Kollegen bestätigen könnten. Die Videoaufzeichnung und die Erfassung der Zutritte über ein Kartenlesegerät seien von vornherein nicht geeignet, An- und Abwesenheiten der Arbeitnehmer zu belegen, da insbesondere beim Haupteingang, der durch einen Pförtner kontrolliert werde, keine Kontrolle unter Zuhilfenahme solcher technischer Einrichtungen stattfinde. Die Betriebsratsanhörung sei, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt habe, fehlerhaft, da der Betriebsrat nicht über die nunmehr behauptete Täuschungshandlung in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Videoaufnahmen griffen in die verfassungsmäßigen Rechte des Klägers ein und stellten auch einen Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz dar. Die Beklagte habe ferner in Kenntnis der von ihr behaupteten Kündigungsgründe noch vor Ausspruch der Kündigung eine Verwarnung wegen eines ähnlichen Vorfalles ausgesprochen und damit ihr Recht, wegen der hier streitgegenständlichen gleichartigen behaupteten Pflichtverletzungen eine Beendigung herbeizuführen, verwirkt. Über die elektronische Anwesenheitserfassung existiere eine Betriebsvereinbarung Nr. 11/2007 vom 17.10.2007, gültig ab dem 01.01.2008 und bis heute in Kraft befindlich, in der ausdrücklich geregelt sei, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolge. Der Betriebsrat habe zudem keine Kenntnis davon, dass die Videoüberwachung zur Aufzeichnung und Überprüfung von Mitarbeitern dienen solle; ihm sei vielmehr mitgeteilt worden, dass die Installation dazu bestimmt sei, Dienstfremden und Mitarbeitern, die Probleme mit ihrer Karte hätten, die Möglichkeit zu geben, über eine Klingel den Werkschutz zu kontaktieren, damit dieser nach visueller Kontrolle über die Kamera das Tor aus der Ferne öffnen könne. Mittlerweile seien „Kennzeichen und Hinweisschilder“ am Tor vorhanden, die zu dem damaligen Zeitpunkt nicht vorhanden gewesen und neu angebracht worden seien. Diese wiesen nunmehr auf eine Videoüberwachung und Videoaufnahme hin und erklärten ausdrücklich, dass die Aufzeichnung 96 Stunden vorrätig gehalten werde. Zuvor habe es lediglich ein Piktogramm gegeben (Schriftsatz vom 28.03.2022, Bl. 522 d.A.). Die von der Beklagten für den 02.06.2018 benannten Zeugen U. und B. hätten in der betreffenden Nachtschicht nicht gearbeitet.

Der Kläger hat der Erweiterung des Streitgegenstandes der zweiten Instanz, der in dem Auflösungsantrag der Beklagten liegt, nicht zugestimmt und Verspätung hinsichtlich des mit dem Schriftsatz vom 06.07.2022 geleisteten Vortrages der Beklagten gerügt. Er hat weiter gerügt, dass der Schriftsatz nicht per beA, sondern nur in Papierform eingereicht worden ist. Den auf den Auflösungsantrag bezogenen Sachantrag hat er nur für den Fall gestellt, dass das Gericht trotz seiner Einwände über diesen entscheide.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in zweiter Instanz wird auf die dort zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und das Protokoll der Kammerverhandlungen vom 22.11.2021 sowie vom 06.07.2022 verwiesen.

Aus den Gründen

Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat im Ergebnis zu Recht erkannt, dass sowohl die fristlose Kündigung vom 05.10.2019 als auch die hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 09.10.2019 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet haben, und dass dem Kläger folgerichtig auch ein Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses zusteht. Der Auflösungsantrag ist in zweiter Instanz wirksam in das Verfahren eingebracht worden. Er ist jedoch unschlüssig, so dass ohne das Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Kläger über ihn abschlägig zu entscheiden war.

I. Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. c) ArbGG statthaft. Sie ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 Abs. 1, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden. Sie genügt auch den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4 ZPO.

II. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet.

1. Sowohl die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 05.10.2019 als auch ihre hilfsweise fristgerechte Kündigung vom 09.10.2019 sind unwirksam, da die behaupteten Pflichtwidrigkeiten des Klägers nicht erwiesen sind und auch kein hinreichend dringender Verdacht für ihre Begehung durch den Kläger besteht. Auf die Frage, ob die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat ordnungsgemäß zu beiden Kündigungen angehört hat, kommt es damit nicht mehr an. Ebenso kann dahinstehen, ob die Beklagte bei Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung die zweiwöchige Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten hat.

a) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 25. Januar 2018 - 2 AZR 382/17 - Rn. 26; 14. Dezember 2017 - 2 AZR 86/17 - Rn. 27, BAGE 161, 198).

b) Spiegelt ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber wider besseres Wissen vor, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung erbracht zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war, so ist dieses Verhalten an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Dies gilt etwa für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr oder für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare (BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 –, Rn. 15 - 17, juris). Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können. Überträgt er den Nachweis der geleisteten Arbeitszeit den Arbeitnehmern selbst und füllt ein Arbeitnehmer die dafür zur Verfügung gestellten Formulare wissentlich und vorsätzlich falsch aus, so stellt dies in aller Regel einen schweren Vertrauensmissbrauch dar. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) gegenüber dem Arbeitgeber (BAG 26. September 2013 - 2 AZR 682/12 - Rn. 54, BAGE 146, 161; 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 14 mwN). Gleiches gilt für den Fall, dass der Arbeitnehmer in kollusivem Zusammenwirken mit anderen Arbeitnehmern oder durch vorsätzliche Falschangaben gegenüber anderen Arbeitnehmern zu seinem Vorteil eine unzutreffende Dokumentation der von ihm erbrachten Arbeitszeiten herbeiführt.

c) Der Vorwurf der Beklagten, der Kläger habe die Beklagte willentlich und wissentlich über die Erbringung der Mehrarbeitsschicht in der Nacht vom 02.06.2018 zum 03.06.2018 getäuscht, die er tatsächlich vollständig nicht erbracht habe, indem er das Betriebsgelände noch vor Schichtbeginn wieder verlassen habe, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Gleiches könnte für den auf den 08.12.2018 bezogenen Vorwurf gelten, der Kläger habe bereits 22 Minuten vor Schichtende das Betriebsgelände verlassen. Hingegen stellen die weiteren behaupteten Pflichtwidrigkeiten selbst für den Fall, dass das Gericht sie als erwiesen ansehen würde, keinen wichtigen Grund an sich dar. Selbst wenn der Kläger am 17.11.2018 und am 02.12.2018 das Werksgelände „einige Minuten“ vor Schichtende verlassen haben und die Beklagte insoweit über seine Anwesenheit getäuscht haben sollte, liegt hierin allein kein wichtiger Grund, der die Beklagte zu einer außerordentlichen Kündigung berechtigen würde. Mangels näherer zeitlicher Konkretisierung durch die Beklagte ist zu Gunsten des Klägers davon auszugehen, dass es sich in den beiden letztgenannten Fällen jeweils um weniger als zehn Minuten gehandelt hat. Derartige Pflichtverletzungen sind selbst dann, wenn sie vorsätzlich und wiederholt erfolgen, aufgrund ihres geringen Schweregrades ohne wirksame vorgängige Abmahnung nicht geeignet, einen wichtigen Grund abzugeben. Eine wirksame vorgängige Abmahnung hat die Beklagte dem Kläger nicht erteilt. Die „Verwarnung“ vom 21.06.2019 geschah zeitlich nach sämtlichen hier in Rede stehenden Vorwürfen und konnte somit auf das betreffende Verhalten des Klägers keinen Einfluss nehmen, so dass dahinstehen kann, ob sie die für eine Abmahnung erforderlichen formellen und materiellen Voraussetzungen erfüllt.

d) Die Beklagte hat im Ergebnis zu den behaupteten Pflichtwidrigkeiten vom 02.06.2018 und vom 08.12.2018 noch hinreichende Darlegungen getätigt.

Der Arbeitgeber trägt zu einem behaupteten Arbeitszeitbetrug nur dann ausreichend vor, wenn er nicht nur nachvollziehbar schildert, dass der Arbeitnehmer an dem betreffenden Tag seine Arbeitsleistung nicht oder nicht vollständig erbracht hat, sondern auch substantiiert darlegt, dass und auf welche genaue Weise der Arbeitnehmer den Arbeitgeber über die Erbringung der Arbeitsleistung getäuscht hat. Unstreitig hat der Kläger sich zu beiden Mehrarbeitsschichten gemeldet. Aufgrund dessen wurde er in beiden Fällen in einer Mitarbeiterliste für die betreffende Schicht erfasst, die an dem jeweiligen Tag vor Ort auslag. Dies allein stellt allerdings noch keine vollendete Täuschung über die tatsächliche Anwesenheit des Klägers für die (volle) Schicht dar. Zu einem Fehlen in der betreffenden Schicht kann es aufgrund zahlreicher Umstände kommen, die vom Arbeitnehmer nicht vorsätzlich und auch nicht einmal fahrlässig herbeigeführt worden sein müssen (Krankheit, Autopanne etc.). Eine Täuschung liegt erst dann vor, wenn der Arbeitnehmer wider besseres Wissen die Behauptung aufstellt, die (vollständige) Schicht abgeleistet zu haben, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall war. Dies kann beispielsweise durch handschriftliche Eintragung in eine vor Ort ausliegende Anwesenheitsliste und anschließende (vollständige oder teilweise) Nichtableistung der Schicht erfolgen. Eine solche handschriftliche Eintragung des Klägers hat jedoch, wie im Verlauf des Rechtsstreites unstreitig geworden ist, nicht stattgefunden, da die Beklagte Anwesenheitslisten, die eine eigene handschriftliche Eintragung oder Bestätigung des Arbeitnehmers erfordern, nicht verwendet. Vielmehr hat ein anwesender Teamsprecher die Anwesenheit des Arbeitnehmers – wohl durch „Abhaken“ in der vor Ort befindlichen und aufgrund vorgängiger Meldungen der Arbeitnehmer zu der betreffenden Mehrarbeitsschicht erstellten Liste – zu bestätigen. Bei einem derartigen Verfahrensablauf liegt die Täuschungshandlung in der persönlichen Meldung des Arbeitnehmers beim Teamsprecher, welche diesen zum „Abhaken“ des betreffenden Namens in der Liste veranlasst, verbunden mit dem anschließenden vorsätzlichen Sich-Entfernen vor Ende der Schicht, ohne dass hierzu ein triftiger Grund – wie z.B. eine infolge Krankheit eintretende Arbeitsunfähigkeit – vorliegt. Dass und auf welche genaue Weise der Kläger welchen genauen Teamsprecher zum „Abhaken“ seines Namens in der Liste veranlasst hätte, trägt die Beklagte jedoch nicht vor. Auch vermag sie die betreffende Liste nicht vorzulegen, da diese im Anschluss wohl zeitnah vernichtet wird. Die Beklagte tätigt auch keine Darlegungen dazu, ob der Kläger den Teamsprecher über seine Absicht, anschließend den Arbeitsplatz vorzeitig zu verlassen, im Unklaren gelassen hat – dann wäre die Täuschungshandlung gegenüber dem betreffenden Teamsprecher erfolgt – oder ob der Teamsprecher über diese Absicht des Klägers in Kenntnis gesetzt war – dann hätten der Kläger und der Teamsprecher die Beklagte bzw. deren übergeordnete Vertreter, die Meister, gemeinschaftlich getäuscht. Zur konkreten Täuschungshandlung trägt die Beklagte somit bloße Mutmaßungen vor, ohne die erforderliche Substantiierung vorzunehmen.

Der Kläger selbst behauptet allerdings, sowohl am 02.06.2018 als auch am 08.12.2018 vor Ort anwesend gewesen zu sein und seine Arbeitsleistung vollständig erbracht zu haben. Ein atypischer Ablauf, bei dem der Arbeitnehmer sich, etwa infolge eines Unwohlseins, zur vorzeitigen Beendigung der Schicht veranlasst sieht, ist damit auszuschließen. Der Kläger hat auch die vollständige Entlohnung für die jeweilige Mehrarbeitsschicht entgegengenommen, ohne der Beklagten eine Überzahlung anzuzeigen. Hätte der Kläger diese Schichten nicht bzw. nicht vollständig abgeleistet, so wäre es spätestens im Rahmen der am 26.08.2019 durch die Werksicherheit erfolgten Befragung seine Pflicht gewesen, auf diesen Umstand hinzuweisen. Das gilt jedenfalls für die Schicht vom 02.06.2018, bei der der Kläger das Werksgelände nach der Behauptung der Beklagten vor Beginn der Schicht sowohl betreten als auch gleich wieder verlassen haben soll. Ein derartiger Vorgang ist derart auffällig, dass er dem Arbeitnehmer auch nach mehr als einem Jahr noch im Gedächtnis bleiben muss. Eine Täuschungshandlung über die Anwesenheit in der Mehrarbeitsschicht vom 02. auf den 03.06.2018 läge damit jedenfalls im nachfolgenden Verhalten des Klägers, sollte die Behauptung der Beklagten über die Abläufe an diesem Tag nachweislich zutreffen.

e) Der Kläger hat die ihm vorgeworfenen Pflichtwidrigkeiten ausreichend bestritten. Die Beklagte hatte daher ihre Behauptungen, der Kläger habe sowohl am 02.06.2018 als auch am 08.12.2018 den Arbeitsplatz vorzeitig verlassen sowie am 02.06.2018 unberechtigt den Ausweis seines Kollegen K. vor das Kartenlesegerät gehalten, zu beweisen. Diesen Beweis vermag die Beklagte im Ergebnis nicht zu führen.

aa) Der Beklagten ist es verwehrt, Daten, die sie mit Hilfe der elektronischen Anwesenheitserfassung durch Betrieb von Kartenlesern gewonnen hat, in das Verfahren einzuführen.

Die Beklagte hat mit ihrem Betriebsrat für den Betrieb H. am 17.10.2007 eine ab dem 01.01.2008 gültige und bis heute in Kraft befindliche Betriebsvereinbarung abgeschlossen. Regelungsgegenstand ist die Einführung einer elektronischen Anwesenheitserfassung in Gestalt eines sog. „elektronischen Hakens“, der der frühzeitigen Information der betrieblichen Vorgesetzten über die Anwesenheit dienen soll. Weiter ist geregelt, dass die Anwesenheitserfassung durch Kartenleser an den Werkstoren erfolgt. Im dritten Absatz enthält die Betriebsvereinbarung die ausdrückliche und klare Regelung, dass keine personenbezogene Auswertung von Daten erfolgt. Da offenkundig eine „personenbezogene Auswertung“ nach dem Inhalt der Betriebsvereinbarung insofern geschieht, als die betrieblichen Vorgesetzten den durch die Zutrittserfassung gesetzten elektronischen Haken zur Kenntnis nehmen können und sollen, ist diese Regelung derart auszulegen, dass eine personenbezogene Auswertung über diese Kenntnisnahme hinaus nicht erfolgen darf. Diese Regelung in der Betriebsvereinbarung gilt unmittelbar und zwingend (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) und soll den betroffenen Arbeitnehmern, wie ihre Auslegung durch das erkennende Gericht ergibt, eigene Rechte einräumen.

Der Kläger beruft sich vorliegend auch ausdrücklich darauf, dass die Verwertung der durch das Kartenlesegerät über ihn gewonnenen Daten unzulässig sei. Die Beklagte muss sich an die Regelungen in der Betriebsvereinbarung dem Kläger gegenüber gebunden halten. Dies gilt selbst für den Fall, dass, wie die Beklagte behauptet, das örtlich und sachlich zuständige Betriebsratsgremium der Verwertung der durch die Kartenlesegeräte gewonnenen Erkenntnisse über die Bewegungen des Klägers nachträglich zugestimmt haben sollte. Eine rückwirkende Beseitigung der dem Kläger durch die Betriebsvereinbarung eingeräumten Rechte ist nicht möglich, da der Kläger insoweit Vertrauensschutz genießt. Mindestens hat die Beklagte den Kläger durch den Abschluss der Betriebsvereinbarung „in Sicherheit gewiegt“, so dass eine „berechtigte Privatheitserwartung“ des Klägers bestand und daraus folgend im vorliegenden Verfahren ein Verbot der Verwertung der durch die Kartenlesegeräte gewonnenen Daten besteht (vgl. hierzu auch die Erwägungen in BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239; BAG 28. März 2019 – 8 AZR 421/17 –, NZA 2019, 1212).

bb) Die von der Beklagten in das Verfahren eingeführten Videoaufzeichnungen sowie angebotene Aussagen von Zeugen, die diese Aufzeichnungen angesehen und ausgewertet haben, sind ebenfalls nicht verwertbar.

aaa) Der Beklagten ist es bereits deshalb verwehrt, auch die mit Hilfe der Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse in das Verfahren einzuführen, weil auch hier zu ihren Lasten davon auszugehen ist, dass sie den Kläger in Sicherheit gewiegt und dessen berechtigte Privatheitserwartung verletzt hat.

Die Videoüberwachung ist zwischenzeitlich nicht nur mit einem Piktogramm, sondern darüber hinaus auch mit Hinweistexten versehen worden. Der Kläger hat ein Foto der jetzigen Ausgestaltung zur Gerichtsakte gereicht (Bl. 512 d.A.). Dort ist unter der Überschrift „Dauer der Datenspeicherung“ folgende Regelung getroffen: „Die Daten werden 96 Stunden vorgehalten“. Gegen diese selbst aufgestellte Regel hätte die Beklagte vorliegend eklatant verstoßen, da sie bei ihren Untersuchungen, die nicht vor dem Jahr 2019 begannen, auf Aufzeichnungen zurückgegriffen hat, die sämtlich im Jahr 2018, nämlich am 02.06., 17.11., 02.12. und 08.12., gefertigt wurden. Zwar war dieses Hinweisschild jedenfalls am 02.06.2018 offenbar noch nicht vorhanden. Dennoch bietet es einen Anhaltspunkt dafür, dass die Beklagte bei dem Betrieb der Videoanlage eine entsprechende Selbstbindung eingegangen ist. Um die dahingehende Behauptung des Klägers prüfen zu können, hat das Gericht der Beklagten mit Beschluss vom 22.11.2021 aufgegeben, irgend geartete Regelungswerke zur Videoüberwachung in Kopie zur Gerichtsakte zu reichen. Dem ist die Beklagte allerdings nur unzureichend nachgekommen, indem sie das „Betriebskonzept Videosystem Werk H.“ aus dem Jahr 2012 nur auszugsweise, nämlich in Gestalt der Seiten 1, 15, 22, 24 und 25 (von insgesamt 37 Seiten), zur Gerichtsakte gereicht hat. Dies stellt nicht nur eine höchst ungewöhnliche Weise dar, mit gerichtlichen Auflagen zu verfahren, sondern geht prozessual zu Lasten der Beklagten, da die Behauptung des Klägers, die Beklagte sei von Anfang an eine Selbstbindung einer Vorhaltedauer von nur 96 Stunden eingegangen, folgerichtig als zutreffend zu unterstellen ist. Hierauf darf sich der Kläger verlassen und die berechtigte Erwartung hegen, dass auf die gefertigten Videoaufzeichnungen nicht über den Zeitraum der zurückliegenden 96 Stunden hinaus zurückgegriffen wird.

bbb) Zu Gunsten des Klägers greift zudem ein Beweisverwertungsverbot ein. Hierauf stützt die Kammer ihre Erwägungen im Verhältnis zu den Ausführungen unter aaa) selbstständig und tragend.

Auf die hier streitgegenständlichen behaupteten Pflichtwidrigkeiten sind das Bundesdatenschutzgesetz in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung (im Folgenden nur: BDSG) sowie die Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union (EU-Verordnung 2016/679) anzuwenden.

Die Datenschutz-Grundverordnung (im Folgenden nur: DSGVO) ist am 24. Mai 2016 in Kraft getreten. Sie beansprucht seit dem 25.05.2018 in der gesamten Europäischen Union (EU) Geltung und hat die bisherige allgemeine Datenschutz-Richtlinie 95/46/EG ersetzt.

Die hier streitgegenständlichen Vorgänge beziehen sich sämtlich auf Tattage, die zeitlich ab dem 25.05.2018 gelegen sind. Die Beklagte hatte bei dem Einsatz der Videoüberwachungsanlage an den betreffenden Tagen die Bestimmungen der DSGVO und des BDSG in der ab dem 25.05.2018 geltenden Fassung zu beachten.

ccc) Für ein Beweisverwertungsverbot kommt es auf die Frage an, ob ein Eingriff in das Recht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung vorliegt und ob dieser Eingriff zulässig ist. Sofern die Datenerhebung und -verwertung nach den Bestimmungen des BDSG erfolgen durfte, kommt ein Beweisverwertungsverbot nicht in Betracht. Ist dies nicht der Fall, muss im Einzelfall geprüft werden, ob die Verwertung der so gewonnenen Beweismittel durch das Gericht im Einzelfall einen Grundrechtsverstoß darstellt. Dies entspricht der Rechtsprechung des Zweiten Senats des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - BAGE 163, 239), der das erkennende Gericht sich anschließt.

(1) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Bestimmungen, die die Verwertbarkeit von Erkenntnissen oder Beweismitteln einschränken, die eine Arbeitsvertragspartei rechtswidrig erlangt hat. Ein Verwertungsverbot kann sich allerdings aus einer verfassungskonformen Auslegung des Verfahrensrechts ergeben. Da der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG aber grundsätzlich gebietet, den Sachvortrag der Parteien und die von ihnen angebotenen Beweise zu berücksichtigen, kommt ein „verfassungsrechtliches Verwertungsverbot“ dann in Betracht, wenn dies wegen einer grundrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 14 mwN, BAGE 163, 239). Dies setzt in aller Regel voraus, dass die betroffenen Schutzzwecke des verletzten Grundrechts der Verwertung der Erkenntnis oder des Beweismittels im Rechtsstreit entgegenstehen. Die prozessuale Verwertung muss selbst einen Grundrechtsverstoß darstellen. Das ist der Fall, wenn das nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebundene Gericht ohne Rechtfertigung in eine verfassungsrechtlich geschützte Position einer Prozesspartei eingriffe, indem es eine Persönlichkeitsrechtsverletzung durch einen Privaten perpetuierte oder vertiefte. Insofern kommt die Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte gegen den Staat zum Tragen. Auf eine nicht gerechtfertigte Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts durch einen Privaten darf kein verfassungswidriger Grundrechtseingriff durch ein Staatsorgan „aufgesattelt“ werden.

(2) Obgleich die Vorschriften des BDSG nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen begrenzen, und obwohl es für das Eingreifen eines Verwertungsverbots darauf ankommt, ob bei der Erkenntnis- oder Beweisgewinnung das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt worden ist, sind die einfachrechtlichen Vorgaben insofern nicht ohne Bedeutung. Die Bestimmungen des BDSG über die Anforderungen an eine zulässige Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung konkretisieren und aktualisieren für den Einzelnen den Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (vgl. vor allem die in §§ 32 ff. BDSG n.F. geregelten Rechte der betroffenen Person). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nicht-öffentliche Stellen in diese Rechtspositionen erlaubt sind (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239 zum BDSG a.F.).

(3) § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG stellt für die Verarbeitung und Nutzung von personenbezogenen Daten eines Beschäftigten, die der Arbeitgeber durch eine Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Räume erlangt hat, eine eigenständige, von den Voraussetzungen des § 4 BDSG unabhängige Erlaubnisnorm dar. Ist danach eine bestimmte Datenverarbeitung oder -nutzung rechtmäßig, kommt es im Verhältnis zu den betroffenen Arbeitnehmern nicht darauf an, ob die Anforderungen gemäß § 4 BDSG erfüllt sind. Die für die Überwachung im öffentlichen Raum geltende Bestimmung schließt eine eigenständige Rechtfertigung der Datenverarbeitung nach § 26 BDSG nicht aus. Diese Vorschrift dient speziell dem Ausgleich der Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern in Bezug auf den Beschäftigtendatenschutz (BT-Drs. 16/13657 S. 20 f.). Dagegen soll § 4 BDSG - unabhängig von den aufgrund der engeren schuldrechtlichen Bindungen im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses bestehenden Interessen - den Schutz der Allgemeinheit vor einem Ausufern der Videoüberwachung im öffentlichen Raum gewährleisten. Für die Eigenständigkeit der Erlaubnistatbestände des § 26 BDSG spricht auch, dass die Videoüberwachung nicht öffentlich zugänglicher (Arbeits-)Räume im BDSG nicht gesondert geregelt ist. Ihre Zulässigkeit richtet sich daher, soweit Arbeitnehmer betroffen sind, allein nach § 26 BDSG. Es erschiene aber wenig plausibel, wenn bezogen auf den Beschäftigtendatenschutz von Arbeitnehmern, die in öffentlich zugänglichen Räumen arbeiten, andere Maßstäbe gelten sollten als für Arbeitnehmer, die dies nicht tun (vgl. zu alledem - noch zum BDSG a.F. - BAG 23. August 2018 – 2 AZR 133/18 –, BAGE 163, 239; BAG 22. September 2016 - 2 AZR 848/15 - Rn. 43, BAGE 156, 370).

(4) Die Verarbeitung und Nutzung von rechtmäßig erhobenen personenbezogenen Daten nach § 26 Abs. 1 Satz 1 BDSG muss „erforderlich“ sein. Es hat eine „volle“ Verhältnismäßigkeitsprüfung zu erfolgen (vgl. BAG 17. November 2016 - 2 AZR 730/15 - Rn. 30). Die Verarbeitung und die Nutzung der personenbezogenen Daten müssen geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der gewährleisteten Freiheitsrechte angemessen sein, um den erstrebten Zweck zu erreichen. Es dürfen keine anderen, zur Zielerreichung gleich wirksamen und das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen weniger einschränkenden Mittel zur Verfügung stehen. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) ist gewahrt, wenn die Schwere des Eingriffs bei einer Gesamtabwägung nicht außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe steht. Die Datenverarbeitung und -nutzung darf keine übermäßige Belastung für die Betroffenen darstellen und muss der Bedeutung des Informationsinteresses des Arbeitgebers entsprechen (BAG 27. Juli 2017 - 2 AZR 681/16 - Rn. 30, BAGE 159, 380). Dies beurteilt sich ggf. für jedes personenbezogene Datum gesondert.

(5) War die betreffende Maßnahme nach den Vorschriften des BDSG zulässig, liegt insoweit keine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild vor. Ein Verwertungsverbot scheidet von vornherein aus. So liegt es namentlich, wenn die umfassende Abwägung der widerstreitenden Interessen und Grundrechtspositionen im Rahmen der Generalklauseln des § 32 Abs. 1 BDSG aF (jetzt: § 26 Abs. 1 BDSG) zugunsten des Arbeitgebers ausfällt (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15, BAGE 163, 239).

(6) War die fragliche Maßnahme nach den Bestimmungen des BDSG nicht erlaubt, muss gesondert geprüft werden, ob die Verwertung von im Zuge dieser Maßnahme gewonnenen Erkenntnissen oder Beweismitteln durch das Gericht einen Grundrechtsverstoß darstellen würde. Daran kann es zum einen fehlen, wenn die Unzulässigkeit der vom Arbeitgeber durchgeführten Maßnahme allein aus der (Grund-)Rechtswidrigkeit der Datenerhebung(en) gegenüber anderen Beschäftigten resultiert oder die verletzte einfachrechtliche Norm keinen eigenen „Grundrechtsgehalt“ hat. Zum anderen kann es sein, dass die gerichtliche Verwertung weder einen ungerechtfertigten Grundrechtseingriff darstellt noch aufgrund einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zu unterlassen ist, weil durch sie die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Prozesspartei nicht perpetuiert oder vertieft würde und der Verwertung auch Gründe der Generalprävention nicht entgegenstehen (BAG 23. August 2018 - 2 AZR 133/18 - Rn. 15 mwN, BAGE 163, 239).

(7) Sofern danach ein Beweisverwertungsverbot wegen eines Verstoßes gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht besteht, erfasst dieses nicht allein das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, sondern steht auch einer mittelbaren Verwertung, wie der Vernehmung von Zeugen über den Inhalt des Beweismittels, entgegen (vgl. BVerfG 31. Juli 2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe; BAG 20. Oktober 2016 - 2 AZR 395/15 - Rn. 19, BAGE 157, 69). In solchen Fällen darf folgerichtig weder eine Inaugenscheinnahme der Videoaufnahmen erfolgen, noch darf das Gericht dem weiteren Beweisangebot der Beklagten auf Vernehmung der mit der Auswertung der Aufnahmen betrauten Personen als Zeugen nachgehen.

ddd) Die Heranziehung, Betrachtung und Auswertung der Videoaufzeichnungen der an den Toreingängen zum Betriebsgelände der Beklagten installierten Kameras zum Zwecke der Prüfung, wann der Kläger das Betriebsgelände betreten und verlassen hat, stellt eine Verarbeitung personenbezogener Daten von Beschäftigten iSd. § 26 Abs. 1 BDSG dar. Sie ist vorliegend weder für die Durchführung noch für die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses (Satz 1) noch für die Aufdeckung einer Straftat (Satz 2) erforderlich.

(1) Es fehlt bereits an der grundsätzlichen – abstrakten - Geeignetheit des eingesetzten Mittels der Videoüberwachung, um den hier von der Beklagten erstrebten Zweck der Überprüfung eines vertragsgemäßen Verhaltens sowie des Nachweises eines Arbeitszeitbetruges zu führen. Die Aufzeichnungen der Videokameras dokumentieren lediglich den Zutritt der Arbeitnehmer auf das Werksgelände sowie das Verlassen desselben. Die Arbeitszeit beginnt nach der bei der Beklagten geltenden Arbeitsordnung nicht mit dem Betreten des Werksgeländes und endet nicht mit dessen Verlassen. Sie beginnt erst und endet schon mit dem Erreichen bzw. Verlassen des auf dem weitläufigen Betriebsgelände befindlichen Arbeitsplatzes. Aus der Videoaufzeichnung kann nur auf eine Anwesenheit des Arbeitnehmers auf dem Betriebsgelände, nicht aber auf seine Anwesenheit am Arbeitsplatz geschlossen werden. Zudem ist fraglich, ob Arbeitnehmer, die das Werksgelände mit Schutzkleidung oder – beispielsweise im Winter – mit Kopfbedeckung betreten, stets hinreichend klar identifiziert werden können. Angesichts des Umstandes, dass der Zugang zum Werksgelände durch zahlreiche Eingänge möglich ist, wären Schlüsse auf die An- oder Abwesenheit von Arbeitnehmern auf dem Werksgelände zudem grundsätzlich nur dann mit hinreichender Sicherheit zu ziehen, wenn die Aufzeichnungen sämtlicher Videokameras für den betreffenden Zeitraum lückenlos, also ohne zeitliche Unterbrechungen, gefertigt und auch ausgewertet würden, da ansonsten nicht sicher davon ausgegangen werden kann, dass sämtliche Zutritte, auch z.B. solche, die im Anschluss an das Verlassen des Werksgeländes (z.B. nach einer Pause) erneut erfolgen, auch erkannt werden.

(2) Das Mittel der Videoüberwachung und -aufzeichnung ist darüber hinaus zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht erforderlich, da hierzu andere Mittel zur Verfügung stehen, die die Ableistung von Arbeitszeiten verlässlicher dokumentieren. So kann an dem Ort, an dem die Arbeitsleistung nach der Arbeitsordnung der Beklagten beginnt und endet – d.h., der Betriebsabteilung auf dem Gelände, in der sich der Arbeitsplatz befindet – eine Anwesenheitserfassung der Beschäftigten durch Vorgesetzte oder auch durch technische Einrichtungen wie eine Stempelkarte erfolgen. Soll die Dokumentation der An- und Abwesenheit bereits beim Zu- und Abgang auf bzw. vom Werksgelände erfolgen, kann auch im Zusammenhang damit eine elektronische Anwesenheitserfassung in Form von Karten und Kartenlesegeräten an den Werkstoren Verwendung finden, wobei dann die Befugnisse der Beklagten zur Auswertung dieser Daten nicht – wie vorliegend geschehen – durch Betriebsvereinbarung dahingehend eingeschränkt werden dürften, dass eine personenbezogene Auswertung nicht stattfinde. Weiß der Arbeitnehmer, dass er sich mit der Verwendung einer Karte nicht nur den Zugang freischaltet, sondern seine Anwesenheitszeiten zum Zwecke des Nachweises der Erbringung von Arbeitsleistung erfasst, und ist die Befugnis der Auswertung der gewonnenen Daten zu diesem Zweck auch klar geregelt, stünde deren Verwertung – auch im Rahmen einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses – nichts entgegen.

(3) Das Mittel der Videoüberwachung ist schließlich vorliegend zur Kontrolle geleisteter Arbeitszeiten und zur Aufdeckung einer damit im Zusammenhang stehenden Straftat auch nicht angemessen. Sowohl die sachliche als auch die zeitliche Intensität des Eingriffs sind erheblich und stehen vorliegend außer Verhältnis zu dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe. Die Videokameras erfassen sämtliche Zu- und Abgänge von Arbeitnehmern an sämtlichen Eingängen zum Betriebsgelände durch Bildaufzeichnungen. Aus ihnen lassen sich auch Schlüsse darauf ziehen, mit welchem zeitlichen Vorlauf zum Beginn der Arbeitszeit der Arbeitnehmer das Gelände betritt, wie er gekleidet ist, ob und von wem er ggf. begleitet wird u.a.m. Vor allem aber hat die Beklagte bei ihren Untersuchungen von Unregelmäßigkeiten auf Videoaufzeichnungen zurückgegriffen, die erhebliche Zeit zurücklagen. Der Untersuchungsbericht der Konzern Sicherheit Forensik führt als Datum den „07.06.2019“ auf. Da der Bericht zeitlich nachgelagerte Ereignisse enthält, so etwa die sämtlich am 26.08.2019 durchgeführten Befragungen des Klägers und seiner Kollegen, kann der Bericht nicht am 07.06.2019 abgeschlossen worden sein. Ob es sich um den Beginn der Ermittlungen handelt, ist nicht vollständig klar. Jedenfalls liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beginn der Ermittlungen eine maßgebliche Zeit vor dem 07.06.2019 lag. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Beklagte sich zur Aufklärung der anonym erhobenen Vorwürfe der Sichtung von Videoaufzeichnungen bedient hat, die seinerzeit bereits (teilweise) ein Jahr lang zurücklagen. Diese Vorgehensweise widerspricht eklatant den Grundsätzen der Datenminimierung und Speicherbegrenzung, die in Art. 5 DSGVO als dem maßgeblichen und nicht durch Art. 88 DSGVO verdrängten europäischen Recht ihren Niederschlag gefunden haben, wobei angesichts des zeitlichen Ausmaßes des Rückgriffs unentschieden bleiben kann, ob die – auch aus Sicht der Kammer recht weitgehende - Ansicht der Datenschutzaufsichtsbehörden (DSK, Kurzpapier Nr. 15) zutrifft, dass Videoaufzeichnungen regelmäßig binnen 48 Stunden zu löschen sind.

(4) Die Sachlage ändert sich auch nicht dadurch, dass die Beklagte mit der Einrichtung der Videoüberwachung primär die Verhinderung des Zutritts Unbefugter auf das Betriebsgelände sowie die Unterbindung bzw. den Nachweis von Eigentumsdelikten verfolgt bzw. verfolgen mag. Auch wenn man davon ausgeht, dass diese Zwecke eine präventive, offene Videoaufzeichnung und ggf. auch die Speicherung der Aufzeichnungen für längere Zeiträume rechtfertigen könnten, ist es der Beklagten verwehrt, diese Aufzeichnungen zum Zweck der Aufklärung des Verdachts eines Arbeitszeitbetruges heranzuziehen. Das gilt jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem die Beklagte die bei ihr vorgehaltenen Aufzeichnungen gezielt im Hinblick auf den Verdacht eines Arbeitszeitbetruges gesichtet hat. Es handelt sich damit nicht um einen ggf. verwertbaren „Zufallsfund“, der aus Anlass einer zulässigen, anders gearteten Verwertung der Videoaufzeichnungen entstanden ist.

eee) Die Verwertung der im Zuge der Videoüberwachung gewonnenen Erkenntnisse und Beweismittel der Beklagten durch das Gericht würde vorliegend auch einen Grundrechtsverstoß darstellen. Die seitens der Beklagten durchgeführte Maßnahme ist nicht allein deshalb unzulässig, weil ihre Datenerhebung gegenüber anderen Beschäftigten rechtswidrig wäre, sie ist vielmehr gerade deshalb unzulässig, weil sie sachlich und zeitlich in erheblicher Weise in das Persönlichkeitsrecht (Art. 1 GG) des Klägers eingreift. Würde eine gerichtliche Verwertung erfolgen, stellte dies einen erneuten ungerechtfertigten Grundrechtseingriff dar und wäre aufgrund der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht des Gerichts zu unterlassen, weil hierdurch die ungerechtfertigte „vorprozessuale“ Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers in erheblichem Maße perpetuiert und vertieft würde. Schließlich gebieten auch Gründe der Generalprävention, die Videoaufzeichnungen der Beklagten nicht zum Zweck des Nachweises eines behaupteten, lange Zeit zurückliegenden Arbeitszeitbetruges zu verwerten.

cc) Das Gericht hatte auch keinen Zeugenbeweis zu erheben.

Aus dem oben Ausgeführten folgt, dass das Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der Videoaufzeichnungen sich auf die Vernehmung der Zeugen erstreckt, die nach dem Beweisangebot der Beklagten über die bei Sichtung des Videos gemachten Beobachtungen berichten sollen.

Auch soweit die Beklagte sich auf das Zeugnis der Herren U. und B. im Hinblick auf deren unabhängig von Videoaufzeichnungen gemachte Beobachtungen beruft, war dem nicht nachzugehen. Der Kläger hat ausgeführt, dass die Zeugen an den streitgegenständlichen Tagen nicht in den Mehrarbeitsschichten anwesend gewesen seien und daher aus eigenem Erleben zur Anwesenheit oder Nichtanwesenheit des Klägers nichts berichten könnten. Die Beklagte ist dem nicht entgegengetreten. Sie hat nichts dazu ausgeführt, weshalb die Zeugen etwas zum Beweisthema beitragen könnten. Die Vernehmung der Zeugen hätte daher einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dargestellt.

f) Auch die ordentliche Tatkündigung vom 09.10.2019 ist nicht sozial gerechtfertigt, da die behaupteten Pflichtwidrigkeiten des Klägers nicht erwiesen sind.

g) Die Kündigung ist des Weiteren auch nicht als außerordentliche oder ordentliche personenbedingte Kündigung in Gestalt einer Verdachtskündigung wirksam, da es an einem hinreichend dringenden Verdacht dafür, dass der Kläger die ihm vorgeworfenen Betrügereien begangen hat, fehlt. Ein solcher Verdacht ergibt sich nicht bereits aus einer wie auch immer gearteten anonymen Anzeige. Die technischen Aufzeichnungen der Beklagten sind auch im Rahmen der Prüfung einer personenbedingten Kündigung nicht heranzuziehen; es gelten die zur außerordentlichen und ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung getätigten Ausführungen. Weitere Umstände, die geeignet wären, einen hinreichend dringenden Verdacht des Arbeitszeitbetruges gegen den Kläger zu begründen, sind nicht ersichtlich.

2. Die Berufung der Beklagten bleibt auch erfolglos, soweit sie sich gegen die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses richtet.

a) Nach § 109 GewO kann der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein (End-) Zeugnis verlangen. Die Voraussetzungen, unter denen ein Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen kann, sind gesetzlich nicht geregelt. Soweit tarifliche Regelungen nicht bestehen, kann sich die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses als vertragliche Nebenpflicht ergeben. Eine solche Verpflichtung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer aus einem triftigen Grund auf ein Zwischenzeugnis angewiesen ist. Das ist u.a. dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis wegen der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Bewerbungszwecken benötigt. Nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Ende der Laufzeit eines befristeten Vertrags kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nur ein (Abschluss-)Zeugnis beanspruchen. Streiten die Parteien aber gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Der Anspruch hierauf entfällt erst mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsrechtsstreits (BAG, Urteil vom 4. November 2015 – 7 AZR 933/13 –, Rn. 39, juris).

b) Wie die Parteien in der Kammerverhandlung vom 06.07.2022 übereinstimmend klargestellt haben, hat die Beklagte ihre erstinstanzlich titulierte Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses auch noch nicht erfüllt.

III. Der Auflösungsantrag der Beklagten war abzuweisen, da er unschlüssig ist. Der Beklagten steht bereits auf der Grundlage ihres eigenen Vortrages kein Anspruch darauf zu, dass das Gericht das Arbeitsverhältnis der Parteien gegen beklagtenseitige Zahlung einer Abfindung auflöst.

1. Die Beklagte hat im Termin vom 06.07.2022 einen Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gestellt. Die Antragstellung ist nach § 9 Abs. 1 Satz 3 KSchG bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz möglich. Aufgrund dieser Sonderregelung bedarf die Antragstellung weder der Einwilligung der Gegenseite noch der Zulassung durch das Gericht gem. §§ 263, 533 ZPO.

2. Die Beklagte ist mit Gründen, die – wie hier – wohl auch schon bereits zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht vorlagen, nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie die Auflösung des Arbeitsverhältnisses erst in der Berufungsinstanz beantragt hat. Im Gesetzeswortlaut ist eine solche Beschränkung der für die Zukunftsprognose zu berücksichtigenden Gründe nicht angelegt. Sie ergibt sich auch nicht aus dem Regelungszweck der Norm. Nur aus einer umfassenden Gesamtschau der zum Zeitpunkt der Auflösungsentscheidung maßgeblichen Umstände kann eine gesicherte Prognose darüber getroffen werden, ob für die Zukunft noch eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit iSv. § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG zu erwarten ist. Dem berechtigten Interesse des Arbeitnehmers, nicht weit zurückliegende Vorfälle ohne Aussagekraft für die zukünftig zu erwartende Zusammenarbeit als Auflösungsgründe heranzuziehen, ist dadurch Rechnung getragen, dass es auf die Beurteilung der objektiven Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung ankommt. Zu diesem Zeitpunkt können aufgrund der zeitlichen Entwicklung und damit verbundener veränderter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände länger zurückliegende Umstände ihre Bedeutung für die erforderliche Zukunftsprognose verloren haben (BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15, NZA 2016, 540; BAG 7.3.2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe).

3. Der Umstand, dass die Beklagte ihren Schriftsatz vom 06.07.2022 unter Verstoß gegen § 46g Satz 1 ArbGG im Termin vom gleichen Tage ausschließlich in Papierform eingereicht hat, steht der Berücksichtigung ihrer in diesem Schriftsatz enthaltenen Begründung für den Auflösungsantrag nicht entgegen.

Zwar sind „vorbereitende Schriftsätze“ iSd. § 46g Satz 1 ArbGG bzw. des im Wesentlichen inhaltsgleichen § 130d S. 1 ZPO nach zutreffender Ansicht alle, die bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung eingereicht oder übergeben werden. Daher sind auch im Termin übergebene Schriftsätze vom Wortlaut des § 46g S. 1 ArbGG erfasst, der ohnehin sehr weit verstanden wird. Würde man allerdings davon ausgehen, dass in der Situation der mündlichen Verhandlung Papierschriftsätze nicht formwirksam eingereicht werden können, so zöge dies eine Einschränkung der prozesstaktischen Handlungsmöglichkeiten nach sich, die vom Zweck der beA-Nutzungspflicht nicht mehr gedeckt wäre. Mit deren Einführung sollte die überfällige Digitalisierung der Rechtspflege gefördert und die Einführung elektronischer Akten durch Vermeidung von Medienbrüchen erleichtert, nicht aber in die Handlungsmöglichkeiten der Parteien und ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung eingegriffen werden, die nach wie vor den Kern jedes zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens darstellt. Mit diesem Zweck ist es ohne Weiteres vereinbar, jedenfalls zur Begründung von erstmals in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsanträgen die Übergabe von Papierschriftsätzen zuzulassen, auch wenn diese dann nach Maßgabe des § 46e ArbGG durch das Gericht in die elektronische Form übertragen werden müssen. Die berechtigten Interessen und Prozessrechte der Parteien überwiegen in diesem Fall das Interesse der Gerichte an einer Vermeidung von Medienbrüchen. Die zur Digitalisierung nach § 46e ArbGG erforderliche Infrastruktur müssen die Gerichte bei Einführung elektronischer Akten wegen des derzeit nicht vermeidbaren weiteren Papieraufkommens (zB Zustellungsurkunden, Einreichungen durch Naturalparteien) im Arbeitsgerichts- und Zivilprozess ohnehin schaffen und vorhalten. Insofern stellt die ausnahmsweise Digitalisierung von in der mündlichen Verhandlung übergebenen Anwaltsschriftsätzen eine hinnehmbare Mehrbelastung bzw. konkret eine hinnehmbare Verminderung der mit § 46g ArbGG geschaffenen Reduzierung von Medienbrüchen für die „eAkten-Gerichte“ dar. Das Gericht kann im Übrigen entsprechend § 46g S. 4 Hs. 2 ArbGG in einem solchen Fall die unverzügliche Nachreichung des betreffenden Schriftstücks in elektronischer Form anfordern. Mithin spricht eine am Zweck der Vorschrift orientierte Auslegung unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Prozessparteien für eine teleologische Reduktion der Vorschrift, die im Termin übergebene Schriftsätze von deren Anwendungsbereich ausnimmt (vgl. – zu § 130d ZPO und weitergehend als hier - Hettenbach/Müller, Die Übergabe von Papierschriftsätzen im Termin in Zeiten der „beA-Nutzungspflicht“, NJW 2022, 815).

4. Die Gewährung des beantragten Schriftsatznachlasses für den Kläger musste nicht erfolgen, da die Angelegenheit auch bezüglich des gestellten Auflösungsantrages entscheidungsreif ist. Dem Auflösungsantrag ist selbst dann, wenn man das Beklagtenvorbringen als unstreitig unterstellt, nicht stattzugeben, da die vorgebrachten Gründe eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht rechtfertigen können.

a) Stellt das Gericht in einem Kündigungsschutzprozess fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die als sozial ungerechtfertigt erkannte Kündigung aufgelöst worden ist, hat es nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung aufzulösen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht erwarten lassen.

Das KSchG ist seiner Konzeption nach ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz, so dass an den Auflösungsgrund strenge Anforderungen zu stellen sind (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42 ff., AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 a der Gründe mwN, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52). Ein Auflösungsantrag kommt vor allem dann in Betracht, wenn während eines Kündigungsschutzprozesses zusätzliche Spannungen zwischen den Parteien auftreten, die eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sinnlos erscheinen lassen (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 42, aaO; BAG 12. Januar 2006 - 2 AZR 21/05 - Rn. 65, AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 = EzA KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67).

b) Für die Entscheidung über den Auflösungsantrag kommt es auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz an (BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 52 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 52; BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45). Der Auflösungsantrag ist trotz seiner nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung auf den Kündigungszeitpunkt in die Zukunft gerichtet. Das Gericht hat eine Vorausschau anzustellen. Im Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag ist zu fragen, ob in Zukunft noch mit einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit der Parteien zu rechnen ist. Es geht um die Würdigung, ob die zum Zeitpunkt der abschließenden Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegebenen Umstände eine künftige gedeihliche Zusammenarbeit noch erwarten lassen (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 43, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; BAG 23. Juni 2005 - 2 AZR 256/04 - zu II 2 b der Gründe, aaO).

c) Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen solche Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, die Wertung seiner Persönlichkeit, seiner Leistung oder seiner Eignung für die ihm gestellten Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen allerdings nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Vielmehr kommt es darauf an, ob die objektive Lage die Besorgnis rechtfertigt, dass die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer gefährdet ist (BAG 10. Juli 2008 - 2 AZR 1111/06 - Rn. 44, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 181 = EzA KSchG § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 163; BAG 7. März 2002 - 2 AZR 158/01 - zu B II 2 b der Gründe, AP KSchG 1969 § 9 Nr. 42 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 45).

d) Gelangt ein Gericht zu dem Ergebnis, dass an sich geeignete Auflösungsgründe vorliegen, hat es im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtabwägung zu berücksichtigen, inwieweit diese durch den Arbeitgeber oder durch Personen, für die er nach § 278 BGB einzustehen hat, provoziert worden sind. Dazu genügt es, wenn die dem Arbeitgeber zuzurechnenden Anteile an der Verursachung der Spannungen gegenüber den Anteilen des Arbeitnehmers überwiegen (vgl. BAG 2. Juni 2005 - 2 AZR 234/04 - AP KSchG 1969 § 9 Nr. 51 = EzA KSchG § 9 nF Nr. 51). Auch ist das eigene Prozessverhalten des Arbeitgebers in die Abwägung einzubeziehen (BAG 10. Juli 2008 – 2 AZR 1111/06 – Rn. 56).

e) Die Beklagte begründet ihren Auflösungsantrag damit, dass der Kläger im Prozess wahrheitswidrig vorgetragen habe, indem er in Abrede gestellt habe, dass es zu den Zeitpunkten, in denen die streitgegenständlichen Videoaufnahmen gefertigt wurden, eine darauf hinweisende Beschilderung bei der Beklagten gegeben habe.

Tatsächlich hat der Kläger allerdings schriftsätzlich lediglich behauptet, dass es keine Kennzeichnung betreffend eine Fertigung von Videoaufnahmen (Schriftsatz vom 01.03.2021) bzw. keinen „Hinweis zur Videoüberwachung“ (Schriftsatz vom 15.11.2021) gegeben habe. In einem Schriftsatz vom 10.02.2022 hat er vorgetragen, dass „mittlerweile Kennzeichen und Hinweisschilder an dem Tor vorhanden sind, die zu dem damaligen Zeitpunkt nicht vorhanden waren und neu angebracht wurden“. Das seinerzeit offenkundig (vgl. die Fotografie Bl. 562 d.A.) bereits vorhandene blaue Piktogramm, das eine Kamera zeigt, findet in den Schriftsätzen des Klägers keine Erwähnung. Ob man allerdings aus der bloßen Anbringung dieses Piktogramms ohne näheren, erläuternden Text bereits hinreichend klar schließen kann, dass die Eingänge nicht nur durch Videokameras in Echtzeit überwacht werden, sondern darüber hinaus auch eine Aufzeichnung erfolgt, kann durchaus Gegenstand unterschiedlicher Sichtweisen sein. Dass sich die damalige und die heutige Beschilderungssituation erheblich unterscheiden, ist im Laufe der gerichtlichen Auseinandersetzung unstreitig geworden, so dass die Beklagte auch die dahingehenden Ausführungen des Klägers nicht mit Recht beanstanden kann. Als beanstandungsfähige Ausführungen verbleibt somit lediglich die Behauptung im Schriftsatz vom 15.11.2021 sowie die mündliche Erklärung des Prozessvertreters des Klägers in der Kammerverhandlung vom 22.11.2021, dass es am 02.06.2018 „keine irgend geartete Beschilderung, die auf die Videoüberwachung hinwies“, gegeben habe. In diesem Zusammenhang ist allerdings zu berücksichtigen, dass, wie bereits ausgeführt, die damalige Beschilderungssituation unstreitig als solche nicht mehr vorhanden war, so dass es dem Kläger verwehrt war, mittels einer Inaugenscheinnahme vor Ort im laufenden Kündigungsschutzprozess Klarheit über den damaligen Zustand zu gewinnen. Fraglos kann die Beklagte demgegenüber mit Recht den Vorwurf erheben, dass der Kläger bei gründlichem Studium der von ihr mit Schriftsatz vom 20.12.2019 eingereichten Anlage B 2 das Piktogramm mit der Kamera, das auf mehreren Fotos durchaus gut sichtbar ist, hätte erkennen können. Ein solcher Vorwurf richtet sich allerdings auf mangelnde Sorgfalt, also fahrlässiges Handeln, und rechtfertigt nicht bereits den Schluss auf vorsätzlich wahrheitswidrigen Vortrag.

In diesem Zusammenhang hat das Gericht auch das Prozessverhalten der Beklagten zu würdigen und den seitens der Beklagten postulierten Sorgfaltsmaßstab an deren eigenen Sachvortrag anzulegen. So hat die Beklagte noch in ihrem Schriftsatz vom 20.12.2019 (Seite 3, Bl. 55 d.A.) ausgeführt, bei den angeordneten Mehrarbeitsschichten würden Excel-Listen geführt, „die vor Ort für die Beschäftigten ausliegen“. In diese Listen müssten sich „die jeweiligen Beschäftigten – mithin auch der Kläger – eintragen, damit die nicht anwesenden Meister die Arbeitszeiten später in das SAP-System als Arbeitszeit eintragen können“. „Auf Basis dieser Eintragung“ erfolge die Mehrarbeitsvergütung. U.a. in ihrer Berufungsbegründung (Seite 4/5, Bl. 348/349 d.A.) musste die Beklagte dann allerdings einräumen, dass zu den Mehrarbeitsschichten bereits Anwesenheitslisten mit den Namen der Mitarbeiter, die sich für die betreffende Schicht gemeldet haben, ausliegen, und dass es Aufgabe der Teamsprecher ist, „die Anwesenheit der einzelnen Mitarbeiter in der Anwesenheitsliste durch entsprechende handschriftliche Vermerke“ zu bestätigen. Diese Umstände sind insoweit von rechtlicher Relevanz, als sie für die dem Kläger vorgeworfene betrügerische Handlung konstitutiv sind und es – wie bereits das Arbeitsgericht im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Betriebsratsanhörung herausgearbeitet hat – einen Unterschied macht, ob der Kläger möglicherweise durch Vornahme einer handschriftlichen Eintragung in eine Liste über seine Anwesenheit während einer gesamten Schicht selbst eine Täuschungshandlung vornimmt, oder ob er möglicherweise einen Dritten – einen Teamleiter – als adoloses Werkzeug oder gar in kollusivem Zusammenwirken zu einem wahrheitswidrigen handschriftlichen Vermerk veranlasst. Gerade für den letztgenannten Fall sind Abläufe denkbar, in denen es auch ohne Zutun des Klägers zu einer Anwesenheitserfassung kommt.

Die Gesamtschau dieser Umstände ergibt, dass nicht zu erkennen ist, weshalb allein aufgrund des letztlich in der Sache unzutreffenden Vortrages des Klägers zur seinerzeitigen Anbringung eines Piktogramms, das auf eine Kameraüberwachung hinweist, eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht mehr erwartet werden könnte. Es handelt sich nur um ein nicht hinreichend sorgfältiges Prozessverhalten des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten, das im Laufe des Prozesses ebenso bei der Beklagten aufgetreten ist. Einen Grund für eine gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses kann die Beklagte hieraus nicht herleiten.

IV. Da die Beklagte das Rechtsmittel der Berufung ohne Erfolg eingelegt hat und auch mit ihrem zweitinstanzlich für den Fall der Abweisung der Berufung eingelegten Auflösungsantrag unterlegen war, waren ihr die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens aufzuerlegen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

Die Revision war zuzulassen, da eine für die Entscheidung des Rechtsstreits erhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, über die noch nicht höchstrichterlich entschieden worden ist. Die Entscheidung des Rechtsstreits ist insbesondere davon abhängig, ob man die seitens der Beklagten durchgeführte Videoüberwachung und nachfolgende Datenspeicherung sowie ihre mehr als ein Jahr später erfolgende Verwertung zu dem Zweck, dem Kläger einen Arbeitszeitbetrug nachzuweisen, gem. § 26 Abs. 1 Satz 1 oder Satz 2 BDSG als gerechtfertigt ansieht. Über Fälle, die nach der seit dem 25.05.2018 in Kraft befindlichen Neufassung des BDSG zu beurteilen sind, hatte das Bundesarbeitsgericht noch nicht zu entscheiden. Auch wenn § 26 Abs. 1 BDSG keine wesentlichen Änderungen gegenüber der Vorgängerregelung in § 32 BDSG a.F. enthält, ist maßgeblich zu berücksichtigen, dass das BDSG nunmehr im Lichte der DSGVO auszulegen ist. Zudem hatte das Bundesarbeitsgericht, soweit ersichtlich, bislang nur Fälle zu behandeln, in denen die Videoaufzeichnungen zum Nachweis eines Eigentumsdelikts dienten. Hinsichtlich des hier in Rede stehenden, behaupteten Arbeitszeitbetruges können andere Maßstäbe anzulegen sein.

 

 

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