BAG: Betriebsverfassungsrechtlicher Schulungsanspruch – Freistellung von Kosten – Beurteilungsspielraum des Betriebsrats – Schulungsformat
BAG, Beschluss vom 7.2.2024 – 7 ABR 8/23
ECLI:DE:BAG:2024:070224.B.7ABR8.23.0
Volltext: BB-Online BBL2024-1075-3
Amtlicher Leitsatz
Eine durch Tarifvertrag errichtete Personalvertretung in einem Luftfahrtunternehmen, für deren Kosten, Sachaufwand und Schulungen die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes gelten, hat bei der Entscheidung über die Entsendung ihrer Mitglieder auf eine Schulung einen Beurteilungsspielraum, der sich grundsätzlich auch auf das Schulungsformat erstreckt.
Sachverhalt
A. Die Beteiligten streiten zuletzt noch über die Verpflichtung der Arbeitgeberin, die Personalvertretung von schulungsbedingten Übernachtungs- und Verpflegungskosten freizustellen.
Die zu 2. beteiligte Arbeitgeberin ist eine Luftverkehrsgesellschaft mit Sitz in Düsseldorf. Antragstellerin ist die bei ihr auf Grundlage des Tarifvertrags Personalvertretung Nr. 1 für die Beschäftigten des Kabinenpersonals der Eurowings GmbH vom 20. August 2019 (TV PV) gebildete Personalvertretung (PV Kabine). Für diese findet nach § 1 Abs. 3 TV PV, sofern „durch diesen Tarifvertrag nichts anderes bestimmt wird“, das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) in der jeweils gültigen Fassung Anwendung. Der TV PV enthält weder Bestimmungen über Kosten und Sachaufwand der PV Kabine noch über deren Schulungsanspruch.
Die PV Kabine beabsichtigte, ihre im Sommer 2021 in das Gremium nachgerückten Mitglieder S (wohnhaft in Düsseldorf) und K (wohnhaft in Köln) zu dem von der W AG in der Zeit vom 24. bis zum 27. August 2021 in Binz auf Rügen angebotenen Seminar „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ zu entsenden. Die Arbeitgeberin stellte die Erforderlichkeit dieser Grundlagenschulung nicht prinzipiell in Abrede, bat aber darum, aus Kostengründen ein inhaltsgleiches ortsnahes Seminar oder – was vom Schulungsträger auch angeboten wurde – Webinar auszusuchen. Die von ihr konkret als Alternativen benannten Präsenzseminare fanden statt vom 16. bis zum 19. August 2021 in Velbert, vom 23. bis zum 26. August 2021 in Bad Honnef und vom 27. bis zum 30. September 2021 in Köln. Die Seminarinhalte waren jeweils identisch, die Seminargebühren jeweils gleich hoch. Für alle Präsenzseminare sowie für das Webinar waren Anfang Juli 2021 noch jeweils zwei Teilnehmerplätze buchbar. Herr S befand sich vom 1. bis jedenfalls zum 21. August 2021 im Erholungsurlaub. Herr K absolvierte in seiner Funktion als Trainer am 16./17. August 2021 einen dienstlichen Einsatz.
Nachdem die PV Kabine der Arbeitgeberin mitgeteilt hatte, dass sie nunmehr die Entsendung ihrer beiden Mitglieder auf eine – nach ihrer Einschätzung mit einer Kostenersparnis gegenüber dem Seminar in Binz von ca. 500,00 Euro verbundene – Grundlagenschulung vom 24. bis 27. August 2021 in Potsdam beschlossen habe, nahmen Herr S und Herr K an dieser teil. Sie reisten mittels eines von der Arbeitgeberin durchgeführten – mithin keine gesonderten Kosten verursachenden – Flugs nach Berlin und von dort weiter mit dem Taxi zum Seminarhotel in Potsdam. Im Anschluss stellte die W AG der PV Kabine Seminargebühren iHv. 1.528,00 Euro zzgl. Umsatzsteuer (insg. 1.818,32 Euro) sowie Übernachtungs- und Verpflegungskosten iHv. 1.108,62 Euro zzgl. Umsatzsteuer (insg. 1.319,26 Euro) in Rechnung.
Nach Zahlungsverweigerung durch die Arbeitgeberin hat die PV Kabine mit dem von ihr eingeleiteten Beschlussverfahren ihre Freistellung von diesen Kosten geltend gemacht. Sie hat die Auffassung vertreten, sie müsse sich weder auf ein Webinar noch auf die von der Arbeitgeberin angeführten anderen Schulungsorte verweisen lassen. Präsenzschulung und Webinar seien qualitativ nicht gleichwertig. Zum einen sei die sog. Nettoschulungszeit beim Webinar kürzer als beim Präsenzseminar. Zum anderen hätten die Personalvertretungsmitglieder die Erfahrung gemacht, dass die bei Webinaren virtuell vermittelten Inhalte aufgrund der völlig anderen Schulungssituation nicht so intensiv behandelt würden und sich dies im Verhältnis zu Präsenzseminaren in einem geringeren Lernerfolg niederschlage. Auch sei der Austausch zwischen den Teilnehmern und den Referenten bei Online-Seminaren aufgrund der höheren Kommunikationshürden deutlich erschwert. Bei der Entscheidung für ein Präsenzseminar anstelle eines Webinars habe die Präferenz der beiden zu schulenden Mitglieder hierfür berücksichtigt werden dürfen. Für diese sei das von der Arbeitgeberin vorgeschlagene Präsenzseminar in Velbert aus Zeitgründen nicht in Betracht gekommen. Auch müsse sich die PV Kabine im Hinblick auf ihre verbleibende Amtszeit nicht auf das erst ca. fünf Wochen später in Köln stattfindende Seminar verweisen lassen. Im Übrigen wären beim Besuch der Seminare an den anderen Standorten ebenso jeweils Fahrt- bzw. Übernachtungskosten angefallen.
Die PV Kabine hat zuletzt – soweit für die Rechtsbeschwerde von Bedeutung – beantragt,
die Arbeitgeberin zu verpflichten, sie von den Übernachtungs- und Verpflegungskosten für den Besuch der Schulungsveranstaltung zu dem Thema „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ vom 24. bis 27. August 2021 im S Hotel, Potsdam iHv. 1.108,62 Euro (554,31 Euro je Teilnehmer) zzgl. Umsatzsteuer iHv. 210,64 Euro, mithin von einem Betrag iHv. 1.319,26 Euro, gegenüber dem Schulungsträger W AG freizustellen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei nicht zur Erstattung der Übernachtungs- und Verpflegungskosten verpflichtet. Diese seien nicht erforderlich gewesen; die PV Kabine hätte sich aus Kostengründen für ein Webinar entscheiden müssen. Der Lerneffekt in diesem Format sei sogar höher, weil sich die Teilnehmer online viel eher trauten, Fragen zu stellen und mit anderen auszutauschen. Bessere Möglichkeiten zur Kontaktpflege und Vernetzung auf einem Präsenzseminar müssten außer Betracht bleiben, denn sie dienten nicht unmittelbar der Durchführung der Aufgaben der PV Kabine. Außerdem hätte die PV Kabine die Schulungskosten wegen der bei der Arbeitgeberin im Jahr 2021 bestehenden, pandemiebedingten Krisensituation auf das absolut Notwendige beschränken müssen. Jedenfalls wäre eine Entsendung der nachgerückten Personalvertretungsmitglieder zu einem Präsenzseminar an einen näher gelegenen Ort mit täglicher An- und Rückfahrt angezeigt gewesen.
Das Arbeitsgericht hat dem – bei ihm auch noch die Seminargebühren umfassenden – Kostenfreistellungsbegehren entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat die auf die Übernachtungs- und Verpflegungskosten beschränkte Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin, mit welcher sie die Abweisung des Antrags in seinem verbliebenen Umfang begehrt. Die PV Kabine beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Aus den Gründen
9 B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben dem Antrag (auch) in seinem in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch zur Entscheidung angefallenen Umfang zu Recht stattgegeben.
10 I. Der Antrag ist zulässig, insbesondere nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt. Die PV Kabine ist auch antragsbefugt. Sie verlangt die Freistellung von Kosten, welche die W AG als Seminaranbieterin in Rechnung gestellt hat.
11 II. Der Antrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist nach § 1 Abs. 3 TV PV iVm. § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG verpflichtet, die PV Kabine von der Verpflichtung zur Zahlung der Übernachtungs- und Verpflegungskosten iHv. 1.108,62 Euro zzgl. Umsatzsteuer iHv. 210,64 Euro freizustellen, die anlässlich der Teilnahme der Personalvertretungsmitglieder S und K an dem Seminar „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ vom 24. bis zum 27. August 2021 in Potsdam entstanden sind.
12 1. Kosten und Schulung der PV Kabine richten sich nach dem Betriebsverfassungsgesetz. Dessen Anwendung haben die Tarifvertragsparteien mit § 1 Abs. 3 des gemäß § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG geschlossenen TV PV ausdrücklich festgelegt, sofern tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Zu den Kosten der PV Kabine und zu deren Schulung verhält sich der TV PV nicht, so dass die (für den Betriebsrat und seine Mitglieder geltenden) betriebsverfassungsrechtlichen Maßgaben von § 40 Abs. 1, § 37 Abs. 6 BetrVG anzuwenden sind.
13 2. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG hat der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen.
14 a) Dazu gehören die Kosten, die anlässlich der Teilnahme eines Betriebsratsmitglieds an einer Schulungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 BetrVG entstanden sind, sofern das bei der Schulung vermittelte Wissen für die Betriebsratsarbeit erforderlich ist (BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – Rn. 17 mwN). Neben den eigentlichen Seminargebühren hat der Arbeitgeber auch die notwendigen Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten des Betriebsratsmitglieds zu tragen (BAG 24. Oktober 2018 – 7 ABR 23/17 – Rn. 11 mwN).
15 b) Bei der Entscheidung über die Erforderlichkeit der Schulungsteilnahme steht dem Betriebsrat ein Beurteilungsspielraum zu (BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – Rn. 18 mwN). Allerdings steht die Pflicht des Arbeitgebers zur Kostentragung nach § 40 Abs. 1 BetrVG unter dem in § 2 Abs. 1 BetrVG normierten Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Die Entscheidung über die Schulungsteilnahme darf der Betriebsrat daher nicht allein an seinen subjektiven Bedürfnissen ausrichten. Von ihm wird vielmehr verlangt, dass er die betrieblichen Verhältnisse und die sich ihm stellenden Aufgaben berücksichtigt (BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – aaO; vgl. zu § 40 Abs. 2 BetrVG BAG 17. Februar 2010 – 7 ABR 81/09 – Rn. 12). Der Betriebsrat ist verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er für angemessen halten darf. Er hat darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten auf das notwendige Maß zu beschränken. Bei der Prüfung der Erforderlichkeit hat der Betriebsrat die betriebliche Situation und die mit dem Besuch der Schulungsveranstaltung verbundenen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Schulungszweck in einem angemessenen Verhältnis zu den hierfür aufzuwendenden Mitteln steht. Daher darf er die Teilnahme an einer Schulungsveranstaltung nicht für erforderlich halten, wenn er sich vergleichbare Kenntnisse zumutbar und kostengünstiger auf andere Weise verschaffen kann. Der Betriebsrat ist allerdings nicht gehalten, anhand einer umfassenden Marktanalyse den günstigsten Anbieter zu ermitteln und ohne Rücksicht auf andere Erwägungen auszuwählen. Entsprechend muss er sich nicht für die kostengünstigste Schulungsveranstaltung entscheiden, wenn er eine andere Schulung für qualitativ besser hält. Nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungen auch nach Ansicht des Betriebsrats im Rahmen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums als qualitativ gleichwertig anzusehen sind, kann eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Veranstaltung in Betracht kommen (zum Ganzen BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – aaO).
16 c) Bei dem Begriff der Erforderlichkeit in § 40 Abs. 1 BetrVG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Die Würdigung des Beschwerdegerichts, ob die vom Betriebsrat oder einem Betriebsratsmitglied verursachten Kosten für die Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben erforderlich waren, unterliegt in der Rechtsbeschwerdeinstanz nur einer eingeschränkten Nachprüfung darauf, ob der Rechtsbegriff selbst verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände bei der Würdigung übersehen wurden (st. Rspr., vgl. BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – Rn. 19 mwN).
17 3. Ausgehend von diesen Maßgaben hält die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die PV Kabine habe (auch) die infolge der Teilnahme ihrer Mitglieder S und K an der Präsenzschulung in Potsdam entstandenen Übernachtungs- und Verpflegungskosten für erforderlich halten dürfen, einer rechtsbeschwerderechtlichen Prüfung stand. Das Landesarbeitsgericht ist von dem zutreffenden Begriff der Erforderlichkeit ausgegangen und hat alle maßgeblichen Umstände widerspruchsfrei gewürdigt.
18 a) Die Beteiligten streiten nicht (mehr) darüber, dass das Seminar „Betriebsverfassungsrecht Teil 1“ thematisch und inhaltlich als Grundlagenschulung für die in die PV Kabine nachgerückten Mitglieder K und S nach § 1 Abs. 3 TV PV iVm. § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG erforderlich war. Der Darlegung eines besonderen Schulungsbedarfs bedurfte es nicht (vgl. dazu BAG 17. November 2021 – 7 ABR 27/20 – Rn. 21 mwN); die Arbeitgeberin stellt dies auch spätestens seit der Beschwerdeinstanz nicht mehr in Frage.
19 b) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die PV Kabine habe hinsichtlich der Kostenbelastung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ausreichend Rechnung getragen und sich weder für die Entsendung ihrer beiden Mitglieder auf ein Webinar noch auf eines der von der Arbeitgeberin angeführten ortsnäheren Präsenzseminare entscheiden müssen, ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
20 aa) Die PV Kabine musste sich nicht auf das Webinar-Angebot desselben Schulungsträgers verweisen lassen, wenngleich die Teilnahme der Mitglieder K und S an dem Präsenzseminar im Hinblick auf die Übernachtung und Verpflegung zwangsläufig Mehrkosten (im unteren vierstelligen Bereich) verursacht hat. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass (auch) die Auswahl des Schulungsformats generell dem Beurteilungsspielraum der betrieblichen Interessenvertretung unterfällt. Ohne Rechtsfehler hat es weiter angenommen, dass die konkrete Beurteilung der PV Kabine, das gewählte Präsenzseminar sei gegenüber einem inhaltsgleichen Webinar zu bevorzugen, diesen Spielraum nicht überschreitet. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Arbeitgeberin verfangen nicht.
21 (1) Der Beurteilungsspielraum eines Betriebsrats (im Streitfall der der PV Kabine) bezieht sich neben dem Inhalt der Schulungsveranstaltung (vgl. dazu BAG 14. Januar 2015 – 7 ABR 95/12 – Rn. 13) auf Format und Methoden sowie Art und Weise der Wissens- und Kenntnisvermittlung und umfasst in diesem Sinn auch die Einschätzung der Gleichwertigkeit verschiedener Schulungsangebote. Werden – wie vorliegend – thematisch identische Schulungsinhalte von einem Schulungsträger in unterschiedlichen Schulungskonzepten und/oder -formaten angeboten, obliegt es grundsätzlich der betrieblichen Interessenvertretung zu entscheiden, von welcher Schulungsform sie sich im Einzelfall den größeren Schulungserfolg verspricht. Das übersieht die Arbeitgeberin, wenn sie bei der qualitativen Vergleichbarkeit von Präsenz- und Online-Seminaren lediglich ihre eigene Bewertung an die Stelle derjenigen der PV Kabine setzt.
22 (2) Die PV Kabine hat ihrerseits Gründe für die Bevorzugung eines Präsenzseminars angeführt, die ihren Beurteilungsspielraum nicht überschreiten.
23 (a) Dabei durfte sie die Erfahrungen und subjektiven Bewertungen ihrer Mitglieder mit Online-Seminaren berücksichtigen. Dies gilt zunächst für den von ihren Mitgliedern aufgrund der Andersartigkeit der Schulungssituation wahrgenommenen geringeren Lernerfolg. Dies gilt aber auch für ihre Einschätzung, es fehle bei einem Webinar an dem mit einem Präsenzseminar vergleichbaren und außerhalb des eigentlichen Seminarprogramms fortgesetzten Gedanken- und Erfahrungsaustausch über die Tätigkeit in einer betrieblichen Interessenvertretung unter den Seminarteilnehmern. Hierin liegt ein zulässiges Beurteilungskriterium (vgl. BAG 27. Mai 2015 – 7 ABR 26/13 – Rn. 24), selbst wenn nach den in den Gründen der angefochtenen Entscheidung getroffenen und mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen (vgl. zur Rechtswirkung von tatsächlichen Feststellungen in den Beschlussgründen zB BAG 13. November 2019 – 4 ABR 3/19 – Rn. 27 mwN) das angebotene Online-Format zur Beteiligung bzw. zum Austausch der – für die Seminarleitung nicht visualisierten – Teilnehmer eine Chatfunktion vorsah. Dies rechtfertigt die Annahme der PV Kabine, der kommunikative Austausch im konkret angebotenen Webinar sei nicht mit dem bei einem Präsenzseminar vergleichbar gewesen, ohne dass es entscheidend auf die in der angefochtenen Beschwerdeentscheidung insoweit angeführten „persönlichen Erfahrungen des Kammervorsitzenden“ ankäme und die daran anknüpfende Frage, ob damit ein allgemeiner Erfahrungssatz aufgestellt und angewendet sein soll. Entgegen dem Einwand der Arbeitgeberin ist die Kommunikation außerhalb eines „digitalen Raums“ auch nicht von vornherein wegen der mitbestimmungsrechtlichen Besonderheiten einer nach § 117 Abs. 2 Satz 1 BetrVG tarifvertraglich errichteten Vertretung zu vernachlässigen. Der von der PV Kabine im Zusammenhang mit einem Präsenzseminar vorgebrachte Umstand des seminarbegleitenden Wissens- und Erfahrungstransfers durch persönliche Begegnungen und Gespräche basiert selbst bei branchendiversifizierten betrieblichen Interessenvertretern jedenfalls auf keiner realitätsfernen Betrachtung, sondern einer ihr im Rahmen des Beurteilungsspielraums zustehenden Einschätzung. Die Arbeitgeberin hat im Übrigen auch keinen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze geltend gemacht.
24 (b) Die PV Kabine konnte bei der Auswahl der Schulungsform außerdem die lernformatbezogenen Präferenzen der Schulungsteilnehmer S und K berücksichtigen. Generell hält es sich bei der Entsendung eines Gremienmitglieds zu einer Schulung im Rahmen des dem Betriebsrat – hier: der PV Kabine – zustehenden Beurteilungsspielraums, wenn auch Rücksicht auf in der Person des auf ein Seminar entsandten Mitglieds liegende, nicht unwesentliche Umstände genommen wird (ähnlich Fitting 31. Aufl. § 40 Rn. 74). Daher mag es in anders gelagerten Fällen dazu kommen, dass die betriebliche Vertretung ein Webinar dem Präsenzseminar vorzieht, weil das zu schulende Mitglied – etwa aufgrund privater Betreuungspflichten – eher eine „digitale Schulungsteilnahme“ realisieren kann. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend nicht streitentscheidend, ob die sog. Nettoschulungszeiten von Präsenz- und Online-Seminar identisch waren oder nicht.
25 (3) Die durch die Teilnahme an dem Präsenzseminar verursachten Mehrkosten (Übernachtungs- und Verpflegungskosten) fallen nicht derart ins Gewicht, dass sich die PV Kabine für das Webinar hätte entscheiden müssen. Sie sind mit 184,77 Euro netto pro Person und pro Tag (1.319,26 Euro insgesamt inkl. Umsatzsteuer) – auch im Verhältnis zu den Seminargebühren (1.818,32 Euro inkl. Umsatzsteuer) – nicht derart hoch, dass eine unangemessene Belastung der Arbeitgeberin erkennbar wäre. Mehraufwand (Kosten) und Ertrag (nach Einschätzung der PV Kabine bessere Kommunikationsmöglichkeiten und dadurch ein höherer Lernerfolg) stehen nicht derart außer Verhältnis, dass die Entscheidung der PV Kabine gegen das Webinar das Kostenschonungsinteresse der Arbeitgeberin völlig vernachlässigen würde.
26 (4) Der Einwand der Arbeitgeberin, sie habe sich im Jahr 2021 pandemiebedingt in einer angespannten wirtschaftlichen Lage befunden, verfängt nicht. Denn nur wenn mehrere gleichzeitig angebotene Schulungsveranstaltungen auch nach Ansicht der betrieblichen Interessenvertretung im Rahmen des ihr zustehenden Beurteilungsspielraums als gleichwertig anzusehen sind, kann eine Beschränkung der Kostentragungspflicht des Arbeitgebers auf die Kosten der preiswerteren Schulung in Betracht kommen (vgl. BAG 14. Januar 2015 – 7 ABR 95/12 – Rn. 13). Hierfür fehlt es vorliegend bereits daran, dass die PV Kabine das Webinar – innerhalb ihres Beurteilungsspielraums – nicht als gleichwertig ansehen durfte. Ungeachtet dessen hat die Arbeitgeberin ihre damalige – und aus ihrer Sicht auch den allein noch verfahrensgegenständlichen Übernachtungs- und Verpflegungskosten entgegenstehende – wirtschaftlich angespannte Lage nicht hinreichend konkret aufgezeigt.
27 (5) Soweit die Arbeitgeberin erstmals mit ihrer Rechtsbeschwerdebegründung darauf abhebt, die Auswahl eines Präsenzseminars durch die PV Kabine stelle angesichts der auf die Teilnahme an Online-Schulungen gerichteten betrieblichen Gepflogenheiten eine ungerechtfertigte Besserstellung der Personalvertretungsmitglieder dar und verstoße damit gegen das Begünstigungsverbot von § 1 Abs. 3 TV PV iVm. § 78 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG, verfängt auch dieser Einwand nicht. Ungeachtet dessen, dass sie hierzu neuen, in der Rechtsbeschwerdeinstanz nach § 92 Abs. 2 ArbGG iVm. § 559 Abs. 1 ZPO grundsätzlich nicht berücksichtigungsfähigen Sachvortrag hält, trifft die darauf gestützte Rechtsansicht der Arbeitgeberin nicht zu.
28 (a) Zwar ist eine im Betrieb bestehende zumutbare allgemeine Reisekostenregelung grundsätzlich auch für Betriebsratsmitglieder anlässlich der Teilnahme an einer Schulungs- und Bildungsveranstaltung nach § 37 Abs. 6 Satz 1 BetrVG verbindlich, wenn die Übernachtungs- und Verpflegungskosten vom Betriebsratsmitglied beeinflusst werden können (vgl. etwa BAG 24. Oktober 2018 – 7 ABR 23/17 – Rn. 19; 28. Oktober 1992 – 7 ABR 10/92 – zu B II 3 c der Gründe; vgl. ferner Fitting 31. Aufl. § 40 Rn. 52; HWK/Reichold 10. Aufl. § 40 BetrVG Rn. 20; Fuhlrott/Reiß ArbRAktuell 2013, 410, 411; zu Ausnahmen von diesem Grundsatz sh. etwa BAG 28. März 2007 – 7 ABR 33/06 – Rn. 10). Es würde eine ungerechtfertigte Besserstellung der Betriebsratsmitglieder darstellen, wenn diese für die im Zusammenhang mit der Ausübung von Betriebsratstätigkeit anfallende Reisetätigkeit höhere Beträge als Arbeitnehmer bei betrieblich veranlassten Reisen beanspruchen könnten, ohne dass hierfür ein sachlicher Grund besteht (vgl. BAG 28. März 2007 – 7 ABR 33/06 – aaO). Diese Grundsätze greifen vorliegend nach § 1 Abs. 3 TV PV auch für die PV Kabine.
29 (b) Bei der Arbeitgeberin bestehende betriebliche Grundsätze und Regelungen zur Teilnahme an Schulungen oder Fortbildungen von Arbeitnehmern schränken aber nicht den Schulungsanspruch der PV Kabine als solchen – und damit deren Beurteilungsspielraum im Hinblick auf die Auswahl der Schulungsveranstaltung einschließlich deren Formats – ein. Insoweit handelt es sich um keine unzulässige Begünstigung der Personalvertretungsmitglieder iSv. § 1 Abs. 3 TV PV iVm. § 78 Satz 2 Halbs. 1 BetrVG; diese werden hinsichtlich der abrechenbaren Reise-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten nicht „besser“ behandelt als andere Arbeitnehmer bei Dienstreisen.
30 bb) Auch die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts zu den seitens der Arbeitgeberin angeführten näher gelegenen (Präsenz-)Schulungsorten in Velbert, Köln und Bad Honnef halten einer rechtsbeschwerderechtlichen Überprüfung stand. Die PV Kabine hat sich mit der Auswahl des Schulungsortes in Potsdam im Hinblick auf dessen Entfernung zum Betriebssitz und zu den Wohnorten der beiden zur Schulung entsandten Mitglieder auf das notwendige Maß beschränkt.
31 (1) Das Landesarbeitsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass eine Seminarteilnahme in Velbert vom 16. bis zum 19. August 2021 sowohl für Herrn S als auch für Herrn K aufgrund seiner zeitlichen Lage nicht in Betracht kam. Herr S war in diesem Zeitraum urlaubsbedingt abwesend; Herr K absolvierte am 16. und 17. August 2021 ein dienstlich veranlasstes Training, auf welches die PV Kabine Rücksicht nehmen durfte. Die Rechtsbeschwerde beanstandet die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit auch nicht.
32 (2) Gleiches gilt im Ergebnis für das Seminar in Köln vom 27. bis zum 30. September 2021. Die insoweit bestehende Differenz zwischen den Übernachtungskosten in Potsdam und den Kosten für tägliche Fahrten nach Köln beträgt nach den nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nur „wenige 100 Euro“. Die Verpflegungspauschale wäre nach den gleichfalls nicht mit zulässigen Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ebenso in Köln in voller Höhe (580,00 Euro) angefallen. Außerdem hat das Landesarbeitsgericht in rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die PV Kabine im Hinblick auf ihre im Frühjahr 2022 anstehende reguläre Neuwahl ein berechtigtes Interesse an einer zeitnahen Schulung der erst im Sommer 2021 nachgerückten Personalvertretungsmitglieder S und K haben durfte, was gegen deren Teilnahme an dem erst einige Wochen später stattfindenden Seminar in Köln sprach.
33 (3) Auch auf das Seminar in Bad Honnef vom 23. bis zum 26. August 2021 musste sich die PV Kabine nicht verweisen lassen.
34 (a) Bezogen auf Herrn S ergibt sich dies bereits aus einer vom Landesarbeitsgericht festgestellten und nicht mit einer zulässigen Verfahrensrüge angegriffenen Pendelstrecke von täglich insg. 170 km, welche sogar noch geringer als die von der Arbeitgeberin mit ihrer Rechtsbeschwerde angenommene Distanz von 90 km pro Weg ist. Unabhängig von den konkreten Verkehrsverhältnissen durfte die PV Kabine eine solche Pendelstrecke für nicht zumutbar halten. Mithin wären auch am Seminarort Bad Honnef Übernachtungskosten angefallen und ungeachtet dessen selbst bei täglicher Hin- und Rückfahrt – wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht unerhebliche Fahrtkosten entstanden.
35 (b) Bezogen auf Herrn K hat die PV Kabine im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums zulässig darauf abgehoben, ihn gemeinsam mit Herrn S auf ein Grundlagenseminar zu entsenden, um einen besseren Binnenaustausch zu ermöglichen. Auch hiergegen wendet sich die Arbeitgeberin mit ihrer Rechtsbeschwerde nicht mehr.