LAG Nürnberg: Betriebsratswahl – Anfechtung
LAG Nürnberg, Beschluss vom 17.7.2023 – 1 TaBV 1/23
Volltext: BB-Online BBL2024-1012-4
Leitsätze
1. Das BetrVG geht davon aus, dass Betriebsratswahlen in Betrieben oder in Betriebsteilen, die die Voraussetzungen des § 4 BetrVG erfüllen – räumlich weite Entfernung oder Selbständigkeit nach Aufgabenbereich und Organisation – stattzufinden haben.
2. Eine Wahl für mehrere Betriebsteile gemeinsam kann nur stattfinden, wenn der Arbeitgeber für diese eine gemeinsame Organisation eingerichtet hat, die die wesentlichen Entscheidungen in personeller und sozialer Hinsicht zu treffen befugt ist (hier verneint).
3. Der Wahlvorstand verhält sich widersprüchlich, wenn er in der im Zeitpunkt der Einleitung der Wahl beschlossenen Wählerliste Arbeitnehmer nicht aufnimmt (hier: weil der Arbeitgeber sie als leitende Angestellte bezeichnet hat), sie aber für die Berechnung des Minderheitengeschlechts und der nötigen Stützunterschriften mitrechnet; weist er im Wahlausschreiben eine höhere Anzahl von nötigen Stützunterschriften für Wahlvorschläge aus, als dies nach der Wählerliste nötig wäre, macht dies die Wahl anfechtbar.
4. Für die Berechnung der Sitze des Geschlechts in der Minderheit und für die Berechnung der benötigten Stützunterschriften ist auf die Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer im Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens abzustellen; dies gilt auch dann, wenn in diesem Zeitpunkt schon feststeht, dass einige Beschäftigte den Betrieb bis zum Wahltag verlassen werden. Es gehört allein zu den Aufgaben eines Verfahrensbevollmächtigten, rechtlich zu prüfen, ob eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (§ 66 Abs. 1 Satz 5 ArbGG) möglich ist. Er kann sich im Rahmen des § 85 ZPO nicht darauf berufen, die unzutreffende rechtliche Bewertung dessen Rechtsanwaltsfachangestellter sei ihm nicht zurechenbar.
§§ 1, 4, 14, 19 BetrVG
Aus den Gründen
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung einer Betriebsratswahl.
Die Beteiligte zu 1.) ist ein Unternehmen mit Sitz in A-Stadt, das an 13 Standorten in Oberfranken und der Oberpfalz Autohäuser betreibt. Der Beteiligte zu 2.) ist der für die Niederlassungen Z-Stadt, Y-Stadt, C-Stadt, X-Stadt und W-Stadt gewählte Betriebsrat.
Dessen Wahlergebnis wurde am 25.01.2022 bekanntgegeben.
Die genannten Niederlassungen wurden bis 30.09.2018 durch die Firma V. mit Sitz in ZStadt betrieben. Ein Betriebsrat war in diesem Unternehmen – wie auch im Unternehmen der Beteiligten zu 1.) – nicht gebildet. Die fünf Niederlassungen wurden im Wege eines Betriebsübergangs mit Wirkung zum 01.10.2018 von der Beteiligten zu 1.) übernommen.
Die Standorte werden buchhalterisch als eigene „Profitcenter“ geführt. Sie haben einen eigenen Standortleiter, am Standort Z-Stadt ist die Leitung für die Geschäftsbereiche Verkauf und Service aufgeteilt. Hinsichtlich der für die fünf Niederlassungen existierenden Organigramme wird auf die als Anlagen AS 9 bis AS 13 zur Antragsschrift vorgelegten Ablichtungen Bezug genommen (Bl. 48 ff. d.A.). In den Personal-News 10/2020 hat die Antragstellerin den Mitarbeitern mitgeteilt, dass sie „Herrn U. als Betriebsleiter für unsere fünf Niederlassungen in der Oberpfalz“ habe gewinnen können (Anlage AG 4 zum Schriftsatz der Vertreter des Beteiligten zu 2.) vom 21.03.2022, Bl. 94 d.A.). Dieser hat den Mitarbeitern der fünf Niederlassungen verschiedene Nachrichten zukommen lassen (Anlagen AG 5 bis AG 7, ebenda, Bl. 96 ff. d.A.). Auf dem X.-Profil hat der Angestellte U. hinsichtlich seines Werdegangs angeführt: „Bis heute 2 Jahre und 1 Monat, seit Oktober 2020, Prokurist/Betriebsleiter A. Leitung der Niederlassungen Z-Stadt, X-Stadt, Y-Stadt, C-Stadt, W-Stadt (Region Oberpfalz)“ (Anlage zur Niederschrift über die Anhörung vor dem Arbeitsgericht vom 21.10.2022, Bl. 283 d.A.).
Mit am 03.02.2022 beim Arbeitsgericht Weiden eingegangenen Antrag selben Datums hat die Beteiligte zu 1.) beantragt, die durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. Sie hat die Auffassung vertreten, der Wahlvorstand habe den Betriebsbegriff verkannt. Die fünf Filialen seien willkürlich als Einheit für die Betriebsratswahl zusammengefasst worden. Es existiere aber keine diese Filialen zusammenfassende Struktur. Dies habe sie, die Antragstellerin, von vornherein gegenüber der Gewerkschaft, denjenigen Mitarbeitern, die zur Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes eingeladen hätten, und gegenüber dem Wahlvorstand kommuniziert. Einen unter dem Aktenzeichen 2 BVGa 2/21 beim Arbeitsgericht Weiden geführten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mit dem Inhalt der Verhinderung der standortübergreifenden Wahl habe das Arbeitsgericht abgewiesen, weil keine Offensichtlichkeit bestehe. Die gemeinsame Wahl der fünf Filialen sei fehlerhaft. Die Filialen seien sämtlich selbstständig. In ihnen existiere jeweils ein Standortleiter – in Z-Stadt für die beiden Geschäftsbereiche jeweils ein eigener, also insgesamt zwei Leiter –, die Ergebnisverantwortung für ihren Bereich hätten und autark Entscheidungen über Einstellungen, Entlassungen, Versetzungen, Abmahnungen und Urlaubsbewilligungen träfen. Arbeitsverträge und Kündigungen würden nur im Außenverhältnis durch Geschäftsführung und Personalleitung in A-Stadt unterzeichnet. Ein Personalaustausch zwischen den Filialen finde nicht statt. Unabhängig hiervon habe der Wahlvorstand eine unvollständige Wählerliste verwendet, weil er Mitarbeiter nicht auf diese gesetzt habe, die seiner Ansicht nach keine leitenden Angestellten waren und somit als wahlberechtigt zu behandeln gewesen wären.
Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1.) hat erstinstanzlich beantragt,
Die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 wird für unwirksam erklärt.
Der Beteiligte zu 2.) hat dagegen beantragt,
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Der Beteiligte zu 2.) hat eingewandt, die Wahl sei korrekt erfolgt. Die fünf Standorte seien vor dem Betriebsübergang gemeinsam und zentral vom Geschäftsführer T. geleitet worden. Nunmehr sei von der Beteiligten zu 1.) der Angestellte U. als übergeordneter Betriebsleiter eingesetzt. Dieser stelle eine ausreichende Klammer für die fünf Niederlassungen dar. Er habe Strategien und übergeordnete Ziele und Themenschwerpunkte für die fünf Niederlassungen erarbeitet und umgesetzt. Es sei nicht zutreffend, dass die jeweiligen Standortleiter autark über Einstellungen und Entlassungen entscheiden könnten. Teilweise habe auch ein Personalaustausch zwischen den Filialen stattgefunden. Ein einheitlicher Betrieb mit dem Hauptbetrieb in A-Stadt komme wegen der großen Entfernungen mit Fahrtzeiten von über 60 Minuten nicht in Betracht. Hinsichtlich der Wählerliste verhalte sich die Beteiligte zu 1.) rechtsmissbräuchlich, weil sie die betreffenden Mitarbeiter als leitende Angestellte bezeichnet habe.
Die Beteiligte zu 1.) hat eingewandt, der Angestellte U. habe keine eigenen Entscheidungsbefugnisse hinsichtlich von Einstellungen, Entlassungen oder anderen personellen Maßnahmen. In den fünf Standorten würden unterschiedliche Betriebszwecke verfolgt.
Zwar sei der Angestellte U. als Betriebsleiter bezeichnet worden. Diese Bezeichnung sei jedoch allein der innerbetrieblichen Hierarchie geschuldet. Bezüglich der fünf im Wege des Betriebsübergangs übernommenen Filialen habe er lediglich die Funktion eines Koordinators gehabt.
Das Arbeitsgericht hat den Angestellten U. als Zeugen über seine Position und Verantwortung vernommen, die Standortleiter S. und R. über ihre Befugnisse. Wegen des genauen Wortlauts der Zeugenaussagen wird auf die Niederschrift über die Anhörung vom 21.10.2022 verwiesen (Bl. 278 ff. d.A.). Das Arbeitsgericht hat darauf hingewiesen, dass die Stützunterschriften fehlerhaft berechnet sein könnten, weil der Wahlvorstand letztlich nur von 134 wahlberechtigten Arbeitnehmern ausgegangen sei, nicht aber von 141 wie im Wahlausschreiben angeführt.
Das Arbeitsgericht hat mit Beschluss vom 28.11.2022 erkannt wie folgt:
„Die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 wird für unwirksam erklärt.“
Das Arbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, die Betriebsratswahl sei wegen der Verkennung des Betriebsbegriffs und der unzutreffenden Angabe der erforderlichen Stützunterschriften unwirksam. Entscheidendes Kriterium für das Vorliegen einer betriebsratsfähigen Einheit sei, dass die vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt würden und dass die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werde. Es komme auf die zentrale oder dezentrale Organisation an. Das Gericht sei nach der Beweisaufnahme überzeugt, dass keine auf die Oberpfälzer Standorte bezogene einheitliche Leitung betreffend die sozialen und personellen Angelegenheiten existiere. Die Zeugen hätten nicht bestätigt, dass der als Betriebsleiter bezeichnete Angestellte U. die tatsächliche Leitung in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten innegehabt habe. Dieser habe glaubwürdig und gut nachvollziehbar beschrieben, dass er hinsichtlich der personellen Angelegenheiten nur Handlungsempfehlungen gegenüber der Geschäftsleitung ausspreche, aber keine Entscheidungsbefugnis habe. Er sei bis September 2022 als Integrationsmanager für die Einbindung der neu hinzugekommenen Oberpfälzer Betriebe tätig gewesen. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, es halte die detaillierte und anschauliche Aussage auch deswegen für glaubwürdig, weil der Angestellte U. sich in Widerspruch zum Sachvortrag seines Arbeitgebers gesetzt habe. Die von der Geschäftsleitung und vom Angestellten U. verfassten Mitteilungen an die Mitarbeiter stellten keinen Beleg für eine solche Leitungsmacht dar. Es sei kein einziger Fall ersichtlich, in dem der Angestellte U. tatsächlich entschieden habe. Auch die Zeugen S. und R. hätten eine solche Kompetenzbündelung beim Angestellten U. gerade nicht bestätigt. Nach alldem könne die Kammer eine einheitliche Organisation, eine ausreichende organisatorische Verbindung der fünf Standorte im Sinne einer einheitlichen Leitungsmacht, nicht feststellen. Die Kammer sei überzeugt, dass alle maßgeblichen Entscheidungen von der Zentrale in A-Stadt aus getroffen würden. Dies begründe die Anfechtung der Wahl. Darüber hinaus habe der Wahlvorstand im Wahlausschreiben für die Unterzeichnung von Wahlvorschlägen acht statt sieben Stützunterschriften verlangt. Es sei ihm im Zeitpunkt des Aushangs bekannt gewesen, dass vier Mitarbeiter am Wahltermin bereits ausgeschieden sein würden. Auch habe er die Rechtsauffassung der Geschäftsleitung hingenommen, dass es sich bei einigen Mitarbeitern um nicht wahlberechtigte leitende Angestellte handle. Es sei widersprüchlich, diese für die Zahl der Beschäftigten, aufgrund derer die Zahl der nötigen Stützunterschriften zu berechnen seien, mitzuzählen, sie aber nicht auf die Wählerliste zu setzen. Immerhin habe der Wahlvorstand die Eigenschaft dieser sechs Mitarbeiter schon am 18.11.2022, also vor der durch Bekanntmachung des Wahlausschreibens erfolgten Einleitung der Wahl, gegenüber der Arbeitgeberin akzeptiert – dann hätten diese Mitarbeiter nicht zu den wahlberechtigten Arbeitnehmern zählen dürfen. Das Wahlausschreiben, das am 22.11.2022 ausgehängt worden sei, hätte daher nicht von 141, sondern von weniger als 140 Mitarbeitern ausgehen müssen, so dass er die Zahl der benötigten Stützunterschriften auf sieben hätte festlegen müssen, nicht aber auf acht. Maßgeblich seien unter Berücksichtigung der ausgeschiedenen Mitarbeiter allenfalls 134 Wahlberechtigte, mithin hätten sieben Stützunterschriften genügt.
Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 28.11.2022 ist den anwaltlichen Prozessvertretern des Beteiligten zu 2.) am 05.12.2022 zugestellt worden. Diese haben namens und im Auftrag des Beteiligten zu 2.) mit Schriftsatz vom 03.01.2023 Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Sie haben die Beschwerde – nach Verlängerung der Begründungsfrist aufgrund von mit der Beschwerde gestellten Antrags bis 20.03.2023 – mit am 17.03.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.
Der Beteiligte zu 2.) begründet seine Beschwerde im Wesentlichen damit, das Arbeitsgericht sei zu Unrecht von der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussagen ausgegangen. Der Zeuge S. habe erklärt, er sei vom Geschäftsführer im Vorfeld der Beweisaufnahme angerufen worden; dieser habe mit ihm über seine Kompetenzen gesprochen. Auch beim Zeugen R. dränge sich der Verdacht einer Einflussnahme der Geschäftsführung auf. Auch die Aussage des Angestellten U. sei wenig glaubhaft, habe er sich doch im Vorfeld der Betriebsratswahlen als Betriebsleiter geriert. Zudem habe das Gericht den Personalaustausch zwischen den Filialen nicht ausreichend berücksichtigt. Hinsichtlich der Stützunterschriften sei es nicht zu beanstanden gewesen, dass der Wahlvorstand diejenigen Arbeitsplätze, auf denen ausscheidende Arbeitnehmer beschäftigt gewesen seien, berücksichtigt habe; es komme auf die Zahl der regelmäßig Beschäftigten an. Die sechs Führungskräfte seien – obwohl nicht auf der Wählerliste – wahlberechtigt gewesen, weil es sich in Wirklichkeit nicht um leitende Angestellte gehandelt habe. Dies sei vom Beurteilungsspielraum des Wahlvorstands gedeckt. Der fehlende Hinweis im Wahlausschreiben auf den Ausschluss der Anfechtungsberechtigung bei Nichteinlegung eines Einspruchs gegen die Wählerliste könne die Anfechtung nicht begründen.
Der Beteiligte zu 2.) und Beschwerdeführer stellt im Beschwerdeverfahren folgende Anträge:
I. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Weiden vom 28.11.2022, AZ: 2 BV 1/22, wird abgeändert.
II. Der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Beteiligte zu 1.) und Beschwerdegegnerin hat beantragt,
Die Beschwerde ist zurückzuweisen.
Die Beteiligte zu 1.) schließt sich den Ausführungen des Arbeitsgerichts an. Das Arbeitsgericht habe die Aussagen der Zeugen zu Recht als glaubwürdig bezeichnet. Alle Zeugen hätten bestätigt, dass der Angestellte U. gerade keine Leitungsmacht besessen habe. Einen strukturierten Personalaustausch zwischen den Filialen gebe es nicht. Lediglich in Notfällen würden sich einzelne Standorte untereinander aushelfen. Zurecht habe das Arbeitsgericht eine Klammer bezüglich der fünf Standorte, für die ein gemeinsamer Betriebsrat gewählt worden sei, verneint.
Der Beteiligte zu 2.) hat in der Zwischenzeit seinen Rücktritt erklärt und beschlossen, einen Wahlvorstand zur Durchführung der Betriebsratswahl zu bestellen (Anlage AS 18 zum Schriftsatz der Beteiligten zu 1.) vom 10.07.2023, Bl. 409 d.A.). Der Angestellte U. ist seit September 2022 nicht mehr für die fünf Filialen zuständig und hat andere Aufgaben im Unternehmen übernommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gründe der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, auf die Niederschrift über die Anhörung vom 17.07.2023 und auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingereichte und auch begründete Beschwerde des Beteiligten zu 2.) ist in der Sache nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl vom 20.01.2022 zurecht für ungültig erklärt. Die Beschwerdekammer folgt den ausführlichen und zutreffenden Gründen des Arbeitsgerichts, denen sie sich in vollem Umfang anschließt, so dass auf eine erneute, nur wiederholende Darstellung verzichtet werden kann (§ 69 Abs. 2 ArbGG entsprechend). Zu den in der Beschwerdeinstanz vorgetragenen und vertieften Argumenten der Beteiligten ist folgendes hinzuzufügen:
1. Das Arbeitsgericht hat die Anfechtbarkeit zutreffend schon deswegen angenommen, weil die Wahl für eine nicht betriebsratsfähige Einheit erfolgt ist.
a. Die Anfechtung durch die Arbeitgeberin ist form- und fristgerecht innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgt. Sie hat mit dem Berufen auf eine Verkennung des Betriebsbegriffs bei der Wahl zumindest einen Fehler benannt, der – läge er vor – zur Unwirksamkeit der Wahl führen würde. Damit sind die formellen Voraussetzungen des Anfechtungsantrags erfüllt.
b. Der Wahlvorstand hätte die Wahl nicht für die fünf Niederlassungen in der Oberpfalz als Einheit durchführen dürfen. Das Betriebsverfassungsgesetz verlangt, dass die Wahlen in „Betrieben“ stattfinden. „Betriebsteile“ gelten als selbstständige Betriebe, wenn sie – Anzahl der wahlberechtigten und wählbaren Arbeitnehmer vorausgesetzt – räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt oder durch Aufgabenbereich und Organisation eigenständig sind.
c. Nötig wäre also, dass es sich bei den fünf Niederlassungen um einen einheitlichen Betrieb handelt. Zu Recht hat das Arbeitsgericht es für unerheblich gehalten, ob die einzelnen Niederlassungen für sich selbstständige Betriebe darstellen, wie die Beteiligte zu 1.) meint, oder ob sie wegen ihrer räumlichen Entfernung oder ihrer eigenständigen Organisation als Betriebsteile anzusehen sind. Letztlich kann dies dahinstehen – bilden die fünf Filialen nicht jeweils für sich einen eigenständigen Betrieb, sondern nur Betriebsteile, dann ist in den jeweiligen Filialen jeweils ein eigener Betriebsrat zu wählen, weil sie vom dann maßgeblichen Hauptbetrieb in AStadt jeweils räumlich weit entfernt liegen (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG). Genauso sind für jeden einzelnen Standort für sich Betriebsräte zu wählen, wenn die Filialen als selbstständig im Sinne des § 1 BetrVG oder des § 4 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG zu betrachten wären.
d. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die vom Arbeitsgericht zutreffend zitiert ist und der auch die Beschwerdekammer folgt, liegt ein Betrieb dann vor, wenn eine organisatorische Einheit besteht, in der die vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird (BAG v. 17.05.2017, 7 ABR 21/15, Rn. 17 der Gründe; BAG v. 07.05.2008, 7 ABR 15/07, Rn. 19 der Gründe, jeweils zitiert nach juris).
Nach dem Vorbringen der Beteiligten, an dessen Richtigkeit die Kammer keine Zweifel hat, steht fest, dass die Unterschriften unter nach außen wirkende Erklärungen jeweils von der Zentrale in A-Stadt geleistet werden, und zwar für Einstellungen ebenso wie für Kündigungen. Der als „Betriebsleiter“ bezeichnete Angestellte U. hat solche Unterschriften nicht geleistet. Es ist von niemandem behauptet worden, dass er eine Befugnis hierfür gehabt hätte. Schon dies stellt ein Indiz dafür dar, dass die wesentlichen Entscheidungen in personeller Hinsicht von der Zentrale getroffen werden. Darüber hinaus haben sämtliche vernommenen Zeugen ausgesagt, dass sie Vorschläge über personelle Entscheidungen an die Geschäftsleitung in A-Stadt weitergegeben hätten, dort seien sie genehmigt worden. Die Kammer hat keinen Anlass, an der vom Arbeitsgericht angenommenen Glaubwürdigkeit der getroffenen Aussagen zu zweifeln. Erst recht gilt dies für den Bereich sozialer Angelegenheiten. Hier sind keine wesentlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass der Angestellte U. hierfür im Wesentlichen die Entscheidungsgewalt besessen hätte. Es erscheint auch der Beschwerdekammer als nachvollziehbar, dass es wesentliche Aufgabe des Angestellten U. gewesen ist, die nach dem Betriebsübergang für die Beteiligte zu 1.) „neuen“ Einheiten an die im Unternehmen praktizierten Vorgehensweisen heranzuführen und diese dort zu implementieren. Insoweit handelt es sich um einen begrenzten Aufgabenbereich, der die Annahme einer selbstständigen Leitung einer eigenständigen Organisation im oben genannten Sinn nicht rechtfertigen kann.
e. Zwar ist dem Wahlvorstand kein Vorwurf zu machen, dass er bezüglich dieser Rechtsfrage angesichts der Bezeichnung des Angestellten U. als Betriebsleiter und der diesbezüglichen Kommunikation eine andere Auffassung vertreten hat. Hinsichtlich des anzuwendenden Betriebsbegriffs kommt es aber nicht auf die Einschätzung des Wahlvorstands, sondern auf die tatsächlichen Gegebenheiten an. Es hätte in jeder Filiale ein eigener Betriebsrat gewählt werden müssen, nicht aber ein gemeinsamer Betriebsrat für die fünf in der Oberpfalz gelegenen Standorte.
2. Zutreffend ist das Arbeitsgericht auch von der Anfechtbarkeit der Wahl im Hinblick auf die Veröffentlichung der Stützunterschriften ausgegangen.
a. Insoweit hat der Wahlvorstand sich widersprüchlich verhalten. Dabei hat das Arbeitsgericht zu Recht erklärt, dass der Wahlvorstand den Beschluss zum Erlass des Wahlausschreibens ebenso wie den Beschluss über die Wählerliste am Tag des Aushangs des Wahlausschreibens zu treffen hat. An diesem Datum wird die Wahl eingeleitet. Wenn der Wahlvorstand die Beschlussfassung einige Tage vorgezogen hat, hätte er dies zumindest am 22.11.2022 überprüfen und gegebenenfalls korrigieren müssen. Wenn er der Meinung war, dass die sechs von der Beteiligten zu 1.) als leitende Angestellte zu betrachtenden Mitarbeiter wahlberechtigt waren, dann hätte er diese zwingend auf die am 22.10.2022 maßgebliche Wählerliste setzen müssen. Wenn er der Rechtsauffassung der Arbeitgeberseite nachgeben wollte, dass diese nicht wahlberechtigt seien, hätte er dies sowohl für die Wählerliste als auch für das Wahlausschreiben berücksichtigen müssen – er hätte die sechs als nicht wahlberechtigte Arbeitnehmer akzeptierten Personen dann auch nicht bei der Benennung der Zahl der wahlberechtigten Arbeitnehmer, der Berechnung der Sitze für das Geschlecht in der Minderheit und bei der Berechnung der erforderlichen Stützunterschriften berücksichtigen dürfen. Insofern trägt auch die Auffassung des Beteiligten zu 2.) nicht, die Bewertung sei vom Einschätzungsspielraum des Wahlvorstands gedeckt. Dieser hätte die sechs Angestellten entweder bei all diesen Fragen gar nicht berücksichtigen dürfen oder aber sowohl im Wahlausschreiben als auch in der Wählerliste. Diese Widersprüchlichkeit begründet die Anfechtung der Wahl. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass, hätte der Wahlvorstand mitgeteilt, dass nur sieben Wahlberechtigte einen Wahlvorschlag stützen müssten, weitere Wahlvorschläge eingereicht worden wären. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die genannten Angestellten, hätte der Wahlvorstand sie auf die Wählerliste gesetzt, Wahlvorschläge gemacht, kandidiert oder mitgewählt hätten.
b. Es kann dahinstehen, ob der Wahlvorstand auch Fehler im Hinblick darauf gemacht haben könnte, dass er diejenigen Mitarbeiter, bei denen im Zeitpunkt des Erlasses des Wahlausschreibens feststand, dass sie ausscheiden würden, für die Berechnung der Stützunterschriften mitberücksichtigt hat. Vieles spricht dafür, dass für die Berechnung der Stützunterschriften der Tag des Erlasses des Wahlausschreibens maßgeblich ist, nicht aber die Zahl der regelmäßig Beschäftigten (so wohl Fitting, BetrVG, 31. Aufl. 2022, § 14 Rn. 49; Homburg in Däubler/Klebe/ Wedde, BetrVG, 18. Aufl. 2022, § 14 Rn. 26; Vetter in Praxis des Arbeitsrechts, 7. Aufl. 2023, § 43 Rn. 210). Insoweit hätte der Wahlvorstand zwar beschließen müssen, ob er diejenigen Mitarbeiter, deren Ausscheiden feststand, berücksichtigen würde. Im Ergebnis dürfte die weitere Berücksichtigung aber nicht zu beanstanden sein.
c. Hierauf kommt es angesichts der oben in Ziff. 1 und der in Ziff. 2a. genannten Ausführungen aber nicht mehr entscheidend an.
3. Nach alldem ist die Wahl für unwirksam zu erklären. Die Kammer erlaubt sich allerdings den Hinweis, dass es auf diese Fragen für die Zukunft letztlich nicht ankommt. Es steht fest, dass der gewählte Betriebsrat – nach dem entsprechenden Mail schon vor dem 10.07.2023 – seinen Rücktritt beschlossen hat. Dieser hat angekündigt, einen Wahlvorstand für die Neuwahl einzusetzen. Hierzu ist er kraft Gesetzes verpflichtet (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG). Zu beachten ist weiter, dass nach den vom Beteiligten zu 2.) nicht bestrittenen Angaben der Beteiligten zu 1.) der Angestellte U. inzwischen andere Aufgaben übernommen hat. Die Kammer hat keinen Anlass, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln. Damit ist auch die vom Wahlvorstand angenommene „Klammer“ hinsichtlich der fünf Standorte in der Oberpfalz weggefallen. Eine gemeinsame Wahl für diese fünf Standorte kommt, wie in der Anhörung ausführlich besprochen, nunmehr in keinem Fall mehr in Betracht, wenn sich die Organisation im Übrigen nicht diesbezüglich erneut geändert hat, wofür bisher keine Anhaltspunkte bestehen.
4. Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht kein gesetzlich begründeter Anlass.