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Arbeitsrecht
18.02.2010
Arbeitsrecht
LAG Berlin: Betriebsratsanhörung - Mitteilung zu Unterhaltspflichten

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil  vom 09.12.2009 - Aktenzeichen 15 Sa 1769/09 (Vorinstanz: ArbG Frankfurt/O. - 8 Ca 2000/08 - 19.5.2009 )
Eine Kündigung ist unwirksam, wenn dem Betriebsrat vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung nicht die Unterhaltsverpflichtungen der Arbeitnehmerin mitgeteilt werden.
  KSchG § 1; BetrVG § 102 Abs. 1 S. 1, 3;
Tatbestand: 
Die Klägerin ist .....1961 geboren, verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet, was der Beklagten bekannt ist. RN 18
Sie war seit dem 1. Januar 2005 bei der Beklagten als Kundenbetreuerin gegen ein Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.007,78 € beschäftigt. Hinsichtlich der krankheitsbedingten Fehltage und ihrer Ursachen wird auf die Seiten 3 - 5 des Beklagtenschriftsatzes vom 27.02.2009 verwiesen. Danach war die Klägerin auch bei Herausrechnung der mitgezählten Samstage ab dem Jahre 2006 jährlich deutlich über 6 Wochen pro Kalenderjahr arbeitsunfähig erkrankt. Mit Schreiben vom 17. Oktober 2008 hörte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat zu der beabsichtigten Kündigung der Klägerin an (Kopie Bl. 40 ff. d. A.). Die Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind wurde dem Betriebsrat nicht mitgeteilt. RN 19
Unter dem 27. Oktober 2008 hat die Beklagte eine ordentliche Kündigung zum 30. November 2008 ausgesprochen. Hiergegen richtet sich die am 11. November 2008 beim Arbeitsgericht Frankfurt/Oder eingegangene und der Beklagten am 18. November 2008 zugestellte Klage. RN 20
Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, alle Krankheiten seien ausgeheilt. Insofern hat sie sich auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufen. Sie hat weiterhin die Ordnungsgemäßheit der Anhörung des Betriebsrates u.a. mit dem Argument bestritten, diesem sei die Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Kind nicht mitgeteilt worden. RN 21
Nachdem das Arbeitsgericht durch Teilversäumnisurteil vom 19.03.2009 festgestellt hatte, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 27. Oktober 2008 nicht beendet worden ist, hat die Beklagte hiergegen rechtzeitig Einspruch eingelegt. RN 22
Die Klägerin hat nach Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrages zuletzt beantragt, RN 23
das Teilversäumnisurteil vom 19.03.2009 aufrecht zu erhalten. RN 24
Die Beklagte hat beantragt, RN 25
das Teilversäumnisurteil aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen. RN 26
Die Beklagte hat behauptet, seit 2005 10.099,99 € Lohnfortzahlungskosten erbracht zu haben. Rechne man einen 20 %igen Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung hinzu, betrügen die Kosten 12.119,99 €. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei nicht notwendig gewesen, da keine Möglichkeiten bestanden hätten, am Arbeitsplatz der Klägerin etwas zu ändern. RN 27
Mit Urteil vom 19. Mai 2009 hat das Arbeitsgericht Frankfurt/Oder das Teilversäumnisurteil vom 19. März 2009 aufrechterhalten. Die Kündigung sei unwirksam. Es sei allerdings von einer konstitutionellen Schwäche hinsichtlich der Gesundheit der Klägerin auszugehen. Insofern könne eine Indizwirkung der Erkrankungen aus der Vergangenheit unterstellt werden. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitere jedoch auf der zweiten Stufe. Insofern sei zu fordern, dass über einen Zeitraum von vier Jahren 25 % der Arbeitsleistung nicht erbracht werden. Ein geringfügiges Überschreiten des 6-Wochen-Zeitraums reiche nicht aus. Die Kündigung sei auch deswegen unwirksam, weil dem Betriebsrat andere Kosten, nämlich höhere, und Ausfallzeiten mitgeteilt worden seien. RN 28
Dieses Urteil ist der Beklagten am 13. Juli 2009 zugestellt worden. Am 11. August 2009 ging die Berufung und am 14. September 2009 (Montag) die entsprechende Begründung beim Landesarbeitsgericht ein. RN 29
Die Beklagte verweist darauf, dass ihrer Ansicht nach das erstinstanzliche Urteil nicht der Rechtsprechung des BAG entspreche. Hinsichtlich der Lohnfortzahlungskosten habe das Arbeitsgericht fälschlicherweise nur die Zahlen bzgl. des Grundlohnes in Ansatz gebracht und nicht auf die zusätzlich gezahlten Prämien. Insofern sei der Betriebsrat nicht mangelhaft informiert worden. RN 30
Die Beklagte beantragt sinngemäß, RN 31
unter Aufhebung des Teil-Versäumnisurteil vom 19.03.2009 das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt/Oder vom 19.Mai 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen. RN 32
Die Klägerin beantragt, RN 33
die Berufung zurückzuweisen. RN 34
Sie behauptet erstmals, ihr Arbeitsplatz sei mit einem Stuhl ausgestattet gewesen, der nicht ergonomischen Ansprüchen genüge. Im Übrigen hält sie das Urteil des Arbeitsgerichts für zutreffend. RN 35
Entscheidungsgründe: 
Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig. Sie ist im Ergebnis jedoch nicht begründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Arbeitsgericht Frankfurt/Oder das Teil-Versäumnisurteil vom 19. März 2009 aufrechterhalten, denn die Kündigung vom 27. Oktober 2008 ist unwirksam. RN 36
1. Soweit das Arbeitsgericht die Ansicht vertreten hat, die Kündigung sei schon gem. RN 37
§ 1 KSchG unwirksam, dürfte viel dafür sprechen, dass dies auf der damaligen Tatsachenbasis nicht zutraf. RN 38
Die Krankheitszeiten der Klägerin lagen seit dem Jahr 2006 deutlich über dem 6-Wochen-Zeitraum. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist jedoch ausreichend, dass auch künftig zu erwarten ist, dass jährliche Lohnfortzahlungskosten für einen Zeitraum von über sechs Wochen auftreten. Da zwischen den Parteien streitig war, ob die Erkrankungen der Klägerin ausgeheilt waren, hätte hierüber Beweis erhoben werden müssen. Letztlich konnte dies jedoch offen bleiben, da die Kündigung sich schon aus anderen Gründen als unwirksam erwies. RN 39
2. Die Kündigung ist nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. RN 40
Nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG muss der Arbeitgeber dem Betriebsrat diejenigen Gründe mitteilen, die nach seiner subjektiven Sicht die Kündigung rechtfertigen und für seinen Kündigungsentschluss maßgebend sind (BAG vom 13.05.2004 - 2 AZR 329/03 - NZA 2004, 1037, 1038). Der Arbeitgeber ist hierbei grundsätzlich verpflichtet, den Betriebsrat (bzw. einem Personalrat) über das Alter, den Familienstand und die Unterhaltsverpflichtungen des zu kündigenden Arbeitnehmers zu informieren, weil sie bei personen- oder verhaltensbedingten Kündigungen regelmäßig im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG bzw. § 626 Abs. 1 BGB notwendigen Interessenabwägung Berücksichtigung finden können (BAG vom 23.04.2009 - 6 AZR 516/08 - NZA 2009, 960 Rn. 20 f.). Der Arbeitgeber braucht ausnahmsweise den Betriebsrat jedoch dann die Sozialdaten nicht mitteilen, wenn und soweit sie - für den Betriebsrat erkennbar - für seinen Kündigungsentschluss völlig unmaßgeblich sind (aaO. Rn. 22). Dies nimmt das Bundesarbeitsgericht im Falle einer Betriebsstilllegung und bei einer Kündigung während der Wartezeit an. Gleiches soll bei einer verhaltensbedingten Kündigung gelten, bei der es dem Arbeitgeber wegen der Schwere der Kündigungsvorwürfe auf die genauen Sozialdaten ersichtlich nicht ankommt, sofern der Betriebsrat die ungefähren Daten kennt (BAG aaO. Rn. 22 f.). RN 41
Bei Anwendung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte dem Betriebsrat die Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrem Kind nicht mitgeteilt hat. Die Mitteilung der Unterhaltspflichten gehört grundsätzlich jedoch zur Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsbeteiligung bei einer personenbedingten Kündigung. Die vom Bundesarbeitsgericht angenommenen drei Ausnahmetatbestände liegen erkennbar nicht vor. Insofern ist die Kündigung allein schon aus diesem Grunde unwirksam. RN 42
Daher kann es offen bleiben, ob eine möglicherweise fehlerhafte Mitteilung hinsichtlich der Entgeltfortzahlungskosten gegenüber dem Betriebsrat ebenfalls zur Unwirksamkeit der Kündigung führt. RN 43
3. Es muss nicht entschieden werden, ob die Darlegungen der Beklagten hinsichtlich des nach § 84 Abs. 2 SGB IX notwendigen betrieblichen Eingliederungsmanagements ausreichend sind (vgl. BAG vom 12.07.2007 - 2 AZR 716/06 - NZA 2008, 173 Rn. 44). RN 44
4. Die Beklagte hat die Kosten des erfolglos durchgeführten Berufungsverfahrens zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO). RN 45
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 ArbGG). Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gem. § 72 a ArbGG wird hingewiesen. RN 46
 

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