BAG: Betriebsrat – Freistellung von Rechtsanwaltskosten – Rechnungsstellung – Verjährung
BAG, Urteil vom 26.4.2023 – 10 AZR 137/22
ECLI:DE:BAG:2023:260423.U.10AZR137.22.0
Volltext: BB-Online BBL2023-1779-1
Orientierungssätze
1. Nach § 40 Abs. 1 BetrVG trägt der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten. Hierzu können Honorarkosten für einen Rechtsanwalt, dessen Heranziehung in einem Einigungsstellenverfahren der Betriebsrat in Wahrnehmung seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechte für erforderlich halten durfte, gehören (Rn. 16).
2. Der gerichtlich geltend gemachte Anspruch des Betriebsrats auf Freistellung von Kosten aus einer von ihm getroffenen Honorarzusage für die anwaltliche Vertretung umfasst die gesetzlichen Anwaltsgebühren, soweit diese die Honorarvereinbarung nicht übersteigen. Es handelt sich insoweit nicht um verschiedene Verfahrensgegenstände (Rn. 12).
3. Für den Freistellungsanspruch des Betriebsrats von anwaltlichen Honorarkosten genügt es nicht, dass der Rechtsanwalt für den Betriebsrat tätig geworden ist; vielmehr muss die Beauftragung des Anwalts auf einem ordnungsgemäßen Betriebsratsbeschluss beruhen (Rn. 41).
4. Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats nach § 40 Abs. 1 BetrVG ist ein Befreiungsanspruch i. S. d. § 257 S. 1 BGB, der mit Eingehen der Verbindlichkeit entsteht, von der freizustellen ist. Eine an den Betriebsrat adressierte Rechnung ist keine Tatbestandsvoraussetzung für seine Entstehung (Rn. 20).
5. § 10 Abs. 1 S. 1 RVG tangiert nicht das Entstehen des anwaltlichen Vergütungsanspruchs, sondern betrifft die Frage, ob der Rechtsanwalt die Vergütung einfordern kann (Rn. 25).
6. Der Freistellungsanspruch des Betriebsrats gegen den Arbeitgeber von Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG verjährt gemäß § 195 BGB nach drei Jahren. Nach § 214 Abs. 1 BGB ist nur der Schuldner berechtigt, die Leistung wegen Verjährung zu verweigern. Es steht in seinem Ermessen, ob er hiervon Gebrauch macht (Rn. 34).
7. Eine gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßende Ausübung einer formalen Rechtsstellung durch den Betriebsrat kann wegen der Besonderheiten des durch die Wahrnehmung strukturell gegensätzlicher Interessen gekennzeichneten Rechtsverhältnisses der Betriebsparteien nur in besonders schwerwiegenden, eng begrenzten Ausnahmefällen angenommen werden (Rn. 36).
8. Das Kostenschonungsinteresse des Arbeitgebers begründet keine grundsätzliche Verpflichtung des Betriebsrats, gegenüber der Forderung aufgrund einer von ihm eingegangenen Verbindlichkeit die Einrede der Verjährung zu erheben (Rn. 37 ff.).
Sachverhalt
Die Parteien streiten im Rahmen einer Stufenklage über eine Auskunft zu den Bemessungsgrundlagen für eine Zahlung aus einem Programm zur Beteiligung an der Unternehmensentwicklung und die Auszahlung der sich ergebenden Beträge.
Der Kläger ist seit November 2014 für die Beklagte tätig, seit August 2015 bis zu seiner Freistellung im November 2016 als Leiter des Bereichs Finanzen und Controlling für den Geschäftsbereich Waffe und Munition. § 1 Abs. 2 des Arbeitsvertrags vom 25. Juni 2014 lautet:
„Herr S gehört zum Kreis der ‚leitenden Führungskräfte‘ der R GmbH. Die Bestimmungen des Betriebsverfassungsgesetzes finden auf Herrn S in der jetzigen Funktion keine Anwendung, da er zum Personenkreis gemäß § 5 Abs. III dieses Gesetzes gehört.“
Die Beklagte beteiligt auf der Grundlage des „Long-Term Incentive Programm für inländische Führungskräfte des R-Konzerns“ (LTI-Programm) ihre Führungskräfte an der Unternehmensentwicklung. In den Regelungen zu diesem Programm heißt es auszugweise:
„A.
Programmbedingungen
I. Präambel
Programme zur Beteiligung des Top-Managements an der langfristigen Unternehmensentwicklung stellen einen flexiblen Bestandteil der Managementvergütung dar. Diesem Ansatz folgend, besteht im R-Konzern für den Vorstand und die Führungskräfte ein Long-Term Incentive Programm (LTI). Das LTI und seine administrative Abwicklung werden für verschiedene Personengruppen in unterschiedlichen Programmbedingungen beschrieben.
II. Geltungsbereich und Teilnahmeberechtigung
1. Die nachfolgenden Programmbedingungen gelten für inländische Führungskräfte des R-Konzerns.
2. Die gemäß Ziffer 1 definierten Personen sind zur Teilnahme an dem LTI in dem Umfang berechtigt, wie sie eine individuelle Zusage erhalten haben. Eine individuelle Zusage wird stets nur für ein einzelnes Geschäftsjahr gewährt. Es handelt sich bei der Zahlung des LTI um eine freiwillige Leistung, auf die auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grunde noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch für die Zukunft begründet wird. In jedem Jahr wird erneut entschieden, ob und in welcher Höhe einer inländischen Führungskraft des R-Konzerns eventuell ein LTI gewährt wird.
III. Ermittlung des Ausschüttungsbetrages
1. Bereinigtes EBT
Für die Ermittlung des Ausschüttungsbetrages ist das bereinigte EBT (Earnings Before Taxes) des R-Konzerns maßgeblich. Das bereinigte EBT wird jährlich auf der Basis des R-Konzernabschlusses dadurch ermittelt, dass das im Geschäftsbericht veröffentlichte bereinigte EBIT (Earnings Before Interest and Taxes) um das Zinsergebnis korrigiert wird. Das bereinigte EBIT wird als Bestandteil des Jahresabschlusses festgestellt. Bei der Ermittlung des bereinigten EBT-Wertes sind Kapitalerhöhungen, die der Finanzierung von Akquisitionen dienen und die eine Verbesserung des LTI (Erhöhung des bereinigten EBT) zur Folge haben, mit dem Aufsichtsrat abzustimmen.
2. Bemessungsgrundlage
In einem zweiten Schritt zur Ermittlung des Ausschüttungsbetrages ist die Bemessungsgrundlage zu bilden. Als maßgebliche Bemessungsgrundlage wird das durchschnittliche bereinigte EBT des R-Konzerns der vergangenen drei Geschäftsjahre herangezogen. Dies bedeutet, dass sich der Ausschüttungsbetrag für das LTI 2015 auf Grundlage des durchschnittlichen bereinigten EBT des R-Konzerns der Jahre 2013 – 2015 berechnet.
Der für die Ermittlung des Ausschüttungsbetrages zu berücksichtigende Wert (durchschnittliches bereinigtes EBT über drei Jahre) ist auf 300 Mio. € begrenzt.
3. Individueller Faktor
In einem dritten Schritt wird die maßgebliche Bemessungsgrundlage mit dem individuellen Faktor des Teilnehmers gemäß der ihm für das jeweilige Geschäftsjahr erteilten Zusage multipliziert.
…
IV. Aufteilung des Ausschüttungsbetrages
Der in dem jeweiligen Jahr ermittelte Ausschüttungsbetrag wird jeweils zu 40 % in Aktien der R AG und zu 60 % in Form eines Barausschüttungsbetrages gewährt.“
Auf der Grundlage von Zusagen für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 beteiligte die Beklagte den Kläger am LTI-Programm und gewährte ihm Geldzahlungen und Aktien. In der Zusage für das Geschäftsjahr 2015 war wie in den Begleitschreiben zur Leistungsgewährung für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 der Hinweis enthalten, dass es sich um eine freiwillige Leistung handle, auf die dem Grund und der Höhe nach auch bei mehrmaliger Gewährung kein Rechtsanspruch für die Zukunft bestehe. Am 7. November 2016 stellte die Beklagte den Kläger frei und bot ihm an, einen Aufhebungsvertrag zu schließen, der ua. eine Zahlung von 10.000,00 Euro für die Teilnahme am LTI-Programm im Geschäftsjahr 2017 vorsah. Der Kläger lehnte das Angebot ab. Im Folgenden kam es zum Ausspruch mehrerer Kündigungen, die im Ergebnis nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses führten. In den Geschäftsjahren 2017 und 2018 wurde der Kläger nicht am LTI-Programm beteiligt.
Mit seiner Klage vom 29. Mai 2020 verlangt der Kläger – soweit für das vorliegende Verfahren noch von Bedeutung – im Weg der Stufenklage Auskunft über die Bemessungsgrundlagen für Leistungen aus dem LTI-Programm für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 sowie Zahlung der Ausschüttungsbeträge. Er hat behauptet, die Beklagte habe in den Jahren 2017 und 2018 nahezu allen leitenden Angestellten, Vorständen und sonstigen Führungskräften die Teilnahme am LTI-Programm zugesagt. Er gehöre ausweislich seines Arbeitsvertrags zum Kreis der leitenden Führungskräfte, aus dem nach seiner Kenntnis jedenfalls 13 von ihm namentlich benannte Arbeitnehmer Zusagen nach dem LTI-Programm erhalten hätten. Er sei daher zu Unrecht von den Leistungen nach diesem Programm ausgenommen worden.
Der Kläger hat – zuletzt – beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft über die für die Ermittlung des Ausschüttungsbetrags des „Long-Term Incentive Programms“ für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 maßgebliche Bemessungsgrundlage entsprechend dem „Long-Term Incentive Programm für inländische Führungskräfte des R-Konzerns“ zu erteilen;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihm den sich aus der nach Maßgabe der unter Ziff. 1 erteilten Auskünfte ergebenden Ausschüttungsbetrag für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 zu bezahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, nach den Regelungen des LTI-Programms setze die Teilnahme und demzufolge eine Leistung nach diesem Programm eine individuelle Zusage für das jeweilige Geschäftsjahr voraus. An einer solchen Zusage fehle es für die beiden streitgegenständlichen Jahre. Bei der Zusage, am LTI-Programm beteiligt zu werden, handle es sich um eine freiwillige Leistung. In jedem Jahr werde neu entschieden, ob und in welcher Höhe eine inländische Führungskraft am LTI-Programm teilnehme. Die in der Vergangenheit erbrachten Leistungen seien jeweils unter einem Freiwilligkeitsvorbehalt gewährt worden. Im fraglichen Zeitraum seien auch anderen, mit dem Kläger vergleichbaren Kollegen keine Leistungen nach dem LTI-Programm gewährt worden. Die vom Kläger genannten Arbeitnehmer seien teilweise auf deutlich höheren Hierarchiestufen als er beschäftigt und mit ihm nicht vergleichbar. Es gäbe bei ihr keine Leistungen nach einer abstrakt-generalisierenden Regelung.
Das Arbeitsgericht hat mit Teilurteil dem Auskunftsantrag des Klägers – soweit für die Revision von Interesse – stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Teilurteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Stufenklage insgesamt abgewiesen. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
Aus den Gründen
9 Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte der Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Teilurteil des Arbeitsgerichts nicht mit der gegebenen Begründung stattgeben und die Klage abweisen. Zu Recht rügt die Revision, das Landesarbeitsgericht habe die Anforderungen an die Darlegungslast für den erhobenen Auskunftsanspruch überspannt.
10 I. Die Klage ist mit den zuletzt gestellten Anträgen zulässig.
11 1. Der Auskunftsantrag ist hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO (vgl. zu den Anforderungen: BAG 25. Januar 2022 – 9 AZR 146/21 – Rn. 9; 18. März 2020 – 5 AZR 25/19 – Rn. 14). Der Kläger begehrt erkennbar Auskunft über die Bemessungsgrundlage für die Ausschüttungsbeträge für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 nach Abschn. A Nr. III Ziff. 2 der Regelungen des LTI-Programms. Einer näheren Bezeichnung im Antrag bedurfte es insoweit nicht.
12 2. Der Auskunfts- und der (noch unbezifferte) Leistungsantrag konnten zulässig als Stufenklage nach § 254 ZPO erhoben werden.
13 a) Nach § 254 ZPO kann mit der Klage auf Rechnungslegung oder auf Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses oder auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung eine Klage auf Herausgabe desjenigen verbunden werden, was der Beklagte aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis schuldet. Bei der Stufenklage wird ein der Höhe oder dem Gegenstand nach noch unbekannter und daher entgegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO noch nicht zu beziffernder Leistungsanspruch zugleich mit den zu seiner Konkretisierung erforderlichen Hilfsansprüchen auf Auskunft und ggf. Richtigkeitsversicherung erhoben (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 16; 28. August 2019 – 5 AZR 425/18 – Rn. 17, BAGE 167, 349). Die in der ersten Stufe verlangte Auskunft muss für die Erhebung eines bestimmten Antrags erforderlich sein. Wenn die Auskunft dazu dient, den Leistungsantrag nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO bestimmen zu können, werden entgegen dem Gesetzeswortlaut von § 254 ZPO Informationsansprüche jeglicher Art erfasst (vgl. BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 9. November 2021 – 1 AZR 206/20 – Rn. 13; 28. August 2019 – 5 AZR 425/18 – Rn. 20, aaO). Auch ist ausreichend, wenn lediglich ein Teil der für die Bezifferung benötigten Informationen im Weg der Auskunftsklage erlangt werden kann oder verlangt wird. Eine Stufenklage ist nur dann ausgeschlossen, wenn die Auskunft in keiner Weise der näheren Bestimmung eines noch nicht hinreichend bestimmten, in einer nachfolgenden Stufe geltend gemachten Leistungsbegehrens, sondern anderen Zwecken dient (BAG 25. November 2021 – 8 AZR 226/20 – Rn. 20; 8. September 2021 – 10 AZR 11/19 – Rn. 27 f.; 28. August 2019 – 5 AZR 425/18 – Rn. 19, aaO).
14 b) Hiernach ist die Stufenklage zulässig. Der Kläger begehrt mit seinem Auskunftsantrag Informationen, mit denen er die Ausschüttungsbeträge nach dem LTI-Programm für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 beziffern möchte, die Gegenstand seines Leistungsantrags sind. Die Informationen sind erforderlich, um die Ausschüttungsbeträge zu berechnen. Es schadet nicht, dass zur Berechnung auch individuelle Faktoren notwendig sind, die der Kläger mit seiner Stufenklage – nach der insoweit rechtskräftigen Abweisung der Auskunftsklage durch das Arbeitsgericht – nicht erlangen kann.
15 II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Auskunftsanspruch nicht als unbegründet abgewiesen werden.
16 1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend von den in der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen eines auf § 242 BGB gestützten Auskunftsbegehrens ausgegangen.
17 a) Grundsätzlich besteht keine nicht aus besonderen Rechtsgründen abgeleitete Pflicht zur Auskunftserteilung für die Parteien des Rechtsstreits. Die Zivilprozessordnung kennt keine – über die anerkannten Fälle der Pflicht zum substantiierten Bestreiten hinausgehende – Aufklärungspflicht der nicht darlegungs- und beweisbelasteten Partei (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 20; 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – Rn. 29 mwN, BAGE 170, 327).
18 b) Von diesem Grundsatz abweichend kann allerdings materiell-rechtlich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) eine Auskunftspflicht bestehen.
19 aa) Dafür müssen es die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien mit sich bringen, dass der Berechtigte in entschuldbarer Weise über den bestehenden Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die Auskunft unschwer geben kann, die erforderlich ist, um die Ungewissheit zu beseitigen (vgl. BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 22; 25. November 2021 – 8 AZR 226/20 – Rn. 71 mwN; ebenso BGH 18. Februar 2021 – III ZR 175/19 – Rn. 44 mwN). Zudem darf die Darlegungs- und Beweissituation im Prozess durch materiell-rechtliche Auskunftsansprüche nicht unzulässig verändert werden (vgl. BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 24. Februar 2021 – 10 AZR 8/19 – Rn. 40, BAGE 174, 193; vgl. insgesamt zum Gleichbehandlungsgrundsatz Staudinger/Richardi/Fischinger [2022] § 611a Rn. 1045).
20 bb) Der Auskunftsanspruch nach § 242 BGB setzt im Einzelnen voraus: (1) das Vorliegen einer besonderen rechtlichen Beziehung, (2) die dem Grund nach feststehende oder (im vertraglichen Bereich) zumindest wahrscheinliche Existenz eines Leistungsanspruchs des Auskunftsfordernden gegen den Anspruchsgegner, (3) die entschuldbare Ungewissheit des Auskunftsfordernden über Bestehen und Umfang seiner Rechte sowie (4) die Zumutbarkeit der Auskunftserteilung durch den Anspruchsgegner (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 23; 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – Rn. 32 mwN, BAGE 170, 327; Staudinger/Looschelders/Olzen [2019] § 242 Rn. 605; MüKoBGB/Krüger 9. Aufl. § 260 Rn. 12 ff.). Schließlich dürfen (5) durch die Zuerkennung des Auskunftsanspruchs die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen werden (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27. Mai 2020 – 5 AZR 387/19 – aaO; BGH 17. April 2018 – XI ZR 446/16 – Rn. 24).
21 2. Nach Maßgabe dieser Voraussetzungen ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, ein Auskunftsanspruch des Klägers komme nicht in Betracht, weil es für den Leistungsanspruch auf die beanspruchten Ausschüttungsbeträge keine materiell-rechtliche Grundlage gebe, nicht frei von Rechtsfehlern.
22 a) Der Kläger hat den auf der zweiten Stufe verfolgten Leistungsanspruch, zu dessen Bezifferung er die streitgegenständlichen Auskünfte verlangt, zuletzt nur noch auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gestützt. Dieser wird inhaltlich durch den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bestimmt (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 25; 27. April 2021 – 9 AZR 662/19 – Rn. 17). Er gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (st. Rspr., vgl. BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 3. Juni 2020 – 3 AZR 730/19 – Rn. 42, BAGE 171, 1; 27. April 2016 – 5 AZR 311/15 – Rn. 35). Trotz des Vorrangs der Vertragsfreiheit ist der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei der Zahlung der Arbeitsvergütung anwendbar, wenn diese durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben wird oder der Arbeitgeber die Leistung nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, indem er Voraussetzungen oder Zwecke festlegt (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27. April 2016 – 5 AZR 311/15 – aaO). Die Begünstigung einzelner Arbeitnehmer erlaubt noch nicht den Schluss, diese bildeten eine Gruppe. Eine Gruppenbildung liegt erst dann vor, wenn die Besserstellung nach bestimmten Kriterien vorgenommen wird, die bei allen Begünstigten vorliegen (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 15. Mai 2013 – 10 AZR 679/12 – Rn. 40; 20. März 2013 – 10 AZR 8/12 – Rn. 39). Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz ist auch dann anwendbar, wenn der Arbeitgeber – nicht auf besondere Einzelfälle beschränkt – nach Gutdünken oder nach nicht sachgerechten oder nicht bestimmbaren Kriterien Leistungen erbringt (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 27. April 2021 – 9 AZR 662/19 – Rn. 17).
23 b) Die Darlegungs- und Beweislast für einen Verstoß gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz liegt grundsätzlich beim anspruchstellenden Arbeitnehmer. Nach den allgemeinen Regeln der Normenbegünstigung hat er die Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung darzulegen und daher vergleichbare Arbeitnehmer zu nennen, die ihm gegenüber vorteilhaft behandelt werden. Ist dies erfolgt, muss der Arbeitgeber – wenn er anderer Auffassung ist – darlegen, wie groß der begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der klagende Arbeitnehmer nicht dazugehört (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 26; 22. Januar 2009 – 8 AZR 808/07 – Rn. 37; 29. September 2004 – 5 AZR 43/04 – zu II 3 a der Gründe; Staudinger/Richardi/Fischinger [2022] § 611a Rn. 1044; ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 611a Rn. 698). Der Arbeitgeber hat die nicht ohne Weiteres erkennbaren Gründe für die von ihm vorgenommene Differenzierung offenzulegen und jedenfalls im Rechtsstreit mit einem benachteiligten Arbeitnehmer so substantiiert darzutun, dass durch das Gericht beurteilt werden kann, ob die Gruppenbildung auf sachlichen Kriterien beruht (BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – aaO; 12. August 2014 – 3 AZR 764/12 – Rn. 27; 15. Januar 2013 – 3 AZR 169/10 – Rn. 30, BAGE 144, 160).
24 c) Hiervon ausgehend hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft angenommen, der Kläger habe das Vorhandensein einer Gruppe mit ihm vergleichbarer, im Verhältnis zu ihm vorteilhaft behandelter Arbeitnehmer nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Dieser Würdigung liegt eine unzutreffende Verteilung der Darlegungslast zugrunde. Hierin liegt ein materieller Rechtsfehler, der im Revisionsverfahren ohne Verfahrensrüge von Amts wegen zu beachten ist (vgl. BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 27; 7. Mai 2020 – 2 AZR 692/19 – Rn. 70; 28. Mai 2014 – 7 AZR 276/12 – Rn. 32).
25 aa) Indem der Kläger auf seine Zugehörigkeit zu den „leitenden Führungskräften“ nach § 1 Abs. 2 Satz 4 des Arbeitsvertrags und auf den Erhalt einer Leistung aus dem LTI-Programm für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 verwiesen hat, hat er behauptet, zu den inländischen Führungskräften des R-Konzerns iSv. Abschn. A Nr. II Ziff. 1 der Regelungen des LTI-Programms zu zählen. Aus dieser Gruppe hat er 13 nach seinem Vortrag vergleichbare Personen benannt, die für die streitgegenständlichen Geschäftsjahre 2017 und 2018 Leistungen nach dem LTI-Programm erhalten haben. Damit hat er die Voraussetzungen für den begehrten Auskunftsanspruch schlüssig dargelegt: Zwischen den Parteien besteht ein Arbeitsverhältnis als besondere rechtliche Beziehung, aus welcher dem Grund nach ein Leistungsanspruch gegen die Beklagte wahrscheinlich ist. Mit den hierfür verlangten weitergehenden Darlegungen hat das Landesarbeitsgericht die den Kläger treffende Darlegungslast verkannt. Weitere Ausführungen können vom Kläger erst nach erheblichem (Gegen-)Vortrag (§ 138 Abs. 2 ZPO) der Beklagten verlangt werden. Der Kläger war weiterhin in einer entschuldbaren Ungewissheit über Bestehen und Umfang seiner Rechte, weil er keine genaue Kenntnis von den gewährten Ausschüttungsbeträgen und der zugrunde liegenden Berechnung hatte und haben konnte. Es ist weder konkret behauptet noch ersichtlich, dass sich der Kläger die notwendigen Informationen selbst auf zumutbare und rechtmäßige Weise beschaffen konnte. Der Beklagten ist die Auskunftserteilung zumutbar. Schließlich werden die allgemeinen Beweisgrundsätze nicht unterlaufen, weil nach Auskunftserteilung die oben (Rn. 23) dargestellte Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zu beachten ist.
26 bb) Unter Berücksichtigung des Vortrags und der Kenntnismöglichkeiten des im streitgegenständlichen Zeitraum freigestellten Klägers oblag es der Beklagten, seinen Behauptungen zur Gruppenbildung substantiiert entgegenzutreten und darzulegen, wie groß der von ihr begünstigte Personenkreis ist, wie er sich zusammensetzt, wie er abgegrenzt ist und warum der Kläger nicht dazugehört. Dies hat sie nicht getan. Sie hat zwar mit dem Verweis auf unterschiedliche Hierarchieebenen ein mögliches Abgrenzungskriterium angesprochen, aber nicht erläutert, dass oder inwiefern dieser Aspekt bei der vorgenommenen Gruppenbildung eine Rolle gespielt hat. Ohne die Darlegung der hierfür maßgeblichen Kriterien ist nicht erkennbar, inwieweit es für die Gruppenzugehörigkeit des Klägers von Bedeutung ist, dass er nach dem Vortrag der Beklagten einer anderen Hierarchieebene zugehörig sein soll. Ob er deswegen nicht mit Personen vergleichbar ist, die auf höheren Hierarchieebenen tätig sind, lässt sich ohne Offenlegung der Gründe für die vorgenommene Differenzierung nicht feststellen. Ebenso wenig kann beurteilt werden, ob eine – unterstellte – Gruppenbildung basierend auf Hierarchieebenen sachlichen Kriterien entsprach. Weiterer Vortrag des Klägers zu den Funktionen der von ihm benannten Personen ist erst erforderlich, nachdem die Beklagte erklärt hat, inwieweit es bei der Gruppenbildung auf die jeweils wahrgenommene Funktion ankommt.
27 cc) Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich auch nicht, dass der Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes im Streitfall bereits deshalb ausgeschlossen ist, weil die Leistungszusagen und Gewährungen nach dem LTI-Programm im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nach einem erkennbaren und generalisierenden Prinzip, bei dem sie Voraussetzungen oder Zwecke festlegt hatte, erfolgten.
28 (1) Die Beklagte hat zwar individuelle Zusagen gegenüber den Empfängern der Ausschüttungsleistungen nach dem LTI-Programm für die streitgegenständlichen Geschäftsjahre behauptet, diese aber nicht im Einzelnen geschildert. Indem sie eine willkürliche Ungleichbehandlung des Klägers bestritten hat, hat sie vielmehr impliziert, für die gewährten Zusagen und Leistungen nach dem LTI-Programm sachliche Gründe gehabt zu haben.
29 (2) Die nach dem Vortrag der Beklagten unterbliebenen Leistungszusagen und Gewährungen nach dem LTI-Programm an mit dem Kläger vergleichbare Arbeitnehmer stehen dem Vorhandensein einer allgemeinen Regel ebenfalls nicht entgegen. Zum einen ist eine willkürliche Schlechterstellung dieser Arbeitnehmergruppe im Verhältnis zu anderen Arbeitnehmern hierdurch nicht ausgeschlossen. Zum anderen ist die Behauptung der Beklagten unsubstantiiert, solange sie nicht darlegt, aufgrund welcher Kriterien der Kläger mit den Arbeitnehmern ohne Leistungszusagen und Gewährungen nach dem LTI-Programm vergleichbar ist. Zudem hat die Beklagte nicht behauptet, alle mit dem Kläger vergleichbaren Arbeitnehmer hätten keine Leistungen nach dem LTI-Programm erhalten.
30 dd) Einem Anspruch des Klägers aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz steht entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht entgegen, dass nach den Regelungen des LTI-Programms individuelle Zusagen stets nur für ein Geschäftsjahr gewährt werden und es sich, wie auch in der Zusage für das Geschäftsjahr 2015 sowie in den Begleitschreiben zur Leistungsgewährung für die Geschäftsjahre 2015 und 2016 aufgenommen, bei den Ausschüttungen nach dem LTI-Programm um eine freiwillige Leistung handelt, auf die auch bei wiederholter Zahlung weder dem Grund noch der Höhe nach ein Rechtsanspruch begründet wird. Die Wirksamkeit der Freiwilligkeitsvorbehalte zugunsten der Beklagten unterstellt, wird eine Bindung an den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz durch einen in den Vorjahren regelmäßig erklärten Freiwilligkeitsvorbehalt für das Jahr der Zahlung bzw. Leistung nicht ausgeschlossen (BAG 6. Dezember 1995 – 10 AZR 198/95 – zu II 2 b der Gründe; ErfK/Preis 23. Aufl. BGB § 611a Rn. 687; vgl. zu freiwilligen Leistungen auch BAG 15. November 2011 – 9 AZR 387/10 – Rn. 26 mwN).
31 III. Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat unter Berücksichtigung des Gebots eines fairen Verfahrens nicht endentscheiden. Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Arbeitsgericht hat dem Auskunftsantrag zwar stattgegeben, hierbei jedoch keine Ausführungen zur Darlegungslast vorgenommen, die beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten ist. Das Landesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger sei seiner Darlegungslast hinsichtlich der Benennung vergleichbarer Arbeitnehmer, die ihm gegenüber vorteilhaft behandelt wurden, nicht ausreichend nachgekommen. Mit Blick darauf gebietet es das Gebot eines fairen Verfahrens, der Beklagten im fortgesetzten Berufungsverfahren die Möglichkeit zu eröffnen, zur Zusammensetzung und Abgrenzung der begünstigten Gruppe substantiiert vorzutragen (vgl. BAG 30. November 2021 – 9 AZR 143/21 – Rn. 35; siehe auch BAG 12. Oktober 2022 – 5 AZR 135/22 – Rn. 34 mwN; generell zum verfassungsrechtlichen Gebot eines fairen Verfahrens: BVerfG 17. Januar 2006 – 1 BvR 2558/05 – Rn. 7 ff.; BAG 14. September 2020 – 5 AZB 23/20 – Rn. 27, BAGE 172, 186). Sofern dies geschieht, ist dem Kläger die Möglichkeit einzuräumen, dazu Stellung zu nehmen.
32 IV. Im fortgesetzten Berufungsverfahren wird das Landesarbeitsgericht, bei dem die gesamte Stufenklage mit Auskunfts- und Leistungsantrag wieder anfällt, auf der Grundlage des zu erwartenden Vortrags der Parteien erneut zu prüfen haben, ob ein Anspruch des Klägers aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz hinreichend wahrscheinlich ist.
33 1. Sollte es der Beklagten gelingen, eine Gruppenbildung innerhalb der vom LTI-Programm nach dessen Präambel erfassten Führungskräfte nach bestimmten Kriterien und die Nichtzugehörigkeit des Klägers zu der Gruppe, die Zusagen und Leistungsgewährungen nach dem LTI-Programm erhalten hat, darzulegen, obläge es diesem, vorzutragen, dass er die Voraussetzungen für Leistungszusagen und Gewährungen nach dem LTI-Programm erfüllt oder warum die Gründe für die Gruppenbildung sachfremd sind. Gelänge ihm dies, dürfte ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit der nach dem beiderseitigen Vortrag maßgeblichen Gruppe wahrscheinlich sein. Ein Auskunftsanspruch könnte Erfolg haben. Andernfalls wäre auf die Berufung der Beklagten das Teilurteil des Arbeitsgerichts abzuändern und die Klage als unbegründet abzuweisen, weil ein Anspruch aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht in Betracht käme.
34 2. Sollte es der Beklagten nicht gelingen, eine Gruppenbildung innerhalb der vom LTI-Programm nach dessen Präambel erfassten Führungskräfte darzulegen, wäre davon auszugehen, dass die Leistungszusagen und die Gewährungen nach dem LTI-Programm in den streitgegenständlichen Geschäftsjahren ohne weitere Differenzierung bei den dieser Gruppe zugehörigen Personen vorgenommen wurden. Ein Anspruch des Klägers aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz wäre wahrscheinlich, so dass die Beklagte die Auskunft zu den für die Ermittlung des Ausschüttungsbetrags aus dem LTI-Programm für die Geschäftsjahre 2017 und 2018 maßgeblichen Bemessungsgrundlagen nach Abschn. A Nr. III Ziff. 2 der Regelungen zum LTI-Programm erteilen müsste.