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Arbeitsrecht
21.06.2018
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Bestimmung des Kriteriums „vorübergehend“ in § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28.2.2018 – 15 Sa 1415/17

Volltext: BB-ONLINE BBL2018-1523-6

unter www.betriebs-berater.de

Amtliche Leitsätze

1. Zu näheren Bestimmung des Kriteriums „vorübergehend“ gemäß § 87 abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann auch auf Regelungen zurückgegriffen werden, die sozialrechtlich die Auszahlung von Kurzarbeitergeld betreffen, da diese Normen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen. Insofern ist ein überschaubarer Zeitraum jedenfalls dann nicht mehr eingehalten, wenn die Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit deutlich länger als 12 Monate erfolgen soll.

2. Existieren – wie hier -  im fachlichen Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages parallel zueinander mehrere Tarifverträge, die mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen werden, dann kann durch eine Öffnungsklausel gemäß § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG in einem dieser Tarifverträge nicht die geschützte Tarifautonomie hinsichtlich der nicht beteiligten Tarifpartner ausgehebelt werden mit der Folge, dass bei einem tarifgebundenen Arbeitgeber dieser Gegenstand durch Betriebsvereinbarung geregelt werden könnte.

§ 19 Abs. 5 des Manteltarifvertrages für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftliche Zentralbanke vom 18.4.1979 idF vom 6.12.2016; § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB; §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG; §§ 96 Abs. 1 Nr. 2, § 104 Abs. 1 S. 1 SGB III; § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Umfang ihrer wöchentlichen Arbeitszeit, wobei zuletzt nur der Zeitraum 1.7.2017 – 31.12.2019 streitig ist.

Die Klägerin, die inzwischen unter einem anderen Namen verheiratet ist, war seit dem 26.06.1999 bei der B. V. beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 22./30.06.1999 heißt es unter anderem:

„Der Tarifvertrag für die Volksbanken und Raiffeisenbanken sowie die genossenschaftlichen Zentralbanken und die Betriebsvereinbarungen für den Betrieb der B. V. eG sind Bestandteil dieses Vertrags.“

Der Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (AVR) schloss mit den Gewerkschaften HBV, DAG, DBV und DHV lange Zeit gleichlautende Tarifverträge. Der letzte gleichlautende Manteltarifvertrag, der dann schon mit der Gewerkschaft ver.di abgeschlossen wurde, stammte vom 08.07.2004. Die Klägerin war und ist Mitglied bei ver.di. Im Jahr 2009 erfolgte ein Betriebsteilübergang auf die hiesige Beklagte, von der die Klägerin betroffen war. Die Beklagte ist nicht Mitglied in einem Arbeitgeberverband. Der AVR kündigte den Manteltarifvertrag mit ver.di zum 28.02.2013.

Vor Rückkehr aus der Elternzeit schlossen die Parteien unter dem 20./27.06.2016 eine Vereinbarung, wonach die Arbeitszeit ab 01.10.2016 befristet bis 31.08.2022 sich auf 30 Stunden wöchentlich bei gleichmäßiger Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) reduziert. Weiterhin ist dort geregelt:

                „In allen übrigen Punkten behält ihr Arbeitsvertrag seine Gültigkeit.“

Unter dem 06.12.2016 einigte der AVR sich mit DBV und DHV auf einen neuen Manteltarifvertrag. Dieser lautet in § 19 unter anderem:

„5. Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung

Zur Vermeidung von Entlassungen und zur Sicherung der Beschäftigung kann durch freiwillige Betriebsvereinbarung die wöchentliche Arbeitszeit für Mitarbeitergruppen, einzelne                Abteilungen oder ganze Betriebsteile um bis zu 20 % gekürzt werden; die Bezüge und sonstigen Leistungen werden grundsätzlich entsprechend gekürzt. Die sich ergebende Kürzung der Bezüge wird vom Arbeitgeber zu 20 % ausgeglichen. … Während der Laufzeit der Betriebsvereinbarung dürfen gegenüber den von ihr erfassten Mitarbeitern keine betriebsbedingten Beendigungskündigungen ausgesprochen werden. … Diese Regelung ist befristet bis zum 31. Dezember 2019. Nach dem Ende der Befristung wirkt die Regelung nach.“

Unter dem 01.02.2017 schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat die 1. Neufassung Betriebsvereinbarung Demografie ab. Dort ist geregelt:

„§ 15 Kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich

(1) In der Zeit vom 01.07.2017 bis 31.12.2019 wird zur Sicherung der Arbeitsplätze die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit für alle Vollzeitkräfte und 2,5 Stunden wöchentlich auf 36,5 Stunden reduziert (kollektive Arbeitszeitverkürzung). Bei Teilzeitbeschäftigten verkürzt sich die individuelle wöchentliche Arbeitszeit anteilig auf 36,5/39.

(2) Für die gekürzte Arbeitszeit wird ein Teillohnausgleich in Höhe von 20 % geleistet. Dies entspricht bei einer Arbeitszeitabsenkung und 2,5 Stunden einem Teillohnausgleich in Höhe von 0,5 Stunden wöchentlich. Das Bruttoentgelt eines Vollzeitbeschäftigten wird damit in dem in Absatz 1 genannten Zeitraum auf Basis von 37,0 Stunden berechnet.“…

Auf Anfrage der Klägerin teilte die Beklagte mit Schreiben vom 27.03.2017 (Bl. 76f d.A.) mit, dass sich für die Klägerin in der Zeit vom 01.07.2017 bis 31.12.2019 die Arbeitszeit anteilig reduziert. Ab dem 01.09.2022 lebe der ursprüngliche Arbeitsvertrag mit einer Vollzeittätigkeit im Umfang von 39 Stunden wöchentlich wieder auf, wenn es keine weitere Verlängerung oder Änderung der aktuellen kollektivrechtlichen Regelungen durch Betriebsvereinbarung gibt.

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, auf ihr Arbeitsverhältnis fänden die Tarifverträge, die mit DBV und DHV abgeschlossen wurden, keine Anwendung. Sie werde von der Betriebsvereinbarung nicht erfasst. Der mit ver.di abgeschlossene Tarifvertrag gelte nach dem Betriebsübergang statisch fort. Dies entspreche auch dem Gedanken der Tarifeinheit.

Die Klägerin hat beantragt,

1.            festzustellen, dass ihre Arbeitszeit im Zeitraum vom 01.10.2016 bis zum 31.08.2022 30 Stunden wöchentlich bei einer gleichmäßigen Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) beträgt;

2.            festzustellen, dass ihre Arbeitszeiten ab dem 01.09.2022 39 Stunden wöchentlich betragen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, § 15 Abs. 1 Betriebsvereinbarung Demografie sei wirksam. Durch die arbeitsvertragliche Verweisung finde auch der Manteltarifvertrag Anwendung. Diese Klausel sei dahingehend auszulegen, dass die Tarifverträge mit DBV/DHV zur Anwendung kommen sollen. Da die B. V. noch vor dem Betriebsübergang die Gehaltstarifverträge mit DHV und DBV zur Anwendung gebracht hat, habe die Klägerin die Anwendung dieser Tarifverträge akzeptiert. Es habe eine Konkretisierung auf diese Tarifverträge stattgefunden.

Mit Urteil vom 12.09.2017 hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage abgewiesen. Es hat dies damit begründet, dass der Arbeitsvertrag eine dynamische Bezugnahme enthalte. Die Arbeitgeberin habe die jeweils gültigen Tarifverträge zur Anwendung gebracht. Dies betreffe ab 2016 die Tarifverträge mit DBV/DHV. Dem stehe nicht entgegen, dass ver.di nicht beteiligt gewesen sei. Daher könne die Beklagte sich auf die Betriebsvereinbarung Demografie berufen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Berufung der Klägerin in vollem Umfang. Sie meint, der Arbeitsvertrag enthalte schon keine dynamische Bezugnahmeklausel. Die Klausel sei vielmehr unklar. Die Klägerin dürfe sich die günstigste Variante aussuchen. Danach sei die Klausel als statisch aufzufassen. Die Tarifverträge vom 06.12.2016 kämen schon deswegen nicht zur Anwendung, weil es die Tarifverträge der Minderheitsgewerkschaften seien. Der DHV sei auch keine echte Gewerkschaft. Die Betriebsvereinbarung verstoße gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Schon vom Titel gehe es um Demografie und nicht um Vermeidung von Entlassungen. Die Beklagte sei an zwei Vergütungsordnungen im Betrieb gebunden.

Die Klägerin beantragt nach teilweiser Rücknahme der Berufung sinngemäß,

das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 12.09.2017, Geschäfts-Nr. 34 Ca 6132/17 teilweise abzuändern und

festzustellen, dass ihre Arbeitszeit im Zeitraum vom 01.07.2017 bis zum 31.12.2019  30 Stunden wöchentlich bei einer gleichmäßigen Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) beträgt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die rechtlichen Erwägungen des Arbeitsgerichts für zutreffend, was näher ausgeführt wird.

Aus den Gründen

I.

Die gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist von ihr fristgemäß und formgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO, § 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG). Sie ist daher zulässig.

II.

Die Berufung der Klägerin hat für den nunmehr nur noch streitigen Zeitraum 01.07.2017 bis 31.12.2019 Erfolg. Insofern hat das Arbeitsgericht Berlin die Klage zu Unrecht abgewiesen. In diesem Umfang ist das angefochtene Urteil teilweise abzuändern und festzustellen, dass die Arbeitszeit der Klägerin 30 Stunden wöchentlich bei einer gleichmäßigen Verteilung auf die Arbeitstage der Woche (Montag bis Freitag jeweils 6 Stunden) beträgt. Dies ergibt sich aus der Vereinbarung vom 20.06.2016 (Bl. 283 d.A.). Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten ist diese vertragliche Vereinbarung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt abgeändert worden.

1.

Normative tarifvertragliche Regelungen führen schon deswegen zu keiner Veränderung der vertraglichen Situation, weil solche normativen tarifvertraglichen Regelungen nicht vorhanden sind. Es fehlt an jeglicher beidseitigen Tarifgebundenheit, denn die Beklagte ist weder Mitglied in einem Arbeitgeberverband noch hat sie Firmentarifverträge (vgl. dazu BAG 01.08.2001 – 4 AZR 388/99 – juris Rn 34) abgeschlossen.

2.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten ergibt sich die weitere Verkürzung der Arbeitszeit nicht aus der Betriebsvereinbarung vom 01.02.2017 (1. Neufassung Betriebsvereinbarung Demografie), obwohl diese in § 15 zur Sicherung der Arbeitsplätze eine kollektive Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich auch für Teilzeitbeschäftigte vorsieht. Diese Betriebsvereinbarung verändert die bestehende Regelung vom 20.06.2016 schon deswegen nicht, weil der Arbeitsvertrag der Klägerin nicht für Betriebsvereinbarungen offen ist (2.1.). Darüber hinaus ist die Betriebsvereinbarung auch nicht wirksam (2.2.).

2.1.

Durch § 15 der Betriebsvereinbarung vom 01.02.2017 konnte nicht wirksam in die vertraglich abgesicherte Position der Klägerin eingegriffen werden.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten sind vertragliche Bedingungen schon  deswegen nicht für Betriebsvereinbarungen offen, weil im Arbeitsvertrag auf solche Betriebsvereinbarungen hingewiesen wird. Das Bundesarbeitsgericht hat im Hinblick auf die Ableistung von Überstunden ausgeführt, dass gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG durch Betriebsvereinbarung gegenseitige Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien unmittelbar begründet werden können, soweit auf diese Weise nicht zulasten der Arbeitnehmer in hiergegen gesicherte individualrechtliche Positionen und Ansprüche eingegriffen wird. Wenn zwischen den Arbeitsvertragsparteien eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zur Leistung von Überstunden nicht ausgeschlossen ist, ist der Arbeitsvertrag in diesem Punkt für Betriebsvereinbarungen offen (BAG 03.06.2003 –

1 AZR 349/02 – juris Rn. 58f). Diese Gedanken sind auf die Einführung von Kurzarbeit übertragbar (Fitting § 77 BetrVG Rn. 63).

Der ursprüngliche Arbeitsvertrag, den die Klägerin am 30.06.1999 unterschrieben hatte (Bl. 92f d.A.), sah insofern keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Kurzarbeit vor. Mit dem Betriebsteilübergang im Jahre 2009 wurden aber die bis dahin bestehenden tarifvertraglichen Regelungen zwischen dem Arbeitgeberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken e.V. (AVR) und der Gewerkschaft ver.di gemäß § 613a Abs. 1 S. 2 BGB Teil des Arbeitsverhältnisses der Klägerin, da die Klägerin und ihr ursprünglicher Arbeitgeber an diesen Tarifvertrag normativ gebunden waren. Diese tarifvertraglichen Regelungen wurden quasi in den Arbeitsvertrag der Klägerin hineinkopiert und gelten bis heute. § 20 des TV enthielt eine Öffnungsklausel zur Beschäftigungssicherung und zur Vermeidung von Entlassungen für freiwillige Betriebsvereinbarungen, wobei diese Regelung bis zum 31.12.2008 befristet war. Damit ergab sich aus dem Arbeitsvertrag der Klägerin hinreichend deutlich, dass eine Verkürzung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit allenfalls bis zum 31.12.2008 zulässig war. Nur insofern war der Arbeitsvertrag der Klägerin für Veränderungen durch Betriebsvereinbarungen offen. In diese gesicherte Position der Klägerin konnte die freiwillige Betriebsvereinbarung vom 01.02.2017 nicht wirksam eingreifen, die ebenfalls in § 15 der Sicherung der Arbeitsplätze dienen sollte, da sie einen anderen Zeitraum betrifft.

2.2.

Die Betriebsvereinbarung vom 01.02.2017 konnte auch deswegen nicht die vertragliche Position der Klägerin verändern, weil § 15 dieser Betriebsvereinbarung unwirksam ist.

2.2.1.

Sieht man in § 15 der Betriebsvereinbarung eine Regelung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG, so ist diese Regelung unwirksam, denn es liegt keine vorübergehende Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit vor.

Eine vorübergehende Veränderung – Verlängerung oder Verkürzung – der betriebsüblichen Arbeitszeit liegt vor, wenn es sich um eine Abweichung von dem regelmäßig festgelegten Zeitvolumen mit anschließender Rückkehr zur betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit handelt (BAG 03.05.2006 – 1 ABR 14/05 – juris Rn. 18). Sie liegt vor, wenn für einen überschaubaren Zeitraum von dem allgemein geltenden Zeitvolumen abgewichen wird, um anschließend zum betriebsüblichen Dauer der Arbeitszeit zurückzukehren (BAG 01.07.2003 – 1 ABR 42/02 – juris Rn. 31). Dies gilt auch für Teilzeitkräfte (BAG 23.07.1996 – 1 ABR 13/6 90 – juris Rn. 19).

Zur näheren Bestimmung des Kriteriums „vorübergehend“ gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG kann nach hiesiger Ansicht auch auf Regelungen zurückgegriffen werden, die sozialrechtlich die Auszahlung von Kurzarbeitergeld betreffen, da diese Normen in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen. Gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 2 SGB III ist unter anderem Voraussetzung, dass der Arbeitsausfall nur vorübergehend ist. Nach § 104 Abs. 1 S. 1 wird Kurzarbeitergeld für den Arbeitsausfall für eine Dauer von längstens 12 Monaten geleistet. Insofern ist ein überschaubarer Zeitraum jedenfalls dann nicht mehr eingehalten, wenn die Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit deutlich länger als 12 Monate erfolgen soll. Dies ist hier mit einem Zeitraum von 30 Monaten der Fall.

2.2.2.

Auch als freiwillige Betriebsvereinbarung auf Basis des § 19 Abs. 5 MTV vom 06.12.2016 ist die Betriebsvereinbarung vom 01.02.2017 unwirksam, weil die Regelungssperre nach § 77 Abs. 3 BetrVG nicht eingehalten worden ist.

Nach dieser Norm können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt jedoch nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Die Norm dient der Sicherung der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie sowie der Erhaltung und Stärkung der Funktionsfähigkeit der Koalitionen. Die Vorschrift soll verhindern, dass Gegenstände, deren sich die Tarifvertragsparteien angenommen haben, konkurrierend durch Betriebsvereinbarung geregelt werden (Fitting § 77 BetrVG Rn. 67 mwN). Die Sperre greift auch dann ein, wenn zwar z.Zt. die Arbeitsbedingungen nicht durch Tarifvertrag geregelt sind, aber doch üblicherweise geregelt werden. Letzteres beurteilt sich nach der einschlägigen Tarifpraxis (Fitting § 77 BetrVG Rn. 90).

Beschäftigungssicherungstarifverträge finden vor allem dann Anwendung, wenn die Einführung von Kurzarbeit deswegen unpassend ist, weil die gesetzlichen Voraussetzungen zum Bezug von Kurzarbeitergeld nicht vorliegen (KZD-Schoof/Heuschmid Handbuch Arbeitsrecht § 27 Rn 159). Regelungen zur Beschäftigungssicherung und zur Vermeidung von Entlassungen sind in den Tarifverträgen für die Volksbanken und Raiffeisenbanken, die auch für entsprechende Dienstleistungsunternehmen gelten, durchaus üblich. Dies ergibt sich sowohl aus § 19 Abs. 5 MTV vom 06.12.2016 als auch aus der Öffnungsklausel zu § 20 des auch mit ver.di zuletzt abgeschlossenen MTV vom 08.07.2004.

Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG entfällt vorliegend nicht deswegen, weil § 19 Abs. 5 MTV, der zwischen AVR einerseits und DBV und DHV andererseits abgeschlossen worden war, eine Öffnungsklausel für freiwillige Betriebsvereinbarungen enthält. Richtig ist hieran, dass insofern die Tarifautonomie dieser drei Beteiligten keines weiteren Schutzes bedarf. § 77 Abs. 3 BetrVG schützt aber die ausgeübte Tarifautonomie aller in Betracht kommender Tarifvertragsparteien. Existieren – wie hier – im fachlichen Geltungsbereich eines Flächentarifvertrages parallel zueinander mehrere Tarifverträge, die mit unterschiedlichen Gewerkschaften abgeschlossen werden, dann kann durch eine Öffnungsklausel gemäß § 77 Abs. 3 S. 2 BetrVG in einem dieser Tarifverträge nicht die geschützte Tarifautonomie hinsichtlich der nicht beteiligten Tarifpartner ausgehebelt werden mit der Folge, dass bei einem nicht tarifgebundenen Arbeitgeber dieser Gegenstand durch Betriebsvereinbarung geregelt werden könnte. Andernfalls könnte eine Gewerkschaft zulasten einer anderen Gewerkschaft deren Tarifzuständigkeit dadurch unterhöhlen, dass sie eine Regelungsmöglichkeit auf Ebene der Betriebsparteien eröffnet. Die hier vorliegende Tarifkollision kann auch nicht gemäß § 4a TVG aufgelöst werden, denn diese gesetzliche Regelung gilt nur für tarifgebundene Arbeitgeber.

3.

Auch über die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel kann nicht erreicht werden, dass die mit den Gewerkschaften DHV und DBV abgeschlossenen Manteltarifverträge im Verhältnis zur Klägerin zur Anwendung kommen. Das BAG hält solchen Weg prinzipiell für möglich (BAG 1.8.2001 – 4 AZR 388/99 – juris Rn 36). Die hiesige Klausel ist aber intransparent, weil sie nicht klar und verständlich ist (§ 307 I 2 BGB), so dass sie im Verhältnis zu Klägerin nicht zur Anwendung kommt.

Es kann offen bleiben, ob diese Klausel öfter oder nur einmalig von der Beklagten verwendet wurde. Da eine Arbeitnehmerin auch Verbraucherin ist, reicht vorliegend eine einmalige Verwendung aus (Vgl. BAG 26.10.2017 – 6 AZR 158/16 – Rn. 17f), da schon aus der Formulierung des arbeitgeberseitigen Schreibens vom 20.06.2016 nicht ersichtlich ist, dass die Klägerin auf diese Formulierung im Sinne von § 310 III Nr. 1 BGB hätte Einfluss nehmen können. Diese Klausel ist daher einer Inhaltskontrolle zu unterziehen. Die Auslegung der Klausel ergibt, dass die Klausel nicht klar und verständlich im Sinne des § 307 I 2 BGB ist.

Relevant ist hier die letzte arbeitsvertragliche Vereinbarung, da hierdurch das Arbeitsverhältnis auf eine neue Grundlage gestellt wird. Dies ist vorliegend die Vereinbarung vom 20./27.06.2016. Ob in dieser Vereinbarung ist ein sogenannter Neuvertrag zu sehen, da in allen übrigen Punkten der Arbeitsvertrag seine Gültigkeit behalten sollte (Vgl. BAG 07.12.2016 – 4 AZR 414/14 Rn. 31) oder nicht, braucht nicht entschieden zu werden. Diese Unterscheidung ist nur bei tarifgebundenen Arbeitgebern für die Frage relevant, ob die in Bezug genommenen Tarifverträge statisch oder dynamisch wirken (BAG 30.8.2017 – 4 AZR 95/14 – Rn 20). Die Beklagte ist aber nicht tarifgebunden. 

Nach der Vereinbarung vom 20./27.06.2016 behält der bestehende Arbeitsvertrag mit Ausnahme der geregelten Teilzeitvereinbarung „in allen übrigen Punkten“ seine Gültigkeit. Nach der vorherigen arbeitsvertraglichen Regelung vom 22./30.06.1999 wird „der Tarifvertrag für die Volksbanken und Raiffeisenbanken… Bestandteil dieses Vertrags.“ Es kann offen bleiben, wie die damaligen Arbeitsvertragsparteien diese Klausel verstehen wollten und mussten, zumal damals nicht nur ein einziger Tarifvertrag/ein einziges Tarifwerk vorhanden war. Rechtlich bestanden vier voneinander unabhängige Tarifwerke mit den Gewerkschaften DAG, HBV, DHV und DBV. Da die Parteien im Juni 2016 diese (unveränderte) Klausel erneut zum Gegenstand ihrer Willensbildung gemacht haben, kommt es für die Auslegung ebenfalls auf den Zeitpunkt dieses Neuabschlusses an.

Zu diesem Zeitpunkt existierten ein zum 28.2.3013 gekündigter MTV, der mit ver.di abgeschlossen worden war, und ein mit den Gewerkschaften DBV und DHV abgeschlossener ungekündigter MTV. Daneben existierten seit Oktober 2008 weitere Vergütungstarifverträge, die mit DBV und DHV abgeschlossen worden waren und die von der ehemaligen Arbeitgeberin und später von der jetzigen Beklagten angewandt wurden. Weiterhin ist zu beachten, dass seit dem Betriebsübergang im Jahre 2009 der mit ver.di abgeschlossene Manteltarifvertrag über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB jedenfalls statisch auch Gegenstand des Arbeitsvertrages der Klägerin geworden war, denn die Klägerin und ihr damaliger Arbeitgeber waren jeweils tarifgebunden. All dies ist zwischen den Parteien nicht streitig.

Schon bei mehrgliedrigen Tarifverträgen (ein Dokument, welches einheitlich von verschiedenen Gewerkschaften unterschrieben wird) wird die Ansicht vertreten, dass arbeitsvertragliche Klauseln, die alle Tarifverträge in Bezug nehmen, wegen mangelnder Transparenz dann unwirksam sind, wenn der Arbeitsvertrag keine Regelungen dazu enthält, welche der möglichen tariflichen Regelungen unter welchen Voraussetzungen Anwendung finden sollen (LAG Berlin-Brandenburg 20.09.2011 – 7 Sa 1318/11 – juris Rn. 42; LAG Schleswig-Holstein 04.10.2012 – 5 Sa 402/11 – juris Rn. 62).

Die Verwendung des Singular in der hier auszulegenden Klausel macht deutlich, dass die Beklagte jedenfalls nicht gewillt war, bei dem nunmehrigen Auseinanderfallen der früher wortgleichen Tarifverträge sämtliche Tarifverträge zur Anwendung zu bringen.

Die Klausel selbst trifft keinerlei Regelung dazu, ob die mit ver.di oder die mit DBV/DHV abgeschlossenen Tarifwerke zur Anwendung kommen sollen, obwohl es schon wegen der unterschiedlichen Tarifwerke ein hohes praktisches Bedürfnis gegeben hätte, eine Bezugnahme eindeutig zu formulieren. Eine solche eindeutige Formulierung wäre im vorliegenden Einzelfall auch deswegen notwendig gewesen, weil seit dem Betriebsübergang im Jahre 2009 der mit ver.di abgeschlossene Manteltarifvertrag über § 613a Abs. 1 S. 2 BGB jedenfalls statisch auch Gegenstand des Arbeitsvertrages der Klägerin geworden war. Hätte die Beklagte diese Regelungen im Jahre 2016 zu Gunsten der Regelungen mit den Gewerkschaften DHV und DBV verdrängen wollen, hätte dies mit eindeutigen Formulierungen geschehen müssen. Jedenfalls für tarifgebundene Arbeitgeber hatte der Arbeitgeberverband dies durch Rundschreiben vom 02.04.2013 (Anlage K 12f zum klägerischen Schriftsatz vom 10.08.2017) mit entsprechenden Formulierungshilfen empfohlen. Hieran hat die Beklagte sich nicht gehalten, sondern es bei der hier verwendeten unklaren Klausel belassen.  Schon mit einer Formulierung wie „künftig gelten nur noch die zwischen AVR und DBV/DHV abgeschlossenen Tarifverträge“ hätte die Beklagte den Regelungsgehalt unschwer eindeutig bestimmen können.

Im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten kann die Intransparenz auch nicht unter Hinweis auf die betriebliche Praxis der letzten Jahre aufgelöst werden, weil die Gehaltssteigerungen auch an die Klägerin gezahlt wurden. Daraus – so ihr Argument – ergebe sich, dass sie die zwischen AVR und DBV/DHV weiterentwickelten Tarifverträge hätte zur Anwendung bringen wollen, womit die Klägerin einverstanden gewesen sei. Dies übersieht zum einen, dass für Zahlungen des Arbeitgebers über eventuell bestehende Verpflichtungen hinaus keinerlei vertragliche Vereinbarung und damit auch keine Zustimmung des jeweiligen Arbeitnehmers erforderlich ist, da es sich um einen begünstigenden Akt handelt. Darüber hinaus ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte eine solche Zustimmung je verlangt hätte. Zum anderen hat der Wunsch, diese Tarifverträge durch einzelvertragliche Bezugnahmen dynamisch anwenden zu wollen, im Wortlaut der Allgemeinen Geschäftsbedingung im Juni 2016 keinen Widerhall gefunden.

Daher kommt es auf den weiteren Streit zwischen den Parteien nicht an, ob die Klausel dynamisch oder statisch zu verstehen ist. Ebenso ist unerheblich, ob der DHV tariffähig ist, wobei allerdings auch nicht wirksame Tarifverträge in Bezug genommen werden können (BAG 30.08.2017 – 4 AZR 443/15 – Rn. 15).

4.

Soweit die Beklagte der Ansicht ist, sie habe sich konkludent mit der Klägerin auf die Anwendung der Manteltarifverträge mit der DHV/DBV geeinigt, weil sie die Gehaltssteigerungen aus den entsprechenden Vergütungstarifverträgen an die Klägerin weitergegeben hat, trifft dies nicht zu. Eine solche Einigung liegt nicht vor.

Eine eventuelle Einigung zur Anwendung von Vergütungstarifverträgen schließt schon nicht automatisch die Anwendung des entsprechenden Manteltarifvertrages ein. Ein Verhalten der Klägerin zu diesem Tarifvertrag fehlt. Unabhängig hiervon ist eine konkludente Zustimmung der Klägerin nicht ersichtlich, weil sie – wie zuvor ausgeführt -  nicht erforderlich ist und auch nicht verlangt wurde.

III.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 ZPO. Hierbei ist davon ausgegangen worden, dass für den Antrag zu 1. ein Streitwert von 5.400,00 € anzusetzen ist (36fache Vergütungsdifferenz von je 150,00 € monatlich). Bei einem Zeitrahmen von 71 Monaten obsiegt die Klägerin hier im Umfang von 30 Monaten (rechnerischer Streitwert: 2.268,00 €). Für den Antrag zu 2. ist von einer Vergütungsdifferenz i.H.v. 853,00 € monatlich auszugehen (vergleiche Änderungsvertrag vom 20./27.06.2016). Bei 36 Monaten macht dies einen Streitwert von 30.708,00 € aus. Bei einem Gesamtstreitwert von 36.108,00 € obsiegt die Klägerin im Umfang von 6 %.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Ungeklärte grundsätzliche Rechtsfragen werden nicht aufgeworfen. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.

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