LAG Nürnberg: Beschäftigungsverbot wegen Verletzung der einrichtungsbezo-genen Impfpflicht
LAG Nürnberg, Urteil vom 13.11.2024 – 4 SLa 34/24
Volltext: BB-Online BBL2025-947-3
Leitsatz
Arbeitgeber konnten in der Zeit vom 15.03. bis zum 31.12.2022 aufgrund ihres Weisungsrechts nach § 106 S. 1 GewO für die (weitere) Beschäftigung der Arbeit-nehmer in den in § 20a Abs. 1 IfSG a.F. genannten Einrichtungen einen der dort in Abs. 2 aufgeführten Nachweise verlan-gen. Arbeitnehmer, die diese Nachweis-pflicht nicht erfüllen, waren außerstande, die geschuldete Arbeitsleistung im Sinne von § 297 BGB zu bewirken. Sie durften ohne Fortzahlung der Vergütung freige-stellt werde.
BGB § 249 Abs. 1, § 297, § 615 S. 1
GewO § 106 S. 1
IfSG § 20a
ZPO § 717 Abs. 2
Sachverhalt
Die Parteien streiten über restliche Vergütung für den Zeitraum 20.06.2022 bis 31.12.2022, in dem die Klägerin auf Grundlage der Regelungen zum einrichtungsbezogenen Immunitätsnachweis nach § 20a IfSG in den Fassungen vom 18.03.2022 und vom 16.09.2022 (im Folgenden IfSG a.F.) durch die Beklagte nicht beschäftigt wurde.
Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus. Die Klägerin war bis zum 31.01.2023 gemäß Arbeitsvertrag vom 01.03.2020 bei der Beklagten als Gesundheits- und Krankenpflegerin beschäftigt. Die monatliche Vergütung belief sich auf 1.863,75 € brutto.
Im Arbeitsvertrag der Parteien (Bl. 8 ff. d. A.) ist in § 19 – auszugsweise – geregelt:
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis müssen innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden, ansonsten verfallen sie. Werden die Ansprüche nach Geltendmachung nicht erfüllt, so ist die gerichtliche Geltendmachung innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten notwendig.
Mit Schreiben vom 05.01.2022 hatte die Beklagte ihren Mitarbeitern mitgeteilt, dass mit Ablauf des 15.03.2022 in der Klinik nur noch tätig werden dürfe, wer einen Immunitätsnachweis gegen COVID-19 habe, also geimpft oder genesen sei. Es wurde weiterhin mitgeteilt, dass Mitarbeiter, die dies nicht erfüllten, Gefahr liefen, dass das Vertragsverhältnis mit ihnen wegen eines offensichtlich dauerhaft bestehenden Beschäftigungsverbots gekündigt würde.
Mit Schreiben vom 15.02.2022 erklärte die Beklagte, aus den Reihen der Mitarbeiter sei eine Stellungnahme übermittelt worden, die zeige, dass die eindeutige gesetzliche Regelung des § 20a IfSG von Impfgegnern unterlaufen werden solle. Es werde die Auffassung vertreten, § 20a IfSG normiere kein Beschäftigungsverbot. Es werde die Auffassung vertreten, ein Beschäftigungsverbot greife erst und nur dann, wenn dies nach entsprechender Meldung vom Gesundheitsamt verfügt werde. Man weise daraufhin, dass diese „Parole“ mit der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht im Einklang stehe. Die Beklagte erklärte: „Diejenigen, die ihrer Nachweisverpflichtung bezüglich der Impfung nicht nachkommen, werden in der C. nicht beschäftigt!“.
Die Klägerin war am 05.12.2021 mittels PCR-Test positiv auf das Coronavirus SARSCoV-2 getestet worden. Mit Beschluss vom 08.03.2022 wurde auf Antrag der Klägerin seitens des Verwaltungsgerichts Würzburg im Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Anordnung festgestellt, dass die Antragstellerin bis einschließlich 03.06.2022 als genesen galt. Am 22.03.2022 wurde die Klägerin erneut mittels PCR-Test positiv auf das Coronavirus SARSCoV-2 getestet. Der daraus resultierende Genesenenstatus endete infolge der zwischenzeitlichen formellen Verkürzung des Genesenenstatus von 6 Monaten auf 3 Monate zum 19.06.2022.
Am 17.05.2022 wurde der Klägerin seitens der Beklagten der Dienstplan für den Monat Juni 2022 übergeben, welcher eine Beschäftigung der Klägerin nur bis zum 17.06.2022 vorsah. Eine Beschäftigung darüber hinaus wurde durch die Beklagte abgelehnt.
Mit Schreiben vom 07.06.2022 (Bl. 39 f. d. A.) teilte die Beklagte der Klägerin mit, da der Genesenenstatus mit dem 20.06.2022 ende, sehe sie sich nicht in der Lage, die Klägerin ab dem 21.06.2022 weiter zu beschäftigen. Sie erhalte auch keine Vergütung. Die Beklagte untersagte der Klägerin, zum Zwecke der Arbeitsaufnahme die Räumlichkeiten der C. zu betreten.
Ein behördliches Beschäftigungs- oder Betretungsverbot nach § 20a Abs. 5 Satz 3 IfSG a.F. wurde gegenüber der Klägerin nicht ausgesprochen. Sie beantragte im Wege der Gleichwohlgewährung Arbeitslosengeld. In der Arbeitsbescheinigung gemäß § 312 SGB III erklärte die Beklagte, das Arbeitsverhältnis habe zum 19.06.2022 geendet. Es handle sich um ein Beschäftigungsverbot nach § 20a IfSG und man bitte um Gleichwohlgewährung. Der Klägerin wurde Arbeitslosengeld für die Zeit vom 20.06.2022 bis 30.06.2022 in Höhe von 252,67 € und ab dem 01.07.2022 in Höhe von monatlich 689,10 € bewilligt.
§ 20a IfSG a.F. lautete im verfahrensgegenständlichen Zeitraum – soweit vorliegend von Bedeutung – im Wesentlichen gleichlautend in den Fassungen vom 18.03.2022 und vom 16.09.2022:
(1) Folgende Personen müssen ab dem 15. März 2022 über einen Impf- oder Genesenennachweis nach § 22a Absatz 1 oder Absatz 2 verfügen:
1. Personen, die in folgenden Einrichtungen oder Unternehmen tätig sind:
a) Krankenhäuser
(…)
(2) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen tätig sind, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens bis zum Ablauf des 15. März 2022 folgenden Nachweis vorzulegen:
1. einen Impfnachweis nach § 22a Absatz 1
(…)
Wenn der Nachweis nach Satz 1 nicht bis zum Ablauf des 15. März 2022 vorgelegt wird oder wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu übermitteln.
(…).
(3) Personen, die in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen ab dem 16. März 2022 tätig werden sollen, haben der Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens vor Beginn ihrer Tätigkeit einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen. Wenn Zweifel an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises bestehen, hat die Leitung der jeweiligen Einrichtung oder des jeweiligen Unternehmens unverzüglich das Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, darüber zu benachrichtigen und dem Gesundheitsamt personenbezogene Daten zu 5 übermitteln. (…) Eine Person nach Satz 1, die über keinen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 verfügt oder diesen nicht vorlegt, darf nicht in den in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtungen oder Unternehmen tätig werden (…).
(…)
(5) Die in Absatz 1 Satz 1 genannten Personen haben dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung oder das jeweilige Unternehmen befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach Absatz 2 Satz 1 vorzulegen.
(…)
Das Gesundheitsamt kann einer Person, die trotz der Anforderung nach Satz 1 keinen Nachweis innerhalb einer angemessenen Frist vorlegt (…) untersagen, dass sie die dem Betrieb einer in Absatz 1 Satz 1 genannten Einrichtung oder eines in Absatz 1 Satz 1 genannten Unternehmens dienenden Räume betritt oder in einer solchen Einrichtung oder einem solchen Unternehmen tätig wird. (…) Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 16.01.2023 vergeblich die Zahlung der Vergütung für den Zeitraum 20.06.2022 bis 31.12.2022 geltend gemacht hat, verfolgt sie diese Ansprüche mit Klageschrift vom 27.03.2023 weiter.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, das Gesetz habe hinsichtlich der Rechtsfolgen eines fehlenden Nachweises eindeutig zwischen Personen, die am 15.03.2022 bereits in der Einrichtung tätig waren (Absatz 2) und Personen, die nach dem 15.03.2022 in der Einrichtung tätig werden sollten (Absatz 3) unterschieden. Für Arbeitsverhältnisse, die am 15.03.2022 bereits bestanden, habe das Gesetz kein gesetzliches Beschäftigungsverbot vorgesehen, sondern eine diesbezügliche Ermessensentscheidung des Gesundheitsamtes, anders als für Neueinstellungen. Die Tatsache, dass für Bestandsmitarbeiter kein Beschäftigungsverbot gegolten habe, ergebe sich daher aus der eindeutigen gesetzlichen Regelung und aus der Gesetzessystematik. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Zweck des Gesetzes. Dieser habe sich nämlich nicht im Schutz vulnerabler Personengruppen erschöpft, sondern er bestand auch darin, die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen zu gewährleisten, was im Hinblick auf die Sicherstellung der stationären Versorgung in Krankenhäusern in der Gesetzesbegründung ausdrücklich angesprochen worden sei. Um die Versorgung sicherzustellen, habe das Gesetz die Verhängung eines Beschäftigungsverbots für Bestandsmitarbeiter von der ermessensgeleiteten Entscheidung des Gesundheitsamtes abhängig gemacht. Annahmeverzug sei verschuldensunabhängig. Die Annahme der Arbeitsleistung sei der Beklagten auch zuzumuten gewesen. Ein Haftungsrisiko der Beklagten habe nicht bestanden, da ihr die Beschäftigung der Klägerin nicht verboten gewesen und sie arbeitsvertraglich hierzu sogar verpflichtet gewesen sei. Die Klägerin habe sich unverzüglich bei der Bundesagentur für Arbeit arbeitssuchend gemeldet. Eine Beschäftigung bei den ihr durch die Bundesagentur für Arbeit übermittelten Vermittlungsvorschlägen sei auf Grundlage der zu diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Vorgaben zur einrichtungsbezogenen Impfpflicht nicht möglich gewesen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 11.803,75 € brutto abzüglich Arbeitslosengeld in Höhe von 4.387,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2023 zu bezahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass die Beschäftigung der Klägerin am 17.06.2022 geendet habe, da die Klägerin keinen Nachweis erbringen konnte, dass sie gemäß § 20a IfSG a.F. gegen COVID-19 geimpft sei bzw. keinen Nachweis erbringen konnte, dass sie auf Grund gesundheitlicher Umstände nicht geimpft werden könne. Auch ein Genesenennachweis habe ab dem vorbezeichneten Zeitpunkt von der Klägerin nicht mehr vorgelegt werden können. Die Beklagte habe durch ihren Geschäftsführer mit Rundschreiben frühzeitig über die gesetzlichen Neuregelungen und die daraus resultierenden Verpflichtungen der beschäftigten Arbeitnehmer informiert. Es sei nicht zu kritisieren, dass die Beklagte der Klägerin mitteilte, sie werde nicht beschäftigt, solange sie ihrer Nachweispflicht im Sinne von § 20a IfSG a.F. nicht nachkomme. Es wäre der Klägerin ein leichtes gewesen, ihre Arbeitskraft anzubieten mit der Maßgabe, dass sie zwischenzeitlich geimpft wäre und einen Impfnachweis vorlegen könnte. Es sei von der Klägerin zu vertreten, dass sie nicht als Krankenpflegerin in dem Krankenhaus der Beklagten beschäftigt wurde. Verschuldeter oder zu vertretender Annahmeverzug könne bei der Beklagten auf Grund der eindeutigen gesetzlichen Regelung nicht angenommen werden. Die Zumutbarkeit der Annahme der Arbeitsleistung sei eine dem Annahmeverzug immanente Tatbestandsvoraussetzung. Zudem müsse die Klägerin vortragen, was sie ab dem Zeitpunkt, ab dem sie wegen Nichterfüllung der gesetzlichen Verpflichtungen im Sinne von § 20a IfSG a.F. nicht mehr bei der Beklagten beschäftigt worden sei, getan habe, um ihre Arbeitskraft anderweitig einzusetzen.
Das Arbeitsgericht hat mit Endurteil vom 13.12.2023 der Klage in vollem Umfang stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung verurteilt. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, dass § 20a IfSG a.F. gerade kein generelles Beschäftigungsverbot für „Ungeimpfte“ normierte. Es sei zwischen den sogenannten Bestandsarbeitnehmern und ab dem 15.03.2022 eingestellten Neuarbeitnehmern zu unterscheiden. Für Bestandsarbeitnehmer habe die Vorlage eines Impf- oder Genesenennachweises gerade nicht zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen gehört und stand daher einer Leistungsfähigkeit und Leistungswilligkeit der Klägerin daher auch nicht entgegen. Auch sei die Beklagte nicht kraft ihres Direktionsrechtes berechtigt gewesen, die Klägerin unbezahlt von der Erbringung der Arbeitsleistung freizustellen. Folglich war die Klägerin auch auf Grundlage der gesetzlichen Regelung ab dem 15.03.2022 tatsächlich und rechtlich in der Lage, ihre Arbeitsleistung zu erbringen. Anhaltspunkte eines böswilligen Unterlassens der Erzielung anderweitigen Verdienstes lägen nicht vor.
Das Endurteil des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 13.12.2023 ist der Beklagten am 21.02.2024 zugestellt worden. Die Berufungsschrift vom 22.02.2024 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg am selben Tag eingegangen. Die Berufungsbegründungsschrift vom 28.03.2024 ist beim Landesarbeitsgericht Nürnberg innerhalb der Berufungsbegründungsfrist am selben Tag eingegangen.
Die Beklagte hat in Umsetzung der erstinstanzlichen Entscheidung im Dezember 2023 einen Betrag in Höhe von € 11.803,75 brutto (€ 11.868,70 brutto einschließlich Zinsen) abgerechnet. Mit E-Mail vom 08.01.2024 wurde der Klägerin mitgeteilt, dass die Zahlung unter Vorbehalt erfolgte und nur zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen veranlasst wurde. Nach Maßgabe der Abrechnung der Beklagten für Dezember 2023 (Bl. 72 d. Berufungsakte) wurden Lohnsteuer in Höhe von 4.414,12 €, Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 2.054,43 €, Arbeitslosengeld in Höhe von 4.387,27 € und von 61,12 € erstattet. An die Klägerin wurde ein Betrag in Höhe von 951,76 € netto sowie Zinsen in Höhe von 64,95 € gezahlt. Zwischen den Parteien erfolgte im Nachgang der Zahlung eine Auseinandersetzung, inwieweit die von der Beklagten vorgenommene Abrechnung zutreffend gewesen ist. Durch die Klägerin wurde mehrfach eine ergänzende Zahlung angemahnt und es wurden rechtliche Schritte vorbehalten (u.a. Schreiben der Klagepartei vom 18.01.2024 und vom 04.04.2024, Bl. 85 f. und 169 d. Berufungsakte).
Die Beklagte hat mit Schreiben vom 25.06.2024 unter Fristsetzung bis zum 12.07.2024 die Klägerin zur Rückzahlung aufgefordert.
Die Beklagte trägt in ihrer Berufungsbegründung vor, dass das Arbeitsgericht verkannt habe, dass der Gesetzgeber mit der Regelung von § 20a IfSG a.F. ab dem 15.03.2022 ein generelles Beschäftigungsverbot für Mitarbeiter in bestimmten Institutionen normieren wollte, die keinen Impf- oder Genesungsnachweis erbringen. Eine Differenzierung zwischen Altmitarbeitern und neu eingestellten Mitarbeitern sei dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung nicht zu entnehmen und nach Sinn und Zweck ausgeschlossen. Die aus einem abweichenden Verständnis folgende Ungleichbehandlung sei mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Vielmehr sei Ziel der einrichtungsbezogenen Impfpflicht gewesen, die Weiterverbreitung von Infektionen zu verhindern und vulnerable Personengruppen in den genannten Einrichtungen besonders zu schützen. Dieses Ziel sei nur durch eine Gleichbehandlung aller Beschäftigten zu erreichen. Jedenfalls sei der Beklagten die Beschäftigung der Klägerin nicht zumutbar gewesen. Um den gesetzlichen Verpflichtungen des IfSG a.F. nachkommen zu können und daraus resultierende Haftungsrisiken zu verhindern, müsse die Beklagte berechtigt gewesen sein, die Klägerin freizustellen, ohne das Risiko tragen zu müssen, mit Annahmeverzugslohnansprüchen überzogen zu werden. Auch sei die Klägerin nach Maßgabe von § 20a IfSG a.F. nicht in der Lage gewesen, ihre vertragsgemäße Leistung anzubieten (§ 297 BGB).
Zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung sei der durch die Klägerin erstinstanzlich erwirkte Titel ordnungsgemäß abgerechnet und ausgezahlt worden. Die Klägerin habe Zwangsvollstreckungsmaßnahmen angedroht. Die Beklagte habe die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß ermittelt und abgeführt. Insbesondere aus dem Beitragsnachweis gegenüber der Knappschaft sowie dem Schreiben der Knappschaft vom 01.03.2024 ergebe sich, dass die Sozialversorgungsbeiträge für den Zeitraum Dezember 2023 ordnungsgemäß abgeführt worden seien. Auch könne auf Grundlage der erteilten Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2023, dem Abrechnungsjournal für alle Mitarbeiter im Monat Dezember 2023 sowie der Gesamtabrechnung der Steuern für das Jahr 2023 kein Zweifel bestehen, dass die Lohnsteuer im ausgewiesenen Umfang ordnungsgemäß abgeführt worden sei. Der verbleibende Nettobetrag sei einschließlich der ermittelten Zinsen abzüglich an die Agentur für Arbeit übergegangener Ansprüche an die Klägerin ausgezahlt worden. Diese Beträge habe die Klägerin in vollem Umfang an die Beklagte zurückzuerstatten.
Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt folgende Anträge:
Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Würzburg, Kammer Aschaffenburg, vom 13. Dezember 2023, Aktenzeichen 5 Ca 315/23, wird die Klage abgewiesen.
Weiter wird widerklagend beantragt zu erkennen,
die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte € 11.803,75 zuzüglich € 64,95 Zinsen nebst 5% Zinsen über Basiszinssatz aus dem Gesamtbetrag seit 12. Juli 2024 zu bezahlen.
Hilfsweise wird widerklagend beantragt,
die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte € 5.400,15 netto nebst € 64,95 Zinsen zzgl. 5% Zinsen über Basiszinssatz aus dem Betrag von € 5.465,10 zu bezahlen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurück zu weisen.
Weiter wird beantragt,
die Widerklage und die Hilfswiderklage abzuweisen.
Die Klägerin trägt vor, die Berufung sei unbegründet, das Arbeitsgericht habe zutreffend entschieden. § 20a IfSG a.F. unterscheide ausdrücklich zwischen Bestands- und Neuarbeitnehmern. Für bereits am 15.03.2022 beschäftigte Arbeitnehmer habe kein gesetzliches Tätigkeitsverbot bestanden, sondern dieses sei der ermessensgeleiteten Einzelfallentscheidung des Gesundheitsamtes vorbehalten gewesen. Dem stünde auch der Zweck der gesetzlichen Regelung nicht entgegen. Dieser bestand gerade auch darin, die Funktionsfähigkeit der Einrichtungen zu gewährleisten. Ein gesetzliches Beschäftigungsverbot für Bestandsmitarbeiter sei mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Die Beschäftigung der Klägerin sei der Beklagten auch nicht unzumutbar gewesen. Die Klägerin sei sowohl tatsächlich als auch rechtlich in der Lage gewesen, ihre Arbeitsleistung ordnungsgemäß zu erbringen. Auf Grundlage von § 20a IfSG a.F. und § 106 GewO sei die Beklagte gerade nicht berechtigt gewesen, die Annahme der Arbeitsleistung ungeimpfter Arbeitnehmer abzulehnen. Hinzu komme, dass die Klägerin infolge ihrer zweimaligen Infektionen mit dem Coronavirus über einen sehr guten Schutz vor weiteren Infektionen verfügte und die bei der Beklagten betreuten Patienten weniger vulnerabel als in anderen Krankenhäusern und Einrichtungen seien. Die Beklagte könne sich nicht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.06.2024 berufen. Die Entscheidung verkenne die Verfassungswidrigkeit von § 20a IfSG a.F. und dass auf Grundlage von § 20a IfSG a.F. ergehende Anordnungen Art. 12 Abs. 1 GG verletze. Jedenfalls sei § 20a IfSG a.F. im Laufe des Jahres 2022 in die Verfassungswidrigkeit hineingewachsen. Dies habe auch das Verwaltungsgericht Osnabrück in einem Beschluss vom 03.09.2024 festgestellt und dem Bundesverfassungsgericht zur erneuten Entscheidung vorgelegt.
Eine Rückzahlung des mit der Widerklage geltend gemachten Betrages scheide von vornherein aus. Die Klägerin habe von der Beklagten lediglich einen Betrag i.H.v. 951,76 € erhalten. Es werde bestritten und lasse sich den von der Beklagten übermittelten Unterlagen nicht entnehmen, dass die Beklagte die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß abgeführt habe. Die durch die Klägerin vorgelegten Schreiben der Knappschaft sowie die Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2022 stünden dem überdies entgegen. Jedenfalls seien die Lohnsteuer und die Sozialversicherungsbeiträge unzutreffend ermittelt worden, sodass eine Rückerstattung auch unter diesem Gesichtspunkt ausscheide. Überdies komme eine Rückforderung infolge der Ausschlussklausel im Arbeitsvertrag der Parteien nicht in Betracht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Feststellungen des Sachverhalts im arbeitsgerichtlichen Urteil, auf die von den Parteien eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Niederschriften über die mündlichen Verhandlungen vor dem Arbeitsgericht vom 13.12.2023 und dem Landesarbeitsgericht vom 13.11.2024 Bezug genommen.
Aus den Gründen
A. Die zulässige Berufung ist begründet.
I. Die Berufung ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 b) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO.
II. Die Berufung ist in vollem Umfang begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum. In Abweichung von der Entscheidung des Arbeitsgerichts hat die Klägerin gegen die Beklagte für den Zeitraum 20.06.2022 bis 31.12.2022 keinen Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzug, § 615 Satz 1 BGB.
Entgegen der Bewertung des Arbeitsgerichts war die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum im Sinne von § 297 BGB außerstande, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken.
1. Unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen gerät der Arbeitgeber gem. § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die geschuldete Arbeitsleistung aus in seiner Person liegenden Gründen zu bewirken. Leistungswille und Leistungsfähigkeit sind vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzungen, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen müssen. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer von der Arbeitspflicht freigestellt worden ist. Deren Aufhebung bedeutet zwar einen Verzicht des Arbeitgebers auf das Angebot der Arbeitsleistung. Jedoch muss der Arbeitnehmer zur Erbringung der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeitsleistung fähig sein. Ein Absehen von den Erfordernissen des § 297 BGB bedarf einer – vorliegend nicht existierenden – ausdrücklichen Vereinbarung der Parteien.
Leistungsfähigkeit setzt voraus, dass der Arbeitnehmer tatsächlich und rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage ist. Ob Leistungsfähigkeit besteht, bestimmt sich nach objektiven Kriterien. Grundsätzlich unerheblich ist die Ursache für eine Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder seine Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit fehlt. In diesen Fällen steht der Erbringung der Arbeitsleistung ein objektives Leistungshindernis entgegen. Leistungswille setzt voraus, dass der Arbeitnehmer den ernstlichen Willen hat, die Arbeitsleistung in dem geschuldeten Umfang zu erbringen. Dies ist nicht der Fall, wenn der Arbeitnehmer es selbst in der Hand hat, den Hinderungsgrund, welcher der Erbringung der Arbeitsleistung entgegensteht, zu beseitigen. Leistungsunfähigkeit und Leistungsunwillen schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern können nach den Umständen des Einzelfalls auch nebeneinander bestehen. Ein Arbeitnehmer kann zugleich zur Erbringung der Arbeitsleistung nicht bereit und nicht dazu in der Lage sein.
Beruft sich der Arbeitgeber gegenüber einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzug auf dessen Leistungsunfähigkeit oder Leistungsunwilligkeit iSd § 297 BGB, erhebt er eine Einwendung, für deren Voraussetzungen er als Gläubiger der Arbeitsleistung die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. insgesamt BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23 m.w.Nw.).
2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist festzustellen, dass die Beklagte mit Erfolg eingewandt hat, dass die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum iSv § 297 BGB außerstande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu bewirken.
2.1. Auf Grundlage der gesetzlichen Regelung in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. war die Beklagte berechtigt, mit Schreiben vom 07.06.2022 die Umsetzung der in § 20a Abs. 1 IfSG a.F. vorgesehenen Tätigkeitsvoraussetzung durchzusetzen. Die Beklagte war auf Grundlage des ihr zukommenden Direktionsrechts gemäß § 106 S. 1 GewO berechtigt, die in § 20a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 IfSG a.F. gesetzlich vorgesehene berufliche Tätigkeitsanforderung für die Dauer ihrer Geltung auch zur Voraussetzung für eine weitere Beschäftigung der unter ihren Geltungsbereich fallenden Arbeitnehmer zu machen.
Dies folgt aus der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 19.06.2024 – 5 AZR 192/23, der sich das Gericht anschließt.
Danach steht einer Anordnungsbefugnis des Arbeitgebers der Wortlaut von § 20a IfSG a.F. nicht entgegen. Maßgebend spricht der aus der Gesetzesbegründung hinreichend deutlich erkennbare Zweck der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht nach § 20a IfSG a.F. klar dafür, dass Arbeitgeber nach § 106 S. 1 GewO die Tätigkeit in einer unter § 20a Abs. 1 IfSG a.F. fallenden Einrichtung vom Vorliegen der in § 20a Abs. 2 IfSG a.F. geregelten Tätigkeitsvoraussetzung abhängig machen konnten. Die gesetzliche Regelung sollte dem Schutz der sog. vulnerablen Personengruppen dienen, bei denen aufgrund ihres Gesundheitszustands und/oder Alters ein erhöhtes Risiko für einen schweren oder tödlichen COVID-19Krankheitsverlauf besteht, die zudem häufig weniger gut auf die Impfung ansprechen bzw. bei denen sonstige Schutzmaßnahmen weniger gut umgesetzt werden können. Mit der einrichtungsbezogenen Nachweispflicht wurde eine Erhöhung der Impfquote der Beschäftigten in den in § 20a IfSG a.F. aufgeführten Einrichtungen angestrebt. Betretungs- und Tätigkeitsverbote sollten vulnerable Personen darüber hinaus auch dann schützen, wenn sich die von der Nachweispflicht Betroffenen gegen eine Impfung entschieden und gleichwohl ihre Tätigkeit fortsetzen wollten; zugleich sollten die Verbote Zwecken des öffentlichen Gesundheitsschutzes dienen. Ausgehend hiervon können § 20a Abs. 2, 3 und 5 IfSG a.F. auch im Zusammenhang nicht dahingehend ausgelegt werden, dass Arbeitgeber bis zu einer Entscheidung des Gesundheitsamts zu einer Weiterbeschäftigung von Bestandskräften verpflichtet gewesen wären, die keinen Immunitätsnachweis vorgelegt hatten. Bestandskräften sollte nicht ein dem Gesetzeszweck zuwiderlaufender Beschäftigungsanspruch aufrechterhalten bleiben, sondern es sollte allein die Berücksichtigung besonders gelagerter Einzelfälle möglich bleiben. Dabei sollte insbesondere der Funktionsfähigkeit des Gesundheitswesens Rechnung getragen werden. Dieser Regelungszweck erforderte es, auch dem Arbeitgeber eine Ermessensentscheidung zu ermöglichen (vgl. BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23).
Entgegen des Berufungsvorbringens kann sich die Klägerin auch nicht auf die Verfassungswidrigkeit der Regelung in § 20a IfSG a.F. berufen. Der gesetzliche Anknüpfungspunkt, § 20a IfSG a.F., unterlag keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (im Einzelnen BVerfG v. 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21). Die in § 20a IfSG a.F. geregelte einrichtungs- und unternehmensbezogene Nachweispflicht griff zwar in die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte körperliche Unversehrtheit ein. Der Eingriff war jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Die Berufsfreiheit aus Art. 12 GG war nicht verletzt (vgl. BVerfG v. 27.04.2022 – 1 BvR 2649/21; BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23). Die durch die Klägerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 03.09.2024 (3 A 224/22) geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken werden durch das Gericht unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die benannten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes vom 27.04.2022 sowie des Bundesarbeitsgerichts vom 19.06.2024 auch nach gesonderter Würdigung nicht geteilt.
2.2. Hiervon ausgehend hat die Beklagte mit Schreiben vom 07.06.2022 die von der Klägerin geschuldete Arbeitsleistung wirksam dahingehend konkretisiert, dass sie die in § 20a Abs. 1 IfSG a.F. geregelte Tätigkeitsvoraussetzung für das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin für die Zeit ab dem 21.06.2022 bis zum Ablauf der gesetzlichen Regelung verbindlich verlangte.
Die streitgegenständliche Konkretisierung der Arbeitsleistung war trotz des dadurch mittelbar auf eine Impfentscheidung gerichteten Entscheidungs- und Handlungsdrucks zulässiger Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Weisung. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung ist zwar grundsätzlich dem Bereich der privaten Lebensführung zuzuordnen, in den durch das Weisungsrecht in der Regel nicht eingegriffen werden darf (BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23). Mit der von ihr vorgenommenen Konkretisierung der Arbeitspflicht hat die Beklagte jedoch diesen besonders geschützten Bereich nicht verletzt. Die in das Arbeitsverhältnis umgesetzte gesetzliche Tätigkeitsanforderung zielte in erster Linie darauf ab, dass sich die Klägerin für eine Impfung entscheidet, um ungehindert weiter arbeiten zu können. Da die Klägerin in einem Heil- und Pflegeberuf arbeitete, wusste sie, dass mit ihrer Tätigkeit eine besondere Verantwortung gegenüber den von ihr betreuten Personen bestand. Sie musste damit rechnen, dass zum Schutz der Heimbewohner neue Tätigkeitsanforderungen geschaffen werden, was auch der Gesetzgeber im Rahmen der Regelungen zur einrichtungsbezogenen Nachweispflicht hervorgehoben hat (BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23).
Die von der Beklagten gestellte Anforderung an eine pflegerische Tätigkeit genügt dem Erfordernis billigen Ermessens gem. § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB. Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt für die rechtsgestaltende Leistungsbestimmung ein nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Die Darlegungs- und Beweislast für die Einhaltung dieser Grenzen trägt der Bestimmungsberechtigte. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ausübungskontrolle ist der Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber die Ermessensentscheidung zu treffen hatte. Ob die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind, unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle, wobei es nicht auf die vom Arbeitgeber angestellten Erwägungen, sondern darauf ankommt, ob das Ergebnis der getroffenen Entscheidung den gesetzlichen Anforderungen genügt (BAG v. 19.06.2024 – 5 AZR 192/23).
Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist festzustellen, dass die Anordnung der Beklagten mit Schreiben vom 07.06.2022 billiges Ermessen wahrt. Dies ergibt sich vorliegend bereits daraus, dass die Beklagte sich im Rahmen des gesetzlich Vorgesehenen bewegte und lediglich den vom Gesetzgeber mit § 20a IfSG a.F. primär bezweckten Schutz besonders vulnerabler Personen während der Corona-Pandemie verwirklicht hat. Dabei durfte sie davon ausgehen, dass der Gesetzgeber bei seiner Normsetzung die Interessen der betroffenen Beschäftigten ausreichend abgewogen hat. Besondere Umstände, die dem vom Gesetzgeber unterstellten Regelfall der Nichtbeschäftigung entgegenstünden, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Aus welchem Gesichtspunkt die bei der Beklagten betreuten Patienten weniger vulnerabel seien, als Patienten in anderen Einrichtungen, so der Vortrag der Klägerin, wurde durch diese in keiner Weise hinreichend substantiiert. Auch kann auf Grundlage der Vorgaben in § 20a IfSG a.F. keine Berücksichtigung finden, dass die Klägerin infolge ihrer zweimaligen Infektionen mit dem Coronavirus ggf. über einen gesteigerten Infektionsschutz verfügte.
B. Die Widerklage der Beklagten ist zulässig und begründet.
1. Soweit die Beklagte im Berufungsverfahren im Wege der Widerklage den Anspruch auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung wegen des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteils gezahlten Betrags geltend gemacht hat, handelt es sich um eine gemäß § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige Klageerweiterung.
Zulässigkeitsbedenken bestehen auch im Übrigen nicht.
2. Der Widerklageantrag der Beklagten auf Rückzahlung des zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem erstinstanzlichen Urteil gezahlten Betrags in Höhe von 11.803,75 sowie eines weiteren Betrags i.H.v. 64,95 € Zinsen ist begründet. Nachdem die Beklagte bereits einen Betrag i.H.v. 11.803,75 € brutto sowie Zinsen i.H.v. 64,95 € geleistet hat, ist die Klägerin im Wege der Widerklage zur Rückzahlung dieser Beträge verpflichtet.
2.1. Der Rückzahlungsanspruch der Beklagten folgt aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO.
Nach § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO, der gemäß § 62 Abs. 2 S. 1 ArbGG auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren Anwendung findet, ist der Kläger zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der dem Beklagten durch die Zwangsvollstreckung des Urteils oder durch eine zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gemachte Leistung entstanden ist, wenn ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Bei § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung. Es ist lediglich Voraussetzung, dass ein für vorläufig vollstreckbares Urteil aufgehoben bzw. abgeändert wurde, der Gläubiger des vorläufig vollstreckbaren Titels die Vollstreckung aus diesem betrieben hat oder der Schuldner des vorläufig vollstreckbaren Titels zur Abwendung der Zwangsvollstreckung eine Leistung erbracht hat und dass dadurch adäquat kausal ein Schaden bei dem Schuldner eingetreten ist (BAG v. 18.12.2008 – 8 AZR 105/05). Es gelten die §§ 249 ff. BGB. § 717 Abs. 2 ZPO gewährt einen materiellrechtlichen Anspruch auf Schadensersatz, nicht auf Herausgabe der Bereicherung. Er setzt daher nicht voraus, dass der Gläubiger durch die Vollstreckung etwas erlangt hat. Der Anspruch geht auf Ersatz des vollen Vollstreckungsschadens, wobei lediglich inadäquate Geschehensabläufe und außerhalb des Schutzzwecks der Norm liegende Schadensereignisse auszuscheiden sind (BAG v. 25.09.2003 – 8 AZR 427/02).
2.2. Die Voraussetzungen für einen solchen Schadensersatzanspruch liegen vor.
2.2.1. Die Leistung der Beklagten erfolgte aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils, das später abgeändert wurde. Das erstinstanzliche Urteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 13.12.2023, mit dem die Beklagte verurteilt worden war, an die Klägerin 11.803,75 € brutto abzüglich Arbeitslosengeld i.H.v. 4.387,27 € nebst Zinsen zu zahlen, war nach § 62 Abs. 1 S. 1 ArbGG vorläufig vollstreckbar. Dieses Urteil war abzuändern und die Klage abzuweisen.
2.2.2. Es ist auch davon auszugehen, dass die Beklagte die geleisteten Beträge zur Abwendung der Zwangsvollstreckung zahlte. Dass schon einzelne Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet wurden, ist nicht erforderlich.
Wesentlich ist, dass sich der Schuldner dem Vollstreckungsdruck beugt. Mit E-Mail vom 08.01.2024 wurde der Klägerin ausdrücklich mitgeteilt, dass die Zahlung unter Vorbehalt erfolgte und nur zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen veranlasst wurde. Darüber hinaus hat die Beklagte – unbestritten – geltend gemacht, dass die Klägerin Vollstreckungsmaßnahmen angedroht habe. Dies wird zudem durch die Schreiben der Klägerin vom 18.01.2024 und vom 04.04.2024 bestätigt.
2.3. Der Schadensersatzanspruch der Beklagten umfasst auch der Höhe nach die durch die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von 11.803,75 € brutto und 64,95 € Zinsen in vollem Umfang.
2.3.1. Direkt erlangt hat die Klägerin 951,76 € netto sowie 64,95 € Zinsen. Diese Beträge hat sie unproblematisch zu erstatten.
2.3.2. Die Klägerin ist auch zum Ersatz der 4.387,27 € sowie 61,12 € verpflichtet, die die Beklagte an die Agentur für Arbeit gezahlt hat. Soweit ein Anspruch auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt wird und deshalb ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber nach § 115 SGB X auf den Leistungsträger über. Die Beklagte war daher verpflichtet, an die Agentur für Arbeit 4.448,39 € zu zahlen. In dieser Höhe ist ihr ein ersatzfähiger Schaden erstanden.
Dass die benannten Beträge durch die Beklagte an die Agentur für Arbeit geleistet wurden, wurde durch die Klägerin zuletzt nicht mehr bestritten.
2.3.3. Des Weiteren kann die Beklagte die gezahlte Lohnsteuer in Höhe von 4.414,12 erstattet verlangen. Der Schadensersatzanspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO umfasst bei einem zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gezahlten Entgeltbetrag auch die von dem Arbeitgeber für den Arbeitnehmer gezahlten Steuern (BAG v. 18.12.2008 – 8 AZR 105/08). Für die Verpflichtung der Beklagten, Steuern abzuführen, war lediglich entscheidend, dass der Klägerin bis Juni 2022 Arbeitsentgelt zugeflossen war. Aufgrund dieses Umstandes war die Beklagte gemäß § 38 Abs. 1 EStG verpflichtet, die Lohnsteuer abzuführen. Durch die Abführung von Steuern (vgl. §§ 38, 41a EStG) hat die Beklagte eine eigene Schuld der Klägerin getilgt. Der Arbeitnehmer bleibt letztlich der Steuerschuldner.
Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, welche Steuern zugunsten der Klägerin abgeführt wurden. Auf Grundlage der der Klägerin erteilten Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2023, dem Abrechnungsjournal für alle Mitarbeiter im Monat Dezember 2023 sowie der Gesamtabrechnung der Steuern für das Jahr 2023 bestehen keine Zweifel, dass der im Rahmen der Gehaltsabrechnung der Klägerin ausgewiesene Betrag ordnungsgemäß abgeführt wurde. Von diesem Betrag ist folglich hier auszugehen. Dass die Klägerin demgegenüber die Höhe der Zahlung als lohnsteuerrechtlich ordnungsgemäß bestreitet, spielt im Rahmen des hier maßgebenden Schadensersatzanspruches keine Rolle. Vielmehr ist die Klägerin gehalten, den durch die Beklagte abgeführten Betrag gegenüber den Finanzbehörden im Rahmen einer Erstattung geltend zu machen.
2.3.4. Im Rahmen von § 249 Abs. 1 BGB kann die Beklagte auch die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 2.054,43 € erstattet verlangen.
Die bereicherungsrechtlich entwickelten Grundsätze zur Rückabwicklung zu viel entrichteter Sozialversicherungsbeiträge (vgl. BAG v. 29.03.2001 – 6 AZR 653/99) sind auf die Rückabwicklung nach § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu übertragen. Denn hierbei handelt es sich um einen Schadensersatzanspruch, der auf die Wiederherstellung des früheren Zustandes gerichtet ist. Es ist daher richtig, wenn der Arbeitgeber im Rahmen von § 717 Abs. 2 ZPO auch die zugunsten des Arbeitnehmers abgeführten Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung direkt vom Arbeitnehmer zurückverlangen kann (LAG Hessen v. 28.01.2011 – 3 Sa 960/10; LAG Rheinland-Pfalz v. 09.07.2009 – 10 Sa 112/09). Zwar ist auch der Arbeitgeber Schuldner des gesamten Sozialversicherungsbeitrages gegenüber der Einzugsstelle (§ 28e SGB IV). § 28e Abs. 1 SGB IV regelt aber nur die Zahlungspflicht, nicht dagegen, wer letztlich finanziell belastet wird, also den Betrag zu tragen hat. Dies ist der Arbeitnehmer. Den in dem Arbeitnehmeranteil liegenden Vermögenswert erlangt damit auch der Arbeitnehmer (BAG 29.03.2001 – 6 AZR 653/99).
Die Beklagte hat im Einzelnen dargelegt, welche Arbeitnehmeranteile für die Sozialversicherung zugunsten der Klägerin abgeführt wurden. Insbesondere aus dem Beitragsnachweis gegenüber der Knappschaft sowie dem Schreiben der Knappschaft vom 01.03.2024 ergibt sich, dass die Sozialversicherungsbeiträge für den Zeitraum Dezember 2023 für einen Entgeltbetrag in Höhe von 11.869 € (11.803,75 € brutto titulierte Forderung einschließlich Zinsen in Höhe von 64,95 € ergibt € 11.868,70 € brutto – aufgerundet) abgeführt wurden. Von diesen Beträgen ist folglich auszugehen.
2.3.5. Entgegen des Berufungsvorbringens kann sich die Klägerin auch nicht auf die im Arbeitsvertrag der Klägerin in § 19 enthaltene dreimonatige Ausschlussklausel berufen.
Unabhängig davon, ob eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist auf § 717 Abs. 2 ZPO anwendbar ist (vgl. BAG v. 19.03.2003 – 10 AZR 597/01), greift die Verfallfrist von vornherein nicht ein, da der Schadensersatzanspruch das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung verlangt. Eine solche liegt bislang noch nicht vor.
Für den Beginn der Ausschlussfrist kommt es auf die Fälligkeit des Anspruches an. Die Fälligkeit setzt das Entstehen des Anspruchs voraus. Der Anspruch aus § 717 Abs. 2 ZPO entsteht grundsätzlich erst mit Aufhebung bzw. Abänderung des vorläufig vollstreckbaren Titels, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben wird. Durch § 717 Abs. 2 ZPO soll gewährleistet werden, dass derjenige, der aufgrund eines vorläufig vollstreckbaren Urteils in Anspruch genommen worden ist, die zur Abwehr der Vollstreckung erbrachte Leistung nach Aufhebung des Titels sogleich zurückerhält. Die Fälligkeit tritt vor diesem Hintergrund erst dann ein, wenn über den Anspruch, der Gegenstand des vorläufig vollstreckbaren Titels war, eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist (BAG v. 18.12.2008 – 8 AZR 105/08).
2.3.6. Die Beklagte hat einen Zinsanspruch gegenüber der Klägerin gemäß § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO, § 291 BGB. Die Beklagte hat diesen ab dem 12.07.2024 geltend gemacht, § 308 ZPO.
3. Infolge des vollständigen Obsiegens der Beklagten mit dem Widerklageantrag zu 1 ist der hilfsweise geltend gemachte Widerklageantrag nicht zur Entscheidung angefallen.
C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
D. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 72 Abs. 2 ArbGG).