R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
06.10.2022
Arbeitsrecht
BAG: Beschäftigungsanspruch – Unmöglichkeit – widersprüchliches Verhalten des Arbeitgebers

BAG, Urteil vom 1.6.2022 – 5 AZR 407/21

ECLI:DE:BAG:2022:010622.U.5AZR407.21.0

Volltext: BB-Online BBL2022-2355-4

Orientierungssatz

 

Ein öffentlicher Arbeitgeber, der das Arbeitsverhältnis eines Schulleiters wegen vermeintlicher Pflichtverletzungen unwirksam kündigt, verhält sich widersprüchlich iSd. § 242 BGB („venire contra factum proprium“), wenn er nach verlorenem Kündigungsschutzprozess sich gegenüber dem Verlangen des Arbeitnehmers auf tatsächliche Beschäftigung darauf beruft, ihm sei die weitere Beschäftigung als Schulleiter wegen fehlender Ausbildung zum Lehramt schulrechtlich unmöglich, obwohl er den Arbeitnehmer in Kenntnis von dessen Ausbildung und beruflichem Werdegang zum Schulleiter bestellt, ihn jahrelang als solchen beschäftigt, mit Bestnoten beurteilt und das Arbeitsverhältnis aus verhaltensbedingten Gründen gekündigt hat, die mit der fehlenden Ausbildung zum Lehramt nicht in Zusammenhang stehen.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz noch über die tatsächliche Beschäftigung des Klägers nach Freistellung und unwirksamen Arbeitgeberkündigungen.

Der 1965 geborene Kläger studierte Theaterwissenschaften und Choreografie an der Theaterhochschule Hans Otto (Leipzig) und schloss das Studium als Diplom-Theaterwissenschaftler mit Spezialisierung auf Tanzwissenschaften ab. Im Jahr 1995 wurde er Honorarprofessor für Tanzdramaturgie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch (Berlin) und im Jahr 2001 zum außerplanmäßigen Professor für Tanzgeschichte und Tanzdramaturgie an der Palucca Hochschule für Tanz in Dresden bestellt. Über ein Lehramtsstudium verfügt er nicht.

Zum 1. Januar 2003 stellte das beklagte Land den Kläger als stellvertretenden künstlerischen Leiter für den Bereich Bühnentanz an der Staatlichen Ballettschule Berlin und Schule für Artistik (iF nur Ballettschule) ein, wobei die Parteien arbeitsvertraglich ihr Einvernehmen darüber festhielten, dass der Kläger seine Tätigkeiten in Forschung und Lehre der Tanzwissenschaft fortsetzt, sofern diese dem Dienstbetrieb nicht entgegenstehen. Die Ballettschule, deren Ursprünge auf die 1951 in der ehemaligen DDR gegründete Fachschule für künstlerischen Tanz Berlin zurückgehen, vereint – nach ihrer Selbstdarstellung – professionelle Berufsausbildung mit der schulischen Bildung unter einem Dach. Die Schülerinnen und Schüler ihrer Oberstufe sind gleichzeitig Studierende der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und erhalten als Schulabschluss auch den Bachelor of Arts. In die Ballettschule werden ausschließlich tänzerisch oder artistisch besonders talentierte Schülerinnen und Schüler nach Bestehen eines Aufnahmetests aufgenommen, bei dem – in der Fachrichtung Bühnentanz – Bewegungstalent, Bewegungsphantasie, Musikalität, körperliche Belastbarkeit und Konstitution sowie darstellerische Ausdruckskraft nachgewiesen werden müssen (§ 9 VO über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung vom 23. März 2006).

Mit Wirkung vom 1. August 2007 übertrug das beklagte Land dem Kläger, zunächst befristet zur Erprobung, die Aufgabe als Leiter der Ballettschule. Während der Erprobung nahm der Kläger beim Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg an mehreren Fortbildungslehrgängen für Schulleiter, die neu im Amt sind, teil. Nach erfolgreicher Erprobung und einer Beurteilung, die ihm „Leistungen, die die Anforderungen in herausragender Weise übertreffen“ bescheinigte, wurde dem Kläger die Leitung der Ballettschule zum 1. Januar 2010 endgültig übertragen. Er erhielt zuletzt Vergütung nach der Entgeltgruppe 15 Stufe 6 TV-L und verdiente, zusammen mit einer Zulage nach § 16 Abs. 5 Satz 2 TV-L, insgesamt 7.291,26 Euro brutto monatlich.

Nachdem seit November 2019 von verschiedenen Seiten – zum Teil anonym, zum Teil presseöffentlich – Anschuldigungen über angeblich vom Kläger zu verantwortende „Missstände“ an der Ballettschule erhoben worden waren, setzte das beklagte Land am 20. Januar 2020 eine Kommission zur Untersuchung der Vorwürfe ein. Einen kurzfristig für den 17. Februar 2020 von der Senatsverwaltung angesetzten Termin zu einer Anhörung nahm der Kläger nicht wahr. Er wurde daraufhin noch am selben Tag per E-Mail mit sofortiger Wirkung vom Dienst freigestellt und erhielt Hausverbot für die Ballettschule. Mit Schreiben vom 4. März 2020 bestätigte die Senatsverwaltung Freistellung und Hausverbot. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise:

        

„Im Rahmen der Prüfung Ihrer Freistellung war eine Interessenabwägung vorzunehmen, zwischen Ihrem Interesse an einer Weiterbeschäftigung und den Interessen des Arbeitgebers an einer Freistellung. … Vorliegend überwiegen die Interessen des Arbeitgebers, nämlich der Schutz des Kindeswohls der Schülerinnen und Schüler vor dem Hintergrund der im Raum stehenden körperlichen und seelischen Gefährdungen sowie mögliche Beschädigungen des öffentlichen Ansehens der Staatlichen Ballettschule und Schule für Artistik durch die stark mediale Begleitung, Ihr Interesse an einer Weiterbeschäftigung.

        

…       

        

Durch die Freistellung soll weiterer Schaden von der Schule und von Ihnen abgewendet und der Untersuchung der eingerichteten Kommission eine möglichst uneingeschränkte Arbeit ermöglicht werden.“

Dagegen hat der Kläger am 3. April 2020 Klage erhoben, mit der er zunächst die Aufhebung von Freistellung und Hausverbot sowie Weiterbeschäftigung als Schulleiter verlangte. Nachdem das beklagte Land das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. Juni 2020 fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Dezember 2020 gekündigt hatte, erweiterte er die Klage um einen entsprechenden Kündigungsschutzantrag. Der Kläger hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen und sich als „Bauernopfer“ gesehen. Er hat gemeint, das beklagte Land sei arbeitsvertraglich verpflichtet, ihn als Schulleiter tatsächlich zu beschäftigen.

Der Kläger hat – soweit für die Revision von Belang – zuletzt beantragt,

        

das beklagte Land zu verurteilen, ihn als Schulleiter der Staatlichen Ballettschule Berlin und Schule für Artistik in Vollzeit weiterzubeschäftigen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und zunächst geltend gemacht, angesichts der gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe überwiege sein Interesse an der Nichtbeschäftigung des Klägers dessen Interesse an einer tatsächlichen Beschäftigung. Seit dem Berufungsverfahren hat es sich die Auffassung des Arbeitsgerichts zu eigen gemacht, § 71 Schulgesetz Berlin stehe einer tatsächlichen Beschäftigung des Klägers als Schulleiter als rechtliches Hindernis entgegen, weil er keine Ausbildung für das Lehramt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Beschäftigung abgewiesen, das Landesarbeitsgericht ihr auf die Berufung des Klägers stattgegeben. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt das beklagte Land die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Der Kündigungsschutzklage haben die Vorinstanzen stattgegeben. Auch hinsichtlich weiterer fristloser, hilfsweise ordentlicher Kündigungen des beklagten Landes mit Schreiben vom 11. und 29. Juni 2020 steht inzwischen rechtskräftig fest, dass diese das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben.

Aus den Gründen

11        Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Klägers gegen das die Klage auf Beschäftigung abweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

12        I. Die Klage auf Beschäftigung ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger begehrt die tatsächliche Beschäftigung mit der bis zu seiner Freistellung ausgeübten Tätigkeit als Schulleiter der Ballettschule in Vollzeit. Damit ist für das beklagte Land erkennbar, in welchen Fällen es mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat, wenn es die ausgeurteilte Verpflichtung nicht erfüllt (zur Bestimmtheit einer Beschäftigungsklage sh. BAG 24. März 2021 – 10 AZR 16/20 – Rn. 25 ff. mwN).

13        Bei der in der Berufungsinstanz vorgenommenen Änderung des Antrags auf die im Tatbestand des Berufungsurteils wiedergegebene letzte Fassung handelt es sich nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts um eine „Beschränkung auf den Kern des Rechtsschutzbegehrens“ und einen nach § 264 Nr. 2 ZPO privilegierten Fall. In entsprechender Anwendung des § 268 ZPO ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu prüfen, ob eine Klageänderung gegeben und ggf. zulässig ist (st. Rspr., vgl. zB BAG 22. August 2018 – 5 AZR 592/17 – Rn. 14; 24. März 2021 – 10 AZR 16/20 – Rn. 21 mwN).

14        II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung als Leiter der Ballettschule. Dessen Erfüllung ist dem beklagten Land entgegen seiner Auffassung nicht unmöglich.

15        1. Das Landesarbeitsgericht hat das beklagte Land zeitlich uneingeschränkt zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt, obwohl im Zeitpunkt seiner Entscheidung über die weiteren Kündigungen vom 11. und 29. Juni 2020 noch nicht rechtskräftig entschieden war und – aus damaliger Sicht – dem Kläger ein Weiterbeschäftigungsanspruch zunächst nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des zweiten Kündigungsschutzprozesses zustehen konnte (vgl. dazu BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II der Gründe, BAGE 48, 122). Wohl deshalb hat das Landesarbeitsgericht in den Entscheidungsgründen ausgeführt, das Urteil stehe „unter dem Vorbehalt“, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen vom 11. und 29. Juni 2020 nicht aufgelöst ist.

16        Ob diese Handhabung frei von Rechtsfehlern war oder es prozessual geboten gewesen wäre, durch Teilurteil das beklagte Land zur Weiterbeschäftigung des Klägers nur bis zum rechtskräftigen Abschluss des zweiten Kündigungsschutzprozesses zu verurteilen und den Rechtsstreit im Übrigen nach § 148 Abs. 1 ZPO auszusetzen oder die Klage insoweit als derzeit unbegründet abzuweisen, bedarf keiner Entscheidung. Denn es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass im Laufe des Revisionsverfahrens rechtskräftig festgestellt wurde, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen des beklagten Landes vom 11. und 29. Juni 2020 nicht aufgelöst worden ist (LAG Berlin-Brandenburg 29. Juli 2021 – 14 Sa 464/21 -). Nachdem der Kläger – wie die Parteien übereinstimmend mitteilten – vorübergehend anderweitig mit einem Forschungsprojekt zu „Tanz und Tanzpolitik im Nationalsozialismus“ beschäftigt wird und der Beschäftigungsanspruch zukunftsbezogen ist (zutr. Schaub ArbR-HdB/Ahrendt 19. Aufl. § 109 Rn. 22; ErfK/Preis 22. Aufl. BGB § 611a Rn. 564; zur Unmöglichkeit einer rückwirkenden tatsächlichen Beschäftigung sh. BAG 17. März 2015 – 9 AZR 702/13 – Rn. 15; 27. Januar 2016 – 5 AZR 9/15 – Rn. 15, BAGE 154, 100), betrifft das Petitum des Klägers, gerichtet auf tatsächliche Beschäftigung als Leiter der Ballettschule, faktisch nur eine Zeit, für die feststeht, dass zwischen den Parteien ein ungekündigtes Arbeitsverhältnis besteht.

17        2. Im Arbeitsverhältnis besteht grundsätzlich ein von der Rechtsprechung im Wege der Rechtsfortbildung entwickelter Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung und damit korrespondierend eine Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn dieser es verlangt. Rechtsgrundlage hierfür ist § 611a Abs. 1 Satz 1, § 613 BGB iVm. der Generalklausel des § 242 BGB, die durch die Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG ausgefüllt wird (grundlegend BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C I 2 der Gründe, BAGE 48, 122; seither st. Rspr., vgl. nur BAG 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14 ua. – Rn. 34, BAGE 152, 65; 21. Februar 2017 – 1 AZR 367/15 – Rn. 19, BAGE 158, 148; 24. März 2021 – 10 AZR 16/20 – Rn. 33 – jeweils mwN; im Ergebnis ganz hM, vgl. – statt vieler – ErfK/Preis 22. Aufl. BGB § 611a Rn. 563 ff.; HWK/Thüsing 9. Aufl. § 611a BGB Rn. 321 ff.; MHdB ArbR/Reichold 5. Aufl. § 92 Rn. 4 ff.; Schaub ArbR-HdB/Ahrendt 19. Aufl. § 109 Rn. 5). Der Arbeitnehmer soll – als Ausdruck und in Achtung seiner Persönlichkeit und seines Entfaltungsrechts – tatsächlich arbeiten können (zum ideellen Beschäftigungsinteresse sh. auch BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 44, BAGE 170, 311). Weil – was rechtskräftig feststeht – sämtliche Kündigungen des beklagten Landes das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben, hat der Kläger einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung als Schulleiter der Ballettschule.

18        3. Die titulierte Beschäftigung ist dem beklagten Land nicht unmöglich (geworden) iSd. § 275 Abs. 1 BGB (vgl. zu einem solchen Einwand BAG 5. Februar 2020 – 10 AZB 31/19 – Rn. 18; 21. März 2018 – 10 AZR 560/16 – Rn. 20 ff., BAGE 162, 221). Seine Auffassung, § 71 Satz 1 Schulgesetz für das Land Berlin vom 26. Januar 2004 (iF SchulG) begründe „rechtliches Unvermögen zur Berufstätigkeit des Klägers als Schulleiter“, ist unzutreffend.

19        a) Bei der Frage eines „rechtlichen Unvermögens“ zur Ausübung der geschuldeten Tätigkeit ist zu differenzieren, ob es um das materielle, auf die Erlangung von Arbeitsentgelt gerichtete oder um das ideelle, auf tatsächliche Beschäftigung gerichtete Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers geht (zu diesen Interessen vgl. BAG 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 23, 26 – jeweils mwN, BAGE 170, 311).

20        aa) Für die finanzielle Absicherung bei Nichtbeschäftigung sorgt § 615 Satz 1 BGB, der dem Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen der §§ 293 ff. BGB den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit aufrechterhält (BAG 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14 ua. – Rn. 35, BAGE 152, 65; 27. Mai 2020 – 5 AZR 247/19 – Rn. 26, BAGE 170, 311 – jeweils mwN). Dabei kommt der Arbeitgeber nach § 297 BGB nicht in Annahmeverzug, wenn der Arbeitnehmer außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist – neben dem Leistungswillen – eine vom Leistungsangebot und dessen Entbehrlichkeit unabhängige Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss. Unerheblich ist dabei die Ursache für die Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers. Das Unvermögen kann auf tatsächlichen Umständen (wie zB Arbeitsunfähigkeit) beruhen oder ihre Ursache im Rechtlichen haben, etwa wenn ein gesetzliches Beschäftigungsverbot besteht oder eine erforderliche Erlaubnis für das Ausüben der geschuldeten Tätigkeit fehlt (st. Rspr., vgl. nur – mit zahlreichen Beispielsfällen – BAG 21. Oktober 2015 – 5 AZR 843/14 – Rn. 23, BAGE 153, 85). In diesem Zusammenhang hat der Senat auch erkannt, dass ein zur Unmöglichkeit der Arbeitsleistung führendes gesetzliches oder behördliches Beschäftigungsverbot diese Rechtsfolge klar und deutlich zum Ausdruck bringen muss (BAG 18. März 2009 – 5 AZR 192/08 – Rn. 15, BAGE 130, 29; 21. Oktober 2015 – 5 AZR 843/14 – Rn. 31, aaO). Liegt ein Fall des § 297 BGB vor und scheidet damit Annahmeverzug des Arbeitgebers aus, bleibt dem Arbeitnehmer gleichwohl der Vergütungsanspruch aufrechterhalten, wenn der Arbeitgeber für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (dazu BAG 19. August 2015 – 5 AZR 975/13 – Rn. 29, BAGE 152, 213) oder der Arbeitgeber den Arbeitnehmer trotz Kenntnis des Leistungshindernisses eingestellt und damit vertraglich das Vergütungsrisiko übernommen hat (BAG 28. September 2016 – 5 AZR 224/16 – Rn. 33, 35, BAGE 157, 34).

21        bb) Geht es wie im Streitfall ausschließlich um das ideelle Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers, kann die Frage des (Nicht-)Bestehens eines Anspruchs auf tatsächliche – vertragsgemäße – Beschäftigung nicht mit § 297 BGB beantwortet werden. Der von der Rechtsprechung entwickelte Beschäftigungsanspruch ist vielmehr gemäß § 275 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, wenn die Beschäftigung dem Arbeitgeber unmöglich ist (vgl. – zur tatsächlichen Unmöglichkeit der Beschäftigung – BAG 5. Februar 2020 – 10 AZB 31/19 – Rn. 17 f. mwN). Das ist ua. dann der Fall, wenn die Rechtsordnung dem Arbeitgeber verbietet, den Arbeitnehmer mit der vereinbarten Tätigkeit (weiterhin) zu beschäftigen.

22        b) § 71 Satz 1 SchulG, der unter der Überschrift „Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Schulleiterfunktion“ bestimmt, dass zur Schulleiterin oder zum Schulleiter nur bestellt werden kann, wer Kenntnisse und Fähigkeiten nachweist, die über die Ausbildung zum Lehramt hinausgehen und für die Leitung einer Schule erforderlich sind, steht entgegen der vom beklagten Land im Anschluss an das Arbeitsgericht vertretenen Auffassung der Beschäftigung des Klägers als Schulleiter nicht entgegen. Das hat das Landesarbeitsgericht zu Recht angenommen.

23        aa) Staatliche Stellen wie das beklagte Land haben jede von ihnen bereitgestellte Position, gleichgültig ob sie diese mit Beamten oder Arbeitnehmern besetzen wollen, nach Art. 33 Abs. 2 GG (nur) nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu besetzen. Für die Tätigkeit als Schulleiter im Land Berlin verlangt § 71 SchulG den Nachweis von Kenntnissen und Fähigkeiten, die über die Ausbildung für das Lehramt hinausgehen und konkretisiert insbesondere in seinen Sätzen 2 und 3 die Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG. Damit definiert die Vorschrift, welche Voraussetzungen ein Bewerber für eine derartige Position mitbringen soll und ist Grundlage für ein Anforderungsprofil, das bei jeder Ausschreibung einer freien oder freiwerdenden Schulleiterstelle zu erstellen und nach § 72 Abs. 1 SchulG zwingend Bestandteil der Ausschreibung ist. Mit einem solchen Anforderungsprofil, das für den öffentlichen Arbeitgeber grundsätzlich während des gesamten Auswahlverfahrens verbindlich ist (vgl. dazu BAG 29. April 2021 – 8 AZR 279/20 – Rn. 34 mwN), eröffnet § 71 SchulG unterlegenen Bewerbern zugleich die Möglichkeit, bei einem – vermeintlichen – Verstoß gegen die Anforderungen des § 71 SchulG gegen die beabsichtigte Besetzung der Stelle im Wege der Konkurrentenklage vorzugehen.

24        bb) Einen darüber hinausgehenden Regelungsgehalt hat – trotz aller Auslegungsbemühungen der Revision – § 71 SchulG nicht. Insbesondere lässt sich der Norm nicht entnehmen, dass dem beklagten Land die Beschäftigung eines Arbeitnehmers als Schulleiter verboten sein soll, wenn es sich über die eigenen Vorgaben hinwegsetzt und einen Arbeitnehmer mit der Schulleitung betraut, der nicht alle in § 71 SchulG verlangten Anforderungen erfüllt. Die Norm schützt nicht das beklagte Land vor sich selbst, sondern allenfalls Mitbewerber vor einer Art. 33 Abs. 2 GG widersprechenden Stellenbesetzung. Entgegen der Auffassung der Revision ist auch weder ersichtlich noch vom beklagten Land substantiiert dargetan, dass ein Schulleiter ohne Ausbildung für das Lehramt für die Schülerinnen und Schüler – noch dazu solchen einer Schule von besonderer Prägung wie der streitgegenständlichen Ballettschule – „erheblich gefährlicher“ wäre als eine Schulleitung mit Ausbildung zum Lehramt.

25        cc) Die von der Revision angenommene Rechtsfolge des § 71 SchulG hätte zudem wegen ihrer einschneidenden Auswirkung auf die Freiheit der Berufsausübung nach dem verfassungsrechtlichen Gebot der Normenklarheit klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden müssen (vgl. BVerfG 9. April 2003 – 1 BvL 1/01, 1 BvR 1749/01 – zu B I 4 der Gründe, BVerfGE 108, 52; BAG 18. März 2009 – 5 AZR 192/08 – Rn. 15, BAGE 130, 29). Das ist indes nicht erfolgt, anders als etwa bei § 2 Abs. 1 Bundesärzteordnung, der hinreichend klar formuliert, dass derjenige, der den ärztlichen Beruf ausüben will, der Approbation als Arzt bedarf.

26        dd) Gegen ein Verständnis des § 71 SchulG als Verbot, einen Schulleiter zu beschäftigen, der unter Außerachtlassung der Anforderungen des § 71 SchulG als Arbeitnehmer mit dieser Aufgabe betraut wurde, spricht auch die langjährige Praxis des beklagten Landes, das den Kläger in Kenntnis von dessen Ausbildung und beruflichem Werdegang bis zu seiner Freistellung ohne rechtliche Bedenken und Beanstandungen über zehn Jahre als Schulleiter tatsächlich beschäftigt hat. Angesichts dessen ist nicht erkennbar und auch vom beklagten Land nicht dargetan, welche nachteiligen rechtlichen Konsequenzen es von welcher Seite zu befürchten hätte, wenn es den Kläger entsprechend seiner arbeitsvertraglichen Verpflichtung weiterhin als Leiter der Ballettschule beschäftigt. Zudem könnte das beklagte Land das nunmehr von ihm erkannte „Beschäftigungshindernis“ ausräumen. Denn § 93 Nr. 5 SchulG ermächtigt die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung – also dieselbe Stelle, die den Kläger mit der Leitung der Ballettschule betraut hat – durch Rechtsverordnung Abweichungen (auch) von den Anforderungen des § 71 SchulG zu regeln. Das läge schon deshalb nahe, weil nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Aus-, Fort- und Weiterbildung der Lehrerinnen und Lehrer im Land Berlin vom 7. Februar 2014 die dortige Ausbildung der Lehrkräfte auf die Lehrämter an den „klassischen“ Schulen (Grundschule, Integrierte Sekundarschule und Gymnasium sowie berufliche Schulen) zugeschnitten ist. Insoweit hat der Kläger – ohne dass das beklagte Land dem widersprochen hätte – darauf hingewiesen, dass Ballett und Artistik nicht zum Kanon der Schulfächer im Land Berlin gehören und es für solche Fächer auch keine Ausbildung im Rahmen der Lehramtsausbildung gibt.

27        4. Selbst wenn man mit der Revision annähme, § 71 Satz 1 SchulG verböte „an sich“ die Beschäftigung eines Arbeitnehmers ohne klassische Lehramtsausbildung als Schulleiter, wäre die Klage begründet. Der Berufung des beklagten Landes darauf, es dürfe den Kläger wegen dessen fehlender Ausbildung zum Lehramt nicht vertragsgemäß als Leiter der Ballettschule beschäftigen, steht § 242 BGB entgegen.

28        a) Das in dieser Norm enthaltene Verbot widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“) bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder wenn andere besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (st. Rspr., zB BAG 8. März 2022 – 3 AZR 420/21 – Rn. 46 mwN).

29        b) Das ist vorliegend der Fall. Das beklagte Land hat den Kläger in Kenntnis von dessen Ausbildung und beruflichem Werdegang arbeitsvertraglich die streitgegenständliche Tätigkeit als Leiter der Ballettschule übertragen und ihn jahrelang als solchen beschäftigt, ohne dass von irgendeiner Stelle an der fehlenden Lehramtsausbildung des Klägers Anstoß genommen worden oder irgendjemand beim beklagten Land ohne die erstinstanzliche Entscheidung überhaupt auf die Idee gekommen wäre, es dürfe den Kläger wegen § 71 Satz 1 SchulG nicht als Schulleiter beschäftigen. Dementsprechend hat das beklagte Land die den Rechtsstreit auslösende Freistellung des Klägers nicht damit begründet, es fehle ihm an der Lehramtsausbildung, sondern mit den später im Rahmen der Kündigung gegen ihn erhobenen Vorwürfen, aufgrund derer sein Beschäftigungsinteresse zurücktreten müsse. Insoweit ist auch zu beachten, dass die Verordnungsermächtigung in § 93 Nr. 5 SchulG der für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung die rechtliche Möglichkeit eröffnet, das nach jahrelanger gegenteiliger Praxis und verlorenen Kündigungsschutzprozessen angenommene – vermeintliche – rechtliche Leistungshindernis zu beseitigen. Entgegen den Ausführungen in der Revisionsbegründung scheint das beklagte Land auch nicht ernsthaft davon überzeugt zu sein, es sei rechtlich gehindert, den Kläger wegen der fehlenden Lehramtsausbildung als Schulleiter zu beschäftigen. Es hat nach unwidersprochenem, vom Landesarbeitsgericht ausdrücklich in Bezug genommenen Sachvortrag des Klägers nach dessen Freistellung und Kündigung die kommissarische Leitung der Ballettschule (zunächst) einem pensionierten Studiendirektor übertragen, der weder über die Erste noch die Zweite Staatsprüfung für das Amt eines Studienrats verfügte, sondern Maschinenbau studiert und einen Abschluss als Diplom-Pädagoge, nicht im Lehramt, erworben hatte. Soweit das beklagte Land nach entsprechendem Hinweis des Senats in der mündlichen Revisionsverhandlung behauptet hat, der kommissarische Leiter der Schule habe über eine Lehramtsausbildung verfügt, ist dieses tatsächliche Vorbringen gemäß § 559 Abs. 1 ZPO unbeachtlich.

30        5. Ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung in extremen Ausnahmesituationen, etwa bei ungewöhnlich schweren Verstößen des Arbeitnehmers gegen allgemeine Verhaltenspflichten (zu einer solchen Einschränkung beim Annahmeverzug des Arbeitgebers BAG 16. April 2014 – 5 AZR 739/11 – Rn. 17 mwN) entfallen kann, bedarf keiner Entscheidung. Eine derartige, auf dem Verhalten des Klägers beruhende Konfliktlage, die einen Arbeitgeber schlechterdings berechtigen würde, die Dienste des Arbeitnehmers abzulehnen, hat das beklagte Land nicht geltend gemacht.

31        6. Gegen die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der (Weiter-)Beschäftigung des Klägers stünde kein überwiegendes schutzwürdiges Interesse des beklagten Landes an der Nichtbeschäftigung des Klägers entgegen (zur Interessenabwägung beim Weiterbeschäftigungsanspruch während des Kündigungsschutzprozesses vgl. grundlegend BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – zu C II 3 c der Gründe, BAGE 48, 122; sh. allg. auch MHdB ArbR/Reichold 5. Aufl. § 92 Rn. 11; Schaub ArbR-HdB/Ahrendt 19. Aufl. § 109 Rn. 10 – jeweils mwN) hat die Revision keine Angriffe erhoben.

32        III. Die Kosten der Revision hat das beklagte Land nach § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

stats