ArbG Berlin: Befristung durch Vergleich
ArbG Berlin, Urteil vom 15.10.2008 - 56 Ca 14872/08
Leitsätze
1. Eine Befristung wird durch einen gerichtlichen Vergleich sachlich gerechtfertigt, wenn zwischen den Parteien ein offener Streit über die Wirksamkeit der Befristung bestand und eine gerichtliche Mitwirkung vorliegt. Diese Voraussetzungen werden im Normalfall ausreichend dadurch belegt, dass gemäß gerichtlichem Protokoll der Vergleich "nach Erörterung der Sach- und Rechtslage" und "unter Aufrechterhaltung der unterschiedlichen Rechtsstandpunkte" geschlossen wurde, ohne dass es dabei einer Wendung wie "auf Vorschlag des Gerichts" bedarf.
2. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich wahrt die Schriftform. Dies auch dann, wenn er unter Widerrufsvorbehalt oder unter der aufschiebenden Bedingung der Zustimmung des Personalrats geschlossen wurde.
3. Ein gerichtlicher Befristungsvergleich befreit den Arbeitgeber nicht davon, die mit der Befristung verbundenen betrieblichen Mitbestimmungsrechte zu wahren. Die weitere Befristung eines befristeten Arbeitsvertrages ist eine Einstellung im mitbestimmungsrechtlichen Sinn. Ein Mitbestimmungsrecht nur bezüglich einer Einstellung betrifft im Fall einer weiteren Befristung nur die darin liegende Einstellung, nicht auch die damit verbundene Befristungsabrede.
§ 126 BGB, § 127a BGB, § 182 Abs 2 BGB, § 779 BGB, § 75 Abs 1 Nr 1 BPersVG ... mehr
Sachverhalt
Die Parteien streiten insbesondere über die Wirksamkeit einer Befristungsabrede in einem gerichtlichen Vergleich.
Die Klägerin ist bei der Beklagten, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, seit dem 1. Juli 2002 ununterbrochen als Krankenschwester gegen eine monatliche Vergütung i.H.v. zuletzt 1.507,95 € brutto beschäftigt. Gegen die Wirksamkeit ihrer siebten Befristungsabrede vom 29. Dezember 2005 zum 31. Dezember 2006 erhob sie eine Befristungsklage. Unter dem 26. April 2006 wurde vor dem Arbeitsgericht Berlin folgender widerruflicher Vergleich protokolliert:
"Nach Erörterung der Sach- und Rechtslage schließen die Parteien unter Aufrechterhaltung ihrer unterschiedlichen Rechtsstandpunkte folgenden Vergleich:
1. Es besteht Einigkeit, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf der Grundlage des Vertrages vom 29.12.2005 über den 31.12.2006 hinaus fortgeführt wird und aufgrund Befristung mit dem 31.12.2008 enden wird. ..."
Die Beklagte beteiligte den Personalrat nicht. Der Vergleich wurde von den Parteien nicht widerrufen.
Mit der am 10. September 2008 bei Gericht eingegangenen und der Beklagten am 18. September 2008 zugestellten Klage macht die Klägerin u.a. die Unwirksamkeit der Befristung geltend.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass der gerichtliche Vergleich nicht das gesetzliche Schriftformerfordernis erfülle. Darüber hinaus fehle es an einer ordnungsgemäßen Personalratsbeteiligung. Auch die befristete Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages sei eine zustimmungspflichtige Einstellung, so dass die ohne Zustimmung des Personalrats erfolgte Befristung unwirksam sei.
Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht aufgrund der Befristung zum 31. Dezember 2008 enden wird,
2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin über den 31. Dezember 2008 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens auf der Grundlage des Vertrages vom 29. Dezember 2005 zu unveränderten Bedingungen als Krankenschwester zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die gesetzliche Schriftform durch die gerichtliche Protokollierung gewahrt, der sachliche Grund nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG gegeben und mangels Mitbestimmungsrecht nach § 87 Nr. 1 PersVG Berlin die Befristung auch kollektivrechtlich wirksam sei.
Für den Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Aus den Gründen
15 Die zulässige Klage ist unbegründet.
16 A. Die Klage ist zulässig.
17 Mit einem gerichtlichen Befristungsvergleich ist i.d.R. kein Klageverzicht verbunden (vgl. BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 [Rn. 9 ff.]).
18 Die punktuelle Befristungsklage ist nach § 17 S. 1 TzBfG statthaft. Das Feststellungsinteresse ist auf Grund der Präklusionsgefahr nach § 17 S. 2 TzBfG i.V.m. § 7 KSchG gegeben. Eine Entfristungsklage kann auch vor dem Ende der Befristung erhoben werden.
19 Der Weiterbeschäftigungsantrag ist hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Arbeitsbedingungen der Klägerin sind zwischen den Parteien unstreitig.
20 B. Die Klage ist unbegründet.
21 I. Die Befristungsabrede im gerichtlichen Vergleich vom 26. April 2006 zum 31. Dezember 2008 ist wirksam. Die Entfristungsklage wurde zwar innerhalb der Dreiwochenfrist des § 17 S. 1 TzBfG erhoben. Jedoch ist kein Unwirksamkeitsgrund ersichtlich.
22 1. Die Befristungsabrede ist nicht wegen Verletzung der Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG i.V.m. §§ 125 S. 1, 126 BGB unwirksam.
23 Zwar unterliegt auch die befristete Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages dem Schriftformzwang des § 14 Abs. 4 TzBfG (vgl. BAG [26.07.2006] - 7 AZR 494/05 - NZA 2007, 151 (152)).
24 Ein in einer Güteverhandlung gerichtlich protokollierter Vergleich wahrt jedoch i.V.m. §§ 127a, 126 Abs. 4 BGB die gesetzliche Schriftform des § 14 Abs. 4 TzBfG i.V.m. § 126 BGB (vgl. Erfurter Kommentar/Müller-Glöge, 9. Aufl. [2009], TzBfG § 14 Rn. 121). Nach BAG [23.11.2006] - 6 AZR 394/06 - NJW 2007, 1831 erfüllt selbst ein nach § 278 Abs. 6 ZPO gerichtlich protokollierter Vergleich das Schriftformerfordernis des § 126 BGB.
25 Es ist unschädlich, dass der Vergleich unter beidseitigem Widerrufsvorbehalt geschlossen wurde (vgl. auch Schlachter, in: Laux/Schlachter, TzBfG [2007], § 14 Rn. 78). Bei einem Vergleich mit Widerrufsvorbehalt ist der Vergleich aufschiebend bedingt von der Nichtausübung des Widerrufsrechts (vgl. BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 [Rn. 25]; BAG [28.04.1998] - 9 AZR 297/96 - NZA 1998, 1126 m.w.N.; Münchener Kommentar/Habersack, BGB, 4. Aufl. [2004], § 779 Rn. 82; offen lassend BAG [31.05.1989] - 2 AZR 548/88 - NJW 1989, 3035). Selbst wenn man in der Nichtausübung des Widerrufsvorbehalts eine außerhalb des Vergleichs liegende Zustimmung sähe, unterläge diese gemäß § 182 Abs. 2 BGB (analog) nicht dem Schriftformerfordernis des § 14 Abs. 4 TzBfG. Das BAG hat in dem Fall einer Befristungsabrede in einem gerichtlichen Vergleich unter der aufschiebenden Bedingung auch der Zustimmung des Personalrats (BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 [Rn. 18]) die Frage der Wahrung des Schriftformerfordernisses zu Recht überhaupt nicht problematisiert.
26 2. Die Befristung ist nicht nach § 14 Abs. 1 bis 3 TzBfG i.V.m. § 134 BGB unwirksam. Es bedarf zwar eines Sachgrundes i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG. Dieser liegt jedoch in der Befristung in einem gerichtlichen Vergleich i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG. "Eine auf einem gerichtlichen Vergleich i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG beruhende Befristung eines Arbeitsvertrags ist durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt und bedarf zu ihrer Wirksamkeit keiner weiteren Rechtfertigung" (BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 Os.). Die Voraussetzungen für einen Sachgrund nach § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG sind eine gerichtliche Mitwirkung und ein offener Streit über die Rechtslage hinsichtlich des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses (BAG [26.04.2006] - 7 AZR 366/05 - NZA 2006, 1431 Os. m.w.N.). Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 26. April 2006 erfolgte der Vergleichsabschluss nach "Erörterung der Sach- und Rechtslage" und ausdrücklich "unter Aufrechterhaltung ihrer unterschiedlichen Rechtsstandpunkte". Damit sind sowohl die gerichtliche Mitwirkung als auch ein offener Streit zwischen den Parteien hinreichend belegt. Dies jedenfalls dann, wenn wie hier auch die Klägerseite diese Fragen nicht problematisiert. Das Fehlen einer Wendung wie "auf Vorschlag des Gerichts" ist hier unschädlich.
27 3. Die Befristung ist auch nicht aus kollektivrechtlichen Gründen unwirksam. In Betracht kommt vorliegend allein eine Unwirksamkeit der Befristung nach § 87 Nr. 1 PersVG Berlin i.V.m. § 134 BGB.
28 Nach § 87 Nr. 1 PersVG Berlin besteht ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats nur bezüglich der "Einstellung" eines Arbeitnehmers.
29 Zwar ist die befristete Verlängerung eines befristeten Vertrages eine Einstellung i.S.d. § 87 Nr. 1 PersVG Berlin (Germelmann/Binkert, PersVG Berlin, 2. Aufl. [2002], § 87 Rn. 17 ; zu Abgrenzungen vgl. OVG Berlin-Brandenburg [22.02.2007] - 60 PV 9.06 - juris m.w.N.; zu § 75 Abs. 1 Nr. 1 BPersVG vgl. auch schon BVerwG [13.02.1979] - 6 P 48.78 - BVerwGE 57, 280 = juris).
30 Auch enthebt ein gerichtlicher Befristungsvergleich i.S.d. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 8 TzBfG den Arbeitgeber nicht von der Beachtung der Mitbestimmungsrechte des Personalrats (vgl. BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7) und führt die Missachtung eines Mitbestimmungsrechts des Personalrats hinsichtlich einer Befristung zur Unwirksamkeit der Befristung (BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 [Rn. 19 m.w.N.]).
31 Jedoch erfasst ein Mitbestimmungsrecht des Personalrats hinsichtlich einer Einstellung nicht auch eine Mitbestimmung bezüglich einer damit verbundenen Befristungsabrede (vgl. BVerwG [06.09.1995] - 6 P 41/93 - AP LPVG Hessen § 77 Nr. 1 = juris [Rn. 20 f. m.w.N.]; Germelmann/Binkert, PersVG Berlin, 2. Aufl. [2002], § 87 Rn. 19 m.w.N.).
32 Der vorliegende Fall unterscheidet sich entgegen der Ansicht der Klägerin von der Entscheidung BAG [13.06.2007] - 7 AZR 287/06 - AP TzBfG § 17 Nr. 7 dahingehend, dass ein anderes Bundesland (Nordrhein-Westfalen) mit einer weitergehenden Mitbestimmungsregelung betroffen war: ausdrücklich Erstreckung der Mitbestimmung auch auf die Befristung von Arbeitsverhältnissen dort, hier nach § 87 PersVG Berlin nur eine Mitbestimmung bezüglich der "Einstellung". Dasselbe gilt für die Entscheidungen des LAG Rheinland-Pfalz [28.02.2001] - 9 Sa 1451/00 - NZA-RR 2002, 166 oder des LAG Hamm [15.02.2005] - 12 (5) Sa 282/04 - NZA-RR 2005, 333.
33 II. Mangels Unwirksamkeit der Befristung entfällt ein vorläufiger arbeitsvertraglicher Weiterbeschäftigungsanspruch i.V.m. §§ 611, 613, 242 BGB i.V.m. Art. 1, 2 GG.
34 III. Die unterlegene Klägerin hat gemäß § 91 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Diese bemessen sich nach einem gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG i.V.m. § 42 Abs. 4 GKG festgesetzten Streitwert in Höhe von drei Bruttomonatseinkommen, wobei der Antrag zu 1. als auch ursprünglich nur ein Antrag angesehen und bei einer Befristungsdauer von zwei Jahren mit zwei Bruttoarbeitseinkommen angesetzt wurde.