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Arbeitsrecht
02.06.2022
Arbeitsrecht
Sächsisches LAG: Außerordentliche Kündigung – Verwertbarkeit betriebsverfassungsrechtlich erlangter Kenntnisse – Entbehrlichkeit einer Abmahnung

Sächsisches LAG, Urteil vom 21.3.2022 – 1 Sa 374/20

Volltext: BB-Online BBL2022-1331-3

 

Orientierungssatz

Unter Verstoß gegen eine Betriebsvereinbarung erlangte Kenntnisse (hier: Auswertung einer IT-Anwendung zur Reisekostenabrechnung) kann der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess uneingeschränkt verwenden.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug um die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen.

Der … Kläger war bei der Beklagten seit … als Fachspezialist Produktion Kunststoff beschäftigt, wobei die Höhe des vom Kläger zuletzt erzielten Bruttomonatsgehaltes streitig geblieben ist.

Von 24.6.2019 bis 28.6.2019 besuchte der Kläger gemeinsam mit sechs Arbeitskollegen, zu denen auch der Bruder des Klägers zählte, einen Programmierkurs. Während des Kurses waren die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung in einem Hotel untergebracht und nahmen dort das Frühstück ein. Am Nachmittag des 27.6.2019 bezahlten der Bruder des Klägers und zwei seiner Kollegen die diesen ausgehändigte Hotelrechnung. Diese Hotelrechnung war auf die Beklagte ausgestellt und wies einen Gesamtpreis von 380,00 € für ein Doppelzimmer zur Einzelnutzung im Zeitraum 24.6.2019 bis 28.6.2019 aus. In einer Tabelle differenzierte die Rechnung zwischen mit 7 % MwSt ausgewiesenen Kosten für Logis und mit 19 % MwSt ausgewiesenen Kosten für „Sonstige Leistungen“. Wegen der Einzelheiten zum Inhalt der Rechnung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. 2. 2022 verwiesen.

Nachdem der Bruder des Klägers die Rechnung bezahlt hatte, entwickelte sich am Hotelpool ein Gespräch zwischen Teilnehmern der Fortbildungsveranstaltung darüber, ob die Kosten für das Frühstück i.H.v. 4,80 € pro Tag in den Rechnungen richtig ausgewiesen sind. Der Inhalt dieses Gesprächs, bei dem der Kläger zugegen war, ist zwischen den Parteien streitig. Der Hotelmanager bemerkte, dass über die Rechnungen gesprochen wird und bot an, diese zu ändern. Der Bruder des Klägers und seine zwei Kollegen, die ihre Rechnungen ebenfalls bereits bezahlt hatten, gaben die Rechnungen zurück. Das Hotel stellte anschließend für alle Teilnehmer auf die Beklagte lautende Rechnungen aus, die nicht mehr erkennen ließen, dass neben den Kosten der Übernachtung auch Kosten für das Frühstück enthalten sind. Wegen des Inhalts der Rechnung des Klägers wird auf Anl. B1 Bezug genommen.

Bei der Beklagten wird für Reisekostenabrechnungen ein elektronisches Abrechnungssystem genutzt. Die Bedienung dieses Systems ist im Intranet der Beklagten erläutert. Dort ist auch die Nummer einer Hotline angegeben, die in Zweifelsfragen angerufen werden kann. Zusätzlich können Mitarbeiter bei Bedienung des Systems die Hilfe des für sie zuständigen Meisters in Anspruch nehmen. Der Kläger hatte von dem Abrechnungssystem Gebrauch gemacht, als er eine wenige Wochen vor der Fortbildungsveranstaltung vom 24.6.2019 bis 28.6.2019 absolvierte Dienstreise nach B… abrechnete.

Die Beklagte gewährt ihren Mitarbeitern im Zuge Erstattung von Übernachtungskosten auch eine Verpflegungspauschale. Diese wird anteilig gekürzt, wenn dem Erstattungsberechtigten für eingenommene Mahlzeiten keine Kosten entstanden sind. Damit die Verpflegungspauschale richtig berechnet werden kann, muss der Antragsteller in dem elektronischen Abrechnungssystem durch Setzen eines Hakens angeben, für welche Mahlzeit keine Kosten entstanden sind. In der ... Kalenderwoche des Jahres 2019 beantragte der Kläger mittels des elektronischen Abrechnungssystems Kostenerstattung. Dabei legte er die Hotelrechnung vor, der nicht zu entnehmen ist, dass auch ein Frühstück berechnet wurde. Gleichzeitig unterließ es der Kläger, durch Setzen eines Hakens kenntlich zu machen, dass für das Frühstück keine Kosten angefallen sind.

Zwischen dem 17.7.2019 und dem 30.7.2019 hörte die Beklagte alle Teilnehmer der Gruppe in getrennten Gesprächen jeweils zweimal an, um den Verdacht unlauterer Abrechnung aufzuklären. Der Kläger wurde am 17.7.2019 und am 29.7.2019 angehört. Wegen der von der Beklagten gefertigten Protokolle dieser Anhörungen wird auf die vorgelegten Anlagen B3 bis B5 Bezug genommen. Mit Schreiben vom 5.8.2019 stellte die Beklagte den Kläger von der Arbeitsleistung frei. Mit Schreiben vom 6.8.2019, auf das verwiesen wird (Anl. B7), hörte die Beklagte den Betriebsrat zur außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 9.8.2019.

Mit zwei Schreiben vom 12.8.2019, die dem Kläger an diesem Tag übergeben wurden, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos sowie ordentlich zum 30.09.2019. Die Kündigungen sind „i. V.“ vom Zeugen M... mit dem Zusatz „Personalmanagement“ unterschrieben. Der Kläger wies die Kündigungen mittels Schreiben vom 19.8.2019, das seine spätere Prozessbevollmächtigte vorformuliert hatte, nach § 174 BGB zurück. In dem Schreiben heißt es „Eine auf Sie ausgestellte Originalvollmacht wonach sie berechtigt waren, die Kündigung auszusprechen, war ihren Kündigungsschreiben nicht beigefügt.“ Am 21.8.2019 ging die Kündigungsschutzklage des Klägers beim Arbeitsgericht ein.

Mit Schreiben vom 23.8.2019 (B9) hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut zum Ausspruch einer außerordentlichen und ordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben des Zeugen M… vom 28.8.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, mit Schreiben vom 31.8.2019 ordentlich zum 30.10.2019. Die Kündigungen gingen dem Kläger am Tage ihrer Ausstellung zu. Ihnen lag eine von W…, der dem Kläger als Personalleiter der Beklagten bekannt war und K… unterzeichnete Originalvollmacht bei, mit der dem Zeugen M… Kündigungsvollmacht erteilt wurde. Der Kläger wies die Kündigungen vom 28.8.2019 und vom 31.8.2019 mit Schreiben vom 3.9.2019 gemäß § 174 BGB zurück und teilte in diesem Schreiben mit „Eine auf Sie ausgestellte ordnungsgemäße Originalvollmacht, wonach sie berechtigt waren die Kündigung auszusprechen, war ihren Kündigungsschreiben nicht beigefügt“. Mittels einer am 6.9.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage gegen die Kündigungen vom 28.8.2019 und vom 31.8. 2019.

Mit Schreiben vom 6.9.2019 (B 12) hörte die Beklagte den Betriebsrat abermals zum Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung an. In zwei Schreiben vom 18.9.2019 (K 12 und K 13), die dem Kläger an diesem Tage zugingen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis abermals außerordentlich fristlos sowie ordentlich zum 30.11.2019. Den Kündigungen lag wiederum eine von W…und K… unterzeichnete Originalvollmacht bei. Der Kläger wies die Kündigungen mit Schreiben vom 23.9.2019 (K 14) abermals gemäß § 174 BGB zurück und gab an „Eine auf Sie ausgestellte ordnungsgemäße Originalvollmacht, wonach sie berechtigt waren, die Kündigung auszusprechen, war ihrem Kündigungsschreiben nicht beigefügt“. Mit einer Klageerweiterung, die am 25.9.2019 beim Arbeitsgericht einging, griff der Kläger auch die Kündigungen vom 18.9.2019 an.

Der Kläger hat in erster Instanz die Auffassung vertreten, die Kündigungen vom 12.8.2010 seien wegen eines Verstoßes gegen Treu und Glauben unwirksam. Da dem Kläger in zwei parallel übergebenen Schreiben außerordentlich fristlos und ordentlich gekündigt worden sei, habe er nicht erkennen können, auf welche Kündigung sich die Beklagte beziehe. Es sei rechtsmissbräuchlich, dass die Beklagte  nicht außerordentlich und hilfsweise ordentlich gekündigt habe.

Der Kläger hat behauptet, den Kündigungen vom 12.8.2019 habe bei Übergabe keine Vollmacht für den Unterzeichner M… beigelegen. Deshalb habe er die Kündigungen zurückweisen können. Hilfsweise hat er bestritten, dass eine Vollmacht von dazu berechtigten Personen unterzeichnet war.

Für die außerordentliche Kündigung vom 12.8.2019 gebe es keinen wichtigen Grund. Er habe nicht mit den anderen Lehrgangsteilnehmern verabredet, die Beklagte über die Einnahme des Frühstücks zu täuschen. Am Pool des Hotels habe sein Bruder einen Kollegen gefragt, ob auf dessen Rechnung explizit das Frühstück mit drauf stehe, weil der Bruder das auf der Rechnung nicht habe erkennen können. Ein Mann vom Hotel habe gefragt, ob etwas mit den Rechnungen nicht stimme und darauf hingewiesen, dass das Frühstück mit ausgewiesen sei, wobei man aber noch mal schauen könne. Der Bruder des Klägers habe entgegnet „wenn das so ist, dann passt es ja“. Der Kläger selbst habe gesagt, dass es wichtig sei, dass die Gesamtsumme stimme. Auf dem Weg zum Zimmer sei er an der Rezeption   vorbeigekommen und habe gehört, dass das Hotel Rechnungen, die bereits bezahlt waren, einsammeln und neu ausstellen wollte. Dann sei die gesamte Gruppe zum Abendessen gefahren. Als man zurückgekommen sei, hätten die Rechnungen auf einem kleinen Tisch bereitgelegen. Er habe seine Rechnung von seinem Bruder erhalten, der sie mitgenommen und ihm am nächsten Tag übergeben habe.

Die Reisekosten habe er mit dem elektronischen Abrechnungssystem geltend gemacht, wobei es sich seiner Erinnerung entziehe, ob zur Berechnung der Verpflegungspauschale taggenau durch Setzen eines Hakens angegeben werden musste, für welche Mahlzeiten Kosten entstanden seien. Er vermöge dies nur mit Nichtwissen zu bestreiten. Eine Unterweisung oder Einführung in das Abrechnungssystem habe er nicht erhalten. Er habe auch bereits bei der Abrechnung der Dienstreise nach B…mit dem System Schwierigkeiten gehabt, dieser Antrag sei drei- oder viermal abgelehnt worden.

Schließlich hat der Kläger die Auffassung vertreten, der Betriebsrat sei zu den Kündigungen vom 12.8.2019 unzureichend angehört worden, weil er nicht über die fehlende Vollmacht unterrichtet worden sei. Im Übrigen seien die Kündigungen unwirksam, weil sie entgegen der Betriebsratsanhörung gerade nicht hilfsweise ausgesprochen worden seien.

Für die Kündigungen vom 28. und 31.8.2019 gebe es keinen Grund. Er habe diese Kündigungen auch wegen Fehlens einer „ordnungsgemäßen“ Vollmacht zurückweisen dürfen, weil die ihm zusammen mit den Kündigungen übermittelte Vollmacht von W… und K… unterzeichnet gewesen sei, die nicht im Handelsregister als vertretungsberechtigte Personen eingetragen seien. Für die Kündigungen vom 18.9.2019 gebe es ebenfalls keinen Kündigungsgrund.

Nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts, die allerdings außer Acht lassen, dass der Kläger ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 4.3.2020 seine Anträge zu 3 und zu 7 zurückgenommen hatte, mit dem zurückgenommenen Antrag zu 3 die Weiterbeschäftigung über den 30. September 2019 hinaus begehrt worden war und in Antrag 6 der Arbeitsvertrag vom 17. Oktober 2014 genannt worden war hat der Kläger erstinstanzlich beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung der Beklagten vom 12. August 2019 aufgelöst ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten auch nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 12. August 2019 beendet

wird,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 31. Oktober 2019 hinaus unverändert fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen, welches sich auch auf Art und Dauer der Tätigkeit sowie Führung und Leistung erstreckt,

5. hilfsweise für den Fall, dass der Klageantrag zu Ziff. 1 abgewiesen wird die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen, welches sich auch auf Art und Dauer der Tätigkeit sowie Führung und Leistung erstreckt,

6. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag zu Ziff.1 und 2 zu den im Arbeitsvertrag vom 21. Juni 2012 geregelten Arbeitsbedingungen als Fachspezialist Produktion Kunststoff im Funktionsbereich Spritzguss bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiterzubeschäftigen,

7. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine vom Gericht festzusetzende Entschädigung nach § 61 Abs. 2 ArbGG zu zahlen, wenn die Beklagte die geschuldete Arbeitsleistung nicht innerhalb einer ebenfalls vom Gericht festzusetzenden Frist vornimmt,

8. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnisses Klägers zur Beklagten nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 28. August 2019 aufgelöst worden ist,

9. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 31. August 2019 beendet werden wird,

10. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. September 2019 aufgelöst worden ist,

11. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers zur Beklagten auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 18. September 2019 beendet werden wird.

Die Beklagte hat erstinstanzlich Klageabweisung beantragt.

Sie hat die Kündigungen vom 12.8.2019 auf eine Arbeitspflichtverletzung in Form des versuchten Abrechnungsbetruges gestützt und gleichzeitig auf einen dringenden Verdacht grob vertragswidrigen Verhaltens des Klägers durch Verabredung zum Betrug.

Sie hat vorgetragen, am Hotelpool hätte sich ein Gespräch darüber entspannt, ob aus der Rechnung überhaupt ersichtlich ist, dass ein Frühstück eingenommen wurde, weil dies in der Rechnung des Klägers nur als „sonstige Leistung“ ausgewiesen gewesen sei. Der Bruder des Klägers habe dabei geäußert, dass es besser sei, wenn das Frühstück gar nicht auftauche. Der Hotelmanager habe daraufhin angeboten, die Rechnungen zu korrigieren. Dieses Angebot habe die Gruppe gemeinsam angenommen, wobei allen Beteiligten klar gewesen sei, dass die Rechnungen keiner Korrektur bedürften. Die geänderten Rechnungen seien nach dem Abendessen von allen sechs Mitarbeitern abgeholt worden. Die Gruppe habe sich dann erneut am Pool zusammengefunden und das weitere Vorgehen geplant. Ein Mitarbeiter habe dabei gesagt „wir müssen alle das gleiche sagen“ und „es kann sowieso keiner nachvollziehen“.

Bei der Abrechnung habe der Kläger das Frühstück nicht angegeben. Wäre dies nicht bemerkt worden, wäre die Verpflegungspauschale von 24,00 € pro Tag und 12,00 € am An- und Abreisetag nicht um insgesamt 19,20 € für das Frühstück an fünf Tagen gekürzt worden.

Zwei Angehörige der Gruppe hätten ihren Meister am 4.7.2019 um Hilfe bei der Reisekostenabrechnung gebeten. Dabei sei dem Meister aufgefallen, dass die vorgelegten Rechnungen des Hotels von Rechnungen früherer Lehrgangsgruppen abwichen, weil das Frühstück nicht ausgewiesen war. Auf Nachfrage hätten die zwei Mitarbeiter die Vorgänge im Hotel geschildert und zugegeben, tatsächlich ein Frühstück erhalten zu haben. Am 8. Juli 2019 habe das Hotel gegenüber dem Meister auf Nachfrage bestätigt, dass eine Änderung der Rechnungen abgestimmt worden sei. Am 11. Juli 2019 habe die Personalsachbearbeiterin K1… durch ein Gespräch mit dem Meister Kenntnis vom Verdacht eines Spesenbetrugs erlangt. Zwischen 17.7. und 30.7.2019 hätten Anhörungen der Mitarbeiter stattgefunden, wobei der zur Kündigung berechtigte Zeuge M… erstmals nach seiner Urlaubsrückkehr am 22.7.2019 Kenntnis von den Vorgängen erlangt hätte. Es sei notwendig gewesen, die Mitarbeiter mehrfach anzuhören, um sie mit Erkenntnissen aus anderen Gesprächen zu konfrontieren und voneinander abweichende Darstellungen zu klären.

Die Beklagte hat behauptet, bei Aushändigung der Kündigungen vom 12.8.2019 sei dem Kläger eine auf den kündigenden Zeugen M… ausgestellte Kündigungsvollmacht übergeben worden, die von den Prokuristinnen S… und H… ausgestellt worden war. Der Kläger habe in seinem Zurückweisungsschreiben vom 19.8.2019 demgegenüber die wahrheitswidrige Behauptung aufgestellt, den Kündigungen sei keine Originalvollmacht beigefügt gewesen. Diese bewusst wahrheitswidrige Behauptung sei ausreichende Grundlage für die Kündigungen vom 28. und 31.8.2019. Obwohl diese Kündigungen mitsamt einer Originalvollmacht übergeben worden seien, habe der Kläger auch die Kündigungen vom 28. und 31.8.2019 unter falschem Hinweis auf eine nicht ordnungsgemäß ausgestellte Kündigungsvollmacht zurückgewiesen.  Diese erneut bewusst wahrheitswidrige Behauptung habe die Beklagte zur Grundlage der Kündigungen vom 18.9.2019 machen dürfen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben zur Frage, ob auf Veranlassung der Gruppe neue Rechnungen geschrieben wurden durch Einvernahme des Hotelmanagers. Zur Frage, ob den Kündigungen vom 12.8.2019 eine Vollmacht für den die Kündigungen unterzeichnenden Herrn M… beigefügt war, hat es die Zeugin K1… vernommen.

Wegen des Beweisergebnisses wird auf die Niederschrift des Kammertermins vom 28.8.2020 verwiesen.

In seinem Urteil vom 28.8.2020 hat das Arbeitsgericht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 12.8.2019, sondern durch die außerordentliche Kündigung vom 28.8.2019, zugegangen am 28.8.2019 zum 28.8.2019 aufgelöst wurde. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, ein qualifiziertes Arbeitszeugnis zu erteilen. Im Übrigen hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, wobei es auch die in der Verhandlung vom 4.3.2020 zurückgenommenen Klageanträge verbeschieden hat.

Zur Begründung hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die außerordentliche Kündigung vom 12.8.2020 sei unverhältnismäßig und unwirksam. Der Kläger habe zwar in betrügerischer Absicht wider besseren Wissens in seiner Reisekostenabrechnung angegeben, im Hotel kein Frühstück erhalten zu haben, nachdem er die Rechnungen in bewusstem Zusammenwirken mit seinen Kollegen manipulieren ließ. Die Kündigung sei aber nicht verhältnismäßig, weil eine Abmahnung ausgereicht hätte, Abrechnungsbetrug für die Zukunft auszuschließen. Dagegen sei die außerordentliche fristlose Kündigung vom 28.8.2019 wirksam. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass dem Kläger mit den Kündigungen vom 12.8.2019 eine Originalvollmacht für den Zeugen M… ausgehändigt worden sei. Der Kläger habe dies wider besseren Wissens bestritten und damit bewusst gelogen. Die Zurückweisung der Kündigung nach § 174 BGB stelle einen Prozessbetrug dar, der die außerordentliche Kündigung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen rechtfertige.

Gegen das ihr am 30.9.2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 23.10.2020 Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 30.12.2020 am 29.12.2020 begründet hat. Der Kläger hat gegen das ihm am 28.9.2020 zugestellte Urteil am 26.10.2020 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 28.12.2020 an diesem Tage begründet.

Die Beklagte greift das erstinstanzliche Urteil an, soweit es die außerordentliche fristlose Kündigung vom 12.8.2019 für unwirksam erklärt. Sie verweist darauf, dass diese Kündigung sowohl auf die Verabredung des Klägers mit anderen Arbeitnehmern zum Betrugsversuch, als auch auf die Geltendmachung nicht entstandenen Verpflegungsaufwands, als auch auf den dringenden Tatverdacht einer Verabredung zum Spesenbetrug gestützt war. Die Wertung des Arbeitsgerichts, dass die Kündigung unverhältnismäßig sei, weil die Beklagte den Kläger hätte abmahnen müssen, sei rechtsfehlerhaft, was die Beklagte mit Rechtsausführungen vertieft.

Der Kläger wendet sich in seiner Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil, soweit darin seine Kündigungsschutzanträge im Übrigen abgewiesen worden sind. Er meint, die außerordentliche fristlose Kündigung vom 28.8.2019 sei unwirksam, weil es an einem Kündigungsgrund fehle. Eine Originalvollmacht für den die Kündigung erklärenden Herrn M… sei der Kündigung vom 12.8.2019 nicht beigefügt gewesen. Das Arbeitsgericht hätte die Zeugin K1… nicht vernehmen dürfen; die Aussage der Zeugin sei auch unglaubhaft. Das Arbeitsgericht habe die Zurückweisung der  Kündigung vom 12.8.2019 rechtsfehlerhaft als versuchten Prozessbetrug bewertet. Die Kündigung sei auch wegen Verstoßes gegen § 102 BetrVG unwirksam, weil die Beklagte dem Betriebsrat bei der Anhörung vom 23.8.2019 zu Unrecht mitgeteilt habe, die Zurückweisung der Kündigung stelle ein strafbares Verhalten dar. Hätte das Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 28.8.2019 erkannt, hätte es über die ordentliche Kündigung vom 12.8.2019, die ordentliche Kündigung vom 31.8.2019 sowie die Kündigungen vom 18.9.2019 entscheiden müssen. Zur Kündigung vom 12.8.2019 habe das Arbeitsgericht verkannt, dass hinsichtlich der Daten des Klägers aus dem Dienstreisesystem ein Beweisverwertungsverbot bestehe, weil der Betriebsrat entgegen einer Betriebsvereinbarung der Auswertung der Daten nicht zugestimmt habe.

Die Beklagte beantragt,

das am 28.8.2020 verkündete Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig, Az. 4 Ca 2370/19 abzuändern und die Kündigungsschutzklage, soweit ihr in Ziffer 1 des angefochtenen Urteils stattgegeben wurde, abzuweisen,

ferner

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

auf die Berufung des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz vom 28. August 2020, Az. 4 Ca 2370/19 teilweise abzuändern und

2.1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. zur Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. nicht durch die ordentliche Kündigung vom 12. August 2019 aufgelöst worden ist,

2.2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. zur Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 28. August 2019 aufgelöst worden ist,

2.3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. zur Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 31. August 2019 beendet wurde,

2.4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. zur Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. nicht durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 18. September 2019 aufgelöst worden ist,

2.5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers und Berufungsbeklagten zu 2. zur Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. auch nicht durch die ordentliche Kündigung vom 18.9.2019 beendet wurde,

ferner

die Berufung der Beklagten und Berufungsklägerin zu 1. gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig vom 28.8.2020, Az. 4 Ca 2370/19 kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt in seine Berufungserwiderung die Entscheidung des Arbeitsgerichts über die außerordentliche fristlose Kündigung vom 12.8.2019. Eine Verabredung der Arbeitnehmer zum Spesenbetrug habe es nicht gegeben. Mit dem Abrechnungssystem sei er nicht vertraut, es entziehe sich seiner Erinnerung, welche Optionen dort hätten ausgewählt werden können. An einem dringenden Tatverdacht für eine Verabredung zum Spesenbetrug fehle es, sodass die Kündigung auch darauf nicht gestützt werden könne.

Die Beklagte erwidert die Berufung des Klägers, indem sie ihren erstinstanzlichen Vortrag zu den Kündigungen vom 28.8.2019, 31.8.2019 und vom 18.9.2019 vertieft.

Die Kammer hat Beweis erhoben entsprechend der in der mündlichen Verhandlung vom 18.2.2022 verkündeten Beweisbeschlüsse durch Einvernahme der von der Beklagten benannten Zeugen M…, K1…, R…, H…, T… und S… Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 18.2.2022 verwiesen. Ergänzend wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.12.2021 und auf den Schriftwechsel der Parteien Bezug genommen.

Die nach Schluss der mündlichen Verhandlung eingegangenen Schriftsätze der Beklagten vom 24.2.2022 und des Klägers vom 2.3.2022 hat die Kammer zur Kenntnis genommen, aber keinen Anlass gesehen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen.

Aus den Gründen

I.

Die zulässige, insbesondere in der Form und Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegte und begründete Berufung des Beklagten ist begründet. Die vom Kläger gegen die außerordentliche, fristlose Kündigung vom 12.8.2019 innerhalb der Frist des § 13 Abs. 1, 4 S. 1 KSchG erhobene Kündigungsschutzklage ist zulässig, aber unbegründet. Diese Kündigung ist rechtswirksam und beendete das Arbeitsverhältnis im Zeitpunkt ihrer Übergabe am 12.8.2019.

 

1. Die Kündigung ist nicht bereits nach § 174 S. 1 BGB unwirksam. Die Zurückweisung der Kündigung im Schreiben vom 19.8.2019 geht ins Leere. Die Beklagte konnte ihre Behauptung, dem Kläger sei bei Aushändigung der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 12.8.2019 auch eine von den Prokuristinnen S… und H… unterzeichnete Vollmachtsurkunde übergeben worden, die auf den die Kündigung in Vertretung der Beklagten aussprechenden Zeugen M… ausgestellt war, zur vollen richterlichen Überzeugung (§ 286 Abs. 1 ZPO) beweisen.

 

Der Überzeugungsbildung der Kammer liegt das Ergebnis der Beweisaufnahme und die Würdigung des Inhalts der Verhandlung zugrunde. Der Zeuge M… hat in der mündlichen Verhandlung vom 18.2.2022 bekundet, er habe die Original-Vollmacht bei Aushändigung der Kündigung dabeigehabt und sie übergeben. Er erinnerte sich daran, dass er dem Kläger mitteilte, die Gespräche seien abgeschlossen, der Betriebsrat sei angehört worden und die außerordentliche und ordentliche Kündigung solle ausgesprochen werde. Dabei habe er das Kündigungsschreiben und die Originalvollmacht auf den Tisch gelegt. Auf den Vorhalt, der Kläger habe behauptet, ihm sei die Kündigungserklärung und die Freistellungserklärung übergeben worden, nicht aber eine Vollmacht, war sich der Zeuge sicher, dass er im Zuge der Aushändigung der Kündigungserklärung keine Freistellung übergeben hat. Die Kammer hält dies für glaubhaft. Der Zeuge war erkennbar bemüht, seine Erinnerung genau zu schildern. Mit dem Hinweis, er habe Kündigung und Vollmacht auf den Tisch gelegt, erinnerte er sich sogar an Einzelheiten der Übergabe. Für die Glaubhaftigkeit seiner Behauptung, er habe Kündigung und Vollmachtsurkunde, nicht aber die Freistellungserklärung übergeben, sprechen Indizien, die die Kammer dem Inhalt der Verhandlung im Übrigen entnimmt. So datiert die Freistellungserklärung vom 5.8.2019, die Kündigung dagegen erst vom 12.8.2019 und der ebenfalls freigestellte und gekündigte Zeuge H… bekundete, er habe seine Freistellung eine Woche vor der Kündigung erhalten.

 

Die Kammer ist trotz der Aussage des Zeugen M… „nicht mehr 100prozentig“ sicher zu sein, wer die übergebene Kündigungsvollmacht unterzeichnet hatte, davon überzeugt, dass die Vollmacht von Personen ausgestellt worden ist, die zur Vertretung der Beklagten berechtigt sind. Die Beklagte hat hierzu substantiiert dargelegt, die Vollmacht sei von den Prokuristinnen S… und H… ausgestellt worden. Dieser Vortrag löste die Erklärungslast des Klägers nach § 138 Abs.2 ZPO aus. Dem Kläger war die Vollmachtsurkunde zur Überzeugung der Kammer am 12.8.2019 im Original übergeben worden. Dem als Anlage K 16 vom Kläger selbst vorgelegten Handelsregisterauszug ist zu entnehmen, dass Frau N… und Frau S1… für die Zweigniederlassung der Beklagten in Leipzig Gesamtprokura erteilt ist. Der Kläger war deshalb unschwer in der Lage, sich substantiiert auf den Vortrag der Beklagten zur Identität der Vollmachtunterzeichner einzulassen. Er durfte sich nicht darauf zurückziehen, „hilfsweise“ in Zweifel zu ziehen, dass „eine Vollmacht“ von „dazu berechtigten“ Personen unterzeichnet war. Sein pauschales Bestreiten ist prozessual unzulässig und muss unbeachtet bleiben.

 

2. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände typischerweise als wichtiger Grund „an sich“ geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (st.Rspr, vgl. BAG, Urteil vom 16.12. 2010, 2 AZR 485/08, juris, zu II.1. der Gründe).

 

Es anerkannt, dass auch der bloße Verdacht einer schwerwiegenden Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten einen wichtigen Grund bilden kann. Der Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf der Tat einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Die Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere den Arbeitnehmer zu dem Verdacht angehört hat (vergleiche zu diesen Grundsätzen BAG, Urteil vom 24.5.2012, 2 AZR 206/11, juris, I.1. der Gründe).

 

Ebenfalls „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund zu bilden, sind zum Nachteil des Arbeitgebers begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte, aber auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende, unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitsgebers gerichtete Handlungen. Das gilt unabhängig von der Höhe eines dem Arbeitgeber durch die Pflichtverletzung entstandenen Schadens. Maßgeblich ist nämlich der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch (BAG, Urteil vom 16.12.2010, a. a.O., II.2.a der Gründe).

 

a) Die Beklagte macht zur Begründung der außerordentlichen fristlosen Kündigungvom 12.8.2019 u.a. geltend, es bestehe der Verdacht, dass sich der Kläger und die anderen Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung pflichtwidrig verabredet hätten, die Reisekostenabrechnung unlauter durchzuführen, indem Kosten des Frühstücks verschwiegen werden. Der Beklagten ist zuzugeben, dass einzelne der von ihr vorgelegten Protokolle der Anhörung der Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung diesen Verdacht nähren. So hat der Kläger nach dem Protokoll seiner Anhörung vom 17.7.2019 anderen Gruppenmitgliedern Aussagen zugeschrieben wie „es kann keiner nachvollziehen, dass wir gefrühstückt haben“ und „Wenn, müssen wir alle der gleichen Meinung sein“. Der Bruder des Klägers hat bei seiner Anhörung am  23.7.2019 Aussagen von Gruppenmitgliedern wie „wir müssen alle das gleiche sagen“ und „es kann sowieso keiner nachvollziehen“ zitiert. Die Kammer konnte gleichwohl offenlassen, ob dies hinreichend konkrete Tatsachen für die Begründung des Verdachts pflichtwidriger Absprachen zum Nachteil des Arbeitgebers sind und ob der Verdacht dringend ist, mithin eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass er zutrifft.  Im Laufe des Rechtsstreits hat sich der Verdacht nämlich vollständig entkräftet, sodass er die Kündigung nicht mehr trägt.

 

(1) Bei der Prüfung der Verdachtskündigung ist stets zu berücksichtigen, dass der ursprüngliche Verdacht durch später bekannt gewordene Umstände, jedenfalls soweit sie bei Kündigung Zugang objektiv bereits vorlagen, abgeschwächt oder verstärkt werden kann (BAG, Urteil vom 24.5.2012, a.a.O. zu II.3. der Gründe). Zugunsten des Arbeitnehmers können Tatsachen berücksichtigungsfähig sein, die der Arbeitgeber selbst nach zumutbaren Aufklärungsbemühungen beim Ausspruch der Kündigung noch nicht kannte. Blieben solche den Arbeitnehmer entlastende und erst im Prozess zutage tretenden Tatsachen außer Betracht, hätte der Arbeitgeber ein sehr geringes Prozessrisiko. Er müsste nur nachweisen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung ein Verdacht bestand. Dies würde der bei der Verdachtskündigung stets bestehenden Gefahr, ein Unschuldigen zu treffen, nicht ausreichend gerecht (BAG, Urteil vom 24.5.2012, a.a.O.)

 

(2) So liegt der Fall hier. Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass sich die Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung nicht gemeinsam dazu verabredet haben, pflichtwidrig die Reisekosten zum finanziellen Nachteil der Beklagten falsch abzurechnen. Der von der Beklagten besorgte Verdacht konspirativen Zusammenwirkens der gesamten Teilnehmergruppe zum finanziellen Nachteil der Beklagten ist entkräftet. So hat der Zeuge H…, dessen Aussage die Kammer wegen ihrer Detailliertheit und des offenkundigen Bestrebens des Zeugen, Fragen vollständig und genau zu beantworten, in vollem Umfang für glaubhaft hält, die Gesprächssituation am Hotelpool nach ihren äußeren Umständen bildhaft beschrieben. Danach hatten sich um den etwa 12 m langen Hotelpool mehrere kleine Gruppen gebildet, die verteilt gesessen seien. Der Manager des Hotels sei ebenfalls am Pool gesessen. Die Zeugin T… bekundete ebenfalls, es seien auch andere Leute am Pool gewesen sowie gekommen und gegangen. Sie selbst habe ihr Buch gelesen und sich an Gesprächen nicht beteiligt. Der Zeuge S… bekundete, am Pool sei die Rechnung von etwa drei Personen, darunter der Kläger, angesehen worden, er selbst sei in den Pool gegangen. Diese von den Zeugen insoweit übereinstimmend geschilderten äußeren Umstände der Vorgänge am Pool sprechen nicht für eine gemeinsame Verabredung aller Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung, konspirativ zum Nachteil der Beklagten zusammenzuwirken. Auch das spätere Verhalten der Zeugen H… und T… passt nicht zu einer Verabredung, das Vermögen der Beklagten durch unlautere Abrechnung zu schädigen. So haben die genannten Zeugen bei der Reisekostenabrechnung die Hilfe ihres Meisters in Anspruch genommen und auf dessen Frage geschildert, dass das Frühstück eingenommen wurde, obwohl es auf der Rechnung nicht ausgewiesen ist. Zur Überzeugung der Kammer bestand bei Schluss der mündlichen Verhandlung kein tragfähiger Verdacht einer Verabredung der Gruppenteilnehmer zur Schädigung des Vermögens der Beklagten mehr, sodass es der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 12.8.2019 als Verdachtskündigung an einem wichtigen Grund mangelt.

 

b) Soweit die Beklagte die außerordentliche, fristlose Kündigung darauf gestützt hat, dass der Beklagte bei Abrechnung seiner Reisekosten das Frühstück nicht angegeben hat, ist die Sache jedoch anders zu bewerten. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs.1 BGB, der die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, liegt insoweit vor.

 

(1) Der Kläger hat seine arbeitsvertragliche Pflicht, auf die Vermögensinteressen der Beklagten Rücksicht zu nehmen (§ 241 Abs. 2 BGB) objektiv verletzt. Es ist unstreitig, dass der Kläger die Erstattung seiner Reisekosten in der 27. Kalenderwoche 2019 (2.bis 8.7.2019) mittels des elektronischen Abrechnungssystems beantragt hat.

Dabei hat er durch das Unterlassen des Setzens von Haken den Eindruck erweckt, Kosten für das Frühstück seien nicht angefallen. Dies steht nach dem Vortrag der Beklagten zur vollen Überzeugung des Gerichts fest. Der Kläger hat zwar mit Nichtwissen bestritten, dass zur Berechnung der Verpflegungspauschale im Abrechnungssystem durch Setzen eines Hakens angegeben werden musste, für welche Mahlzeiten Kosten entstanden sind. Dieses Bestreiten ist allerdings unzulässig, weil § 138 Abs. 4 ZPO die Erklärung mit Nichtwissen über Tatsachen nur dann zulässt, diese nicht Gegenstand eigener Handlung der Partei gewesen sind.

 

(2) Entgegen der Ansicht des Klägers darf der Vortrag der Beklagten über das Abrechnungsverhalten des Klägers auch dann prozessual verwertet werden, wenn die Kenntnisse der Beklagten aus einer Auswertung des elektronischen Abrechnungssystems stammen. Auf ein Verwertungsverbot, das aus einem Verstoß der Beklagten gegen eine Betriebsvereinbarung folgt, kann sich der Kläger nicht berufen.

 

Ordnungsgemäß in den Prozess eingeführten Sachvortrag muss das entscheidende Gericht stets berücksichtigen. Ein Verwertungsverbot von Sachvortrag kennt das deutsche Zivilprozessrecht nicht. Tatsachenvortrag kann unschlüssig oder unbewiesen sein, nicht aber unverwertbar. Ein Verwertungsverbot würde vielmehr den Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG unzulässig einschränken. Die Verletzung eines Mitbestimmungstatbestands oder die Nichteinhaltung einer Betriebsvereinbarung können es deshalb nicht rechtfertigen, entscheidungserheblichen Sachvortrag unberücksichtigt zu lassen und damit ein Sachverhaltsverwertungsverbot anzuerkennen (BAG, Urteil vom 13.12. 2007, 2 AZR 537/06, Juris, zu B II 1 b) cc) der Gründe). Weder das Betriebsverfassungsgesetz, noch die Zivilprozessordnung kennen ein prozessuales Verwendungs- oder Beweisverwertungsverbot für mitbestimmungswidrig erlangte Informationen und Beweismittel (BAG, Urteil vom 13.12.2007, a.a.O.)

 

Ein Verwertungsverbot kann aus Gründen des Grundrechtsschutzes allenfalls dann in Betracht kommen, wenn die Verwendung rechtswidrig erlangter Informationen einen schweren Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der anderen Partei darstellen würde. Ob dies der Fall ist, ist durch eine Güterabwägung im Einzelfall zu ermitteln, bei der geprüft wird, ob das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber schutzwürdigen Interessen der anderen Seite den Vorrang verdient (BVerfG, Urteil vom 9.10.2002, 1 BvR 1611/96, zu C II.4 der Gründe). Selbst wenn man annehmen wollte, die Auswertung des elektronischen Abrechnungssystems berühre das Persönlichkeitsrecht des Klägers, so träte dies hinter das vom Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs.3 GG) getragene, berechtigte Interesse der Beklagten zurück, ihre Ansprüche bei Missbrauch des Abrechnungssystems im Zivilprozess überhaupt mit Aussicht auf Erfolg geltend machen zu können.

 

(3) Der Kläger hat seine arbeitsvertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs.2 BGB auch vorsätzlich verletzt. Davon ist die Kammer nach Würdigung aller erkennbaren Gesichtspunkte überzeugt (§ 286 Abs.1 ZPO). So hat der Kläger selbst vorgetragen, sein Bruder habe, als er am Pool auf seine Hotelrechnung zu sprechen kam, einen Kollegen gefragt, ob auf dessen Rechnung „explizit das Frühstück mit drauf stehe“. Der Aussage des Zeugen H… entnimmt die Kammer, dass der Kläger selbst beim Gespräch über die Rechnung gut hörbar einwarf „Das ist aber blöd, wenn das Frühstück da draufsteht“. Dieser Einwurf belegt - selbst wenn er scherzhaft gemeint war - dass die Bedeutung der gesonderten Ausweisung des Frühstücks den Teilnehmern des Gesprächs bewusst war. In der Folge kam es zu dem ungewöhnlichen Vorgang der Rückgabe und Neuerstellung einer Rechnung für den Bruder des Klägers und der Ausstellung einer inhaltlich entsprechenden Rechnung für den Kläger, die nur noch Übernachtungskosten auswiesen. Diese Rechnung hat der Kläger dann seiner Reisekostenabrechnung zugrunde gelegt, ohne die vom System geforderten Eingaben zum Frühstück zu machen. Die ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel für die Reisekostenabrechnung wie Hotline oder Nachfrage beim Meister hat der Kläger nicht genutzt, obwohl er betont, dass bereits die Abrechnung seiner Dienstreise nach B… Probleme aufwarf. All diese Umstände begründen die Überzeugung der Kammer, dass der Kläger vorsätzlich falsch abgerechnet hat.

 

(4) Mit der vorsätzlichen Falschabrechnung hat der Kläger das über die nicht ganz fünfjährige Dauer seines Arbeitsverhältnisses hinweg aufgebaute Vertrauen der Beklagten in seine Loyalität gebrochen. Fortbildungen finden bei der Beklagten unter Inanspruchnahme von Dienstreisen statt. Die Umstände des Entstehens erstattungsfähiger Aufwendungen für Unterbringung und Verköstigung während dieser Dienstreisen kann die Beklagte nicht kennen. Die für die Prüfung und Abrechnung der Spesen zuständigen Personen sind auf wahrheitsgemäße Angaben der ihre Dienstreisen abrechnenden Mitarbeiter angewiesen. Die Beklagte muss darauf vertrauen können, dass bei der Abrechnung wahrheitsgemäße Angaben gemacht werden. Die geringe Höhe des hier drohenden Schadens von 19,20 € verhindert den Vertrauensverlust nicht, denn der Vertrauensverlust knüpft an die Illoyalität als solche.

 

(5) Die sich im Rahmen der Interessenabwägung gem. § 626 Abs. 1 BGB stellende Frage, ob der Beklagten als kündigendem Arbeitgeber eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, insbesondere eine Abmahnung zumutbar war, hat die Kammer verneint.

 

Die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine Abmahnung voraus. Der Abmahnung bedarf es nur dann nicht, wenn ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung des Arbeitnehmers in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht oder wenn es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar ist (BAG, Urteil vom 20.5.2021, 2 AZR 596/20, Juris, zu II.1.c) aa) der Gründe). Bei der sich in der zweiten Fallgruppe stellenden Frage, ob eine Vertragsverletzung von so hohem Gewicht vorliegt, dass die Basis für weitere Zusammenarbeit irreparabel entfällt, ist auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen, soweit sie die Begehung der Pflichtverletzung selbst betreffen. Dazu gehören Art und Ausmaß der Pflichtverletzung, die Folgen der Pflichtverletzung und der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, nicht aber sonstige Umstände der weiteren Interessenabwägung wie ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis oder wahrheitswidriges späteres Bestreiten der Pflichtverletzung (BAG, Urteil vom 20.05.2021, a.a.O.).

 

Nach diesen Maßstäben war eine Abmahnung vor Ausspruch der außerordentlichen fristlosen Kündigung vom 12.8.2019 entbehrlich. Der Kläger hat vorsätzlich falsch abgerechnet, um sich einen finanziellen Vorteil zulasten der Beklagten zu verschaffen, auf den er keinen Anspruch hatte. Folge dieser Pflichtverletzung ist ungeachtet deren möglicher strafrechtlicher Würdigung als versuchter Betrug ein Vertrauensverlust, der es der Beklagten unzumutbar erschwert, in Zukunft ihre Vermögenssphäre für den Kläger zu öffnen, wie dies bei der Abrechnung und Erstattung von Auslagen unvermeidlich ist. Dass eine bewusste Falschabrechnung   von Reisekosten für die Beklagte nicht hinnehmbar ist, war für den Kläger auch von vornherein erkennbar, denn er durfte nicht damit rechnen, dass Unehrlichkeiten dieser Art vom Arbeitgeber akzeptiert werden und ein dergestalt belastetes Arbeitsverhältnis fortgesetzt wird.

 

(6) Die Interessenabwägung im Übrigen steht der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nicht entgegen. Das Lösungsinteresse der Beklagten überwiegt das Interesse des Klägers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses.

 

Es liegt auf der Hand, dass die Beklagte als Automobilhersteller mit typischerweise wechselnder Produktpalette nicht darauf verzichten kann, ihre Mitarbeiter regelmäßig zu Fortbildungsveranstaltungen zu entsenden. Dies zieht Abrechnungsvorgänge nach sich, bei denen die Beklagte stets auf ehrliche Tatsachenangaben der Mitarbeiter angewiesen ist. Beeinträchtigtes Vertrauen in die Aufrichtigkeit eines Mitarbeiters wirkt sich damit nicht nur einmal, sondern regelmäßig auf das Arbeitsverhältnis aus.  Demgegenüber ist der soziale Besitzstand des Klägers als gering zu bewerten. Er war im Zeitpunkt der Kündigung erst knapp fünf Jahre bei der Beklagten beschäftigt. Der erst 33 Jahre alte Kläger unterliegt keinen Unterhaltspflichten. Nach dem Ergebnis der Berufungsverhandlung hat er eine adäquate Anschlussbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber gefunden.

 

(7) Das Recht der Beklagten, am 12.8.2019 die außerordentliche Kündigung zu erklären, war auch nicht wegen Versäumung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB verwirkt.

 

Die Kündigungserklärungsfrist beginnt nach § 626 Abs. 2 S. 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Das ist der Fall, sobald er zuverlässig und hinreichend Kenntnis von den Tatsachen erlangt hat, die ihm eine Entscheidung darüber ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG, Urteil vom 11.6.2020, 2 AZR 442/19, Juris, zu A II 1. der Gründe). Besitzt der Kündigungsberechtigte nur Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, kann er nach pflichtgemäßem Ermessen Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne das die Frist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB zu laufen beginnt. Diese Ermittlungen muss er mit der gebotenen Eile durchführen. Soll der Kündigungsgegner angehört werden, darf dafür nur bei Vorliegen besonderer Umstände eine Frist von einer Woche überschritten werden. Im Übrigen ist fallbezogen zu beurteilen, ob die Ermittlungen hinreichend zügig betrieben wurden (BAG, Urteil vom 11.6.2020, a.a.O., zu A II 2 b) aa) der Gründe).

 

Die Beklagte hat den Sachverhalt nach den Feststellungen der Kammer in nicht zu beanstandender Weise zügig aufgeklärt. Am 4.7.2019 fiel dem Meister, den der Zeuge H… und die Zeugin T… um Hilfe bei der Reisekostenabrechnung gebeten hatten auf, dass die Rechnung des Hotels von früheren Rechnungen abwich. Zugleich offenbarten die Genannten dem Meister, dass es im Hotel zur Neuausstellung von Rechnungen gekommen war. Am 8.7.2019 bestätigte das Hotel dem Meister, dass es zur Neuausstellung von Rechnungen gekommen ist. Am 11.7.2019 erfuhr die nicht kündigungsberechtigte Personalsachbearbeiterin K1… durch ein Gespräch mit dem Meister von dem Sachverhalt. Zwischen 17.7.2019 und 30.7.2019 wurden sämtliche Teilnehmer der Fortbildungsveranstaltung in zwölf Gesprächen zum Verdacht des gemeinschaftlichen Abrechnungsbetruges angehört. Zwar lagen die Anhörungen des Klägers am 17.7.2019 und am 29.7.2019 mehr als eine Woche auseinander. Wegen der Vielzahl der Anhörungen, die nach Auffassung der Kammer zur Ermittlung eines Gesamtbildes geboten waren, ist dies hinzunehmen. Die von der Beklagten als Anl. B3-B5 vorgelegten Anhörungsprotokolle zeigen, dass die Einlassungen der Teilnehmer in der ersten Anhörungsrunde teilweise weit voneinander abwichen. Deshalb durfte die Beklagte alle Teilnehmer im Rahmen der Sachaufklärung ein zweites Mal anhören, um Widersprüche auszuräumen, Aussagen zu hinterfragen und sich ein vollständiges Bild zu machen. Die Kündigungserklärungsfrist begann demnach frühestens nach Abschluss der insgesamt durchaus zügig durchgeführten Anhörungen am 30.7.2019 zu laufen. Die fristlose Kündigung ging dem Kläger aber bereits am 12.8.2020 zu, sodass die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs.2 BGB eingehalten ist.

 

3. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 12.8.2019 ist auch nicht nach § 102 Abs.1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Der Betriebsrat wurde ordnungsgemäß angehört.

 

Es steht fest, dass dem Betriebsrat das Anhörungsschreiben vom 6.8.2019 (Anl. B7) übergeben wurde, denn er hat dies in seiner Stellungnahme vom 9.8.2019 (Anl. B8) schriftlich bestätigt. Das Anhörungsschreiben enthält vollständige Angaben zur Person des Klägers, zur Art der beabsichtigten Kündigungen, zum Kündigungstermin und zu den Kündigungsgründen. Dabei hat die Beklagte erkennbar alle Gründe mitgeteilt, die für ihren Entschluss, sowohl verhaltensbedingt wegen grob vertragswidrigen Verhaltens, als auch wegen des dringenden Verdachts eines Betrugsversuchs zu kündigen, maßgeblich waren. Im Gegensatz zur Ansicht des Klägers stellt es keinen Mangel der Betriebsratsanhörung dar, dass die Beklagte den Betriebsrat gleichzeitig dazu angehört hat, das Arbeitsverhältnis ordentlich und außerordentlich zu kündigen. Dem Deckblatt des Anhörungsschreibens ist zu entnehmen, dass beide Kündigungen nebeneinander ausgesprochen werden sollen. Die im Fließtext enthaltene Angabe, die ordentliche Kündigung solle „hilfsweise“ ausgesprochen werden führt nicht zur Unvollständigkeit oder Unklarheit der Betriebsratsanhörung, denn „hilfsweise“ ausgesprochene Kündigungen sind ihrer Rechtnatur nach ebenso unbedingt ausgesprochene Gestaltungserklärungen wie nebeneinander erklärte Kündigungen.

 

4. Schließlich steht der Wirksamkeit der außerordentlichen, fristlosen Kündigung vom 12.8.2019 auch nicht entgegen, dass die Beklagte gleichzeitig eine ordentliche Kündigung ausgesprochen hat. Es erschließt sich nicht, warum der Kläger durch den parallelen Ausspruch von zwei Kündigungen den Grundsatz von Treu und Glauben verletzt sieht. Der Klarheit und Bestimmtheit der einen Kündigung tut der gleichzeitige Ausspruch einer anderen Kündigung keinen Abbruch.

 

II.

Die ebenfalls zulässige Berufung des Klägers war als unbegründet zurückzuweisen. Seine zulässig erhobenen Kündigungsschutzanträge gegen die ordentliche Kündigung vom 12.8.2019, ferner die Kündigungen vom 28.8.2019, vom 31.8.2019 und vom 18.9.2019 bleiben ohne Erfolg, weil das Arbeitsverhältnis bereits durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 12.8.2019 beendet worden ist.

 

III.

Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Berufung des Klägers auf § 97 ZPO, im Übrigen auf den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.

 

Der Kläger hat in erster Instanz rechtskräftig mit einem Zeugnisanspruch obsiegt. Im Übrigen ist er mit seinen Kündigungsschutzklagen unterlegen. Das für die Kostenentscheidung nach § 92 Abs.1 ZPO maßgebliche Verhältnis des Unterliegens zum Obsiegen beträgt ein Fünftel zu vier Fünfteln, weil für den Zeugnisanspruch ein Wert von einem Bruttomonatsgehalt, für die Kündigungsschutzanträge nach § 42 Abs. 1 Satz 2 GKG ein Wert von insgesamt vier Bruttomonatsgehältern anzusetzen ist.

 

IV

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGGnicht vorliegen. Die Kammer hat einen Einzelfall auf Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung entscheiden, dem keine grundsätzliche Bedeutung zukommt.

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