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Arbeitsrecht
09.08.2023
Arbeitsrecht
BAG: Ausschlussfrist – Lohnforderung – Aufrechnung

BAG, Urteil vom 3.5.2023 – 5 AZR 268/22

ECLI:DE:BAG:2023:030523.U.5AZR268.22.0

Volltext: BB-Online BBL2023-1907-2

Orientierungssatz

Setzt die zweite Stufe einer Ausschlussfrist für das Erfordernis einer fristgebundenen gerichtlichen Geltendmachung die Ablehnung des Anspruchs voraus, muss der Arbeitnehmer sie nicht einhalten, wenn der Arbeitgeber gegen eine nach Grund und Höhe unstreitige Lohnforderung die Aufrechnung erklärt. Denn mit der Aufrechnung als Erfüllungssurrogat bekräftigt der Arbeitgeber das Entstehen der Forderung und berühmt sich lediglich, sie nach § 389 BGB zum Erlöschen gebracht zu haben (Rn. 17).

 

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Vergütung für den Monat Mai 2019 und dabei insbesondere über die Frage, ob die Forderung des Klägers wegen nicht rechtzeitiger gerichtlicher Geltendmachung verfallen ist.

Der Kläger war vom 18. März 2019 bis zum 6. Juni 2019 als Malerhelfer bei dem Beklagten gegen einen Stundenlohn von 12,50 Euro brutto beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer im Maler- und Lackiererhandwerk vom 30. März 1992 idF vom 21. Oktober 2011 (RTV) Anwendung. Dieser enthält in § 49 eine zweistufige Ausschlussfrist, die lautet:

„§ 49

Allgemeine Ausschlussfristen

1.    Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden.

2.    Lehnt die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruches schriftlich, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird. Dies gilt nicht für Zahlungsansprüche des Arbeitnehmers, die während eines Kündigungsschutzprozesses fällig werden und von dessen Ausgang abhängen. Für diese Ansprüche beginnt die Verfallfrist von zwei Monaten nach rechtskräftiger Beendigung des Kündigungsschutzverfahrens.“

Der Beklagte erteilte dem Kläger nach dessen Aufforderung für den Monat Mai 2019 eine Entgeltabrechnung in Textform, die einen Bruttolohn von 1.793,75 Euro und einen Auszahlungsbetrag von 1.018,92 Euro ausweist. Eine Lohnzahlung erfolgte indes nicht, vielmehr erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 20. Juni 2019 die Aufrechnung wegen einer von ihm erhobenen, vom Kläger bestrittenen Forderung auf Ersatz eines Teils des Schadens, den der Kläger bei seiner Arbeit verursacht haben soll.

Der Kläger hat am 21. Februar 2020 Klage auf Zahlung der abgerechneten Vergütung für Mai 2019 erhoben und beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 1.793,75 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz vom 1. Juni bis 23. Juni 2019 sowie Zinsen iHv. neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24. Juni 2019 zu zahlen.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe bei ihm aufgetragenen Arbeiten am 6. Mai 2019 erhebliche Verkratzungen an Fenstern verursacht. Dadurch sei ein Nettoschaden von mindestens 7.210,18 Euro entstanden. Der Kläger habe grob fahrlässig gehandelt und müsse deshalb die Hälfte des Schadens tragen. Zudem sei der Lohnanspruch des Klägers verfallen, weil er ihn nicht rechtzeitig gerichtlich geltend gemacht habe.

Das Arbeitsgericht hat den Beklagten – unter rechtskräftiger Klageabweisung im Übrigen – verurteilt, an den Kläger 1.018,92 Euro netto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juni 2019 zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

 

Aus den Gründen

7          Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das der Klage in dem noch streitigen Umfang stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat Anspruch auf Vergütung für den Monat Mai 2019 in Höhe des von dem Beklagten errechneten Auszahlungsbetrags. Die Forderung ist nicht nach § 49 Nr. 2 RTV verfallen. Zu korrigieren war das Berufungsurteil lediglich hinsichtlich des Beginns der Verzinsungspflicht.

 

8          I. Der Anspruch des Klägers auf Vergütung für den Monat Mai 2019 (§ 611a Abs. 2 BGB) ist in Höhe eines Auszahlungsbetrags von 1.018,92 Euro entsprechend der vom Beklagten erteilten Lohnabrechnung entstanden. Das steht zwischen den Parteien außer Streit.

 

9          II. Die Lohnforderung des Klägers ist entgegen einer vom Beklagten in den Vorinstanzen geäußerten Vermutung nicht nach § 115 SGB X auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangen und auch nicht durch Aufrechnung nach § 389 BGB erloschen.

 

10        1. Nach in der Revision nicht angegriffener Feststellung des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 1 ZPO) hat der Kläger für den streitgegenständlichen Monat Mai 2019 kein Arbeitslosengeld bezogen. Seine gegenteilige Vermutung hat der Beklagte in der Revisionsinstanz nicht aufrechterhalten. Ein Anspruchsübergang nach § 115 SGB X scheidet daher aus.

 

11        2. Unabhängig davon, ob und in welchem Umfang der Kläger wegen eines bei Verrichtung ihm übertragener Arbeiten verursachten Schadens haften würde, scheitert die vom Beklagten erklärte Aufrechnung jedenfalls daran, dass die Lohnforderung des Klägers für Mai 2019 nach § 394 Satz 1 BGB der Pfändung nicht unterworfen ist. Sie liegt unterhalb der im Streitzeitraum für den Kläger geltenden Pfändungsgrenzen für Arbeitseinkommen nach § 850c Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

 

12        3. Ohne revisiblen Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht in diesem Zusammenhang weiter angenommen, die Berufung des Klägers auf das Aufrechnungsverbot sei nicht rechtsmissbräuchlich (zum Beurteilungsspielraum der Tatsachengerichte bei der Anwendung des unbestimmten Rechtsbegriffs Rechtsmissbrauch sh. nur BAG 7. September 2022 – 5 AZR 502/21 – Rn. 59; 31. März 2022 – 8 AZR 238/21 – Rn. 42, jeweils mwN). Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt, der für den Senat nach § 559 Abs. 1 ZPO maßgeblich ist, hat der Kläger bei ihm aufgetragenen Putzarbeiten beim Bauvorhaben R weder vorsätzlich ihm obliegende Sorgfaltspflichten verletzt noch vorsätzlich einen Schaden verursacht (zum Einwand des Rechtsmissbrauchs bei vorsätzlicher Schädigung des Arbeitgebers vgl. BAG 20. September 2016 – 3 AZR 77/15 – Rn. 104; 13. November 2012 – 3 AZR 444/10 – Rn. 39 mwN, BAGE 143, 273). Insoweit hat die Revision in der Revisionsbegründung auch keine Angriffe erhoben.

 

13        III. Die streitgegenständliche Forderung ist nicht nach § 49 Nr. 2 Satz 1 RTV verfallen. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger musste deshalb zur Vermeidung eines Verfalls seinen Anspruch auf den – vom Beklagten abgerechneten – Lohn für Mai 2019 nicht innerhalb der in der Tarifnorm vorgesehenen Frist gerichtlich geltend machen.

 

14        1. Der Beklagte geht in der Revisionsbegründung selbst davon aus, der Kläger habe seinen Anspruch auf Vergütung für den Monat Mai 2019 innerhalb der Frist des § 49 Nr. 1 RTV schriftlich erhoben. Unabhängig davon steht zwischen den Parteien außer Streit, dass der Beklagte dem Kläger innerhalb des für die erste Stufe der tariflichen Ausschlussfrist vorgesehenen Zeitraums mit Schreiben vom 20. Juni 2019 für den Monat Mai 2019 eine Lohnabrechnung in Textform erteilt und zugeleitet hat. Damit hat der Beklagte die in der Lohnabrechnung ausgewiesene Forderung streitlos gestellt, einer – weiteren – Geltendmachung auf der ersten Stufe einer zweistufigen Ausschlussfristenregelung bedarf es in einem solchen Falle selbst dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet (BAG 18. November 2020 – 5 AZR 57/20 – Rn. 30; 28. Juli 2010 – 5 AZR 521/09 – Rn. 18 mwN, BAGE 135, 197; ganz hM, sh. nur ErfK/Preis 23. Aufl. BGB §§ 194-218 Rn. 60; HWK/Lembke 10. Aufl. § 108 GewO Rn. 8; BeckOGK/Maschmann Stand 1. März 2023 GewO § 108 Rn. 23; MHdB ArbR/Krause 5. Aufl. Bd. 1 § 71 Rn. 49; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 71 Rn. 17; Wiedemann/Wank TVG 8. Aufl. § 4 Rn. 929; Löwisch/Rieble TVG 4. Aufl. § 1 Rn. 2015; Däubler/Zwanziger/Yalcin TVG 5. Aufl. § 4 Rn. 1074; JKOS/Jacobs Tarifvertragsrecht 2. Aufl. § 7 Rn. 170).

 

15        2. Allerdings hindert eine Lohnabrechnung, jedenfalls sofern sie abweichend von § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht bei Zahlung des Arbeitsentgelts (vgl. dazu BAG 25. Januar 2023 – 10 AZR 109/22 – Rn. 41 mwN), sondern schon zuvor erteilt wird, den Arbeitgeber nicht, Gegenansprüche zu erheben oder aus anderen Gründen die Zahlung zu verweigern (BAG 18. November 2020 – 5 AZR 57/20 – Rn. 30). Ob die Erteilung einer Lohnabrechnung durch den Arbeitgeber den Arbeitnehmer in solchen Fällen – wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat – stets auch von dem Erfordernis entbindet, zur Vermeidung des Verfalls des Anspruchs die zweite Stufe einer zweistufigen Ausschlussfristenregelung einhalten zu müssen, kann als nicht entscheidungserheblich dahingestellt bleiben. Denn unabhängig davon liegen im Streitfall schon die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 49 Nr. 2 Satz 1 RTV nicht vor. Die Tarifnorm knüpft auf der zweiten Stufe der Ausschlussfrist die Notwendigkeit einer fristgebundenen gerichtlichen Geltendmachung daran, dass die Gegenpartei den Anspruch schriftlich ablehnt oder sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs schriftlich erklärt. Daran fehlt es vorliegend.

 

16        a) Der Beklagte hat zu dem vom Kläger erhobenen Anspruch auf den Lohn für Mai 2019 nicht geschwiegen, sondern sich geäußert, indem er mit Schreiben vom 20. Juni 2019 gegen den „Nettolohnauszahlungsanspruch in Höhe von 1.018,82 EUR“ die Aufrechnung erklärte. Ob die Aufrechnung, wie es im Tatbestand des Berufungsurteils heißt, „im Nachgang“ zur Erteilung der Lohnabrechnung erfolgte oder – nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien in der Revisionsinstanz – beides zeitgleich, ist dabei rechtlich ohne Belang.

 

17        b) Mit seiner Aufrechnung hat der Beklagte – gemessen an dem Zweck tariflicher Ausschlussfristen – den Lohnanspruch des Klägers auch nicht abgelehnt iSd. § 49 Nr. 2 Satz 1 RTV. Durch die Verpflichtung zur zeitnahen gerichtlichen Geltendmachung soll alsbaldige Klarheit über das Bestehen oder Nichtbestehen eines nach Grund oder Höhe streitigen Anspruchs geschaffen werden (BAG 24. August 2016 – 5 AZR 853/15 – Rn. 38; 16. April 2013 – 9 AZR 731/11 – Rn. 27, BAGE 145, 8, st. Rspr.). Die Aufrechnung hingegen setzt nach § 387 BGB voraus, dass zwei Personen einander ihrem Gegenstand nach gleichartige Leistungen schulden, sie ist ein Erfüllungssurrogat (BAG 1. Februar 2006 – 5 AZR 395/05 – Rn. 27; BGH 24. September 2015 – IX ZR 55/15 – Rn. 20; allgA, vgl. nur MüKoBGB/Schlüter 9. Aufl. BGB § 387 Rn. 1; Grüneberg/Grüneberg BGB 82. Aufl. § 387 Rn. 1, jeweils mwN). Mit der Aufrechnung hat der Beklagte den Lohnanspruch des Klägers folglich nicht geleugnet, sondern sich lediglich berühmt, diesen gemäß § 389 BGB zum Erlöschen gebracht zu haben. Damit hat er aber zugleich – und zusätzlich zur Erteilung der Lohnabrechnung – nochmals bekräftigt, dass der Lohnanspruch des Klägers für Mai 2019 in der von ihm abgerechneten Höhe entstanden ist. Einer alsbaldigen gerichtlichen Klärung der nach Grund und Höhe unstreitigen Lohnforderung bedarf es in einem Fall wie diesem nicht. Allenfalls könnte es darum gehen, eine zeitnahe gerichtliche Klärung der vom Kläger bestrittenen Schadenersatzforderung des Beklagten herbeizuführen. Wäre ihm daran gelegen gewesen, hätte der Beklagte eine solche Klärung etwa im Wege einer negativen Feststellungsklage bezüglich der Lohnforderung des Klägers (vgl. BAG 10. Oktober 2002 – 8 AZR 8/02 – zu II 2 e bb (3) der Gründe, BAGE 103, 71) oder mit einer Leistungsklage auf Schadenersatz selbst herbeiführen können. Anderenfalls musste er damit rechnen, dass der Kläger bis zur Grenze der Verjährung seinen Lohnanspruch einklagen und die Berechtigung der Aufrechnungsforderung im Prozess streitig stellen würde.

 

18        IV. Der Zinsanspruch des Klägers für den nach § 34 Nr. 2 Satz 2 RTV spätestens am 15. des Folgemonats fälligen Lohn folgt aus § 288 Abs. 1 iVm. § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Weil der 15. Juni 2019 ein Samstag war, trat gemäß § 193 BGB die Fälligkeit des Anspruchs auf den Lohn für Mai 2019 erst am 17. Juni 2019 ein mit der Folge, dass sich der Beklagte erst ab dem 18. Juni 2019 im Verzug befand. Insoweit war das Berufungsurteil zu korrigieren.

 

19        V. Der Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.

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