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Arbeitsrecht
01.12.2016
Arbeitsrecht
LAG Berlin-Brandenburg: Aufhebung von Prozesskostenhilfe wegen Zahlungsrückstands

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.9.2016 – 21 Ta 1261/16

Volltext: BB-ONLINE BBL2016-2996-4

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Amtliche Leitsätze

1. Auch nach der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung des § 124 ZPO ist die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen Zahlungsrückstands nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht zulässig, wenn Prozesskostenhilfe an sich hätte ohne Ratenzahlung bewilligt werden müssen.

2. Dem steht nicht entgegen, dass die Prozesskostenhilfepartei gegen die Ratenzahlungsverpflichtung kein Rechtsmittel eingelegt hat.

Sachverhalt

I.              Die frühere Klägerin, Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Klägerin) wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Im Ausgangsverfahren vor dem Arbeitsgericht Brandenburg, in dem die Klägerin mit Schriftsatz vom 15. Januar 2016 die Klage zurückgenommen hat, bewilligte das Arbeitsgericht der Klägerin mit Beschluss vom 13. Januar 2016 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten gegen monatliche Raten in Höhe von 26,00 Euro. Wegen der Einzelheiten der Berechnung der monatlichen Raten wird auf die Gründe des Beschluss vom 13. Januar 2016 (Bl. 20 d. PKH-Hefts) verwiesen.

Mit Schreiben vom 27. Mai 2016, welches der Klägerin persönlich formlos übersandt wurde, wies das Arbeitsgericht die Klägerin darauf hin, dass sie sich mit der Zahlung der Raten seit dem 1. März 2016 im Rückstand befinde, und drohte ihr die Aufhebung der bewilligten Prozesskostenhilfe an, sofern nicht der Zahlungsrückstand bis zum 26. Juni 2016 behoben werde. Die Klägerin zahlte nicht. Daraufhin hob das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 27. Juni 2016 auf.

Gegen diesen der Klägerin zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten am 29. Juni 2016 zugestellten Beschluss hat die Klägerin mit am 25. Mai 2016 beim Arbeitsgericht Brandenburg eingegangenem Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt. Die Klägerin sei zwischenzeitlich umgezogen. Bei dem Umzug sei die der Klägerin für die Raten-zahlung mitgeteilte Bankverbindung abhandengekommen. Auf telefonische Nachfrage habe man ihr die Kontoverbindung nicht mitteilen können. Sie sei gewillt, die monatlichen Raten zu zahlen, wenn ihr die Kontoverbindung erneut mitgeteilt werde.

Mit Beschluss vom 25. Juli 2016 hat das Arbeitsgericht Neuruppin, nachdem es zunächst den neuen Mietvertrag der Klägerin angefordert hatte, der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Umzug der Klägerin und die dabei abhanden gekommene Bankverbindung entschuldigten den Zahlungsrückstand nicht. Die Klägerin sei angemahnt und auf die Folgen weiteren Zahlungsverzugs hingewiesen worden. Dass die Klägerin telefonisch wegen der Bankverbindung nachgefragt habe, sei den Akten nicht zu entnehmen. Zudem habe sie die Änderung ihrer Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt.

Mit Schriftsatz vom 15. August 2016 hat die Klägerin dagegen eingewandt, die nicht rechtzeitige Zahlung der Raten sowie die Nichtmitteilung der neuen Anschrift der Klägerin seien weder absichtlich noch aus grober Nachlässigkeit erfolgt. Sie habe nachgewiesen, dass sie am 1. März 2016 umgezogen sei. Dass ihre telefonische Nachfrage nach der Bankverbindung nicht vermerkt worden sei, könne ihr nicht angelastet werden. Auch die nicht rechtzeitige Mitteilung der neuen Anschrift könne die Aufhebung der Prozesskostenhilfe nicht begründen.

Aus den Gründen

II.         Die sofortige Beschwerde hat Erfolg.

Nach § 78 Satz 1 ArbGG gelten für Beschwerden gegen Entscheidungen der Arbeitsgerichte die für Beschwerden gegen Entscheidungen der Amtsgerichte maßgebenden Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend. Ebenso gelten nach § 11a Abs. 1 ArbGG im arbeitsgerichtlichen Verfahren die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechend.

1.         Die sofortige Beschwerde ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO an sich statthaft sowie nach § 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO, § 569 Abs. 2 ZPO frist- und formgerecht eingelegt worden. Sie ist daher zulässig.

2.         Die sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht aufgehoben.

a)         Der Zahlungsrückstand der Klägerin kann die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO nicht rechtfertigen, da bei zutreffender Anwendung des § 115 ZPO bereits bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe keine Ratenzahlung hätte festsetzt werden dürfen.

aa)       Nach § 124 Abs. 1 Nr. 5 ZPO soll das Gericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufheben, wenn die Partei länger als drei Monate mit der Zahlung einer Monatsrate im Rückstand ist.

§ 124 ZPO in der seit dem 1. Januar 2014 geltenden Fassung ist anders als die Vorgängervorschrift (§ 124 ZPO a.F.) nicht mehr als Kannvorschrift sondern als Sollvorschrift ausgestaltet. Das bedeutet, dass dem Gericht bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen grundsätzlich kein Ermessen mehr eingeräumt ist. Allerdings soll das Gericht in atypischen Fällen nach wie vor die Möglichkeit haben, von einer Aufhebung abzusehen, um unangemessene Ergebnisse zu vermeiden

(BT-Drs. 17/11472 S. 34). Dadurch wird dem Gericht ein gebundenes Ermessen eröffnet (vgl. zum Ganzen LArbG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2015 - 21 Ta 975/15 - Rn. 11, zitiert nach juris; Maul-Sartori, jurisPR-ArbR 38/2015 Anm. 6, jeweils m. w. N.).

Bezüglich der Vorgängervorschrift des § 124 Nr. 4 ZPO a.F. wurde überwiegend davon ausgegangen, dass die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen Zahlungsverzug Verschulden voraussetzt. Dabei wurde teilweise angenommen, mit dem Begriff Rückstand sei ein schuldhafter Rückstand im Sinne von Verzug gemeint. Die Gegenmeinung nahm an, der Begriff Rückstand erfordere zwar kein Verschulden, jedoch habe das Gericht im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, ob der Rückstand verschuldet sei (vgl. zum Ganzen BGH vom 09.01.1997 - IX ZR 61/94 - Rn. 7, NJW 1007, 1077).

Hinsichtlich der aktuellen Vorschrift gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Zum Teil wird daran festgehalten, dass mit Rückstand Verzug gemeint sei (Musielak/Voit-Fischer, § 124 Rn. 9; Müko-Wache, § 124 Rn. 22; BeckOK-ZPO-Kratz, § 124 Rn. 24), wobei die Partei entsprechend dem Gedanken des § 286 Abs. 4 BGB nachzuweisen habe, dass der Rückstand unverschuldet sei (Musielak/Voit-Fischer, a. a. O.). Andere lehnen dies ab, weil der Gesetzgeber in Kenntnis der bestehenden Meinungsverschiedenheiten an der Formulierung „Rückstand“ festgehalten habe (OLG Stuttgart vom 23.07.2015 - 2 W 21/15 - Rn. 4 f. zitiert nach juris; insoweit insgesamt unklar Zöller-Geimer, § 124 Rn. 18). Andere lehnen dies ebenfalls ab, sehen auch die Beschränkung auf ein gebundenes Ermessen, verlangen gleichwohl stets ein Verschulden, ohne dies näher zu begründen (Groß-Groß, § 124 Rn. 24). Wieder andere verlangen ein Verschulden, ohne auf den bisherigen Meinungsstreit und den geänderten Ermessensspielraum einzugehen (LAG Hamm vom 02.05.2016 - 14 Ta 672/15 - Rn. 6, zitiert nach juris; LAG Köln vom 15.09.2014 - 1 Ta 176/14 - Rn. 3 zitiert nach juris; ebenso Sänger-Kießling, § 124 Rn. 9).

Vorliegend bedarf die Frage, was unter dem Begriff Rückstand zu verstehen ist und ob die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe bei einem unverschuldeten Zahlungsrückstand verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre, ebenfalls keiner näheren Betrachtung. Denn jedenfalls ist in den Fällen, in denen der Partei bei zutreffender Anwendung des § 115 ZPO Prozesskostenhilfe von Anfang an ohne Ratenzahlung hätte bewilligt werden müssen, die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe allein wegen eines Zahlungsrückstandes unverhältnismäßig und deshalb auch im Rahmen des gebundenen Ermessens nicht zulässig (vgl. dazu LAG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2015 - 21 Ta 975/15 - Rn. 28 zitiert nach juris). Dies gilt auch dann, wenn der Beschluss über die Ratenzahlung mangels Beschwerde rechtskräftig ist und für eine Änderung der Ratenzahlungsverpflichtung nach § 120a Abs. 1 ZPO mangels Verschlechterung der wirtschaftlichen Lange keine Raum ist (vgl. OLG Dresden vom 22.12.2014 - 20 WF 1354/14 - Rn. 10 zitiert nach juris, FamRZ 2015, 948, zu § 124 Nr. 4 ZPO a.F.).

bb)       So liegt der Fall hier. Nach § 115 ZPO hätte bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Januar 2016 keine Ratenzahlung festgesetzt werden dürfen, weil der Klägerin von ihrem Nettoeinkommen nach Abzug der Freibeträge und der Kosten für Wohnung und Heizung ein einzusetzendes Einkommen von lediglich 3,00 Euro verblieb. Daraus würde sich nach § 115 Abs. 2 Satz 1 ZPO eine monatliche Rate in Höhe von 1,50 Euro ergeben. Bei monatlichen Raten von weniger 10,00 Euro ist nach § 115 Abs. 1 Satz 2 ZPO jedoch von einer Ratenfestsetzung abzusehen.

Dem liegt folgende Berechnung zugrunde, wobei die einzelnen Beträge entsprechend § 115 Abs. 1 Satz 5 ZPO gerundet sind:

   864,00 Euro Nettoeinkommen

   468,00 Euro Eigenfreibetrag

   213,00 Euro Erwerbstätigenfreibetrag

     85,00 Euro Unterhaltsfreibetrag Kind

-    95,00 Euro Miete

       3,00 Euro einzusetzendes Einkommen

Der Unterhaltfreibetrag Kind berechnet sich aus dem Unterhaltsfreibetrag für Kinder von 7 bis 14 Jahren in Höhe von 309,00 abzüglich 188,00 Euro Kindergeld und 35,84 Euro Unterhalt.

Die ausweislich der Begründung des Beschlusses vom 13. Januar 2016 hiervon abweichende Berechnung des einzusetzenden Einkommens durch das Arbeitsgericht beruht darauf, dass das Arbeitsgericht von den für 2015 geltenden Freibeträgen nach der Prozesskostenhilfebekanntmachung 2015 vom 9. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2007) anstatt von den zum Zeitpunkt der Bewilligung maßgeblichen Freibeträgen nach der Prozesskostenhilfebekanntmachung 2016 vom 8. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2357) ausgegangen ist und die Kosten für Wohnung und Heizung unberücksichtigt gelassen hat.

b)         Dass die Klägerin dem Arbeitsgericht nach ihrem Umzug am 1. März 2016 ihre neue Anschrift nicht unverzüglich mitgeteilt hat, kann das Festhalten an dem Aufhebungsbeschluss ebenfalls nicht rechtfertigen. Zwar soll das Gericht nach § 124 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe u. a. auch dann aufheben, wenn die Partei entgegen § 120a Abs. 2 Satz 1, 2. Alt. ZPO dem Gericht Änderungen ihrer Anschrift absichtlich oder aus grober Nachlässigkeit unrichtig oder nicht unverzüglich mitteilt. Dies kann jedoch nicht uneingeschränkt gelten, wenn die Partei - wie vorliegend die Klägerin - anwaltlich vertreten ist und deshalb sämtliche Korrespondenz mit der Klägerin über ihre Prozessbevollmächtigte zu führen ist. Jedenfalls wäre im Fall einer anwaltlichen Vertretung die Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe allein wegen der nicht unverzüglichen Mitteilung der aktuellen Anschrift ebenfalls unverhältnismäßig und deshalb unzulässig (näher dazu LAG Berlin-Brandenburg vom 20.07.2015 - 21 Ta 975/15 - Rn. 19 u. 28 zitiert nach juris). Außerdem ist nicht erkenn-bar, dass der Klägerin im Zusammenhang mit der nicht unverzüglichen Mittelung ihrer geänderten Anschrift grobe Nachlässigkeit vorzuwerfen ist (näher dazu LAG Berlin-Brandenburg vom 05.01.2016 - 6 Ta 2302/15 - Rn. 10 ff. zitiert nach juris, NZA-RR 2016, 157).

c)         Danach war der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 27. Juni 2016 aufzuheben, ohne dass es noch darauf ankam, ob die Klägerin im Zusammenhang mit dem Abhandenkommen der Bankverbindung ein Verschulden trifft und ob das Arbeitsgericht die Aufhebungsandrohung mit Fristsetzung der Klägerin nicht nur zu Händen ihrer Prozessbevollmächtigten hätte zusenden, sondern darüber hinaus auch förmlich zustellen müssen (vgl. dazu LAG Hamm vom 02.05.2016 - 14 Ta 672/15 - Rn. 7 und 10 zitiert nach juris). Es bedarf für die Entscheidung auch keiner Aufklärung, ob sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisses der Klägerin aufgrund einer höheren Miete zwischenzeitlich noch weiter verschlechtert haben und die Klägerin insoweit nach § 120a Abs. 1 ZPO einen Antrag auf Herabsetzung der Raten stellen könnte. Was die abhanden gekommene Bankverbindung betrifft, sollte das Arbeitsgericht diese der Klägerin erneut zusenden, damit die Kläger der Ratenzahlungsverpflichtung aus dem Beschluss vom 13. Januar 2016 rückwirkend ab dem 1. März 2016 freiwillig nachkommen kann und die Raten nicht zwangsweise beigetrieben werden müssen.

III.         Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 11a Abs. 1 ArbGG, § 127 Abs. 4 ZPO).

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