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Arbeitsrecht
26.08.2022
Arbeitsrecht
Sächsisches LAG: Arbeitsverweigerung – Beharrlichkeit – entgegenstehender Wille – Nachhaltigkeit

Sächsisches LAG, Urteil vom 18.3.2022 – 4 Sa 58/20

ECLI:DE:LAGSN:2022:0318.4SA58.20.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2022-1971-5

Leitsatz

Ein bloß einmaliges Fernbleiben vom Dienst stellt noch keine beharrliche Arbeitsverweigerung iSv.§ 626 BGB dar.

Sachverhalt

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz nur noch um die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 07.06.2019 und der ordentlichen Kündigung vom 01.07 2019.

Der 52-jährige Kläger ist zumindest seit dem 14.05.2007 bei der Beklagten als Flei-scher in deren Filiale in C an der sog. Frischetheke beschäftigt. Die Beklagte betreibt bundesweit Warenhäuser mit Lebensmittelabteilungen.

Mit Schreiben vom 15.06.2018 erteilte die Beklagte dem Kläger eine schriftliche Abmahnung, in der dem Kläger ein Unterlassen der erforderlichen Überprüfung der Temperatur an der „Fischtheke“ vorgeworfen wird. Auf den Inhalt der schriftlichen Abmahnung vom 15.06 2018 wird Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 12.12.2018 erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung, da er sein Ladekabel für das Mobiltelefon während der Arbeitszeit an seinem Arbeitsbereich angeschlossen habe. Auf die schriftliche Abmahnung vom 12.12.2018 wird Bezug genommen.

Nach dem Eigenkontrollsystem der Beklagten sind zur Temperaturkontrolle an den Fleischtheken in festgelegten Zeitabständen Temperaturmessungen vorzunehmen und zu dokumentieren. Die gemessenen Temperaturen sind in die sogenannte “Doku – Karte 3“ einzutragen. Am 29. und 30.04.2019 war der Kläger im Dienst. Am 29.04.2019 unterließ er die zweite Temperaturmessung und deren Dokumentation. Am 30.04.2019 unterließ er beide Messungen und Dokumentationen.

Nach seinem Dienstplan war der Kläger für die Woche vom 29.04.2019 bis zum 04.05.2019 zur Arbeit eingeteilt. Am 04.05.2019 war er in der Zeit von 7:30 bis 14:30 Uhr zum Dienst eingeteilt. Auf dem bei der Akte befindlichen Dienstplan wird Bezug genommen. Am 04.05.2019 erschien der Kläger nicht zur Arbeit. Am Vortag hatte sich der Kläger bei seiner Kollegin bereits in das Wochenende verabschiedet.

Der Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Jeweils mit Antrag vom 13.05.2019 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes und der Schwerbehindertenvertretung zur beabsichtigten außerordentlichen, vorsorglich ordentlichen Kündigung. Mit Bescheid vom 03.06.2019 stimmte das Integrationsamt der außerordentlichen Kündigung zu. Mit Bescheid vom 26.06.2019 stimmte das Integrationsamt der hilfsweisen ordentlichen Kündigung zu. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anträge und Bescheide bei den Akten verwiesen.

Am 13.05.2019 hörte die Beklagte den bestehenden Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, vorsorglichen ordentlichen Kündigung an. Auf den Inhalt des Anhörungsschreibens an den Betriebsrat wird verwiesen.

Mit Schreiben vom 07.06.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 01.07.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich ordentlich zum 31.01.2020. Auf die bei den Akten befindlichen Kündigungsschreiben wird verwiesen.

Der Kläger ist der Ansicht, er sei am 04.05.2019 nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet gewesen. Es reiche nicht, dass der Betriebsrat gegen einen Dienstplan nicht interveniere. Die Beklagte hätte sich den Dienstplan durch den Betriebsrat ausdrücklich genehmigen lassen müssen. In der maßgeblichen Arbeitswoche habe der Kläger die arbeitsvertragliche Arbeitszeit von 38 Wochenstunden bereits überschritten. Unzutreffend sei, dass sein Arbeitszeitkonto ein Minus von 20 Stunden aufweise. Nach der geltenden Betriebsvereinbarung sei dem Kläger zusätzlich zum 01.05.2019 ein weiterer freier Arbeitstag zu gewähren. Selbst bei einer anderen Auslegung, habe sich der Kläger im sanktionsfreien Verbotsirrtum befunden. Zumindest sei eine Abmahnung nicht entbehrlich.

Hinsichtlich der fehlenden Eintragung der Temperaturkontrollen am 29. und 30.04.2019 behauptet der Kläger, dies sei ihm nicht möglich gewesen. Seine Vorgesetzte habe bereits am 29.04.2019 die Doku – Karte 3 an sich genommen.

Die Abmahnung vom 15.06.2018 sei wahrheitswidrig und unzutreffend. Der Kläger habe zu keiner Zeit an der Fischtheke gearbeitet.

Der Kläger hat beantragt,

1. dem Sinne nach festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung vom 07.06.2019 nicht aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass durch die Kündigung mit Kündigungsdatum 01.07.2019 das unbefristete Arbeitsverhältnis nicht beendet wurde;

3. festzustellen, dass das zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossene Arbeitsverhältnis weder im Sinne von § 626 BGB noch hilfsweise und ersatzweise durch die ordentliche Kündigung beendet wurde und der Arbeits- und Entgeltanspruch weiterbesteht;

4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die vom Zeiterfassungssystem registrierte Arbeitszeit in vollem Umfang anzuerkennen, zu verrechnen und zu vergüten;

5. festzustellen, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten das Rechtsmittel der Einrede der Verjährung von Minusstunden zuzusprechen ist;

6. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, alle nicht verjährten und nicht verrechneten Umkleidezeiten für Hygienearbeitsbekleidung als Arbeitszeiten anzuerkennen;

7. festzustellen, dass die Beklagte ihre Fürsorgepflichten gemäß §§ 617 f BGB, § 1 AGG, für den Kläger, insbesondere die Fürsorgepflicht für den schwerbehinderten Kläger, auch durch bewusste Arbeitsüberlastung ohne hinreichende Hilfestellung verletzt und durch gezielte Ungleichbehandlung gegenüber nicht behinderten Mitarbeitern eine Diskriminierung schwerbehinderter Mitarbeiter im Sinne ArbGG, GG, EMRK begeht und somit gegen § 75 BetrVG verstößt;

8. festzustellen, dass die Beklagte zumindest eine Mitschuld, wenn nicht sogar die Hauptschuld trägt oder diese billigend in Kauf nimmt, sofern ein schwerbehinderter Mitarbeiter fast vollständig die Arbeitsleistung einer Vollzeitkraft im Urlaub in der gleichen Arbeitszeit herausarbeiten muss und sich dabei durch die völlige Überlastung angebliche Protokollierungsfehler einschleichen;

9. festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten das Recht auf Zuerkennung von täglichen Umkleidezeiten i.H.v. 10 Minuten als Zeitgutschrift für alle noch nicht verrechneten Umkleidezeiten innerhalb des Verjährungszeitraums gemäß § 195 i.V.m. § 199 BGB hat und die Beklagte dahingehend verpflichtet ist, diese streitbefangenen Zeiten dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben;

10. festzustellen, dass der Kläger gegenüber der Beklagten das Recht auf Anerkennung geleisteter und im hausinternen Interflex-System registrierten Arbeitszeit hat und die Beklagte verpflichtet ist, die Anerkennung geleisteter Arbeitsstunden auch in Form von Verrechnung mit Minusstunden anzuerkennen;

11. festzustellen, dass im Rahmen der wechselseitigen Einlassungen und Sachvorträge das insgesamte Tun und Lassen sowie das Tun und Lassen im Detail die Beklagte schwerwiegend schuldhaft arbeitsvertragliche Haupt – und Nebenpflichten gegenüber dem Kläger als Vertragspartner gemäß dem Arbeitsvertrag verletzt hat.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe am 04.05.2019 beharrlich seine Arbeit verweigert. Am 29. und 30.04.2019 habe er wiederholt die Temperaturkontrolle gemäß dem Eigenkontrollsystem unterlassen. Nach dem Manteltarifvertrag sei eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 38 Stunden vorgesehen. Auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers hätten sich 20 Minusstunden befunden. Es liege mithin keine Mehrarbeit vor, sondern der Abbau von Minusstunden.

Der Kläger sei am 12.12.2018 für ein gleichartiges Fehlverhalten abgemahnt worden. Eine Abmahnung sei vorliegend ausnahmsweise entbehrlich, da eine Verhaltensänderung in Zukunft nicht erwartet werden könne. Der Kläger habe eigenmächtig und vorsätzlich gegen den Dienstplan verstoßen. Eine Abmahnung sei daher entbehrlich.

Die Doku-Karte 3 habe sich durchgängig im Ordner am Frischetresen befunden. Entgegenstehender Sachvortrag des Klägers sei unrichtig. Das Fehlverhalten vom 15.06.2018 sei nicht nur schriftlich, sondern auch am 15.06.2018 mündlich zuvor abgemahnt worden. Erst im Anschluss an das Gespräch sei die schriftliche Abmahnung übergeben worden. Soweit im Text der Abmahnung von „Fischtheke“ die Rede sei, liege ein offenkundiger Tippfehler vor.

Das Arbeitsgericht Chemnitz hat mit Urteil vom 27.11.2019 festgestellt, dass sowohl die außerordentliche Kündigung vom 07.06.2019 als auch die ordentliche Kündigung vom 01.07.2019 unwirksam sind. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das Urteil wurde den Parteien am 05.02.2020 zugestellt.

Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz hat der Kläger zunächst persönlich Berufung eingelegt. Die Berufung wurde durch den späteren Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückgenommen.

Am 04.03.2020 hat die Beklagte Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz eingelegt. Auf Antrag der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Berufungsbegründungsfrist bis zum 05.05.2020 verlängert. Am 05.05.2020 hat die Beklagte die Berufung begründet.

Zweitinstanzlich ist noch folgendes zu ergänzen: Der Kläger war während seiner Arbeitszeit für die Durchführung und Dokumentation der Temperaturkontrollen für die Bereiche „Theke-Schwein“, „Theke-Rind“, „Selbstbedienung-Geflügel“, „Theke-BESH (bäuerliche Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall)“ sowie für den Bereich „Theke-Aktion“ verantwortlich.

Vor dem Hintergrund des Vorgangs vom 07.06.2018 wurde mit dem Kläger am 15.06.2018 ein Gespräch durch den damaligen Filialgeschäftsführer geführt. Dem Kläger wurden Unterlassungen zu den Temperaturmessungen vorgehalten. Die Beklagte hat über den Inhalt des Gesprächs eine Gesprächsnotiz (Anlage B 20) vorgelegt.

Das als Anlage K 7 vorgelegte Abmahnungsschreiben wurde dem Kläger sodann in einem weiteren Gespräch am 04.07.2018 übergeben.

Aufgrund des anstehenden Feiertages am 01.05.2019 hatte eine Kollegin des Klägers bereits vor dem Monatsablauf die neue Doku-Karte 3 für den Monat Mai in den dafür vorgesehenen Hefter eingeheftet.

Am Freitag den 03.05.2019 verabschiedete sich der Kläger bei seiner Kollegin, die an der Bedienungstheke arbeitet. Er wies sie an, sie solle das Frischfleisch am Abend in der Theke belassen. Er werde am nächsten Tag nicht da sein und die Frischetheke morgens neu bestücken. Der Kläger bestellte für den Sonnabend abgepacktes Hackfleisch für den Verkauf. Auf ein solches Vorgehen greift die Beklagte gelegentlich zurück, wenn ein Metzger im Urlaub ist und der zweite Metzger samstags frei hat.

Der Kläger sprach Anfang der 18. Kalenderwoche die für Personaleinsatzplanung zuständige Mitarbeiterin mit der Bitte an, ihm am 04.05.2019 seinen freien Tag zu gewähren. Unter Hinweis auf die Urlaubsabwesenheit des Kollegen K. und Minusstunden des Klägers wurde seine Bitte abgelehnt.

Die Beklagte ist weiterhin der Ansicht, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien habe infolge der ausgesprochenen Kündigungen sein Ende gefunden. Die Kündigungsgründe würden in ihrer Gesamtheit Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen ließen.

Eine Abmahnung sei entbehrlich. Es liege ein besonders schwerer und erheblicher Pflichtverstoß vor. Am 15.06.2018 sei eine mündliche Abmahnung ausgesprochen worden. Das Abmahnungsschreiben sei dem Kläger lediglich zu Dokumentationszwecken am 04.07.2018 übergeben worden. Schließlich weise die Abmahnung als Datum auch den 15.06.2018 aus und beziehe sich damit ausdrücklich auf das an diesem Tage geführte Gespräch.

Am 29.11.2018 sei eine erneute Unterweisung über die Einhaltung von Hygienevorschriften erfolgt. Bereits am 08.12.2018 habe der Kläger hiergegen verstoßen. Er habe sein privates Handy-Kabel im Bereich der Verarbeitungsplatte im Vorbereitungsbereich der Fleischerei gelagert. Dieser Verstoß gegen Hygienevorschriften sei mithin lediglich neun Tage nach der erneuten Unterweisung erfolgt. Vor dem Hintergrund dieses Sachverhalts bedürfe es auch in Bezug auf die Arbeitsverweigerung am 04.05.2019 keiner Abmahnung. Eine positive Verhaltensänderung des Klägers war nicht zu erwarten.

Das Arbeitsverhältnis sei in der Vergangenheit keineswegs beanstandungsfrei gewesen. Bereits seit dem Jahre 2011 habe es immer wieder Vorfälle in Bezug auf die notwendig vorzunehmenden Temperaturmessungen gegeben. Diese Vorfälle wurden jeweils abgemahnt.

Die Beklagte beantragt,

dass Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz (Az.:9 Ca 1039/19) vom 27.11.2019 aufzuheben, soweit es der Klage stattgegeben hat, und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung wird zurückgewiesen.

Der Kläger bestreitet, dass am 15.06.2018 eine mündliche Abmahnung ausgesprochen worden sei. Dieser Sachvortrag wird ausdrücklich als verspätet gerügt. Der Kläger verbleibt bei der Behauptung, dass er am 07.06.2018 gegen 15:30 Uhr eine Temperaturmessung vorgenommen und entsprechend dokumentiert hat.

Der Kläger bestreitet, dass es sich bei dem Ladegerät am 08.12.2018 um das Ladegerät des Klägers gehandelt habe. Dem Kläger sei lediglich ein Verstoß hinsichtlich des Ladens des Handys am Arbeitsplatz vorgeworfen worden.

Die Dienstplanerin habe auf seine Beschwerde hin Schreibarbeiten am Computer erledigt. Er habe die Worte vernommen, sie müsse den Plan ändern. Der Kläger habe daraufhin angenommen, dass die Änderung der Dienstplanung für Samstag den 04.05.2019 erfolgt sei. Er habe sich daraufhin gegenüber der anwesenden Verkäuferin ins Wochenende verabschiedet.

Das Landesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 28.01.2021 der Beklagten aufgegeben bis zum 18.02.2021 näheren Sachvortrag zur Entnahme der Dokumentationskarten aus dem Hefter und zu dem Zustandekommen des Inhalts der schriftlichen Abmahnung vom 15.06.2018 zu halten.

Mit Schriftsatz vom 18.02.2021 führte die Beklagte aus, dass ein Kommunikationsversehen zwischen der Fachabteilung und dem für die Abmahnung zuständigen ehemaligen Filialgeschäftsführer vorgelegen habe. Dort wurde versehentlich schriftlich ein falscher Sachverhalt aufgenommen. Dass ein anderer Sachverhalt versehentlich in die schriftliche Abmahnung aufgenommen wurde, sei erst nach Erstellung der Berufungsbegründung klargeworden. Der Vortrag in der Berufungsbegründung werde hiermit korrigiert.

Mit dem Schriftsatz vom 18.02.2021 legt die Beklagte Abmahnungen und Beanstandungen des Arbeitsverhaltens des Klägers aus den Jahren 2009-2014 vor. Es handelt sich um die Anlagen B 22 bis B 30.

Mit Beschluss vom 22.02.2021 ersuchte das Landesarbeitsgericht die Beklagte neuerlich um Stellungnahme zum Zeitpunkt der Archivierung des Eigenkontrollsystems - am Ende des Monats - im Hinblick auf die Anlage K 17.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf die zweitinstanzlich gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte und gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 519, 520 ZPO form – und fristgerecht eingelegte und begründete, damit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der zulässigen Klage im Hinblick auf die ausgesprochenen Kündigungen zu Recht stattgegeben.

Die ursprünglich vom Kläger selbst eingereichte Berufung wurde auf entsprechenden Hinweis durch den jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückgenommen.

I. Die erhobene Kündigungsschutzklage war zulässig. Das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse für den Bestandsschutzantrag ergibt sich bereits aus der ansonsten drohenden Präklusion nach §§ 13, 4, 7 KSchG.

II. Die Klage ist hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages gegen die außerordentliche Kündigung vom 07.06 2019 begründet. Die ausgesprochene Kündigung verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

1. Der Kläger ist mit der Geltendmachung der Unwirksamkeit nicht gemäß §§ 13, 4, 7 KSchG präkludiert, denn er hat nach Erhalt der schriftlichen Kündigung am 07.06.2019 am 27.06.2019 mit Zustellung der Klage am 13.07.2019 binnen der Frist von drei Wochen rechtzeitig Klage erhoben, § 253 Absatz 1 ZPO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB.

2. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung vom 01.07 2019 liegt nicht vor.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist nur gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die Prüfung, ob ein „wichtiger Grund“ vorliegt, vollzieht sich grundsätzlich in zwei Schritten. Es muss zunächst ein Sachverhalt vorliegen, der an sich, also generell und losgelöst von den individuellen Belangen der konkret betroffenen Vertragsparteien, der geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen. Im zweiten Schritt hat eine Interessenabwägung im Einzelfall zu erfolgen. Bezüglich der Feststellung eines an sich geeigneten Grundes wurden in der Rechtsprechung Fallgruppen gebildet, in denen typischerweise die Voraussetzungen des §§ 626 BGB erfüllt sind (Müller-Glöge, in Erfurter Kommentar 2021, § 626 BGB Rn. 15 ff). Erforderlich ist ein objektiv rechtswidriger Verstoß gegen vertragliche Pflichten. An sich geeignet sind insbesondere gegen den Arbeitgeber gerichtete Straftaten. Verhaltensbedingte Störungen sind grundsätzlich nur dann kündigungsrelevant, wenn für die Zukunft erneute Vertragsverstöße zu besorgen sind. Bei besonders schwerwiegenden Pflichtverletzungen kommt es auf eine Wiederholungsgefahr allerdings dann nicht an, wenn die durch die Pflichtverletzung verursachte Störung des Vertrauensverhältnisses anhält. Dies ist vom Kündigenden darzulegen, wenn sich die Besorgnis nicht bereits aus Art und Entwicklung der bisherigen Störungen ergibt. Aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ergibt sich außerdem grundsätzlich die Erforderlichkeit einer einschlägigen Abmahnung als milderes Mittel vor Ausspruch einer Kündigung. Mit der wirksamen Abmahnung wird der Arbeitnehmer in hinreichend deutlicher Art und Weise dazu aufgefordert, ein bestimmtes, vom Arbeitgeber als vertragswidrig angesehenes Verhalten zu unterlassen. Gleichzeitig wird er darauf hingewiesen, dass im Wiederholungsfall Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses bedroht sind. Entbehrlich ist eine Abmahnung daher dann, wenn für den Arbeitnehmer ohne weiteres erkennbar ist, dass sein Verhalten eine so schwere Pflichtverletzung darstellt, dass der Arbeitgeber diese keinesfalls hinnehmen muss und wird. Darlegungs- und beweisbelastet für das Vorliegen von Kündigungsgründen ist der Arbeitgeber, hier also die Beklagte.

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Beklagte zwar Gründe behauptet, welche jedoch nicht geeignet sind die ausgesprochene Kündigung zu rechtfertigen.

Das unentschuldigte Fernbleiben vom Dienst am 04.05.2019 stellt keine beharrliche Arbeitsverweigerung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Beharrlichkeit des entgegenstehenden Willens des Arbeitnehmers ist unter den gegebenen Umständen des konkreten Falls nicht feststellbar.

a) Eine beharrliche Arbeitsverweigerung ist “an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die von ihm geschuldete Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will. Maßgebend ist die objektive Rechtslage (BAG, Urteil vom 22.10.2015, 2 AZR 569/14, Orientierungssatz. 1). Ob er zur Arbeitsleistung verpflichtet war, entscheidet sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grundsätzlich er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als zutreffend erweist (BAG, Urteil vom 22.10.2015, aaO, Rn. 22 m.w.N.).

Der kündigende Arbeitgeber ist darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund i. S. von § 626 Abs. 1 BGB begründen sollen. Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Allerdings hat hierzu der Arbeitnehmer seinerseits nach § 138 Abs. 2ZPO substantiiert vorzutragen; er muss darlegen, warum sein Fehlen als „entschuldigt“ anzusehen sei. Nur die im Rahmen der insofern abgestuften Darlegungs- und Beweislast vom Arbeitnehmer behaupteten Tatsachen hat der Arbeitgeber zu widerlegen (vgl. BAG, NZA 2004, S. 564 [zu II. 2 b) aa)]; BAGE Band 70 Seite 262 = NZA 1993, S. 115 [zu II. 2 b) bb)], ).

Die Beklagte beruft sich auf den Fall der „beharrlichen Arbeitsverweigerung“. Der streitgegenständliche Sachverhalt stelle eine „Selbstbeurlaubung“ dar, in dem der Kläger am 04.05 2019 entgegen der Einteilung im Dienstplan, nicht zur Arbeit erschienen ist

Richtig ist, dass in Fällen einer sogenannten beharrlichen Arbeitsverweigerung in aller Regel eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein kann (vgl. etwa BAG, Urt. v. 12.07.1984 - 2 AZR 290/83 ). Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus; der Arbeitnehmer muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass der Arbeitnehmer eine Weisung unbeachtet lässt, sondern die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt voraus, dass eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliegt. Zwar kann das Moment der Beharrlichkeit auch darin zu sehen sein, dass in einem einmaligen Falle der Arbeitnehmer eine Anweisung nicht befolgt, das muss dann aber etwa durch eine vorhergehende, erfolglose Abmahnung verdeutlicht werden (BAG, Urteil vom 09.05.1991, 2 AZR 378/95, Ziffer II.1 a) d. Entscheidungsgründe).

Die Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung und damit die Nachhaltigkeit des entgegenstehenden Willens des Arbeitnehmers wird man nach dem Prognoseprinzip erst feststellen können, soweit die einschlägige vorangegangene Abmahnung zu keiner Verhaltensänderung geführt hat. Eine einschlägige Abmahnung bezüglich des unentschuldigten Fehlens von der Arbeit hat die Beklagte nicht vorgelegt. Soweit sie sich auf die Abmahnung vom 12.12.2018 stützt, handelt es sich hierbei ersichtlich um einen anderweitigen Pflichtenkreis des Klägers. Damit liegt keine einschlägige vorangegangene Abmahnung hinsichtlich des unerlaubten Nichterscheinens zur Arbeit vor. Aus diesem Grunde ist eine Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung nicht ersichtlich.

Eine Nachdrücklichkeit des entgegenstehenden Willens des Klägers ist nicht feststellbar. Das Verhalten des Klägers erweckt vielmehr den Eindruck, dass er möglichst unbemerkt dem Dienst am 04.05.2019 fernbleiben wollte. So hat der lediglich seiner Kollegin M. mitgeteilt, dass er am Sonnabend nicht zum Dienst erscheint. Als Vorsorgemaßnahme hat der Kläger für diesen Tag abgepacktes Hackfleisch bestellt. Der Kläger hat keinen offenen Disput mit einem Vorgesetzten geführt. Vielmehr hat er sich bemüht, dass seine Abwesenheit möglichst unauffällig geschieht. Die Kollegin M. wusste Bescheid. Abgepacktes Hackfleisch war für den Sonnabend bestellt. Das Fernbleiben des Klägers vom Dienst fiel damit nicht ohne weiteres ins Auge. Von einer beharrlichen Arbeitsverweigerung und einer Nachhaltigkeit des entgegenstehenden Willens des Arbeitnehmers kann unter diesen Umständen nicht gesprochen werden.

Die Nachdrücklichkeit findet nach der Rechtsprechung in der Regel dadurch ihren Ausdruck, dass der Arbeitnehmer sich geweigert hat, eine bestimmte Arbeit überhaupt auszuführen oder bereits seit längerer Zeit der Arbeit fernbleibt. Beide Verhaltensweisen betonen die Nachdrücklichkeit des entgegenstehenden Willens des Arbeitnehmers. Erst diese Nachdrücklichkeit führt zur Beharrlichkeit einer Arbeitsverweigerung.

Für die Beharrlichkeit ist das Vorliegen einer vorausgegangenen einschlägigen Abmahnung Voraussetzung. Nur so lässt sich das Prognoseprinzip objektivieren. Die Nachdrücklichkeit des entgegenstehenden Willens lässt sich in der Regel erst nach einem neuerlichen Pflichtverstoß nach vorausgegangener einschlägiger Abmahnung feststellen. Im vorliegenden Fall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger sich nach einer einschlägigen Abmahnung nicht künftig an festgesetzte Dienstpläne hält. Der Kläger wurde in der Vergangenheit nicht wegen Fernbleibens von der Arbeit abgemahnt. Derartigen Sachvortrag hat die darlegungs-und beweisbelastete Beklagte nicht gehalten.

Vorliegend handelt es sich vielmehr um einen erstmaligen Verstoß des Klägers bei der Einhaltung des Dienstplans. Dem Fernbleiben vom Dienst ging keine kontroverse Auseinandersetzung mit dem Vorgesetzten voraus. Der Kläger hat lediglich versucht auf der „Arbeitsebene“ die Dienstplanerin zu einer Planänderung zu bewegen. Dabei behauptet er, diese habe sinngemäß geäußert, sie müsse den Dienstplan ändern. Gleichzeitig habe sie Schreibarbeiten am Computer vorgenommen. Dadurch konnte bei dem Kläger durchaus der Eindruck entstehen, dass sein Antrag auf Dienstplanänderung befürwortet worden war. Dies spricht gegen eine Nachdrücklichkeit.

Dies zeigt auch das weitere Verhalten des Klägers. Nach dem Gespräch mit der Dienstplanerin bestellte der Kläger für den Sonnabend abgepacktes Hackfleisch. So verfährt die Beklagte in der Regel, wenn kein Metzger am Sonnabend anwesend ist. Gleichzeitig verabschiedete er sich bei der Kollegin M. in das Wochenende.

Die Würdigung des Arbeitsgerichts, dass keine Nachhaltigkeit des entgegenstehenden Willens des Klägers feststellbar ist, erscheint zutreffend. Das Landesarbeitsgericht teilt die Rechtsauffassung des Erstgerichts.

b) Die Verpflichtung, zweimal am Tag eine Temperaturkontrolle durchzuführen und eine Dokumentation vorzunehmen, stellt eine vertragliche Nebenpflicht dar.

Auch die schuldhafte Verletzung einer Nebenpflicht (z.B. der Pflicht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen, ist an sich als verhaltensbedingter Kündigungsgrund geeignet (vgl. BAG 19.1.2016 – 2 AZR 449/15, BeckRS 2016, 71524 Rn. 29; 26.3.2015 – 2 AZR 517/14, NZA 2015, 1180 Rn. 23; 31.7.2014 – 2 AZR 407/13, NZA 2015, 621 Rn. 26; KR/Fischermeier BGB § 626 Rn. 144). Die Verletzung der Nebenpflicht setzt zwar zumeist, um als Kündigungsgrund in Betracht zu kommen, eine vorherige vergebliche Abmahnung, aber keine konkrete Störung des Arbeitsablaufs, der Arbeitsorganisation oder des Betriebsfriedens voraus (BAG 16.8.1991 – 2 AZR 604/90). Über die Störung des Arbeitsverhältnisses hinausgehende konkrete Beeinträchtigungen im betrieblichen Bereich sind allerdings im Rahmen der Interessenabwägung zu beachten. Da die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung die übliche und regelmäßig auch ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das regelmäßig geringere Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird. Das ist z.B. dann der Fall, wenn aus der beharrlichen Nichtbeachtung einer Nebenpflicht auf die insgesamt fehlende Bereitschaft zur ordnungsgemäßen Vertragserfüllung zu schließen ist.

Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Da die ordentliche Kündigung die übliche und regelmäßig ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht einer solchen Pflichtverletzung durch erschwerende Gründe verstärkt wird. Ein vorsätzlicher und nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers ist „an sich“ als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet (BAG, Urteil vom 12.5.2010, 2 AZR 845/08, Orientierungssätze 1-3).

Eine fristlose Kündigung kommt regelmäßig erst dann in Betracht, wenn das Gewicht der Pflichtverletzung durch besondere Umstände erheblich verstärkt wird. Solche Umstände können darin liegen, dass der Arbeitnehmer seine Nebenpflichten beharrlich verletzt oder durch sein Verhalten auf andere Weise deutlich macht, er werde die berechtigten Interessen des Arbeitgebers auch zukünftig nicht wahren (BAG, Urteil vom 26.3.2015, 2 AZR 517 / 14, Orientierungssatz 2).

Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel (z.B. Abmahnung, Versetzung, einverständliche Änderung des Arbeitsvertrages, außerordentliche Änderungskündigung oder ordentliche Kündigung) erschöpft sind, dass in der bisherigen Form nicht mehr haltbar Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist. Darüber hinaus gilt im Kündigungsschutzrecht allgemein der Grundsatz, dass eine Beendigungskündigung, gleichgültig ob sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingte Gründe gestützt ist, und gleichgültig, ob sie als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird, als äußerstes Mittel erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung, unter Umständen auch mit schlechteren Arbeitsbedingungen besteht (BAG Urteil vom 30.5.1978 – 2 AZR 630 / 76, Entscheidungsgründe, Ziffer 2 b) m.w.N).

Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen kommt eine außerordentliche Kündigung wegen Verletzung von Hygienevorschriften am 29.04.2019 und 30.04.2019 nicht Betracht.

c) Eine schuldhafte Verletzung der Nebenpflicht zur Temperaturmessung und Dokumentation der gemessenen Temperatur an der Frischetheke ist nicht feststellbar. Die Beklagte hat ihren zweitinstanzlichen Vortrag dahingehend vertieft, dass die Doku-Karte 3 für den Monat Mai sich bereits vor dem Monatsende in dem Hefter für die Fleischtheke befand. Die Doku-Karte für April 2019 war unter die Doku-Karte für Mai 2019 geheftet (Bl. 60 d. A.). Der Kläger wiederum hat vorgetragen, dass die Doku -Karte 3 für den Monat April bereits vor dem Monatsende ausgeheftet worden sei. Nach dem neuen Beklagtenvortrag befanden sich zum Ende des Monats April 2019 damit zwei Doku-Karten in dem Hefter für die Fleischtheke.

Der Arbeitgeber ist für das Vorliegen der Kündigungsgründe darlegungs- und beweisbelastet. Dazu zählen auch die subjektiven Kündigungsvoraussetzungen. Er muss darlegen, dass der Arbeitnehmer schuldhaft gehandelt hat. Dazu zählt auch das Nichtvorhandensein von Rechtfertigungsgründen. Der Vortrag des Klägers, dass in dem Hefter ab dem 29.04.2019 nur noch die Doku-Karte für den Mai befand, erscheint vor dem neuen Sachvortrag der Beklagten in einem anderen Licht. Nunmehr erscheint es durchaus nachvollziehbar, dass der Kläger bei einem kurzen Blick in den Hefter lediglich die Doku-Karte für den Mai 2019 wahrgenommen hat. Diese befand sich nach dem eigenen Sachvortrag der Beklagten bereits im Hefter. Die DokuKarte für den Monat April befand sich unterhalb der Doku-Karte für den Monat Mai 2019. Wirft nun der Kläger einen Blick in den Hefter, so wird er unter Umständen nur die Doku-Karte für den Monat Mai 2019 wahrgenommen haben. Den Vorwurf eines schuldhaften Verstoßes gegen eine vertragliche Nebenpflicht, wird die Beklagte unter diesen Umständen nicht aufrechterhalten können.

Bei Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht bedarf es der Verstärkung durch besondere Umstände. Da die Pflichtverletzung einer bloßen Nebenpflicht in der Regel nicht derartig schwer wiegen, bedarf es derartiger besonderer Umstände.

Soweit die Beklagte mit Schriftsatz vom 18.02.2021 weitere Abmahnungen und Notizen zu Pflichtverletzungen des Klägers vorlegt, um möglicherweise derartige besondere Umstände der Pflichtverletzung darzustellen, hat dies keinen Erfolg.

Die Verwertbarkeit der Anlagen B 22 bis B 30 scheidet aus materiell-rechtlicher Sicht aus.

d) Der Verwertbarkeit stehen ebenso materiell-rechtliche Gründe entgegen.

Auch eine berechtigte Abmahnung kann durch Zeitablauf wirkungslos werden, so dass eine Kündigung nicht mehr auf sie gestützt werden kann. Hieran hat auch die Emmely-Entscheidung Bundesarbeitsgerichts nichts geändert, da ansonsten das Prognoseprinzip durchbrochen würde. Eine feste zeitliche Grenze besteht nicht. Es ist abzuwägen zwischen der Schwere des Verstoßes und der Beeinträchtigung der Belange des Arbeitnehmers am beruflichen Fortkommen. In der Praxis der Instanzgerichte wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass eine Abmahnung nach zwei bis längstens drei Jahren aus der Personalakte zu entfernen ist. Eine starre Grenze von zwei Jahren besteht jedoch nicht. Bei schweren Verstößen kann der Arbeitgeber auch noch längerer Zeit im Wiederholungsfall eine Kündigung aussprechen, als dies bei eher geringfügigen Verstößen der Fall ist. Eine solche Abmahnung ist nach Zeitablauf aus der Personalakte zu entfernen. Einen solchen Entfernungsanspruch steht auch das Interesse des Arbeitgebers an der Verwertung einer solchen Beanstandung in einem folgenden Kündigungsrechtsstreit im Rahmen der Interessenabwägung nicht entgegen, da der Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers und dessen Interesse an einem ungestörten beruflichen Fortkommen überwiegen.

Die Anlagen B 22 bis B 30 enthaltenen Vorwürfe, die sich im Zeitraum zwischen 2009 und 2014 bewegen. Zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs waren die abgemahnten Sachverhalte bereits über fünf Jahre her. Sie waren daher bereits aus der Personalakte zu entfernen. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Entfernung aus der Personalakte durch den Betriebsratsvorsitzenden seinerzeit auch festgestellt worden ist. Dies steht der materiellen Verwertung der Anl. B 20 bis B 30 entgegen.

Scheidet eine Verwertbarkeit der Anlagen B 22 bis B 30 aus den oben genannten Gründen aus, gelingt es der Beklagten nicht, die besonderen Umstände darzustellen, welche eine außerordentliche Kündigung wegen einer reinen Nebenpflichtverletzung begründen können.

Sonstige besondere Umstände, welche der Nebenpflichtverletzung ein besonderes Gewicht verleihen, sind nicht ersichtlich. Eine einschlägige Abmahnung liegt nicht vor. Die Verwertbarkeit der Anlagen B 22 bis B 30 scheidet aus Rechtsgründen aus.

4. Die Abmahnung vom 15.6.2018 ist rechtlich unwirksam und damit dem vorliegenden Rechtsstreit nicht zu verwenden.

a) Eine Abmahnung enthält neben der Rüge- und Warnfunktion eine konkrete Dokumentation des aus Sicht des Arbeitgebers abmahnungswürdigen Sachverhalts. Die Dokumentationsfunktion der schriftlichen Abmahnung vom 15.06.2019 ist nicht erfüllt. Dem Kläger wird ein Pflichtverstoß in einem gänzlich anderen Arbeitsbereich vorgeworfen. Die Fischtheke ist nicht sein Arbeitsbereich. Der Kläger ist für die Bereiche „Theke Schwein“, Theke Rind“, „Selbstbedienung Geflügel“, „Theke BESH“ (bäuerliche Erzeugungsgemeinschaft Schwäbisch Hall) und die „Theke Aktion“ zuständig. Ein Schreib- oder Tippfehler in der Abmahnung vom 15.06.2019 dürfte damit ausscheiden. Inhaltlich geht die Abmahnung auf eine „Eineisung“ ein. Eine Eineisung findet im Arbeitsbereich des Klägers nicht statt. Damit genügt die schriftliche Abmahnung vom 15.06.2019 von vornherein nicht der gebotenen Dokumentation des abgemahnten Verhaltens.

b) Eine mündlich erklärte Abmahnung durch die Beklagte am 15.06.2018 vermag das Landesarbeitsgericht nicht mit der für eine Überzeugungsbildung hinreichenden Gewissheit festzustellen, § 286 ZPO.

Aus dem Akteninhalt wird ersichtlich, dass die Beklagte Abmahnungen in der Regel schriftlich ausspricht. Sie legt die Abmahnung gegenüber dem Kläger vom 15.06.2019 vor. Aus den Anlagen B 22 bis B 30 ergibt sich zumindest so viel, dass Abmahnungen bei der Beklagten regelmäßig schriftlich erfolgen. Die Beklagte ist ein bundesweit tätiges großes Unternehmen mit zahlreichen Filialen. Bei einer derartigen Größe des Unternehmens dürfte die schriftliche Abmahnung der Regelfall sein.

Es vermag die Kammer nicht zu überzeugen, warum im vorliegenden Fall, trotz Ausspruch einer schriftlichen Abmahnung, gleichwohl bereits am 15.06.2018 eine mündliche Abmahnung erklärt worden sein soll.

Die Abmahnung vom 15.06.2018 weist als Bearbeiter im Briefkopf den Filialleiter Herrn G. aus. Er wird dort mit Telefonnummer und E-Mail Adresse angegeben. Damit dürfte die Abmahnung unmittelbar von Herrn G. erstellt worden sein. Soweit die Beklagte behauptet, dass genau dieser Herr G. am selben Tag eine inhaltlich zutreffende Abmahnung erklärt hat, ist dieser Sachvortrag widersprüchlich. Widersprüchlicher Prozessvortrag ist unbeachtlich.

Nimmt man die Gesprächsnotiz vom 15.06.2018, Anlage B 20 hinzu, verstärkt sich diese Widersprüchlichkeit. In der Gesprächsnotiz findet sich kein Hinweis auf eine mündlich erteilte Abmahnung. In Hinblick auf die arbeitsrechtliche Bedeutung einer Abmahnung, auch eine mündlich erteilte Abmahnung, erscheint dies nicht nachvollziehbar. Die Kammer gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass am 15.06.2018 keine mündliche Abmahnung gegenüber dem Kläger ausgesprochen worden ist.

Eine Abmahnung war nicht entbehrlich.

Aufgrund der oben dargelegten Umstände ist für die Erheblichkeit einer Nebenpflichtverletzung eine Abmahnung in aller Regel Kündigungsvoraussetzung.

5. Materiell-rechtlich ergibt sich aus mehreren Kündigungsgründen grundsätzlich nur ein Kündigungsrecht. Beruft sich der Kündigende auf mehrere Gründe zur Rechtfertigung seiner fristlosen Kündigung, so ist zunächst zu prüfen, ob nicht bereits einer der herangezogenen Gründe für sich genommen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lässt. Ist dies nicht der Fall, so ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. Während für die ordentliche Kündigung gilt, dass es dann, wenn der Kündigungssachverhalt für eine verhaltensbedingte Kündigung nicht ausreicht, unbeachtlich ist, wenn auch die Anforderungen an eine betriebs- oder personenbedingte Kündigung nur knapp verfehlt werden, muss bei der außerordentlichen Kündigung die Unzumutbarkeit im Rahmen einer Gesamtwürdigung zumindest aller aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammenden Umstände (personen- und verhaltensbedingte Gründe) festgestellt werden. Im Rahmen der Interessenabwägung sind darüber hinaus die Belange des Arbeitgebers zu berücksichtigen, zu denen neben der wirtschaftlichen Lage auch entstehende betriebliche Störungen zählen. Insofern sind betriebliche Gründe stets von Bedeutung.

Bei einer Kündigung, die auf mehrere Gründe gestützt wird, ist zunächst zu prüfen, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu begründen. Erst wenn die isolierte Betrachtungsweise nicht bereits zur Unwirksamkeit der Kündigung führt, ist im Wege einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit die außerordentliche Kündigung rechtfertigen (st. Rechtspr.: BAG Urt. vom 22. 7. 1982 - 2 AZR 30/81 - AP Nr. AP KSCHG 1969 § 1 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung [III 3 der Gründe], m. w. N.), wobei in die Gesamtwürdigung bislang allerdings nur gleichartige - z. B. mehrere verhaltensbedingte - Gründe einbezogen worden sind (BAG, Urt. vom 10.12.1992,2 AZR 271/92,Ziffer 3 b) aa) der Entscheidungsgründe.).

Eine einheitliche Betrachtungsweise der Kündigungsgründe führt im vorliegenden Fall nicht zu einer abweichenden rechtlichen Bewertung der ausgesprochenen Kündigung vom 7.6.2019.hierbei ist zu berücksichtigen, dass einerseits eine Hauptleistungspflicht betroffen ist, hinsichtlich der Anwesenheit des Klägers am 4.5.2019, andererseits lediglich eine Nebenpflichtverletzung vorliegt. Die geringe Schwere der Nebenpflichtverletzung wegen unterlassener Temperaturmessung und Dokumentation führt auch in einer Gesamtbetrachtung mit der Verletzung der Hauptleistungspflicht nicht dazu, dass ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Die Pflichtenkreise der jeweiligen Vertragspflichtverletzungen unterscheiden sich deutlich. Auf der einen Seite steht die Verletzung einer Hauptleistungspflicht. Die Verletzung dieser Hauptleistungspflicht wird durch ein reines Unterlassen von Temperaturmessung und anschließender Dokumentation inhaltlich nicht verstärkt.

Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 7.6.2019 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Die erhobene Kündigungsschutzklage war erfolgreich. Das Urteil des Arbeitsgerichts Chemnitz ist zutreffend zu diesem Ergebnis gelangt.

III. Die ordentliche Kündigung vom 01.07.2019 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht zum 31.01.2020 beendet.

a) Es liegen keine ausreichenden verhaltensbedingten Gründe vor, welche die ausgesprochene Kündigung als sozial gerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG erscheinen lassen.

Die obigen Ausführungen zum Vorliegen von Kündigungsgründen im Rahmen der Prüfung von § 626 Abs. 1 BGB zieht das Landesarbeitsgericht auch zur Bewertung der ausgesprochenen ordentlichen Kündigung vom 1.7.2019 heran. Auch unter Berücksichtigung des herabgesetzten Maßstabs der Prüfung von Kündigungsgründen, liegt keine sozial gerechtfertigte ordentliche verhaltensbedingte Kündigung vor.

b) Auch für die ordentliche Kündigung gilt, dass eine Beharrlichkeit der Arbeitsverweigerung am 4.5.2019 nicht feststellbar ist. Es mangelt an der Nachdrücklichkeit des entgegenstehenden Willens des Arbeitnehmers. Bei der Würdigung als Kündigungsgrund für eine ordentliche Kündigung ist das Prognoseprinzip nicht gewahrt. Es fehlt eine vorangegangene einschlägige Abmahnung, welche ein unentschuldigtes Fernbleiben vom Dienst zum Inhalt hat. Mangels einschlägiger vorausgegangene Abmahnung lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger auch künftig unentschuldigt nicht zum Dienst erscheinen werde. Dies ist Voraussetzung eines ordentlichen Kündigungsgrundes im Rahmen von § 1 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG.

c) Die unterlassene Temperaturmessung und Dokumentation vom 29.4.2019 und 30.4.2019 stellen keinen hinreichenden Kündigungsgrund zur Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 KSchG dar. Es handelt sich um eine Nebenpflichtverletzung. Eine Nebenpflichtverletzung hat grundsätzlich keine derartige Schwere, wie eine Hauptpflichtverletzung. Da keine einschlägige vorangegangene Abmahnung feststellbar ist, ist die Verletzung einer Nebenpflicht grundsätzlich nicht geeignet eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Auf die obigen Ausführungen im Rahmen der Prüfung von § 6 S. 26 Abs. 1 BGB wird Bezug genommen.

d) Eine Gesamtbetrachtung der Kündigungsgründe führt auch bei einer Bewertung nach § 1 Abs. 1, 2 KSchG zu keinem abweichenden Ergebnis gegenüber der außerordentlichen Kündigung. Es verbleibt bei der grundsätzlichen Feststellung, dass die Vertragspflichtverletzungen aus unterschiedlichen Pflichtenkreisen herrühren. Schwerpunkt der ausgesprochenen Kündigung bleibt die Hauptpflichtverletzung durch Fernbleiben vom Dienst am 4.5.2019. Das geringere Gewicht einer reinen Nebenpflichtverletzung führt nicht dazu, dass eine besondere Schwere der Hauptpflichtverletzung gegeben ist. Deshalb führt auch eine Gesamtbetrachtung zu keinem abweichenden Ergebnis gegenüber der Bewertung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB.

Die Berufung der Beklagten blieb daher ohne Erfolg. Es verbleibt bei den Feststellungen des Arbeitsgerichts Chemnitz im Tenor des angefochtenen Urteils.

IV.        Die Kosten der erfolglosen Berufung hat der Berufungsführer gemäß § 97 ZPO zu tragen. Hierbei ist jedoch die durch den Kläger persönlich eingelegte Berufung zu beachten. Der Kläger hat seine Berufung zurückgenommen. Dies führt zu anteiliger Auferlegung der Kosten des Berufungsverfahrens i.H.v. 12 % der Kosten.

Gründe zur Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestehen nicht. Das Landesarbeitsgericht hat einen Einzelfall auf der Grundlage der obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden.

 

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