R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
22.05.2015
Arbeitsrecht
Sächsisches Landesarbeitsgericht: Anwendbare Tarifverträge bei Personalübergang von Arbeitnehmern der BA

Sächsisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 4.12.2014 – 2 Sa 279/14

Leitsätze

1. Im Falle Personalübergangs von Arbeitnehmern der BA auf einen an deren Stelle zugelassenen kommunalen Träger sich die dort jeweils geltenden Tarifverträge ausschließlich anzuwenden.

2. Die Entwicklungsstufen nach dem bei der BA geltenden Tarifrecht sind nicht mit anderen im öffentlichen Dienst geltenden Entgeltgruppen kompatibel. Eine fiktive Überleitung von Tarifvertrag zu Tarifvertrag findet nicht statt.

§ 6c Abs 3 S 2 SGB 2, § 6c Abs 3 S 3 SGB 2

Sachverhalt

In dem Berufungsverfahren geht es lediglich noch darum, ob die Klägerin seit Juni 2013 nach der Entgeltgruppe E 8 Stufe 5 TVöDA/KA zu vergüten ist.

Außer Streit im zweiten Rechtszug steht das vom Ausgangsgericht abgewiesene Feststellungsbegehren der Klägerin, wonach sie ihre Arbeitsleistung für 39 Stunden je Arbeitswoche schulde.

Die Klägerin stand in einem seit 19.06.1996 rechnenden Arbeitsverhältnis mit der ... (fortan: BA).

Mit Wirkung vom 01.01.2011 wurde sie der gemeinsamen Einrichtung der Agentur für Arbeit ... und des Landkreises ..., dem ..., zugewiesen. Beschäftigt wurde sie dort beginnend ab August 2011 als Sachbearbeiterin Ordnungswidrigkeiten.

Mit Schreiben des vorgenannten Jobcenters vom 29.06.2011 war der Klägerin Folgendes mitgeteilt worden:

„Bestimmung der maßgeblichen Entwicklungsstufe

Sehr geehrte Frau ...,

ich habe die für Sie maßgebliche Entwicklungsstufe ermittelt, die in Verbindung mit der Tätigkeitsebene, in der Sie eingruppiert sind, die Höhe Ihres monatlichen Festgehaltes bestimmt.

Ziel der Entwicklungsstufe ist es, eine berufliche Entwicklung in einer Tätigkeit zu honorieren. Bestimmte Unterbrechungstatbestände der beruflichen Tätigkeit können daher nicht auf die Laufzeit der Entwicklungsstufe angerechnet werden; andere hingegen führen dazu, dass bisher zurückgelegte Zeiten für die Zuordnung zu einer höheren Entwicklungsstufe nicht berücksichtigt werden können (sogenannte 'schädliche Zeiten').

Die beigefügte Anlage gibt Ihnen Aufschluss darüber, welche Zeiten im Einzelnen nicht bei der Laufzeit für die Zuordnung zu einer höheren Entwicklungsstufe berücksichtigt werden konnten.

Ferner informiert Sie die Anlage über den voraussichtlichen Zeitpunkt, ab dem Sie grundsätzlich einer höheren Entwicklungsstufe zugeordnet werden können. Die Berechnung steht darüber hinaus unter dem Vorbehalt der späteren Überprüfung und begründet weder dem Grunde nach, noch zu dem angegebenen Zeitpunkt den Anspruch auf die Zahlung des Festgehaltes Ihrer Tätigkeitsebene unter Berücksichtigung der höheren Entwicklungsstufe.

...“

In der erwähnten Anlage („Berechnung Entwicklungsstufe“) heißt es unter Bezugnahme auf den dort angezogenen bei der ... geltenden Tarifvertrag („TV-BA“) auszugsweise wie folgt:

„Hinweis:

Der Aufstieg in die nächsthöhere Entwicklungsstufe (ES) setzt gem. § 18 Abs. 6 TV-BA bestimmte Zeiten der ununterbrochenen Tätigkeit innerhalb derselben Tätigkeitsebene voraus. In § 19 Abs. 6 Satz 1 Buchst. a bis f TVBA genannte Zeiten stehen den Zeiten einer ununterbrochenen Tätigkeit gleich. Sie unterbrechen die Laufzeit der ES daher nicht, sondern werden im vollen Umfang angerechnet

 

Name, Vorname

...     

Übertragene Tätigkeit

Sachbearbeiterin Ordnungswidrigkeiten im Bereich SGB II

Tätigkeitsebene

IV    

Tag der Arbeitsaufnahme

01.08.2011

Erreichte ES vor der Unterbrechung

4       

 

1.) Maßgebliche Laufzeit für das Erreichen der nächsthöheren Entwicklungsstufe:

 

        

Jahre 

        

4       

4.) Ergebnis:

Die maßgebliche Laufzeit zur Zuordnung zur Entwicklungsstufe 5 wurde nicht erfüllt. Frau ... ist damit weiterhin der Entwicklungsstufe 4 zugeordnet.

5. Nächste Steigerung:

 

Zur ES

Mit Ablauf von

Davon bereits erfüllt

Steigerung voraussichtl. am

5       

4 Jahren

2 Jahre und 66 Tage

27.05.2013

...“

Zum 01.01.2012 wurde das Jobcenter mit dem weiteren Jobcenter „Fachdienst Arbeit und Beschäftigung“ zu dem seither als Regiebetrieb des Beklagten geführten Jobcenter ... vereint.

Ebenfalls seither besteht das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf der Grundlage der Absätze 1 bis 3 des § 6 c SGB II allein mit dem Beklagten.

Nunmehr ist die Klägerin als Sachbearbeiterin in der Bußgeldstelle in ... tätig. Sie wird gemäß Entgeltgruppe 8 Stufe 4 TVöD/VKA vergütet und erhält zusätzlich die - gesetzlich vorgesehene - monatliche Ausgleichszulage in Höhe von zuletzt 508,83 € brutto und damit insgesamt diejenige Vergütung, die sie im Falle eines Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses mit der BA bezogen hätte.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei in die Entgeltgruppe 8 Stufe 5 TVöDA/VKA einzugruppieren, weil sie diese Stufe nach der Mitteilung des Jobcenters vom 29.06.2011 am 27.05.2013 erreicht habe.

Zwar sei ihr mitgeteilt worden, dass sie durch den Wechsel zu der Bußgeldstelle keinen Nachteil erleiden würde, und dies sei mit Blick auf die Ausgleichszahlung auch nicht der Fall.

Im Falle einer Vergütung gemäß Entgeltgruppe 8 Stufe 5 TVöD/VKA würde sie die nächste Stufe allerdings zu einem früheren Zeitpunkt erreichen und damit auch zu einem früheren Zeitpunkt eine Erhöhung ihrer Vergütung erzielen können, wenn die Ausgleichszahlung durch Tariflohnerhöhungen und die Vergütung nach höheren Stufen abgeschmolzen sei.

Der Beklagte sei aufgrund gesetzlicher Anordnung in die Rechte und Pflichten aus dem mit der BA bestanden habenden Arbeitsverhältnis und somit auch in die bestehenden Stufen eingetreten.

Die Klägerin hat - soweit für das Berufungsverfahren noch von Relevanz - die Feststellung beantragt,

dass sie seit Juni 2013 nach der Entgeltgruppe E 8 Stufe 5 TVöD/VKA zu vergüten ist.

Der Beklagte hat

Klageabweisung

beantragt.

Aufgrund der Ausgleichszahlung bestehe kein Interesse an der begehrten Feststellung.

Auch bestehe der Anspruch nicht. Denn die Klägerin sei erstmals am 01.01.2012 nach den Regelungen der § 17 TVÜ-VKA i. V. m. §§ 22,23 BAT-O sowie der Vergütungsordnung zum BAT und den Stufenregelungen der §§ 16 und 17 TVöD einzugruppieren und einzustufen gewesen. Nur bei entsprechender einschlägiger Berufserfahrung seien die bei der BA erworbenen Beschäftigungszeiten gemäß § 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD max. der Stufe 3 zuzuordnen gewesen. Eine höhere Einstufung sei in Abhängigkeit einer Ermessensbestimmung in Betracht gekommen. Die Klägerin sei immerhin bereits seit 01.01.2012 in die Entgeltgruppe 8 Stufe 4 TVöD/VKA eingruppiert.

Es sei zu bestreiten, dass die Klägerin seit Juni 2013 die angezogene Stufe der BA erreicht hätte. Er, der Beklagte, habe keine Kenntnis über die von der Klägerin von 1996 bis 2011 ausgeübten Tätigkeiten, mögliche Bewährungsaufstiege oder Umgruppierungsentscheidungen. Dazu habe die Klägerin auch nichts (und das ist nicht strittig) vorgetragen.

Das von der Klägerin angegangene Arbeitsgericht Bautzen hat der Klage lediglich in dem hier noch interessierenden Umfang entsprochen und sie im Übrigen abgewiesen.

Der Beklagte hat gegen das ihm am 28.04.2014 zugestellte Urteil am 27.05.2014 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Frist zu deren Begründung bis 31.07.2014 am 31.07.2014 ausgeführt.

Der Beklagte wiederholt und vertieft sein Verteidigungsvorbringen.

Nicht angängig sei die Vorgehensweise des Arbeitsgerichts, das den von ihm als Ausgang angezogenen BA-TV für kompatibel mit dem nunmehr anzuwendenden Tarifvertrag gehalten habe.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bautzen vom 20.02.2014 - 6 Ca 6282/13 - die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt

die Zurückweisung der Berufung.

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr Angriffsvorbringen.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens beider Parteien sowie ihrer Rechtsausführungen wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Aus den Gründen

A.

49        Die zulässige Berufung ist begründet.

50        Zwar ist das Feststellungsbegehren zulässig, nicht hingegen ist es begründet.

I.

51        Das Feststellungsbegehren ist nicht deshalb unzulässig, weil der Klägerin die nach § 6 c Abs. 5 Satz 3 SGB II vorgesehene Ausgleichszahlung in Höhe des Unterschiedsbetrags zwischen dem Arbeitsentgelt bei dem abgebenden Träger zum Zeitpunkt des Übertritts (der BA) und dem jeweiligen Arbeitsentgelt bei dem aufnehmenden Träger (dem Beklagten) gezahlt wird.

52        Denn dies ändert nichts daran, dass der Beklagte der Klägerin die originäre Vergütung nach Stufe 5 der Entgeltgruppe E 8 TVöD/VKA auch weiterhin streitig macht und die Ausgleichszahlung der Abschmelzung ausgesetzt ist.

II.

53        Die Feststellung kann nicht getroffen werden, weil die Klägerin nicht nach der angezogenen Stufe 5 der Entgeltgruppe E 8 TVöD/VKA zu vergüten ist.

54        1. Der Anspruch ergibt sich nicht aus TVöD/VKA.

55        a) Treten Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer der BA aufgrund § 6 c Abs. 1 SGB II im Rahmen des Personalübergangs bei Zulassung kommunaler Träger anstelle der BA als Träger bestimmter Leistungen in den Dienst eines anderen Trägers über - wie hier die Klägerin -, tritt der neue Träger nach § 6 c Abs. 3 Satz 2 SGB II zwar in die Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis ein, die im Zeitpunkt des Übertritts bestehen.

56        Vom Zeitpunkt des Übertritts an sind für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II allerdings die für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des neuen Trägers jeweils geltenden Tarifverträge ausschließlich anzuwenden.

57        Das sind im Falle des Beklagten der TVöD/VKA sowie der TVÜ-VKA und andere Tarifverträge, die deshalb für die Klägerin den TV-BA abgelöst haben.

58        Weder § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II noch die Regelungen der §§ 1 Abs. 1 und 28 a Abs. 1 TVÜ-VKA sehen vor, dass im Falle des Trägerwechsels eine irgendwie geartete fiktive Überleitung aus einem bei dem früheren Träger anwendbaren Tarifvertrag (hier: dem TV-BA) zu erfolgen habe.

59        Das Gegenteil ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II, der eine Fortgeltung vor dem Trägerwechsel auf das Arbeitsverhältnis anwendbarer Tarifverträge gerade nicht vorsieht und deren Geltung demgemäß auch nicht durch den angeordneten Eintritt in Rechte und Pflichten aus dem bestehenden Arbeitsverhältnis fortschreibt.

60        b) Entscheidend ist mithin, ob die Klägerin die angezogene Vergütungsgruppe nach TVöD/VKA zu beanspruchen hätte.

61        Das ist nicht der Fall.

62        Für die Stufenzuordnung bei der im Falle der Klägerin in Rede stehenden Erstanwendung des TVöD/VKA ist wie im Falle einer Einstellung § 16 Abs. 2 sowie Abs. 2 a TVöD/VKA maßgebend.

63        Da die Klägerin über eine einschlägige Berufserfahrung von zwei Jahren verfügte, war sie mindestens der Stufe 2 zuzuordnen (§ 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD/VKA).

64        Bei Beschäftigten mit einer einschlägigen Berufserfahrung von mindestens drei Jahren, worüber die Klägerin verfügt, hatte i. d. R. eine Zuordnung zur Stufe 3 zu erfolgen (§ 16 Abs. 2 Satz 2 TVöD/VKA).

65        Die Zuordnung zu einer höheren Stufe war nach Maßgabe von § 16 Abs. 2 Satz 3 oder Abs. 2 a TVöD/VKA möglich, und hiervon hat der Beklagte zugunsten der Klägerin auch Gebrauch gemacht. Denn er hat sie zum 01.01.2012 der Stufe 4 zugeordnet.

66        Bei der BA zurückgelegte Vordienstzeiten in anderen bei dem Beklagten geltenden Tarifvorschriften finden Berücksichtigung, und diese Berücksichtigung ist nicht mit der zutreffenden Stufenzuordnung zu verwechseln (gleichzusetzen).

67        2. Nach dem Vorstehenden ist die Klägerin aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung originär nach den bei dem Beklagten geltenden Tarifverträgen zu behandeln.

68        Nur vorsorglich ist darauf hinzuweisen, dass sich ihr Anspruch auch dann nicht ergäbe, wenn man ihre fiktive berufliche Entwicklung bei der BA für maßgebend erachtete.

69        a) Dies könnte angenommen werden, wenn § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II aufgrund Verstoßes gegen höherrangiges Recht unwirksam wäre.

70        Allerdings ist die Vorschrift sowohl europarechtskonform als auch verfassungsgemäß (Urteil der Kammer vom 21.05.2014 - 2 Sa 693/13 - mit Einzelheiten).

71        b) Diese Frage muss hier - anders noch als in der vorgenannten Entscheidung vom 21.05.2014 - jedoch nicht vertieft werden.

72        Denn nach der Argumentation der Klägerin könnte sie Erfolg bei Berücksichtigung ihrer fiktiven beruflichen Entwicklung bei der BA nur dann haben, wenn diese Entwicklung auch dort zu einer Vergütung nach „Stufe 5“ geführt hätte.

73        (1) Dies ist allerdings von vornherein schon deshalb nicht möglich, weil die Entwicklungsstufen bei der BA und bei dem bei dem Beklagten anwendbaren Tarifvertrag nicht deckungsgleich (kompatibel) sind.

74        (2) Die Klägerin bezieht sich auch nicht ausdrücklich auf die bei der BA maßgebende Stufe 5. Denn ihr Antrag geht auf eine Vergütung nach Entgeltgruppe 8 Stufe 5 TVöD/VKA.

75        (3) Selbst bei unterstellter Maßgeblichkeit der bei der BA zu verstehenden Stufe 5 ergibt sich mitnichten, dass die Klägerin diese Stufe auch erklommen hätte.

76        Das von ihr angezogene Schreiben des Jobcenters enthält keine belastbare Zusage, sondern lediglich eine Information darüber, was nach Auffassung des (damaligen) Arbeitgebers eingruppierungsrechtlich galt und welche Entwicklung die Klägerin nehmen könnte („voraussichtlich“, „Vorbehalt der späteren Überprüfung“, „begründet weder dem Grunde nach noch zu dem angegebenen Zeitpunkt die Zahlung des Festgehalts Ihrer Tätigkeitsebene unter Berücksichtigung der höheren Entwicklungsstufe“).

77        Die Information ist – m. a. W. – weder voraussetzungs- noch bedingungslos erteilt worden.

78        Zu Recht weist der Beklagte darauf hin, dass die Klägerin auch nicht vorgetragen hat, dass und warum sie im Falle des Fortbestands ihres Arbeitsverhältnisses mit der BA zu dem streitgegenständlich maßgebenden Zeitpunkt auch bei der BA sämtliche tariflichen Voraussetzungen erfüllt hätte, um nach Stufe 5 vergütet zu werden.

B.

79        Die Klägerin trägt aufgrund der Regelung in § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits (insgesamt), weil sie nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens (insgesamt) unterliegt.

80        Für sie ist die Revision zuzulassen, weil eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG). Es steht die Auslegung sowie ggf. die Beachtlichkeit der Regelung in § 6 c Abs. 3 Satz 3 SGB II im Raum.

81        Im Folgenden wird gemäß § 9 Abs. 5 Satz 1 ArbGG über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form belehrt.

stats