LAG Berlin: Annahmeverzug bei unentschuldigtem Fehlen - Schikane
LAG Berlin, Urteil vom 31.5.2013 - 6 Sa 373/13
Leitsatz
1. Ein Arbeitnehmer, der vor seiner Arbeitsunfähigkeit unentschuldigt gefehlt hatte, kann den Arbeitgeber dadurch in Annahmeverzug versetzen, dass er ihn schriftlich davon in Kenntnis setzt, zur Arbeitsaufnahme an seiner Arbeitsstelle erschienen zu sein, dort aber keinen vertretungsberechtigten Mitarbeiter angetroffen zu haben, und das er deshalb um Mitteilung bitte, ihm mitzuteilen, wann er wieder zur Arbeit erscheinen solle.
2. Eine Aufforderung des Arbeitgebers, die Arbeit an einer auswärtigen Betriebsstätte aufzunehmen, stellt eine mit Treu und Glauben unvereinbare Schikane dar, wenn dort überhaupt kein Bedarf an einer Beschäftigung des Arbeitnehmers besteht.
Sachverhalt
Die am ...1976 geborene Klägerin trat aufgrund eines undatierten Anstellungsvertrags (Abl. Bl. 6 - 11 GA) am 01.09.2011 als Mitarbeiterin im Verkauf in die Dienste des Beklagten, der ein Sanitärhaus mit Sitz in Brandenburg a.d.H. und mehrere Filialen in Berlin und Brandenburg betreibt, in denen er regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt. Das Monatsgehalt der Klägerin, die in einer Filiale in der B.straße in Berlin eingesetzt wurde, belief sich auf 1.520 EUR brutto.
Am 16.02.2012 verließ die Klägerin ihre Arbeitsstelle unter Zurücklassen der Geschäftsschlüssel. In der folgenden Woche übersandte sie dem Beklagten eine ärztliche Bescheinigung vom 22.02.2012, worin ihr zunächst für die Zeit vom 20.02.2012 bis 09.03.2012 Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Diese Bescheinigung sandte der Beklagte mit Schreiben vom 28.02.2012 (Abl. Bl. 13 GA) an die Klägerin zurück, worin er ausführte, er sehe das Arbeitsverhältnis mit Rückgabe der Schlüssel und dem damit verbunden gewesenen Gespräch sowie dem unentschuldigten Fehlen der Klägerin an den darauffolgenden Tagen zum 16.02.2012 als beendet an.
Nach einem Schriftwechsel der späteren Prozessbevollmächtigten der Parteien erschien die Klägerin am 23.02.2012 an ihrer Arbeitsstelle in der B.straße. Ob sie dort ihre Arbeitskraft anbot, ist streitig. Jedenfalls wandte sich der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit einem per Telefax übermittelten Schreiben vom 28.03.2012 an den Prozessbevollmächtigten des Beklagten, worin es hieß:
„in obiger Angelegenheit ist meine Mandantin, nachdem sie von ihrer Krankheit genesen ist, am 23.03.2012 um 08.30 Uhr an ihre Arbeitsstelle in Berlin vorstellig geworden. Es war lediglich eine neue Mitarbeiterin vor Ort, die darüber von meiner Mandantin informiert wurde, dass sie genesen und wieder bereit zu arbeiten sei. Eine Arbeit konnte ihr nicht zugewiesen werden. Die Mitarbeiterin versprach lediglich für den Arbeitgeber eine Nachricht zu hinterlassen. Eine Reaktion Ihres Mandanten erfolgte jedoch bisher nicht.
Auch aufgrund Ihres Schreibens vom 14.03.2012 ist davon auszugehen, dass Ihre Mandantschaft die Arbeitskraft meiner Mandantin nicht entgegenzunehmen bereit ist. Sollte sich diesbezüglich die Einstellung Ihrer Mandantschaft ändern, bitte ich, mir mitzuteilen, wann Frau G. wieder zur Arbeit erscheinen soll."
Im Rahmen des am 26.04.2012 anhängig gemachten Rechtsstreits auf Entgeltfortzahlung und sog. Verzugslohn vereinbarten die Parteien am 17.08.2012 in einem Widerrufsvergleich die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.03.2012 unter Entgeltzahlung sowie Zahlung einer Abfindung. Vor Ablauf der Widerrufsfrist forderte der Beklagte die Klägerin mit einem durch Boten überbrachten Schreiben vom 20.08.2012 (Abl. Bl. 88 GA) auf, die Arbeit am nächsten Tag in seiner Filiale in Brandenburg a.d.H. aufzunehmen, verbunden mit dem Hinweis, dass das Arbeitsverhältnis bei Nichterscheinen außerordentlich fristlos gekündigt werden könne. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht Folge leistete, erteilte ihr der Beklagte am nächsten Tag eine Abmahnung (Abl. Bl. 89 GA) und kündigte ihr schließlich mit Schreiben vom 23.08.2012 (Abl. Bl. 90 GA) fristlos und hilfsweise fristgemäß zum 30.09.2012. Den Prozessvergleich ließ er sodann mit Schriftsatz vom 05.09.2012 widerrufen.
Im Wege der Klagerweiterung wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung und erstreckt ihr Zahlungsbegehren auf die Zeit bis zum 30.09.2012.
Das Arbeitsgericht Berlin hat nach Vernehmung zweier Zeuginnen über ein Arbeitskraftangebot der Klägerin am 23.02.2012 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten nicht mit sofortiger Wirkung beendet worden sei, sondern bis zum 30.09.2012 fortbestanden habe. Zugleich hat es den Beklagten verurteilt, an die Klägerin 1.539,74 EUR brutto nebst Verzugszinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch eine mündliche Eigenkündigung der Klägerin vom 16.02.2012 jedenfalls mangels Wahrung der gesetzlichen Schriftform nicht beendet worden. Das Schreiben des Beklagten vom 28.02.2012 habe keine Kündigungserklärung enthalten. Durch die außerordentliche Kündigung vom 23.08.2012 sei das Arbeitsverhältnis nicht fristlos beendet worden. Die Klägerin sei zwar nach ihrem Arbeitsvertrag im gesamten Versorgungsbereich des Beklagten einsetzbar gewesen. Ihre Behauptung, der Sohn des Beklagten habe ihr bei Vertragsschluss eine Beschäftigung ausschließlich in der Filiale B.straße in Berlin zugesagt, sei nicht hinreichend substantiiert. Bei der Interessenabwägung sei jedoch zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass der Beklagte bis zur Arbeitsaufforderung vom 20.08.2012 stets die Auffassung vertreten habe, das Arbeitsverhältnis sei bereits im Februar 2012 beendet worden.
Für die Zeit vom 17.02.2012 bis 21.02.2012 habe die Klägerin mangels einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Dagegen stehe ihr für die Zeit vom 22.02.2012 bis 22.03.2012 Entgeltfortzahlung in Höhe des zugesprochenen Betrags zu, da der Beklagte für seine Behauptung, die Klägerin habe am 16.02.2012 eine Eigenkündigung erklärt, keinen Beweis angetreten habe.
Verzugslohn stehe der Klägerin nicht zu. Nach dem widersprüchlichen Vortrag der Klägerin und dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei die Kammer nicht davon überzeugt, dass die Klägerin tatsächlich am 23.03.2012 ihre Arbeitskraft angeboten habe. Trotz der unwirksamen außerordentlichen Kündigung des Beklagten habe auch für die Dauer der Kündigungsfrist kein Annahmeverzug bestanden, weil die Klägerin zuvor trotz ausdrücklicher Aufforderung eine Arbeitsleistung in Brandenburg a.d.H. verweigert habe.
Gegen dieses ihr am 05.02.2013 zugestellte Urteil richtet sich die am 27.02.2013 eingelegte und am 25.03.2013 begründete Berufung der Klägerin. Sie hält auch die hilfsweise ordentliche Kündigung für unwirksam und beruft sich zum Beweis für ihre Behauptung, der Sohn des Beklagten habe ihr am 01.09.2011 bei Vertragsunterzeichnung in der Filiale B.straße zugesagt, dass ihr Einsatz mangels eines Fahrzeugs auf diese Filiale beschränkt bleibe, auf dessen Zeugnis. Mit seiner Arbeitsaufforderung habe sich der Beklagte im Hinblick auf seine schriftsätzlich geäußerte Ansicht, er habe mit seinem Schreiben vom 28.02.2012 das Arbeitsverhältnis gekündigt, und ohne diese Ansicht revidiert und den Prozessvergleich widerrufen zu haben, widersprüchlich verhalten. Zudem habe es sich dabei um bloße Schikane gehandelt, da es einen Bedarf an ihrer Arbeitskraft in der Filiale in Brandenburg a.d.H. zu diesem Zeitpunkt nicht gegeben habe.
Verzugslohn stehe ihr ab dem 23.03.2012 zu. Dazu habe es schon keiner Beweisaufnahme bedurft, weil der Beklagte konkludent erklärt habe, er verzichte auf ihre Arbeitsleistung auch im Falle ihrer Genesung, indem er sie unter Rücksendung ihrer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an die Arbeitsagentur verwiesen habe. Jedenfalls sei ihr Vortrag zu einem tatsächlichen Arbeitskraftangebot am 23.02.2012 nicht widersprüchlich gewesen und sei bei der Beweisaufnahme deutlich geworden, dass die als Zeugin gehörte Mitarbeiterin nur ausweichend auf ihr beider Zusammentreffen eingegangen sei.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des angefochtenen Urteils
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung vom 23.08.2012 nicht zum 30.09.2012 geendet habe, sondern darüber hinaus fortbestehe,
2. den Beklagten zu verurteilen, an sie weitere 9.534,55 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 414,55 EUR seit dem 01.04.2012 und jeweils 1.520,00 EUR seit dem 01.05., 01.06., 01.07., 01.08., 01.09. und 01.10.2012 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und bestreitet eine mündliche Vereinbarung über den Einsatzort der Klägerin. Im Verhandlungstermin hat er behauptet, die Klägerin hätte in der Filiale in Brandenburg a.d.H. beschäftigt werden können, und darauf verwiesen, in seiner Berufungserwiderung neuen Vortrag der Klägerin, sofern nicht ausdrücklich zugestanden, bestritten zu haben.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Aus den Gründen
22 1. Die Berufung ist weitgehend begründet.
23 1.1 Die Klägerin hat gemäß § 615 Satz 1 BGB Anspruch auf Zahlung von Arbeitsentgelt für die Zeit vom 29.03.2012 bis 30.09.2012.
24 1.1.1 Der Beklagte hat sich in dieser Zeit mit der Annahme der Dienste der Klägerin in Verzug befunden.
25 1.1.1.1 Der Gläubiger kommt gemäß § 293 BGB in Verzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Ein solches Angebot war entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gemäß § 296 Satz 1 BGB entbehrlich. Danach bedarf es dann, wenn für die vom Gläubiger vorzunehmende Handlung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist, des Angebots nur komme, wenn der Gläubiger die Handlung rechtzeitigt vornimmt. Davon, dass dieser als Arbeitgeber seine erforderliche Mitwirkungshandlung durch Zuweisung eines Arbeitsplatzes verweigert, ist zwar auszugehen, wenn er sich berühmt, das Arbeitsverhältnis durch Kündigung beendet zu haben (dazu BAG, Urteil vom 21.03.1985 - 2 AZR 201/84 - AP BGB § 615 Nr. 35 zu B I der Gründe). Anders ist es dagegen, wenn sich der Arbeitgeber lediglich auf mangelnde Leistungsbereitschaft des Arbeitnehmers beruft und meint, dieser habe durch sein Verhalten das Arbeitsverhältnis selbst beendet. Es verhält sich dann wie bei einem Streit über das Zustandekommen eines Aufhebungsvertrags (dazu BAG, Urteil vom 07.12.2005 - 5 AZR 19/05 - AP BGB § 615 Nr. 114 zu I 2 der Gründe). Im tatsächlich ungekündigten Arbeitsverhältnis ist § 296 Satz 1 BGB regelmäßig nicht anwendbar (BAG Urteil vom 30.04.2008 - 5 AZR 502/07 - BAGE 126 316 = AP BGB § 611 Lehrer, Dozenten Nr. 183 R 21).
26 1.1.1.2 Es konnte auch nicht davon ausgegangen werden, dass sich der Beklagte bereits seit dem 23.02.2012 in Annahmeverzug befunden hatte. Selbst wenn die Klägerin gegenüber der in der Filiale B.straße anwesenden Mitarbeiterin erklärt haben sollte, sie sei wieder genesen und bereit zu arbeiten, hätte sie damit die geschuldete Leistung doch nicht dem Beklagten als Gläubiger gemäß § 294 BGB angeboten. Aufgrund ihrer Stellung war diese Mitarbeiterin weder Vertreterin noch Empfangsbotin des Beklagten, sondern hätte als Botin der Klägerin deren Angebot übermitteln sollen. Dass diese Mitarbeiterin dies getan hat, ist von der Klägerin auch nach entsprechendem Hinweis im Verhandlungstermin offenbar im Hinblick auf deren erstinstanzliche Aussage nicht behauptet worden.
27 1.1.1.3 Der Beklagte ist jedoch durch das per Telefax an seinen späteren Prozessbevollmächtigten als seinen Vertreter gerichtete Schreiben des späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 28.03.2012 ab dem Folgetag in Annahmeverzug versetzt worden.
28 1.1.1.3.1 In diesem Schreiben war ein wörtliches Angebot zu sehen. Entgegen der im Verhandlungstermin seitens des Beklagten geäußerten Ansicht handelte es sich nicht bloß um eine Inaussichtstellung, die Arbeit unter der Bedingung wieder aufnehmen zu wollen, dass er eine Mitteilung von einer Änderung seiner Einstellung zur Entgegennahme der Arbeitskraft der Klägerin machen würde. Vielmehr war das Schreiben unter Berücksichtigung der dortigen Schilderung eines tatsächlichen Angebots der Arbeitskraft am 23.03.2012 vom objektiven Empfängerhorizont aus dahin zu verstehen, dass dieses Angebot hiermit vorsorglich noch einmal mündlich wiederholt werden sollte (§133 BGB). Das damit zugleich die Notwendigkeit eines Sinneswandels des Beklagten angesprochen wurde, war unschädlich.
29 1.1.1.3.2 Dieses wörtliche Angebot genügte gemäß § 295 Satz 1 BGB, weil der Beklagte trotz entsprechender Aufforderung keine Annahmebereitschaft bekundet hat. Allerdings muss ein zuvor leistungsunwilliger Arbeitnehmer einen wieder gefassten Leistungswillen nach außen gegenüber dem Arbeitgeber kundtun, andernfalls der Arbeitgeber wie im Falle mangelnder Leistungsfähigkeit gemäß § 297 BGB nicht in Annahmeverzug gerät. Dafür reicht ein bloßes Lippenbekenntnis nicht aus, sondern ist regelmäßig erforderlich, den neu gewonnenen Leistungswillen im Rahmen des Zumutbaren durch ein tatsächliches Arbeitsangebot zu dokumentieren (BAG, Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 249/11 - NZA 2012, 858 R 27). Ein bloßes Lippenbekenntnis liegt in einem solchen Fall insbesondere vor, wenn sich der Arbeitnehmer auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage und einen damit verbundenen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung beschränkt, weil diese in erster Linie auf die Gewährung von Rechtsschutz gerichtet sind, ohne einen zwingenden Rückschluss auf die dahinterstehende Absicht des Arbeitnehmers zuzulassen. Dagegen geht es über ein bloßes Lippenbekenntnis hinaus und steht einem tatsächlichen Angebot gleich, wenn der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber mitteilt, an seiner Arbeitsstelle zur Wiederaufnahme der Arbeit erschienen zu sein, dort aber keinen Vertreter des Arbeitgebers angetroffen zu haben, und ihn deshalb um Mitteilung bittet, wann er wieder zur Arbeit erscheinen solle.
30 1.1.1.3.3 Daraus, dass die Klägerin der Arbeitsaufforderung des Beklagten vom 20.08.2012 auch nach Abmahnung vom folgenden Tag nicht nachgekommen ist, konnte nicht geschlossen werden, es habe ihr ab diesem Zeitpunkt und sogar schon zuvor auch nach Ende ihrer Arbeitsunfähigkeit am erforderlichen Leistungswillen gemangelt. Zwar kann die Nichtaufnahme einer vom Arbeitgeber angebotenen Beschäftigung nicht nur zur Anrechnung böswillig nicht erzielten Verdienstes gemäß § 615 Satz 2 BGB oder § 11 Nr. 2 KSchG führen, sondern den Anspruch gänzlich entfallen lassen. Ein Rückschluss auf fehlenden Leistungswillen ist jedoch nur dann zulässig, wenn der Arbeitnehmer ein Angebot des Arbeitgebers ablehnt, das trotz fortbestehenden Streits über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses auf eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen gerichtet und dessen Annahme auch sonst zumutbar ist (vgl. BAG, Urteil vom 17.08.2011 - 5 AZR 251/10 - NZA-RR 2012, 342 R 16). Dies konnte hier nicht festgestellt werden.
31 1.1.1.3.3.1 Es erschien bereits zweifelhaft, ob die Klägerin überhaupt verpflichtet war, ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin im Verkauf in der Filiale des Beklagten in Brandenburg a.d.H. nachzugehen.
32 1.1.1.3.3.1.1. Die erkennbar vom Beklagten vorformulierte Vertragsklausel in § 4 Nr. 4 Anstellungsvertrag, wonach Arbeitsort der gesamte Versorgungsbereich des Unternehmens sein sollte, begegnet im Hinblick auf den damit verbundenen Zeitaufwand für die Klägerin bei der Anfahrt einerseits und ihrem geringen Einkommen andererseits Bedenken aus § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Denn von dieser Klausel wären nicht nur mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch vergleichsweise leicht erreichbare Orte wie Brandenburg a.d.H. erfasst, sondern auch abgelegenere Filialen. Daran änderte es nichts, dass bereits § 106 Satz 1 GewO nach seinem Wortlaut das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch auf den Ort der Arbeitsleistung erstreckt. Denn diese Vorschrift besagt lediglich, dass der Arbeitgeber bei der Konkretisierung der rahmenmäßig getroffenen Vereinbarung über Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung billiges Ermessen walten lassen muss, nicht dagegen, das ihm ein solches Recht ohne jede inhaltliche, örtliche oder zeitliche Einschränkung überhaupt erst eingeräumt wird (Hromadka NZA 2012, 896, 897; offen gelassen BAG, Urteil vom 18.10.2012 - 6 AZR 86/11 - ZTR 2013, 155 R 26).
33 1.1.1.3.3.1.2 Einer Befugnis des Beklagten aus § 4 Nr. 4 Anstellungsvertrag, die Klägerin nach Brandenburg a.d.H. zu versetzen, hätte von vornherein entgegengestanden, wenn die Parteien durch eine gemäß § 305b BGB vorrangige Individualabrede vereinbart hätten, dass sich der Einsatz der Klägerin auf die Filiale B.straße in Berlin beschränken sollte. Der Vortrag der Klägerin, dass dies mit dem Sohn des Beklagten als dessen Vertreter bei Vertragsschluss geschehen sei, war entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts durchaus hinreichend substantiiert. Ihr Beweisantritt durch Benennung des Sohnes als Zeugen genügte damit den Anforderungen des § 373 ZPO.
34 Die qualifizierte Schriftformklausel in § 11 Nr. 5 Anstellungsvertrag hätte der Wirksamkeit einer vom Vertragstext abweichenden mündlichen Individualabrede nicht gemäß § 125 Satz 2 BGB entgegengestanden. Individualabreden gehen derartigen Schriftformklauseln selbst dann vor, wenn sich die Parteien dabei einer Kollision nicht bewusst waren (BAG, Urteil vom 20.05.2008 - 9 AZR 382/07 - BAGE 126, 364 = AP BGB § 307 Nr. 35 R 29).
35 Dem Beweisantritt der Klägerin brauchte jedoch nicht nachgegangen zu werden, weil ohnehin davon auszugehen war, dass der Beklagte von einer etwaigen Versetzungsbefugnis nicht ordnungsgemäß Gebrauch gemacht hat.
36 1.1.1.3.3.2. Der Beklagte hat nicht dargetan, die Bestimmung der Filiale in Brandenburg a.d.H. als Einsatzort der Klägerin nach billigem Ermessen getroffen zu haben, wofür er als Inhaber des Direktionsrechts jedoch darlegungs- und beweisbelastet gewesen ist (dazu BAG, Urteil vom 13.03.2007 - 9 AZR 433/06 - AP BGB § 307 Nr. 26 R 81). Es war sogar davon auszugehen, dass der Beklagte seine Weisung unter Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB aus Schikane erteilt hat.
37 Die Klägerin hat mit ihrer Berufungsbegründung vorgebracht, dass es in der Filiale in Brandenburg a.d.H. seinerzeit gar keinen Bedarf an ihrer Arbeitskraft gegeben habe. Dies war gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig anzusehen, weil der Beklagte dem nicht ausreichend entgegengetreten ist. Sein pauschales Bestreiten am Ende der Berufungsbeantwortung stellte keine ausreichende Erklärung zur Behauptung der Klägerin i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO dar.
38 Soweit der Beklagte auf einen Hinweis des Gerichts im Verhandlungstermin behauptet hat, die Klägerin hätte in der Filiale in Brandenburg a.d.H. tatsächlich beschäftigt werden können, ließ dies bereits nicht erkennen, dass über die Möglichkeit einer zusätzlichen Beschäftigung der Klägerin hinaus dort auch ein entsprechender Bedarf daran bestanden hat. Jedenfalls konnte das darin liegende Bestreiten einer schikanösen Weisung gemäß § 67 Abs. 4 ArbGG nicht zugelassen werden, weil der Beklagte dies mit seiner Berufungsbeantwortung hätte vorbringen müssen, es jetzt zu einer Verzögerung der Erledigung des Rechtsstreits geführt hätte und es auf ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten beruht hat, sich in der Berufungsbeantwortung auf pauschales Bestreiten beschränkt zu haben.
39 Fehl ging auch die vom Beklagten schließlich noch geäußerte Ansicht, er habe die Klägerin auch dann nach Brandenburg a.d.H. beordern können, wenn dort tatsächlich kein Bedarf an ihrer Arbeitskraft bestanden hätte. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers dient dazu, die geschuldete Arbeitsleistung abzurufen, und nicht dazu, den Arbeitnehmer bloß „antanzen" zu lassen, ohne ihn beschäftigen zu können.
40 1.1.1.3.3.3 Schon eine Weisung, die nicht billigem Ermessen entspricht, ist gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB für den Arbeitnehmer nicht verbindlich. § 315 Abs. 3 Satz 2 Ts. 1 BGB, wonach die Bestimmung in einem solchen Fall durch Urteil getroffen wird, führt nicht dazu, dass der Arbeitnehmer vorläufig an die ermessensfehlerhafte Weisung gebunden ist (so aber BAG, Urteil vom 22.02.2012 - 5 AZR 249/11 - NZA 2012, 858 R 24; abl. Boehmke NZA 2013, 6). Ihr Folge zu leisten, bleibt vielmehr dem Arbeitnehmer überlassen, wie dies auch sonst dem Gegner des Bestimmungsberechtigten freisteht (dazu Staudinger/Rieble, BGB, Neubearb. 2009, § 315 R 353 ff.). Keinesfalls wirksam ist eine Weisung, die sich wie die des Beklagten als Schikane darstellt.
41 1.1.2 Der Anspruch der Klägerin berechnete sich für drei Arbeitstage vom 29.03.2012 bis 31.03.2012 auf (1520 x 3/22 =) 207,27 € brutto und für die Monate April bis September 2012 auf (1520 x 6 =) 9.120,00 € brutto.
42 1.1.3 Da die Klägerin nach ihren Angaben im streitigen Zeitraum weder anderweitigen Verdienst erzielt noch Arbeitslosengeld bezogen hat, war für eine Anrechnung gemäß § 615 Satz 2 BGB bzw. § 11 Nr. 1 und 3 KSchG kein Raum. Dass sie sich nicht arbeitslos gemeldet hat, stellte kein böswilliges Unterlassen i.S.d. § 615 Satz 2 BGB bzw. § 11 Nr. 2 KSchG dar (vgl. BAG, Urteil vom 16.05.2000 - 9 AZR 203/99 - BAGE 94, 343 = AP BGB § 615 Böswilligkeit Nr. 7 zu II 2 bb der Gründe).
43 1.2 Verzugszinsen auf ihren Zahlungsanspruch stehen der Klägerin gemäß §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB zu. Allerdings ist Fälligkeit gemäß § 614 Satz 2 BGB frühestens am ersten Tag des jeweiligen Folgemonats eingetreten, an Wochenenden gemäß § 193 BGB sogar noch später (vgl. BAG, Urteil vom 15.05.2001 - 1 AZR 672/00 - BAGE 98, 1 = AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 176 zu II der Gründe).
44 1.3 Das Arbeitsverhältnis ist durch die hilfsweise ordentliche Kündigung des Beklagten vom 23.08.2012 nicht zum 30.09.2012 aufgelöst worden.
45 1.3.1 Die Kündigung gilt nicht gemäß § 7 Ts. 1 KSchG als wirksam, weil die Klägerin ihre Unwirksamkeit innerhalb der dreiwöchigen Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG geltend gemacht hat.
46 1.3.2 Die Kündigung des gemäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG unter Kündigungsschutz stehenden Arbeitsverhältnisses der Klägerin ist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, weil sie nicht durch Gründe im Verhalten der Klägerin sozial gerechtfertigt war (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 KSchG). Wie unter 1.1.1.3.3 näher dargelegt, war die Klägerin nicht verpflichtet, der Aufforderung des Beklagten Folge zu leisten, in Brandenburg a.d.H. tätig zu werden.
47 2. Die Kammer hat dem Beklagten gemäß § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Prozesskosten auferlegt, weil die Zuvielforderung der Klägerin in beiden Instanzen mit weniger als 5 % verhältnismäßig geringfügig war und keine höheren Kosten veranlasst hat.
48Die Revision war gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der sich im Zusammenhang mit dem Leistungswillen des Arbeitnehmers und dem Direktionsrecht des Arbeitgebers stellenden Rechtsfragen für den Beklagten zuzulassen.