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Arbeitsrecht
07.02.2008
Arbeitsrecht
: Altersgruppen bei Sozialauswahl


ArbG Bochum, Urteil vom 2.8.2007 - 3 Ca 827/07

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung vom 29.03.2007 sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin.

Die am 08.12.1970 geborene, verheiratete und einer 14-jährigen Tochter zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist seit dem 11.06.1990 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen zuletzt als Reparaturfrau zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.950,00 € beschäftigt.

Die Beklagte ist ein metallverarbeitendes Unternehmen. In der Vergangenheit hat es bereits mehrere Personalanpassungsmaßnahmen gegeben. Im Jahre 2005 wurde über das Vermögen der Vorgängergesellschaft der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Betrieb wurde während des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter weitergeführt. Mit Wirkung zum 01.09.2006 wurde die Beklagte gegründet und hat vom Insolvenzverwalter der Vorgängergesellschaft den Geschäftsbetrieb der in der Insolvenz befindlichen V. GmbH übernommen. Im Laufe des Insolvenzverfahrens hatte der Verwalter eine Personalanpassungsmaßnahme durchgeführt.

Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte die Beklagte 204 Arbeitnehmer, davon 8 Auszubildende.

Im März 2007 trafen die geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten die Entscheidung, eine erneute Personalanpassung vorzunehmen, um den Personalbestand der Auftragslage anzupassen. Unter dem 28.03.2007 schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kopie BI. 41 - 111 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Interessenausgleich und Sozialplan vom 28.03.2007 enthält Kriterien und Informationen zur Durchführung der Sozialauswahl (vgl. BI. 61 f. der Gerichtsakte). Es wurden zunächst die Kriterien Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Berücksichtigung von Unterhaltspflichten sowie Schwerbehinderung zugrundegelegt.

Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer wurden zunächst Betriebsbereiche gebildet (wegen der Einzelheiten vgl. BI. 33, 34 der Gerichtsakte), sodann wurden in den einzelnen Betriebsbereichen Funktionsgruppen gebildet (vgl. BI. 72 f. der Gerichtsakte). Mit dem Betriebsrat wurde im Rahmen des Interessenausgleichs und Sozialplans ein Punktesystem entwickelt, mit Hilfe dessen die Sozialauswahl strukturiert werden sollte. Für jedes Lebensjahr wurde 1 Punkt vergeben, wobei angefangene Jahre mit 2 Nachkommastellen errechnet und sodann kaufmännisch gerundet wurden. Die Berechnung erfolgte zum Stichtag 01.04.2007. Die Dauer der Betriebszugehörigkeit nach Jahren und Monaten wurde taggenau ermittelt und kaufmännisch gerundet auf eine Zahl mit 2 Nachkommastellen zum Stichtag. Für Unterhaltspflichten wurden 4 Punkte berücksichtigt (wegen der Einzelheiten wird auf BI. 64 der Gerichtsakte verwiesen). Eine Schwerbehinderung wurde mit dem 10. Teil des festgestellten Grades der Behinderung als Punktzahl im Rahmen der Sozialbepunktung berücksichtigt, wenn der Grad der Behinderung bei mindestens 50 % lag. Bei Gleichgestellten galt das Gesagte ab einem Grad der Behinderung von mindestens 30 %. Weiter wurden im Rahmen der Sozialauswahl sogenannte Altersgruppen gebildet.

Gruppe 1                bis 24 Jahre einschließlich

Gruppe 2                > 24                Jahre bis 34 Jahre einschließlich

Gruppe 3                > 34                Jahre bis 44 Jahre einschließlich

Gruppe 4                > 44                Jahre bis 54 Jahre einschließlich

Gruppe 5                > 54                Jahre

Wegen der weiteren Einzelheiten der Altersgruppenbildung wird auf BI. 66 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Interessenausgleich enthält eine Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter. Im Interessenausgleich wurde die Klägerin in die sogenannte Funktionsgruppe 4 und in die Altersgruppe 3 eingeordnet. Für die Klägerin errechnete die Beklagte nach dem dargestellten Punktesystem eine Gesamtpunktzahl von 57,12 Punkten. Wegen der Einzelheiten wird auf BI. 84 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.03.2007, welches die Klägerin am 30.03.2007 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2007. Darüber hinaus wurde die Klägerin mit Schreiben vom 30.03.2007 ab dem 02.04.2007 von der Beklagten widerruflich freigestellt.

Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit der beim Arbeitsgericht Bochum am 04.04.2007 eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin rügt die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung. Nach ihrem Arbeitsvertrag sei eine Tätigkeit als Feinwerkerin vereinbart gewesen (vgl. die Kopie des Arbeitsvertrages BI. 131 der Gerichtsakte). Sie sei bei den Rechtsvorgängern der Beklagten sowohl in der Produktion als auch als kaufmännische Hilfskraft im Rechnungswesen tätig gewesen. Sie sei daher auch mit den Arbeitnehmer aus der von der Beklagten gebildeten Funktionsgruppe 1, 2 und 5 vergleichbar. Wegen des weiteren Vortrags hinsichtlich ihrer bisherigen Tätigkeit wird auf BI. 116 f., 123 f. der Gerichtsakte sowie die Kopie des Zwischenzeugnisses vom 11.04.2007 (BI. 132 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Klägerin bestreitet den von der Beklagtenseite vorgetragenen Auftragsmangel. Weiter bestreitet die Klägerin, dass die bisherige Altersstruktur nach dem von der Beklagten vorgetragenen Personalanpassungsmaßnahmen erhalten geblieben wäre. Es lägen nicht die Voraussetzungen dafür vor, dass im Hinblick auf die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Sinne von § 1 Abs. 3 KSchG Teile der Belegschaft nicht mit in die Sozialauswahl einbezogen zu werden bräuchten.

Die Beklagte könne sich nicht auf die Erleichterung des § 1 Abs. 5 KSchG berufen. Dessen Voraussetzungen seien nämlich nicht erfüllt. Es liege nämlich dem Interessenausgleich keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG zugrunde. Wenn eine Betriebsänderung im reinen Personalabbau liege, seien als Erheblichkeitsgrenzen die Werte des § 17 Abs. 1 KSchG heranzuziehen. Die Beklagte trage selbst vor, dass die zahlenmäßigen Voraussetzungen einer Massenentlassung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG nicht vorlägen. Im Übrigen wäre der Interessenausgleich auch wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung unwirksam. Der Interessenausgleich lasse eine Begründung vermissen, warum gerade die Bildung von Altersgruppen für die wirtschaftliche Sanierung des Betriebes wichtig sein solle. Es werde auch in der Begründung nur auf das Alter selbst abgestellt, als stelle dies einen Makel dar. Da die Mehrzahl der Mitarbeiter der Beklagten zwischen 35 und 55 Jahre alt seien, könne die Beklagte für die nächsten 20 Jahre noch auf erfahrene Mitarbeiter zurückgreifen.

Da die Klägerin mit Arbeitnehmern aus der Funktionsgruppe 1, 2 und 5 vergleichbar sei, hätten vor ihr z. B. A. S. (55,67 Punkte), N. E. (43,32 Punkte) gekündigt werden müssen, die weniger Punkte als die Klägerin aufzuweisen hätten. Diese Mitarbeiterinnen hätten dann statt der Klägerin zur Kündigung angestanden, wenn eine Sozialauswahl stattgefunden hätte, die sich und über alle Altersgruppen hinweg erstreckt hätte.

Weiter bestreitet die Klägerin, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 29.03.2007 zum 31.07.2007 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen tatsächlich für die Dauer des Bestandsschutzverfahrens als Reparaturfrau weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG seien erfüllt. Es liege eine Betriebsänderung vor. Es seien 18 Arbeitsverhältnisse der 204 Mitarbeiter gekündigt worden. Darüber hinaus seien Teile der Fertigungsfläche und der Logistikfläche stillgelegt worden. Mitarbeiter seien räumlich an andere Arbeitsplätze umgesetzt worden. Schließlich sei auch die bisherige Organisationsstruktur des Betriebes geändert worden. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrags der Beklagtenseite wird auf die Seiten 5 - 7 des Schriftsatzes der Beklagtenseiten vom 01.08.2007 Bezug genommen.

Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Der aktuelle Personalbestand übersteige die Beschäftigungsmöglichkeiten der Beklagten. Diese habe nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens erneut einen dramatischen Umsatz- und Auftragseinbruch erlitten. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrages wird auf die Seiten 31, 32 der Gerichtsakte sowie die Seiten 1 - 5 des Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 01.08.2007 verwiesen.

Die Bildung der Altersgruppen sei erforderlich gewesen, da im vorliegenden Fall der Erhalt der bestehenden Altersstruktur von außerordentlich großem und dringendem betrieblichen Interesse gewesen sei. Bei den Vorgängerfirmen der Beklagten habe es mehrere Wellen von Personalanpassungen gegeben, die nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl, insbesondere ohne Altersgruppenbildung, durchgeführt worden seien. Dies habe dazu geführt, dass im Betrieb deutlich mehr ältere Arbeitnehmer beschäftigt seien, als es in vergleichbaren Betrieben der Fall sei. 64 % aller Mitarbeiter seien älter als 44 Jahre, die Altersgruppen 1 und 2 seien deutlich unterrepräsentiert. Die Durchführung der Restrukturierung nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl hätte dazu geführt, dass von den in den Altersgruppen 1 und 2 von 28 Mitarbeitern 18 hätten gekündigt werden müssen, so dass im Ergebnis nur noch 10 Mitarbeiter in den Altersgruppen 1 und 2 vorhanden gewesen wären. Eine derartige Verschiebung des Alters der Belegschaft widerspreche eindeutig den dringenden betrieblichen Interessen. Jedes Unternehmen sei darauf angewiesen, auch jüngere Mitarbeiter zu beschäftigen. Es gehe darum, die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern und qualifizierte Mitarbeiter selbst auszubilden und sie im Betrieb ihre Erfahrung machen zu lassen. Gerade bei Betrieben wie der Beklagten, die bereits eine statistisch ältere Belegschaft beschäftigten, als andere Vergleichsunternehmen, liege es im besonderen und dringenden betrieblichen Interesse, zumindest diese Altersstruktur zu erhalten und nicht weiter zu verschlechtern. Die vorliegende Altersgruppenbildung verstoße nicht gegen europarechtliche Diskriminierungsverbote.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

Aus den Gründen

I.          Die zulässige Klage ist begründet.

1.         Der Feststellungsantrag ist begründet, denn die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2007 ist gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.

Das Kündigungsschutzgesetz ist gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG anwendbar, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mehr als 6 Monate im Betrieb der Beklagten beschäftigt war und diese in der Regel mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigte.

Sozial gerechtfertigt ist eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden - worauf sich die Beklagte hier beruft -, so ist die Kündigung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Nach § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG ist die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen, wenn bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden solle, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Die Vermutungsbasis, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, hat dabei der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP zu § 111 BetrVG 1972, Namensliste Nr. 11; BAG vom 07.05.1998 - 2 AZR 55/98 - BAGE 88, 375). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG sind vorliegend nicht erfüllt. Ein freiwilliger Interessenausgleich außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 111, 112 BetrVG genügt nicht (Hohenstatt, NZA 1998, 846 (851); Kohte, BB 1998, 946 (949); Henssler / Willemsen / Kalb / Qecke, Arbeitsrechtkommentar, § 1 KSchG, Rn 420). Gegenstand des Interessenausgleichs mit Namensliste muss also eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG sein. Gegenstand des vorliegenden Interessenausgleichs mit Namensliste ist ausweislich des in Kopie eingereichten Exemplars nur die Frage des Personalabbaus. Sonstige mögliche Änderungen, etwa die von der Beklagtenseite behauptete Flächenstilllegung bzw. die Organisationsänderung sind nicht Gegenstand des von der Beklagtenseite in Kopie vorgelegten Interessenausgleichs mit Namensliste. Es finden sich in diesem Interessenausgleich nämlich keinerlei Hinweise auf die zuletzt von der Beklagtenseite vorgetragenen weiteren Änderungen.

Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gelten als Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG die Einschränkungen und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen. Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist. Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen in Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt - dort ist eine Betriebseinschränkung im Sinne des § 111 BetrVG erst bei einem Personalabbau von 5 % der Gesamtbelegschaft gegeben (BAG vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP zu § 112 BetrVG 1972, Namensliste Nr. 1; BAG vom 07.08.1990 - 1 AZR 445/89 - AP zu § 111 BetrVG 1972, Nr. 34; BAG vom 02.08.1983, 1 AZR 516/81 - BAGE 43, 222). Ob dagegen auch geringfügige Abweichungen von den Zahlenvorgaben des § 17 KSchG eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellen können, hat das BAG bislang nicht entschieden und offen gelassen (so auch in der Entscheidung BAG vom 07.08.1990 - 1 AZR 445/89 - a. a. O.).

Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG hat die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen. Die Beklagte hat zwar vorgetragen, dass von der Belegschaft mit 204 Beschäftigten (davon 8 Auszubildende) 18 Arbeitnehmer infolge des Interessenausgleichs gekündigt wurden, 3 Eigenkündigungen auch 6 Versetzungen, teilweise mit Änderungskündigungen erfolgt seien. Dies führt aber nicht dazu, dass vorliegend von einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgegangen werden konnte. Zwar kann eine Betriebsänderung auch in einem reinen Personalabbau bestehen. Doch nach Auffassung der erkennenden Kammer sind dann die Schwellenwerte des § 17 KSchG zu beachten. Diese sind vorliegend nicht erreicht, denn 18 Kündigungen entsprechen bei 204 Beschäftigten nicht 10 % der Belegschaft. Auch die 2 im Interessenausgleich mitgeteilten Eigenkündigungen können bei der Berechnung der Schwellenwerte nach § 17 KSchG nicht mitgerechnet werden, zwar sind Eigenkündigungen nach ganz überwiegender Auffassung bei Berechnung der Schwellenwerte mitzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber veranlasst sind (BAG vom 23.08.1988 - 1 AZR 276/87 - AP zu § 113 BetrVG 1972, Nr. 17). Dass und in welcher Weise die im Interessenausgleich mitgeteilten 2 Eigenkündigungen bzw. die von der Beklagten mitgeteilten insgesamt 3 Eigenkündigungen auf arbeitgeberseitiger Veranlassung vordem Hintergrund der beabsichtigten Personalanpassungen erfolgen, hat die Arbeitgeberin weder behauptet noch dargelegt. Demgemäß konnte vorliegend nicht von einer arbeitgeberseitigen Veranlassung der Eigenkündigung ausgegangen werden. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass die im Interessenausgleich mitgeteilten 2 Eigenkündigungen im Bereich der Berechnung der Abfindung keine Berücksichtigung fanden. Darüber hinaus sind im Interessenausgleich nur 2 Eigenkündigungen mitgeteilt, die auch dann, wenn diese den 18 Kündigungen der Beklagten hinzuzuzählen sein sollten, den Schwellenwert des § 17 KSchG nicht erreichen, weil dann mit 20 betroffenen Arbeitnehmern immer noch weniger als 10 % der Belegschaft von 204 Beschäftigten betroffen sind. Die von der Beklagten mitgeteilten Neubesetzungen / Versetzungen / Umsetzungen vermögen hieran ebenfalls nichts zu ändern, weil sie nur innerbetrieblich erfolgten und damit nicht zählen (Fitting / u. a., 22. Aufl. 2004, § 111 BetrVG, Rn 78; D/K/K, 9. Aufl. 2004, § 111 BetrVG, Rn 56 jeweils m. w. N.). Von einer Betriebsänderung, die Gegenstand des vorliegenden Interessenausgleichs mit Namensliste ist, war demnach nicht auszugehen. Die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG greifen daher nicht ein, so dass die streitgegenständliche Kündigung nach den herkömmlichen Grundsätzen zu bewerten ist.

Es kann dahinstehen, ob die vorliegende Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Sie ist nämlich jedenfalls gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt hat. Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Darlegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, zunächst dem Arbeitnehmer. Dabei gilt im Rahmen der Beweisführungslast eine abgestufte Darlegungslast (BAG vom 21.07.1988 - 2 AZR 75/88 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969, Soziale Auswahl). Zunächst ist es Sache des Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen. Soweit der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen und er den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz KSchG substantiiert auch im Prozess vorzutragen (BAG vom 21.12.1983 - 7 AZR 421/82 - AP Nr. 4 zu § 1 KSchG, Soziale Auswahl).

Im Streitfall ergibt sich aus dem wechselseitigen Vortrag der Parteien, dass die Klägerin mit der Mitarbeiterin N. E. (Gerätefertigung, vgl. BI. 79 der Gerichtsakte) vergleichbar ist. Die Klägerin hat eine solche Vergleichbarkeit substantiiert dargelegt. Ihr Arbeitsvertrag nennt eine Tätigkeit als Feinwerkerin. Sie hat vorgetragen, dass sie in der Vergangenheit u.a. auch in der Montage und Handbestückung tätig gewesen ist. Dies stimmt auch mit dem Inhalt ihres Zwischenzeugnisses überein. Diesen Vortrag der Klägerin hat die Beklagte nicht erheblich bestritten. Im Schriftsatz der Beklagten vom 01.08.2007 erwidert diese nämlich in Bezug auf die Arbeitnehmerin N. E., dass die Klägerin deshalb nicht vergleichbar sei, weil sie einer anderen Altersgruppe angehöre. Ein Vergleich mit den Funktionsgruppen helfe der Klägerin nicht weiter (vgl. BI. 144, 145 der Gerichtsakte). Dass die Klägerin mit der Arbeitnehmerin E. hinsichtlich ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit nicht vergleichbar sei, hat die Beklagte damit nicht im einzelnen dargelegt. Da die Klägerin mit der Arbeitnehmerin E. vergleichbar ist, erscheint die Sozialauswahl wegen der erheblichen Differenzen hinsichtlich der Sozialdaten und der errechneten Punktwerte als fehlerhaft.

Name

Geburtsdatum

Eintritt

Fam. Stand

Pkt.

Unterhalts-

verpflichtung

Sozialpunkte

Klägerin

0.8.12.1970

11.06.1990

Verh.

 

57,12

N.

E.

12.06.1980

23.09.2002

Verh.

12

43,32

Wegen der Einzelheiten hinsichtlich der Sozialdaten wird im Übrigen auf die Anlage B 10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 01.08.2007 Bezug genommen (vgl. BI. 152 ff. der Gerichtsakte).

Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite ist die Mitarbeiterin E. auch im Verhältnis zur Klägerin trotz der Altersgruppenbildung in die soziale Auswahl mit einzubeziehen. Diese Arbeitnehmerin ist nämlich nicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG deshalb von einer Sozialauswahl im Verhältnis zur Klägerin auszunehmen, weil ihre Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse der Beklagten liegt. Dies ist nämlich im Lichte des wechselseitigen Schriftsatzvortrags der Parteien nicht der Fall.

§ 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG erlaubt es dem Arbeitgeber, bei der Sozialauswahl bestimmte Arbeitnehmer nicht mit einzubeziehen, wenn deren Weiterbeschäftigung insbesondere zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen berechtigter betrieblicher Interessen an der Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber (BAG vom 28.03.1957 - AP § 1 KSchG Nr. 25; BAG vom 25.04.1985 - EzA § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35; BAG vom 23.11.2000 - EzA § 1 KSchG, Soziale Auswahl Nr. 46).

Der Begriff „Personalstruktur" geht über den Begriff „Altersstruktur" hinaus (BAG vom 28.08.2003 - EzA § 125 Ins0 Nr. 1). Unter Personalstruktur ist die Zusammensetzung der Belegschaft nach bestimmten Eigenschaften zu verstehen, z. B. nach Alter, nach der Leistung, nach bestimmten Verhaltensweisen (Pflichtverletzung), nach Fehlzeit oder nach dem Geschlecht (KR-Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 642). Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe die gleiche Prozentzahl für Kündigungen vorsehen. Innerhalb der Gruppen ist dann die Sozialauswahl vorzunehmen. Der Arbeitgeber hat bei der Gruppenbildung einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG vom 20.04.2005, EzA § 1 KSchG, Soziale Auswahl Nr. 60; KR-Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 644). Nach § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG kann der Arbeitgeber bestimmte Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, von der Sozialauswahl ausnehmen. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Art der Personalstruktur zu benennen, die er aufrechterhalten will und die Kriterien für die Bildung von Gruppen zur Sicherung der entsprechenden Personalstruktur aufzustellen. Diese Entscheidungen des Arbeitgebers sind daraufhin überprüfbar, ob sie im berechtigten betrieblichen Interesse liegen, d. h., ob die Sicherung der vom Arbeitgeber benannten Personalstruktur dem Betrieb einen nicht unerheblichen Vorteil bringt (KR / Griebelling, B. Aufl, § 1 KSchG, Rn 651). Ob ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden (BAG vom 20.04.2005 - 2 AZR 201/04 - JURIS). Es gehört zum schlüssigen Sachvortrag des Arbeitgebers, im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach dem Maßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auswählen würde (BAG, a. a. O.; KR / Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 655). Es ist inhaltlich konkret darzulegen, welche betrieblichen Umstände eine andere als die sich aus der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ergebende, verbleibende Personalstruktur, die auch eine Altersstruktur beinhalten kann, erfordern (Pakirnus, DB 2006, 2742, 2744; Däubler, NZA 2004, 177, 182; a. A. Thüsing / Wege, RdA 2005, 12, 24).

Die so beschriebenen Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag der Arbeitgeberseite im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG sind nicht erfüllt. Die Beklagtenseite hat im Wesentlichen argumentiert, dass die Durchführung der vorliegenden Personalabbaumaßnahme nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl dazu geführt hätte, dass in den Altersgruppen 1 und 2 von den 28 Mitarbeitern 18 hätten gekündigt werden müssen, so dass im Ergebnis nur noch 10 Mitarbeiter in den Altersgruppen 1 und 2 vorhanden gewesen wären. Eine derartige Verschiebung des Alters der Belegschaft, so die Beklagte, widerspreche eindeutig den dringenden betrieblichen Interessen. Jedes Unternehmen sei darauf angewiesen, auch jüngere Mitarbeiter zu beschäftigen, wobei es nicht darauf ankomme, ob diese leistungsstärker seien. Es gehe darum, die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern und qualifizierte Mitarbeiter selbst auszubilden und sie im Betrieb ihre Erfahrungen machen zu lassen. Damit begründet die Beklagte nach Sicht der Kammer die Altersgruppenbildung im Wesentlichen lediglich damit, dass ohne die Bildung der Altersgruppen sich das durchschnittliche Lebensalter der Beschäftigten erhöhen würde und insbesondere in den unteren Altersgruppen überproportional viele Arbeitnehmer hätten gekündigt werden müssen. Die weitere pauschale Behauptung der Beklagten, dass damit die langfristige Existenz des Unternehmens gefährdet werde (vgl. etwa BI. 67 der Gerichtsakte), erscheint insoweit jedoch nicht im Einzelnen nachvollziehbar. Die Mehrzahl der Mitarbeiter ist zwischen 35 und 55 Jahre alt, so dass die Beklagte auch für die nächsten Jahre noch auf erfahrene Mitarbeiter zurückgreifen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers wegen Erreichens des Rentenalters diesen nicht durch eine neue Arbeitskraft ersetzen könnte, die in angemessener Zeit angelernt werden kann. Es droht auch kein Know-how-Verlust in den nächsten Jahren. Zum Einen dürften auch die älteren Arbeitnehmer nicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt das Rentenalter gleichzeitig erreichen, sondern in zeitlichen Abständen nacheinander ausscheiden. Zum Anderen dürfte das für die Tätigkeiten in der Produktion erforderliche Know-how in einer überschaubaren Zeit auch von einer neuen Arbeitskraft erlernt werden können. Die Argumente der Beklagten stellen sich daher nach Ansicht der Kammer im Wesentlichen als rein statistisch und von formaler Natur dar. Welche konkreten Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung für die Beklagte entstehen würden, hat diese nicht im Einzelnen dargelegt.

2.         Da der Kündigungsschutzantrag Erfolg hat, ist die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens folgt aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB. Den Arbeitgeber trifft die vertragliche Nebenpflicht, den Arbeitnehmer tatsächlich zu beschäftigen. Wird in einem erstinstanzlichen Urteil festgestellt, dass eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, so überwiegt das Weiterbeschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer aufgrund - der für unwirksam erklärten Kündigung - nicht weiter beschäftigen zu müssen. Dies entspricht den Grundsätzen, die der große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.02.1985 (GS 1/84 - AP zu § 611 BGB, Beschäftigungspflicht Nr. 14) aufgestellt hat. Für eine davon abweichende Beurteilung der Interessenlage fehlt es an Hinweisen an dem Sachvortrag der Parteien. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin ist für die Beklagte möglich und zumutbar.

II.         Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Beklagte unterliegt, muss sie die Kosten tragen.

III.         Den Wert des Streitgegenstandes hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Die Wertfestsetzung erfolgte dabei nach §§ 42 Abs. 4 GKG, 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag wurden 3 Bruttomonatsvergütungen und für den Weiterbeschäftigungsantrag 2 Bruttomonatsvergütungen der Klägerin zugrundegelegt. Das Gericht ist von einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdient von 1.950,00 € ausgegangen. Zwar hat die Beklagte im

Schriftsatz vom 29.06.2007 vorgetragen, das durchschnittliche Monatseinkommen der Klägerin betrage lediglich 1.637,46 €. Daraufhin hat jedoch die Klägerseite mit Schriftsatz vom 20.07.2007 konkret erwidert, dass beispielsweise im Januar 2007 der Bruttomonatslohn 1.952,69 € und im Februar 2007 1.937,23 € betragen habe. Auf diesen Vortrag erfolgte kein weiterer Vortrag der Beklagtenseite. Daher ist das Gericht entsprechend §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 138 Abs. 2, Abs. 3 ZPO davon ausgegangen, dass im Rechtssinne unstreitig ein Monatsverdienst von durchschnittlich ca. 1.950,00 € vorliegt.

ArbG Bochum, Urteil vom 2.8.2007 - 3 Ca 828/07

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen ordentlichen Kündigung vom 29.03.2007 sowie über einen Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin.

Die am 30.08.1952 geborene, verheiratete Klägerin ist seit dem 11 08.1975 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen zuletzt als Handbestückerin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt von zuletzt 1.875,00 € beschäftigt.

Die Beklagte ist ein metallverarbeitendes Unternehmen. In der Vergangenheit hat es bereits mehrere Personalanpassungsmaßnahmen gegeben. Im Jahre 2005 wurde über das Vermögen der Vorgängergesellschaft der Beklagten das Insolvenzverfahren eröffnet. Der Betrieb wurde während des Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter weitergeführt. Mit Wirkung zum 01.09.2006 wurde die Beklagte gegründet und hat vom Insolvenzverwalter der Vorgängergesellschaft den Geschäftsbetrieb der in der Insolvenz befindlichen V. übernommen. Im Laufe des Insolvenzverfahrens hatte der Verwalter eine Personalanpassungsmaßnahme durchgeführt.

Zum Zeitpunkt der Kündigung beschäftigte die Beklagte 204 Arbeitnehmer, davon 8 Auszubildende.

Im März 2007 trafen die geschäftsführenden Gesellschafter der Beklagten die Entscheidung, eine erneute Personalanpassung vorzunehmen, um den Personalbestand der Auftragslage anzupassen. Unter dem 28.03.2007 schloss die Beklagte mit ihrem Betriebsrat einen Interessenausgleich und Sozialplan. Wegen der Einzelheiten wird auf die Kopie BI. 41 - 111 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Interessenausgleich und Sozialplan vom 28.03.2007 enthält Kriterien und Informationen zur Durchführung der Sozialauswahl (vgl. BI. 61 f. der Gerichtsakte). Es wurden zunächst die Kriterien Lebensalter, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Berücksichtigung von Unterhaltspflichten sowie Schwerbehinderung zugrundegelegt.

Zur Bestimmung der vergleichbaren Arbeitnehmer wurden zunächst Betriebsbereiche gebildet (wegen der Einzelheiten vgl. BI. 33, 34 der Gerichtsakte), sodann wurden in den einzelnen Betriebsbereichen Funktionsgruppen gebildet (vgl. BI. 73 f. der Gerichtsakte). Mit dem Betriebsrat wurde im Rahmen des Interessenausgleichs und Sozialplans ein Punktesystem entwickelt, mit Hilfe dessen die Sozialauswahl strukturiert werden sollte. Für jedes Lebensjahr wurde 1 Punkt vergeben, wobei angefangene Jahre mit 2 Nachkommastellen errechnet und sodann kaufmännisch gerundet wurden. Die Berechnung erfolgte zum Stichtag 01.04.2007.- Die Dauer der Betriebszugehörigkeit nach Jahren und Monaten wurde taggenau ermittelt und kaufmännisch gerundet auf eine Zahl mit 2 Nachkommastellen zum Stichtag. Für Unterhaltspflichten wurden 4 Punkte berücksichtigt (wegen der Einzelheiten wird auf BI. 64 der Gerichtsakte verwiesen). Eine Schwerbehinderung wurde mit dem 10. Teil des festgestellten Grades der Behinderung als Punktzahl im Rahmen der Sozialbepunktung berücksichtigt, wenn der Grad der Behinderung bei mindestens 50 % lag. Bei Gleichgestellten galt das Gesagte ab einem Grad der Behinderung von mindestens 30 %. Weiter wurden im Rahmen der Sozialauswahl sogenannte Altersgruppen gebildet.

Gruppe 1                bis 24 Jahre einschließlich

Gruppe 2                > 24                Jahre bis 34 Jahre einschließlich

Gruppe 3                > 34                Jahre bis 44 Jahre einschließlich

Gruppe 4                > 44                Jahre bis 54 Jahre einschließlich

Gruppe 5                > 54                Jahre

Wegen der weiteren Einzelheiten der Altersgruppenbildung wird auf Bl. 66 der Gerichtsakte Bezug genommen. Der Interessenausgleich enthält eine Namensliste der zu kündigenden Mitarbeiter. Im Interessenausgleich wurde die Klägerin in die sogenannte Funktionsgruppe 1, 2 und 5 und in die Altersgruppe 5 eingeordnet. Die Beklagte hat sie entsprechend mit anderen Arbeitnehmern bzw. Arbeitnehmerinnen aus der Altersgruppe 5 der Funktionsgruppe 1, 2 und 5 verglichen. Für die Klägerin errechnete die Beklagte nach dem dargestellten Punktesystem eine Gesamtpunktzahl von 86,23 Punkten. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 83 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 29.03.2007, welches die Klägerin am 30.03.2007 erhielt, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2007. Darüber hinaus wurde die Klägerin mit Schreiben vom 30.03.2007 ab dem 02.04.2007 von der Beklagten widerruflich freigestellt.

Gegen diese Kündigung wehrt sich die Klägerin mit der beim Arbeitsgericht Bochum am 04.04.2007 eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Die Klägerin rügt die soziale Rechtfertigung der ausgesprochenen Kündigung. Wegen des Vortrags hinsichtlich ihrer bisherigen Tätigkeit wird auf BI. 116 der Gerichtsakte sowie die Kopie des Zwischenzeugnisses vom 25.04.2007 (BI. 131, 132 der Gerichtsakte) Bezug genommen. Die Klägerin bestreitet den von der Beklagtenseite vorgetragenen Auftragsmangel. Weiter bestreitet die Klägerin, dass die bisherige Altersstruktur nach dem von der Beklagten vorgetragenen Personalanpassungsmaßnahmen erhalten geblieben wäre. Es lägen nicht die Voraussetzungen dafür vor, dass im Hinblick auf die Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur im Sinne von § 1 Abs. 3 KSchG Teile der Belegschaft nicht mit in die Sozialauswahl einbezogen zu werden bräuchten.

Die Beklagte könne sich nicht auf die Erleichterung des § 1 Abs. 5 KSchG berufen. Dessen Voraussetzungen seien nämlich nicht erfüllt. Es liege nämlich dem Interessenausgleich keine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG zugrunde. Wenn eine Betriebsänderung im reinen Personalabbau liege, seien als Erheblichkeitsgrenzen die Werte des § 17 Abs. 1 KSchG heranzuziehen. Die Beklagte trage selbst vor, dass die zahlenmäßigen Voraussetzungen einer Massenentlassung gemäß § 17 Abs. 1 KSchG nicht vorlägen. Im Übrigen wäre der Interessenausgleich auch wegen Verstoßes gegen das Verbot der Altersdiskriminierung unwirksam. Der Interessenausgleich lasse eine Begründung vermissen, warum gerade die Bildung von Altersgruppen für die wirtschaftliche Sanierung des Betriebes wichtig sein solle. Es werde auch in der Begründung nur auf das Alter selbst abgestellt, als stelle dies einen Makel dar. Da die Mehrzahl der Mitarbeiter der Beklagten zwischen 35 und 55 Jahre alt seien, könne die Beklagte für die nächsten 20 Jahre noch auf erfahrene Mitarbeiter zurückgreifen. Die Klägerin sei 54 Jahre alt. Sie sei allein wegen der durchgeführten Sozialauswahl in Altersgruppen gekündigt worden. Sie verfüge über 86,23 Punkte. In ihrer Funktionsgruppe hätten z. B. A. S. (55,67 Punkte), N. E. (43,32 Punkte), S. M. (63,17 Punkte) deutlich weniger Punkte aufzuweisen. Diese Mitarbeiterinnen hätten dann statt der Klägerin zur Kündigung angestanden, wenn eine Sozialauswahl stattgefunden hätte, die sich über den gesamten Funktionsbereich der Klägerin und über alle Altersgruppen hinweg erstreckt hätte.

Weiter bestreitet die Klägerin, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört wurde.

Die Klägerin beantragt zuletzt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 29.03.2007 zum 31.07.2007 nicht aufgelöst worden ist;

2. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten Arbeitsbedingungen tatsächlich für die Dauer des Bestandsschutzverfahrens als Handbestückerin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG seien erfüllt. Es liege eine Betriebsänderung vor. Es seien 18 Arbeitsverhältnisse der 204 Mitarbeiter gekündigt worden. Darüber hinaus seien Teile der Fertigungsfläche und der Logistikfläche stillgelegt worden. Mitarbeiter seien räumlich an andere Arbeitsplätze umgesetzt worden. Schließlich sei auch die bisherige Organisationsstruktur des Betriebes geändert worden. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrags der Beklagtenseite wird auf die Seiten 5 - 7 des Schriftsatzes der Beklagtenseiten vom 31.07.2007 Bezug genommen.

Die Kündigung sei durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt. Der aktuelle Personalbestand übersteige die Beschäftigungsmöglichkeiten der Beklagten. Diese habe nach dem Abschluss des Insolvenzverfahrens erneut einen dramatischen Umsatz- und Auftragseinbruch erlitten. Wegen der Einzelheiten des diesbezüglichen Vortrages wird auf die Seiten 31, 32 der Gerichtsakte sowie die Seiten 1 - 5 des Schriftsatzes der Beklagtenseite vom 31.07.2007 verwiesen.

Die Bildung der Altersgruppen sei erforderlich gewesen, da im vorliegenden Fall der Erhalt der bestehenden Altersstruktur von außerordentlich großem und dringendem betrieblichen Interesse gewesen sei. Bei den Vorgängerfirmen der Beklagten habe es mehrere Wellen von Personalanpassungen gegeben, die nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl, insbesondere ohne Altersgruppenbildung, durchgeführt worden seien. Dies habe dazu geführt, dass im Betrieb deutlich mehr ältere Arbeitnehmer beschäftigt seien, als es in vergleichbaren Betrieben der Fall sei. 64 % aller Mitarbeiter seien älter als 44 Jahre, die Altersgruppen 1 und 2 seien deutlich unterrepräsentiert. Die Durchführung der Restrukturierung nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl hätte dazu geführt, dass von den in den Altersgruppen 1 und 2 von 28 Mitarbeitern 18 hätten gekündigt werden müssen, so dass im Ergebnis nur noch 10 Mitarbeiter in den Altersgruppen 1 und 2 vorhanden gewesen wären. Eine derartige Verschiebung des Alters der Belegschaft widerspreche eindeutig den dringenden betrieblichen Interessen. Jedes Unternehmen sei darauf angewiesen, auch jüngere Mitarbeiter zu beschäftigen. Es gehe darum, die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern und qualifizierte Mitarbeiter selbst auszubilden und sie im Betrieb ihre Erfahrung machen zu lassen. Gerade bei Betrieben wie der Beklagten, die bereits eine statistisch ältere Belegschaft beschäftigten, als andere Vergleichsunternehmen, liege es im besonderen und dringenden betrieblichen Interesse, zumindest diese Altersstruktur zu erhalten und nicht weiter zu verschlechtern. Die vorliegende Altersgruppenbildung verstoße nicht gegen europarechtliche Diskriminierungsverbote.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Terminsprotokolle Bezug genommen.

Aus den Gründen

I.          Die zulässige Klage ist begründet.

1. Der Feststellungsantrag ist begründet, denn die Kündigung der Beklagten vom 29.03.2007 ist gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt und damit unwirksam.

Das Kündigungsschutzgesetz ist gemäß §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG anwendbar, da die Klägerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mehr als 6 Monate im Betrieb der Beklagten beschäftigt war und diese in der Regel mehr als 10 vollzeitbeschäftigte Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden beschäftigte.

Sozial gerechtfertigt ist eine ordentliche Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, wenn sie durch Gründe, die in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegen oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist. Ist einem Arbeitnehmer aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gekündigt worden - worauf sich die Beklagte hier beruft -, so ist die Kündigung gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG trotzdem sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat.

Nach § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG ist die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit zu überprüfen, wenn bei einer Kündigung aufgrund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG die Arbeitnehmer, denen gekündigt werden solle, in einem Interessenausgleich zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat namentlich bezeichnet sind. Die Vermutungsbasis, dass eine Betriebsänderung nach § 111 BetrVG vorlag und für die Kündigung des Arbeitnehmers kausal war und dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß in einem Interessenausgleich benannt ist, hat dabei der Arbeitgeber substantiiert darzulegen und ggf. zu beweisen (BAG vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP zu § 111 BetrVG 1972, Namensliste Nr. 11; BAG vom 07.05.1998 - 2 AZR 55/98 - BAGE 88, 375). Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG sind vorliegend nicht erfüllt. Ein freiwilliger Interessenausgleich außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 111, 112 BetrVG genügt nicht (Hohenstatt, NZA 1998, 846 (851); Kohte, BB 1998, 946 (949); Henssler / Willemsen / Kalb / Qecke, Arbeitsrechtkommentar, § 1 KSchG, Rn 420). Gegenstand des Interessenausgleichs mit Namensliste muss also eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG sein. Gegenstand des vorliegenden Interessenausgleichs mit Namensliste ist ausweislich des in Kopie eingereichten Exemplars nur die Frage des Personalabbaus. Sonstige mögliche Änderungen, etwa die von der Beklagtenseite behauptete Flächenstilllegung bzw. die Organisationsänderung sind nicht Gegenstand des von der Beklagtenseite in Kopie vorgelegten Interessenausgleichs mit Namensliste. Es finden sich in diesem Interessenausgleich nämlich keinerlei Hinweise auf die zuletzt von der Bekiagtenseite vorgetragenen weiteren Änderungen.

Nach § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG gelten als Betriebsänderung im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG die Einschränkungen und Stilllegung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen. Auch ein bloßer Personalabbau ohne Verringerung der sächlichen Betriebsmittel kann eine Betriebseinschränkung sein, wenn eine größere Anzahl von Arbeitnehmern betroffen ist, Richtschnur dafür, wann erhebliche Teile der Belegschaft betroffen sind, sind die Zahlen in Prozentangaben in § 17 Abs. 1 KSchG. Für Großbetriebe wird diese Staffel eingeschränkt - dort ist eine Betriebseinschränkung im Sinne des § 111 BetrVG erst bei einem Personalabbau von 5 % der Gesamtbelegschaft gegeben (BAG vom 22.01.2004 - 2 AZR 111/02 - AP zu § 112 BetrVG 1972, Namensliste Nr. 1; BAG vom 07.08.1990 - 1 AZR 445/89 - AP zu § 111 BetrVG 1972, Nr. 34; BAG vom 02.08.1983, 1 AZR 516/81 - BAGE 43, 222). Ob dagegen auch geringfügige Abweichungen von den Zahlenvorgaben des § 17 KSchG eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellen können, hat das BAG bislang nicht entschieden und offen gelassen (so auch in der Entscheidung BAG vom 07.08.1990 - 1 AZR 445/89 - a. a. O.).

Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG hat die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht vorgetragen. Die Beklagte hat zwar vorgetragen, dass von der Belegschaft mit 204 Beschäftigten, (davon 8 Auszubildende) 18 Arbeitnehmer infolge des Interessenausgleichs gekündigt wurden, 3 Eigenkündigungen auch 6 Versetzungen, teilweise mit Änderungskündigungen erfolgt seien. Dies führt aber nicht dazu, dass vorliegend von einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG ausgegangen werden konnte. Zwar kann eine Betriebsänderung auch in einem reinen Personalabbau bestehen. Doch nach Auffassung der erkennenden Kammer sind dann die Schwellenwerte des § 17 KSchG zu beachten. Diese sind vorliegend nicht erreicht, denn 18 Kündigungen entsprechen bei 204 Beschäftigten nicht 10 % der Belegschaft. Auch die 2 im Interessenausgleich mitgeteilten Eigenkündigungen können bei der Berechnung der Schwellenwerte nach § 17 KSchG nicht mitgerechnet werden, zwar sind Eigenkündigungen nach ganz überwiegender Auffassung bei Berechnung der Schwellenwerte mitzurechnen, wenn sie vom Arbeitgeber veranlasst sind (BAG vom 23.08.1988 - 1 AZR 276/87 - AP zu § 113 BetrVG 1972, Nr. 17). Dass und in welcher Weise die im Interessenausgleich mitgeteilten 2 Eigenkündigungen bzw. die von der Beklagten mitgeteilten insgesamt 3 Eigenkündigungen auf arbeitgeberseitiger Veranlassung vor dem Hintergrund der beabsichtigten Personalanpassungen erfolgen, hat die Arbeitgeberin weder behauptet noch dargelegt. Demgemäß konnte vorliegend nicht von einer arbeitgeberseitigen Veranlassung der Eigenkündigung ausgegangen werden. Für dieses Ergebnis spricht auch, dass die im Interessenausgleich mitgeteilten 2 Eigenkündigungen im Bereich der Berechnung der Abfindung keine Berücksichtigung fanden. Darüber hinaus sind im Interessenausgleich nur 2 Eigenkündigungen mitgeteilt, die auch dann, wenn diese den 18 Kündigungen der Beklagten hinzuzuzählen sein sollten, den Schwellenwert des § 17 KSchG nicht erreichen, weil dann mit 20 betroffenen Arbeitnehmern immer noch weniger als 10 % der Belegschaft von 204 Beschäftigten betroffen sind. Die von der Beklagten mitgeteilten Neubesetzungen / Versetzungen / Umsetzungen vermögen hieran ebenfalls nichts zu ändern, weil sie nur innerbetrieblich erfolgten und damit nicht zählen (Fitting / u. a., 22. Aufl. 2004, § 111 BetrVG, Rn 78; D/K/K, 9. Aufl. 2004, § 111 BetrVG, Rn 56 jeweils m. w. N.). Von einer Betriebsänderung, die Gegenstand des vorliegenden Interessenausgleichs mit Namensliste ist, war demnach nicht auszugehen. Die Rechtsfolgen des § 1 Abs. 5 Satz 1, Satz 2 KSchG greifen daher nicht ein, so dass die streitgegenständliche Kündigung nach den herkömmlichen Grundsätzen zu bewerten ist.

Es kann dahinstehen, ob die vorliegende Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist. Sie ist nämlich jedenfalls gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, weil die Beklagte bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter und die Unterhaltspflichten der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt hat. Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG obliegt die Dariegungs- und objektive Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Unrichtigkeit der Sozialauswahl ergibt, zunächst dem Arbeitnehmer. Dabei gilt im Rahmen der Beweisführungslast eine abgestufte Dariegungslast (BAG vom 21.07.1988 - 2 AZR 75/88 - AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969, Soziale Auswahl). Zunächst ist es Sache des Arbeitnehmers, die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl darzulegen. Soweit der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, zur sozialen Auswahl Stellung zu nehmen und er den Arbeitgeber zur Mitteilung der Gründe auffordert, die ihn zu der Auswahl veranlasst haben, hat der Arbeitgeber als Folge seiner materiellen Auskunftspflicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz KSchG substantiiert auch im Prozess vorzutragen (BAG vom 21.12.1983 - 7 AZR 421/82 - AP Nr. 4 zu § 1 KSchG, Soziale Auswahl).

Im Streitfall ergibt der Vortrag der Klägerin, dass sie unter anderem die unstreitig bestehende Vergleichbarkeit mit den Mitarbeitern A. S., N. E. und S. M. sowie die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl im Verhältnis zu diesem für sich reklamierte. Dieser Vortrag ist angesichts der nachfolgenden, unstreitigen Sozialdaten der betroffenen Personen für sich genommen schlüssig.

Name

Geburtsdatum

Eintritt

Fa.

Stand

Pkt.

Unterhalts-verpflichtung

Sozialpunkte

Klägerin

30.08.1952

11.08.1975

Verh.

0

86,23

A.

S.

30.01.1975

01.10.1995

nv

12

55,67

N.

E.

12.06.1980

23.09.2002

Verh.

12

43,32

S.

M.

18.02.1966

14.3.1985

nv

0

63,17

Wegen der Einzelheiten hinsichtlich der Sozialdaten wird im Übrigen auf die Anlage B 10 zum Schriftsatz der Beklagten vom 31.07.2007 Bezug genommen (vgl. Bl. 156 ff. der Gerichtsakte). Angesichts der drastisch größeren Differenz zwischen den Sozialdaten und Punktwerten der Klägerin und den von ihr benannten ungekündigten Arbeitnehmern ist die Sozialauswahl fehlerhaft.

Entgegen der Ansicht der Beklagtenseite sind die von der Klägerin genannten Arbeitnehmer auch im Verhältnis zur Klägerin in die soziale Auswahl mit einzubeziehen. Diese Arbeitnehmer sind nämlich nicht gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG deshalb von einer Sozialauswahl im Verhältnis zur Klägerin auszunehmen, weil ihre Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse der Beklagten liegt. Dies ist nämlich im Lichte des wechselseitigen Schriftsatzvortrags der Parteien nicht der Fall.

§ 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG erlaubt es, dem Arbeitgeber bei der Sozialauswahl bestimmte Arbeitnehmer nicht mit einzubeziehen, wenn deren Weiterbeschäftigung insbesondere zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen berechtigter betrieblicher Interessen an der Weiterbeschäftigung bestimmter Arbeitnehmer ist der Arbeitgeber (BAG vom 28.03.1957 - AP § 1 KSchG Nr. 25; BAG vom 25.04.1985 - EzA § 1 KSchG, Betriebsbedingte Kündigung Nr. 35; BAG vom 23.11.2000 - EzA § 1 KSchG, Soziale Auswahl Nr. 46).

Der Begriff „Personalstruktur" geht über den Begriff „Altersstruktur" hinaus (BAG vom 28.08.2003 - EzA § 125 Ins0 Nr. 1). Unter Personalstruktur ist die Zusammensetzung der Belegschaft nach bestimmten Eigenschaften zu verstehen, z. B. nach Alter, nach der Leistung, nach bestimmten Verhaltensweisen (Pflichtverletzung), nach Fehlzeit oder nach dem Geschlecht (KR-Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 642). Der Arbeitgeber kann zur Erhaltung einer bestimmten Personalstruktur innerhalb des in Betracht kommenden Personenkreises abstrakte Gruppen mit unterschiedlichen Strukturmerkmalen bilden und aus jeder Gruppe die gleiche Prozentzahl für Kündigungen vorsehen. Innerhalb der Gruppen ist dann die Sozialauswahl vorzunehmen. Der Arbeitgeber hat bei der Gruppenbildung einen gewissen Beurteilungsspielraum (BAG vom 20.04.2005, EzA § 1 KSchG, Soziale Auswahl Nr. 60; KR-Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 644). Nach § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG kann der Arbeitgeber bestimmte Arbeitnehmer, deren Weiterbeschäftigung zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur des Betriebes im berechtigten betrieblichen Interesse liegt, von der Sozialauswahl ausnehmen. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Art der Personalstruktur zu benennen, die er aufrechterhalten will und die Kriterien für die Bildung von Gruppen zur Sicherung der entsprechenden Personalstruktur aufzustellen. Diese Entscheidungen des Arbeitgebers sind daraufhin überprüfbar, ob sie im berechtigten betrieblichen Interesse liegen, d. h., ob die Sicherung der vom Arbeitgeber benannten Personalstruktur dem Betrieb einen nicht unerheblichen Vorteil bringt (KR / Griebelling, B. Aufl, § 1 KSchG, Rn 651). Ob ein berechtigtes betriebliches Bedürfnis am Erhalt einer ausgewogenen Altersstruktur besteht, ist im Hinblick auf die speziellen Betriebszwecke und ggf. deren Umsetzung zu entscheiden (BAG vom 20.04.2005 - 2 AZR 201/04 - JURIS). Es gehört zum schlüssigen Sachvortrag des Arbeitgebers, im Einzelnen darzulegen, welche konkreten Nachteile sich ergeben würden, wenn er die zu kündigenden Arbeitnehmer allein nach dem Maßstab des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG auswählen würde (BAG, a. a. O.; KR / Griebeling, B. Aufl., § 1 KSchG, Rn 655). Es ist inhaltlich konkret darzulegen, welche betrieblichen Umstände eine andere als die sich aus der Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG ergebende, verbleibende Personalstruktur, die auch eine Altersstruktur beinhalten kann, erfordern (Pakirnus, DB 2006, 2742, 2744; Däubler, NZA 2004, 177, 182; a. A. Thüsing / Wege, RdA 2005, 12, 24).

Die so beschriebenen Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag der Arbeitgeberseite im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall KSchG sind nicht erfüllt. Die Beklagtenseite hat im Wesentlichen argumentiert, dass die Durchführung der vorliegenden Personalabbaumaßnahme nach den klassischen Methoden der Sozialauswahl dazu geführt hätte, dass von den in den Altersgruppen 1 und 2 von den 28 Mitarbeitern 18 hätten gekündigt werden müssen, so dass im Ergebnis nur noch 10 Mitarbeiter in den Altersgruppen 1 und 2 vorhanden gewesen wären. Eine derartige Verschiebung des Alters der Belegschaft, so die Beklagte, widerspreche eindeutig den dringenden betrieblichen Interessen. Jedes Unternehmen sei darauf angewiesen, auch jüngere Mitarbeiter zu beschäftigen, wobei es nicht darauf ankomme, ob diese leistungsstärker seien. Es gehe darum, die langfristige Existenz des Unternehmens zu sichern und qualifizierte Mitarbeiter selbst auszubilden und sie im Betrieb ihre Erfahrungen machen zu lassen. Damit begründet die Beklagte nach Sicht der Kammer die Altersgruppenbildung im Wesentlichen lediglich damit, dass ohne die Bildung der Altersgruppen sich das durchschnittliche Lebensalter der Beschäftigten erhöhen würde und insbesondere in den unteren Altersgruppen überproportional viele Arbeitnehmer hätten gekündigt werden müssen. Die weitere pauschale Behauptung der Beklagten, dass damit die langfristige Existenz des Unternehmens gefährdet werde (vgl. etwa BI. 67 der Gerichtsakte), erscheint insoweit jedoch nicht im Einzelnen nachvollziehbar. Die Mehrzahl der Mitarbeiter ist zwischen 35 und 55 Jahre alt, so dass die Beklagte auch für die nächsten Jahre noch auf erfahrene Mitarbeiter zurückgreifen kann. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte bei Ausscheiden eines älteren Arbeitnehmers wegen Erreichens des Rentenalters diesen nicht durch eine neue Arbeitskraft ersetzen könnte, die in angemessener Zeit angelernt werden kann. Es droht auch kein Know-how-Verlust in den nächsten Jahren. Zum Einen dürften auch die älteren Arbeitnehmer nicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt das Rentenalter gleichzeitig erreichen, sondern in zeitlichen Abständen nacheinander ausscheiden. Zum Anderen dürfte das für die Tätigkeiten in der Produktion erforderliche Know-how in einer überschaubaren Zeit auch von einer neuen Arbeitskraft erlernt werden können. Die Argumente der Beklagten stellen sich daher nach Ansicht der Kammer im Wesentlichen als rein statistisch und von formaler Natur dar. Welche konkreten Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen bei einer Sozialauswahl ohne Altersgruppenbildung für die Beklagte entstehen würden, hat diese nicht im Einzelnen dargelegt.

2.         Da der Kündigungsschutzantrag Erfolg hat, ist die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet.

Der Weiterbeschäftigungsanspruch der Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Bestandsschutzverfahrens folgt aus dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB. Den Arbeitgeber trifft die vertragliche Nebenpflicht, den Arbeitnehmer tatsächlich zu beschäftigen. Wird in einem erstinstanzlichen Urteil festgestellt, dass eine vom Arbeitgeber ausgesprochene Kündigung unwirksam ist, so überwiegt das Weiterbeschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer aufgrund - der für unwirksam erklärten Kündigung - nicht weiter beschäftigen zu müssen. Dies entspricht den Grundsätzen, die der große Senat des Bundesarbeitsgerichts in seiner Entscheidung vom 27.02.1985 (GS 1/84 - AP zu § 611 BGB, Beschäftigungspflicht Nr. 14) aufgestellt hat. Für eine davon abweichende Beurteilung der Interessenlage fehlt es an Hinweisen an dem Sachvortrag der Parteien. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin ist für die Beklagte möglich und zumutbar.

II.         Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Da die Beklagte unterliegt, muss sie die Kosten tragen.

III.         Den Wert des Streitgegenstandes hat das Gericht gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festgesetzt. Die Wertfestsetzung erfolgte dabei nach §§ 42 Abs. 4 GKG, 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag wurden 3 Bruttomonatsvergütungen und für den Weiterbeschäftigungsantrag 2 Bruttomonatsvergütungen der Klägerin zugrundegelegt. Das Gericht ist von einem durchschnittlichen Bruttomonatsverdient von 1.875,00 € ausgegangen. Zwar hat die Beklagte im Schriftsatz vom 29.06.2007 vorgetragen, das durchschnittliche Monatseinkommen der Klägerin betrage lediglich 1.591,44 €. Daraufhin hat jedoch die Klägerseite mit Schriftsatz vom 20.07.2007 konkret erwidert, dass beispielsweise im Januar 2007 der Bruttomonatslohn 1.875,93 € und im Februar 2007 1.854,35 € betragen habe. Auf diesen Vortrag erfolgte kein weiterer Vortrag der Beklagtenseite. Daher ist das Gericht entsprechend §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 138 Abs. 2, Abs. 3 ZPO davon ausgegangen, dass im Rechtssinne unstreitig ein Monatsverdienst von durchschnittlich ca. 1.875,00 € vorliegt.

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