: Altersdiskriminierung junger Menschen durch kürzere Kündigungsfristen?
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 21.11.2007 - 12 Sa 1311/07
Leitsätze:
1. a) Verstößt eine nationale Gesetzesregelung, nach der sich die vom Arbeitgeber einzuhaltenden Kündigungsfristen mit zunehmender Dauer der Beschäftigung stufenweise verlängern, jedoch hierbei vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Beschäftigungszeiten des Arbeitnehmers unberücksichtigt bleiben, gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung, namentlich gegen Primärrecht der EG oder gegen die Richtlinie 2000/78/EG vom 27. November 2000?
b) Kann ein Rechtfertigungsgrund dafür, dass der Arbeitgeber bei der Kündigung von jüngeren Arbeitnehmern nur eine Grundkündigungsfrist einzuhalten hat, darin gesehen werden, dass dem Arbeitgeber ein - durch längere Kündigungsfristen beeinträchtigtes - betriebliches Interesse an personalwirtschaftlicher Flexibilität zugestanden wird und jüngeren Arbeitnehmern nicht der (durch längere Kündigungsfristen den älteren Arbeitnehmern vermittelte) Bestands- und Dispositionsschutz zugestanden wird, z.B. weil ihnen im Hinblick auf ihr Alter und/oder geringere soziale, familiäre und private Verpflichtungen eine höhere berufliche und persönliche Flexibilität und Mobilität zugemutet wird?
2. Wenn die Frage zu 1 a bejaht und die Frage zu 1 b verneint wird: Hat das Gericht eines Mitgliedsstaats in einem Rechtsstreit unter Privaten die dem Gemeinschaftsrecht explizit entgegenstehende Gesetzesregelung unangewendet zu lassen oder ist dem Vertrauen, das die Normunterworfenen in die Anwendung geltender innerstaatlicher Gesetze setzen, dahingehend Rechnung zu tragen, dass die Unanwendbarkeitsfolge erst nach Vorliegen einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die inkriminierte oder eine im wesentlichen ähnliche Regelung eintritt?
A. Sachverhalt:
Die Klägerin, am 12.02.1978 geboren, war seit dem 04.06.1996 als Versandarbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die gesetzlichen Kündigungsfristen Anwendung. Mit Schreiben vom 19.12.2006, am selben Tag zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung zum 31.01.2007, hilfsweise zum nächstmöglichen Termin.
Am 09.01.2007 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Mönchengladbach Kündigungsschutzklage eingereicht. Sie hat u.a. geltend gemacht, dass die Kündigung erst zum 30.04.2007 wirke, weil § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BGB die Kündigungsfrist nach 10-jähriger Betriebszugehörigkeit auf vier Monate zum Monatsende verlängere. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB, der bestimme, dass vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegende Betriebszugehörigkeitszeiten unberücksichtigt bleiben, verstoße gegen das gemeinschaftsrechtliche Verbot der Altersdiskriminierung und habe daher unbeachtet zu bleiben.
Durch Teilurteil vom 20.11.2007 hat das Landesarbeitsgericht unentschieden gelassen, ob die Kündigung zum 31.01.2007 oder erst zum 30.04.2007 wirkt und im übrigen die Klage abgewiesen. Mit Beschluss vom selben Tag hat es den noch rechtshängigen Teil des Verfahrens ausgesetzt und den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften um Vorabentscheidung ersucht.
Aus den Gründen:
B. Rechtlicher Rahmen
Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]
§ 622 Kündigungsfristen bei Arbeitsverhältnissen
(1) Das Arbeitsverhältnis eines Arbeiters oder eines Angestellten (Arbeitnehmers) kann mit einer Frist von vier Wochen zum Fünfzehnten oder zum Ende eines Kalendermonats gekündigt werden.
(2) Für eine Kündigung durch den Arbeitgeber beträgt die Kündigungsfrist, wenn das Arbeitsverhältnis in dem Betrieb oder Unternehmen
1. zwei Jahre bestanden hat, einen Monat zum Ende eines Kalendermonats,
2. fünf Jahre bestanden hat, zwei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
3. acht Jahre bestanden hat, drei Monate zum Ende eines Kalendermonats,
4. zehn Jahre bestanden hat, vier Monate zum Ende eines Kalendermonats,
5. zwölf Jahre bestanden hat, fünf Monate zum Ende eines Kalendermonats,
6. 15 Jahre bestanden hat, sechs Monate zum Ende eines Kalendermonats,
7. 20 Jahre bestanden hat, sieben Monate zum Ende eines Kalendermonats.
Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Zeiten, die vor der Vollendung des 25. Lebensjahrs des Arbeitnehmers liegen, nicht berücksichtigt.
Gesetz über die Fr isten für die Kündigung von Angestellten vom 9. Juli 1926 [aufgehoben]
§ 2 (1) Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als zwei Angestellte, ausschließlich der Lehrlinge, beschäftigt, darf einem Angestellten, den er oder, im Fall einer Rechtsnachfolge, er und seine Rechtsvorgänger mindestens fünf Jahre beschäftigt haben, nur mit mindestens drei Monaten Frist für den Schluss eines Kalendervierteljahrs kündigen. Die Kündigungsfrist erhöht sich nach einer Beschäftigungsdauer von acht Jahren auf vier Monate, nach einer Beschäftigungsdauer von zehn Jahren auf fünf Monate und nach einer Beschäftigungsdauer von zwölf Jahren auf sechs Monate. Bei der Berechnung der Beschäftigungsdauer werden Dienstjahre, die vor Vollendung des fünfundzwanzigsten Lebensjahrs liegen, nicht berücksichtigt.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz [AGG]
§ 2 Anwendungsbereich ...
4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz.
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 3
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Artikel 20 ....
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
Artikel 100
(1) Hält ein Gericht ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig, so ist das Verfahren auszusetzen ...
(2) Ist in einem Rechtsstreite zweifelhaft, ob eine Regel des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den Einzelnen erzeugt (Artikel 25), so hat das Gericht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes einzuholen.
Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf
Artikel 1
Zweck
Zweck dieser Richtlinie ist die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten.
Artikel 2
Der Begriff „Diskriminierung"
(1) Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet "Gleichbehandlungsgrundsatz", dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.
(2) Im Sinne des Absatzes 1
a) liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
b) liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung, einer bestimmten Behinderung, eines bestimmten Alters oder mit einer bestimmten sexuellen Ausrichtung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn:
i) diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich, ....
Artikel 6
Gerechtfertigte Ungleichbehandlung wegen des Alters
(1) Ungeachtet des Artikels 2 Absatz 2 können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, worunter insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung zu verstehen sind, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind.
Derartige Ungleichbehandlungen können insbesondere Folgendes einschließen:
a) die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlassung und Entlohnung, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen;
b) die Festlegung von Mindestanforderungen an das Alter, die Berufserfahrung oder das Dienstalter für den Zugang zur Beschäftigung oder für bestimmte mit der Beschäftigung verbundene Vorteile ...
Artikel 7
Positive und spezifische Maßnahmen
(1) Der Gleichbehandlungsgrundsatz hindert die Mitgliedstaaten nicht daran, zur Gewährleistung der völligen Gleichstellung im Berufsleben spezifische Maßnahmen beizubehalten oder einzuführen, mit denen Benachteiligungen wegen eines in Artikel 1 genannten Diskriminierungsgrunds verhindert oder ausgeglichen werden ...
C. Rechtliche Beurteilung
I. Anwendung des deutschen Gesetzesrechts
1. Nach nationalem Recht wäre die Klage abzuweisen. Die Beklagte hat die Kündigungsfrist des § 622 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB von einem Monat zum Monatsende eingehalten. Die vor Vollendung des 25. Lebensjahres liegenden Beschäftigungszeiten der Klägerin bleiben nach § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB unberücksichtigt. Die in Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bei zehnjährigem Bestand des Arbeitsverhältnisses vorgeschriebene Kündigungsfrist von vier Monaten zum Monatsende kommt daher nicht zum Tragen.
2. § 622 Abs. 2 BGB ist der Auslegung, dass sich der Erwerb längerer Kündigungsfristen ausschließlich nach der Dauer des Arbeitsverhältnisses richtet, nicht zugänglich. Der Wortlaut des Satzes 2 ist unmissverständlich. Er entspricht, wie die gesetzliche Vorgeschichte belegt, der parlamentarischen Thematisierung der Altersschwelle und dem Willen des Gesetzgebers, den älteren Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit zu schützen, weil ihn „jede Arbeitslosigkeit ungleich härter als jüngere Arbeitskräfte trifft; er hat in der Regel eine Familie zu versorgen, ein Berufs- oder Wohnortwechsel wird ihm besonders schwer" (RArbBl. 1926, Nr.28, 488). Anlässlich der Änderungen des § 622 BGB ist die Frage, ob Beschäftigungszeiten unabhängig vom Lebensalter oder erst ab dem 25. Lebensjahr kündigungsfristverlängernd wirken sollten, ebenfalls diskutiert und im Sinn der vorliegenden Gesetzesfassung entschieden worden (BTDrucks. 12/4907 S.6, BT-Drucks. 12/4902, S.7, BT-Drucks. 12/5228). § 622 Abs. 2 BGB hat nach seinem auf den Schutz länger beschäftigter, älterer Arbeitnehmer ausgerichteten Zweck daher unzweifelhaft zum Regelungsinhalt, dass bis zum vollendeten 25. Lebensjahr zurückgelegte Beschäftigungszeiten unbeachtlich bleiben und erst ab diesem Alter Arbeitnehmer sukzessive nach der Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit in den Besitzstand längerer Kündigungsfristen hineinwachsen sollen.
Auch wenn man über § 622 Abs. 2 BGB hinaus das gesamte deutsche Recht berücksichtigt, ergibt sich derselbe Befund. So hat der Gesetzgeber in § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten" sollen (vgl. BTDrucks. 16/2022, Seite 12: „Die wesentlichen Bestimmungen des allgemeinen Kündigungsschutzes finden sich im Bürgerlichen Gesetzbuch ..."). § 2 Abs. 4 AGG mag europarechtswidrig sein. An der Eindeutigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ändert sich dadurch nichts.
3. Die nationalen Gerichte sind nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Das bedeutet, dass sie geltende Gesetze anwenden, eine offensichtlich einschlägige Norm berücksichtigen müssen (BVerfG vom 03.11.1992, AP Nr. 5 zu § 31 BRAGO, Sachs, GG, 4. Aufl., Art. 20 Rz. 119). § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB ist geltendes Recht und offensichtlich einschlägig. Die Feststellung der Nichtigkeit einer Gesetzesnorm, die dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist (§ 31 BVerfGG), liegt - bezogen auf § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB - nicht vor. Ebenso wenig ist die Kammer veranlasst gewesen, vor dem Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG oder an dessen Stelle eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes gemäß Art. 100 GG einzuholen (vgl. auch BVerfG vom 11.07.2006, BverfGE 116, 202, 214). Da die Normen der Europäischen Gemeinschaft keine allgemeinen Regeln i. S. des Art. 25 GG sind (BVerfG vom 26.03.1986, BB 1986, 1070), entfällt eine Vorlagepflicht nach Art. 100 Abs. 2 GG. Die Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 scheidet gleichfalls aus. Im einzelnen:
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG vom 29.11.1967, BVerfGE 22, 373, 377, vom 05.04.1989, BVerfGE 80, 54, 58) ist eine Vorlage unzulässig, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Norm hat und nicht von deren Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Das ist hier der Fall. Die Kammer ist nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB überzeugt. Die Verfassungswidrigkeit könnte, weil die Verfassung, insbes. in Art. 3 GG, nicht die Benachteiligung wegen des Alters hervorhebt, sich nur aus dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG ergeben und angenommen werden, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (BVerfG vom 20.09.2007, DVBl 2007, 143 ff.).
b) Gegenüber der Grundkündigungsfrist des § 622 Abs. 1 BGB, die für alle jungen sowie für jene Arbeitnehmer gilt, deren Arbeitsverhältnis noch nicht länger als zwei Jahre besteht, bedeutet die stufenweise Fristverlängerung nach Abs. 2 für die länger beschäftigten, älteren Arbeitnehmer eine Vergünstigung. Damit wirkt sie sich für die jungen Arbeitnehmer als Benachteiligung aus, deren Betriebstreue nicht die Exspektanz auf längere Kündigungsfristen begründet.
c) Ein Sachgrund für die „Altersschwelle 25" lässt sich nicht unmittelbar aus arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitischen Zielen ableiten. Die Auswirkungen von Bestandsschutzbestimmungen auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik sind, wenn es insbes. um die Verringerung von allgemeiner Arbeitslosigkeit geht, umstritten und empirisch unzureichend belegt. Die Gestaltung des Bestandsschutzes mag mittelbar das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber und die Auswahl der Standorte ihrer betrieblichen Tätigkeit beeinflussen: Geringerer Kündigungsschutz und damit auch kürzere Kündigungsfristen erhöhen die personalwirtschaftliche Flexibilität und verringern das Risiko der wirtschaftlichen Belastung, die aus der Vergütungspflicht gegenüber einem Arbeitnehmer, für dessen Beschäftigung in der Kündigungsfrist kein Bedarf mehr gesehen wird, resultiert. Diese Aspekte können nahe legen, dass zur Bekämpfung der hohen Arbeitslosigkeit junger Menschen Arbeitgebern dadurch, dass sie lediglich die Grundkündigungsfrist einhalten müssen, ein Anreiz gegeben werden wird, junge Menschen einzustellen (vgl. auch Mitteilung der Kommission vom 20.11.2007 - Kernaussagen des Berichts über die Beschäftigung in Europa 2007), und umgekehrt verlängerte Kündigungsfristen sich ihnen als Hemmnis darstellen, ältere Arbeitnehmer einzustellen. Gleichwohl ist die beschäftigungspolitische Wirkung von Kündigungsfristen nicht belegt. Jedenfalls lässt sich zu der „Altersschwelle 25" nicht feststellen, dass sie Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarkt konkret verfolgt und verwirklicht. So fehlen Untersuchungen, die zu der Erkenntnis berechtigen könnten, dass wegen einer typischen und generellen Betroffenheit der Arbeitnehmer ab dem vollendeten 25. bzw. 27. Lebensjahr (wenn man auf die erstmalig aufgrund der verbrachten Beschäftigung mögliche Verlängerung der Kündigungsfrist abstellt) die Verlängerung der Kündigungsfrist eine angemessene und erforderliche Reaktion in der Verfolgung beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischer Ziele sein könnte. Die inkriminierte Gesetzesregelung orientiert sich, was für die stringente Verfolgung einer beschäftigungs- und arbeitsmarktpolitischen Zielsetzung unerlässlich wäre, überdies nicht an Einflussfaktoren wie Qualifikation, Branche, Berufsgruppe, Gesundheitszustand, Geschlecht, regionale Lage und konjunkturelle Gesamtsituation.
d) Die Verknüpfung der Kündigungsfristverlängerung mit einem Mindest- alter beruht wesentlich auf sozial-, gesellschafts- und familienpolitischen Gestaltungsvorstellungen des Gesetzgebers und auf der Einschätzung, dass ältere Arbeitnehmer von Arbeitslosigkeit stärker betroffen sind, dies wegen ihrer familiären und wirtschaftlichen Verpflichtungen und abnehmender beruflicher Flexibilität und Mobilität (zum Verlust an Anpassungselastizität und zur schwereren Vermittelbarkeit gerade älterer und lange in einem Unternehmen beschäftigter Arbeitnehmer: BVerfG vom 16.11.1982, AP Nr. 16 zu § 622 BGB, zu B II 5 b) . So geschah die Einführung der Altersschwelle (25/30) durch das AngKSchG im Jahr 1926 vor dem Hintergrund, dass noch ins beginnende 20. Jahrhundert hinein die Angestellten, überwiegend männlichen Geschlechts, im Durchschnittsalter von ca. 30 eine Familie zu gründen pflegten. Auf dieser Linie liegt es, wenn man auch heute für eine Begünstigung der älteren Arbeitnehmer durch längere Kündigungsfristen - neben einer mit dem Alter verbundenen Erhöhung des Lebensstandards und damit des finanziellen Bedarfs - auf das im Regelfall höhere Kündigungsrisiko und die geringeren Chancen einer Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweist (MünchKommBGB/Thüsing, 5. Aufl., § 10 AGG Rz. 14, 41). Mit den längeren Kündigungsfristen soll „die Anpassung an eine veränderte berufliche Situation, die Suche einer anderen Arbeitsstelle erleichtert werden" (BVerfG vom 16.11.1982, a.aO., zu B I). Damit spiegelt § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gleichzeitig die Einschätzung des Gesetzgebers wider, dass es jüngeren Arbeitnehmer regelmäßig leichter falle und schneller gelinge, auf den Verlust ihres Arbeitsplatzes zu reagieren, dass ihnen aufgrund ihres Alters größere Flexibilität und Mobilität und auch die Bereitschaft, ihre familiären, privaten und finanziellen Dispositionen an dem durch die Grundkündigungsfrist gewährten Schutz auszurichten, zugemutet werden könne. Ihre durch die Beschäftigungsdauer entstandene Bindung an den Arbeitsplatz löst nicht die Fürsorge aus, die der Arbeitgeber den älteren Arbeitnehmern schuldet.
e) Im Schrifttum wird § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB teilweise als „veraltet" (Staudinger/ Preis, BGB [2002 ], § 622 Rz. 8) und als „sachlich kaum zu rechtfertigen" (ErfK/Müller-Glöge, 7. Aufl., § 622 BGB Rz. 2) bezeichnet. Das präsumierte Mindestalter trifft, was Bedenken gegen die rechtspolitische Ausgewogenheit der Regelung nährt, die jungen Menschen ungleich, nämlich jene Gruppe, die ohne oder nach nur kurzer Berufsausbildung früh eine Arbeitstätigkeit aufnimmt, und nicht die andere Gruppe, die nach langer Ausbildung erst spät in den Beruf eintritt. Auch erscheint es stark vereinfacht, sozialen Schutzbedarf am Mindestalter 25 festzumachen. Die Defizite der Gesetzesregelung reichen der Kammer gleichwohl nicht aus, um ihre Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der „Altersschwelle 25" zu begründen. Denn dem Gesetzgeber steht bei der Entscheidung, ob, auf welche Weise und ab welchem Alter (Stichtag) er älteren Arbeitnehmern erhöhten Bestandsschutz gewährt, eine Einschätzungsprärogative und ein weiter Spielraum politischen Ermessens zu (vgl. BVerfG vom 04.04.2001, BVerfGE 103, 310, 318). Er muss die Kündigungsfristverlängerung nicht von ihrer unmittelbaren Wirkung auf dem Arbeitsmarkt und in der Beschäftigungspolitik abhängig machen, wobei derartiges eine arbeitsrechtliche Gesetzesnorm angesichts der sehr unterschiedlichen und sich ständig wandelnden Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt auch kaum leisten kann. Zwar geben die bloße Rücksichtnahme auf im Arbeitsleben verbreitete, tradierte „Gerechtigkeitsvorstellungen" oder das Interesse an Regelungskonstanz keinen Sachgrund für die durch § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB (ebenso: § 29 Abs. 4 des Heimarbeitsgesetzes [HAG]) herbeigeführte Ungleichbehandlung nach dem Lebensalter ab. Das ändert jedoch nichts daran, dass der Gesetzgeber bei der Gewichtung des Bestands- und Dispositionsschutzinteresse der Arbeitnehmer neben der Betriebszugehörigkeit (§ 622 Abs. 2 Satz1 BGB) auch das Alter berücksichtigen kann, hier zugunsten der Besserstellung der länger beschäftigten und älteren Arbeitnehmer, und darin ein vernünftiger Grund liegt. Im Unterschied zur § 14 Abs. 3 TzBfG a.F. geht es in § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB auch nicht darum, eine Lebensaltergruppe von einem allgemeinen, i.c. dem durch die gesetzlichen (Grund-)Kündigungsfristen gewährleisteten Schutzstandard abzukoppeln, sondern es soll einer für schutzwürdig gehaltenen Altersgruppe eine Vergünstigung verschafft werden. Daher darf der sachliche Rechtfertigungszwang nicht überspannt werden (Wiedemann, Anm. zu AP Nr. 1 zu Richtlinie 2000/78/EG, unter IV). Der Gesetzgeber brauchte bei der Kündigungsfristenregelung den Gleichheitssatz nicht als Gebot zur Gleichmacherei zu verstehen oder sich z.B. minimalistisch auf das Kriterium der Beschäftigungsdauer zu beschränken, wobei mit der Beschäftigungsdauer indirekt ebenfalls das Älterwerden ohne beschäftigungspolitische Rechtfertigung belohnt würde. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den Beschlüssen vom 16.11.1982 (BVerfGE 62, 256 ff.) und vom 30.05.1990 (BVerfGE 82, 126 ff.) mit den gesetzlichen Kündigungsfristen befasst. Auch wenn dies unter einer anderen Fragestellung, nämlich der Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten, geschah, so ist nicht beanstandet worden, dass die Vergünstigung verlängerter Kündigungsfristen Arbeitnehmern erst ab einem bestimmten Lebensalter gewährt werden kann. Vielmehr hatte der Gesetzgeber auch die betroffenen Grundrechtspositionen der Arbeitgeber einzubeziehen, namentlich ihr Interesse, die Gesamtbelastung durch verlängerte Kündigungsfristen begrenzt zu wissen und ihr Bedürfnis nach flexibler Personalplanung und damit nur mit der Grundkündigungsfrist lösbaren Arbeitsverhältnissen.
f) Nach allem ist die Kammer nicht von der Verfassungswidrigkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB überzeugt, so dass eine Vorlage nach § 100 Abs. 1 GG ausscheidet. Es kann somit auch auf sich beruhen, ob verfassungsgerichtlich eine Gleichheitswidrigkeit der Kündigungsfristenregelung zur Feststellung der Nichtigkeit nur der „Altersschwelle 25" oder zu einer Anpassung der Gesamtregelung durch den Gesetzgeber führen würde. g) Der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht zu entnehmen, dass die für Art. 3 Abs. 1 GG geltenden Auslegungskriterien insbesondere nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22. 11.2005 (Rs. C-144/04 Mangold, AP Nr. 1 zu Richtlinie 2000/78/EG) zu modifizieren und dem gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, dem daraus folgenden Verbot der Altersdiskriminierung und den gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben, nach denen Ungleichbehandlungen aufgrund des Alters gerechtfertigt sein können (vgl. Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1 EGRL 2000/78), anzupassen sind.
Im übrigen würde der Vorrang von Gemeinschaftsrecht, auch EG-Primärrecht, nicht zwangsläufig die Verfassungswidrigkeit innerstaatlicher Gesetze begründen.
II. Anwendung des Gemeinschaftsrechts
1. Die Kammer neigt in Ansehung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu der Auffassung, dass die EGRL 2000/78 keine unmittelbare Wirkung entfaltet.
1. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 07.09.2006, Rs. C-81/05 Cordero Alonso, NJW 2006, 3623 ff.) kann eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist, wohingegen sich der Staat in all seinem Handeln, also auch als Arbeitgeber, nicht darauf berufen kann, eine Richtlinie sei nicht, nicht vollständig oder nicht zutreffend in das nationale Recht umgesetzt worden. Im Streitfall ist der Staat nicht beteiligt. Die Richtlinie EGRL 2000/78 entfaltetet daher keine unmittelbare Geltung unter den Parteien.
Des Weiteren dürfte unerheblich sein, dass die der Bundesrepublik zugestandene Umsetzungsfrist für die EGRL 2000/78 Anfang Dezember 2006 abgelaufen ist. Zwar löst spätestens der Ablauf der Umsetzungsfrist die Pflicht zur europarechtskonformen Auslegung nationalen Rechts aus (Kokott, RdA 2006, Sonderbeilage Heft 6, 30, 32). Das Gericht muss das nationale Recht so weit wie möglich im Licht des Wortlauts und des Zweckes der betreffenden Richtlinie auslegen, um die mit ihr verfolgten Ergebnisse zu erreichen, indem es die diesem Zweck am besten entsprechende Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften wählt und damit zu einer mit den Bestimmungen dieser Richtlinie vereinbaren Lösung gelangt (EuGH, Urteil vom 04.07.2006, Rs. C-212/04 Adeneler, NJW 2006, 2465 ff., Rz. 124), es muss insoweit alles tun, was in seiner Zuständigkeit liegt, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (EuGH, Urteil vom 05.10.2004, Rs. C-397/01 Pfeiffer, NJW 2004, 3547 ff., Rz. 119). Voraussetzung bleibt jedoch, dass die nationale Regelung auslegungsfähig ist. Bei der Auslegung von Gesetzes- und auch Gemeinschaftsvorschriften ist nicht allein der Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch die systematische Einbindung in den jeweiligen Normkontext und die Zielsetzung, die mit der Regelung, zu der die Vorschrift gehört, nach erkennbarer Absicht des Normgebers verfolgt werden (BVerfG vom 07.06.2005, BVerfGE 113, 88, 103 f., EuGH 07.12.2006, C-306/05 SGAE, EWS 2007, 33 ff.). In Anwendung dieser Kriterien ist, wie oben zu C I 2 ausgeführt, § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB nicht auslegungsfähig.
2. Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 22.11.2005 (a.a.O., Rz. 75 ff.) hat das nationale Gericht nationales Recht, das dem allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters entgegensteht, unangewendet zu lassen. Die Nichtberücksichtigung der bis zum vollendeten 25. Lebensjahr verbrachten Beschäftigungszeiten wirkt sich als Schlechterstellung der jüngeren Arbeitnehmer gegenüber älteren Arbeitnehmern aus. § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB widerspricht daher dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung. In der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24.07.2007, DB 2007, 2542 f.) wird in Bezug auf den gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Gleichbehandlung und das Verbot der Altersdiskriminierung die Auffassung vertreten, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB jüngere Arbeitnehmer wegen des Alters benachteilige, ohne dass hierfür ein Rechtfertigungsgrund ersichtlich sei. In gleicher Weise hält die arbeitsrechtliche Fachliteratur nahezu unisono die statuierte Altersschwelle für europarechtswidrig (z.B. Löwisch, FS-Schwerdtner [2003], 771, Preis, NZA 2006, 401 [408], Rust/Falke/ Bertelsmann, AGG, § 10 Rz. 163 f., u.v.a.m.). Nur Wenige im Schrifttum sehen dies anders (Wiedemann, a.a.O., MünchKommBGB/Thüsing, a.a.O.). Gemessen an dem Argumentationsduktus der Mangold-Entscheidung und den dort herausgestellten „Erwägungen im Zusammenhang mit der Struktur des jeweiligen Arbeitsmarktes und der persönlichen Situation des Betroffenen" (Rz. 65) erscheint es der Kammer als zweifelhaft, ob die Ungleichbehandlung nach den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts oder im Licht des Art. 6 Abs. 1 EGRL 2000/78 sachlich zu rechtfertigen sein könnte, zumal die Regelung des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB es an einem hinreichend konkreten Bezug zur Arbeitsmarktsituation fehlen lässt. Die Kammer sieht zwischen der vorliegenden Regelung und § 14 Abs. 3 TzBfG i.d.F. v. 23.12.2002 auch keine Wesensähnlichkeit, so dass sich die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im Urteil vom 22.11.2005 (a.a.O., Mangold) im Licht des Urteils des Gerichtshofs vom 16.10.2007 (Rs. C-411/05 Palacios de la Villa, DB 2007, 2427) auf die hier zu beurteilende Kündigungsfristverlängerung nicht ohne weiteres übertragen lassen. Daher ist zur Klärung, ob § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB gegen das Verbot der Altersdiskriminierung als Bestandteil des gemeinschaftsrechtlichen Primärrecht verstößt, gemäß der Vorlagefrage zu 1 der Gerichtshof um Vorabentscheidung zu ersuchen.
3. Nach der Entscheidung des Gerichtshofs vom 22.11.2005 (a.a.O., Mangold) sind die nationalen Gerichte für Arbeitssachen verpflichtet, die innerstaatliche Bestimmung, deren Gemeinschaftswidrigkeit auf einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts beruht, unangewendet zu lassen. Für § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 24.07.2007, a.a.O.) daraus gefolgert, dass, ohne den Europäischen Gerichtshof um Vorabentscheidung ersuchen zu müssen, die Gesetzesvorschrift unanwendbar zu lassen und dem Arbeitgeber auch kein Vertrauensschutz zuzubilligen sei (a.A. ArbG Lörrach vom 23.01.2007, ArbuR 2007, 184, ArbG Berlin vom 22.08.2007, 86 Ca 1696/07, - zu einer tariflichen Kündigungsfristenregelung - LAG Baden-Württemberg vom 30.07.2007, 15 Sa 29/07). Die Auffassung, dass die nationalen Fachgerichte bei Verstößen gegen gemeinschaftsrechtliches Primärrecht durchentscheiden können, wird einerseits ermutigt durch Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 03.04.2007, AP Nr. 14 zu § 81 SGB IX, unter Hinweis auf BAG, Urteil 26.04.2006 (AP Nr. 23 zu § 14 TzBfG [= 2 BvR 2661/06] ). Andererseits macht der Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 27.06.2003, (AP Nr. 6 zu § 1b BetrAVG [= Rs. C-427/06 Bartsch] ) deutlich, dass selbenorts Bedarf gesehen wird, die durch die Mangold-Entscheidung ausgelösten Irritationen mittels einer Klarstellung seitens des Europäischen Gerichtshofs zu beruhigen. Der Kammer scheinen ebenfalls die Schlussfolgerungen, die die nationalen Gerichte aus der Mangold-Entscheidung (a.a.O.) sowie der Palacios-Entscheidung (a.a.O.) für die Anwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen zu ziehen haben, noch nicht abschließend geklärt zu sein. Dabei hat sie folgendes anzumerken:
a) An dieser Stelle braucht nicht die Vorwirkung von EG-Richtlinien problematisiert zu werden. Zum einen geht es vorliegend um Primärrecht. Zum anderen war die Umsetzungsfrist für die EGRL 2000/78 Anfang Dezember 2006 abgelaufen. Die Kündigung der Klägerin ist nach diesem Zeitpunkt ausgesprochen worden.
b) Ist der Staat seiner Umsetzungspflicht nicht rechtzeitig und genügend nachgekommen, so dass nationales Recht der Richtlinie widerspricht, kommen als Sanktionen ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 226 EG-Vertrag oder ein Schadensersatzanspruch gegen den Staat in Betracht. Diese Sanktionen greifen freilich entweder nur für die Zukunft oder sind lediglich auf Ausgleich des Schadens aus der Diskriminierung gerichtet und bewirken daher nicht die bezweckte Gleichbehandlung. Sie verhindern nicht, dass ein Rechtsgefälle entsteht zwischen den gemeinschaftsrechtstreuen Mitgliedsstaaten einerseits und solchen Mitgliedsstaaten anderseits, die sich nicht der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht befleißigen. Daher ist nachvollziehbar, wenn die Rechtprechung des Europäischen Gerichtshofs die nationalen Gerichte anhält, dem europäischem Primärrecht im nationalen Recht Geltung zu verschaffen.
c) Allerdings sind die deutschen Gerichte verfassungsrechtlich verpflichtet, die geltenden Gesetzesnormen und also auch § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB anzuwenden (oben zu C I 3).
(11) Dieser Anwendungspflicht kann man nicht entgegenhalten, dass die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer Norm des nationalen Rechts nicht zu deren Nichtigkeit führe, die nationale Norm vielmehr fortbestehe und weiter anzuwenden sei, sobald die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit entfalle (so aber BAG, Urteil vom 26.04.2006, a.a.O., ErfK/Wißmann, 7. Aufl., Vorb. EG, Rz. 21). Eine solche Sichtweise hält die Kammer für zu formalistisch. Tatsächlich würde die gerichtliche Praxis, eine Norm nicht mehr anzuwenden, einer Nichtigkeitsfest-stellung gleichkommen. Das entspricht nicht dem verfassungsrechtlichen Leitbild in Art. 20 Abs. 3, Art. 97 Abs. 1, Art. 100 GG (§ 31 BVerfGG).
(22) Das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wird, wenn es um die einheitliche Anwendung oder Nichtanwendung von Gesetzesrecht geht, durch die dem Bundesverfassungsgericht zugewiesene Normverwerfungskompetenz gesichert. Auf dieser Linie läge es, die Sicherstellung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zuzuweisen, wenn es um den wirksamen Schutz und die Durchsetzung gemeinschaftlicher Grundrechte geht. Dann ist es aber bedenklich, das Urteil vom 22.11.2005 ‚Mangold' so zu verstehen, dass den nationalen Gerichten die Befugnis erteilt werde, bei der Annahme von Primärrecht sich über entgegenstehende nationale Regelungen hinwegzusetzen. In und zwischen den einzelnen Mitgliedsstaaten wäre mit divergierenden Gerichtsentscheidungen zu derselben Norm oder ähnlichen Normen zu rechnen. Es könnte zu einer Erosion der Rechtssicherheit kommen, wenn Rechtsprechung davon abhinge, ob die jeweils angerufenen Gerichte nationales Gesetzesrecht anwenden oder, weil sie es für EG-primärrechtswidrig erachten, übergehen. Die möglichen Folgen erwecken die Besorgnis der Kammer und veranlassen sie zu der Frage, ob der Gerichtshof im Urteil vom 22.11.2005 (a.a.O., Mangold, Rz. 75) ausschließen wollte, dass die nationalen Gerichte aufgrund Nationalrechts verpflichtet sein könnten, vor der Annahme, dass eine nationale Gesetzesnorm wegen Verstoßes gegen Primärrecht der Gemeinschaft unanwendbar sei, das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG durchzuführen. Wenn nationale Gesetzesbestimmungen an den Gemeinschaftsgrundrechten zu messen sind und mit ihrer „Unanwendbarkeit" Grundrechtspositionen der Normunterworfenen - hier: im Falle der Unanwendbarkeit des § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB auch die Belastung des Arbeitgebers aus der Einhaltung einer längeren Kündigungsfrist - betroffen sind, bedarf es der Sicherstellung des Grundrechtsschutzes der Betroffenen. Dieser kann durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof übernommen werden, indem die Vorabentscheidung nach Art. 234 EGV effektiven und gemeinschaftsweiten Rechtsschutz gewährt und in die Prüfung der nationalen Gesetzesregelung den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutz einbezieht. Die nationalen Fachgerichte können - anders als bei der Kontrolle von innerstaatlich umgesetzten EG-Richtlinen (vgl. BVerfG vom 13.03.2007 WM 2007, 147) - den unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz in dieser Form nicht herstellen. Auch deshalb ist zu erwägen, ob ein nationales Gericht, das wegen Primärrechtswidrigkeit entgegenstehendes nationales Gesetzesrecht nicht anwenden will, der entsprechenden Ausübung seiner Jurisdiktionsgewalt zumindest das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EGV voranzuschalten hat. Inwieweit der Vorabentscheidung durch den Europäischen Gerichtshof als erster Schranke für den Unanwendbarkeitsausspruch eine nationale verfassungsgerichtliche Kontrolle als zweite Schranke nachfolgen kann, braucht an dieser Stelle nicht vertieft zu werden.
2. Schließlich wirft die in der Entscheidung des Gerichtshofs vom 22.11.2005 (a.a.O. Mangold) postulierte Unanwendbarkeitsfolge die Frage nach dem Vertrauensschutz der Normunterworfenen auf Anwendung der geltenden Gesetze auf.
a) Geht es um die Geltung europäischen Primärrechts mit der Konsequenz der Unanwendbarkeit entgegenstehenden nationalen Rechts und also um die "horizontale unmittelbare Wirkung" von Primärrecht, spricht nach Dafürhalten der Kammer viel dafür, dem Europäischen Gerichtshof die Entscheidung über die Reichweite des gemeinschaftsrechtlichen Vertrauensschutzes anzutragen (vgl. Kokott, a.a.O., S. 37, Kreft, RdA 2006, Sonderbeilage Heft 6, S. 38, 43).
b) Die Gewährung von Vertrauensschutz ist nicht ohne weiteres nach den Maßstäben, die zur richtlinienkonformen Auslegung auslegungsfähiger Regelungen entwickelt worden sind, zu beurteilen. Denn hier liegen auslegungsfähige nationale Regelungen und geschriebenes, präzisierendes Gemeinschaftsrecht vor, so dass die Normunterworfenen über verlässliche Erkenntnismöglichkeiten verfügen. Demgegenüber geht es bei der aus Primärrecht abgeleiteten Unanwendbarkeit um ungeschriebenes bzw. in allgemeinen Grundsätzen bestehendes Gemeinschaftsrecht und entgegenstehende, nicht auslegbare nationale Regelungen. Damit sind von vornherein die Möglichkeiten herabgesetzt, die gemeinschaftsrechtlich begründete Unanwendbarkeit der nationalen Regelung zu erkennen und sich auf Rechtsfolgen einzurichten. Ob den durchschnittlich Beteiligten des Arbeitslebens nach ihren Erkenntnis- und Verständnismöglichkeiten abverlangt werden kann, das aktuelle arbeitsrechtliche Schrifttum zu sichten und die Beiträge nach ihrer Prudenz und auch nach der Maßgeblichkeit der Autoren zu bewerten, geht der Kammer etwas weit (vgl. einerseits BAG, Urteil vom 26.04.2006, a.a.O., andererseits BAG, Urteil vom 01.02.2007, 2 AZR 15/06, n.v.).
D. Zu den Vorlagefragen
Die Fragen erklären sich aus den vornehmlich in der Mangold-Entscheidung (a.a.O.) sowie der Palacios-Entscheidung (a.a.O.) des Europäischen Gerichtshofs herausgestellten Grundsätzen und Prüfungsmaßstäben.
I. Vorlagefrage zu 1 a
Die Kammer nimmt aufgrund der Rechtsprechung des Gerichtshofs an, dass die inkriminierte Regelung an dem EG-primärrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung nachzuprüfen ist. Allerdings wird im Schrifttum darauf aufmerksam gemacht, dass der Europäische Gerichtshof ein kategorisches Verbot der horizontalen Direktwirkung von Richtlinien nie explizit ausgesprochen habe (Kokott, a.a.O., 35, Streinz/Hoffmann, RdA 2007, 165 [167 f.]). Die Formulierung der Vorlagefrage zu 1 a) soll dem Rechnung tragen. Der Klarstellung, wie sich das primärrechtliche Altersdiskriminierungsverbot zu den politischen Gestaltungsspielräumen des nationalen Gesetzgebers und seiner Ein- schätzungsprärogative verhält, wird gleichzeitig die für die nationalen Gerichte zu beachtende Abgrenzung zu dem in der EGRL 2000/78 präzisierten Prüfungsraster zu entnehmen sein.
II. Vorlagefrage zu 1 b
Die Frage fokussiert das Spektrum der (primärrechtlich) zulässigen Gründe, aus denen eine Ungleichbehandlung wegen Alters sachlich gerechtfertigt sein kann, auf die gegenständliche Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Normzweck weniger durch arbeitsmarkt- und beschäftigungspolitische und mehr durch sozialpolitische Zielvorstellungen des Gesetzgebers geprägt ist.
III. Vorlagefrage zu 2
Unter der Prämisse, dass § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB europarechtswidrig ist, wird um Klärung nachgesucht, wie nationale Gerichte, i.c. deutsche Gerichte, die „Unanwendbarkeitsfolge" handhaben sollen, wenn sie einerseits nach nationalem Verfassungsrecht geltende Gesetze anwenden müssen und andererseits eine (nicht auslegbare) Gesetzesbestimmung im Widerspruch zu primärrechtlichen Grundsätzen der Gemeinschaft steht, insbes. ob die Gerichte aus Gründen des Nationalrechts gehalten sein können, die Unanwendbarkeit der Gesetzesbestimmung erst nach einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu judizieren. Die Kammer verbindet hiermit die Frage nach dem Vertrauensschutz, solange es an einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über die inkriminierte oder eine im wesentlichen ähnliche Regelung fehlt.