LAG Berlin-Brandenburg: Allgemeiner Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei Verletzung der Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG
LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20.8.2015 – 21 TaBV 336/15
Volltext: BB-ONLINE BBL2015-3059-3
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Amtliche Leitsätze
§ 75 Abs. 1 BetrVG begründet keinen allgemeinen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Betriebsrats bei einseitigen Maßnahmen der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers gegenüber den im Betrieb tätigen Personen
Sachverhalt
A.
Die Beteiligten streiten über Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche des Betriebsrats gegen die Arbeitgeberin wegen Verstoßes gegen die Grundsätze des § 75 Abs. 1 BetrVG.
Die Beteiligte zu 2) (im Folgenden: Arbeitgeberin) betreibt in Berlin ein Kranken- und Altenpflegeheim mit mehr als 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Der Beteiligte zu 1) (im Folgenden: Betriebsrat) ist der für das Kranken- und Altenpflegeheim gebildete, aus neun Mitgliedern bestehende Betriebsrat.
Die Arbeitgeberin zahlt ihren Beschäftigten Nachtzuschläge in Höhe von 2,00 Euro brutto pro Stunde, Sonntagszuschläge in Höhe von 3,00 Euro brutto pro Stunde und Feiertagszuschläge in Höhe von 4,00 Euro pro Stunde. Ob die geringfügig Beschäftigten diese Zuschläge ebenfalls, lediglich in pauschalierter Form erhalten, ist zwischen den Beteiligten streitig. Auszubildende erhalten seit dem 1. Oktober 2013 Nachtzuschläge in Höhe von 0,70 Euro brutto pro Stunde, Sonntagszuschläge in Höhe von 1,00 Euro brutto pro Stunde und Feiertagszuschläge in Höhe von 1,30 Euro brutto pro Stunde.
Neben dem pflegerischen und ergotherapeutischen Personal beschäftigt die Arbeitgeberin weiteres Personal zur zusätzlichen Betreuung und Aktivierung der pflegebedürftigen Heimbewohnerinnen und -bewohner (sog. zusätzliche Betreuungskräfte). Finanziert werden die zusätzlichen Betreuungskräfte nach § 87b SGB XI durch die Pflegekassen über zweckgebundene Vergütungszuschläge. Aufgabe der zusätzlichen Betreuungskräfte ist es, die Pflegebedürftigen zu Alltagsaktivitäten zu motivieren und sie dabei zu betreuen und begleiten. Ferner sollen sie den Pflegebedürftigen für Gespräche über Alltägliches, ihre Anliegen und persönlichen Themen zur Verfügung stehen und diesen durch ihre Anwesenheit Sicherheit und Orientierung vermitteln. Die Betreuungs- und Aktivierungsangebote sollen sich an den Erwartungen, Wünschen und Befindlichkeiten der Pflegebedürftigen orientieren.
Die Arbeitgeberin gewährt den zusätzlichen Betreuungskräften 26 Arbeitstage Urlaub pro Jahr. Für die übrigen fest angestellten Beschäftigten galt ursprünglich eine nach dem Alter gestaffelte Urlaubsregelung entsprechend den Urlaubsregelungen in den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes. Nachdem das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - die nach dem Alter gestaffelte Urlaubsregelung des § 26 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst für den Bereich der Kommunen (TVöD-VKA) wegen Verstoßes gegen das Altersdiskriminierungsverbot für unwirksam erklärte, gewährt die Arbeitgeberin ihren Beschäftigten unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Einstellung mit Ausnahme der zusätzlichen Betreuungskräfte 29 Arbeitstage Urlaub pro Jahr. Dies gilt jedenfalls für das pflegerische und therapeutische Personal sowie die in der Verwaltung Beschäftigten. Ob es außer den zusätzlichen Betreuungskräften auch noch andere Beschäftigtengruppen gibt, die weniger als 29 Urlaubstage pro Jahr erhalten, ist unklar.
In der Vergangenheit beschäftigte die Arbeitgeberin zwischen drei und vier geringfügig Beschäftigte und zwölf zusätzliche Betreuungskräfte. Die geringfügig Beschäftigten leisteten keine Nachtarbeit. Aktuell beschäftigt die Arbeitgeberin nur noch einen geringfügig Beschäftigten, Herrn K., und zehn zusätzliche Betreuungskräfte.
Am 21. August 2012 beschloss der Betriebsrat, ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren einzuleiten und mit dessen Durchführung seinen hiesigen Verfahrensbevollmächtigten zu beauftragen, weil die geringfügig Beschäftigten keine Nacht-, Sonn- und Feiertagszuschläge erhielten und darin u. a. eine Verletzung des in § 75 Abs. 1 BetrVG normierten Gleichheitsgebots zu sehen sei. Wegen der Einzelheiten des Beschlusses wird auf dessen Ablichtung (Bl. 7 d. A.) verwiesen. Mit Schreiben von demselben Tag (Bl. 4 f. d. A.) zeigte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats gegenüber der Arbeitgeberin seine Beauftragung an und forderte sie auf, die Ungleichbehandlung zumindest für die Zukunft abzustellen. Mit Schreiben vom 11. Januar 2013 (Bl. 6 d. A.) teilte die Arbeitgeberin mit, bei den geringfügig Beschäftigten würden die Zuschläge wegen der Vergütungsobergrenze nicht explizit ausgewiesen, sondern pauschal mit der Vergütung abgegolten.
Am 23. April 2013 beschloss der Betriebsrat, auch wegen der Ungleichhandlung der zusätzlichen Betreuungskräfte bei der Urlaubsgewährung ein arbeitsgerichtliches Beschlussverfahren einzuleiten und mit dessen Durchführung seinen hiesigen Verfahrensbevollmächtigten zu beauftragen. Wegen der Einzelheiten dieses Beschlusses wird auf dessen Ablichtung (Bl. 30 d. A.) verwiesen.
Mit den am 12. März 2013 beim Arbeitsgericht Berlin eingegangenen und in der Folgezeit erweiterten Anträgen hat sich der Betriebsrat u. a. gegen die Ungleichbehandlung der geringfügig Beschäftigten und Auszubildenden bei den Sonn- und Feiertagszuschlägen sowie gegen die Ungleichbehandlung der zusätzlichen Betreuungskräfte bei der Urlaubsdauer gewandt.
Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Anträge seien zulässig. Er mache keine individuellen Rechtsansprüche einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltend. Es gehe ihm vielmehr darum durchzusetzen, dass die Arbeitgeberin zwischen den Beschäftigten nicht sachgrundlos differenziere. Hierzu sei er nach § 75 Abs. 1 BetrVG auch gehalten. Die Anträge seien auch hinreichend bestimmt und umfassten keine Fallgestaltungen, in denen sie nicht begründet seien. Einen Sachgrund für die Ungleichbehandlung der geringfügig Beschäftigten und Auszubildenden bei den Sonn- und Feiertagszuschlägen oder der zusätzlichen Betreuungskräfte bei der Urlaubsdauer gebe es nicht.
Der Einwand der Arbeitgeberin, die Zuschläge würden den geringfügig Beschäftigten pauschaliert gezahlt, sei nur eine Umschreibung dafür, dass diese gar nicht gezahlt würden. Zweck der Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit sei ein Ausgleich dafür, dass die Beschäftigten diese Zeit nicht mit ihrer Familie verbringen könnten. Geringfügig Beschäftigte würden durch Sonn- und Feiertagsarbeit nicht weniger belastet als andere Beschäftigte, zumal sie die geringfügige Beschäftigung häufig neben einer Hauptbeschäftigung ausübten, um ihr Einkommen aus der Hauptbeschäftigung aufzubessern. Unzutreffend sei, dass die Arbeitgeberin geringfügig Beschäftigten stets 12,50 Euro brutto pro Stunde zahle. Soweit Herr K. 12,50 Euro brutto pro Stunde erhalte und in der Vergangenheit auch Frau B. 12,50 Euro brutto pro Stunde erhalten habe, hinge dies damit zusammen, dass in der Vergütung die Erschwerniszulage für die Arbeit auf der Beatmungsstation (Station 1c) enthalten sei. Die Auszubildenden erhielten seit dem 1. Oktober 2013 zwar Sonn- und Feiertagszuschläge, jedoch nur in geringerer Höhe.
Die zusätzlichen Betreuungskräfte unterschieden sich von den übrigen Beschäftigten nur durch die Art der Finanzierung. Ansonsten übten sie ähnliche Tätigkeiten aus wie die Ergotherapeutinnen und -therapeuten. Ein geringerer Erholungsbedarf bestehe nicht.
Der Betriebsrat hat zuletzt sinngemäß beantragt,
1. a) Die Arbeitgeberin zu verpflichten, ihren Auszubildenden und geringfügig Beschäftigten i. S. d. § 8 SGB IV bei Leistungen von Sonn- und Feiertagsarbeit Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit zu zahlen;
hilfsweise
der Arbeitgeberin zu untersagen, Auszubildende und geringfügig Beschäftigte i. S. d. § 8 SGB IV bei der Zahlung von Zuschlägen für Nacht- und Sonn- und Feiertagsarbeit zu benachteiligen;
b) …
c) die Arbeitgeberin zu verpflichten, auch ihren zusätzlichen Betreuungskräften i. S. d. § 87b SGB XI 29 Tage Urlaub zu gewähren;
hilfsweise,
der Arbeitgeberin zu untersagen, ihre zusätzlichen Betreuungskräfte i. S. d. § 87b SGB XI bei der Gewährung von Urlaub zu benachteiligen;
2. der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 10.000,00 Euro anzudrohen.
Den ursprünglich angekündigten Antrag zu 1 b) nebst Hilfsantrag hat der Betriebsrat in der mündlichen Anhörung vor dem Arbeitsgericht am 25. September 2013 zurückgenommen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
die Anträge zurückzuweisen.
Die Arbeitgeberin hat die ordnungsgemäße Beschlussfassung des Betriebsrats über die Einleitung des vorliegenden Beschlussverfahrens und die Bevollmächtigung seines Verfahrensbevollmächtigten bestritten. Ferner hat sie die Auffassung vertreten, die Anträge seien bereits unzulässig. Der Betriebsrat verfolge ganz offensichtlich individuelle Ansprüche einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es fehle deshalb schon an der Antragsbefugnis. Die Hilfsanträge seien zudem nicht hinreichend bestimmt und als Globalanträge zumindest unbegründet. Bezüglich der Auszubildenden sei auch ein Rechtsschutzbedürfnis nicht gegeben, da sie den Betriebsrat Mitte Juli 2013 darüber in Kenntnis gesetzt habe, dass die Auszubildenden ab dem 1. Oktober 2013 Zeitzuschläge in angemessener Höhe erhielten.
Abgesehen davon seien die Anträge aber auch unbegründet. Bei der Behauptung, die Zahlung pauschalierter Zuschläge würde bedeuten, sie zahle geringfügig Beschäftigten gar keine Zuschläge, handele es sich um eine Behauptung ins Blaue hinein. Der Stundenlohn der geringfügig Beschäftigten bestimme sich danach, ob es sich um Altbeschäftigte, in deren Arbeitsvertrag die Anwendung tariflicher Regelungen vereinbart sei, oder um neu eingestellte Beschäftigte handele und wie viele zuschlagspflichtige Tätigkeiten in etwa anfallen würden. Beispielsweise erhalte Herr K. als Vergütung 12,50 Euro brutto pro Stunde und diesen Betrag habe in der Vergangenheit auch Frau B. erhalten, während vergleichbare Beschäftigte in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis ohne Berücksichtigung der Zeitzuschläge eine Vergütung in Höhe von nur etwa 11,00 Euro bis 12,00 Euro brutto pro Stunde erhielten. Im Jahr 2013 seien bei einer Sollarbeitszeit von jeweils insgesamt 384 Stunden bei Herrn K. lediglich 32 zuschlagspflichtige Stunden und bei Frau B. lediglich 22 zuschlagspflichtige Stunden angefallen. Eine Benachteiligung der Auszubildenden sei ebenfalls nicht gegeben. Was die zusätzlichen Betreuungskräfte betreffe, sei ein Erholungsurlaub von 26 Arbeitstagen angemessen, da diese strukturell, zeitlich und inhaltlich nicht so eingebunden seien und deren physische und psychische Belastung nicht mit der des pflegerischen und therapeutischen Personals vergleichbar sei. Dementsprechend sei auch das Erholungsbedürfnis nicht dasselbe. Außerdem lasse sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG weder ein Beseitigungs- noch ein Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ableiten. Ein Recht zur Vertragsinhaltskontrolle stehe dem Betriebsrat nicht zu.
Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Betriebsrats vom 11. März 2013 (Bl. 1 - 3 d. A.), 20. Juni 2013 (Bl. 25 - 28 d. A.), 21. August 2013 (Bl. 31 - 32 d. A.) und 28. Oktober 2013 (Bl. 63 - 67 d. A.) sowie auf die Schriftsätze der Arbeitgeberin vom 27. Mai 2013 (Bl. 21 - 24 d. A.), 28. August 2013 (Bl. 42 - 49 d. A.) und 13. Dezember 2013 (Bl. 74 - 76 d. A.) verwiesen.
Mit Beschluss vom 17. September 2014 hat das Arbeitsgericht dem Hauptantrag zu 1. a) hinsichtlich der geringfügig Beschäftigten sowie dem Hauptantrag zu 1. c) stattgegeben und den Hauptantrag zu 1. a) einschließlich des Hilfsantrags hinsichtlich der Auszubildenden zurückgewiesen. Ferner hat es der Arbeitgeberin - versehentlich - für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld angedroht.
Zur Begründung hat das Arbeitsgericht - soweit noch von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag zu 1. a) sei zulässig. Der Betriebsrat stütze den Anspruch auf § 75 Abs. 1 BetrVG und verfolge nicht die Durchsetzung von Individualansprüchen. Verstoße die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber gegen die Grundsätze von Recht und Billigkeit nach § 75 Abs. 1 BetrVG, stehe dem Betriebsrat ein Unterlassungs- und auch ein Beseitigungsanspruch zu. Andernfalls liefe § 75 Abs. 1 BetrVG leer, da der Betriebsrat kein Instrumentarium hätte, um seiner Überwachungspflicht nachzukommen. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28. Mai 2002 - 1 ABR 32/01 - sei nicht zum Absatz 1 sondern zum Absatz 2 des § 75 BetrVG ergangen. Der notwendige kollektive Bezug ergebe sich daraus, dass bestimmte Beschäftigtengruppen im Betrieb der Arbeitgeberin unterschiedlich behandelt würden.
Hinsichtlich der geringfügig Beschäftigten sei der Antrag auch begründet. Es liege eine Ungleichbehandlung zwischen den geringfügig Beschäftigten und den in der Pflege tätigen Vollzeitbeschäftigten vor, da diese zumindest zum Teil dieselbe Arbeit verrichteten. Die Ungleichbehandlung sei auch nicht sachlich gerechtfertigt. Zur Höhe der Vergütung der Vollzeitbeschäftigten und der der geringfügig Beschäftigten habe die Arbeitgeberin trotz entsprechender Auflage nicht hinreichend konkret vorgetragen. Es sei schon nicht erkennbar gewesen, dass überhaupt pauschalierte Zuschläge gezahlt würden. Hinsichtlich der Auszubildenden sei der Antrag hingegen unbegründet. Die Auszubildenden seien mit den übrigen Beschäftigten schon nicht vergleichbar, da nicht die Vergütung sondern die Ausbildung im Vordergrund stehe und die Auszubildenden nicht von Anfang dieselbe Leistung erbringen müssten wie die ausgebildeten Kräfte.
Der Antrag zu 1. c) sei ebenfalls zulässig und begründet. Die zusätzlichen Betreuungskräfte seien mit den übrigen Beschäftigten vergleichbar, weil sie einen Teil der Aufgaben wahrnähmen, die sonst den Pflegekräften und den Ergotherapeutinnen und -therapeuten oblägen. Dass die Ergotherapeutinnen und -therapeuten einen therapeutischen Ansatz hätten, spiele keine Rolle, weil es im Wesentlichen darum gehe, die Bewohnerinnen und Bewohner außerhalb der reinen Grundversorgung zu verschiedenen Tätigkeiten anzuregen. Ein unterschiedlicher Erholungsbedarf bestehe nicht. Auch wenn es sich bei den Tätigkeiten der zusätzlichen Betreuungskräfte auf den ersten Blick um leichtere Tätigkeiten handele, könne die Betreuung der älteren Bewohnerinnen und Bewohner sehr schwierig sein. Ob bei der Betreuung ein therapeutischer Ansatz verfolgt werde oder nicht, wirke sich auf die Schwierigkeit nicht aus. Es sei auch unerheblich, dass die Arbeitgeberin den übrigen Beschäftigten 29 Urlaubstage in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gewähre.
Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Gründe unter II. des erstinstanzlichen Beschlusses (Bl. 105 - 108 d. A.) verwiesen.
Gegen diesen der Arbeitgeberin am 29. Januar 2015 zugestellten Beschluss richtet sich die am 26. Februar 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangene Beschwerde der Arbeitgeberin, welche sie nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis zum 28. April 2015 mit am 28. April 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
Die Arbeitgeberin setzt sich unter teilweiser Wiederholung und teilweiser Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens mit dem angefochtenen Beschluss auseinander. Ergänzend trägt sie vor, aus der Überwachungspflicht des Betriebsrats nach § 75 Abs. 1 BetrVG ergäben sich keine weiteren Mitbestimmungsrechte und auch keine eigenen subjektiven Rechte des Betriebsrats, aus denen sich eine Klagebefugnis für individuelle Ansprüche herleiten ließe. Eine Antragsbefugnis sei auch nicht deshalb gegeben, weil mehr als eine Arbeitnehmerin oder mehr als ein Arbeitnehmer betroffen seien. Bei Rechtsansprüchen einzelner Beschäftigter stehe dem Betriebsrat keine eigene Rechtsposition zu. Dies werde auch durch die Regelung des § 85 Abs. 2 BetrVG zum Beschwerderecht deutlich. Ferner ist die Arbeitgeberin der Meinung, sie habe hinreichend konkret zur Pauschalierung der Zeitzuschläge der geringfügig Beschäftigten vorgetragen.
Die Arbeitgeberin beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 17. September 2014 - 12 BV 3664/13 - abzuändern und die Anträge insgesamt zurückzuweisen.
Der Betriebsrat beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass die Anträge klarstellend sinngemäß wie folgt lauten:
1. der Arbeitgeberin aufzugeben, den bei ihr tätigen geringfügig Beschäftigten i. S. d. § 8 SGB IV bei Leistung von Sonntagsarbeit einen Zuschlag von 3,00 Euro brutto pro Stunde und bei Leistung von Feiertagsarbeit einen Zuschlag von 4,00 Euro pro Stunde zu zahlen;
hilfsweise
der Arbeitgeberin zu untersagen, geringfügig Beschäftigte i. S. d. § 8 SGB IV dadurch zu benachteiligen, dass sie diesen bei Leistung von Sonntagsarbeit keinen Zuschlag von 3,00 Euro brutto pro Stunde und bei Leistung von Feiertagsarbeit keinen Zuschlag von 4,00 Euro brutto pro Stunde zahlt;
2. der Arbeitgeberin aufzugeben, den bei ihr beschäftigten zusätzlichen Betreuungskräften i. S. d. § 87b SGB XI 29 Arbeitstage Urlaub pro Jahr zu gewähren;
hilfsweise
der Arbeitgeberin zu untersagen, ihre zusätzlichen Betreuungskräfte i. S. d. § 87b SGB XI dadurch zu benachteiligen, dass sie diesen weniger als 29 Urlaubstage pro Jahr gewährt;
3. für den Fall, dass und soweit den Hilfsanträgen stattgegeben wird, der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen ihre Unterlassungsverpflichtungen ein Ordnungsgeld von bis zu 10.000,00 Euro anzudrohen.
Die Arbeitgeberin stimmt der Änderung der Anträge nicht zu.
Der Betriebsrat verteidigt den angefochtenen Beschluss. Die in § 75 Abs. 1 BetrVG geregelte Überwachungspflicht würde in der Tat leerlaufen, wenn der Betriebsrat bei Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gegenüber einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kein gerichtlich durchsetzbarer Beseitigungsanspruch zustünde. Es gehe nicht um individualrechtliche Ansprüche einzelner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sondern um die systematische Benachteiligung kollektiver Gruppen. Er berühme sich auch keines allgemeinen Inhaltskontrollrechts, sondern rüge lediglich eine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung. Die Arbeitgeberin versuche sich zu Nutze zu machen, dass es für die einzelnen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, insbesondere der hier einschlägigen Arbeitnehmergruppen, schwierig sei, ihre Rechte gegenüber der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz durchzusetzen. Genau diese Schwierigkeit sei aber der Grund dafür, dass das Betriebsverfassungsgesetz dem Betriebsrat in § 75 Abs. 1 BetrVG das Recht zugestanden und die Pflicht auferlegt habe, über die Gleichbehandlung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Betrieb zu wachen.
Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf den Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 28. April 2015 (Bl. 149 - 153 d. A.), die Schriftsätze des Betriebsrats vom 11. Juni 2015 (Bl. 184 - 187 d. A.), 15. Juni 2015 (Bl. 188 d. A.) und 16. Juni 2015 (Bl. 189 d. A.) sowie das Protokoll der mündlichen Anhörung am 20. August 2015 (Bl. 190 f. d. A.) Bezug genommen.
Aus den Gründen
B.
Die Beschwerde hat Erfolg.
I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 8 Abs. 4, § 87 Abs. 1 ArbGG statthaft sowie form- und fristgerecht i. S. v. § 87 Abs. 2, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG i. V. m. § 64 Abs. 6 Satz 1, § 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5 ArbGG, §§ 519, 520 Abs. 1 und 3 ZPO eingelegt und begründet worden.
Gegen die Umformulierung der Anträge im Beschwerdeverfahren bestehen nach § 87 Abs. 2 Satz 3, § 81 Abs. 3 ArbGG keine prozessualen Bedenken, auch wenn der Betriebsrat die Umformulierung erst nach dem Ablauf der ihm zur Beantwortung der Beschwerde gesetzten Frist vorgenommen hat. Es handelt sich nicht um eine Antragsänderung i. S. v. § 81 Abs. 3 ArbGG, die nur im Rahmen einer Anschlussbeschwerde möglich wäre (vgl. BAG vom 17.02.2015 - 1 ABR 45/13 - Rn. 14, EzA § 95 BetrVG 2001 Nr. 9). Durch die Umformulierung der Anträge verlangt der Betriebsrat von der Arbeitgeberin nicht mehr und auch nichts anderes, sondern fasst die Anträge im Hinblick auf die mit den Anträgen verfolgten Ziele lediglich konkreter. Unter Berücksichtigung der Antragsbegründung waren die Anträge bereits erstinstanzlich darauf gerichtet, der Arbeitgeberin aufzugeben, den geringfügig Beschäftigten bei Sonn- und Feiertagsarbeit zukünftig die gleichen Zuschläge zu zahlen und den zusätzlichen Betreuungskräften die gleiche Anzahl Urlaubstage zu gewähren wie den übrigen Beschäftigten bzw. es zu unterlassen, die geringfügig Beschäftigten und die zusätzlichen Betreuungskräfte gegenüber den übrigen Beschäftigten hinsichtlich der Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit bzw. der Dauer des Erholungsurlaubs schlechter zu stellen. Mit der Umformulierung der Anträge hat der Betriebsrat lediglich klargestellt, welche konkreten Handlungen die Arbeitgeberin vornehmen, hilfsweise unterlassen soll, um die Schlechterstellung der beiden Arbeitnehmergruppen für die Zukunft zu beseitigen oder eine weitere Schlechterstellung zu verhindern.
II. Die Beschwerde ist auch begründet. Die Anträge sind zwar zulässig, jedoch unbegründet. Ein Anspruch des Betriebsrats gegen die Arbeitgeberin auf Gleichbehandlung der bei ihr Beschäftigten bei der Vergütung von Sonn- und Feiertagsarbeit oder der Dauer des Erholungsurlaubs ist nicht gegeben. Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin auch keinen Anspruch darauf, dass diese es unterlässt, die bei ihr Beschäftigten ohne sachlichen Grund ungleich zu behandeln. Der angefochtene Beschluss ist deshalb abzuändern und die Anträge sind zurückzuweisen.
1. Die Anträge sind, sowohl was die Hauptanträge als auch was die Hilfsanträge betrifft, zulässig.
a) Es ist davon auszugehen, dass das Verfahren ordnungsgemäß eingeleitet worden ist. Zwar hatte die Arbeitgeberin, gleichwohl der Betriebsrat die Beschlüsse über die Einleitung der Beschlussverfahrens und die Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten vom 21. August 2012 und vom 23. April 2013 in Kopie zur Akte gereicht hatte, erstinstanzlich die ordnungsgemäße Einleitung des Beschlussverfahrens und Bevollmächtigung des Verfahrensbevollmächtigten pauschal bestritten. Das Arbeitsgericht hat jedoch keine prozessualen Bedenken gesehen. Hiergegen hat sich die Arbeitgeberin in der Beschwerde nicht gewandt. Unregelmäßigkeiten bei der Beschlussfassung des Betriebsrats sind auch für die Beschwerdekammer nicht ersichtlich.
b) Unerheblich ist, dass die Arbeitgeberin der Umformulierung der Anträge in der Beschwerdeinstanz nicht zugestimmt hat. Denn - wie bereits oben ausgeführt - handelt es sich nicht um Antragsänderungen i. S. d. § 81 Abs. 3 ArbGG, sondern lediglich um klarstellende Konkretisierungen, die unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Vorbringens des Betriebsrats auch im Wege der gebotenen Auslegung der Anträge möglich gewesen wären.
c) Die Anträge sind hinreichend bestimmt i. S. d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Vorschrift ist auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbar (BAG vom 20.01.2015 - 1 ABR 1/14 - Rn. 35, EzA § 256 ZPO 2002 Nr. 12). Den Anträgen ist zu entnehmen, welche konkreten Handlungen die Arbeitgeberin vornehmen bzw. unterlassen soll.
d) Entgegen der Ansicht der Arbeitgeberin fehlt es auch nicht an der Antragsbefugnis des Betriebsrats.
aa) Die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren entspricht der Prozessführungsbefugnis im Urteilsverfahren und dient dazu, Popularanträge auszuschließen. Die Arbeitsgerichte sollen nicht zur Verfolgung von fremden Rechten angerufen werden. Deshalb ist für die Antragsbefugnis Voraussetzung, dass der Antragsteller eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte geltend macht. Dafür genügt es, dass er behauptet, Träger des streitbefangenen Rechts zu sein und dies nach dem Inhalt der einschlägigen betriebsverfassungsrechtlichen Norm nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint. Die Antragsbefugnis des Betriebsrats ist deshalb gegeben, wenn er eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtspositionen in Anspruch nimmt. Sie fehlt hingegen, wenn der Betriebsrat ausschließlich Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer reklamiert (vgl. zum Ganzen BAG vom 05.10.2010 - 1 ABR 20/09 - Rn. 13, AP Nr. 53 zu § 77 BetrVG 1972; vom 19.09.2006 - 1 ABR 53/05 - Rn. 22, AP Nr. 5 zu § 2 BetrVG 1972). Ob dem Antragsteller das geltend gemachte Recht tatsächlich zusteht, ist eine Frage der Begründetheit (BAG vom 10.12.2013 - 1 ABR 39/12 - Rn. 12, AP Nr. 144 zu § 87 BetrVG 1972 Lohngestaltung; vom 05.10.2010 - 1 ABR 20/09 - Rn. 14, a. a. O.).
bb) Danach ist der Betriebsrat antragsbefugt. Er hat geltend gemacht, nach § 75 Abs. 1 BetrVG sei er gehalten, darüber zu wachen, dass die Arbeitgeberin zwischen den Beschäftigten nicht sachgrundlos differenziere. Deshalb müsse ihm bei Verstößen der Arbeitgeberin gegen das Gleichheitsgebot ein gerichtlich durchsetzbarer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zustehen. Damit verfolgt der Betriebsrat ein eigenes betriebsverfassungsrechtliches Recht und nicht etwa die Individualansprüche der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Es ist auch nicht von vornherein ausgeschlossen, dass ihm die geltend gemachten Ansprüche zustehen.
2. Die Haupt- und Hilfsanträge zu 1. und 2. sind jedoch nicht begründet. Eine Entscheidung über den Antrag zu 3. erübrigte sich deshalb.
a) Die Anträge zu 1. und 2. können nicht auf einen allgemeinen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch wegen Verletzung von Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 BetrVG (vgl. dazu BAG vom 03.05.1994 - 1 ABR 24/93 -, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972) gestützt werden. Denn auf einen Verstoß gegen seine Mitbestimmungsrechte i. S. d. § 87 Abs. 1 BetrVG hat sich der Betriebsrat im vorliegenden Verfahren nicht berufen. Ein solcher Verstoß ist deshalb auch nicht Gegenstand des Verfahrens.
b) Ein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Betriebsrats ist aber auch nicht unter dem Aspekt eines Verstoßes der Arbeitgeberin gegen den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz oder gegen das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG, auf das wohl das Arbeitsgericht abgestellt hat, gegeben. Ein solcher Anspruch folgt weder aus § 75 Abs. 1 BetrVG noch aus § 23 Abs. 3 BetrVG.
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die Arbeitgeberin geringfügig Beschäftigte bei der Vergütung von Sonn- und Feiertagsarbeit tatsächlich schlechter behandelt als die übrigen Beschäftigten, indem sie diesen keine Sonn- und Feiertagszuschläge zahlt, - wie der Betriebsrat behauptet -, oder ob diese die Zuschläge in pauschalierter Form erhalten - wie die Arbeitgeberin behauptet - und ob eine etwaige Ungleichbehandlung sachlich gerechtfertigt wäre. Ebenso kann offen bleiben, ob die Arbeitgeberin dadurch, dass sie den zusätzlichen Betreuungskräften weniger Urlaub als anderen Beschäftigten gewährt, gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Denn die Anträge sind schon deshalb unbegründet, weil sich aus § 75 Abs. 1 BetrVG kein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Betriebsrats herleiten lässt und ein grober Verstoß der Arbeitgeberin gegen ihre betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten i. S. d. § 23 Abs. 3 BetrVG nicht ersichtlich ist.
aa) Aus § 75 Abs. 1 BetrVG folgt kein Anspruch des Betriebsrats auf Beseitigung oder Unterlassen gleichheitswidriger Maßnahmen der Arbeitgeberin. Die Vorschrift gibt eine solche Rechtsfolge nicht her.
(1) Hinsichtlich des § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG, wonach die Betriebsparteien verpflichtet sind, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern, hat das Bundesarbeitsgericht einen allgemeinen unmittelbar aus § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG herleitbaren Anspruch des Betriebsrats gegen die Arbeitgeberin oder den Arbeitgeber auf Unterlassen persönlichkeitsrechtsverletzender Maßnahmen abgelehnt. Es hat dazu ausgeführt, § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG begründe bei einseitigen Maßnahmen keine Rechte der Betriebsparteien untereinander. Vielmehr regele die Vorschrift Schutz- und Förderpflichten der Betriebsparteien jeweils im Verhältnis zu den betriebsangehörigen Arbeitnehmerinne und Arbeitnehmern. Das verpflichte sie dazu, bei eigenen Maßnahmen alles zu unterlassen, was das Recht der Betriebsangehörigen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit verletzen könnte. Im Verhältnis der Betriebsparteien zueinander bestehe diese Pflicht bei gemeinsamem Handeln. In diesem Sinne beschränkte § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG die Regelungsbefugnis der Betriebsparteien, normiere aber keine wechselseitigen Rechte und Pflichten bei einseitigen Maßnahmen. Dies gelte auch für die in § 75 Abs. 2 Satz 1 BetrVG geregelte Schutzpflicht, die beide Betriebsparteien dazu anhalte, sich bei Verstößen gegen das Recht der Betriebsangehörigen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit um Abhilfe zu bemühen. Dies schließe jedoch nicht die Befugnis ein, aus eigenem Recht zu verlangen, persönlichkeitsrechtsverletzende Maßnahmen gegenüber den unmittelbar Betroffenen künftig zu unterlassen (vgl. BAG vom 28.05.2002 - 1 ABR 32/01 - Rn. 45 zitiert nach juris, AP Nr. 39 zu § 87 BetrVG 1972 Ordnung des Betriebes).
Diese Grundsätze sind von der landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung teilweise auf § 75 Abs. 1 BetrVG übertragen worden. Auch § 75 Abs. 1 BetrVG begründe keine wechselseitigen Rechte und Pflichten der Betriebsparteien untereinander, sondern verpflichte diese lediglich gegenüber den betriebsangehörigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln, insbesondere sie nicht aus den in § 75 Abs. 1 BetrVG genannten Gründen zu benachteiligen (so Sächsisches LAG vom 07.09.2010 - 3 TaBV 2/10 - Rn. 56 zitiert nach juris, NZA-RR 2011, 72). Ganz überwiegend wird jedoch davon ausgegangen, dass dem Betriebsrat nach § 75 Abs. 1 BetrVG nicht nur die Pflicht obliegt, bei eigenen Maßnahmen und gemeinsamem Handeln mit der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber darüber zu wachen, dass die in der Vorschrift genannten Grundsätze eingehalten werden, sondern ihm auch ein Überwachungsrecht bei einseitigen Maßnahmen der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers zukommt (vgl. BAG vom 26.01.1988 - 1 ABR 34/86 - Rn. 26 zitiert nach juris, AP Nr. 31 zu § 80 BetrVG 1972; GK-BetrVG-Kreutz, § 75 Rn. 18; Fitting u. a., § 75 Rn. 17; ErfK-Kania, § 75 BetrVG Rn. 13; DKKW-Berg, § 75 Rn. 8; HK-BetrVG-Lorenz, § 75 Rn. 5).
(2) Welcher Auffassung zu folgen ist, kann offen bleiben. Denn auch dann, wenn man mit der überwiegenden Meinung davon ausgeht, dass aus § 75 Abs. 1 BetrVG auch ein Überwachungsrecht des Betriebsrats gegenüber der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber im Hinblick auf einseitige Maßnahmen folgt, begründet die Vorschrift keinen allgemeinen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Betriebsrats (so wohl auch HK-BetrVG-Düwell, § 23 Rn. 60; Richardi-Richardi, § 75 Rn. 50; a. A. ohne nähere Begründung: GK-BetrVG Kreutz, § 75 Rn. 72; Fitting u. a., § 75 Rn. 178; ErfK-Kania, § 75 BetrVG Rn. 13; DKKW-Berg § 75 Rn. 62; Wiese, NZA 2006, 1, 4).
(a) Ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch ist in § 75 Abs. 1 BetrVG nicht gesondert geregelt. Allerdings können Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche als selbstständig einklagbare Nebenleistungsansprüche auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage bestehen. Die Anerkennung eines solchen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs ist jedoch stets davon abhängig, ob ein solcher Anspruch zur Sicherung eines Rechts des Betriebsrats erforderlich ist (BAG vom 28.05.2002 - 1 ABR 32/01 - Rn. 44 zitiert nach juris, a. a. O.). Denn, wenn der Betriebsrat über § 75 Abs. 1 BetrVG - unabhängig davon, ob eigene Beteiligungsrechte betroffen sind - das Recht hätte, vom Arbeitgeber zu verlangen, jegliche sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Betriebsangehörigen abzustellen bzw. zu unterlassen, liefe dies letztlich auf die Befugnis des Betriebsrats hinaus, die individuellen Interessen der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an deren Stelle wahrzunehmen (ähnlich auch LAG Nürnberg vom 31.08.2005 - 6 TaBV 41/05 - Rn. 25 zitiert nach juris, LAGE § 23 BetrVG 2001 Nr. 4). Darauf ist das Betriebsverfassungsgesetz indes nicht angelegt.
Durch § 75 Abs. 1 BetrVG wird kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats begründet, dessen wirksame Durchsetzung eines eigenen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs bedarf (vgl. dazu BAG vom 03.05.1994 - 1 ABR 24/93 - Rn. 35 ff. zitiert nach juris, AP Nr. 23 zu § 23 BetrVG 1972). Die Vorschrift betrifft nicht die eigene Rechtsstellung des Betriebsrats und verleiht diesem auch keine Beteiligungsrechte. Vielmehr beschreibt § 75 Abs. 1 BetrVG - ähnlich wie § 80 Abs. 1 BetrVG - eine allgemeine Aufgabe des Betriebsrats (BAG vom 26.01.1988 - 1 ABR 34/86 - Rn. 26 zitiert nach juris, a. a. O.). Daneben stellt die Vorschrift verbindliche Grundsätze auf, die beide Betriebsparteien bei ihrer gesamten betrieblichen Tätigkeit und insbesondere bei der Wahrnehmung der Beteiligungsrechte und -pflichten zu beachten haben (Fitting u. a., § 75 Rn. 4). Insofern kommt ihr unmittelbare materielle Wirkung zu (Fitting u. a., a. a. O.). Außerdem enthält sie eine Auslegungsregel insbesondere für die inhaltliche und umfangmäßige Ausgestaltung der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach den §§ 87 ff. BetrVG und der Rechte der einzelnen Betriebsangehörigen nach den §§ 81 ff. BetrVG (Fitting u. a., § 75 Rn. 4 m. w. N.). Die Regelungen des § 75 Abs. 1 und 2 BetrVG gehören - wie sich nicht zuletzt auch aus der Stellung des Vorschrift im ersten Abschnitt des vierten Teils des Betriebsverfassungsgesetzes ergibt - zu den übergreifenden, gleichsam vor die Klammer gezogenen allgemeinen Grundsätzen und Regelungen über die Zusammenarbeit der Betriebsparteien und die Ausübung der anderweitig geregelten Beteiligungsrechte.
(b) § 75 Abs. 1 BetrVG entspricht, was einseitige Maßnahmen der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers gegenüber den Betriebsangehörigen betrifft, hinsichtlich seines Regelungscharakters weitgehend dem § 80 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Aus dieser Regelung folgt jedoch kein Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch des Betriebsrats, sodass für § 75 Abs. 1 BetrVG nichts anderes geltend kann:
Nach § 80 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die zu Gunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Gesetze, Verordnungen und Unfallverhütungsvorschriften, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen durchgeführt werden. Die Vorschrift erfasst das gesamte normative Recht sowie die durch Richterrecht entwickelten Grundsätze und damit auch den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten nach § 4 Abs. 1 TzBfG (Fitting u. a., § 80 Rn. 6). § 80 Abs. 1 Satz 1 BetrVG verleiht dem Betriebsrat jedoch keinen über § 23 Abs. 3 BetrVG hinausgehenden Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch (BAG vom 28.05.2002 - 1 ABR 40/01 - Rn. 39 zitiert nach juris, AP Nr. 96 zu § 87 BetrVG 1972 Arbeitszeit, und seitdem in st. Rspr., siehe z. B. BAG vom 17.05.2011 - 1 ABR 121/09 - Rn. 18, AP Nr. 73 zu § 80 BetrVG 1972; vom 13.03.2007 - 1 ABR 22/06 - Rn. 37, AP Nr. 52 zu § 95 BetrVG 1972). Mit der Aufgabe des Betriebsrats, die Einhaltung von Schutzvorschriften zu Gunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu überwachen, geht nicht die Befugnis zur Wahrnehmung von Individualinteressen einher (BAG vom 28.05.2008 - 1 ABR 19/07 - Rn. 15, AP Nr. 4 zu § 81 BetrVG 1972). Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften bei der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen (BAG vom 18.05.2010 - 1 ABR 6/09 - Rn. 21, AP Nr. 51 zu § 77 BetrVG 1972 Betriebsvereinbarung; vom 28.05.2002 - 1 ABR 40/01 - Rn. 39, zitiert nach juris, a. a. O.).
(c) Schließlich steht der Annahme eines unmittelbar aus § 75 Abs. 1 BetrVG ableitbaren Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des Betriebsrats auch die Regelung des § 17 Abs. 2 AGG entgegen. Nach dieser Bestimmung hat der Betriebsrat bei Verstößen der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers gegen das Verbot einer Benachteiligung von Beschäftigten aus den in § 1 AGG genannten Gründen einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch nur bei groben Verstößen. § 75 Abs. 1 BetrVG ist mit Wirkung ab dem 18. August 2006 zeitgleich mit der Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes durch Art. 3 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) neu gefasst und an das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz angepasst worden. Wenn der Gesetzgeber den Stimmen in der Literatur, die einen allgemeinen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch des Betriebsrats aus § 75 Abs. 1 BetrVG befürworten, hätte folgen wollen, hätte es nahe gelegen, aus Anlass der Neufassung einen solchen Anspruch ausdrücklich zu regeln oder zumindest im Rahmen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes auf die Voraussetzung eines groben Verstoßes zu verzichten. Dies ist jedoch nicht geschehen.
(d) Soweit die Befürworter eines selbstständig durchsetzbaren Beseitigungs- und Unterlassungsanspruchs des Betriebsrats aus § 75 Abs. 1 BetrVG auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 12. Juni 1975 - 3 ABR 13/74 - (AP Nr. 1 zu § 87 BetrVG 1972 Altersversorgung) verweisen (so Fitting u. a., § 75 Rn. 17), berücksichtigen sie nicht, dass es bei dieser Entscheidung nicht um einseitige Maßnahmen der Arbeitgeberin ging, sondern um Regelungen zur betrieblichen Altersversorgung, die nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen und bei deren Ausübung die Betriebsparteien an die Grundsätze des § 75 BetrVG gebunden sind (siehe Rn. 18 ff. und 38 der Entscheidung zitiert nach juris).
bb) Die Ansprüche ergeben sich hier auch nicht aus § 23 Abs. 3 BetrVG.
Nach § 23 Abs. 3 BetrVG steht dem Betriebsrat bei groben Verstößen der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers gegen ihre oder seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten ein Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch zu. Zu den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten der Arbeitgeberin oder des Arbeitgebers gehört auch die Verpflichtung nach § 75 Abs. 1 BetrVG, alle im Betrieb tätigen Beschäftigten nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln und insbesondere Beschäftigte nicht ohne sachlichen Grund schlechter als andere Beschäftigte zu stellen. Ein grober Verstoß gegen diese Verpflichtung ist gegeben, wenn die Arbeitgeberin oder der Arbeitgeber in erheblicher Weise und offensichtlich schwerwiegend gegen diese Verpflichtung verstößt (Fitting u. a., § 23 Rn. 62 m. w. N.).
Dass diese Voraussetzungen gegeben sind, ist nicht ersichtlich und hat der Betriebsrat auch nicht behauptet.
3. Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG i. V. m. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.
4. Die Rechtsbeschwerde war nach § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.