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Arbeitsrecht
25.02.2021
Arbeitsrecht
ArbG Berlin: Änderungskündigung zur Versetzung an einen anderen Arbeitsort

ArbG Berlin, Urteil vom 10.8.2020 – 19 Ca 13189/19

ECLI:DE:ARBGBE:2020:0810.19CA13189.19.00

Volltext: BB-Online BBL2021-575-1

Leitsatz

Bei einer Änderung der Arbeitsbedingungen durch Änderungskündigung aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung muss sich diese auf das Maß beschränken, das für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer gegenüber der Klägerin ausgesprochenen Änderungskündigung, die diese nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen hat.

Die Klägerin ist seit dem 01.11.1992 in der Berliner Niederlassung der mit Hauptsitz in Wuppertal ansässigen Beklagten als Vertriebsassistentin mit einem Vierteljahresbezug von zuletzt ….. Euro brutto beschäftigt. Mit Schreiben vom 10.10.2019, der Klägerin am 14.10.2019 zugegangen, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.05.2020 und bot der Klägerin gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit Arbeitsort in Wuppertal an.

Mit Datum vom 31.01./06.02.2019 wurde zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Betriebsrat ein Interessenausgleich vereinbart. Darin heißt es, dass die Beklagte den Betrieb der Niederlassung in der F.straße 194 bis 199 zum 31.12.2019 vollständig stilllegen werde. Für die Vertriebsassistenten bestünde die Möglichkeit, sich auf Positionen in Wuppertal zu bewerben, wofür insgesamt fünf Stellen reserviert seien. Wegen des näheren Inhaltes des Interessenausgleichs wird auf die in der Akte befindliche Ablichtung (Blatt 52 folgende der Akte) verwiesen. Gleichzeitig wurde ein Sozialplan verabredet, der eine Abfindungszahlung für den Fall des Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis vorsieht. Die Höhe der geschuldeten Abfindung ist zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin hält die Kündigung für sozial ungerechtfertigt. Sie bestreitet, dass die Geschäftsführung der Beklagten die Entscheidung getroffen habe, die Vertriebstätigkeit insgesamt umzustrukturieren und die neben der Zentrale in Wuppertal angeblich bestehenden fünf Niederlassungen einschließlich der Niederlassung in Berlin zu schließen. Selbst wenn dies der Fall sei, hätte die Klägerin die Möglichkeit, die Arbeit von zu Hause aus zu erbringen. Eine solche Weiterbeschäftigung wäre ein milderes Mittel gegenüber der ausgesprochenen Änderungskündigung und gerade angesichts der Beschäftigungsdauer von 27,5 Jahren angezeigt gewesen. Der Umstand, dass den vormaligen Niederlassungsleitern die Möglichkeit eingeräumt worden sei, illustriere das deutlich. Seit etwa drei Jahren würde auch bei der Beklagten digital gearbeitet, und zwar auch durch die Klägerin. Die Möglichkeit einer solchen Telearbeit ergebe sich auch aus einer Rahmenrichtlinie vom 04.07.2019. Schließlich erfolge die Tätigkeit der Klägerin auch bereits komplett digital mit elektronischer Aktenführung. Die Verweigerung des häuslichen Arbeitsplatzes sei umso unverständlicher, als dass der Ehemann der Klägerin, der gleichfalls bei der Beklagten beschäftigt ist, als Leiter Bau Region Nordost aus dem gemeinsamen Haushalt bereits arbeite. Wegen der weiteren Einzelheiten der klägerischen Argumentation wird insbesondere auf den Schriftsatz vom 02.03.2020 (Blatt 66 fortfolgende der Akte) verwiesen.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen im Zusammenhang mit der Änderungskündigung der Beklagten vom 10.07.2019, zugegangen am selben Tag, unwirksam ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 10.10.2019 nicht beendet worden ist, sondern über den 31.05.2020 hinaus unverändert fortbesteht.

Hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit den Anträgen zu 1. und 2. beantragt die Klägerin,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein Übergangsgeld bei Erreichen des vollendeten 65. Lebensjahres für sechs Monate zu zahlen in Höhe der Differenz zwischen dem Ruhegeld und den vollen Bezügen, die sie unmittelbar vor ihrem Ausscheiden am 31.05.2020 hatte und

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin eine Sozialplanabfindung in Höhe von 185.466,33 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die streitgegenständliche Kündigung als durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt. Auf Grund der Schließung der Berliner Niederlassung sei eine Tätigkeit in Berlin nicht mehr möglich, sondern der Klägerin eine solche in Wuppertal anzubieten gewesen. Dort sei ein entsprechendes Zentrum aufgebaut worden. Die Klägerin könne ihre vertraglich geschuldete Leistung nicht von Hause aus erbringen, da für Mitarbeiter, die nicht im Außendienst tätig sind, einschließlich der vormaligen Niederlassungsleiter, die künftig als Regionalleiter im Außendienst tätig werden, keine Möglichkeit zur Tätigkeit von zu Hause aus eröffnet ist. Auch Teamleiter seien nicht von zu Hause aus tätig. Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des beklagten Sachvortrages wird auf den Schriftsatz vom 29.01.2020 Seiten 3 fortfolgende (Blatt 46 fortfolgende der Akte) verwiesen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.

1. Die Klage ist innerhalb der Klageerhebungsfrist des § 4 Satz 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) bei Gericht eingegangen und der Beklagten demnächst im Sinne von § 167 ZPO (Zivilprozessordnung) zugestellt worden.

2. Die streitgegenständliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Absatz 2 KSchG und daher gemäß § 1 Absatz 1 KSchG unwirksam.

2.1. Da die Klägerin die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht, auch nicht unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung angenommen hat, streiten die Parteien de facto um die Wirksamkeit einer Beendigungskündigung. Da die Klägerin es aber in der Hand gehabt hatte, eine vorbehaltliche Annahme zu erklären, ist der Maßstab für die Wirksamkeit der Kündigung der einer Änderungskündigung.

2.2. Auch gemessen an diesem Maßstab erweist sich die streitgegenständliche Kündigung als unwirksam.

2.2.1. Zwar liegt eine unternehmerische Entscheidung vor, die zum Wegfall der bisherigen Beschäftigungsmöglichkeit am Standort F.straße in Berlin führt. Dies kann angesichts der Festlegungen im Interessenausgleich und Sozialplan nicht mit Erfolg bestritten werden. Die unternehmerische Entscheidung zur Schließung dieser Filiale ist vom Gericht nicht zu überprüfen (vergleiche Gallner/Mestwerdt und andere – Zimmermann, Kündigungsschutzrecht,  667 fortfolgende zu § 1 KSchG).

2.2.2. Die Beklagte musste sich aber bei der Änderung der Arbeitsbedingungen auf das Maß beschränken, dass für die Durchsetzung der unternehmerischen Entscheidung unabdingbar ist. Vorliegend hätte die Änderung der Arbeitsbedingungen auch darin bestehen können, dass die Klägerin ihre Tätigkeit von zu Hause erbringt. Zwar besteht kein grundsätzlicher Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen solchen häuslichen Arbeitsplatz. Maßgeblich sind immer sämtliche Umstände des Einzelfalls. Vorliegend ist zu beachten, dass die Beklagte auch auf den gerichtlichen Hinweis vom 11.05.2020 (Blatt 126 der Akte) nicht dargelegt hat, warum eine physische Präsenz der Klägerin am Standort Wuppertal zur Erfüllung der arbeitsvertraglich geschuldeten Aufgaben notwendig ist.

Vielmehr hat die Klägerin substantiiert dargelegt, dass ihre Tätigkeit insoweit digitalisiert ist, dass sie sie auch von zu Hause aus erbringen könnte. Die hierfür notwendige technische Infrastruktur ist im Hause der Klägerin ganz offensichtlich auch vorhanden, da ihr Ehemann bereits mit dieser arbeitet. Die Klägerin hat dies alles im Schriftsatz vom 02.03.2020 substantiiert dargelegt. Seitens der Beklagten kam daraufhin nur der Hinweis, dass es nicht der unternehmerischen Entscheidung entspräche. Diese unternehmerische Entscheidung kann jedoch nicht der gerichtlichen Entscheidung ungeprüft zu Grunde gelegt werden. Die unternehmerische Entscheidung besteht darin, den Standort Berlin zu schließen. Welches die konkreten Folgerungen daraus sind, ist vom Gericht zu überprüfen. Dabei hat sich die Beklagte auf das mildeste Mittel zu beschränken. Dies besteht vorliegend darin, die Klägerin von zu Hause arbeiten zu lassen. Dass dies der Beklagten nicht fremd ist, zeigt, dass es bereits eine kollektivrechtliche Vereinbarung hierzu gibt. Auch wenn diese keinen Anspruch begründet, zeigt sie doch, dass das häusliche Arbeiten durch elektronische Vermittlung im Hause der Beklagten durchaus üblich ist. Angesichts der nunmehr deutlich stärker erfolgten Verbreitung elektronischen Arbeitens von zu Hause aus durch die Corona-Krise erscheint das Verhalten der Beklagten als aus der Zeit gefallen und letztlich willkürlich.

3. Der Klageantrag zu 2. muss jedoch der Abweisung unterliegen, da hierfür kein Feststellungsinteresse im Sinne von § 256 Absatz 1 ZPO vorliegt. Weitere Beendigungsumstände außer der hier streitgegenständlichen Änderungskündigung sind nicht in das Verfahren eingeführt worden.

4. Da der allgemeine Feststellungsantrag nicht zu einer Streitwerterhöhung führt, waren die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten vollständig aufzuerlegen (§ 92 Absatz 2 Nummer 1 ZPO analog).

5. Der Wert des Streitgegenstandes war gemäß §§ 61 Absatz 1 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz), 42 Absatz 2 GKG (Gerichtskostengesetz) im Urteil festzusetzen.

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