LAG Baden-Württemberg: Abgrenzung Bereitschaftsdienst und Bereitschaftszeit nach AVR Caritas
LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.1.2019 – 1 Sa 9/18
Volltext: BB-Online BBL2019-1843-6
Amtlicher Leitsatz
Leistet ein Erzieher in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe Nachtbereitschaft, während derer er ruhen und sogar schlafen darf, so handelt es sich nicht um Bereitschaftszeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR Caritas. Der Erzieher leistet vielmehr Bereitschaftsdienst gemäß § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR Caritas, weil er sich während der Nachtbereitschaft nicht im Zustand der "wachen Achtsamkeit" befinden muss und somit der Tarifbegriff der "Arbeitsaufnahme im Bedarfsfall" erfüllt ist. Der Erzieher kann für die Nachtbereitschaft nur das Bereitschaftsdienstentgelt verlangen, nicht aber eine darüber hinausgehende Vergütung wie für Vollarbeit.
Sachverhalt
Die Parteien streiten darüber, ob die vom Kläger in einer Einrichtung der Kinder- und Jugendpflege geleistete Nachtbereitschaft als Bereitschaftsdienst oder als Bereitschaftszeit anzusehen ist.
Der am ...1963 geborene Kläger ist seit dem ...1989 bei der Beklagten als Erzieher beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt ein Arbeitsvertrag vom ...1989 (Anlage K 1) zugrunde. Nach § 2 des Arbeitsvertrags gelten für das Dienstverhältnis die „Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes“ (im Folgenden AVR). Für den Kläger sind die besonderen Regelungen für Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst der Anlage 33 einschlägig. Das monatliche Bruttoentgelt des Klägers belief sich Ende des Jahres 2016 auf 3.921,92 EUR.
Die Beklagte ist eine Stiftung, die Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe betreibt. Neben Tageseinrichtungen gibt es bei der Beklagten Wohngruppen, in denen Kinder und Jugendliche in Gruppen von bis zu acht Personen dauerhaft zusammenleben. Bei den Kindern handelt es sich zumeist um Waisen oder um schwererziehbare und/oder traumatisierte Kinder. Die Beklagte hat insgesamt 16 Häuser. In elf davon befinden sich momentan vollstationäre Gruppen.
Der Kläger betreut eine der vollstationären Wohngruppen im Haus Nr. 4. Hierbei handelt es sich um ein Haus, in dem die Kinder und Jugendlichen, mit einem Einfamilienhaus vergleichbar, auf den verschiedenen Stockwerken untergebracht sind. In dem Haus befindet sich auch ein Nachtbereitschaftszimmer für die Betreuer mit einer Nasszelle.
Die regelmäßige Arbeitszeit des Klägers beträgt 39 Stunden pro Woche. Diese Arbeitszeit leistet der Kläger in Form von Schichtarbeit. Darüber hinaus ist er fünf bis sechs Mal pro Monat für die Nachtbereitschaft eingeteilt. Diese beginnt um 22:00 Uhr und endet während der Schulzeit um 6:00 Uhr bzw. während der Ferienzeit und am Wochenende um 8:00 Uhr. Nach dem pädagogischen Konzept der Beklagten betreut der Kläger die Kinder und Jugendlichen nach Ende der Nachtbereitschaft noch während des Aufstehens. Anschließend endet seine Arbeitszeit.
Während der Nachtbereitschaft ist es dem Kläger gestattet, im Nachtbereitschaftszimmer zu schlafen. Regelmäßige Kontrollgänge durch das Haus sind nicht vorgeschrieben. Während der Nachtbereitschaft unterbricht der Kläger seine Nachtruhe, falls Auffälligkeiten im Haus bemerkbar sind, und nimmt dann ggf. selbständig seine Arbeit auf. Vorfälle während der Nacht, die für den nachfolgenden Betreuer von Bedeutung sind, werden in einem Dienstbuch vermerkt. Im Jahr 2017 wurden für die gesamte Wohngruppe im Haus 4 dreizehn besondere Umstände bzw. Störungen vermerkt. Zwei davon betrafen die Nachtbereitschaft des Klägers. Dazu, in welchem Umfang der Kläger darüber hinaus seine Nachtruhe unterbricht bzw. zu unterbrechen hat, um nach den Kindern und Jugendlichen zu sehen, bestehen zwischen den Parteien unterschiedliche Auffassungen.
Zwischen dem Vorstand und der Mitarbeitervertretung der Beklagten wurde am 13. November 2014 eine Dienstvereinbarung zur Regelung der Arbeitszeit im Bereich der Wohngruppen geschlossen (Anlage B 2). Nach Ziff. 2.2 werden die Beschäftigten im Erziehungsdienst der Wohngruppen nach einem Schichtplan eingesetzt. Nach Ziff. 3.1 werden für die Mitarbeiter Arbeitszeitkonten geführt. Nach Ziff. 3.8 wird das Bereitschaftsdienstentgelt im Regelfall entsprechend den AVR-Bestimmungen faktorisiert und als Gutschrift auf das Arbeitszeitkonto gebucht. Der Mitarbeiter kann verlangen, dass er das Bereitschaftsdienstentgelt ausbezahlt bekommt.
Bis etwa zum Jahr 2014 bestand zwischen dem Vorstand und der Mitarbeitervertretung Einigkeit, dass die Nachtbereitschaft als Bereitschaftsdienst anzusehen sei. Mit Schreiben vom 17. März 2017 (K 4) wandte sich der Kläger an den Vorstand mit der Mitteilung, dass er die Frage der rechtlichen Einordnung der Nachtbereitschaft rechtlich untersuchen lassen wolle. Er forderte die Beklagte auf, die Nachtbereitschaftszeiten wie Vollarbeit zu vergüten. Mit Schreiben vom 6. Mai 2017 (Anlage K 5) teilte die Beklagte mit, dass die Nachtbereitschaft nach ihrer Auffassung korrekt als Bereitschaftsdienst vergütet werde. Mit Schreiben vom 8. Juni 2017 (Anlage B 1) wandten sich der Vorstand und die Mitarbeitervertretung in einem gemeinsamen Schreiben an verschiedene Stellen mit der Bitte um Rechtsrat. Mit Schreiben vom 6. November 2017 (Anlage B 3) teilte der Caritas-Verband mit, dass er die Zeiten der Nachtbereitschaft als Bereitschaftsdienst betrachte.
Mit seiner am 13. November 2017 eingegangenen Klage begehrte der Kläger die Vergütung der Nachtbereitschaftszeiten wie Vollarbeit in der Vergangenheit und eine entsprechende Feststellung für die Zukunft. Er trug vor, zu Unrecht werte die Beklagte die Nachtbereitschaft als Bereitschaftsdienst im Sinne des § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR. Bereitschaftsdienst zeichne sich durch eine Aufenthaltsbeschränkung sowie durch die Verpflichtung aus, bei Bedarf auf Anweisung des Arbeitgebers unverzüglich tätig zu werden. Für die Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Bereitschaftszeit sei entscheidend, ob der Arbeitnehmer den Arbeitsbedarf selbständig erkennen und dann die Arbeit aktiv aufnehmen müsse (dann Bereitschaftszeit) oder ob er rein passiv abwarten könne, bis er vom Arbeitgeber zur Arbeitsaufnahme aufgefordert werde (dann Bereitschaftsdienst). Bereitschaftszeit (Arbeitsbereitschaft) erfordere, dass der Arbeitnehmer sich an seinem Arbeitsplatz im Zustand wacher Achtsamkeit zur sofortigen Aufnahme der Arbeit bereithalten müsse.
Im Falle der Nachtbereitschaft sei es ihm nur theoretisch möglich zu schlafen. Zu groß sei die Verantwortung, die er für das Haus und die ihm anvertrauten Kinder und Jugendlichen trage. Er habe das Haus in der Nachtzeit so zu überwachen, dass er etwa reagieren müsse, wenn ein Kind oder ein Jugendlicher das Haus unbefugt verlasse. Die von ihm betreuten Kinder und Jugendlichen seien zum Teil in höchstem Maße traumatisiert und bedürften einer besonderen Betreuung. Mit einem klassischen Familienverbund sei die Wohngruppe nicht ansatzweise zu vergleichen.
Eine Vergütung der Nachtbereitschaft als Bereitschaftszeit sei unter Anwendung des § 8 Anlage 33 AVR ausgeschlossen, weil diese Bestimmung nicht für Wechselschicht- und Schichtarbeit gelte. Darüber hinaus fehle es auch an einer einvernehmlichen Dienstvereinbarung. Dies habe zur Folge, dass die Beklagte die von ihm geleisteten Nachtarbeitszeiten wie Vollarbeit zu vergüten habe.
Der Kläger beantragte:
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9177,41 EUR brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.03.2017 an den Kläger zu bezahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 4260,60 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3. Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses ab dem 01.08.2017 zu den zu leistenden Bereitschaftsdienste, während der Schulzeit von 22 bis 6:00 Uhr, während der Ferienzeit von 22.00 bis 8:00 Uhr, mit dem üblichen Stundenlohn von 23,67 EUR brutto zuzüglich Zulagen gemäß Anl. 33 AVR zu vergüten und nicht gemäß §§ 4 Abs. 3, 7 Anl. 33 AVR mit lediglich 25 %.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Sie trug vor, ihre Praxis zur Nachtbereitschaft werde bundesweit im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe von zahlreichen Einrichtungen so gehandhabt. Der Kläger versuche, in Anbetracht seiner persönlichen Disposition das System zu verändern. Entgegen der Auffassung des Klägers sei die Überwachung der Kinder und Jugendlichen während der Nacht deutlich eingeschränkt. Die Anwesenheit des Klägers sei notwendig, um im Ausnahmefall reagieren zu können. Der Kläger müsse nicht bei jeder Schlafstörung oder bei einem nächtlichen Gang zur Toilette einschreiten. Der pädagogische Anspruch der Einrichtung sei gerade darauf gerichtet, den Kindern und Jugendlichen eine familienähnliche Situation anzubieten. Auch im klassischen Familienverbund kontrollierten die Eltern das Verhalten der Kinder nicht ununterbrochen. Nächtliche Rundgänge, Alarmeinrichtungen und Nachtglocken gehörten nicht zum regelmäßigen Inventar von Wohnungen. Dies bedeute, dass der Kläger während der Schlafenszeit der Kinder grundsätzlich auch selbst schlafen könne. Wenn ihm dies aus seiner persönlichen Disposition heraus nicht gelinge, habe dies für die rechtliche Beurteilung keine Bedeutung.
Somit handele es sich bei der Nachtbereitschaft um Bereitschaftsdienst nach § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR. Bereitschaftsdienst liege vor, wenn sich der Arbeitnehmer, ohne dass von ihm wache Aufmerksamkeit gefordert werde, an einer vom Arbeitgeber bestimmten Stelle innerhalb des Betriebs aufzuhalten habe, um erforderlichenfalls seine volle Arbeitszeit unverzüglich aufnehmen zu können. Bereitschaftsdienst liege auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer selbst im Bedarfsfall aktiv werden müsse.
Mit Urteil vom 5. Juli 2018 wies das Arbeitsgericht die Klage ab. Zur Begründung führte das Arbeitsgericht aus, die Beklagte sei nicht verpflichtet, die Nachtbereitschaftszeiten des Klägers als Vollarbeitszeit zu vergüten. Die Nachtbereitschaft sei als Bereitschaftsdienst einzuordnen. Bereitschaftsdienst liege vor, wenn sich der Arbeitnehmer zur Verfügung halte, ohne dass von ihm wache Aufmerksamkeit gefordert werde. Die Differenzierung zwischen Selbstaktivierung und Fremdaktivierung diene hingegen nicht der Abgrenzung zwischen Arbeit und Bereitschaft. Sofern sich der Arbeitnehmer erst in den Zustand der wachen Aufmerksamkeit versetzen müsse, sei es aufgrund von Selbstaktivierung oder aufgrund von Fremdaktivierung, sei zuvor keine vollgültige Arbeitsleistung erbracht worden. Zeiten der Selbstaktivierung würden nach der Systematik der AVR nicht als reguläre Arbeitszeiten bewertet. Da dem Kläger das Schlafen nicht verboten sei, müsse er sich nicht stets in einem Zustand der wachen Aufmerksamkeit befinden.
Gegen das ihm am 1. August 2018 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. September 2018 (Montag) Berufung eingelegt und diese am 1. Oktober 2018 begründet. Er trägt vor, das Arbeitsgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Zwar greife er nicht die Feststellung des Arbeitsgerichts an, dass er keine Vollarbeit erbringe. Das Arbeitsgericht habe jedoch eine Differenzierung zwischen dem Bereitschaftsdienst und der Bereitschaftszeit unterlassen. Die Abgrenzung erfolge nach Anlage 33 AVR anhand des Kriteriums der selbständigen Arbeitsaufnahme. Liege eine solche vor, so handele es sich um Bereitschaftszeit, ansonsten lediglich um Bereitschaftsdienst. In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts werde der Begriff der Bereitschaftszeit als „Arbeitsbereitschaft“ definiert. Es sei nicht zulässig, die Bereitschaftszeit als Unterfall des Bereitschaftsdienstes zu qualifizieren.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Stuttgart, Kammern Aalen vom 05.07.2018, Az. 13 Ca 347/17 aufzuheben und
1. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 9177,41 EUR brutto nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 29.03.2017 an den Kläger zu bezahlen.
2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger weitere 4260,60 EUR nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
3. Festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, die vom Kläger im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses ab dem 01.09.2018 zu den zu leistenden Bereitschaftsdienste, während der Schulzeit von 22 bis 6:00 Uhr, während der Ferienzeit von 22.00 bis 8:00 Uhr, mit dem üblichen Stundenlohn von 23,67 EUR brutto zuzüglich Zulagen gemäß Anl. 33 AVR zu vergüten und nicht gemäß §§ 4 Abs. 3, 7 Anl. 33 AVR mit lediglich 25 %.
Hilfsweise:
Es wird festgestellt, dass die vom Kläger in der Zeit von 22:00 bis 6:00 Uhr (während der Schulzeit) und von 22:00 bis 8:00 Uhr (während der Ferienzeit und am Wochenende) zu leistenden Dienste Bereitschaftszeit im Sinne des § 8 Anl. 33 AVR sind.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, der Kläger stelle in der Berufungsbegründung klar, dass er keine Vollarbeit erbringe. Gleichwohl beanspruche er aber die volle Vergütung wie für Arbeit. Die Kritik am Urteil des Arbeitsgerichts sei nicht berechtigt. Das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass es einen qualitativen Unterschied zwischen der Vollarbeit und der Aufgabe des Klägers während der Nachtbereitschaft gebe. Den weitergehenden Vergütungsanspruch wolle der Kläger daraus ableiten, dass auf die Nachtbereitschaft weder der Bereitschaftsdienst noch die Bereitschaftszeit zutreffe. Der Schluss des Klägers, deswegen sei die Nachtbereitschaft vollständig zu vergüten, sei falsch.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG, § 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle über die mündlichen Verhandlungen verwiesen.
Aus den Gründen
I.
Die Berufung des Klägers ist gemäß § 64 Abs. 2 Buchst. b ArbGG statthaft. Sie ist auch gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, §§ 519, 520 ZPO in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden.
II.
Die Berufung des Klägers ist unbegründet. Dies gilt sowohl für die Hauptanträge als auch für den in der Berufungsverhandlung gestellten Hilfsantrag.
1. Die Klage ist zulässig.
a) Mit den Klageanträgen zu 1 und 2 aus der Berufungsbegründungsschrift vom 1. Oktober 2018 sowie mit der Klageerweiterung vom 11. Januar 2019 begehrt der Kläger die Differenzvergütung zwischen dem von der Beklagten gezahlten Bereitschaftsdienstentgelt und der Vergütung für Vollarbeit im Zeitraum von September 2016 bis August 2018. Gegen die Klageerweiterung in der Berufungsinstanz bestehen gemäß § 533 ZPO in Verbindung mit § 264 Nr. 2 ZPO keine Zulässigkeitsbedenken.
b) Der Feststellungsantrag zu 3 ist als Zwischenfeststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 2 ZPO ebenfalls zulässig. Nach dieser Bestimmung kann der Kläger zugleich mit seinem Hauptantrag auf Feststellung eines die Entscheidung bedingenden Rechtsverhältnisses klagen. Damit wird ein Begründungselement aus der Entscheidung verselbständigt und mit eigener Rechtskraft versehen. Eine Zwischenfeststellungsklage bedingt, dass die Frage nach dem Bestand des entsprechenden Rechtsverhältnisses notwendig auch bei der Entscheidung über den Hauptantrag beantwortet werden muss und darüber hinaus auch für andere denkbare Folgestreitigkeiten Bedeutung haben kann (BAG 21. Oktober 2015 – 4 AZR 663/14 – Rn 17).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Mit der Entscheidung über die Zahlungsanträge ist noch keine rechtskräftige Feststellung verbunden, dass die Beklagte die Nachtbereitschaftszeiten ab dem 1. September 2018 wie Vollarbeitszeit zu vergüten hat. Diese Rechtsfrage wird mit der vorliegenden Zwischenfeststellungsklage für denkbare Folgerechtsstreitigkeiten rechtskräftig geklärt.
c) Schließlich ist auch der in der Berufungsverhandlung gestellte Hilfsantrag zulässig. Dieser Hilfsantrag steht mit dem Hinweis der Kammer in Zusammenhang, dass die Einordnung der Nachtbereitschaft als Bereitschaftszeit nicht zwingend die vom Kläger erstrebte vergütungsrechtliche Folge nach sich ziehe. Mit dem Hilfsantrag begehrt der Kläger daher die Feststellung, dass die Nachtbereitschaftszeiten als Bereitschaftszeiten zu werten seien, ohne hiermit vergütungsrechtliche Folgen zu verbinden.
Für diesen Antrag besteht das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Sollte die vom Kläger geleistete Nachtbereitschaft als Bereitschaftszeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR anzusehen sein, so dürfte die Beklagte die Nachtbereitschaftszeit des Klägers künftig rechtlich nicht mehr als Bereitschaftsdienst im Sinne des § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR einordnen. Unter diesen Umständen müsste die Beklagte das bei ihr praktizierte Schichtmodell daraufhin überprüfen, ob und ggf. inwieweit es noch den arbeitszeitrechtlichen Vorgaben der Anlage 33 AVR entspricht. Der Kläger könnte ggf. von der Beklagten verlangen, die Durchführung eines AVR-widrigen Schichtmodells zu unterlassen. Durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag wird der Streit der Parteien über die rechtliche Einordnung der Nachtbereitschaft insgesamt beseitigt und das Rechtsverhältnis der Parteien insoweit abschließend geklärt. Für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage genügt es, wenn einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis zur Entscheidung des Gerichts gestellt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. nur BAG 21. April 2010 – 4 AZR 755/08 – Rn 19 ff.).
Gegen die in der Stellung des Hilfsantrags liegende Änderung des Klageantrags in der Berufungsinstanz bestehen nach § 533 ZPO keine Bedenken. Es handelt sich hierbei nicht um eine Klageänderung im Sinne des § 263 ZPO, sondern um eine Beschränkung des Klageantrags in der Hauptsache nach § 264 Nr. 2 ZPO. Somit ist § 533 ZPO nicht einschlägig (Zöller-Heßler, ZPO, 32. Aufl., § 533 Rn 4).
2. Die Klage ist mit den Hauptanträgen zu 1 bis 3 unbegründet. Selbst wenn die vom Kläger geleistete Nachtbereitschaft als Bereitschaftszeit im Sinne des § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR anzusehen wäre, könnte der Kläger nicht verlangen, dass die Zeiten der Nachtbereitschaft wie Vollarbeit zu vergüten sind. Hierfür fehlt es an der erforderlichen Anspruchsgrundlage.
a) Die für die Mitarbeiter im Sozial- und Erziehungsdienst geltende Anlage 33 AVR sieht als Sonderform der Arbeit in § 4 Abs. 3 den Bereitschaftsdienst vor. Diesen leisten Mitarbeiter, die sich auf Anordnung des Dienstgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer vom Dienstgeber bestimmten Stelle aufhalten, um im Bedarfsfall die Arbeit aufzunehmen. Nach § 5 Abs. 1 Anlage 33 AVR darf der Dienstgeber Bereitschaftsdienst nur anordnen, wenn zu erwarten ist, dass zwar Arbeit anfällt, erfahrungsgemäß aber die Zeit ohne Arbeitsleistung überwiegt. Für die Leistung von Bereitschaftsdiensten erhalten die Mitarbeiter nach § 7 Abs. 1 Anlage 33 AVR das sogenannte Bereitschaftsdienstentgelt. Dieses ist je nach dem Umfang der während des Bereitschaftsdienstes anfallenden Arbeitsleistungen in 4 Stufen zwischen 15 % und 55 % gestaffelt. Nach § 7 Abs. 5 Anlage 33 AVR kann das Bereitschaftsdienstentgelt unter den dort angegebenen Voraussetzungen in Freizeit abgegolten werden. Hiervon haben die Arbeitgeberin und die Mitarbeitervertretung in Ziff. 3.8 der Dienstvereinbarung vom 13. November 2014 (Anlage B 2) Gebrauch gemacht.
Von den Zeiten des Bereitschaftsdienstes sind die sogenannten Bereitschaftszeiten zu unterscheiden. Hierbei handelt es sich nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Anlage 33 AVR um die Zeiten, in denen sich der Mitarbeiter am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Dienstgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen. Bei Mitarbeitern, in deren Tätigkeit regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten fallen, werden diese nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Anlage 33 AVR zur Hälfte als tarifliche Arbeitszeit gewertet (faktorisiert). Dies bedeutet, dass der Beschäftigte zwar keine höhere Arbeitsleistung zu erbringen hat, er aber dem Arbeitgeber für das vereinbarte monatliche Entgelt mehr Arbeits- bzw. Anwesenheitszeiten zur Verfügung stellen muss. Die Bereitschaftszeit liegt innerhalb der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit und führt zu einer Verlängerung der Anwesenheitszeit des Beschäftigten im Betrieb, ohne dass hierfür ein zusätzliches Entgelt bezahlt wird (grundlegend BAG 24. September 2008 – 10 AZR 669/07, 10 AZR 770/07 und 10 AZR 939/07 zur vergleichbaren Regelung in § 8 Abs. 4 und 9 TVöD; ferner BAG 28. Juli 2010 – 5 AZR 342/09 – Rn 12; BAG 17. Dezember 2009 – 729/08 – Rn 21).
Mit den genannten Regelungen in der Anlage 33 AVR hat die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritas-Verbandes die Systematik der Regelungen in § 7 Abs. 3 und 9 Abs. 1 TVöD übernommen. Dies bedeutet, dass der Bereitschaftsdienst grundsätzlich gesondert vergütet wird und zwar zusätzlich zur regulären Vergütung. Bereitschaftszeiten werden hingegen in bestimmter Weise auf die Arbeitszeit angerechnet (BAG 24.09.2008 – 10 AZR 770/07 – Rn 30). Voraussetzung für die Faktorisierung ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 Anlage 33 AVR, dass eine nicht nur vorübergehend angelegte Organisationsmaßnahme besteht, bei der regelmäßig und in nicht unerheblichem Umfang Bereitschaftszeiten anfallen. Die Anwendung von § 8 Abs. 1 bedarf nach dem Absatz 2 der Vorschrift einer einvernehmlichen Dienstvereinbarung. Nach der Anmerkung zu § 8 gilt die Regelung nicht für Wechselschicht- und Schichtarbeit.
b) Im Streitfall scheitert die Anwendung des § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR, sollte die Nachtbereitschaft als Bereitschaftszeit rechtlich einzuordnen sein, bereits daran, dass der Kläger Schichtarbeit leistet. Außerdem fehlt es an einer zwischen Arbeitgeberin und Mitarbeitervertretung geschlossenen einvernehmlichen Dienstvereinbarung. Zu Unrecht zieht der Kläger aus diesem Umstand den Schluss, die Nachtbereitschaft sei daher wie Vollarbeit zu bezahlen.
aa) Geht man an dieser Stelle zugunsten des Klägers davon aus, die Beklagte habe die Nachtbereitschaft zu Unrecht als Bereitschaftsdienst in Sinne des § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR gewertet, so stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus einer rechtswidrigen Anordnung von Bereitschaftsdienst ergeben. Der Kläger meint, die von ihm geleistete Nachtbereitschaft sei „wie“ Vollarbeit zu vergüten, weil die Anmerkung zu § 8 Anlage 33 AVR die Faktorisierung von Bereitschaftszeiten bei Wechselschicht- und Schichtarbeit „sperre“. Demzufolge habe die Beklagte über die bereits bezahlten 25 % des Tabellenentgelts hinaus für jede Stunde der Nachtbereitschaft weitere 75 % zu bezahlen.
bb) Ein solcher Anspruch lässt sich jedoch der Anlage 33 AVR nicht entnehmen. Der Kläger geht zunächst selbst davon aus, dass er während seiner Nachtbereitschaft keine Vollarbeit zu leisten hat. Während der Bereitschaft fallen unstreitig die von einem Erzieher typischerweise vertraglich geschuldeten Arbeitsleistungen nur zeitweise an. Die Nachtbereitschaft ist damit keine Vollarbeit.
Eine Vergütung von rechtswidrig angeordnetem Bereitschaftsdienst „wie“ Vollarbeit sieht die Anlage 33 AVR nicht vor. Ordnet der Arbeitgeber rechtswidrig Bereitschaftsdienst an, weil er die Voraussetzungen der Anlage 33 AVR hierfür verkennt, so wandelt sich die vom Arbeitnehmer geleistete Tätigkeit nicht in Vollarbeit mit einem entsprechenden Vergütungsanspruch um. Der Bereitschaftsdienst bleibt vielmehr Bereitschaftsdienst. Der Arbeitnehmer ist allerdings berechtigt, die Ableistung von rechtswidrigem Bereitschaftsdienst zu verweigern (BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – Rn 47; BAG 5. Juni 2003 – 6 AZR 14/02 – Rn 62; BAG 27. Februar 1985 – 7 AZR 552/82 – Rn 23). Zur Durchsetzung der Arbeitszeitbestimmungen der AVR bedarf es keiner vergütungsrechtlichen „Sanktion“.
Sollte die vom Kläger geleistete Nachtbereitschaft keinen Bereitschaftsdienst darstellen, sondern vielmehr als Bereitschaftszeit rechtlich einzuordnen sein, dann könnte die Beklagte das von ihr praktizierte Arbeitszeitmodell ggf. nicht mehr so wie bisher handhaben. Die Beklagte könnte die tägliche Arbeitszeit des Klägers nicht mehr in den Grenzen des § 5 Abs. 2 Anlage 33 AVR verlängern. Der Kläger wäre ggf. nicht verpflichtet, über seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Nachtbereitschaften zu leisten.
c) Ein ergänzender Vergütungsanspruch für die geleisteten Nachtbereitschaftsstunden folgt auch nicht aus § 1 Abs. 2 Satz 1 MiLoG. Zwar schuldet der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde. Die gesetzliche Vergütungspflicht des Mindestlohngesetzes differenziert nicht nach dem Grad der tatsächlichen Inanspruchnahme. Somit sind auch für Bereitschaftszeiten der gesetzliche Mindestlohn zu zahlen (BAG 29. Juni 2016 – 5 AZR 716/15 – Rn 29; BAG 11. Oktober 2017 – 5 AZR 591/16 – Rn 14).
Im vorliegenden Fall scheitert ein Anspruch nach dem Mindestlohngesetz aber daran, dass die Beklagte den Anspruch erfüllt hat. Die dem Kläger gezahlte Bruttovergütung überschritt das Produkt der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit zuzüglich der geleisteten Nachtbereitschaftszeiten multipliziert mit dem im Anspruchszeitraum geltenden Mindeststundenlohn bei Weitem. Im Anspruchszeitraum leistete der Kläger maximal 78 Nachtbereitschaftsstunden pro Monat. Zuzüglich seiner regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 169 Stunden hätte er somit 247 Stunden erreicht. Unter Berücksichtigung dieser Stundenzahl betrug der Stundenlohn des Klägers bei einer Monatsvergütung von rund 4.000,00 EUR immer noch knapp 16,00 EUR und überschritt damit den Mindestlohn erheblich.
3. Die Klage ist auch mit dem in der Berufungsverhandlung gestellten Hilfsantrag unbegründet, weil die Beklagte die vom Kläger geleistete Nachtbereitschaft rechtlich zutreffend nicht als Bereitschaftszeit, sondern als Bereitschaftsdienst eingeordnet hat.
a) Die von den Beschäftigten während eines Nachtdienstes geleisteten Dienste können je nach dem Grad der Beanspruchung Vollarbeit, Bereitschaftszeit oder Bereitschaftsdienst darstellen. Vollarbeit verlangt von dem Arbeitnehmer eine ständige Aufmerksamkeit und Arbeitsleistung (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 255/10 – Rn 14; BAG 17. Juli 2007 – 6 AZR 505/07 – Rn 20; BAG 28. Januar 2004 – 5 AZR 530/02 – Rn 40). Graduell absteigend wird der Arbeitnehmer weniger beansprucht bei der Bereitschaftszeit und dem Bereitschaftsdienst. Nach dem äußeren Erscheinungsbild ähneln Bereitschaftszeit und Bereitschaftsdienst; es bestehen aber Unterschiede in der Belastung. Leistet der Arbeitnehmer Bereitschaftszeit, so ist er stärker gefordert als ein Arbeitnehmer, der „nur“ Bereitschaftsdienst erbringt. Diese Unterschiede in der Intensität der Belastung rechtfertigen eine unterschiedliche rechtliche Behandlung (BAG 18. Mai 2011 a.a.O. Rn 15).
Die maßgeblichen Unterschiede zwischen Bereitschaftszeit und Bereitschaftsdienst hat des Bundesarbeitsgericht in den bereits oben zitierten Entscheidungen vom 24. September 2008 herausgearbeitet. Hiernach sind Arbeitnehmer, die Bereitschaftszeiten leisten, in stärkerem Maße an den Aufenthaltsort gebunden als Arbeitnehmer, die im Bereitschaftsdienst sind. Der Begriff der Bereitschaftszeiten knüpft an den früheren Begriff der Arbeitsbereitschaft im Sinne von § 15 Abs. 2 BAT und den vergleichbaren Tarifwerken an. Hierbei wurde von dem Beschäftigten eine „wache Achtsamkeit im Zustand der Entspannung“ verlangt, um im Bedarfsfall von sich aus und ohne Aufforderung durch Dritte die volle vertragliche Arbeitstätigkeit unverzüglich aufnehmen zu können. Es wurde daher eine Leistung gefordert, die unterhalb der vollen Arbeitsleistung liegt, andererseits aber auch ein Mindestmaß an körperlicher oder geistiger Anspannung zur Aufnahme von Arbeit abverlangt (BAG 24. September 2008 – 10 AZR 939/07 – Rn 33; BAG 24. September 2008 – 10 AZR 669/07 – Rn 32).
Ein großer Teil dieser Gesichtspunkte gilt auch für die Bereitschaftszeiten. Auch bei den Bereitschaftszeiten muss sich der Beschäftigte wie beim Bereitschaftsdienst am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten. Zusätzlich muss er aber im Bedarfsfall die Arbeit „selbständig“, d.h. bei Bedarf aus eigenem Antrieb heraus aufnehmen. Ergänzend hat der Beschäftigte die Arbeit – wie beim Bereitschaftsdienst – auch „auf Anordnung“ aufzunehmen. Damit kann sich der Arbeitnehmer auf eine im Vorhinein festgelegte Zeit, in der er sich ausruhen oder sogar schlafen kann, in Bereitschaftszeiten nicht einstellen (BAG a.a.O. Rn 37 bzw. Rn 36). Insoweit unterscheidet sich die Bereitschaftszeit vom Bereitschaftsdienst. In der Bereitschaftszeit muss der Arbeitnehmer – auch aus eigener Initiative – die Arbeit jederzeit aufnehmen können, während Arbeitnehmer im Bereitschaftsdienst durchaus fernsehen, ruhen oder schlafen können und erst auf die Aufforderung des Arbeitgebers, die Arbeit aufzunehmen, tätig werden (BAG 24.09.2008 – 10 AZR 770/07 – Rn 30; BAG 5. Juni 2003 - 6 AZR 114/02 – Rn 20; Groeger, Arbeitsrecht im öffentlichen Dienst, 2. Aufl. Teil 3 L Rn. 194; Clemens/Scheuring, TV-L, § 9 Rn 6; Bepler/Böhle, § 9 TVöD-AT, Rn 4 f).).
b) Zu Unrecht schließt der Kläger aus diesen Begriffsbestimmungen, der entscheidende Gesichtspunkt für die Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Bereitschaftszeit liege im vorliegenden Fall darin, dass er als Erzieher während der Nachtbereitschaft nicht von der Arbeitgeberin oder von einer von dieser bestimmten Person aufgefordert werde, seine Arbeit aufzunehmen.
aa) Zum Anlass der Arbeitsaufnahme regelt § 4 Abs. 3 Anlage 33 AVR für den Bereitschaftsdienst, der Arbeitnehmer habe „im Bedarfsfall“ die Arbeit aufzunehmen. Für die Bereitschaftszeit regelt § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR, der Arbeitnehmer habe „im Bedarfsfall die Arbeit selbständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen“. Entgegen der Auffassung des Klägers ist hieraus nicht zu schließen, dass der Anlass für die Arbeitsaufnahme durch den Arbeitgeber selbst oder jedenfalls durch Personen gesetzt werden müsse, die der Sphäre des Arbeitgebers zuzurechnen sind. Zwar wird in Rechtsprechung und Literatur gelegentlich ausgeführt, beim Bereitschaftsdienst müsse der Arbeitnehmer nicht von sich aus tätig werden, sondern aus der Bereitschaft durch den Arbeitgeber (BAG 17. Dezember 2009 a.a.O. Rn 21) oder durch Dritte zur Arbeitsleistung aufgefordert werden (BAG 22. November 2000 – 4 AZR 612/99 – Rn 47; Breier/Dassau, TVöD, § 7 Rn 63). Es mag auch vielfach der Praxis entsprechen, dass die Arbeitnehmer im Bereitschaftsdienst durch vom Arbeitgeber bestimmte Personen zur Arbeit aufgefordert werden, beispielsweise bei einem Rettungssanitäter durch die Rettungsleitstelle oder bei einem Arzt durch die Notfallambulanz, oder aber durch Dritte, etwa durch einen Patienten, der durch Klingeln auf sich aufmerksam macht.
Prägend für den Begriff des Bereitschaftsdienstes ist jedoch die Aufforderung zur Arbeit durch den Arbeitgeber oder Dritte nicht. Wenn dem Arbeitnehmer die Arbeitsaufnahme „im Bedarfsfall“ abverlangt wird, so kann dieser Fall auch dann vorliegen, wenn sich etwa der im Bereitschaftsdienst befindliche Arzt nach eigenem Ermessen den Wecker stellt, um zur Nachtzeit nach einem Patienten zu sehen, bei dem ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit angebracht erscheint. Somit kann auch bei einer „Selbstaktivierung“ Bereitschaftsdienst vorliegen, vorausgesetzt, der Arbeitnehmer musste sich zuvor nicht im Zustand der wachen Achtsamkeit befinden.
bb) Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Bereitschaftsdienst und Bereitschaftszeit ist, ob vom Arbeitnehmer während der Bereitschaft eine „wache Achtsamkeit im Zustande der Entspannung“ verlangt wird oder ob der Arbeitnehmer fernsehen, sich ausruhen oder sogar schlafen kann. Muss der Arbeitnehmer achtsam bleiben, um selbständig zu entscheiden, ob er seine Arbeit aufnimmt, so liegt Bereitschaftszeit vor. Darf der Arbeitnehmer hingegen ruhen und muss nur durch äußere Umstände bedingt seine Arbeit aufnehmen, so liegt Bereitschaftsdienst vor. So liegt im oben genannten Beispiel deswegen Bereitschaftsdienst vor, weil der Arzt bis zum Läuten des Weckers schlafen darf.
Wenn § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR davon spricht, der Arbeitnehmer habe „selbständig“ die Arbeit aufzunehmen, dann setzt die Vorschrift eine Arbeitsaufnahme aus dem Zustand der wachen Achtsamkeit voraus. So verhält es sich beispielsweise bei einem Pförtner, der ständig den Eingangsbereich eines Gebäudes im Blick zu halten hat und auf eigene Veranlassung hin etwa den Schließmechanismus der Türe überprüft. Die Notwendigkeit der Arbeitsaufnahme kann sich aber auch durch äußere Umstände, etwa das Klingeln von Besuchern, ergeben. Eine selbständige Arbeitsaufnahme liegt auch bei einem Hausmeister vor, der nicht immer aktiv in Anspruch genommen ist, aber darauf zu achten hat, ob seine Arbeitsleistung erforderlich wird (Breier/Dassau, § 9 TVöD, Rn 1).
c) Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so befindet sich der Kläger während der von ihm geleisteten Nachtbereitschaft im Bereitschaftsdienst.
aa) Unstreitig ist es dem Kläger während der Nachtbereitschaft gestattet, zu ruhen oder sogar zu schlafen. Regelmäßige Kontrollgänge durch das Haus werden von ihm nicht verlangt. Was der Kläger während der Nachtbereitschaft zu leisten hat, ist, auf von ihm wahrgenommene Auffälligkeiten hin seine Arbeit aufzunehmen. Vorwiegend werden dies Geräusche im Haus sein, die der Kläger während der Nachtbereitschaft vernimmt. In diesem Fall hat der Kläger in der Tat selbständig zu entscheiden, ob er sich in die Schlafzimmer der Kinder und Jugendlichen begibt, um „nach dem Rechten“ zu sehen.
Es handelt sich aber in diesem Fall nicht um eine selbständige Arbeitsaufnahme aus dem Zustand der wachen Achtsamkeit heraus, sondern um eine Arbeitsaufnahme, die aus dem Zustand der Ruhe durch Dritte hervorgerufen wird, hier die Kinder und Jugendlichen. Nur wenn diese einen Anlass zur Aufnahme der Arbeit geben, liegt ein „Bedarfsfall“ vor. Somit unterscheidet sich der vorliegende Fall der Nachtbereitschaft nicht entscheidend von den „klassischen“ Fällen der Nachtbereitschaft, in denen der Arbeitnehmer förmlich durch den Arbeitgeber oder Dritte zur Arbeitsleistung aufgefordert wird. Die Besonderheit des vorliegenden Bereitschaftsdienstes besteht lediglich darin, dass der Anlass zur Arbeitsaufnahme durch die Bewohner der Einrichtung selbst gesetzt wird und dann der Erzieher nach eigenem Ermessen zu entscheiden hat, ob der Anlass sein Tätigkeitwerden erforderlich macht. In manchen Fällen wird ein nochmaliges Horchen genügen; in anderen Fällen wird der Erzieher „nach dem Rechten“ sehen. Diese Besonderheit ergibt sich aus der Eigenart der Nachtbereitschaft in der Kinder- und Jugendhilfe.
bb) Entgegen der Auffassung des Klägers kann seine Einschätzung, es sei mit seiner Verantwortung als Erzieher nicht vereinbar, während der Nachtbereitschaft zu ruhen oder zu schlafen, nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen. Es mag durchaus zutreffen, dass der Kläger während der Nachtbereitschaft nur wenig und schlecht schlafen kann. Darin unterscheidet er sich aber nicht von einem Arzt im Bereitschaftsdienst, der zur Versorgung eines Verletzten hinzugezogen wird und anschließend wieder zur Ruhe kommen soll. Das wird dem Arzt genauso gut oder schlecht gelingen wie dem Kläger.
Der Kläger kann auch nicht darauf verweisen, sein Berufsethos als Erzieher verbiete ihm das Schlafen während der Nachbereitschaft. Entscheidend für die rechtliche Einordnung der Nachtbereitschaft ist der Inhalt der arbeitsvertraglichen Weisung. Grundsätzlich darf der Arbeitgeber in Ausübung seines Weisungsrechts bestimmen, welche Art von Leistungen der Arbeitnehmer zu erbringen hat (BAG 25. April 2007 – 6 AZR 799/06 – Rn 16). Wenn die Beklagte vom Kläger während der Nachtbereitschaft keine „wache Achtsamkeit“ verlangt, sondern ihm das Schlafen gestattet, kann der Kläger nicht unter Berufung auf sein Berufsethos die Anforderungen an seine Bereitschaft während der Nacht einseitig ändern. Ansonsten könnte er der Arbeitgeberin eine Arbeitsorganisation aufzwingen, die diese nicht für erforderlich hält.
Den Begriff der „Schlafwache“, der in dem vom Kläger in Bezug genommenen Beitrag des Autors Tobias Michel verwendet wird, hält die Kammer in diesem Zusammenhang für missverständlich. Wenn der Erzieher eingenickt ist und aufgrund eines ungewohnten Geräusches hochschreckt, dann wird er zwar nicht durch Anordnung eines Vertreters des Arbeitgebers zur Arbeit angehalten. Er wird aber durch das Verhalten eines Dritten, hier der Kinder und Jugendlichen, zur Aufnahme der Arbeit veranlasst. Auch wenn der Kläger dann zu entscheiden hat, ob ihm das besagte Geräusch Anlass gibt, nach den Kindern zu sehen, liegt keine selbständige Arbeitsaufnahme im Sinne des § 8 Abs. 1 Anlage 33 AVR vor. Der Kläger entscheidet zwar selbst, ob er tätig wird. Der Anlass für die Arbeitsaufnahme ist aber von außen gesetzt.
Damit ist die Nachtbereitschaft des Erziehers, anders als im Beitrag des Autors Michel vertreten, gerade nicht mit einem Verkäufer vergleichbar, der in der Ecke des Ladens auf den nächsten Kunden wartet, der durch die Ladentür tritt und dabei ein Türsignal auslöst. Denn arbeitsvertraglich wird von dem Verkäufer erwartet, dass er ständig aufmerksam bleibt, auf die Kundschaft achtet und ggf. sich um die Ware kümmert. Der besagte Verkäufer befindet sich daher nicht im Bereitschaftsdienst und auch nicht in der Arbeitsbereitschaft, sondern leistet vielmehr Vollarbeit. Auch die von Michel zitierte Pförtnerin, die auf ein Klingeln hin das Betriebstor öffnet, befindet sich nur dann in der Arbeitsbereitschaft, wenn sie während ihrer Nachtbereitschaft nicht schlafen darf.
Soweit der Kläger einwendet, ihn treffe die Verantwortung, wenn während der Nachtbereitschaft etwas passiere, so trifft dies nach Auffassung der Kammer nur eingeschränkt zu. Wenn der Arbeitgeber dem Erzieher das Ruhen oder sogar das Schlafen gestattet, wird den Erzieher regelmäßig keine Verantwortung dafür treffen, wenn die Kinder und Jugendlichen unbemerkt das Haus verlassen. Anders wird man das dann sehen können, wenn der Kläger so tief schläft, dass er selbst laute Geräusche nicht vernimmt. Diese begrenzte Verantwortung ist die notwendige rechtliche Konsequenz daraus, dass die Beklagte von dem Kläger eben keine Arbeitsbereitschaft, sondern nur Bereitschaftsdienst verlangt. Will der Arbeitgeber die Verantwortung für die Kinder umfassend auf den Arbeitnehmer übertragen, so muss er mehr tun, als nur Bereitschaftsdienst anzuordnen.
III.
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner ohne Erfolg eingelegten Berufung zu tragen. Die Kammer hat gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG die Revision zugelassen, weil die Rechtsfrage, unter welchen Voraussetzungen im Falle der Nachtbereitschaft von Erziehern eine Arbeitsaufnahme „im Bedarfsfall“ vorliegt, soweit ersichtlich, höchstrichterlich noch nicht geklärt ist.