BAG: Übergangsversorgung Feuerwehrleute im TVöD (VKA) - Eigenbeteiligung - Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien - Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG - Art. 3 Abs. 1 GG - Beurteilungsspielraum der Tarifvertragsparteien
Das BAG hat mit Urteil vom 19.12.2019 – 6 AZR 563/18 – wie folgt entschieden:
1. Ist der Streitgegenstand eines Hilfsantrags als ein Weniger im Streitgegenstand des Hauptantrags enthalten, kommt dem Hilfsantrag keine eigenständige Bedeutung zu. Ist die Klage nur im Umfang des „Hilfsantrags“ begründet, hat das Gericht dem „Hauptantrag“ insoweit unter Klageabweisung im Übrigen stattzugeben (Rn. 12).
2. Nehmen Beschäftigte im feuerwehrtechnischen Einsatzdienst die Möglichkeit der vorzeitigen Freistellung von der Arbeitspflicht nach § 46 Nr. 4 Ziff. 1 TVöD-BT-V nicht in Anspruch, sondern scheiden erst mit Vollendung des gesetzlich festgelegten Alters für den Anspruch auf Regelaltersrente aus dem Arbeitsverhältnis und damit dem feuerwehrtechnischen Einsatzdienst aus, unterfallen sie der Störfallregelung des § 46 Nr. 4 Ziff. 4 Satz 6 TVöD-BT-V. Sie haben dann Anspruch auf Auszahlung des gebildeten Wertguthabens, mit Ausnahme des darin enthaltenen Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag (Rn. 17).
3. Tarifvertragsparteien üben bei der tariflichen Normsetzung die ihnen durch Art. 9 Abs. 3 GG eingeräumte Tarifautonomie aus und sind daher nicht unmittelbar grundrechtsgebunden. Es handelt sich um kollektiv ausgeübte Privatautonomie. Eine unmittelbare und damit uneingeschränkte Prüfung der Normsetzung der Tarifvertragsparteien führte zu einer unzulässigen Tarifzensur (Rn. 19).
4. Das gilt auch, soweit Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes oder ihre Zusammenschlüsse als tariffähige Koalition mit ihren Koalitionspartnern Tarifverträge aushandeln. Tarifverträge des öffentlichen Dienstes unterliegen keinen weitergehenden Bindungen als Tarifverträge der Privatwirtschaft (Rn. 20).
5. Art. 1 Abs. 3 GG enthält allerdings einen Schutzauftrag an alle staatliche Gewalt und damit auch die (Arbeits-)Gerichte, die Grundrechtsausübung der Tarifvertragsparteien zu beschränken, wenn diese mit Freiheits- oder Gleichheitsrechten oder Rechten mit Verfassungsrang der Normunterworfenen kollidiert, und die gegenläufigen Schutzgüter im Wege praktischer Konkordanz auszugleichen (Rn. 21).
6. Dies geschieht zunächst dadurch, dass die Gerichte Tarifnormen möglichst gesetzes- oder verfassungskonform auslegen (Rn. 23).
7. Ist das nicht möglich, haben die Gerichte solchen Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die unzulässig in Grundrechte oder Rechte mit Verfassungsrang der Normunterworfenen eingreifen. Anderenfalls verletzen die Gerichte ihrerseits diese Rechte und damit ihren aus Art. 1 Abs. 3 GG resultierenden Schutzauftrag (Rn. 24 f.).
8. Die besondere Sachnähe und die bewusste und freiwillige Unterwerfung unter die Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien führt zu einer deutlich zurückgenommenen Prüfdichte durch die Gerichte. Sie haben die Einschätzungsprärogative der Tarifvertragsparteien bezüglich tatsächlicher Gegebenheiten, betroffener Interessen und Regelungsfolgen sowie deren Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung einer Regelung zu berücksichtigen. Tarifvertragsparteien müssen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund vorliegt (Rn. 26).
9. § 46 Nr. 4 Ziff. 3 Satz 1 TVöD-BT-V verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch kommt ihm keine - echte oder unechte - Rückwirkung zu (Rn. 27 ff.).