BAG: Verfahrensfehler - geheime Beratung und Abstimmung über den Streitgegenstand - Telefonkonferenz - ordentliche, betriebsbedingte Kündigung - Möglichkeit der Weiterbeschäftigung auf einem Arbeitsplatz mit zeitlich ungewissem Beschäftigungsbedarf
Das BAG hat mit Urteil vom 26.3.2015 – 2 AZR 417/14 – wie folgt entschieden:
1. Aus § 193 Abs. 1 GVG ergibt sich, dass die Entscheidung eines Kollegialgerichts auf einer Beratung und Abstimmung der dazu berufenen Richter beruhen muss. Die einzuhaltende Verfahrensweise bestimmt § 194 GVG. Die mündliche Beratung im Beisein sämtlicher beteiligten Richter ist die Regel.
2. In geeigneten Fällen kann eine Nachberatung im Wege einer Telefonkonferenz zulässig sein, bei welcher jeder Teilnehmer zeitgleich mit jedem anderen Teilnehmer kommunizieren kann und alle Teilnehmer die gesamte Kommunikation mithören. Voraussetzung ist, dass alle beteiligten Richter mit dieser Verfahrensweise einverstanden sind und sichergestellt ist, dass jederzeit in eine mündliche Beratung im Beisein aller Richter eingetreten werden kann, falls einer von ihnen dies wünscht oder ein neuer Gesichtspunkt es erfordert. Eine Telefonkonferenz kann die mündliche Beratung bei gleichzeitiger Anwesenheit aller beteiligten Richter allerdings nicht ersetzen. Sie kann nur neben diese treten. Die erstmalige Beratung als einzige und eigentliche Grundlage für die Entscheidung über den Streitgegenstand muss zwingend im Beisein sämtlicher beteiligten Richter stattfinden.
3. Eine Nachberatung im Wege der Telefonkonferenz kommt etwa über nachgereichtes Vorbringen iSv. § 296a ZPO in Betracht. Dieses ist lediglich darauf hin zu prüfen, ob es Anlass zu einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO gibt. Ist in einem solchen Fall das Urteil im Anschluss an die mündliche Verhandlung im Beisein aller Richter schon inhaltlich beraten worden, kann über die Reaktion auf den nachgereichten Schriftsatz in einer Telefonkonferenz beraten werden. Sieht das Gericht keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, verbleibt es bei dem bereits gefällten Urteil.
4. Dagegen muss Vorbringen, das rechtzeitig innerhalb einer nachgelassenen Frist erfolgt, gemäß § 283 Satz 2 ZPO bei der Entscheidung selbst berücksichtigt werden. Das „Nachschubrecht“ verlängert den Schluss der mündlichen Verhandlung für das nachgelassene Vorbringen bis zum Ablauf der gewährten Frist.
5. Der Arbeitgeber muss einem nach § 1 KSchG geschützten Arbeitnehmer, dessen bisheriger Arbeitsplatz weggefallen ist, eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit iSd. § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b, Satz 3 KSchG auch dann anbieten, wenn er den Arbeitsplatz nur vorübergehend einrichten und den zeitlich ungewissen Beschäftigungsbedarf mit einem Arbeitnehmer abdecken will, der wirksam befristet (weiter)beschäftigt werden kann. Die Möglichkeit, mit einem Stellenbewerber wirksam eine Befristung zu vereinbaren, stellt kein kündigungsschutzrechtlich beachtliches, tätigkeitsbezogenes Anforderungsprofil dar.
GVG § 193 Abs. 1, § 194; ZPO § 283 Satz 2; KSchG § 1 Abs. 2