BAG: Mitbestimmung im Arbeitskampf - Anordnung von Mehrarbeit
Das BAG hat mit Beschluss vom 20.3.2018 – 1 ABR 70/16 – wie folgt entschieden:
1. Bei einem auf die Verletzung seines Mitbestimmungsrechts gestützten Unterlassungsantrag des Betriebsrats ist die Herausnahme von Notfällen zur Vermeidung eines unbegründeten Globalantrags nicht erforderlich, wenn der erstrebte Verbotsausspruch schon nach seiner Begründung ausschließlich auf die Untersagung einer mit dem Anlassfall gleichzusetzenden Verletzungshandlung, die keinen Notfall darstellt, zielt.
2. Bei einem Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG, einem solchen wegen einer Verletzung von Mitbestimmungsrechten nach § 87 Abs. 1 BetrVG und einem solchen wegen eines Verstoßes des Arbeitgebers gegen eine Betriebsvereinbarung als Durchführungsanspruch nach § 77 Abs. 1 BetrVG handelt es sich um jeweils eigenständige Verfahrensgegenstände.
3. Die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats - so auch das nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei einer vorübergehenden Verlängerung der betriebsüblichen Arbeitszeit - können im Arbeitskampf suspendiert sein. Das ist aber nicht zwingende Folge eines jeden gewerkschaftlichen Kampfaufrufs. Es kommt vielmehr auf den Gegenstand des Mitbestimmungsrechts und dessen Auswirkungen auf das Kampfgeschehen an.
4. Bezweckt der Arbeitgeber mit einer an sich mitbestimmungspflichtigen Maßnahme, den Auswirkungen eines Streiks zu begegnen oder ihnen vorzubeugen, bedarf es zur Annahme der Suspendierung der Beteiligung des Betriebsrats eines konkreten Bezugs zu einer laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Arbeitsniederlegung. Die Maßnahme muss als von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Maßnahme des Arbeitgebers qualifiziert werden können. Erst in einem solchen Fall ist sie geeignet, eine Einschränkung von Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats zu rechtfertigen. Bei Warnstreikmaßnahmen gilt nichts anders.
5. Im Fall einer Anordnung des Arbeitgebers gegenüber allen dienstplanmäßig eingesetzten Arbeitnehmern, Mehrarbeit zur Aufarbeitung von Arbeitsrückständen nach Beendigung einer streikbedingten Arbeitsniederlegung zu leisten, ist die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG nicht suspendiert.
6. Gleiches gilt, wenn mit der Mehrarbeitsanordnung in einer von Warnstreiks begleiteten Verhandlungsphase der Tarifvertragsparteien dem Streikdruck vorbeugend begegnet werden soll und der Arbeitgeber nicht deutlich macht, dass er die Maßnahme nur gegenüber arbeitswilligen, einem gewerkschaftlichen Kampfaufruf nicht Folge leistenden Arbeitnehmern trifft. Ohne diese Beschränkung handelte es sich um eine „Arbeitskampfmaßnahme“ des Arbeitgebers, an dessen Einsatz die vom Kampfaufruf erfassten und ihn befolgenden Arbeitnehmer mitwirken und den von der Gewerkschaft getragenen Arbeitskampf - und damit gleichsam sich selbst – schwächen müssten. Eine solche Maßnahme unterfiele nicht dem Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG. Sie wäre nicht tauglich, Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats einzuschränken.