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Arbeitsrecht
08.11.2019
Arbeitsrecht
BAG: Einigungsstellenspruch - Gefährdungsbeurteilung - Schriftformerfordernis - Zuleitungsgebot

Das BAG hat mit Beschluss vom 13.8.2019 – 1 ABR 6/18 – wie folgt entschieden:

1. Der Spruch einer Einigungsstelle genügt dem Schriftformerfordernis des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG auch dann, wenn in seinen Regelungen klar und zweifelsfrei auf ein weder vom Einigungsstellenvorsitzenden unterzeichnetes oder paraphiertes noch körperlich mit dem Spruch verbundenes Schriftstück verwiesen wird, sofern dieses eindeutig nur in einer Fassung existiert (Rn. 17).

2. Der Zweck des in § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG verankerten Zuleitungsgebots - den Betriebsparteien rechtssicher Kenntnis vom Inhalt des ihre Einigung ersetzenden Einigungsstellenspruchs zu verschaffen - gebietet es, ihnen alle Bestandteile des Spruchs zuzuleiten, wenn seine Regelungen in mehreren Schriftstücken niedergelegt sind. Ein Verstoß hiergegen hat die Unwirksamkeit des Spruchs zur Folge (Rn. 21 f.).

3. Eine nachträgliche Heilung von Verstößen gegen das Schriftform- und Zuleitungsgebot des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist nicht möglich, da das Einigungsstellenverfahren mit Zugang des mit Zuleitungswillen übermittelten Einigungsstellenspruchs abgeschlossen ist (Rn. 24).

4. Dem Betriebsrat steht bei der Ausgestaltung der nach § 6 ArbSchG vom Arbeitgeber vorzunehmenden Dokumentation der Ergebnisse einer Gefährdungsbeurteilung ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zu. Bei der Norm handelt es sich um eine ausfüllungsbedürftige Rahmenvorschrift, die mittelbar dem Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer dient (Rn. 31).

5. Wird der Einigungsstelle von den Betriebsparteien der Auftrag zur Regelung der Gefährdungsbeurteilung übertragen, soll diese die nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 5 ArbSchG und - soweit die Dokumentation der Gefährdungsbeurteilung betroffen ist - die nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 6 ArbSchG mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten ausgestalten (Rn. 29 ff.).

6. Die dem Arbeitgeber nach § 5 Abs. 1 ArbSchG auferlegten - und von einer Einigungsstelle mit dem Regelungsauftrag Gefährdungsbeurteilung durch verfahrensrechtliche Vorgaben auszugestaltenden - Handlungspflichten betreffen die Ermittlung, ob und ggf. welche Gefährdungen mit der Arbeit einhergehen, deren Bewertung nach ihrer Schwere und dem Risiko ihrer Realisierung sowie die Prüfung, ob Schutzmaßnahmen geboten sind und der Dringlichkeit eines Handlungsbedarfs. Der auszugestaltende Handlungsspielraum des Arbeitgebers erfasst dagegen nicht die Ermittlung konkreter Arbeitsschutzmaßnahmen angesichts festgestellter Gefährdungen und deren Wirksamkeitskontrolle (Rn. 33 ff.).

7. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 3 Abs. 1 Satz 2 ArbSchG zur Regelung der Wirksamkeitskontrolle von Arbeitsschutzmaßnahmen setzt voraus, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 1 ArbSchG vom Arbeitgeber zu ergreifende konkrete Maßnahme feststeht (Rn. 39).

8. Der Einigungsstelle obliegt es im Rahmen von § 5 Abs. 1 ArbSchG Vorgaben zur Durchführung der Gefährdungsbeurteilung zu regeln, nicht jedoch die auf den zu beurteilenden Arbeitsplätzen tatsächlich bestehenden Arbeitsbedingungen im Spruch zu erfassen (Rn. 45).

9. Eine Gleichartigkeit der Arbeitsbedingungen iSv. § 5 Abs. 2 Satz 2 ArbSchG erfordert, dass diese im Wesentlichen, aber nicht in allen Einzelheiten übereinstimmen. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hat die Einigungsstelle zu klären. Hierbei steht ihr in tatsächlicher Hinsicht ein Beurteilungsspielraum zu (Rn. 47).

10. Da der Arbeitgeber nach § 5 ArbSchG alle denkbaren Gefährdungen, die bei Tätigkeiten oder am Arbeitsplatz auftreten können, zu ermitteln hat, muss eine Einigungsstelle, die die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung regeln soll, die möglichen Gefährdungen weder abschließend noch beispielhaft im Spruch benennen. Die Einigungsstelle hat auch nicht darüber zu befinden, worin mögliche Ursachen und Faktoren etwaiger Gefährdungen bestehen (Rn. 52).

11. Die Einigungsstelle muss bei einer Regelung zur Ermittlung möglicher Gefährdungen nicht psychischer Art, die jeweilige Methode zur Untersuchung und Beurteilung der Arbeitsbedingungen nicht gefährdungsbezogen festgelegen (Rn. 56).

12. Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen nach § 5 ArbSchG ist vom Arbeitgeber in regelmäßigen Abständen anlassunabhängig zu wiederholen. Daher muss die Einigungsstelle Vorgaben festlegen, in welchen zeitlichen Abständen diese erneut durchzuführen ist (Rn. 63).

13. Eine Regelung, wonach die Arbeitnehmer über das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung zu informieren sind, ist nicht vom Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG iVm. § 5 ArbSchG gedeckt. Diese kann lediglich Gegenstand der Unterweisung nach § 12 ArbSchG sein (Rn. 66).

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