BAG: Betriebliche Altersversorgung - Wirksamkeit einer Versorgungszusage - Vertretungsbefugnis des Aufsichtsrats nach § 112 AktG - „Widerruf“ einer Versorgungszusage - Wirksamkeit von Pfandrechtsbestellungen - Insolvenzschutz durch den Pensions-Sicherungs-Vere
Das BAG hat mit Urteil vom 20.9.2016 – 3 AZR 77/15 – wie folgt entschieden:
1. Nach § 52 Satz 2 InsO sind Insolvenzgläubiger, denen der Schuldner nicht nur persönlich haftet, sondern die auch abgesonderte Befriedigung nach § 173 InsO beanspruchen können, zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse nur berechtigt, soweit sie auf eine abgesonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind. Dies hat nicht zur Folge, dass die absonderungsberechtigten Insolvenzgläubiger ihre Forderung gegen die Insolvenzmasse nicht vollumfänglich gerichtlich feststellen lassen könnten. Die Ausfallhaftung nach § 52 InsO wirkt sich erst bei der Verteilung der Insolvenzmasse an die Insolvenzgläubiger, nicht jedoch im Anmeldeverfahren aus.
2. Nach § 112 AktG wird eine Aktiengesellschaft gegenüber dem Vorstand durch den Aufsichtsrat vertreten. Die Norm findet beim Formwechsel von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft vor Eintragung des Rechtsformwechsels im Handelsregister auf die umzuwandelnde GmbH keine Anwendung. Etwas anderes gilt, wenn es um Rechtsgeschäfte geht, die die Bestellung des Vorstands der Aktiengesellschaft und möglicherweise die hierfür erforderlichen vertraglichen Vereinbarungen betreffen. Eine weiter gehende Geltung des § 112 AktG für die GmbH ist mit einer rechtssicheren Abgrenzung der Kompetenzen innerhalb des rechtsformändernden Rechtsträgers nicht zu vereinbaren.
3. § 112 AktG kann aufgrund seines Normzwecks nicht nur für im Amt befindliche Vorstandsmitglieder, sondern auch für bereits ausgeschiedene Vorstandsmitglieder gelten. Auch Rechtsgeschäfte mit dem ehemaligen Geschäftsführer einer in eine Aktiengesellschaft umgewandelten GmbH können unter die Bestimmung fallen und zwar unabhängig davon, ob die ehemalige GmbH vor der Umwandlung über einen Aufsichtsrat verfügt hat.
4. Die Anwendung des § 112 AktG auf Rechtsgeschäfte mit ehemaligen Organmitgliedern setzt eine abstrakte Gefahr der Beeinträchtigung von Gesellschaftsbelangen voraus. Diese ist - bei typisierender Betrachtung - gegeben, wenn das Verhalten der amtierenden Vorstandsmitglieder von der Vorstellung beeinflusst werden kann, eines Tages in eine ähnliche Situation zu geraten wie das ehemalige Organmitglied. Hiervon ist immer dann auszugehen, wenn das Rechtsgeschäft mit der Gesellschaft Fragen betrifft, die den Fortbestand oder die Fortentwicklung von Rechten und Pflichten aus der Organmitgliedschaft selbst betreffen oder dort ihren Ursprung haben. Steht das Rechtsgeschäft dagegen in keinem Zusammenhang zur früheren Organstellung oder deren Beendigung, verbleibt es bei der Vertretungszuständigkeit des Vorstands nach § 78 Abs. 1 AktG.
5. Ist an die Stelle eines auf der Organmitgliedschaft beruhenden Dienstverhältnisses ein Arbeitsverhältnis zwischen dem früheren Organmitglied und der Aktiengesellschaft getreten, so werden Rechtsgeschäfte, die ausschließlich dessen vertragliche Fortentwicklung oder Beendigung regeln, nicht von § 112 AktG erfasst.
6. Einer Anwendung von § 112 AktG auf Rechtsgeschäfte ehemaliger Vorstandsmitglieder steht nicht entgegen, dass diese inzwischen Mitglied des Aufsichtsrats der Aktiengesellschaft sind. Auch in diesem Fall greift der mit der Vorschrift verfolgte Schutzzweck. Etwaigen Interessenkonflikten ist dadurch Rechnung zu tragen, dass das betroffene Aufsichtsratsmitglied bei der für die Vornahme des Rechtsgeschäfts erforderlichen Beschlussfassung des Aufsichtsrats entsprechend § 34 BGB nicht stimmberechtigt ist oder sich im Fall eines dreiköpfigen Aufsichtsrats lediglich der Stimme enthalten darf.
7. Selbst wenn es sich bei § 112 AktG um eine bloße Vertretungsregelung handeln sollte, sodass eine nachträgliche Genehmigungsfähigkeit des entgegen den Vorgaben des § 112 AktG vom Vorstand abgeschlossenen Rechtsgeschäfts durch den Aufsichtsrat in Betracht käme, würde dies erfordern, dass sich der Aufsichtsrat im Rahmen seiner nachträglichen Beschlussfassung konkret mit dem Rechtsgeschäft und dessen wesentlichen Bedingungen beschäftigt. Nur damit wäre hinreichend gewährleistet, dass sich die von § 112 AktG vorausgesetzte Gefahrenlage beim Abschluss des Geschäfts nicht verwirklicht hat und der Schutzfunktion der gesetzlichen Regelung zumindest nachträglich Genüge getan wird. Ein Genehmigungsbeschluss des Aufsichtsrats, mit dem pauschal alle ab einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossenen Rechtsgeschäfte des Vorstands vom Aufsichtsrat genehmigt wurden, ist mit dem Schutzzweck des § 112 AktG grundsätzlich nicht zu vereinbaren und deshalb nichtig.
8. Die vom Senat entwickelten Grundsätze zum Widerruf von Versorgungszusagen wegen grober Pflichtverletzung (vgl. BAG 13. November 2012 - 3 AZR 444/10 -) greifen nicht nur, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen oder nachvertraglichen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis gegenüber dem Arbeitgeber verletzt. Auch grobe Pflichtverletzungen, die ein früherer Arbeitnehmer im Rahmen eines anderen Rechtsverhältnisses mit seinem ehemaligen Arbeitgeber zu dessen Lasten begeht und die zu einem existenzgefährdenden Schaden des ehemaligen Arbeitgebers führen, können die Berufung des ehemaligen Arbeitnehmers auf sein Versorgungsversprechen nach § 242 BGB rechtsmissbräuchlich machen.
9. Hat während der Dauer eines Beschäftigungsverhältnisses ein Wechsel von der Stellung als Unternehmer zu der eines Arbeitnehmers stattgefunden, sind beim gesetzlichen Insolvenzschutz die Wertungen der §§ 7, 17 Abs. 1 Satz 2 BetrAVG zu beachten. In zeitlicher Hinsicht kann der Insolvenzschutz durch den Pensions-Sicherungs-Verein in einem solchen Fall allenfalls den Rentenanteil erfassen, der auf die Zeiten entfällt, die der Versorgungsempfänger wie ein Arbeitnehmer verbracht hat.
10. Zudem muss für die Frage des gesetzlichen Insolvenzschutzes - unabhängig von der Umgehungsvorschrift in § 7 Abs. 5 BetrAVG - geprüft werden, inwieweit Art und Höhe der bei dem Wechsel in das Arbeitsverhältnis vereinbarten Versorgung durch die ehemalige Unternehmereigenschaft bedingt sind. Geht die Versorgungszusage offensichtlich über das hinaus, was bei einem Arbeitnehmer ohne frühere Unternehmerstellung üblich wäre, besteht insoweit kein Insolvenzschutz nach § 7 BetrAVG.
11. Ein Vorbehaltsurteil nach § 302 ZPO darf nicht erlassen werden, wenn feststeht, dass die von der beklagten Partei erklärte Aufrechnung unzulässig ist.
Verhältnis zu bisheriger Rechtsprechung: