BAG: Außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung wegen des Verdachts einer Pflichtwidrigkeit einerseits und wegen behaupteter nachweislicher Tat andererseits in getrennten Kündigungsschreiben
Führt der Arbeitgeber eine behauptete nachgewiesene Pflichtwidrigkeit und den Verdacht einer entsprechenden Pflichtwidrigkeit nicht innerhalb eines Schreibens, sondern in zwei getrennten, vollständig ausformulierten Schreiben als Kündigungsgrund an, mit denen er nebeneinander ausdrücklich jeweils eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung erklärt, muss der Arbeitnehmer dies regelmäßig so verstehen, dass der Arbeitgeber wegen eines jeden der angeführten Gründe eine eigenständige Kündigung aussprechen will. Durch die dreiwöchige Klagefrist soll dem Arbeitgeber alsbald Klarheit darüber verschafft werden, ob der Arbeitnehmer eine Kündigung hinnimmt oder ihre Unwirksamkeit gerichtlich geltend machen will. Erfüllt das prozessuale Vorgehen des Arbeitnehmers diesen Zweck, soll er nicht aus formalen Gründen den Kündigungsschutz verlieren. Dementsprechend sind an Inhalt und Form der Kündigungsschutzklage keine hohen Anforderungen zu stellen. Hat der Arbeitgeber am selben Tag eine Tatkündigung und mit weiterem Kündigungsschreiben eine Verdachtskündigung - jeweils als außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung - erklärt, kann nach den Umständen des Falls eine vom Arbeitnehmer ohne Differenzierung zwischen der Tat- und der Verdachtskündigung erhobene Kündigungsschutzklage gegen „die (nach Datum bezeichnete) Kündigung“ ausreichend sein, um für den Arbeitgeber und das Gericht noch innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 Satz 1 KSchG deutlich zu machen, dass sich der Arbeitnehmer gegen beide Kündigungen zur Wehr setzen will. Ist eine Verdachtskündigung als solche mangels Anhörung des Arbeitnehmers unwirksam, hat der Tatsachenrichter stets zu prüfen, ob die vom Arbeitgeber vorgetragenen Verdachtsmomente geeignet sind, die Überzeugung von einer entsprechenden Tat zu gewinnen und damit die Kündigung unter dem Gesichtspunkt einer Tatkündigung zu rechtfertigen. Der auch ohne entsprechende Einlassung des Arbeitgebers vorzunehmenden Beurteilung, ob zur Begründung einer Verdachtskündigung angeführte Umstände hinreichend geeignet sind, die Kündigung wegen erwiesener Tat zu rechtfertigen, steht regelmäßig nicht entgegen, dass der Arbeitgeber neben der Verdachtskündigung ausdrücklich eine weitere Kündigung als Tatkündigung erklärt hat. Grundsätzlich ist jede Kündigung eigenständig auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Hat der Arbeitgeber den Betriebsrat lediglich zu einer beabsichtigten Verdachtskündigung angehört, schließt dies die Anerkennung einer nachgewiesenen Pflichtwidrigkeit als Kündigungsgrund dann nicht aus, wenn dem Betriebsrat alle Tatsachen mitgeteilt worden sind, die - ggf. auch im Rahmen eines zulässigen Nachschiebens von Kündigungsgründen - nicht nur den Verdacht einer Pflichtwidrigkeit, sondern den Tatvorwurf selbst begründen.
BAG-Entscheidung vom 23.6.2009 - 2 AZR 474/07.