R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
27.03.2013
Arbeitsrecht
BAG: Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen - Dritter Weg

Das BAG entschied in seinem Urteil vom 20.11.2012 - 1 AZR 179/11 - wie folgt: Der Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2, Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV erfasst die individualrechtliche wie kollektivrechtliche Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen der in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer. Entscheidet sich eine christliche Religionsgesellschaft dazu, das Verfahren zur kollektiven Arbeitsrechtssetzung am Leitbild der Dienstgemeinschaft auszurichten und die Arbeitsbedingungen in einer von der Dienstnehmer- und Dienstgeberseite paritätisch besetzten Kommission gemeinsam auszuhandeln und einen Konflikt durch den neutralen Vorsitzenden in einer Schlichtungskommission zu lösen (sog. Dritter Weg), wird auch diese Entscheidung vom Selbstbestimmungsrecht umfasst. Das Selbstbestimmungsrecht erfasst auch die Erstreckung des Dritten Wegs auf die Arbeitnehmer diakonischer Einrichtungen. Die Entscheidung der verfassten Kirchen, das Verfahren ihrer kollektiven Arbeitsrechtssetzung am bekenntnismäßigen Leitbild der Dienstgemeinschaft auszurichten und nach den Grundsätzen einer partnerschaftlichen Lösung von Interessengegensätzen auszugestalten, schließt den Arbeitskampf zur Gestaltung von Arbeitsverhältnissen durch Tarifvertrag aus. Dies kollidiert mit der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit einer Gewerkschaft, mit dem Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder kollektiv im Wege von Tarifverträgen auszuhandeln und hierfür Arbeitskämpfe zu führen. Diese Kollisionslage ist im Wege einer Güterabwägung nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz aufzulösen. Die hiernach vorzunehmende Güterabwägung betrifft nicht den gesamten Bereich der jeweiligen verfassungsrechtlichen Gewährleistungen, sondern ist auf den Ausgleich der konkreten Kollisionslage beschränkt. Hier kollidiert die Entscheidung der Kirche für ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes kooperatives Verfahren der Regelung der Arbeitsbedingungen mit dem Regelungsmodell des staatlichen Tarifrechts, in dem erst durch Druck und Gegendruck angemessene Verhandlungsergebnisse erreicht werden. Das Gebot praktischer Konkordanz verlangt nur einen Vergleich dieser beiden Regelungskonzepte und deren schonendste Annäherung. Ein Vergleich beider Regelungsmodelle zeigt, dass sie sich nicht im Ziel, sondern nur in der Wahl der zu dessen Erreichung gebotenen Mittel unterscheiden. Sowohl das Regelungsverfahren der Kirche als auch das der Koalitionen ist darauf gerichtet, den von der staatlichen Rechtsordnung frei gelassenen Raum des Arbeitslebens sinnvoll zu ordnen, indem der typische Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer durch kollektives Handeln zu einem angemessenen Ausgleich gebracht wird. Das kirchliche Regelungsmodell ist zwar zum Schutze religiöser Betätigungsfreiheit von Verfassungs wegen zu respektieren. Doch sind die Kirchen in der Ausgestaltung dieses Konzeptes nicht völlig frei, sondern müssen Rücksicht auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 9 Abs. 3 GG nehmen. Ihr Regelungsmodell darf die Koalitionsfreiheit und das Konzept der Tarifautonomie nur insoweit verdrängen, wie es für die Wahrung ihres Leitbildes von der Dienstgemeinschaft erforderlich ist und das angestrebte Ziel eines fairen, sachgerechten und verbindlichen Interessenausgleichs tatsächlich und in kohärenter Weise erreicht. Das Schlichtungsverfahren des Dritten Wegs kann zur Herstellung eines Verhandlungsgleichgewichts geeignet sein, wenn die mit dessen Entscheidungsstrukturen verbundenen Unwägbarkeiten sowie die Verlagerung der Konfliktlösung auf eine andere Verhandlungsebene schon in den Arbeitsrechtlichen Kommissionen die Bereitschaft zum Kompromiss fördert und so ein „kollektives Betteln“ der Dienstnehmerseite ausschließt. Das setzt aber voraus, dass die Anrufung der Schiedskommission und die Überleitung des Verfahrens in dieses Gremium der Dienstnehmerseite uneingeschränkt offensteht und im Falle einer Nichteinigung beider Seiten die Unabhängigkeit und Neutralität des Vorsitzenden der Schlichtungskommission nicht in Frage steht und auch durch das Bestellungsverfahren gewährleistet wird. Ein am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichtetes kollektives Regelungsverfahren steht einer gewerkschaftlichen Unterstützung der Dienstnehmerseite nicht entgegen. Eine organisatorische Einbindung von Gewerkschaften in das Verfahren des Dritten Wegs zu regeln ist zwar Aufgabe der Kirche, der hierbei ein Gestaltungsspielraum zur Verfügung steht. Sie darf diesen jedoch nicht dazu nutzen, Gewerkschaften durch Besetzungsregeln für Arbeitsrechtliche Kommissionen und Schiedskommissionen von einer frei gewählten Mitwirkung am Dritten Weg auszuschließen. Das Ziel des Dritten Wegs, das auch im kirchlichen und diakonischen Bereich vorhandene Kräfteungleichgewicht zwischen Dienstnehmern und Dienstgebern unter Beachtung der bekenntnismäßigen Besonderheiten des kirchlichen oder diakonischen Dienstes auszugleichen, kann nur erreicht werden, wenn das Ergebnis dieser Verhandlungen einschließlich einer darauf gerichteten Schlichtung für die Arbeitsvertragsparteien verbindlich und einer einseitigen Abänderung durch den Dienstgeber entzogen ist. Es wird dagegen verfehlt, wenn der Dienstgeberseite rechtlich oder faktisch die Möglichkeit eröffnet ist, zwischen mehreren auf einem Dritten Weg zustande gekommenen Regelungen wählen zu können oder sie einseitig abzuändern oder nur teilweise anzuwenden. Solch einseitige Bestimmungsrechte sind mit der Konzeption des Dritten Wegs unvereinbar und bedürfen zugunsten religiöser Betätigungsfreiheit keines Schutzes. Für ein Zurückweichen des Rechts einer Gewerkschaft, sich koalitionsmäßig zu betätigen und ihren Forderungen mit Streikmaßnahmen Nachdruck zu verleihen, fehlt es in einem solchen Fall an einem schützenswerten Bedürfnis der Kirche. Diese Güterabwägung steht im Einklang mit Unions- und Völkerrecht. Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) ist nicht anwendbar. Die Kollision der durch Art. 9 EMRK gewährleisteten Religionsfreiheit mit der durch Art. 11 EMRK geschützten Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit erfordert eine verhältnismäßige Abwägung beider Rechtspositionen, die über die Anforderungen einer Abwägung zur Herstellung praktischer Konkordanz für die Auflösung einer konkreten Grundrechtskollision nicht hinaus geht. Der Beschränkung des Streikrechts in diakonischen Einrichtungen steht weder die Europäische Sozialcharta (ESC) noch das ILO-Übereinkommen Nr. 87 entgegen. Der Anwendungsbereich des § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB erstreckt sich auch auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 iVm. Art. 140 GG und Art. 137 Abs. 3 WRV, da dieses die Anforderungen eines absoluten Rechts erfüllt. Hat der Anspruchsberechtigte sein Unterlassungsbegehren mit einer Wiederholungsgefahr begründet, kann er sich in der Revision nicht auf eine Erstbegehungsgefahr stützen. Hierbei handelt es sich um einen neuen Streitgegenstand, der nicht in das Revisionsverfahren eingeführt werden kann.

stats