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Wirtschaftsrecht
10.06.2016
Wirtschaftsrecht
BGH: Übertragbare Aufgaben auf das Büropersonal eines Anwalts

BGH, Beschluss vom 10.5.2016 – VIII ZR 19/16

ECLI:DE:BGH:2016:100516BVIIIZR19.16.0

Leitsatz

Es gehört zu den nicht auf sein Büropersonal übertragbaren Aufgaben eines Rechtsanwalts, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Zugleich ist es seine ebenfalls nicht auf sein Büropersonal abwälzbare Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht.

ZPO § 233 Fa

Sachverhalt

I.

Die Beklagten sind Mieter einer Wohnung der Klägerin in Berlin. Die monatliche Miete beträgt 1.039,57 € (kalt). Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Beklagten auf Räumung und Herausgabe dieser Wohnung in Anspruch genommen. Das Amtsgericht hat die Beklagten antragsgemäß verurteilt. Das Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschluss vom 21. September 2015 zurückgewiesen und den Streitwert auf 14.514,84 € festgesetzt. Eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält der dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 25. September 2015 zugestellte Beschluss nur hinsichtlich der Festsetzung des Streitwerts.

In der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Beklagten war eine Rechtsanwaltsfachangestellte neben der selbständigen Fristenkontrolle mit der Prüfung und Notierung von Rechtsmitteln einschließlich der dafür geltenden Fristen sowie der Vorbereitung der jeweiligen fristwahrenden Schriftsätze betraut. Diese ging davon aus, dass angesichts des vom Berufungsgericht im Beschluss vom 21. September 2015 festgesetzten Streitwerts die für eine Nichtzulassungsbeschwerde erforderliche Beschwer von 20.000 € (§ 26 Nr. 8 EGZPO) nicht erreicht sei und nur eine Anhörungsrüge in Betracht komme. Dies teilte sie dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten so mit, der diese Sichtweise übernahm und daraufhin mit Schriftsatz vom 7. Oktober 2015 eine Anhörungsrüge bei dem Berufungsgericht erhob.

Das Berufungsgericht hat die Rüge mit Beschluss vom 9. Dezember 2015 unter Hinweis darauf als unzulässig verworfen, dass die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 522 Abs. 3, § 544 Abs. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO eröffnet und die Anhörungsrüge deshalb gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO unstatthaft sei. Denn die nach dem dreieinhalbfachen Wert des einjährigen Mietbezugs zu bemessende Beschwer der Beklagten überschreite angesichts einer monatlichen Bruttokaltmiete von 1.039,57 € die Wertgrenze des § 26 Nr. 8 EGZPO. Daraufhin haben die Beklagten unter dem 29. Januar 2016 bei dem Bundesgerichtshof Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt sowie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde beantragt und die Nichtzulassungsbeschwerde unter dem 15. Februar 2016 begründet.

Aus den Gründen

II.

4          Das Wiedereinsetzungsgesuch hat keinen Erfolg. Die Beklagten waren nicht, wie von § 233 Satz 1 ZPO vorausgesetzt, ohne ihr Verschulden gehindert, die Fristen zur Einlegung und Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzuhalten. Das Fristversäumnis beruht auf einem den Beklagten gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, der bei der ihm obliegenden Prüfung des gegen den angefochtenen Beschluss gegebenen Rechtsmittels die Statthaftigkeitsvoraussetzungen der in Betracht zu ziehenden Nichtzulassungsbeschwerde verkannt hat. Dadurch hat er die rechtzeitige Einlegung und Begründung der nur innerhalb der Fristen des § 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO möglichen Nichtzulassungsbeschwerde versäumt, so dass mit der Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuchs zugleich dieser Rechtsbehelf als unzulässig zu verwerfen ist (§ 552 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

5          1. Die Beklagten haben, ohne dass es auf den von ihnen in den Vordergrund gerückten Irrtum der Kanzleimitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten über die Statthaftigkeit der in Rede stehenden Nichtzulassungsbeschwerde ankommt, die Versäumung der Fristen zur Einlegung und Begründung dieses Rechtsbehelfs schon deshalb in einer die Wiedereinsetzung gemäß § 233 Satz 1 ZPO ausschließenden Weise zu vertreten, weil die Fristversäumung entscheidend auf einem schuldhaften Rechtsirrtum ihres Prozessbevollmächtigten beruht. Dieser hat mit der Anhörungsrüge den falschen Rechtsbehelf ergriffen, nachdem er bereits die Bestimmung des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs in ohnehin nicht zulässiger Weise auf seine Kanzleimitarbeiterin delegiert hatte.

6          Es gehört zu den nicht auf sein Büropersonal übertragbaren Aufgaben eines Rechtsanwalts, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen (Senatsurteil vom 24. Juni 1992 - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413 unter I 2 c, insoweit in BGHZ 119, 35 nicht abgedruckt). Zugleich ist es seine ebenfalls nicht auf das Büropersonal abwälzbare Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschlüsse vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, NJW-RR 2004, 1150 unter II; vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, NJW-RR 2013, 1393 Rn. 9; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, WM 2016, 142 Rn. 12). Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden.

7          Er hätte im Streitfall spätestens zu dem Zeitpunkt, als ihm seine Kanzleimitarbeiterin die Akten zur Bearbeitung der aus ihrer Sicht einzulegenden Anhörungsrüge vorgelegt hat, die Art des gegen die angefochtene Entscheidung einzulegenden Rechtsbehelfs eigenverantwortlich auf Richtigkeit und Zweckmäßigkeit überprüfen müssen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03, aaO; vom 2. November 2011 - XII ZB 317/11, NJW-RR 2012, 293 Rn. 11; vom 5. Juni 2013 - XII ZB 47/10, aaO Rn. 11; vom 13. Januar 2015 - VI ZB 46/14, NJW-RR 2015, 441 Rn. 8; vom 22. Juli 2015 - XII ZB 583/14, aaO). Bei dieser Überprüfung hätte ihm angesichts des vom Berufungsgericht nach dem Jahreswert der Miete auf 14.514,84 € festgesetzten Streitwerts nicht entgehen dürfen, dass die durch den Räumungsausspruch bedingte Beschwer den gemäß § 26 Nr. 8 EGZPO zur Statthaftigkeit der Nichtzulassungsbeschwerde erforderlichen Wert von mehr als 20.000 € weit übersteigt. Insbesondere hätte ihm die dazu seit langem bestehende Rechtsprechung des Senats bekannt sein müssen, wonach sich bei dem Streit über das Bestehen eines Mietverhältnisses, dessen Dauer - wie hier - unbestimmt ist, der Beschwerdewert nicht nach dem gemäß § 41 Abs. 2 GKG auf das Jahresentgelt begrenzten Gebührenstreitwert, sondern gemäß §§ 8, 9 ZPO nach dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der Nettomiete bemisst (zuletzt Senatsbeschlüsse vom 23. März 2016 - VIII ZR 26/16, juris Rn. 7; vom 3. November 2015 - VIII ZR 108/15, WuM 2016, 43 Rn. 2; vom 16. September 2015 - VIII ZR 135/15, WuM 2015, 681 Rn. 3; Senatsurteil vom 15. April 2015 - VIII ZR 281/13, NZM 2015, 536 Rn. 31; jeweils mwN).

8          Hätte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten dies berücksichtigt, hätte er die rechtsirrige Ansicht seiner Kanzleimitarbeiterin nicht übernehmen dürfen, ein Rechtsbehelf gegen den angefochtenen Beschluss sei nicht gegeben, und dementsprechend auch nicht die gemäß § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO unzulässige Anhörungsrüge bei dem Berufungsgericht einlegen dürfen. Er hätte vielmehr die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde veranlassen müssen, um unter Wahrung der in § 544 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ZPO geregelten Fristen auf diese Weise das angefochtene Urteil unter anderem wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur revisionsrechtlichen Überprüfung zu stellen (vgl. BT-Drucks. 15/3705, S. 15; ferner etwa BVerfG, NJW 2007, 3418 Rn. 26).

9          2. Ein Verschulden der Beklagten ist auch nicht entsprechend der in § 233 Satz 2 ZPO aufgestellten Vermutung ausgeschlossen, weil eine Rechtsbehelfsbelehrung über die im Streitfall gegebene Nichtzulassungsbeschwerde unterblieben ist. Denn dieser hat es gemäß § 232 Satz 2 Alt. 1, § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht bedurft, da es sich bei dem Berufungsverfahren vor dem Landgericht um einen Anwaltsprozess gehandelt hat, für den der Gesetzgeber eine Belehrung durch das Gericht als nicht erforderlich erachtet hat (BT-Drucks. 17/10490, S. 12) und in dem eine anwaltliche Beratung auch hier nach der Verfahrenssituation sichergestellt war (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 - V ZB 131/15, juris Rn. 6 f.).

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