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Wirtschaftsrecht
14.02.2013
Wirtschaftsrecht
Generalanwalt: Österreichische Regelung zur Akteneinsicht Kartellgeschädigter nicht mit EU-Recht vereinbar

Generalanwalt Niilo Jääskinen, Schlussanträge vom 7.2.2013(1) - Rs. C‑536/11, Bundeswettbewerbsbehörde gegen Donau Chemie AG, Donauchem GmbH, DC Druck-Chemie Süd GmbH & Co KG, Brenntag Austria Holding GmbH, Brenntag CEE GmbH, ASK Chemicals GmbH, vormals Ashland-Südchemie-Kernfest GmbH, ASK Chemicals Austria GmbH, vormals Ashland Südchemie Hantos Ges.m.b.H.


I - Einführung


1. Nach § 39 Abs. 2 des österreichischen Bundesgesetzes gegen Kartelle und andere Wettbewerbsbeschränkungen (im Folgenden: KartG) ist einem Dritten die Einsicht in die Gerichtsakten eines öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens bei fehlender Zustimmung der Parteien des Verfahrens verwehrt. Der Verband Druck & Medientechnik (im Folgenden: Verband) vertritt die Interessen von Unternehmen aus dem Gewerbe der Drucker. Er beantragt beim Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht (im Folgenden: Kartellgericht) Einsicht in die Dokumente eines abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens zwischen der Bundeswettbewerbsbehörde einerseits und der Donau Chemie AG und sechs weiteren Wirtschaftsteilnehmern, die auf dem Großhandelsmarkt für Druckerchemikalien tätig sind, andererseits.


2. Im vorliegenden Fall sind vom Gerichtshof die Grundsätze heranzuziehen, die er in seinem Urteil in der Rechtssache Pfleiderer(2) entwickelt hat. Jene Rechtssache betraf die Einsicht in die Akten einer nationalen Wettbewerbsbehörde durch Dritte, die eine zivilrechtliche Schadensersatzklage gegen Unternehmen vorbereiten wollten, die nach den Feststellungen gegen Art. 101 AEUV verstoßen hatten, wobei ein Teil der in den Akten enthaltenen Informationen im Rahmen der Kronzeugenregelung der Behörde erlangt worden war.


3. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist die nationale Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten bei der Anwendung des Unionsrechts beschränkt, und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsstreit das Wettbewerbsrecht oder einen anderen Rechtsbereich betrifft. Der Äquivalenzgrundsatz gebietet, dass für unionsrechtliche Ansprüche dieselben Rechtsbehelfe und Verfahrensvorschriften bereitgestellt werden müssen wie für Ansprüche, die allein auf innerstaatlichem Recht beruhen. Nach dem Effektivitätsgrundsatz bzw. dem Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes haben die Gerichte der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die nationalen Rechtsbehelfe und Verfahrensvorschriften die Geltendmachung unionsrechtlicher Ansprüche nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.


4. Der erste dieser Grundsätze ist für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung, weil die Voraussetzung, dass alle Parteien zustimmen müssen, ehe ein anderer Akteneinsicht erhalten kann, nach österreichischem Recht im allgemeinen Zivilprozess und im Strafprozess nicht absolut gilt. Heißt das, dass die einschlägigen österreichischen Verfahrensvorschriften die Geltendmachung eines zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union(3) an eine Voraussetzung knüpfen, die für die Geltendmachung entsprechender Ansprüche, die allein auf innerstaatlichem Recht beruhen(4), nicht gilt?


5. Die Beschränkung des Rechts Dritter auf Einsichtnahme in die Akten des Kartellgerichts wirft auch die Frage des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes bei unionsrechtlichen Ansprüchen auf. Der vorliegende Fall verlangt eine erneute Betrachtung des vorstehend beschriebenen klassischen Effektivitätsgrundsatzes im Licht des durch den Vertrag von Lissabon eingeführten Art. 19 Abs. 1 EUV. In dieser Vorschrift heißt es, dass „[d]ie Mitgliedstaaten ... die erforderlichen Rechtsbehelfe [schaffen], damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist". Dies wiederum erfordert eine Prüfung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten, das durch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) garantiert ist, der im Licht des Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen ist(5).


6. Schließlich spielt Art. 47 der Charta auch bei der Entscheidung der Frage eine Rolle, ob in dem Fall, dass einem interessierten Dritten Einsicht in die Akten eines abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens gewährt wird, das Recht auf ein faires Verfahren verletzt wird - zumindest dann, wenn ein Teil der Informationen aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Kronzeugengarantie zur Verfügung gestellt wurde. Dies hat Konsequenzen im Hinblick auf das Recht, sich nicht selbst zu belasten, sowie im Hinblick auf den Schutz von Geschäftsgeheimnissen.


I - Rechtlicher Rahmen


A - Unionsrecht


7. Nach dem ersten Erwägungsgrund Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln(6) muss zur Schaffung eines Systems, das gewährleistet, dass der Wettbewerb im Gemeinsamen Markt nicht verfälscht wird, für eine wirksame und einheitliche Anwendung der Art. 81 EG und 82 EG in der Gemeinschaft gesorgt werden.


8. Art. 11 („Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten") der Verordnung Nr. 1/2003 bestimmt in Abs. 1:


„Die Kommission und die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten arbeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft eng zusammen."


9. Art. 35 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 lautet:


„Die Mitgliedstaaten bestimmen die für die Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags zuständige(n) Wettbewerbsbehörde(n) so, dass die Bestimmungen dieser Verordnung wirksam angewandt werden. Sie ergreifen vor dem 1. Mai 2004 die notwendigen Maßnahmen, um diesen Behörden die Befugnis zur Anwendung der genannten Artikel zu übertragen. Zu den bestimmten Behörden können auch Gerichte gehören."


B -  Nationale Rechtsvorschriften


10. § 39 Abs. 2 KartG lautet:


„In die Akten des Kartellgerichts können am Verfahren nicht als Partei beteiligte Personen nur mit Zustimmung der Parteien Einsicht nehmen."


11. § 219 Abs. 2 der österreichischen Zivilprozessordnung (ZPO) bestimmt:


 „Mit Zustimmung beider Parteien können auch dritte Personen in gleicher Weise Einsicht nehmen und auf ihre Kosten Abschriften (Kopien) und Auszüge (Ausdrucke) erhalten, soweit dem nicht überwiegende berechtigte Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen im Sinne des § 26 Abs. 2 erster Satz DSG 2000 entgegenstehen. Fehlt eine solche Zustimmung, so steht einem Dritten die Einsicht und Abschriftnahme überdies nur insoweit zu, als er ein rechtliches Interesse glaubhaft macht."(7)


12. § 273 ZPO lautet:


„(1) Wenn feststeht, dass einer Partei der Ersatz eines Schadens oder des Interesses gebührt oder dass sie sonst eine Forderung zu stellen hat, der Beweis über den streitigen Betrag des zu ersetzenden Schadens oder Interesses oder der Forderung aber gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu erbringen ist, so kann das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen Beweises diesen Betrag nach freier Überzeugung festsetzen. Der Festsetzung des Betrages kann auch die eidliche Vernehmung einer der Parteien über die für die Bestimmung des Betrages maßgebenden Umstände vorausgehen.


(2) Sind von mehreren in derselben Klage geltend gemachten Ansprüchen einzelne, im Verhältnis zum Gesamtbetrag unbedeutende streitig und ist die vollständige Aufklärung aller für sie maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden, die zur Bedeutung der streitigen Ansprüche in keinem Verhältnisse stehen, so kann das Gericht darüber in der gleichen Weise (Absatz 1) nach freier Überzeugung entscheiden. Gleiches gilt auch für einzelne Ansprüche, wenn der begehrte Betrag jeweils 1 000 Euro nicht übersteigt."


13. § 77 Abs. 1 der österreichischen Strafprozessordnung (StPO) sieht vor:


„Im Falle begründeten rechtlichen Interesses haben Staatsanwaltschaften und Gerichte auch außer den in diesem Gesetz besonders bezeichneten Fällen Einsicht in die ihnen vorliegenden Ergebnisse eines Ermittlungs- oder Hauptverfahrens zu gewähren, soweit dem nicht überwiegende öffentliche oder private Interessen entgegenstehen."


II - Ausgangsverfahren und Vorlagefragen


14. Mit Beschluss vom 26.3.2010 verhängte das Kartellgericht im Ausgangsverfahren gegen die Antragsgegnerinnen Geldbußen wegen der Teilnahme an Art. 101 AEUV verletzenden Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen. Dieses Verfahren (im Folgenden: Kartellverfahren) war von der Bundeswettbewerbsbehörde auf der Grundlage eines von einer der Antragsgegnerinnen gestellten Kronzeugenantrags eingeleitet worden. Das Kartellgericht stellte einen Verstoß gegen das Kartellverbot sowie die Durchführung eines verbotenen Kartells in Österreich auf dem Markt des Vertriebs von Druckchemikalien fest. Diese Entscheidung wurde vom Obersten Gerichtshof als Kartellobergericht mit Beschluss vom 4.10.2010 bestätigt und ist rechtskräftig.


15. Der Verband beantragt Einsicht in die Verfahrensakten des Kartellgerichts(8). Er sei nach den Statuten zur Wahrung der Vertretung der Interessen seiner Mitglieder berechtigt, zu denen auch Unternehmen aus dem Gewerbe der Drucker gehörten. Im Vorlagebeschluss heißt es, dass der Verband auf Wunsch seiner Mitglieder zur Vorbereitung von Schadensersatzklagen insbesondere die Höhe des aus den Kartellrechtsverstößen entstandenen Schadens prüfe.


16. Der Verband macht geltend, die Einsichtnahme in die Akten des Kartellgerichts sei erforderlich, um Art und Umfang des erlittenen Schadens feststellen bzw. diesen anhand der in den Akten enthaltenen Informationen berechnen zu können. Hieraus ergebe sich sein rechtliches Interesse.


17. Alle Parteien des Kartellverfahrens mit Ausnahme der Bundeswettbewerbsbehörde verweigern ihre Zustimmung. Die Bundeswettbewerbsbehörde würde einer Einsichtnahme des Antragstellers in den erstinstanzlichen Beschluss, d. h. in die Entscheidung des Kartellgerichts, zustimmen, nicht jedoch einer darüber hinausgehenden Akteneinsicht. Nach österreichischem Recht, genauer gesagt gemäß § 39 Abs. 2 KartG und dessen Regelung zum „Schutz von Geschäftsgeheimnissen", können deshalb weder die Akten noch der Beschluss des Kartellgerichts dem Verband zugänglich gemacht werden, um diesem die Erhebung von Schadensersatzklagen gegen die Antragsgegnerinnen oder die Verfolgung anderer Ziele zu erleichtern.


18. Da sich dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Pfleiderer entnehmen lasse, dass das Unionsrecht eine Einzelfallabwägung aller Interessen verlange, wenn ein Dritter, der einen durch einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV entstandenen Schaden geltend mache, Einsicht in die Akten eines diesen Verstoß betreffenden öffentlich-rechtlichen Verfahrens beantrage, was selbst dann gelte, wenn die Akten im Rahmen einer Kronzeugenregelung angelegt worden seien, fragt sich das Kartellgericht, ob das österreichische Recht im Einklang mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit und der Verpflichtung der Mitgliedstaaten stehe, dem Einzelnen die Erhebung von Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts zu ermöglichen(9). Außerdem hat das Kartellgericht Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 39 Abs. 2 KartG mit dem Diskriminierungsverbot, da nach österreichischem Recht weder im ordentlichen Zivilprozess etwa wegen unerlaubter Handlung noch im Strafprozess die Zustimmung aller Parteien zu der Einsichtnahme in die Gerichtsakten erforderlich sei.


19. Angesichts dessen hat das Kartellgericht dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorgelegt:


1. Steht das Unionsrecht, insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des Gerichtshofs vom 14. Juni 2011, C‑360/09, Pfleiderer, einer nationalen kartellrechtlichen Bestimmung entgegen, welche die Gewährung der Einsicht in Akten des Kartellgerichts durch nicht am Verfahren beteiligte Dritte zum Zweck der Vorbereitung von Schadensersatzklagen gegen Kartellteilnehmer (auch) in Verfahren, in denen Art. 101 oder Art. 102 AEUV in Verbindung mit der Verordnung Nr. 1/2003 angewendet wurde, ausnahmslos von der Zustimmung aller Verfahrensparteien abhängig macht und dem Gericht eine Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen zur Festlegung der Voraussetzungen, unter denen die Akteneinsicht gewährt oder verweigert wird, im Einzelfall nicht ermöglicht?


Im Fall der Verneinung der Frage 1:


2. Steht das Unionsrecht einer solchen nationalen Bestimmung dann entgegen, wenn diese zwar gleichermaßen für ein rein nationales Kartellverfahren gilt und auch keine spezielle Regelung für von Kronzeugen zur Verfügung gestellte Unterlagen vorsieht, die vergleichbaren nationalen Bestimmungen in anderen Verfahrensarten, insbesondere dem streitigen und außerstreitigen Zivilprozess und dem Strafprozess, die Einsicht in Gerichtsakten aber auch ohne Zustimmung der Parteien unter der Voraussetzung ermöglichen, dass der nicht am Verfahren beteiligte Dritte ein rechtliches Interesse an der Akteneinsicht glaubhaft macht und überwiegende Interessen eines anderen oder überwiegende öffentliche Interessen der Akteneinsicht im Einzelfall nicht entgegenstehen?


20. Der Verband, die Bundeswettbewerbsbehörde, die Donau Chemie AG, die Donauchem GmbH, die Brenntag CEE GmbH, die Ask Chemicals GmbH und die ASK Chemicals Austria GmbH(10), die DC Druck Chemie Süd GmbH & Co KG, die Regierungen Österreichs, Belgiens, Deutschlands, Spaniens und Italiens, die Kommission sowie die EFTA-Überwachungsbehörde haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der italienischen Regierung sind alle genannten Verfahrensbeteiligten sowie die Französische Republik zu der mündlichen Verhandlung vom 4. Oktober 2012 erschienen.


III - Rechtliche Würdigung


A - Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens


21. Die Kommission stellt in ihren schriftlichen Erklärungen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Frage. Dem Vorlagebeschluss lasse sich nicht entnehmen, inwieweit das nationale Vorlagegericht der Meinung sei, dass die Voraussetzungen von § 219 Abs. 2 ZPO vorlägen. Diese Vorschrift sei als die für die Akteneinsicht maßgebende nationale Maßnahme anzusehen, falls die Nichtvereinbarkeit von § 39 Abs. 2 KartG mit dem Unionsrecht festgestellt werde. § 219 Abs. 2 ZPO verlange den Nachweis eines rechtlichen Interesses an der Akteneinsicht. Die Kommission gibt deshalb zu bedenken, dass sich die Antworten auf die Vorlagefragen als letztlich hypothetisch erweisen könnten, sollte nämlich der Verband nicht zum Nachweis eines hinreichenden rechtlichen Interesses in der Lage sein.


22. Darüber hinaus macht die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen verschiedene andere Bemerkungen, die zwar auf eine Beantwortung der ersten Frage abzielen, aber auch für die Zulässigkeitsproblematik relevant sind. So wirft die Kommission z. B. die Frage auf, ob im österreichischen Recht anderweitige Möglichkeiten bestehen, um die benötigten Beweismittel zu erlangen. Es sei in Betracht zu ziehen, inwieweit das mit einer Schadensersatzklage befasste Gericht schriftliche Beweismittel berücksichtige oder aber der Vernehmung von Zeugen Vorrang einräume. In letzterem Fall seien die Dokumente der Akte von untergeordneter Bedeutung. Eine weitere entscheidende Frage laute, inwieweit indirekte Beweismittel - im Unterschied zu direkten Beweismitteln - nach nationalem Recht zum Nachweis des Bestehens eines Schadensersatzanspruchs erlaubt und ausreichend seien.


23. Ähnlich macht die Bundeswettbewerbsbehörde geltend, dass das System der österreichischen Rechtsordnung genügend Möglichkeiten für die Erlangung von Beweismitteln und die Gewährleistung der wirksamen Durchsetzung von wettbewerbsrechtlichen Schadensersatzansprüchen vorsehe. So bezweifelt die Bundeswettbewerbsbehörde u. a., dass die Mitglieder des Verbands bei der Bezifferung des Schadens Schwierigkeiten hätten. Nach § 273 ZPO könne das Gericht, wenn die Höhe des Schadens nicht oder nur mit erheblichen Schwierigkeiten feststellbar sei, diesen Betrag nach freier Überzeugung festsetzen.


24. Nach ständiger Rechtsprechung ist es nicht Sache des Gerichtshofs, im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden oder zu entscheiden, ob deren Auslegung durch das vorlegende Gericht richtig ist(11). Es ist ebenfalls Sache des nationalen Vorlagegerichts, zu prüfen, ob die ihm vorgelegten Angaben richtig sind(12).


25. An dieser Stelle ist begrifflich zu unterscheiden zwischen drei verschiedenen Aktenbündeln: i) die die Kartelluntersuchungen betreffenden Dokumente der zuständigen Wettbewerbsbehörde, ii) die Dokumente, die das Verfahren bei einem für die Entscheidung zuständigen Gericht betreffen und zu denen u. a. (einige oder alle) Dokumente der Kartelluntersuchungen gehören können, und iii) die schriftlichen Beweismittel vor einem Gericht, das für die Entscheidung über etwaige auf der Wettbewerbsbeschränkung beruhende zivilrechtliche Ansprüche zuständig ist(13).


26. Wie auch immer bei dieser rechtlichen Gliederung die Entscheidungszuständigkeiten zwischen den verschiedenen Einrichtungen verteilt sein mögen(14), ergeben sich drei verschiedene Problemkreise: i) Einsicht in die bei der Wettbewerbsbehörde geführten Kartelluntersuchungsdokumente, also Einsicht in Verwaltungsdokumente; ii) Einsicht in die Akten des für das Kartellverfahren zuständigen nationalen Gerichts, also Einsicht in Gerichtsdokumente; iii) Verfügbarkeit dieser Verwaltungs- oder Gerichtsdokumente zum Zweck der Erhebung einer zivilrechtlichen Klage. Dies mag vorprozessuale Auskunftsansprüche oder Pflichten zur Offenlegung von Dokumenten im Rahmen eines Zivilverfahrens umfassen.


27. Nach der unmissverständlichen Formulierung der Vorlagefragen geht es bei der vorliegenden Rechtssache um die oben unter Ziff. ii genannte Kategorie, d. h. Einsicht in die Dokumente eines Gerichts, das für die Entscheidung in einem öffentlich-rechtlichen Kartellverfahren zuständig ist. Der Antrag auf Einsicht in diese Dokumente ist, selbst wenn das Kartellgericht ihn (rechtstechnisch) als Fortsetzung des Kartellverfahrens einzuordnen scheint, von der materiell-rechtlichen Verletzung des Unionsrechts und/oder des nationalen Wettbewerbsrechts und von einer etwaigen zivilrechtlichen Schadensersatzklage vor dem zuständigen Zivilgericht unabhängig(15).


28. Der beim Kartellgericht anhängige Rechtsstreit ist somit keineswegs hypothetisch, und es liegt auf der Hand, dass sich das Unionsrecht auf das Ergebnis auswirken kann, nämlich auf die Entscheidung der Frage, ob die beantragte Akteneinsicht zu gewähren oder zu verweigern ist. Zudem sind Fragen der Klagebefugnis oder des Rechtsschutzinteresses des Verbands bzw. seiner Mitglieder in einem sich möglicherweise anschließenden Zivilverfahren und die in einem solchen Verfahren geltenden Beweisanforderungen für die Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens irrelevant, auch wenn sie zweifellos für die Anwendung des Effektivitätsgrundsatzes bedeutsam sein können, worüber jedoch das nationale Gericht zu befinden hat.


29. Unter gebührender Berücksichtigung sowohl der einschlägigen Rechtsvorschriften als auch des hier gegebenen Sachverhalts bin ich der Meinung, dass der Gerichtshof über alle Informationen verfügt, um die Vorlagefragen zu beantworten. Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.


B - Beantwortung der zweiten Frage


30. Ich habe mich entschieden, die Vorlagefragen in umgekehrter Reihenfolge zu beantworten, weil es mir im vorliegenden Fall logischer erscheint, zunächst den Äquivalenzgrundsatz zu erörtern, auch wenn dieser erst in der zweiten Vorlagefrage des nationalen Gerichts angesprochen wird. Unter dem Gesichtspunkt der Grenzen der nationalen Verfahrensautonomie geht meines Erachtens nämlich die Frage der Äquivalenz der Frage der Effektivität logisch voraus. Ungeachtet der Bedingung, mit der das nationale Gericht die zweite Frage einleitet, müssen aus unionsrechtlicher Sicht beide Fragen untersucht werden, um eine sachdienliche Antwort zu geben.


31. Die zweite Vorlagefrage lässt sich recht einfach beantworten. Ich schließe mich der von allen Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme des Verbands vertretenen Auffassung an, wonach es sich bei dem zum Bereich des Wettbewerbsrechts gehörenden § 39 Abs. 2 KartG schlichtweg nicht um eine dem § 219 Abs. 2 ZPO oder dem § 77 Abs. 1 StPO entsprechende Bestimmung - im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Äquivalenzgrundsatz - handelt. Es sei hinzugefügt, dass sich diese Feststellung nicht aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot, sondern aus dem Äquivalenzgrundsatz herleitet, der nach ständiger Rechtsprechung die nationale Verfahrensautonomie beschränkt. Das Diskriminierungsverbot gebietet, dass vergleichbare Situationen nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen. Dieser Grundsatz scheint auf den vorliegenden Sachverhalt keine Anwendung zu finden, da der Äquivalenzgrundsatz demselben Ziel dient.


32. Die Wahrung des Äquivalenzgrundsatzes setzt voraus, dass die streitige nationale Regelung in gleicher Weise für Rechtsbehelfe gilt, die auf die Verletzung des Unionsrechts gestützt sind, wie für solche, die auf die Verletzung des innerstaatlichen Rechts gestützt sind, „sofern diese Rechtsbehelfe einen ähnlichen Gegenstand und Rechtsgrund haben"(16). Der Grundsatz der Äquivalenz darf jedoch nicht so verstanden werden, dass er einen Mitgliedstaat verpflichtet, die günstigste innerstaatliche Regelung auf alle Rechtsbehelfe zu erstrecken, die in einem bestimmten Rechtsbereich eingelegt werden(17).


33. Die Aufgabe des Vergleichs verschiedener nationaler Verfahren im Sinne der Äquivalenz obliegt in der Regel dem nationalen Vorlagegericht, das die Gleichartigkeit der betreffenden Rechtsbehelfe unter dem Gesichtspunkt ihres Gegenstands, ihres Rechtsgrundes und ihrer wesentlichen Merkmale zu prüfen hat(18). Für die Feststellung, ob eine nationale Verfahrensvorschrift weniger günstig ist, hat das nationale Gericht deren Stellung im gesamten Verfahren, den Ablauf des genannten Verfahrens und die Besonderheiten dieser Vorschriften zu berücksichtigen(19).


34. Gelegentlich hat der Gerichtshof jedoch in der Frage, ob die in Rede stehende nationale Vorschrift mit dem Äquivalenzgrundsatz vereinbar ist, selbst Stellung genommen. In einigen Fällen hat er seine Auffassung angedeutet, die Entscheidung insoweit dennoch dem nationalen Gericht überlassen(20), während er sich in anderen dezidiert dazu geäußert hat, ob die betreffende nationale Regelung(21) den Äquivalenzanforderungen genügt. Meines Erachtens ist im vorliegenden Fall der letztgenannte Ansatz angebracht.


35. Hier gilt der Ausschluss Dritter von der Einsicht in die Kartellgerichtsakten sowohl bei Ansprüchen aus dem Wettbewerbsrecht der Union als auch bei Ansprüchen aus dem Wettbewerbsrecht Österreichs. Mit anderen Worten, es liegt keine Ungleichbehandlung vor, die darauf beruht, dass ein aus dem Unionsrecht hergeleiteter Anspruch geltend gemacht wird und dieser anders eingestuft oder behandelt wird als ein rein innerstaatlicher Sachverhalt(22).


36. Meiner Meinung nach lässt sich nicht behaupten, dass ein solches Verfahren mit einem ordentlichen Zivil- oder Strafverfahren vergleichbar ist, denn bei diesen geht es nicht um den Schutz von Kronzeugenregelungen oder um sonstige Besonderheiten eines öffentlich-rechtlichen Verfahrens zur Durchsetzung der Wettbewerbspolitik.


37. Ich schlage daher vor, die zweite Frage dahin zu beantworten, dass der unionsrechtliche Grundsatz der Äquivalenz einer nationalen Bestimmung wie § 39 Abs. 2 KartG nicht entgegensteht.


C - Beantwortung der ersten Frage


1. Vorbemerkungen


38. Mit seiner ersten Vorlagefrage ersucht das Kartellgericht um Hinweise zur Unionsrechtskonformität einer mitgliedstaatlichen Vorschrift, wonach ein Dritter von der Einsicht in die dem Kartellgericht vorgelegten Dokumente ausgeschlossen ist, sofern nicht alle Parteien dieses öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens ihre Zustimmung erteilen. Die Bedenken des nationalen Gerichts führen konkret zu der Frage, ob ein solcher Ausschluss im Einklang mit dem vom Gerichtshof im Urteil Courage und Crehan(23) festgestellten und im Urteil Manfredi u. a.(24) bestätigten Recht steht, Ersatz des durch ein verbotenes Kartell oder Verhalten entstandenen Schadens in einem Zivilverfahren gegen die Kartellteilnehmer zu verlangen.


39. Hier ist der Fall noch komplizierter, weil einige der vom Verband begehrten Informationen im Rahmen einer Kronzeugenregelung bei einem der Unternehmen erlangt wurden, gegen die der Verband Klage erheben möchte.


40. Der Gerichtshof hat im Urteil Pfleiderer einen Ansatz verfolgt, der meiner Ansicht nach auch im vorliegenden Rechtsstreit Gültigkeit hat. Er hat ausgeführt, dass weder die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags noch die Verordnung Nr. 1/2003 eine gemeinsame Kronzeugenregelung oder gemeinsame Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens, die in Anwendung einer nationalen Kronzeugenregelung freiwillig einer nationalen Wettbewerbsbehörde übermittelt worden seien, vorsähen(25). In Ermangelung einer verbindlichen unionsrechtlichen Regelung in diesem Bereich sei es Sache der Mitgliedstaaten, die nationalen Vorschriften über den Zugang von Kartellgeschädigten zu Dokumenten, die Kronzeugenverfahren beträfen, zu erlassen und anzuwenden(26), allerdings unter der Voraussetzung, dass sie die Verwirklichung des Unionsrechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürften und dass sie, speziell im Bereich des Wettbewerbsrechts, dafür sorgen müssten, dass die Vorschriften, die sie erließen oder anwendeten, die wirksame Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV nicht beeinträchtigten(27).


41. Darauf aufbauend ist der Gerichtshof im Urteil Pfleiderer zu einem Ergebnis gekommen, das trotz des unterschiedlichen institutionellen Kontexts jener Rechtssache - dort ging es nicht um Gerichts-, sondern um Verwaltungsdokumente - gleichermaßen auch hier sachgerecht ist. Bei der Prüfung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten eines nationalen Kronzeugenprogramms sei nämlich abzuwägen zwischen dem Schutz der vom Kronzeugen freiwillig vorgelegten Informationen (dessen Wirksamkeit und damit die wirksame Anwendung der Art. 101 AEUV und 102 AEUV durch die Übermittlung von Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens an Personen, die eine Schadensersatzklage erheben wollen, beeinträchtigt werden könnten)(28) und dem Erfordernis, dass die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften nicht weniger günstig als die für ähnliche innerstaatliche Rechtsbehelfe geltenden und nicht so ausgestaltet sind, dass sie die Erlangung eines Schadensersatzes praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren(29). Eine solche Abwägung könnten die nationalen Gerichte nur im Einzelfall vornehmen(30). Ich komme auf die Bedeutung dieser Feststellungen in Kürze zurück.


42. Zudem ist - wie der Gerichtshof im Urteil van Schijndel und van Veen dargelegt hat - jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens(31). Auch diesem Gesichtspunkt muss daher gebührend Rechnung getragen werden.


43. Die Feststellungen des Urteils Pfleiderer sind zwar für den vorliegenden Rechtsstreit relevant, allerdings dürfen auch nicht die Unterschiede übersehen werden. In jener Rechtssache hatte das nationale Vorlagegericht um Hinweise dazu ersucht, welche Auswirkungen die einem Geschädigten gewährte Akteneinsicht bezüglich der von einem Kronzeugenantragsteller einer nationalen Wettbewerbsbehörde mitgeteilten Informationen auf das System der Kooperation und des Informationsaustauschs nach den Art. 11 und 12 der Verordnung Nr. 1/2003 haben kann(32).


44. Die erste Frage in der vorliegenden Rechtssache betrifft hingegen den nach innerstaatlichem Recht bestehenden Ausschluss, der sich bei fehlender Zustimmung der Parteien auf alle in den Kartellgerichtsakten enthaltenen Dokumente unabhängig von ihrem Bezug zu einem Kronzeugenprogramm erstreckt und dem zufolge es dem nationalen Gericht verwehrt ist, die vom Gerichtshof im Urteil Pfleiderer vorgeschriebene Abwägung vorzunehmen.


45. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es also in gewisser Hinsicht eher um die Problematik, mit der sich der Gerichtshof im Urteil Courage und Crehan befasst hat und die einen nach englischem Recht bestehenden Ausschluss von Schadensersatzklagen betrifft, die von Parteien rechtswidriger Verträge, einschließlich gegen Art. 101 AEUV verstoßender Vereinbarungen, erhoben werden. Meines Erachtens findet sich der Kerngedanke in Randnr. 26 des Urteils Courage und Crehan:


„Die volle Wirksamkeit des Artikels 85 EG-Vertrag und insbesondere die praktische Wirksamkeit des in Artikel 85 Absatz 1 ausgesprochenen Verbots wären beeinträchtigt, wenn nicht jedermann Ersatz des Schadens verlangen könnte, der ihm durch einen Vertrag, der den Wettbewerb beschränken oder verfälschen kann, oder durch ein entsprechendes Verhalten entstanden ist."(33)


46. Somit stellt sich folgende entscheidende Frage: Führt die vom Kartellgericht dargestellte Beschränkung in Österreich dazu, dass der Verband oder die ihm als Mitglieder angeschlossenen Unternehmen den ihnen durch ein rechtswidriges Kartell entstandenen Schaden nicht geltend machen können, weil der im österreichischen Recht vorgesehene Ausschluss die Geltendmachung praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert(34)? Entsprechend den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil DEB ist zu untersuchen, ob der Verband über einen Rechtsweg verfügt, der ihm einen effektiven gerichtlichen Schutz in Bezug auf die Rechte gewährleistet, die ihm aus der Unionsrechtsordnung erwachsen(35), also ob er die ihm durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte vor den österreichischen Gerichten geltend machen kann(36).


47. Schließlich ist Art. 19 Abs. 1 EUV zu berücksichtigen und zu prüfen, inwieweit diese Vorschrift eine Garantie in Ergänzung zum Effektivitätsgrundsatz beinhaltet. Nach Art. 19 Abs. 1 schaffen die Mitgliedstaaten die „erforderlichen" Rechtsbehelfe, „damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist". Nach dieser Vertragsbestimmung hat es also den Anschein, dass der Maßstab des wirksamen gerichtlichen Schutzes der aus der Unionsrechtsordnung erwachsenden Rechte strenger ist als die klassische Formel, die auf die praktische Unmöglichkeit oder übermäßige Erschwerung abstellt. Dies bedeutet meiner Ansicht nach, dass die nationalen Rechtsbehelfe zugänglich, prompt und angemessen kosteneffektiv sein müssen(37).


48. Aus wettbewerbspolitischer Sicht berührt die vorliegende Rechtssache die Diskussion über die sogenannte private Durchsetzung der Wettbewerbsregeln. Anders als in den USA ist der Begriff hier vielleicht nicht ganz passend, da es im Wettbewerbsrecht der Union Rechtsinstitute wie „pre-trial discovery" (Offenlegung vor der Verhandlung), „class actions" (Klage im Interesse einer Gruppe) und „punitive damages" (Strafe einschließender Schadensersatz) nicht gibt. Die in der Union durch Wettbewerbsbeschränkungen Geschädigten sind meines Erachtens - vielleicht im Unterschied zu Geschädigten in den USA - einfach nur um Rechtsschutz für ihre privatrechtlichen Ansprüche und nicht um die Durchsetzung öffentlicher Politik bemüht.


2. Rechtsprechung des Gerichtshofs zu nationalen Beweisvorschriften und zum allgemeinen Grundsatz der praktischen Wirksamkeit


49. Nach der Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass die für Klagen wegen Verstößen gegen das Unionsrecht geltenden Beweisvorschriften, insbesondere die Regeln über die Verteilung der Beweislast, dem Rechtsuchenden die Ausübung der ihm durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren(38).


50. So hat der Gerichtshof z. B. entschieden, dass es Sache des nationalen Gerichts sei, zu prüfen, ob ein Einzelner, der eine Klage auf Schadensersatz nach dem Staatshaftungsrecht der Union erheben wolle, das besondere Verfahren habe in Anspruch nehmen können, das eine Zeugenvernehmung zulasse, oder ob er, wenn dies nicht der Fall gewesen sei, anderweitig, insbesondere durch Urkunden, den Beweis für die von ihm erlittenen Schäden habe erbringen können(39). Andernfalls würden die Beweisvorschriften dem Rechtsuchenden die Ausübung der ihm durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte vor allem praktisch unmöglich machen oder aber übermäßig erschweren(40). Mit anderen Worten, Beschränkungen der Beweiserhebung, die „für den Rechtsschutz des Klägers entscheidend ist"(41), sind mit dem Gebot der praktischen Wirksamkeit nicht zu vereinbaren. Zu den Beweisvorschriften, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenfalls wegen Verletzung des Grundsatzes der praktischen Wirksamkeit von den nationalen Gerichten überprüft werden müssen, zählen auch Bestimmungen, die den Grundsatz der Waffengleichheit gefährden(42).


51. Meines Erachtens stellt eine Regelung, wonach in einer öffentlich-rechtlichen Kartellsache die Einsicht in die Gerichtsakten von der Zustimmung des Verletzers der Wettbewerbsregeln abhängt, ein erhebliches Hindernis für die Ausübung des Rechts auf die zivilrechtliche Geltendmachung von Schadensersatz wegen Verletzung des Wettbewerbsrechts der Union dar(43). Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass ein Zuwiderhandelnder, der jemanden von der fristgerechten Klageerhebung abhalte, sich nicht auf eine nationale Verfahrensvorschrift über Ausschlussfristen für die Klageerhebung berufen könne(44). Ich sehe keinen Grund dafür, die Anwendung dieses Grundsatzes auf Ausschlussfristen zu beschränken, und befürworte seine Ausdehnung auf belastende Beweisvorschriften, die eine entsprechende abschreckende Wirkung haben(45). Ich möchte auch bezweifeln, dass Rechtsbehelfe, die so ausgestaltet sind, dass sie von der Durchsetzung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte abhalten, mit Art. 19 Abs. 1 EUV vereinbar sind.


2. Art. 47 der Charta


52. Wie der Gerichtshof unlängst dargelegt hat, umfasst der in Art. 47 der Charta verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes mehrere Elemente, zu denen u. a. die Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Zugang zu den Gerichten sowie das Recht, sich beraten, verteidigen und vertreten zu lassen, gehören(46). Darüber hinaus verlangt das Recht auf Zugang zu einem Gericht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass ein nationales Gericht über die „Befugnis" verfügt, alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen(47). Meines Erachtens kann ein nationales Gericht, das über die zivilrechtlichen Folgen einer rechtswidrigen Wettbewerbsbeschränkung zu entscheiden hat, nicht über diese „Befugnis" verfügen, wenn es in der Praxis daran gehindert ist, entscheidendes Beweismaterial, etwa die Akten eines öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens, heranzuziehen, in dem eine rechtswidrige Wettbewerbsbeschränkung wie das Bestehen eines Kartells bereits festgestellt worden ist.


53. Daher stellt die begrenzte Verfügbarkeit entscheidenden Beweismaterials eine Einschränkung des Anspruchs der Rechtsuchenden auf gerichtlichen Rechtsschutz in ihrem Rechtsstreit dar(48). Sie beeinträchtigt auch ihr Recht, ihr Anliegen sachgerecht zu verteidigen(49).


54. Das Recht auf Zugang zu den Gerichten hat jedoch keine absolute Geltung(50). Es kann Beschränkungen unterliegen, sofern dieses Recht dadurch nicht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigt ist, die Beschränkungen einem legitimen Zweck dienen und die angewandten Mittel in angemessenem Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen(51).


55. Art. 47 ist im vorliegenden Fall auch deshalb einschlägig, weil diese Vorschrift das Recht auf ein faires Verfahren garantiert, was dem Schutz der Interessen der Unternehmen dient, die an einem Kartell beteiligt waren. Ich bin der Auffassung, dass Dritten Akteneinsicht in freiwillige, von Kronzeugenantragstellern abgegebene Erklärungen, mit denen diese sich selbst belasten, grundsätzlich nicht zu gewähren ist(52). Das Recht, sich nicht selbst zu belasten, ist in der Unionsrechtsordnung seit Langem anerkannt(53) und kann den die Unionsvorschriften durchführenden nationalen Wettbewerbsbehörden unmittelbar entgegengehalten werden(54).


56. Es trifft zwar zu, dass Kronzeugenregelungen keinen Schutz vor Schadensersatzansprüchen gewährleisten(55) und dass das Recht, sich nicht selbst zu belasten, nicht im Bereich des Privatrechts gilt. Dennoch sprechen sowohl ordnungspolitische Gründe als auch das Gebot der Fairness gegenüber der Person, die im Rahmen einer Kronzeugenregelung belastende Erklärungen abgegeben hat, deutlich gegen eine Einsicht in die Gerichtsakten eines öffentlich-rechtlichen Kartellverfahrens, in dem der durch die Regelung Begünstigte als Zeuge der Wettbewerbsbehörde aufgetreten ist, die die Vorwürfe verfolgt.


3. Anwendung auf den vorliegenden Fall


57. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs verpflichtet das Unionsrecht die Mitgliedstaaten, dafür zu sorgen, dass die nationalen Rechtsvorschriften das Recht auf einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz nicht „beeinträchtigen"(56); die Betroffenen dürfen nicht an der Geltendmachung ihrer Rechte vor den nationalen Gerichten gehindert werden. Wirkt sich die österreichische Regelung, wonach die Einsicht in die Kartellgerichtsakten bei fehlender Zustimmung aller Parteien ausgeschlossen ist, in dieser Weise aus?


58. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs beeinträchtigt die an Dritte erfolgende Offenlegung des Schriftverkehrs zwischen der Kommission und den Unternehmen in einem Verfahren zur Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen grundsätzlich den Schutz des Zwecks von Untersuchungstätigkeiten sowie den Schutz der geschäftlichen Interessen der an einem solchen Verfahren beteiligten Unternehmen, und zwar selbst dann, wenn dieses Verfahren bereits abgeschlossen ist(57). Grundsätze dieser Art(58) konkurrieren allerdings auf Unionsebene mit Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten und die Verpflichtung zur Transparenz, die sich sowohl in Unionsrechtsakten als auch im Primärrecht der Union finden(59).


59. Dementsprechend nimmt der Gerichtshof in der von ihm entwickelten Rechtsprechung, die auch Fälle aus dem Bereich des Zugangs zu Dokumenten der Kommission in wettbewerbsrechtlichen Untersuchungsverfahren umfasst(60), im Wesentlichen eine Abwägung zwischen den einzelnen Erfordernissen dieser Art sowie eine Beurteilung jedes einzelnen angeforderten Dokuments vor. Demnach ist auf Unionsebene ein pauschaler Ausschluss des Zugangs zu im Rahmen von Kartelluntersuchungen gesammelten Dokumenten der Kommission undenkbar.


60. Diese zum Zugang zu Dokumenten der Kommission entwickelten Grundsätze lassen sich nicht unmittelbar auf die nationale Ebene übertragen. Sie bieten jedoch Rahmen, Hintergrund und Perspektive für die Beurteilung, inwieweit der im österreichischen Recht vorgesehene ausnahmslose Ausschluss mit dem Grundsatz der praktischen Wirksamkeit vereinbar ist.


61. Ebenso ist entsprechend dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Pfleiderer dem Erfordernis des Schutzes der Kronzeugenregelungen gebührend Rechnung zu tragen. Gemäß Ziff. 26 der Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrags(61) „wird die Kommission keine von einem Antragsteller auf Kronzeugenbehandlung freiwillig bereitgestellten Informationen ohne dessen Einverständnis an einzelstaatliche Gerichte weitergeben", wenngleich, wie bereits erwähnt, die Einräumung der Kronzeugenstellung durch die Kommission keinen Schutz in zivilrechtlichen Schadensersatzprozessen beinhaltet(62).


62. Erwägungen dieser Art kommen ebenso bei der Beurteilung der Konformität von § 39 Abs. 2 KartG zum Tragen, insbesondere da dem zivilrechtlichen Schadensersatzprozess eine ergänzende Funktion bei der Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in der Union(63) zukommt. Deshalb sollte das in den Urteilen Courage und Crehan bzw. Manfredi u. a. postulierte Recht Privater, Schadensersatz von Wirtschaftsteilnehmern zu verlangen, die das Wettbewerbsrecht der Union verletzt haben, meines Erachtens nicht so weit ausgedehnt werden, dass die Wirksamkeit der - sei es europäischen, sei es nationalen - öffentlich-rechtlichen Durchsetzungsmechanismen gefährdet wäre.


63. Die österreichische Regelung wird mit dem Argument verteidigt, der österreichische Gesetzgeber habe die erforderliche Abwägung zwischen den entgegengesetzten öffentlichen und privaten Interessen vorgenommen und es für angebracht erachtet, dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln absoluten Vorrang einzuräumen. Außer in bestimmten Fällen außerhalb des Bereichs des Wettbewerbsrechts ist jedoch meiner Meinung nach eine Abwägung, bei der für eines der entgegengesetzten Interessen kein Raum bleibt, nicht mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar.


64. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wäre daher meines Erachtens eine gesetzliche Regelung angemessener, die einen absoluten Schutz der Kronzeugen vorsieht, die aber verlangt, zwischen den Interessen der übrigen Teilnehmer an einer wettbewerbsbeschränkenden Verhaltensweise und den Interessen der mutmaßlichen Opfer abzuwägen. In Österreich ist die Wahrung der Vertraulichkeit der Kartellgerichtsakten nicht nur auf den Bereich der Geschäftsgeheimnisse der beteiligten Unternehmen beschränkt. Ferner ist meiner Ansicht nach die Teilnahme an und für sich an einer rechtswidrigen Beschränkung des Wettbewerbs - außer im Fall von Kronzeugenunternehmen - kein Geschäftsgeheimnis, das unionsrechtlichen Schutz verdient(64).


65. Deshalb stellt meines Erachtens der ausnahmslose Ausschluss der Einsicht in die Akten des Kartellgerichts bei fehlender Zustimmung der Parteien eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des durch Art. 47 garantierten Rechts auf Zugang zu einem Gericht dar, insbesondere wenn wie hier - ausweislich der Gerichtsakten - das Kartellgericht seine Urteile nicht öffentlich zugänglich macht.


66. Das Gebot der praktischen Wirksamkeit erfordert daher meines Erachtens, dass dem nationalen Richter, der über den Antrag eines Dritten auf Einsicht in die Gerichtsakten zu entscheiden hat, die Möglichkeit gegeben wird, eine Abwägung der im Urteil Pfleiderer angedeuteten Art vorzunehmen. Im Rahmen dieser Abwägung könnte er alle unterschiedlichen Gesichtspunkte einander gegenüberstellen, etwa einerseits den Schutz legitimer Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens, das an der Wettbewerbsbeschränkung teilgenommen hat, und andererseits die Pflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 19 Abs. 1 EUV zur Schaffung der „erforderlichen Rechtsbehelfe, damit ein wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen gewährleistet ist". Der nationale Gesetzgeber kann festlegen, welche Gesichtspunkte bei dieser Abwägung zu berücksichtigen sind, darf sie aber nicht völlig ausschließen - oder allenfalls nur dann, wenn es um Informationen geht, die ein Unternehmen als Kronzeuge bereitgestellt hat.


67. Allerdings hat der Gerichtshof in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass „der EG-Vertrag zwar für Privatpersonen mehrere Möglichkeiten der direkten Klage zu den Gemeinschaftsgerichten eröffnet [hat], doch er wollte nicht zusätzlich zu den nach nationalem Recht bereits bestehenden Rechtsbehelfen neue Klagemöglichkeiten zur Wahrung des Gemeinschaftsrechts vor den nationalen Gerichten schaffen ... Etwas anderes würde nur gelten, wenn es nach dem System der betreffenden nationalen Rechtsordnung keinen Rechtsbehelf gäbe, mit dem wenigstens inzident die Wahrung der den Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleistet werden könnte."(65)


68. Daher hat das Kartellgericht bei seiner Beurteilung auch die anderen nach österreichischem Recht gegebenen Möglichkeiten zur Erlangung von Beweismitteln zu berücksichtigen, wie z. B. Verfahrensvorschriften über die Offenlegung von Dokumenten in Zivilverfahren oder Regelungen für den Zugang zu Verwaltungsdokumenten der Bundeswettbewerbsbehörde, die neben § 219 Abs. 2 und § 273 ZPO bestehen, ehe es entscheidet, welche Teile seiner Akten Dritten gegebenenfalls zugänglich gemacht werden sollen, um den gebotenen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz bei Schadensersatzklagen im Sinne der Urteile Courage und Crehan bzw. Manfredi u. a. gegen Wirtschaftsteilnehmer zu gewähren, denen ein Verstoß gegen Art. 101 AEUV nachgewiesen worden ist. Dieselbe Abwägung ist auch bei der Bezifferung des Schadens erforderlich(66).


69. Abschließend ergibt sich also, dass innerhalb der vom nationalen Gesetzgeber festgelegten Parameter und unter der Voraussetzung, dass die vorstehend dargelegten Grundsätze des Unionsrechts beachtet werden, ein gewisser Raum für eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der wirksamen Durchsetzung der Wettbewerbsregeln und dem privaten Interesse der Opfer eines Verstoßes gegen diese Regeln gegeben sein muss.


70. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die erste Frage in dem Sinne zu beantworten, dass der Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes in seiner durch Art. 19 Abs. 1 EUV geprägten Anwendung einer Bestimmung des nationalen Wettbewerbsrechts wie § 39 Abs. 2 KartG entgegensteht, die Dritten, die eine zivilrechtliche Schadensersatzklage gegen Kartellteilnehmer erheben wollen, die Einsicht in die Akten des Kartellgerichts verwehrt, wenn diese Teilnehmer der Akteneinsicht nicht zustimmen.


IV - Ergebnis


71. Demnach schlage ich folgende Antworten auf die vom Kartellgericht vorgelegten Fragen vor:


1. Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz in seiner durch Art. 19 Abs. 1 EUV geprägten Anwendung steht einer nationalen kartellrechtlichen Bestimmung entgegen, welche die Einsicht in Akten eines nationalen Gerichts, die in einem unter Einbeziehung des Kartellrechts der Union durchgeführten Kartellverfahren zusammengestellt worden sind, durch Dritte, die an diesem Kartellverfahren nicht beteiligt sind, aber Schadensersatzklagen gegen Teilnehmer des in diesem Verfahren in Rede stehenden Kartells erheben wollen, von der Zustimmung aller Parteien des Kartellverfahrens abhängig macht. Etwas anderes gilt nur, wenn das nationale Recht andere Möglichkeiten zur Beschaffung der Beweise für die Verletzung des Kartellrechts der Union und zur Ermittlung des Schadens vorsieht, die wirksamen Rechtsschutz hinsichtlich des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruchs wegen Verletzung der kartellrechtlichen Bestimmungen bieten und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union genügen.


2. Der unionsrechtliche Äquivalenzgrundsatz steht einer nationalen Bestimmung, welche die Einsicht in Akten eines nationalen Gerichts, die in einem unter Einbeziehung des Kartellrechts der Union durchgeführten Kartellverfahren zusammengestellt worden sind, durch Dritte, die an diesem Kartellverfahren nicht beteiligt sind, ausnahmslos von der Zustimmung aller Parteien des Kartellverfahrens abhängig macht, nicht entgegen, wenn die Regelung gleichermaßen für rein innerstaatliche Kartellverfahren gilt, aber von nationalen Bestimmungen über die Einsicht in Gerichtsakten durch Dritte in anderen Verfahrensarten, insbesondere dem streitigen und außerstreitigen Zivilprozess und dem Strafprozess, abweichen.


1 - Originalsprache: Englisch.


2 - Urteil vom 14. Juni 2011 (C‑360/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


3 - Vgl. Urteile vom 13. Juli 2006, Manfredi u. a. (C‑295/04 bis C‑298/04, Slg. 2006, I‑6619), und vom 20. September 2001, Courage und Crehan (C‑453/99, Slg. 2001, I‑6297).


4 - Vgl. z. B. Urteil vom 1. Dezember 1998, Levez (C‑326/96, Slg. 1998, I‑7835).


5 - Vgl. in ähnlichem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Mazák in der Rechtssache Pfleiderer, Nr. 3.


6 - ABl. 2003, L 1, S. 1.


7 - § 219 Abs. 2 ZPO gilt nicht für öffentlich-rechtliche Kartellverfahren.


8 - In seinem Antrag auf Akteneinsicht bezieht sich der Verband auf Kartellakt 29 Kt 5/09.


9 - Urteile Courage und Crehan sowie Manfredi u. a.


10 - Wie aus dem Deckblatt der vorliegenden Schlussanträge hervorgeht, hießen die ASK Chemicals GmbH vormals Ashland-Südchemie-Kernfest GmbH und die ASK Chemicals Austria GmbH vormals Ashland Südchemie Hantos Ges.m.b.H.


11 - Urteil vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, Slg. 2004, I‑5257, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12 - Urteil Orfanopoulos und Oliveri, Randnr. 45.


13 - Auf Unionsebene wären zu nennen i) die Unterlagen der Kommission, ii) die Akten des Gerichts und iii) die Beweismittel, die dem nationalen Gericht vorliegen, das über die zivilrechtlichen Folgen einer rechtswidrigen Wettbewerbsbeschränkung entscheidet. Vgl. auch Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, Slg. 2010, I‑8533, Randnrn. 79 bis 82), wo der Gerichtshof darauf hinweist, dass die Rechtsprechungstätigkeit vom Anwendungsbereich des durch die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43) garantierten Rechts auf Zugang zu Dokumenten und den Transparenzpflichten nach Art. 255 EG (jetzt Art. 15 Abs. 3 AEUV) ausgenommen sei. Generalanwalt Poiares Maduro untersucht in seinen Schlussanträgen in der genannten Rechtssache, Nrn. 21 bis 39, die verschiedenen national- und völkerrechtlichen Lösungen hinsichtlich des Zugangs zu Gerichtsdokumenten.


14 - Vgl. z. B. ECN-Arbeitsgruppe, Co-operation Issues and Due Process „Decision Making Powers", Bericht vom 31. Oktober 2012. Dort werden auf S. 5 f. drei institutionelle Grundmodelle für die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts in der Union dargestellt: i) das monistische Verwaltungsmodell, bei dem eine einzige Verwaltungsbehörde die Untersuchungen durchführt und Vollzugsentscheidungen trifft. In einigen Ländern besitzt die Behörde möglicherweise keine Befugnis zur Verhängung von Geldbußen; ii) das duale Verwaltungsmodell, bei dem die Untersuchungstätigkeit und die Entscheidungstätigkeit auf zwei verschiedene Stellen verteilt sind. Eine Stelle ist mit den Untersuchungen betraut, und die Sache wird dann an die andere Stelle verwiesen, die für die Entscheidung darüber zuständig ist; iii) das Gerichtsmodell, bei dem ein Gericht entweder sowohl in der Sache als auch über die Geldbußen entscheidet oder nur über die Geldbußen, während die Sachentscheidung der Wettbewerbsbehörde obliegt. Auf S. 9 des Berichts heißt es, dass in Österreich die erste Variante des Gerichtsmodells, d. h. ein reines Gerichtsmodell, gelte.


15 - Das Kartellgericht verwendet das oben in Fn. 8 wiedergegebene Aktenzeichen. Der Verband wird im Ausgangsverfahren als Einschreiter geführt.


16 - Urteil vom 19. Juli 2012, Littlewoods Retail u. a. (C‑591/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31).


17 - Ebd.


18 - Ebd. mit Verweis auf das Urteil vom 29. Oktober 2009, Pontin (C‑63/08, Slg. 2009, I‑10467, Randnr. 45).


19 - Urteil vom 8. September 2011, Rosado Santana (C‑177/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).


20 - Z. B. Urteile Rosado Santana, Randnr. 91, und vom 19. Juni 2003, Sante Pasquini (C‑34/02, Slg. 2003, I‑6515, Randnrn. 64 bis 73).


21 - Urteil vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, Slg. 2010, I‑635, Randnr. 46).


22 - Urteil Sante Pasquini, Randnr. 59.


23 - Randnr. 26.


24 - Randnr. 78.


25 - Randnr. 20. Im Urteil Pfleiderer, Randnr. 21, hat der Gerichtshof festgestellt, dass weder die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden (ABl. 2004, C 101, S. 43) noch die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17), die beide Kronzeugenregelungen betreffen, für die Mitgliedstaaten verbindlich seien. Des Weiteren heißt es im Urteil Pfleiderer, Randnr. 22, dass im Rahmen des ECN 2006 ein Kronzeugenregelungsmodell zur Vereinheitlichung bestimmter Aspekte nationaler Kronzeugenregelungen erarbeitet und angenommen worden sei. Auch dieses Regelungsmodell habe jedoch keine verbindliche Wirkung gegenüber den Gerichten der Mitgliedstaaten.


26 - Urteil Pfleiderer, Randnr. 23.


27 - Urteil Pfleiderer, Randnr. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung.


28 - Urteil Pfleiderer, Randnrn. 25 f. Ich möchte mich zudem den Anführungen von Generalanwalt Mazák in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Pfleiderer, Nr. 34, anschließen: „Soweit ein Mitgliedstaat durch seine Wettbewerbsbehörde(n) ein Kronzeugenprogramm unterhält, um die wirksame Durchsetzung von Art. 101 AEUV sicherzustellen, ist er meines Erachtens trotz der bei der Durchsetzung dieser Vorschrift bestehenden Verfahrensautonomie verpflichtet, sicherzustellen, dass das Programm in seiner Konzeption und Funktion effektiv gestaltet ist."


29 - Urteil Pfleiderer, Randnr. 30.


30 - Urteil Pfleiderer, Randnr. 31.


31 - Urteil vom 14. Dezember 1995 (C‑430/93 und C‑431/93, Slg. 1995, I‑4705, Randnr. 19).


32 - Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mazák, Nr. 22.


33 - Randnr. 26 (Hervorhebung nur hier).


34 - So z. B. die Feststellungen im Urteil vom 22. Dezember 2010, DEB (C‑279/09, Slg. 2010, I‑13849), wonach eine nationale Regelung, die die Geltendmachung eines unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs von einem Gerichtskostenvorschuss abhängig macht, ohne dass Prozesskostenhilfe gewährt wird, eine Verletzung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen kann. Die Prüfung, ob dies nach dem Sachverhalt der Fall ist, bleibt dem nationalen Gericht überlassen.


35 - Urteil vom 11. September 2003, Safalero (C‑13/01, Slg. 2003, I‑8679, Randnr. 54).


36 - Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Mono Car Styling (C‑12/08, Urteil vom 16. Juli 2009, Slg. 2009, I‑6653, Nr. 84 mit Verweis auf das Urteil vom 13. März 2007, Unibet, C‑432/05, Slg. 2007, I‑2271, Randnrn. 38 bis 40).


37 - Vgl. entsprechend Urteil DEB.


38 - Urteile vom 3. Februar 2000, Dounias (C‑228/98, Slg. 2000, I‑577, Randnr. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 29. April 2004, Pusa (C‑224/02, Slg. 2004, I‑5763, Randnr. 44), und vom 24. April 2008, Arcor/Deutschland (C‑55/06, Slg. 2008, I‑2931, Randnr. 191 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zu Beweisvorschriften vgl. auch Urteile vom 7. September 2006, Laboratoires Boiron SA (C‑526/04, Slg. 2006, I‑7259, Randnrn. 52 bis 57), und vom 1. Juli 2010, Speranza (C‑35/09, Slg. 2010, I‑6581, Randnr. 47).


39 - Urteil Dounias, Randnr. 71.


40 - Urteil Dounias, Randnr. 71.


41 - Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Dounias, Nr. 50.


42 - Vgl. z. B. Urteile vom 10. April 2003, Steffensen (C‑276/01, Slg. 2003, I‑3735), und vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


43 - Urteil vom 15. April 2010, Barth (C‑542/08, Slg. 2010, I‑3189, Randnr. 40).


44 - Vgl. z. B. Urteil Levez, Randnr. 32, dem zufolge die Täuschung des Arbeitgebers bei Angaben über die Höhe des Entgelts, das männliche Beschäftigte für gleiche Arbeit erhielten, die Verzögerung der Klageerhebung von Frau Levez „verursacht" habe.


45 - Vgl. das klassische Urteil vom 9. November 1983, San Giorgio (199/82, Slg. 1983, 3595).


46 - Urteil Otis u. a., Randnr. 48.


47 - Urteil Otis u. a., Randnr. 49.


48 - Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Darmon in den Rechtssachen Verholen u. a. (C‑87/90, C‑88/90 und C‑89/90, Verholen u. a., Urteil vom 11. Juli 1991, Slg. 1991, I‑3757, Nr. 33).


49 - Urteil DEB, Randnr. 45 mit Verweis auf das EGMR-Urteil vom 15. Februar 2005, Steel und Morris/Vereinigtes Königreich, § 59.


50 - Urteil DEB, Randnr. 45.


51 - Urteil DEB, Randnr. 47 mit Verweis auf die EGMR-Urteile vom 13. Juli 1995, Tolstoy Miloslavsky/Vereinigtes Königreich, Serie A Nr. 316-B, §§ 59 bis 67, und vom 19. Juni 2001, Kreuz/Polen, Nr. 28249/95, Recueil des arrêts et décisions 2001-VI, §§ 54 f. Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Unibet, Nr. 38.


52 - Schlussanträge des Generalanwalts Mazák in der Rechtssache Pfleiderer, Nr. 46.


53 - Vgl. das klassische Urteil vom 18. Mai 1982, AM & S Europe/Kommission (155/79, Slg. 1982, 1575).


54 - Unlängst erneut festgestellt im Urteil des Gerichts vom 14. November 2012, Nexans France und Nexans/Kommission (T‑135/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 128 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akzo Chemicals/Kommission (C‑550/07 P, Slg. 2010, I‑8301).


55 - Vgl. Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2006, C 298, S. 17), Randnr. 39: „Die Gewährung eines Geldbußenerlasses oder einer Geldbußenermäßigung lässt die zivilrechtlichen Folgen für ein Unternehmen wegen seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 81 EG-Vertrag unberührt."


56 - Urteil Mono Car Styling, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung.


57 - Urteil vom 28. Juni 2012, Kommission/Éditions Odile Jacob (C‑404/10 P, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnrn. 123 f.).


58 - Diesen wäre z. B. auch das verwandte Prinzip des Schutzes von Geschäftsgeheimnissen hinzuzufügen - Urteile vom 29. März 2012, Interseroh Scrap and Metal Trading (C‑1/11, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), und vom 26. Juni 2007, Ordre des barreaux francophones et germanophones u. a. (C‑305/05, Slg. 2007, I‑5305).


59 - Vgl. insbesondere Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. L 145, S. 43).


60 - Z. B. Urteil Kommission/Éditions Odile Jacob und Urteil des Gerichts vom 22. Mai 2012, EnBW Energie Baden-Württemberg/Kommission (T‑344/08, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht).


61 - ABl. 2004, C 101, S. 54.


62 - Beachtenswert ist, dass das Gericht es unlängst für erforderlich gehalten hat, den Parteien die Einsicht in die bei ihm geführten Kommissionsakten in einem Fall zu gestatten, der auf Informationen eines als Kronzeuge auftretenden Unternehmens beruhte - vgl. Urteile des Gerichts vom 14. November 2012, Prysmian u. a. (T‑140/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), sowie Nexans France und Nexans.


63 - Commission Staff Working Paper accompanying the White Paper on Damages actions for breach of the EC antitrust rules, SEC(2008) 404, Ziff. 2, S. 7.


64 - Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Westbahn Management (C‑136/11, Urteil vom 22. November 2012, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Nr. 33). Die Kommission veröffentlicht stets ihre Entscheidungen, in denen sie das Wettbewerbsrecht der Union anwendet, und hält dabei erforderlichenfalls die Angaben zurück, bei denen es sich um Geschäftsgeheimnisse handelt.


65 - Urteil Unibet, Randnrn. 40 f. und die dort angeführte Rechtsprechung.


66 - In ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Unibet, Nr. 49, vertritt Generalanwältin Sharpston die Auffassung, dass praktische Quantifizierungsprobleme nicht ausreichen, um einen Anspruch auf Schadensersatz „praktisch unmöglich [zu] machen oder übermäßig [zu] erschweren". Meines Erachtens handelt es sich dabei um eine Frage des Grades der Erschwerung, die das nationale Gericht im Licht von Art. 19 Abs. 1 EUV zu beurteilen hat.

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